Ethisch handeln in Helfenden Berufen - Wolfgang M. Heffels - E-Book

Ethisch handeln in Helfenden Berufen E-Book

Wolfgang M. Heffels

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Beschreibung

Fachkräfte in der Sozialen Arbeit, im Gesundheitswesen, der Pflege und dem Bildungs- und Erziehungssystem arbeiten mit Kolleginnen und Kollegen in normativ organisierten Einrichtungen mit Klienten, Patienten und Lernenden zusammen. Der Umgang mit unterschiedlichen Wert- und Normvorstellungen im Miteinander ist Alltag. Aber wie kann der bzw. die einzelne professionell Tätige mit diesen individuellen Wert- und Normvorstellungen und kollektiven Moralvorstellungen im beruflichen Kontext ethisch umgehen, ohne zu moralisieren oder in einen Relativismus zu verfallen? Dieses Buch gibt eine Anleitung, um auf eine ethische Plattform zu gelangen, von der aus Entscheidungen mit guten Gründen getroffen werden können. Somit bietet das Buch keine abgehobene abstrakte Reflexion des Ethischen; Ethik wird hier im konkreten Vollzug, in Entscheidungsfindungsprozessen typischer beruflicher Anforderungen gezeigt.

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort zur Reihe Basiswissen Helfende Berufe

1 Einführung

2 Metaethische Aussagen

2.1 Moral, Recht, Moralität, Moralphilosophie und Ethik

2.2 Moralisches oder ethisches Handeln zwischen Wissen, Fühlen, Gewissen und Vernunft

2.3 Metaethische Aussagen zu den ethischen Theorien

2.4 Anwendungsübungen

3 Deskriptive Ethik

3.1 Moral

3.2 Moralität

3.3 Moralische Entwicklung

3.4 Moralische Kompetenz

3.5 Anwendungsübungen

4 Normative Ethik: Reflexion über Moral und Moralität

4.1 Ethische Theorien

4.1.1 Werte- und Gesinnungsethik

4.1.2 Phänomenologische Ethik

4.1.3 Deontologische Ethik

4.1.4 Verfassungsethik oder Ethik der Grundrechte

4.1.5 Teleologische Ethiken

4.1.6 Tugendethik

4.1.7 Verfahrensethiken

4.2 Ethische Kompetenz

4.3 Verantwortliches Handeln

4.4 Die ethischen Fallbesprechungen

4.5 Anwendungsübungen

5 Anwendungsethik im Handlungsfeld des Sozial- und Gesundheitswesens

5.1 Das Handeln im Interaktionsbereich mit dem Klienten/-system

5.2 Das Handeln im organisationsbezogenen Kontext

5.3 Politisches Handeln in unterschiedlichen Räumen

5.4 Das Handeln im Bereich des erfüllenden Lebens

5.5 Anwendungsübungen

6 Berufskodizes in Helfenden Berufen

6.1 Aufbau und Funktion von Berufskodizes

6.2 Anwendungsübungen

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Literatur

Basiswissen Helfende Berufe

Herausgegeben von Marion Menke und Heinrich Greving

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/basiswissen-helfende-berufe

Der Autor

Prof. Dr. Wolfgang M. Heffels ist Professor für Ethik, Erziehungswissenschaft und Berufspädagogik an der katho (Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen) im Fachbereich Gesundheitswesen, Abteilung Köln. Seine beruflichen Schwerpunkte in Lehre und Forschung umfassen die Didaktik der Berufsbildung in der Pflege und den Gesundheitsfachberufen, die Organisationsentwicklung in Bildungseinrichtungen und das verantwortliche Handeln zur Selbstwerdung (Individualethik) und das Handeln in sozialen Kontexten (Interaktions-‍, Organisations- und Gesellschaftsethik).

Wolfgang M. Heffels

Ethisch handeln in Helfenden Berufen

Eine handlungsorientierte Einführung

Verlag W. Kohlhammer

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Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-039886-3

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-039887-0epub: ISBN 978-3-17-039888-7

Vorwort zur Reihe Basiswissen Helfende Berufe

Die Buchreihe »Basiswissen Helfende Berufe« widmet sich Querschnittsthemen, die für mehrere konkrete Berufsgruppen gleichermaßen von Bedeutung sind. Gemeint sind hier Professionen aus den Bereichen Gesundheitswissenschaften, Sozialwissenschaften und Soziale Arbeit, Heilpädagogik und Erziehungswissenschaften, Therapie- und Pflegewissenschaft. Die Themen werden in wissenschaftlich fundierter, handlungsorientierter und damit praxisrelevanter Art und Weise dargestellt. Querschnittsthemen sind im Hinblick auf eine immer stärkere Vernetzung der Strukturen und Angebote in den Handlungsfeldern der Gesundheits- und Pflegeberufe, der Sozialen Arbeit und Heilpädagogik sowie angrenzender Berufe von zunehmendem Interesse. Es erscheint uns sinnvoll und notwendig, die verbindenden Themen der Handlungsfelder und unterschiedlichen Professionen im Kontext der jeweiligen Relevanz darzustellen. Eine interprofessionelle Zusammenarbeit ist in den meisten Handlungsfeldern unerlässlich, oftmals arbeiten Vertreter/innen unterschiedlicher Berufsgruppen mit einer einzigen Klientin, einem einzigen Klienten an sozialen, gesundheitsbezogenen und/oder pädagogischen Problemlagen. Die professionelle Gestaltung eines solchen Netzwerkes zwischen und mit diesen Strukturen, Angeboten und Berufen erfordert ausgeprägte Kenntnisse, um das Verbindende zugunsten und zum Wohle der Klientel bzw. Patient/innen bzw. des gesamten professionellen Handlungssystems nutzbar zu machen.

Dabei soll diese Reihe einerseits grundsätzliche, eher metatheoretische Erwägungen und Begründungen wie z. B. zur Gesundheitsförderung und -prävention, zur Lebenswelt der Menschen und zu den Leitideen der Teilhabe, der Selbstbestimmung, der Partizipation und der Inklusion in Betracht ziehen. Andererseits sollen auch konzeptionelle Konkretisierungen (wie z. B. zur Beratung, zur kultursensiblen Arbeit, zur Qualitätsentwicklung und zur Biografiearbeit) im Fokus stehen. Die konkrete Arbeit mit den Betroffenen (Patient/innen, Klient/innen etc.) wird auf diesem methodologischen Hintergrund deutlich weniger Reibungsverluste aufweisen und folglich intensivere Ressourcen bereitstellen, als dies zurzeit – in den eher nicht aufeinander bezogenen Strukturen und Handlungsmustern der Organisationen des Gesundheits- und Sozialwesens – der Fall ist. Eine solchermaßen grundgelegte und verstandene Netzwerkarbeit bzw. Zusammenarbeit in der Praxis führt also zu einer ausgeprägten Wahrnehmung der Belange der Betroffenen sowie zu einer Intensivierung der professionellen Kompetenz der beruflich Handelnden und deren Organisationen.

Ein zentraler sozialpolitischer und methodologischer Baustein dieser Buchreihe stellt im Weiteren das »Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen« dar. Hierin und hierdurch werden zentrale Aussagen zur Umsetzung der Inklusion benannt und folglich für die geplanten Publikationen (ebenfalls als Querschnittsthema) bedeutsam:

Auf dem theoretischen Hintergrund einer – vor allem auch soziologisch und sozialwissenschaftlich zu verstehenden – Inklusion positioniert sich diese Studienbuchreihe eindeutig zum Thema der Inklusion und der Teilhabe. Hierzu wird in den einzelnen Texten immer wieder auf die unterschiedlichen theoretischen und methodologischen Begründungskontexte zu Inklusion und Teilhabe sowie auf allfällige Dilemmata und Widersprüche des Theoriediskurses eingegangen. Grundlegend werden hierbei immer wieder die Begriffe und konzeptionellen Begründungen der Inklusion und der Teilhabe als unhintergehbare Zielperspektiven des professionellen Handelns in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit, der Heilpädagogik, der gesundheits- und pflegebezogenen Professionen fokussiert und differenziert. Hierbei wird Inklusion als ein international bekannter und anerkannter Begriff wahrgenommen, welcher die Tendenz darstellt, bislang vorgenommene integrative Maßnahmen im Hinblick auf inklusive Maßnahmen zu modifizieren. Inklusion erfordert hierbei zudem eine Konkretisierung auf institutioneller und organisatorischer Ebene, um die vielfältigen Planungs- und Gestaltungsmöglichkeiten umsetzen zu können.

Die Strukturmomente der Vernetzung, der Netzwerkarbeit, der Professionalisierung, der Inklusion und Teilhabe bilden somit die zentralen Meilensteine als berufs- und handlungsfeldübergreifende Querschnittsthemen im Rahmen aller Veröffentlichungen dieser Buchreihe. In allen Bänden sind diese – sicher in unterschiedlichen Gewichtungen – konturiert und realisiert.

Münster, im Mai 2023Marion Menke und Heinrich Greving

1 Einführung

Das vorliegende Buch möchte all diejenigen, die in Helfenden Berufen tätig sind – Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Pädagoginnen und Pädagogen, Pflegekräfte sowie alle Personen in Gesundheitsfachberufen – dabei unterstützen, ethisches Handeln als eine Handlungsweise zu erkennen und immer dann anzuwenden, wenn das moralische Handeln unzureichend erscheint. Ethisches Handeln setzt eine moralische Kompetenz voraus. Erst wenn moralisches Handeln nicht hinreicht, kommt ethisches Handeln ins Spiel. Die Intention dieses Buches, in Helfenden Berufen ethisch zu handeln, eröffnet aus Sicht des Subjekts die Möglichkeit, sein Handeln moralisch und ethisch zu gestalten: Was muss ich tun, um moralisch und ethisch zu agieren?

Die Grundkonstruktion des Buches bilden die drei großen Ethikbereiche (Metaethik; deskriptive Ethik und normative Ethik ab:

·

Als Erkenntnistheorie beschreibt und bewertet die Metaethik Arbeitsweisen, Theorien und Begriffe der Ethik. Sie befasst sich nicht mit dem Handeln des Menschen, sondern mit den Aussagen der Ethik als praktische Philosophie.

·

Die deskriptive Ethik hingegen beschreibt Verhaltensweisen, Verhaltensnormen und verhaltensbezogene Einstellungen und Werturteile. Dieser Gegenstand wird vorzugsweise von der Soziologie, Ethnologie und Psychologie bearbeitet. Es geht um die (Auf-)‌Klärung, warum, was und wie gelebt wird, also um die gelebte und gedachte Moral des Menschen. Konkret wird erfasst, was von einer Person in bestimmten Situationen erwartet wird. Unter Moral sind somit die Normen in einer Gruppe zu verstehen, während Moralität die Wertvorstellungen und internalisierten Normen eines Menschen mit einer bestimmten Lebensvorstellung meint.

·

Die normative Ethik begründet, kritisiert oder rechtfertigt moralische Verhaltensweisen, Verhaltensnormen und verhaltensbezogene Einstellungen und Werturteile. Dabei lassen sich zwei Teilgebiete unterscheiden: Ethik als Moralphilosophie ist eine Disziplin, die von einer klaren Vorstellung ausgeht und den Menschen an bestimmte Regeln bindet, während die philosophische Ethik die Freiheit des Menschen als Grundprämisse setzt und den Menschen nötigt, sich mit guten Gründen sein Leben und Handeln zu konstituieren und dieses zu begründen.

Mit dieser Unterscheidung – ethisches Handeln thematisiert moralisches Handeln – wird Ethik auch nach einschlägigem Sprachgebrauch zur normativen Theorie der Moral.

Nach der Einführung bietet Kapitel 2 (▸ Kap. 2) eine erste allgemeine Annäherung an den Gegenstand und grenzt die Metaethik von der Ethik ab. Kapitel 3 (▸ Kap. 3) beschreibt zum einen das Moralsystem und zeigt die Entwicklung einer moralischen Kompetenz auf. In Kapitel 4 (▸ Kap. 4) wird die philosophische Ethik mit ihren theoretischen und handlungsbezogenen Aussagen in eine allgemeine Form des verantwortlichen Handelns überführt. Hierbei werden die Anforderungen und Verfahrensweisen an ethisches Handeln deutlich und in eine praktikable Verfahrensweise übersetzt.

Soziale Berufe sind in das Gesundheits- und Sozialsystem eingebunden. Hier agieren vielfältige Mitspieler unterschiedlichster Couleur. Als Teil dieses umfassenderen gesellschaftsbezogenen Handlungszusammenhangs sind die sozialen Berufe auf die Erhaltung des Lebens und ein befriedigendes Miteinander unter gerechten sozialen Bedingungen gerichtet. In Kapitel 5 (▸ Kap. 5) wird aus ethischer Perspektive die Gestaltung des sozialen Handelns im Interaktionsbereich mit dem Klienten oder das Klientensystem dargestellt. Diese Aktionsweise ist eingebettet in einen organisationalen Kontext, der die spezielle Soziale Arbeit ermöglicht und zugleich Bedingungen festsetzt, die die Ausübung der Sozialen Arbeit fördern oder beeinträchtigen kann. Flankiert werden diese beiden Bereiche – also die Gestaltung der beruflichen Rolle im organisationalen Kontext und die gesellschaftlich-berufspolitischen Fragestellungen im Sozial- und Gesundheitswesen – von einem Selbst, das auch ein erfülltes Leben zu gestalten hat.

Die handlungsorientierte Anleitung zum ethischen Handeln in Helfenden Berufen geht von dem einzelnen Subjekt aus, das sich je nach Aufgabe mit dem Klienten oder das Klientensystem, der Organisation, den gesellschaftlichen Gegebenheiten und sich selbst auseinandersetzt und gefordert ist, Antworten auf sich stellende Fragen oder Herausforderungen zu finden. Die Moral ist hierbei der soziale Kitt, der ein geregeltes Miteinander-Handeln ermöglicht, und die Moralität ein subjektiver Kompass, der vom Gefühl und Gewissen begleitet wird. Die Ethik als Theorie will ein ethisches Handeln ermöglichen – aber nicht das Unmögliche soll möglich werden, sondern das, »was geht« und mit guten Gründen verantwortbar ist.

Die Anwendungsübungen im vorliegenden Buch sollen dem Transferlernen dienen und sind auf Alltagsbeispiele handlungspraktisch bezogen: Das Individuum wird so aufgefordert, sich zu positionieren, sein Handeln zur Bewerkstelligung von Aufgaben eigenverantwortlich und im Gruppenkontext einer Studiengruppe zu beantworten und Handlungsweisen exemplarisch einzuüben.

Generell wurde weitestgehend aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. Dieser Gleichheitsgrundsatz ist eine ethische Perspektive und geht weit über den moralischen Mainstream hinaus.

2 Metaethische Aussagen

Im beruflichen und privaten Alltag begegnen uns immer wieder Situationen, die den Bereich der Ethik und Moral tangieren, und wir verwenden bestimmte Begriffe, um Ethisches oder Moralisches zum Ausdruck zu bringen: beispielsweise die Adjektive gut und böse, gerecht und ungerecht, human und inhuman oder die Substantive Gewissen, Verantwortung, Tugend. Diese Wörter und Wortkombinationen werden meist problemlos verstanden. Es zeigt sich aber auch, dass in der konkreten Anwendung das, was für gut oder schlecht, richtig oder falsch gehalten wird, strittig werden kann. Hier kann die Werthaltung, die hinter dem strittigen Thema liegt, als beliebiges »Geschmacksurteil« abgetan werden. Betrachtet man diese Begriffe jedoch genauer, so zeigt sich, dass die mit ihnen einhergehenden Inhalte gar nicht so klar sind. Was meint »gut«, was ist »Tugend«? Was diese Begriffe genau intendieren, ist Gegenstand der Metaethik.

Die Metaethik ist ein Teilbereich der Ethik, der deren Termini, Arbeitsweisen und Modelle untereinander und die Stimmigkeit der Aussagen innerhalb eines ethischen Modells analysiert und bewertet. Dieses Kapitel bildet zwar nicht den gesamten Bereich der Metaethik ab, aber die zentralen Begriffe, die in der Ethik von Bedeutung sind, sollen im Folgenden vorgestellt werden. Ferner wird eine Gegenstandsbeschreibung geboten und die Metaethik wird von anderen wissenschaftlichen Bereichen abgegrenzt. Abschließend soll die moralische und ethische Urteilsfindung kurz vorgestellt werden.

2.1 Moral, Recht, Moralität, Moralphilosophie und Ethik

Von ihrem bedeutungsgeschichtlichen Ursprung ausgehend sind Ethik und Moral gleich und werden auch in unserer Alltagssprache oft synonym verwendet. Etymologisch geht das Wort Ethik auf das griechische Wort ethos zurück, das so viel meint wie Gewohnheit, Charakter oder Sitte. Ins Lateinische übersetzt entspricht dem das Wort mos/mores, das wiederum die Grundlage für das deutsche Wort Moral bildet. Moral meint also Sitte und ist damit wortursprünglich mit Ethik gleichzusetzen. Heute ruft das Wort Moral jedoch häufig negative Assoziationen hervor, man denke etwa an den sogenannten moralischen Zeigefinger oder an den Moralapostel, weshalb man lieber von Ethik spricht. Metaphorisch gesprochen werden hier Begriffe ausgetauscht, aber es wird der gleiche Wein getrunken. Mit dem Begriff des Ethischen geht ein Qualitätsanspruch einher, der mit dem Begriff des Moralischen nicht abgebildet wird. Insofern werden Begriffe wie Ethikunterricht, Ethikberatung oder auch Gutachten des Ethikrates anders wahrgenommen (vgl. Schockenhoff 2007, 18 f.).

Auch wenn Ethik und Moral umgangssprachlich synonym benutzt werden, so hat sich im wissenschaftlichen Sprachgebrauch ein Unterschied zwischen beiden Begriffen durchgesetzt. Wissenschaftlich wird der Begriff Moral definiert als die »Summe der in einer bestimmten Gesellschaft verbreiteten moralischen Normen, Prinzipien oder Werte sowie moralische Dispositionen, Haltungen oder Charakterzüge« (Ach/Siep 2011, 11). Diese allumfassende Definition beinhaltet zwei Bereiche, die den Betrachtungsgegenstand der Ethik bilden: Moral (Sitte) und Moralität (Sittlichkeit).

Die Moral beinhaltet die »Regelwerke«, also die Normen (Verhaltenserwartungen – z. B. »du sollst/sollst nicht«) und materialisierten Werte (Wertaussagen ohne direkten Verhaltensbezug – z. B. Gesundheit, »jeder Klient ist uns wichtig«); materialisiert deshalb, weil diese Werte innerhalb einer Gruppe entweder hierarchisiert sind oder im Vergleich zu anderen Werten besonders hervorgehoben werden (z. B. beim Sport Fairness, in der Kommunikation wertschätzende Gesprächsführung).

Moral ist die Handlungskoordination durch Normen und setzt sich aus moralischen und rechtlichen Normen, also geschriebenen und ungeschriebenen »Gesetzen« zusammen. Damit ist das Recht ein Teilbereich der Moral, jedoch mit dem Unterschied, dass diese Normen justitiabel sind, während die moralischen Normen, wenn sie nicht eingehalten werden, in unterschiedlichem Maße zu Missachtungsformen führen können, also »nur« sozial sanktioniert werden. Moralische Aussagen beinhalten nicht reine Wiedergaben von Sachverhalten (Deskriptionen), sondern beschreiben ein Sollen im Sinne von Tun oder Lassen und stellen damit präskriptive Aussagen dar.

Wortursprünglich wird der Begriff Norm abgeleitet vom lateinischen norma, was so viel bedeutet wie Regel, Muster, Vorschrift oder Grundsatz. Nicht alle Normen sind moralische Normen. So kann die Ermittlung des Normgewichtes oder die Bestimmung der Anforderungen eines Produktes oder Gegenstandes entsprechend einer DIN-Norm klassifiziert werden. Moralische Normen richten sich auf die Handlungskoordination und können also unterschieden werden in rechtliche und moralische Imperative (vgl. Höffe 2008, 229 f.). Andererseits kann differenziert werden zwischen empirischen und deklarativen Normen: Empirische Normen sind reale, gelebte Verhaltensanweisungen, die in der jeweiligen Handlungspraxis beachtet werden, während deklarative Normen eher nur eine orientierungsgebende Funktion haben. Jedem Moralsystem sind solche Differenzierungen zu eigen. Und jede Praxis hat ein Moralsystem: das Kollegium, der Verein, der Freundeskreis und die (Kern- oder weitere) Familie. In all diesen Gruppen findet sich jeweils eine Moral, d. h., eine Vielzahl von Normen regelt das Miteinander. Insofern lebt der Mensch in vielfältigen Moralsystemen. Es gibt nicht die eine Moral, sondern viele Moralen.

In diesem Zusammenhang soll das, was mit Berufsethos verbunden wird, kurz erklärt werden. Berufsethos stellt die Moralität (Haltung und Einstellung) einer Berufsgruppe dar und beinhaltet die moralisch beachteten Normen und Werte der Mitglieder innerhalb einer bestimmten Berufsgruppe (z. B. Pflegeethos, Ethos der Sozialen Arbeit). Im weiteren Sinn enthält ein Ethos nicht nur sittliche Aussagen, sondern führt auch zu einer emotionalen Bindung zur entsprechenden Berufsgruppe. Vergleichsweise bedeutet Berufsethos der Habitus der Berufsmitglieder (vgl. Fenner 2008, 5 ff.; Löwisch 1995, 3 ff.), er bildet die Moralität einer Berufsgruppe real ab.

Die Moralität an sich, die Sittlichkeit des Menschen, bezieht sich auf seine (Wert-)‌Einstellungen, seine Haltungen zu sich, zu anderen Menschen und zu seiner Umwelt. Diese wertbezogenen Festlegungen des Individuums bilden in der Summe seine Moralität aus. Die Moralität umfasst somit alle auf Dauer gestellten und situativ empfundenen Werte und Prinzipien sowie die Vorstellungen von einem glücklichen bzw. sinnerfüllten Leben. Umgangssprachlich ist hier auch von den Charaktereigenschaften eines Menschen die Rede. Ursache für solche Festlegungen der individuellen Moralität ist die Freiheit des Einzelnen, sich so oder in anderer Weise zu entscheiden und damit zu bekennen. Die Freiheit ist die Bedingung der Möglichkeit, moralisch zu handeln. Die Willensfreiheit stellt nach Kant (1785, 51) das Vermögen dar, einen Zustand von selbst anzufangen. Sie besteht darin, dass der Wille sich letztlich nicht von etwas anderem, den Antrieben der Sinnlichkeit oder auch von sozialen Zwängen, bestimmen lässt (Heteronomie), sondern selbst Ursprung seines So-und-nicht-anders-wollens ist (Höffe 2008, 84). Moralität hat demnach immer auch etwas mit der Frage zu tun, was für ein Mensch man sein will (vgl. Honnefelder 2017).

Die Differenzierung zwischen Moral und Moralität eröffnet den Blick auf ein Phänomen, das auch als »Doppelmoral« bezeichnet wird: Eine Person tätigt eine moralische Aussage, beherzigt diese aber selber nicht. Nach dem Motto »Wasser predigen, aber Wein trinken« gibt es möglicherweise immer wieder Situationen, in denen Menschen moralische Normen in einem sozialen System einfordern und damit die Moral bestätigen, jedoch zugleich von ihrer Moralität her diese ablehnen.

Die Moralphilosophie ist von ihrer Wortkonstruktion her eine Philosophie, die eine bestimmte Moral impliziert. Religionen beispielsweise fordern die Gläubigen dazu auf, bestimmte normative Verhaltensweisen im Hinblick auf ihre jeweilige Lehre einzuhalten: Der Glaube als Haltung zeige sich im Verhalten. Theologische Ethiken haben jedoch eine doppelte Aufgabe: Einerseits fragt sie nach innen in die eigene religiöse Tradition und Anschauung hinein, »aus dem Vernunftinteresse des Glaubens heraus nach der Kohärenz, Angemessenheit und Vernünftigkeit seiner ethischen Einsicht«, und andererseits nach außen, »indem sie am ethischen Diskurs der Gesellschaft teilnimmt und in einem kritischen Dialog mit den Entwürfen philosophischer Ethik eintritt, in denen sich die Lebenseinstellung ihrer Zeit spiegelt« (beide Zitate Schockenhoff 2007, 28). Bei Moralphilosophien wird die Moral von einer bestimmten philosophischen Richtung oder Theologie abgeleitet. Hiernach wird ein bestimmtes (Menschen-)‌Bild geprägt (▸ Abb. 1).

Abb. 1:Gegenüberstellung Ethik versus Moralphilosophie

In den philosophischen Ethiken hingegen geht es um eine theoretische Beschäftigung mit moralischen Fragen, sie sind Reflexionsformen der Moral und Moralität. Die theoretische Beschäftigung mit Sitten, Bräuchen und Gewohnheiten als philosophische Disziplin ist dabei bis auf Aristoteles zurückzuführen. Für ihn war die Ethik eine praktische Wissenschaft, die das gesamte Spektrum menschlichen Handelns zum Gegenstand hatte und dieses mit philosophischen Mitteln hinsichtlich einer verantwortbaren Praxis analysierte und bewertete. Ethik als praktische Philosophie zielt in der Regel nicht auf theoretisches Wissen um ihrer selbst willen, sondern will Hilfestellung und Orientierung bei sittlichen Fragen liefern, die das (Mit-)‌Menschliche betreffen.

Hinsichtlich ihrer methodischen Herangehensweise lassen sich philosophische Ethiken nach verschiedenen Zugängen unterscheiden. Deskriptive Ethiken beschreiben ethische Sachverhalte, Norm- und Wertesysteme und gelebte Handlungspräferenzen. In einer deskriptiven Ethik wird demnach etwa dargelegt, welche ethischen Werte und moralischen Normen sich in einer bestimmten Gruppe und/oder zu einer bestimmten Zeit finden lassen und welche Funktionen diese dort haben bzw. hatten. Hier geht es demnach nicht darum, zu beurteilen, ob eine bestimmte Norm angemessen, richtig oder gerecht ist, sondern es lässt sich zeigen, wie sich z. B. bestimmte Moralvorstellungen über die Zeit oder den Raum hinweg entwickelt haben.

Normative Ethiken stellen allgemeingültige Normen und Werte dar, die, wenn sie allgemein und damit immer, zu jeder Zeit und überall zur Anwendung kommen sollen, als »allgemeine Ethiken« ausgewiesen werden. Demgegenüber lässt sich die Handlungsfeldethik als zu beachtende Normen und Werte in einem Handlungsfeld charakterisieren. Das Handlungsfeld Gesundheit umfasst z. B. das gesamte Gesundheitswesen, das Handlungsfeld Bildung das gesamte Bildungswesen und das Handlungsfeld Soziales die Summe aller Aktivitäten, die Menschen in sozialen Fragestellungen und Problemstellungen Hilfen gewähren (vgl. Löwisch 1995, 4 – 9). In den Handlungsfeldern sind die Bereichsethiken und Berufsfeldethiken einzuordnen. Ein Handlungsfeld konstituiert sich durch alle Vertreter‍(-organe), die im Handlungsfeld tätig sind und sich hierzu eine Meinung bilden, gleich, ob Profi oder Laie, Journalistin oder Wissenschaftlerin, Rentnerin oder Arbeiterin. In einem Handlungsfeld entsteht über die öffentliche Diskussion das, was im Allgemeinen vom Handlungsfeld erwartet und darüber hinaus auch politisch bedeutsam werden kann (man denke z. B. an »Fridays for Future« im Bereich Umweltschutz). Die Bereichsethiken, auch Anwendungsethiken genannt, betrachten in übergeordneter Weise einen bestimmten gesellschaftlichen Bereich (Umweltethik, Wirtschaftsethik, Sozialethik usw.) und versuchen nach Stoecker, Neuhäuser und Raters (2011, 3 f.), »mit den Mitteln der Ethik Menschen dabei zu helfen, sich in bestimmten Situationen moralisch richtig zu verhalten«. Bereichsethiken wollen einen Kompass vermitteln, der in unklaren und unsicheren Situationen moralische Orientierung und Entscheidungskriterien/-verfahren gewährt. Darüber hinaus entwickeln Professionen Berufsethiken und Organisationen Organisationsethiken. Beide eint, dass sie in zweifacher Weise wirken wollen: nach innen als Identitätsstiftung und Bindung, nach außen als verbindliches Versprechen, dass die Beteiligten in diesem Sinne handeln (vgl. Werner 2021, 263 f.).

Die Allgemeinen Ethiken können sowohl Individual- als auch Sozialethiken beinhalten, während die Handlungsfeld-‍, Bereichs-‍, Berufs- und Organisationsethiken immer Sozialethiken darstellen. Individualethische Aspekte oder auch Strebensethiken werden Ethiken genannt, die das gelungene Leben thematisieren und die Frage nach einem erfüllten Leben erörtern, während die Sozialethiken das Miteinander fokussieren und auch das Problem der sozialen Gerechtigkeit behandeln (▸ Abb. 2).

Abb. 2:Gliederung der Ethik als Wissenschaft

2.2 Moralisches oder ethisches Handeln zwischen Wissen, Fühlen, Gewissen und Vernunft

Der Mensch entwickelt sich nach der Geburt zum einen durch Reifung (er wird älter, größer und nimmt zunächst an Körpermasse zu) und zum anderen entwickelt er sich durch Kommunikation mit sich und anderen. Der Entwicklungsvorgang durch Kommunikation findet im Medium von Wissen, Fühlen und Gewissen statt. Wenngleich das Fühlen zunächst überwiegt, kommen nach und nach Wissen und Gewissen hinzu. Der Säugling lebt aus dem Gefühl (Wohlsein, Unwohlsein, er zeigt ein dementsprechendes Verhalten), welches mit der Zeit komplettiert wird über Wissen, Wollen und Sollen. Das Kind lernt aus dem Alltag, »was geht« und wann es besser ist, vorsichtig zu sein (vgl. Allport 1970; Kohlberg 1987).

Moralität drückt sich im Alltäglichen in drei unterschiedlichen Formen aus: im moralischen Gefühl, im Gewissen und durch die eigenen Wert- und Normbindungen. Alle drei Formen sind keine Entscheidungsinstanzen, beeinflussen aber den Entscheidungsfindungsprozess. Sie sind Seismografen in bestimmten Situationen und empfehlen z. B. dem Handelnden: »Sei vorsichtig!« Beispielsweise kann das Gewissen, vor der Ausführung einer Handlung warnen (vorausgehendes Gewissen) oder nach einer Handlung auf eine Verfehlung hinweisen (nachgehendes Gewissen). Zugleich wird die Handlung von einem moralischen Gefühl als ein Gespür für das angemessene oder unangemessene Tun oder Lassen begleitet. Während das Gewissen warnt, etwas nicht zu tun, oder bei einer erfolgten Handlung ein schlechtes Gewissen entstehen lässt, repräsentiert das moralische Gefühl etwas, das das Tun oder Lassen begleitet. Beides kann zur Reflexion über das zu Tuende führen.

Die Annahme, dass eine Vielfalt von Einstellungen und Gefühlen als Triebfedern des moralischen Handelns in Betracht kommt, dürfte wohl den meisten Menschen plausibel erscheinen. Eine andere Frage ist jedoch, ob solche Affekte auch in der moralischen Argumentation eine Rolle spielen. Tatsächlich scheint dies in mindestens zweierlei Hinsicht der Fall zu sein:

·

Mit dem Begriff des Kontrasteffekts geht einher, dass etwas in der Welt geschieht und vom Subjekt wahrgenommen wird und das Gefühl sagt: »Hier stimmt etwas nicht«; selbst dann, wenn das Geschehene rational plausibilisiert werden kann. Der Kontrast besteht hier zwischen dem Phänomen und dem Gefühl.»Moralisch richtiges Handeln befriedigt also nicht immer unsere moralischen Gefühle; diese veranlassen uns vielmehr mitunter trotzdem zu Mitleid mit den Betroffenen sowie zur Einsicht, dass wir es mit einer tragischen Situation zu tun haben (zu der die ›Regelethik‹ nicht mehr viel zu sagen hat)« (Neumaier 2009, 267).

·

Gefühle sind wie Gedanken: Gefühle können irren oder richtig sein. Wer hat dies noch nicht erfahren? Obwohl und gerade deswegen sind die Gefühle im moralischen Urteil zu hinterfragen. Urteile ich so, weil ich den Anderen sympathisch oder unsympathisch finde, wenngleich ich eigentlich anders denke? Oder lehne ich etwas ab, weil mich die Fremdartigkeit ängstigt?»Wie viel an Emotionen auch immer wir in der Philosophie berücksichtigen, kommen wir demnach um einen rationalen Umgang damit nicht herum und stehen wir theoretisch vor der Aufgabe, Annahmen über die Rationalität moralischer Gefühle explizit zu klären, die implizit unserem Handeln und Urteilen zugrunde liegen« (Neumaier 2009, 270).

Das moralische Gefühl ist ein Parameter, der anzeigt, dass etwas nicht stimmt oder etwas gut ist. In diesem Sinne kann das moralische Gefühl bei Unstimmigkeit auch Ethisches reflektieren, initiieren oder auch moralischen Stress auslösen. Moralischer Stress kann zur Initiierung führen, »etwas zu tun«, und wird vom Gewissen begleitet. Der Entscheidungsfindungsprozess wird dann durch das Wissen mit Vernunft gesteuert. Die Vernunft ist hier als eine Instanz der besonnenen Abwägung und als Prüfkriterium der Angemessenheit unter Abwägung aller absehbaren Wissensbestandteile vorzustellen (vgl. Eisele 2017; Steinvorth 2002).

Die Art und Weise der Reflexion führt im Entscheidungsfindungsprozess zur Differenz zwischen moralischen und ethischen Urteilen. Moralische Urteile beziehen sich auf bestehende und allgemein anerkannte Wert- und Normaussagen, während ethische Urteile sich auf ethische Maßstäbe beziehen. Der Unterschied zwischen moralischen und ethischen Urteilen ist dabei nicht einfach zu erklären. Moralische Urteile kommen dadurch zustande, dass zwischen Wertaussagen und/oder Normaussagen ein Weg zur Lösung gefunden wird, während bei einer ethischen Entscheidung das moralische Problem als ein Wert-Wert-Konflikt, ein Wert-Norm-Konflikt oder Norm-Norm-Konflikt identifiziert wird und der wesentliche Kern als ethische Fragestellung (Gerechtigkeit oder Wohlwollen) durch ein ethisches Verfahren erkannt und eine kriteriengestützte Argumentation gelöst wird (vgl. Rosenberg 2015, 59 – 72). Moralische und ethische Verfahren basieren darauf, dass ein Subjekt allein oder gemeinsam mit einem oder mehreren Anderen (dialogisch) oder einer Gruppe (diskursiv) eine Entscheidung trifft. Ungeachtet des jeweiligen Entscheidungsverfahrens liegt die Verantwortlichkeit beim Subjekt.

Allerdings setzen sich auch weitere Disziplinen mit Fragen nach dem richtigen Handeln auseinander, denn auch im Recht oder in Religionen lassen sich verhaltensbestimmende Ansätze finden (vgl. Knoepffler 2010, 17 – 21; ▸ Abb. 3). Recht und Ethik haben eine doppelte Logik. Zum einen werden Rechtsnormen mit Hilfe der Ethik in unserer Gesellschaft erarbeitet und verabschiedet. Und andererseits tritt die Ethik als Reflexionstheorie von Handlungen oberhalb des Rechts auf, d. h., ethisches Handeln impliziert auch die Berücksichtigung von Rechtsnormen (vgl. Ach/Siep 2011, 13 f.). Im konkreten Handeln tritt die Ethik als Reflexionstheorie in ein Spannungsfeld zwischen Recht, Moral und Ethos. Im konkreten moralischen Entscheidungsfall hat die Ethik die Aufgabe, rechtliche und moralische Normen mit den Freiheitsrechten der Adressatinnen und Adressaten zu überprüfen und unter der Nennung von Argumenten für deren Beibehaltung oder für eine Reform zu plädieren (vgl. Schöne-Seifert 2007, 37 f.). Ein imposantes Beispiel ist die während der ersten Coronavirus-Pandemiewelle verordnete Norm »Besucht Oma und Opa im Seniorenheim nicht!«. Obwohl Schutzmaßnahmen für alle Beteiligten möglich gewesen wären, wurde diese Norm dennoch ausgesprochen. Aus moralischer Sicht wurde diese Maßnahme eingehalten, aus ethischer Sicht stellte sie eine Unmenschlichkeit dar. Denn der Schutz der Menschen vor einer Ansteckung wäre möglich gewesen ohne Kontaktverbot auszusprechen (vgl. Heffels 2021, 16 – 19).

Abb. 3:Ethik als Gesetzesbegründung und Verfahren zur Urteilsbestimmung

2.3 Metaethische Aussagen zu den ethischen Theorien

Die Ethik sucht nach Antworten auf Fragen wie:

·

Was dürfen wir tun und was nicht?

·

Was macht eine Handlung zu einer guten oder einer bösen Tat?

·

Wozu bin ich und unter welchen Umständen verpflichtet?

·

Wann bin ich von der Erfüllung eines Versprechens entschuldigt?

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Welche Tugenden sind in welchen Situationen gefragt?

Die Metaethik analysiert die Werkzeuge, mit denen Ethiker und Ethikerinnen arbeiten. Sie untersucht die ethischen Begriffe, Urteile und Systeme. So kann man die Frage stellen: Was ist eigentlich »gut« und »böse«?

Im Kern, ohne hier den Bereich der Metaethik in der Gänze abdecken zu wollen und zu können, sind metaethische Überlegungen hilfreich, stellen sie doch Unterscheidungen vor, die einen Unterschied machen. Welche wesentlichen Differenzierungen sind metaethisch handlungspraktisch relevant?

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Das »Woraufhin der Ethik« bietet z. B. drei Zielperspektiven an:

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Der Hedonismus (Epikur) propagiert als höchstes Gut das Lustempfinden im Leben.

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Der Eudämonismus (Aristoteles) sieht das Lebensziel darin, sich und Andere zu fördern, zu unterstützen, d. h., wenn man auf sein Leben schaut, kann der Schauende und seine Wegbegleiterinnen sagen: Ja, das war ein glückliches Leben, er hat sich etwas gegönnt, hat Andere unterstützt und die Welt ein Stück besser gemacht.

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Der Pessimist, der den eigenen Willen als Hindernis für Gutes ansieht und sich selbst deshalb zurücknimmt (Schopenhauer), orientiert sich daran, dass das meiste Unheil in der Welt durch einen starken Willen zustande gekommen ist.

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Die Differenzierung zwischen den ethischen Theorien:

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Axiologische Aussagen gehen von Werten aus, die in dieser Welt sind (Ontologie).

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Deontologische Aussagen behaupten, dass Handlungen an sich gut sind.

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Teleologische Aussagen bestimmen das Gut anhand der Folgen, die durch das Handeln entstehen.

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Tugendhafte Aussagen erfordern das Anerkenntnis der Einzigartigkeit einer Situation und fordern dazu auf, das Bestmögliche unter Abwägung wahrnehmbarer Erkenntnisse erreichen zu wollen.

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Die Begründungen der Ethik:

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Der Kognitivismus geht davon aus, dass die ethischen Aussagen wahr und rational begründbar sind (z. B. das Töten von Menschen ist nicht erlaubt).

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Der Nonkognitivismus bestreitet im Kern den »Wahrheitsgehalt« dieser Aussagen (Skeptizismus) und behaupten, dass sich ethische Aussagen auf drei unterschiedliche Ursachen zurückführen lassen:Gefühle (Emotivismus)persönlichen Dispositionen (Dezisionismus)eine disziplinierende Funktion der Normen (Präskriptismus).

Alle metaethischen Positionen führen letztendlich dazu, dass jede ethische Aussage begründungsnotwendig ist, und zwar ungeachtet der Tatsache, ob es eine ontologische Wahrheit von einem Gut in der Welt gibt oder nicht (vgl. Scarano 2002, 25 – 35; Werner 2021, 195 – 227). Jedoch stehen noch zwei besondere metatheoretische Fragen zur Beantwortung an: Was ist eine »gute« Handlung? Und was ist das »Gesollte«?

2.4 Anwendungsübungen

Übung 1

Stellen Sie sich vor, Sie erleben folgende Situation:

Bei einer aufsuchenden Betreuung werden Sie vor Betreten der Wohnung gebeten, die Schuhe auszuziehen. Nachdem Sie diesem Wunsch entsprochen haben, begrüßen Sie die anwesenden Personen nicht mit Handschlag, sondern mit einer asiatischen Begrüßungsgeste. Den angebotenen Tee nehmen Sie dankbar entgegen und beginnen Ihr Beratungsgespräch.

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Welche Werte und Normen werden hier angesprochen?

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Auf welche Moralität verweist das Verhalten der betreuenden Person?

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Welche Moralen könnten hier aufeinandertreffen?

Übung 2

Stellen Sie sich folgende Situation vor:

6 Uhr, der Wecker klingelt, Sie drücken den Wecker aus und denken: Soll ich zur Arbeit gehen oder lieber liegen bleiben? Sie haben keine Lust und sind sehr müde, wohlwissend, dass auf der Arbeit heute wieder viel los ist. Aber ...

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Welche zwei Aspekte einer Moralität treffen hier aufeinander?

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Was beeinflusst die Entscheidung?

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Welche moralische Pflicht besteht?

Übung 3

Beurteilen Sie folgende Aussagen:

Sie haben eine 16-jährige Tochter, die auf eine Party gehen möchte, die aber erst um 22 Uhr beginnt und bis 2 Uhr angesetzt ist. Ihre Tochter argumentiert folgendermaßen:Das ist mir ganz wichtig, weil alle hingehen und ich nicht eine Außenseiterin sein möchte.Ich werde pünktlich zurück sein und keinen Alkohol oder Drogen konsumieren.Und außerdem sind die Eltern von ... da, die die Aufsicht übernehmen, ihr könnt sie gerne anrufen.

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Welche Begründungsposition vertreten Sie als Eltern und welche als Ihre Tochter?

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Welche ethischen Theorien werden hier wie relevant?

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Welche Zielperspektiven der Ethik können hier deutlich werden?

3 Deskriptive Ethik

3.1 Moral

Moral als Praxis der zwischenmenschlichen Handlungskoordination nimmt eine Mittelstellung zwischen Normen und Kultur ein. Hierbei umfasst die Moral die Summe der Normen in einem Lebensbereich einer Praxis. Neben diesem normorientierten Regelwerk beinhaltet das Moralsystem des Weiteren einen gemeinsam geteilten Werte- und Sinnhorizont (Ethos). Die Normen sowie der Sinn- und Wertehorizont regulieren das Zusammenleben in der jeweiligen moralischen Praxis. Hierbei tritt die Moral beobachtungstechnisch durch gleichförmige Lebensvollzüge ihrer Mitglieder innerhalb der Gruppe in Erscheinung. Moral wird zu einer speziellen Antwort, wie eine Handlungsanforderung zu erledigen ist (vgl. Knoepffler 2010, 19 ff.; Pieper 2007, 30 ff.). Beispielsweise kann beobachtet werden, dass Menschen auf einer belebten Einkaufsstraße in Deutschland »Rechtsverkehr« praktizieren oder beim Einkaufen sich am Ende einer Schlange einreihen. Zugleich ist aber auch feststellbar, dass einige Menschen dies nicht beachten und gegen den Strom in der Einkaufsstraße gehen oder versuchen, beim Einkaufen an der Schlange vorbeizukommen bzw. sich vorzudrängeln. Die Moral als Summe der Verhaltenserwartungen, die eine gleichförmige Handlungskoordination innerhalb einer Gruppe und zwischen Gruppen ermöglicht, ist einerseits auf eine »Praxis« zu beziehen und andererseits soziologisch aufzuklären – wieso es so ist, wie es geschieht. Moral ist im Leben, hat dort seinen Platz, ist statisch und dynamisch zugleich (kann sich wandeln), wird nicht theoretisch konstruiert, sondern bildet sich in der jeweiligen Praxis aus dem Handlungsgeschehen heraus.

In der Abgrenzung von Moral steht Kultur, ein Begriff, der auch vielfältig definiert und vielschichtig erläutert werden kann. Der Kultursoziologe Gunnar Otte (2019, 79 f.) trifft in dem Zusammenhang fünf grundlegende Aussagen:

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Die Kultur wird der Natur gegenübergestellt und erfasst alles menschlich Geschaffene als Kulturleistung.

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Die Kultur erfasst nicht die realen Lebensvollzüge der Menschen, sondern wird durch die Summe der gleichförmig ausgeführten Moralen einer definierten Praxis konstituiert.

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Die Kultur erfasst daher über die vielen Moralen ein allgemein abstrakt Gelebtes und ist nicht an Bedingungen gebunden.

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Die Bedeutungszuschreibung des Kulturellen (Cultural Turn), also warum die Menschen was, wie und womit gleichförmig machen, bildet die Basis einer Kulturgemeinschaft.

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Kultur hat Sinn, verweist auf einen Wertehorizont und repräsentiert einen Orientierungsrahmen.

Exemplarisch kann hier der wechselseitige Zusammenhang zwischen Normen, Moral und Kultur (▸ Abb. 4