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Nach den Morden von Paris - Charlie Hebdo - befindet sich Europa im Zustand kollektiven Hyperventilierens. Muslime, und hier besonders dschihadistische Fanatiker, verstehen keinen Spaß auf ihre Kosten. Wer das Bild des Propheten herstellt und zeigt, beleidigt alle Muslime, und es kann tödlich enden. Das ist "koranisches" Urgesetz. Eine Spirale der religiös induzierten Gewalt ist die Folge. Der Islam scheint sich in einem Gewaltexzess zu befinden, mit ungewissem Ausgang für unsere Zivilisation. Ein weiteres Dilemma zeigt sich am Beispiel Griechenland, das offensichtlich den Anforderungen des globalen Kapitalismus nicht entspricht und wohl auch nicht entsprechen kann. Das hat weitreichende Folgen für das Land, aber auch für Europa. Angesichts der griechischen Geschichte, vor allem der Antike, befällt uns tiefe Trauer...
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Seitenzahl: 81
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Gerd Ossenbrink,
geboren 1943, katholisch sozialisiert, Schüler in einem Ordensinternat und Abitur an einem Jesuitengymnasium, Lehrer und Schulleiter a. D., ehem. Kommunalpolitiker, Öffentliche Interventionen in gesellschaftlichen Diskursen.
Vorwort
Vom Mutig-Sein und Beleidigt-Sein
Literatur
Bildnachweis
Die griechische List
Literatur
Bildnachweis
Das ist so eine Situation zu Beginn des Jahres 2015. Ein Anlass ergibt sich zu schreiben, es ist fast ein Zwang angesichts der Ereignisse von Paris und der nachfolgenden irritierenden Manifestationen von Bekennertum, von Widerständigkeit, aber auch klammheimlicher Freude. Ich habe mich diesem Zwang ergeben und habe vieles einfließen lassen, was im weiten Sinne erhellend oder bedenkenswert sein kann. Der Cluster auf Seite → ergab sich fast von allein, die Begriffe purzelten, verlangten nach Abgrenzung, nach Definitionen, wollten an das gerade Geschehene irgendwie angepasst werden, verlangten aber auch gleichzeitig nach Abgrenzung und Distanzierung zu den Morden in Paris, in der Redaktion eines Satiremagazins, und dann in dessen Umfeld. Neunzehn Menschen sind am Ende tot, siebzehn sind die Opfer von zwei Mördern, deren Kennzeichen die Verweigerung von säkularem Umgang mit der Welt und auch deren Gottheiten und Heiligtümern ist. Die Fundamentalisten maßen sich an zu definieren, worüber gelacht, geschmunzelt und disputiert werden darf in unheiligem Spaß oder auch heiligem Ernst. Sie sind aus der Zeit gefallen, hören und lesen, was sie nicht verstehen können, und folgen ihrem Gotteswahn oder ihren Religionsverführern.
Indes: Gibt es nicht auch Grenzen beim Lächerlich-Machen, darf Spaß grenzenlos bis zur Geschmacklosigkeit sein, darf das Wort Blasphemie noch verwendet werden, darf Spaßgesellschaft alles?
Darauf einige Gedanken zu verschwenden tut meines Erachtens bitter not, wenn wir nicht grenzenlose Idioten sein wollen, die schenkelklopfend verblöden.
Der weitere Verlauf dieses Jahres ist geprägt durch die ökonomische, soziale und politische Krise Griechenlands, die sich zu einem Debakel zu entwickeln droht und so auch ständig medial inszeniert wird. Es ist für mich ein Beispiel des erbarmungslosen Umgangs mit den Schwachen in einer globalen kapitalistischen Welt. Darüber einen historisch-kritischen Essay zu schreiben schien mir notwendig und erhellend zu sein.
Julian Huxley (1887−1975), der große englische Zoologe, Philosoph, Visionär und erste Generaldirektor der UNESCO, hat den Begriff des evolutionären Humanismus geprägt und diesen Begriff mit Inhalt gefüllt. In seinem UNESCO-Grundlagentext wies er nachdrücklich darauf hin, dass die zivilisatorische Weiterentwicklung nur »auf der Basis eines auf den Principien von Wissenschaft und Humanismus beruhenden Rahmenkonzepts gelingen kann«.
Die UNESCO dürfe sich nicht auf die sich gegenseitig ausschließenden (und hartnäckig bekämpfenden) Religionen bzw. philosophischen Denkschulen stützen, sondern müsse eine kosmopolitische Perspektive entwickeln, »einen wissenschaftlichen Welt-Humanismus«. Seine Überlegungen scheinen mir für die Zukunft unserer Zivilisation von größter Bedeutung zu sein. Daher stelle ich einen Gedanken von ihm diesen Essays voran:
Der evolutionäre Humanismus habe nichts zu tun mit Absolutem, einschließlich absoluter Wahrheit, absoluter Moral, absoluter Vollkommenheit und absoluter Autorität. Wir seien durchaus in der Lage, »geeignete Maßstäbe zu finden, auf die wir uns in unseren Handlungen und Absichten beziehen können«.
Diese Maßstäbe gilt es zu suchen und wiederzuentdecken.
Satire Ulk Kalauer
Karikatur Groteske Zote
Kabarett Comedy Sketch
Glosse Humoreske Witz
Parodie Humor Narretei
Eulenspiegelei Persiflage Spott
Nonsens Provokation
Blasphemie Agitprop
Wer das Bild des Propheten Mohammed »herstellt« und zeigt, beleidigt alle Muslime dieser Welt. Das ist »koranisches« Urgesetz. Wie der oder die Beleidigten damit umgehen, ist Auslegungssache auf einer nach oben offenen Erregungsskala von null bis Tod dem Beleidiger.
Das ist die Titelseite der ersten Ausgabe von Charlie Hebdo nach dem Mordanschlag. Insgesamt wurde eine Auflage von sieben Millionen gedruckt und verkauft. Vorher war die Auflage 30.000 bis 60.000.
In der Welt des religiösen Irrationalismus, in der ein Gott Befehle erteilt, denen zu gehorchen oberstes
Abb 2: »Alles ist vergeben«
Gebot ist, ist es vorbei mit der säkularen Spaß- und Eventkultur, der sich die westliche, christlich abendländische und kapitalistisch organisierte Gesellschaft mit Wonne hingibt. Nichts ganz ernst meinen und nehmen ist hier das Gebot der Stunde.
Aber die Beleidigten meinen es ernst, verbrennen Flaggen, randalieren vor Botschaften, zeigen Vandalismus, prügeln, drohen die Ermordung an, sprechen Fatwas (geistliche Tötungsbefehle) aus und schreiten zur äußersten Tat wie in Paris oder an anderen Orten. Sie sind ein Teil der übergroßen Anzahl perspektivloser Jugendlicher in den islamischen Ländern, aber nicht nur dort. Experten wie Gunnar Heinsohn sprechen von »youth bulge«. Er zitiert Samuel Huntington aus dessen vielbeachtetem Buch Kampf der Kulturen. »Das riesige Reservoir an oft beschäftigungslosen Männern zwischen 15 und 30 Jahren ist eine natürliche Quelle der Instabilität und Gewalt innerhalb des Islam wie gegen Nichtmuslime. Welche anderen Gründe auch sonst noch mitspielen mögen, dieser Faktor allein erklärt zu einem großen Teil die muslimische Gewalt.«
Einige Leser werden vermissen, dass ich nicht sofort von Terroristen spreche oder wenigstens von Dschihadisten oder von Salafisten und nicht einmal dem »Mainstream-Sprech« vom Missbrauch der Religion zu folgen geneigt bin, sondern die Dinge klar benennen möchte. Eine eintausendvierhundertjährige Religion mit einer kryptischen heiligen Schrift, dem Koran, und daraus abgeleiteten Gesetzen und Regeln für alles und Zigtausenden Priestern und Theologen und heiligen Männern wird keinen Spaß auf ihre Kosten verstehen.
Wir können es mittelalterlich nennen oder, wie Abdel Hamed-Samad, vom »islamischen Faschismus« − ein hartes Wort − sprechen, aber es ist Fakt. Wohlmeinendes Multikulti-Getue und ebensolches Gerede und schöne, falsche Sätze wie »Der Islam gehört zu Deutschland« werden nicht automatisch einen säkularen Wandel der Muslime bewirken, nicht einmal bei denen, die im Westen leben, aber sich als religiös einstufen.
Ich versuche einen Zwischenruf, um ein wenig Ordnung in das mediale Chaos oder Verwirrspiel zu bringen und etwas tiefer in die Welt des Spaßes, oder sollte ich besser sagen, der Bespaßung einzudringen und Mutig-Sein und Beleidigt-Sein besser verorten zu können. Der gegenwärtige Zustand der Zivilisation scheint mir mit dem Begriff Amnesie gleich Verwirrtheit annähernd richtig umschrieben zu sein.
Dies soll aber kein Pamphlet sein, man ist leicht geneigt, dorthin abzugleiten. Ich wollte nach diesen Vorgängen das Reden (und Schreiben) verweigern, ähnlich Heinrich Bölls Dr. Murke in »Dr. Murkes gesammeltes Schweigen«, einer satirischen Betrachtung des öffentlichen Rundfunks des Jahres 1955, aber auch eine Abrechnung mit ehemaligen Nazis, die sich mühelos an die neue Zeit anpassten.
Was denn wäre auch noch zu sagen, hinzuzufügen, »beizuzwitschern« (twittern), zu »facebooken« oder zu »bloggen« im digitalen Universum angesichts des schieren Wahnsinns und seiner medialen Performance. Wer noch denken will und kann und sich, torkelnd im medialen Gebrumm, grausen möchte, lies nach. Ich stelle eine mediale Collage nach den Ereignissen von Paris zusammen. Den wenigen besonnenen Köpfen in diesem Wahnsinn gehört meine Wertschätzung. Es sind die Differenzierer und Differenziererinnen mit sicherem Instinkt für das, was sich ereignet, und für die Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
Zu diesen gehört zweifellos Iris Radisch, eine anerkannte Journalistin der Wochenzeitung DIE ZEIT. Wie sie sich mit »Je suis Charlie« und den politischen und medialen Konnotationen auseinandersetzt, kann anderes vergessen machen; es versöhnt und bestärkt mich in meinen Reflexionen.
Ich werde mich auf meine Art damit befassen, subjektiv und wütend, aber es soll eine ethisch induzierte Wut sein, wenn das ohne Widerspruch möglich ist. Es ist meine feste Überzeugung und es entspricht meinem evolutionären Humanismus im Sinne von Julian Huxley, dass Menschen kraft Verstandes zu ethischem Handeln fähig sind.
Zunächst die Fakten: Drei junge Franzosen, Muslime mit »Migrationshintergrund«, also Einwandererkinder, haben sich einem fundamentalischen Islam angeschlossen, wie es weltweit, vor allem in den muslimischen Ländern von Afghanistan bis Nigeria geschieht, haben sich radikalisiert, sind sogenannte Dschihadisten, heilige Krieger, Gotteskrieger für Allah und den Propheten, geworden, haben sich vielleicht den fundamentalistischen Organisationen al-Qaida oder IS (Islamischer Staat) angeschlossen oder sind von dort ideologisch und vielleicht sogar logistisch unterstützt worden, haben vielleicht sogar in deren Namen und in deren Auftrag gehandelt und haben das Tötungsgebot des Koran gegenüber Nicht-, Un- oder Andersgläubigen oder Ketzern und Prophetenbeleidigern in die blutige Tat umgesetzt. Siebzehn Menschen töten sie bestialisch, bis sie selbst im Kugelhagel als Selbstmörder, aber nach eigenem Selbstverständnis und weiten Teilen ihrer Glaubensfreunde als Märtyrer sterben. Das Ganze geschieht am 7. und 8. Januar 2015 in Paris, also mitten im Westen, im »christlichen« Abendland.
Der Anschlag galt den Karikaturisten eines kleinen Satiremagazins, Blasphemikern schlechthin, den Lächerlich-Machern von allem und jedem, den Beleidigern des Propheten, des Papstes und der Talmud-Juden, säkularen Journalisten mit scharfem, vulgärem, antireligiösem, antiautoritärem und vor nichts und vor niemandem zurückschreckendem Satirestil und ebensolchen Zeichnungen, Bildtiteln und Texten. Ihr Vergehen aus der Sicht der Mörder war es, »Heiliges« und den Propheten lächerlich karikiert zu haben. Das ist zu viel für orthodoxe, fundamentalistische Muslime mit weitgehendem religiösem Analphabetismus und fehlendem humanistischem Ethos, die dazu vielleicht ohne Perspektiven und sozial abgehängt und verunsichert sind, aber umso mehr mit Allmachtsfantasien und Paranoia und psychopatischer Disposition ausgestattet und im Wahnglauben auf paradiesische Freuden befangen sind.
Und so töten sie im Namen ihres Gottes, eiskalt, gnadenlos und unbarmherzig wie die Henker des IS, die Attentäter und Mörder in Pakistan, Nigeria, Somalia, Kenia, Afghanistan und überall, wo sie Macht haben und in den USA und anderen westlichen Ländern. Sie ermorden die journalistischen Beleidiger und Ketzer und rächen ihr beleidigtes Prophetchen und ihren Größten, Allah. Sie geben aber auch ein zweites deutliches Statement ab: Auch die Un- und Andersgläubigen stehen auf unserer Abschussliste, hütet euch, ihr Bekehrungsunwilligen oder die ihr euch anmaßt, den Judenstaat Israel, unseren Erzfeind, als euer Land zu betrachten.
Der genau kalkulierte Mord an den vier jüdischen Männern im koscheren Supermarkt ist ein solch starkes Statement, und zwar ein doppeltes: Neben der anderen Religion zielt es auf das gesamte ethnische Judentum und politisch auf den Staat Israel. Diese Dschihadisten sind zwar Idioten, aber gänzlich dumm sind sie nicht. Dass es bei diesem Mordanschlag auch einige unbeteiligte Kollateraltote gibt, wird Allah verzeihen, ich weiß, das ist eine billige Sottise.
Was nach dieser Bluttat geschieht, bedarf der Sortierung oder intellektuellen Einordnung, ansonsten ist es in der Unübersichtlichkeit der medialen und gesellschaftlichen Prozesse kaum noch zu verstehen.