Erziehung fängt mit Beziehung an - Erwin Heigl - E-Book

Erziehung fängt mit Beziehung an E-Book

Erwin Heigl

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Beschreibung

Dieses Buch ist das erste in der Reihe Elterndialog. Es ist das Ergebnis vieler Gespräche mit Eltern, Lehrern und Erziehern und der Erfahrungen mit drei eigenen Kindern. Es zeigt auf, wie Eltern das Wichtigste über Erziehung statt von Erziehungs-Ratgebern von ihrem Kind selbst lernen können. Das gelingt, wenn sie mit ihm in Resonanz leben, Konflikte nicht scheuen, sondern austragen und ihre eigenen Werte, Ziele, Haltungen und Erwartungen kritisch reflektieren und den realistischen Möglichkeiten anpassen. An typischen Beispielen aus dem Alltag gestresster Mütter und Väter werden die verborgenen Motive aufgedeckt, die Eltern dazu verleiten, Eltern-Kind-Konflikte mit den althergebrachten Werkzeugen aus der Erziehungsschublade zu bearbeiten – oft erfolglos, aber nicht folgenlos. Eltern, die hingegen die so wertvolle Beziehung zum Kind auch im konfliktreichen Erziehungsalltag pflegen, entlasten sich und ihr Kind und erleben so anstatt Stress wieder die Freude an einem lebendigen und spannenden Familienleben. Dazu gibt der Diplompädagoge, Elterncoach und Vater von drei erwachsenen Kindern wertvolle Anregungen.

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Für Fynn Jakob

Inhalt

Vorwort

Einführung

Erziehung nach Rezept?

Das Resonanzmodell - Plädoyer für eine andere Erziehung

Kongruenz und Beziehung

Konflikte sind Lerngeschenke

Erziehung heißt Selbsterziehung

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Die Lage ist paradox: Niemals in der Geschichte der Neuzeit wurde Kindern und ihrer Erziehung eine so breite Aufmerksamkeit von Seiten der Humanwissenschaften, der pädagogischen Institutionen, der Politik, der Medien und nicht zuletzt der Eltern geschenkt. Niemals wurden unseren Kindern bessere Chancen für umfassende Bildung und effizientes Lernen geboten. Niemals war auch die materielle Basis für die ganz überwiegende Mehrheit der Familien in unserem Land so optimal. Und niemals stand Eltern und Erziehern eine solche Vielzahl wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse über Erziehung zur Verfügung wie heute.

Gleichzeitig sind jedoch viele Eltern verunsichert, was denn nun die „richtige“ Erziehung für ihr Kind ist; denn das Spektrum der fachmännischen und der populären Ratschläge ist breit und durch viele widersprüchliche Aussagen gekennzeichnet: Brauchen Kinder wieder mehr Strenge oder mehr Verständnis? Sind sie auf dem Weg in die Wohlstandsverwahrlosung, weil ihnen Eltern und Erzieher nicht mehr die nötigen Grenzen setzen oder brauchen sie mehr Freiheit und Achtung vor ihrer Autonomie? Gehört ihr üppiger Medienkonsum einfach zu ihrer Lebenswelt oder zeigen sich darin die Folgen mangelnder Medienkompetenz? Sind Eltern zu kumpelhaft oder im Gegenteil immer noch auf alte autoritäre Erziehungsmuster fixiert?

Fragen über Fragen, die eine wahre Inflation von Erziehungsratschlägen ausgelöst haben. Nach meiner Erfahrung hat das zwar dazu beigetragen, dass viele Eltern bereit sind, überkommene Erziehungsmethoden und -ziele infrage zu stellen. Doch Kindererziehung scheint dadurch nicht einfacher und die damit verbundene Belastung für Eltern eher größer als kleiner geworden zu sein. Pädagogische Kahlschläge wie „Das Ende der Erziehung“ oder „Abschied von der Kuschelpädagogik“ scheinen mir nicht wirklich hilfreich, so verdienstvoll es auch sein mag, die Grenzen dessen auszuleuchten, was elterliche Erziehung heute überhaupt noch vermag.

Denn darüber brauchen wir uns keine Illusionen zu machen: Die Macht der „heimlichen Erzieher“, der Konsum- und Medienindustrie, der Einfluss unserer Arbeitswelt, unsere Wohnkultur, der gesellschaftliche Druck, dem Eltern ausgesetzt sind und nicht zuletzt der Konformitätszwang der Peergroup, all das beschränkt den Einfluss, den Eltern heute auf ihre Kinder ausüben können, ganz erheblich. Und diese Macht der unerbetenen Miterzieher wirkt sich nicht nur auf das Kind selbst aus, sondern ganz erheblich auf die Eltern-Kind-Beziehung und damit auch auf das ganze familiäre Klima.

Macht Elternschaft also unglücklich? Nein, sie macht aber auch nicht alle Tage glücklich. Muss sie auch nicht. Eltern, die um jeden Preis alles recht machen wollen und stets mit Schuldgefühlen rumlaufen, weil ihnen das nicht gelingen kann, tun sich und Ihren Kindern damit keinen Gefallen. Dieses Buch möchte Sie deshalb vom Erziehungsstress entlasten, Alternativen aufzeigen zu gängigen Verhaltensrezepten und es möchte Sie wohlwollend begleiten, wenn Sie im Dschungel der aktuellen Erziehungsratschläge die Übersicht verlieren. Welches die richtige Erziehung ist, weiß der Autor allerdings selbst nicht – weil er weder weiß, wie ein „richtiges“ Kind sein sollte, noch wie „richtige“ Eltern aussehen. Deshalb möchte er Ihnen Mut machen, Ihren eigenen Weg zu finden, sich weder von selbstgesteckten Zielen noch von fremden Ansprüchen tyrannisieren zu lassen.

Dass die Erkenntnisse der Psychologie, der Pädagogik, der Lern- und Hirnforschung die Grundlage für dieses Buch sind, ist ebenso selbstverständlich, wie dass bloße Mutmaßungen oder unrealistische Heilsversprechen außen vor bleiben. Wenn Sie allerdings dauerhaft gravierende Probleme mit der Erziehung Ihres Kindes haben, wenn Sie selbst und/oder Ihre Familie ernsthaft unter einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung leiden, dann sollten Sie sich Hilfe bei einer Erziehungsberatungsstelle holen. Dasselbe gilt, wenn sich bei Ihrem Kind eine ernstzunehmende Entwicklungsstörung abzeichnet.

Ansonsten wünsche ich Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen und den Mut, Neues zu probieren sowie den Humor, gelegentliche Fehlschläge gelassen zu ertragen.

Börtlingen, im Dezember 2015

Einführung

Dieses Buch ist kein Erziehungsratgeber. Denn erstens liefert es nicht Dogmen und Rezepte, sondern Impulse, die Eltern statt zu blinder Nachahmung zu (selbst-) kritischem Nachdenken und erfahrungsgeleitetem Handeln ermuntern möchte. Zweitens ist es ein Buch, das den Fokus in Erziehungsfragen nicht auf einzelne Erziehungsakte legt sondern auf die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung. Und drittens möchte es gestresste und überforderte Eltern entlasten, indem es aufzeigt, dass Kinder das meiste gar nicht durch elterliche Erziehungsakte lernen, sondern aus den Erfahrungen, denen sie in ihrem Umfeld immer ausgesetzt sind, ganz gleichgültig, wie die bewussten elterlichen Erziehungsziele aussehen. Dazu zunächst folgendes Szenario:

Stellen wir uns vor, wir haben einen vertrauten Kreis von Freunden, die uns wichtig sind und die wir regelmäßig in verschiedenen Konstellationen treffen. Wir gehen gemeinsam etwas trinken, essen, reden über Gott und die Welt oder machen Kino- und Theaterbesuche u.s.w. Im Großen und Ganzen verstehen wir uns prächtig, weil wir eine Menge gemeinsame Interessen haben und weil eine Reihe unausgesprochener Regeln gilt: Wir nehmen zwar an den Sorgen und Freuden unserer Freunde teil, aber wir mischen uns nicht in ihre ganz persönlichen Angelegenheiten ein, wenn wir nicht ausdrücklich darum gebeten werden. Wir akzeptieren auch, dass jeder ein ganz eigenes Temperament und persönliche Ansichten hat, die von den unseren abweichen oder ihnen offen widersprechen können. Und wir tolerieren sogar diese oder jene Eigenschaft, die uns eigentlich ziemlich gegen den Strich geht. Da bringen die Müllers zu einem ganz gewöhnlichen Spieleabend nicht nur das neueste Gesellschaftsspiel mit, sie wollen es uns auch gleich schenken und bringen uns damit für den Gegenbesuch in Zugzwang. Das Ehepaar Maier kommt grundsätzlich eine Viertelstunde zu spät. Die Schulzes bringen ihren Hund mit, dessen Haare dann unseren neuen Teppich zieren, Bauers leben gerade in Krise, was die Stimmung nicht gerade hebt und unser Freund Heiner ist zwar sehr witzig und unterhaltsam, aber am nächsten Morgen stellen wir fest, dass wir mal wieder kaum zu Wort gekommen sind …

Sollen wir deshalb diese Beziehungen aufkündigen? Nein, das wollen wir nicht, denn wir lieben ja unsere Freunde. Sollen wir ihnen ein „Konfliktgespräch“ vorschlagen, wo alle diese Eigenheiten einmal „aufgearbeitet“ werden?: „Also Friderike und Bert, ihr wisst ja, wie wichtig ihr uns seid und dass wir euch nicht kritisieren wollen, aber wir haben da so eine Eigenheit, die mit euren Lebensgewohnheiten, die wir natürlich voll respektieren, wie sollen wir sagen, nicht hundertprozentig kompatibel ist. Also, wenn ihr uns ohne besonderen Anlass, wir meinen Geburtstag und so, so reich beschenkt, dann freuen wir uns natürlich einerseits über eure Aufmerksamkeit, andererseits …“

Nein, solche konstruierten Konfliktgespräche scheiden aus; denn je mehr wir versichern, dass es sich natürlich nicht um Kritik handelt und wie sehr es an uns selbst liegt, dass wir eine Eigenheit von Friderike und Bert nicht tolerieren können, desto unglaubwürdiger werden unsere Beteuerungen und desto weniger akzeptiert werden sie sich fühlen.

Vielleicht bieten sich also „spontane Ich-Botschaften“ an: „Also Claudia, wir, das heißt ich, liebe ja euren Hund über alles, aber ich werde jedes Mal traurig, wenn ich anderntags unseren, ich meine meinen, Teppich …“

Geht auch nicht. Versuchen wir es also mit Humor: „Lieber Gerd, deine Giftattacken auf Anette machen unsere gemeinsamen Gespräche ja ungeheuer lebendig, dennoch …“ Oder wir wählen die Methode ‚Direkt & Authentisch‘: „Also Traudel und Knut, das geht einfach nicht, dass ihr immer zu spät kommt. Seht mal, alle Anderen sind immer pünktlich, da erwarten wir von euch eben auch …“ Freunde von uns haben das mit einem Ehepaar tatsächlich mal gemacht. Die sind dann nie wieder zu spät gekommen, allerdings auch niemals mehr pünktlich.

Was können wir aus diesem Szenario lernen? Dass wir niemals versuchen sollten, Freunde zu erziehen. Heißt das, wir müssen alle Kröten stillschweigend schlucken? Auch das nicht. Was also können wir tun? Die Antwort ist denkbar einfach: Genau das, was wir ohnehin tun. Wir zeigen Freunden ganz automatisch, wie wir ihr Verhalten bewerten, nonverbal und meist weitgehend unbewusst. Und ebenso nehmen jene diese leisen Signale mehr oder weniger bewusst wahr, gleichen sie mit ihren eigenen Wünschen, Interessen und Möglichkeiten ab und korrigieren ihr Verhalten soweit es für sie selbst möglich und wünschenswert scheint.

Wir können nicht nicht kommunizieren (Watzlawick)

Diese höchst diffizilen Prozesse wechselseitiger Botschaften und Reaktionen hat der Psychologe und Kommunikationsforscher Paul Watzlawick in der einfachen Formel ausgedrückt: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick, 1990 (1967)). Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass wir den Andern ständig Botschaften senden und von ihnen auch empfangen, die etwas darüber aussagen, wie wir ihr Verhalten verstehen, interpretieren und bewerten – und das ganz ohne explizite Kommentare. Allerdings hat ein anderer kluger Psychologe sehr überzeugend dargelegt, wie vieldeutig diese Signale sind (Schulz von Thun, 1981).

Kommunikation findet immer auf vier Ebenen statt (Schulz von Thun)

Genauer gesagt, sie sind prinzipiell immer vier-deutig, denn sie umfassen vier Dimensionen. Bleiben wir beim Beispiel von Claudias haarendem Hund. Wenn wir Bello zur Begrüßung streicheln, zugleich aber einen besorgten Blick auf unseren neuen Teppich werfen, dann senden wir zugleich eine „vierseitige“ Botschaft: Diese enthält erstens den Sachaspekt (wir lieben euren Hund, er haart, unser Teppich ist gefährdet). Zweitens einen Apell (es ist euer Hund, deshalb solltet ihr dafür sorgen, dass er unseren Teppich nicht beschmutzt). Drittens den Beziehungsaspekt (ihr seid uns natürlich trotzdem willkommen, deshalb weisen wir euch auch nicht zurecht, sondern werfen nur einen besorgten Blick auf den Teppich). Viertens den Aspekt der Selbstoffenbarung (wir sind zwar nicht glücklich über die Hundehaare, aber wir sind tolerant und nehmen in Kauf, dass wir den Teppich morgen säubern müssen).

Dieses Beispiel zeigt erstens, dass wir – wie Watzlawick feststellte – auch dann kommunizieren, wenn wir nichts sagen. Zweitens, dass – gemäß Schulz von Thun – unsere Botschaften nie eindeutig sein können, weil wir einfach niemals wissen können, was genau der Empfänger aus ihnen heraushört bzw. hineininterpretiert. Verhaltenskorrekturen im Umgang mit uns nahestehenden Erwachsenen (darum geht es ja in unserem Beispiel) werden also ganz überwiegend durch solch subtile und meist versteckte Signale ausgelöst, nicht durch offene und direkte Konfrontation. Allerdings können wir weder genau wissen, wie unser Gegenüber solche Signale interpretiert, noch haben wir direkten Einfluss auf seine Reaktionen. Dennoch sind diese Mechanismen in der Regel hochwirksam, wenn es darum geht, unser Miteinander so abzustimmen, dass die Beziehungen nicht übermäßig belastet oder gar gefährdet werden.

Nonverbale Kommunikation/ Stille Botschaften

Was hat das alles nun mit der Erziehung unserer Kinder zu tun? Mehr als wir zunächst denken mögen. Denn auch die Beziehung zu unseren Kindern wird zum größten Teil durch die gleichen Mechanismen wechselseitiger nonverbaler Kommunikation moduliert. Das heißt, wir beeinflussen das Verhalten unseres Kindes in hohem Maße durch das, was wir nicht ausdrücklich von ihm verlangen, ihm ausdrücklich verbieten oder ihm predigen, sondern dadurch, wie es unser (weitgehend unbewusstes) Verhalten, unsere nonverbalen Signale interpretiert! Das gilt natürlich auch umgekehrt: Eltern reagieren nicht nur auf das, was ihr Kind ganz offensichtlich tut oder sagt, sondern auf die stillen Botschaften: Ein trotziger Gesichtsausdruck, eine abwehrende Geste oder ein beschämter Blick sagen uns viel über die momentane Gefühlslage, die Wünsche, Befürchtungen oder Absichten unseres Kindes. Und in der Regel werden wir ganz automatisch auf solche Wahrnehmungen reagieren, genauer gesagt darauf, wie wir die unbewussten Botschaften unseres Kindes – ebenso unbewusst – interpretieren.

Der Begriff des Unbewussten wird im allgemeinen Sprachgebrauch allerdings arg strapaziert. Dabei dürfte uns klar sein, dass alles, was wir über unser Unbewusstes aussagen, damit schon ins Bewusstsein dringt, es also gar nicht so einfach ist zu unterscheiden zwischen dem, was unbewusst, vorbewusst, halbbewusst oder bewusst ist. Deshalb bevorzuge ich für diese wenig oder nicht bewussten Anteile nonverbaler Kommunikation den Begriff „stille Botschaften“.

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