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1940 verlässt die Familie Hamburg, geht nach München und von dort aus in ein kleines Bergbauerndorf in Tirol. Der Vater ist im Krieg in Russland, wird später als vermisst erklärt und kehrt aus dem Krieg nicht mehr zurück. Der Bruder verliert ein Auge. Das Haus, in dem die Familie in Hamburg lebt, wird zerbombt. 1945 Kriegsende. Die Familie zieht nach München und kann bei den Großeltern väterlicherseits leben. Einschulung in die Grundschule in München. Nach drei Jahren kommen beide Kinder in die Rudolf Steiner Schule. Die Mutter beginnt sich in ihrem Beruf als Fotografin ein Geschäft aufzubauen. 1949 kehrt die Tochter der Großeltern aus den USA zurück. Sie ist Primaballerina und bekommt an der Münchner Staatsoper wieder ein Engagement. Die Kinder müssen mit ihrer Mutter ausziehen, weil ihre Tante meint, die Belastung ihrer Eltern wäre zu groß. Auch will sie alleine mit ihren Eltern leben. Der Großvater baut über dem Atelier seiner Schwiegertochter eine kleine Wohnung aus, die nun das Zuhause wird.
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Seitenzahl: 174
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1939
Geboren in Hamburg,
Kriegsjahre mit der Familie in Tirol,
Vater in Russland vermisst
1945
Rückkehr nach München,
Grundschule, ab der dritten Klasse
Rudolf-Steiner-Schule, München
1956
Mittlere Reife,
für zwei Semester Besuch der
Fachschule für Schaufenstergestaltung,
München
1957
Zweijährige Fotolehre mit Gesellenprüfung
vor der Industrie- und Handelskammer,
München
1959
Studium am Institut für Bildjournalismus,
München
1961
Bekanntschaft mit dem
Kunstmaler Heimrad Prem (Gruppe SPUR),
freiberufliche Tätigkeit als Bildjournalistin,
Veröffentlichungen von Fotos in der SZ und
in anderen Zeitungen
1964
Heirat mit Heimrad Prem, sieben Kinder,
fünfundzwanzig Enkelkinder,
sehr lange Berufspause
1978
Tod des Ehemannes
ab 2002
Autobiografische Aufsätze:
ein Krankenhausaufenthalt,
Reisen in die USA und nach Russland
2006
Einige veröffentlichte Aufsätze in einer Oster-Anthologie
im Verlag
Haag+Herrchen, Frankfurt am Main
2007
Veröffentlichung des Buches
„Aufbruch zur bewährten Familie mit
Zukunft. Mündige Eltern erziehen ihre
Kinder zu mündigen Erwachsenen“,
Literareon Verlag, München
2013
Herausgeberin der „Tagebuchnotizen“
von Heimrad Prem, Hirmer Verlag,
München
2020
Erstveröffentlichung des vorliegenden
Bandes
„Erste Kinderjahre – Zweiter Weltkrieg“,
Verlagshaus Schlosser, 85551 Kirchheim
Am 1. August 1939 wurde ich in Hamburg geboren. Einen Monat später begann der Zweite Weltkrieg. Mein Bruder Manfred kam am 22. März 1938 – ein Jahr und vier Monate vor meiner Geburt – zur Welt. Meine Eltern, beide Fotografen, bewohnten eine Mietwohnung mit Atelier und Dunkelkammer in der Mönckebergstraße, nahe dem Hamburger Hauptbahnhof. Sie hatten sich 1933 in der „Schule für Fotografie“ in München in der Clemensstraße kennen gelernt. Im selben Jahr war die Machtergreifung von Adolf Hitler. Nach der Heirat meiner Eltern 1937 sind sie nach Hamburg gezogen. Mein Vater als Münchner liebte Hamburg und meine Mutter als Hamburgerin hatte ihre Zuneigung für München entdeckt.
Mein Vater bekam den Einberufungsbescheid wie jeder deutsche Mann und musste in den Krieg ziehen. Meine Mutter war alleine mit uns beiden kleinen Kindern; sie verließ Hamburg, als das Sirenengeheul und die Bombardierung der Stadt zu massiv wurden und die Flucht in den Luftschutzkeller zu belastend. Sie musste Atelier und Wohnung verlassen und ging mit meinem Bruder und mir nach München zu ihren Schwiegereltern.
Im Jahre 1941 eröffnete sich der Familie auf Grund einer Zeitungsnotiz die Möglichkeit, nach Tirol, Österreich, in das kleine Bergbauerndorf Pfaffenschwendt zu ziehen. Andere Verwandte, auch meine Großmütter väterlicher und mütterlicherseits, zogen hinterher. Ihre Männer, meine Opas, kämpften an der Front. So waren in mehreren Bauernhäusern des Dorfes etliche unserer Verwandten untergebracht. Pfaffenschwendt liegt zwischen Fieberbrunn und Hochfilzen. In dem Bauernhaus bei Familie Foidl bekamen wir ein Zimmer im ersten Stockwerk und da mussten wir nun leben, wie lange, das wussten wir nicht. Für meine Mutter begann eine harte Zeit. Zunächst hatte sie Mühe, den für sie fremden Dialekt zu verstehen und das Leben auf dem Dorf war ihr fremd. Allmählich gelang es ihr, Kontakt zu Frau und Herrn Foidl und ihren vier Kindern, drei Söhne und eine Tochter, herzustellen. Von Beruf war Herr Foidl Zimmermann und arbeitete in einem Sägewerk und der dazu gehörenden Schreinerei in Fieberbrunn.
Die schöne Natur, die uns umgebenden Berge, all das mit den zunächst reservierten, aber allmählich freundlichen Bauersleuten war nun der Mittelpunkt unseres Lebens. Für meinen Bruder und für mich war es leichter, uns in das neue Leben hineinzufinden. Die Kinder im Hause waren älter als wir, sie spielten mit uns, besonders die Jüngste namens Gerda. Sie hatten Freude daran und wir lernten den Tiroler Dialekt schnell – neben dem Hochdeutschen.
Da ich erst zwei Jahre alt war, habe ich an die erste Zeit kaum eine Erinnerung. Durch Schwarz-Weiß-Fotos, die meine Mutter mit ihrer Leica machte, und aus Erzählungen kann ich mir ein wenig eine Vorstellung machen von diesem ersten Jahr in Tirol. Aus Fotos, die in Hamburg gemacht wurden und auf denen mein Bruder und ich mit meinem Vater zu sehen sind, schließe ich, dass mein Vater Fronturlaub hatte – ob nur einmal oder mehrmals, das weiß ich nicht. Meine Mutter begann, sich in ihr Schicksal zu fügen. Die Sorge um ihren Mann begleitete sie aber immer. Wie geht es ihm als Soldat? Wann kommt er zurück? Wo ist er? Wie lange dauert der Krieg? Eines Tages kam Post aus dem Feld und da schrieb er sehr ausführlich, wie sich sein Leben nun gestaltete.
Meine Mutter las die Briefe mit großer Freude und mein Bruder verstand schon, dass es sein Papa war, um den es ging. Auch sie konnte ihrem Mann, auf welchem Wege auch immer, manchmal einen Brief zukommen lassen und wartete dann sehnsüchtig auf eine Antwort. Sogar kleine Päckchen schickte mein Vater – das war in der ersten Zeit, als er noch in Frankreich stationiert war. Da bekam ich kleine Jäckchen oder Schühchen und mein Bruder ein Spielzeug. Meiner Mutter schenkte er etwas, womit er ihr eine Freude machen konnte. Papa war darüber erleichtert, dass wir in Tirol waren, denn in Hamburg hatten wir mitten in der Stadt gewohnt.
Zur Bauernfamilie gehörig gab es noch jemand im Haus: eine Frau, die eine unverheiratete Verwandte von Herrn Foidl war und mit der Familie zusammenlebte. Sie wurde Moid genannt und arbeitete in Haus und Hof, das was Frau Foidl ihr auftrug. Als ich älter geworden war und sie bewusst wahrnahm, hatte ich immer ein wenig Angst vor ihr. Sie war unnahbar, hatte, wie mir schien, große Hände und ich spürte oft, dass sie uns Kindern ein wenig nachstellte. Vielleicht weil wir fremde, seelisch noch zarte Großstadtkinder waren. Wenn ich sie in dem ein wenig düsteren Treppenhaus sah, empfand ich einen leisen Schauder und wenn sie dann seltsame Worte mit sich selber sprach, hatte ich das Gefühl, dass sie ein wenig einem unheimlichen Fabelwesen glich. Sie hatte immer lange Röcke an und war sehr groß und in ihren Bewegungen erschien sie mir wegen ihrer langen, dünnen Arme wie eine Spinne, die uns Kinder einfangen wollte. Sie näherte sich uns eigentlich nie, schaute uns aber immer mal verstohlen hinterher. Von den Erwachsenen wurde sie wohl als geistig zurückgeblieben betrachtet. Aber gerade sie hat bei mir in der Erinnerung einen starken Eindruck hinterlassen. Meine Mutter oder sonst jemand, so schien es mir, versuchte, uns von ihr fernzuhalten. Manfred und ich hatten uns bald eingewöhnt, so wie es dem Naturell von Kindern entspricht, und das Neue und Fremde gehörte nun zu unserem Leben. Wir liebten die Wiese vor dem Haus, die von allen Seiten uns umgebende Natur, in der wir ein freies und unbeschwertes Leben führen konnten. Die Spitzen der Berge leuchteten manchmal im Mai noch ganz weiß – wenn ich daran denke, habe ich vor Augen, wie schön das aussah.
Der Krieg war weit weg; nur aus den Worten und der Art und Weise, wie die Erwachsenen darüber sprachen, ahnten wir, dass irgendwelche Fragen oder auch Sorgen in der Luft lagen.
Meine Mutter lebte in einer Ungewissheit: Was wird in Zukunft geschehen? Wie würde es weitergehen? Sie war entwurzelt und musste sich nun neu orientieren. Ich verstand das zu der Zeit noch nicht, aber später wurde ich mir dessen bewusst. Aber gesprochen hat sie darüber nicht. Sie hoffte still auf das Ende des Krieges und die Rückkehr ihres Mannes. Aber es sollte anders kommen.
Mein Vater war ein begeisterter Wanderer und Skifahrer. Er brachte auch meine Mutter, als sie in München lebten, auf den Geschmack und zeigte ihr die schöne bayerische Voralpenlandschaft. Aber die Zeit vor dem Ausbruch des Krieges war zu kurz und meine Eltern hatten nicht mehr oft die Gelegenheit zu gemeinsamen Unternehmungen. Der Krieg hat in das Leben meiner Eltern schwere Wunden geschlagen. So hoffnungsfroh alles begann, so abrupt war es wieder zu Ende.
Gerda, die Tochter des Hauses, war neun Jahre alt und hatte wohl ein bisschen das Gefühl, ganz unerwartet plötzlich kleine Geschwister zu haben, und dann gleich zwei auf einmal. Ich erinnere mich, dass ich ihr bald meine kindliche Zuneigung schenkte. Sie hatte dicke, rotbraune Zöpfe und das Gesicht voller Sommersprossen. Sie hat gerne mit mir gespielt, gescherzt und gelacht und sie tollte mit uns beiden ums Haus und über die Felder. Dabei verstand ich schon, dass sie verschiedene Aufgaben zu erledigen hatte, davon durften wir sie nicht abhalten.
Herr Foidl ging streng mit seinen drei Söhnen um und erwartete Respekt und Achtung von ihnen. Sie hießen, dem Alter nach, Joseph, Bartholomäus und Stephan. Also Sepp, Bascht und Steff. Frau Foidl hatte mehr dafür zu sorgen, dass ihre Tochter ihrem Alter gemäß zu den Tätigkeiten herangezogen wurde, die sie als Frau einmal würde gebrauchen können.
Meine Mutter liebte die Natur, ob es nun die Alster in Hamburg oder der Englische Garten in München war. Nun war es die Bergwelt, die uns umgab, mit ihrem ganz neuen Reiz.
Die noch stark differenzierenden Jahreszeiten, wo der kalte, lange Winter mit eisiger Kälte, glitzernden Frosttagen und hohen Schneebergen bis zum April dauern konnte, zogen hingegen uns Kinder in ihren Bann: Mein Bruder und ich, aber auch die anderen Kinder im Dorf waren glücklich über die Vielfalt der Spielmöglichkeiten, die die weiße Pracht bot.
Ging der Winter zur Neige, waren es mehr die Erwachsenen, die aufatmeten, wenn nun die Sonne wieder ihre schon wärmenden Strahlen über die Felder und Wiesen breitete. Der schmelzende Schnee hinterließ Pfützen, zartes Grün wurde sichtbar und die ersten Schneeglöckchen hoben vorsichtig ihre weißen Köpfchen der Sonne entgegen.
Wenn mein Bruder und ich in der Stube waren und es war noch kalt genug, sahen wir, wie schön die Scheiben der Fenster aussahen. Manfred entdeckte Landschaften mit Bäumen und ich verschiedene Blumen mit bizarren Blüten und Blättern. Ich fuhr mit einem Finger die Umrisse der Pflanzen entlang und wir staunten, wenn die Sonne durch die Fenster fiel, wie herrlich alles glitzerte.
Viele Jahre später habe ich nur mehr zweimal Eisblumen gesehen, aber so schön wie diese waren sie nicht.
Der Sommer, aber besonders der Herbst schenkte nicht nur Äpfel und Birnen, in den umliegenden Wäldern wuchsen auch Beeren in großer Zahl. Meine Mutter ging mit uns, was sie sehr gerne tat, die leckeren Blaubeeren und Himbeeren pflücken. Diese waren so üppig vorhanden, dass die Frauen des Dorfes große Mengen davon in Körben, den sogenannten „Kraxn“, die sie auf dem Rücken trugen, heim schleppten. Da gab es dann oft die leckeren Beerenküchlein. Aber einfach so, wie meine Mutter mir die Beeren gab, mochte ich sie am liebsten. Manchmal goss sie noch ein wenig Milch darüber. Aber mein Bruder Manfred hatte doch ein großes Faible für in Schmalz Gebackenes und dazu gehörten die in siedendem Fett herausgebackenen Beerenküchlein. Freilich, bei den Einheimischen hießen sie anders, aber den Namen habe ich vergessen. In den großen Herd in der Küche mit mehreren Ringen in der Herdplatte, die man mit dem Schürhaken herausnehmen konnte, wurde der große Topf, der reichlich mit Butterschmalz gefüllt war, hineingehängt.
Außer Holz gab es kein Brennmaterial. Jeder Bauer konnte so viel Holz aus den Wäldern holen, wie er brauchte. Manch einer hatte auch ein eigenes Stück Wald. Auf den großen Hörnerschlitten wurden die gefällten Stämme und Äste, die man mit Eisenketten am Schlitten festzurrte, aus dem Wald ins Tal geschafft. Eine harte Arbeit, die bei Schnee und großer Kälte durchgeführt werden musste. Nach dem Sägen und Hacken wurden die Scheite in der Scheune, am Haus und wo dafür Platz war aufgeschichtet.
Außer der Herd in der Küche und der Kachelofen im Wohnzimmer wurde nicht geheizt. Der aus gelbbraunen Kacheln bestehende Kachelofen befand sich an einer Wand und ein dickes Ofenrohr steckte oben darin. Im Flur war eine große, sehr tiefe Schüre - dort wurden die sehr langen und dicken Holzscheite hineingeschoben. Wenn Manfred und ich davor standen und dem Geschehen zuschauten, indem wir das prasselnde, rot-gelbe Feuer beobachteten, so haben wir das immer als ganz besonders spannend erlebt.
Eine schön geschnitzte Holzbank war an drei Seiten um den Kachelofen herumgebaut. An den vielen klirrend-kalten Wintertagen, wo Schnee, Eis und Frost herrschten, war man froh, wenn man ein Plätzchen auf dieser Bank ergatterte. Aber die Bank reichte für viele. Ein großer runder Esstisch, um den die bäuerlichen Holzstühle standen, befand sich gegenüber dem Ofen. Meistens nahm die Familie dort ihre Mahlzeiten ein. Oft wurde die große runde, sehr tiefe Eisenpfanne auf einen hölzernen Untersetzer in der Mitte des Tisches gestellt, worin sich der Mehlbrei, genannt „Meikoch“, mit dem dicken Butterstück oben darauf befand. Dieses schmolz und lief in alle Richtungen. Aus der Tischschublade holte jeder seinen Löffel, nahm Platz und Herr Foidl sprach ein kurzes Gebet und alle bekreuzigten sich. Nun maß Herr Foidl jedem Familienmitglied seine Menge zu, indem er mit einem Löffel Striche durch den Brei zog, in die die geschmolzene Butter sickerte. Manchmal durften Manfred und ich an dem Zeremoniell teilnehmen.
In jedem Raum befand sich ein Kruzifix an der Wand oder noch öfter in der Zimmerecke. Die Stube, auf Tirolerisch „d‘Stubm“, heißt das Wohnzimmer. Herr Foidl wurde „Dat“ und Frau Foidl „Mam“ genannt. Da stand noch etwas im Raum, was ich nicht kannte, aber irgendwie hätte es auch zum Spielen sein können.
Nun war es Gerda, die eines Tage davor saß und mit dem Fuß ein Rad in Bewegung setzte und mit den Händen einen Faden drehte. Sie zeigte mir, was sie da machte, und sagte: „das heißt spinnen“.
Ich war noch klein, aber ich verstand schon, dass das Weiße oben auf dem Spinnrad vom Schaf kommt, wenn es geschoren wird, und man dann mit diesem Spinnrad daraus Wolle spinnen kann. Aus dieser Wolle kann man dann etwas Warmes, Schönes stricken. Strickende Frauen wie Moid oder Frau Foidl saßen immer wieder meist auf der Ofenbank und ich staunte, wie schnell ihre Finger sich bewegten und wie deutlich man das Geräusch der Eisennadeln hörte.
In einer der anderen Bauernfamilien, ein Stückchen von uns entfernt, lebte auch ein Mädchen. Sie hieß Marille, war im Alter von Gerda und die beiden waren miteinander befreundet. Im Winter, wenn es abends früh dunkelte, kam sie manchmal herein und bald saßen beide mit ihrem Spinnrad am Kachelofen, lachten und schwatzen, die Rädchen drehten sich und das Garn glitt behände durch ihre Finger.
Da alle anderen Zimmer unbeheizt waren, so beeilte man sich im Winter morgens in die Küche oder ins Wohnzimmer zu gelangen. In unserem Zimmer im ersten Stock stand zwar ein Kachelofen, aber ich kann mich nicht erinnern, dass er je geheizt wurde.
Auf dem Herd in der Küche standen große Töpfe und Kessel, die mit Wasser gefüllt waren und heiß werden sollten. Heißes Wasser wurde viel gebraucht, ob zum Wäschewaschen, zum Putzen oder zum Geschirrspülen. Hier befand sich auch ein großer, tiefer Trog aus Stein. Aus einem Rohr in der Wand floss das kalte Wasser in ihn hinein. Die Familie putzte sich hier die Zähne und für ein bisschen Gesichtswäsche reichte es auch. Ein länglicher Spiegel hing hinter dem Steintrog an der Wand. Da konnten sich die Frauen beim Kämmen und die Männer beim Rasieren selbst zuschauen. Zum Geschirrwaschen hatte man eine große emaillierte Schüssel, die für den Abwasch auf einem Holzbrett auf den Trog gestellt wurde.
Am Ende des Flures war links eine Türe, die zur Waschküche führte. Durch die Türe rechter Hand gelangte man in eine kleine Werkstatt, in der Herr Foidl das Sagen hatte und gelegentlich tätig war. Meinen Bruder nahm er manchmal dorthin mit und Manfred durfte bei der Arbeit zuschauen. Sei es, dass Herr Foidl etwas reparieren musste, sei es, dass er etwas Neues baute. In einem abgetrennten Verschlag lagen große und kleine Holzlatten und Stücke. Vielleicht durfte Manfred auch ein wenig mithelfen. Aber auch die Söhne des Hauses waren dort gelegentlich tätig. Ich erinnere mich, wie schön geordnet die einzelnen Werkzeuge, Hämmer, Zangen mehrere Feilen und Raspeln in Reih und Glied an einer Wand hingen. Darunter stand die dicke, schwere Hobelbank. Diese war an der Oberfläche voller Furchen und Kerben. Zum Einspannen von Holzteilen gab es einige Schraubzwingen. Auch lagen meist Holzspäne auf dem Boden, manche glichen abgeschnittenen Locken. Viele der Möbel im Haus hatte Herr Foidl selber gebaut.
Die Türe zwischen Waschküche und Werkstatt führte in den Stall. Ein Badezimmer gab es nicht, aber die Waschküche diente nicht nur zum Reinigen der Wäsche, sondern man konnte sich auch selber waschen oder ein Bad nehmen. Dafür gab es einen großen Holzbottich mit zwei eisernen, einander gegenüberliegenden Ringen rundherum. Heißes Wasser konnte man aus der Küche herbeischleppen und kaltes Wasser war vorhanden. In die drei Räume konnte man auch durch Außentüren gelangen. In der Waschküche stand ein großer Holztisch; auf dem wurde die Kochwäsche mit Kernseife und Bürsten bearbeitet. Wenn sie schön sauber war, wurde sie gespült, ausgewrungen und bei Sonnenschein im Freien zum Trocknen aufgehängt. Der Geruch der Wäsche war so unbeschreiblich gut. Sie roch wie ein frischer heller Frühlingstag. Hinter der Küche, und auch durch die Küche erreichbar, befand sich die Speisekammer. Ein sehr wichtiger Raum. Er war kühl, hatte Fliegengitter an den Fenstern. Hier lagerte die Ernte, die der Garten hergab und in nächster Zeit verbraucht werden sollte. Eine große Holztruhe war reichlich mit Mehl gefüllt. Das war für den Speiseplan der bäuerlichen Menschen sehr wichtig. Sie verstanden daraus eine Vielzahl von Mehlspeisen und Backwaren zu bereiten. Milch und Eier waren immer zur Hand. Den Zucker kaufte man in dem kleinen Kolonialwarengeschäft zehn Minuten Fußweg entfernt.
Zum Anwesen der Foidls gehörten einige Obstbäume, die auf der Wiese vor dem Haus standen. Äpfel liebte ich sehr und freute mich, wenn die Zeit kam und ein Apfelbaum reife Früchte trug. Die Söhne des Hauses kletterten ins Geäst und pflückten sie in Körbe. Die herabfielen sammelten Manfred und ich auf und wir durften sie behalten. Sie rochen so gut und ich weiß nicht, ob ich je wieder so leckere Äpfel gegessen habe. Unser ganzes Zimmer duftete danach. Gerda schenkte mir immer wieder einen Apfel. Sie meinte, so gerne wie ich würde niemand Äpfel essen. Der Keller, der am Ende des breiten Flures in die Tiefe führte, wurde zum Lagern von Äpfeln, Birnen, Kartoffeln, Kohl, roten Rüben, Sauerkraut und vielleicht noch anderen Dingen genutzt. Das Weißkraut wurde mit bloßen Füßen eingestampft und das musste jeder einmal machen, vorwiegend die Kinder. Eine Zentrifuge trennte die Milch in Magermilch und in Sahne. Daraus wurde, indem man ein hölzernes Butterrad lange genug im Kreis drehte, Butter. Wie ökonomisch und sparsam mit Lebensmitteln umgegangen wurde, das verdient Respekt. Nichts durfte verderben, alles wurde verwertet. Gemüsereste bekamen die Hühner oder die Kühe. Andernfalls kam es auf den Kompost neben dem Garten. Es gab so gut wie keinen Müll. Papier brauchte man, um das Feuer in den Öfen zu entfachen oder es wurde aufgehoben und wieder verwendet. Auch Lumpen oder Stoffreste wurden, indem man das Material in schmale Streifen schnitt, mit Hilfe von Webrahmen verarbeitet. So entstanden die beliebten Fleckerlteppiche. Das machten die Frauen oder Mädchen und diese bunten runden oder rechteckigen Teppiche sahen hübsch auf den hellen Dielenböden aus. Im Schlafzimmer von dem Ehepaar Foidl lag auch so ein Teppich, aber dieses Zimmer habe ich nie betreten.
Ende Mai, Anfang Juni waren die Johannisbeeren, Riebisl, wie sie hier hießen, reif und von diesen wurde Marmelade eingemacht, aber auch die in Schmalz gebackenen Küchlein, wie bei den Blaubeeren. Im Garten gab es einige Stauden Riebisl. Von den im Herbst gepflückten Birnen wurde immer ein Teil auf die Seite gelegt, zerteilt und bei schwacher Hitze auf Kuchenblechen im Herd getrocknet. Da trockneten die Birnen und danach hießen sie „Kletzen“. Ich bekam einige von Gerda geschenkt und gab Manfred und Mutti auch davon. Vor Weihnachten wurden dann die meisten für das leckere Kletzenbrot verbacken, oder auch für den Christstollen gebraucht.
Meine Mutter, die manchmal doch ein Problem mit der hiesigen Kost hatte und gerne Gemüse und Salat aß, bat Frau Foidl, ihr aus dem Garten einiges Vegetarisches zu geben. Frau Foidl tat das ganz freiwillig und was meine Mutter daraus zubereitete, mochte ich gerne und so ist es mein Leben lang geblieben. Manfred war etwas heikler und kritischer und so hatte meine Mutter immer etwas Mühe, ihm das Gemüse irgendwie schmackhaft zu machen. Er hielt sich da doch lieber an die Bauernkost.
Wir sammelten auch Brennnesseln, die meine Mutter zu Brennnesselspinat verarbeitete. Kurz gekocht in Milch oder Rahm wurde daraus eine gute und gesunde Mahlzeit. Da staunten selbst die Bauersleute, wie ich das mit drei Jahren ohne Murren verspeiste. Jungen Löwenzahn sammelten wir im Frühling auf den Wiesen und daraus machte Mutti zusammen mit Kopfsalat aus dem Garten eine feine Salatschüssel. Mutti brauchte immer Phantasie beim Kochen, denn Zitrone gab es nicht, mit Öl musste man sparsam umgehen und auch anderes, was sie in Hamburg problemlos kaufen konnte, war nun knapp oder gar nicht zu bekommen.
Brot wurde auch selber gebacken. Ein so herzhaftes und kräftiges Bauernbrot, wie diese riesigen runden Leiber es waren, kann man kaum beschreiben, man müsste sie essen. Das Backhaus war ein kleines Holzhaus etwa 80 m links vor dem Wohnhaus. In einem länglichen Holztrog wurde der Teig ausreichend lange vor dem Backtag vorbereitet, indem er ausgiebig geknetet wurde. Dann wurden die Leiber geformt und nach längerer Gehzeit in den gut vorgeheizten Ofen mit einer Schaufel an einem langen Stab hineingeschoben. Wie viele Leiber für eine Woche gebraucht wurden, weiß ich nicht, auf jeden Fall wurde sehr regelmäßig gebacken.