Evolution der Leere - Peter F. Hamilton - E-Book
SONDERANGEBOT

Evolution der Leere E-Book

Peter F. Hamilton

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Millionen Pilger sind mit ihren Ultra-Antriebsschiffen auf dem Weg ins Zentrum der Galaxis - in die "Leere". Dort, so ihr Glaube, erwartet sie ein perfektes Leben in einer perfekten Welt. Doch der Preis dafür könnte nicht höher sein. Einige setzen alles daran, die Pilger zu stoppen, wie etwa Gore Burnelli, ältester und einflussreichster lebender Vertreter der Menschheit, der die Jahrtausende vorbeiziehen sah; oder Oscar Monroe, der Märtyrer, der sich schon einmal für das Commonwealth opferte; oder die gnadenlose Ermittlerin Paula Myo, unermüdlich und unaufhaltsam. In ihren Händen liegt es, die Galaxis zu retten. Doch die Zeit ist nicht ihr Verbündeter ...

Der packende Abschluss des VOID-Zyklus, der spannungsgeladenen Space Opera des Bestseller-Autors Peter F. Hamilton.

Band 1: Träumende Leere
Band 2: Schwarze Welt
Band 3: Im Sog der Zeit
Band 4: Evolution der Leere

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.



Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1244

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

1

Justine: Reset Jahr drei

2

Inigos sechzehnter Traum

Zwei Minuten später war alles vorbei.

3

Inigos einundzwanzigster Traum

4

Inigos sechsundzwanzigster Traum

5

Inigos neunundzwanzigster Traum

6

Inigos dreiunddreißigster Traum

7

Inigos siebenundvierzigster Traum: Der Triumph des Waterwalkers

8

Inigos letzter Traum

9

Justine: Jahr fünfundvierzig

10

Justine: Jahr fünfundvierzig, Tag einunddreißig

11

12

Über den Autor

Alle Titel des Autors bei Bastei Lübbe

Impressum

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass du dich für ein Buch von beTHRILLED entschieden hast. Damit du mit jedem unserer Krimis und Thriller spannende Lesestunden genießen kannst, haben wir die Bücher in unserem Programm sorgfältig ausgewählt und lektoriert.

Wir freuen uns, wenn du Teil der beTHRILLED-Community werden und dich mit uns und anderen Krimi-Fans austauschen möchtest. Du findest uns unter be-thrilled.de oder auf Instagram und Facebook.

Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich auf be-thrilled.de/newsletter für unseren kostenlosen Newsletter an.

Spannende Lesestunden und viel Spaß beim Miträtseln!

Dein beTHRILLED-Team

Melde dich hier für unseren Newsletter an:

Über dieses Buch

Millionen Pilger sind mit ihren Ultra-Antriebsschiffen auf dem Weg ins Zentrum der Galaxis – in die »Leere«. Dort, so ihr Glaube, erwartet sie ein perfektes Leben in einer perfekten Welt. Doch der Preis dafür könnte nicht höher sein. Einige setzen alles daran, die Pilger zu stoppen, wie etwa Gore Burnelli, ältester und einflussreichster lebender Vertreter der Menschheit, der die Jahrtausende vorbeiziehen sah; oder Oscar Monroe, der Märtyrer, der sich schon einmal für das Commonwealth opferte; oder die gnadenlose Ermittlerin Paula Myo, unermüdlich und unaufhaltsam. In ihren Händen liegt es, die Galaxis zu retten. Doch die Zeit ist nicht ihr Verbündeter …

PETER F. HAMILTON

EVOLUTIONDER LEERE

Aus dem Englischen von Michael Neuhaus

Für Felix F. Hamilton,der zu Beginn der Void-Trilogie ankam.Keine Angst, Daddys Welt ist nicht wirklich so.

1

Das Raumschiff hatte keinen Namen. Auch keine Seriennummer, nicht einmal eine Markierung. Es war nur ein einziges seines Typs jemals konstruiert worden. Und da niemals ein weiteres gebraucht werden würde und eine Kennzeichnung unnötig war, war es schlicht und einfach: Das Schiff.

Mit neunundfünfzig Lichtjahren in der Stunde raste es durch die Substrukturen der Raumzeit, das schnellste fliegende Etwas, das je von Menschenhand gebaut worden war. Die Navigation bei dieser ungeheuren Geschwindigkeit geschah mittels Quanteninterstitien-Ähnlichkeitsinterpretation, durch die sich die relative Position von Masse draußen im realen Universum bestimmen ließ. Dies verringerte den Einsatz von ordinärem Sysradar oder irgendwelchen anderen Sensoren, die möglicherweise von außen erfasst werden konnten. Der extrem hochentwickelte Ultra-Antrieb, über den das Schiff verfügte, hätte vielleicht sogar noch höhere Geschwindigkeiten erreicht, wäre nicht ein beträchtlicher Teil seiner phänomenalen Energie zur Fluktuationsunterdrückung genutzt worden. Das bedeutete, dass es in den Quantenfeldern keine verräterischen Verzerrungen gab, die anderen Raumschiffen, welche die Absicht haben mochten, es zu verfolgen, seine Position preisgeben konnten.

Ebenso bemerkenswert wie seine hervorragende Tarnfähigkeit war die Größe des Schiffs: ein dicker Ovoid von hundert Metern Länge und zweihundert Metern Durchmesser in der Mitte. Doch sein wirklicher Vorzug lag in seiner Feuerkraft; es gab Waffen an Bord, die imstande waren, ein halbes Dutzend Commonwealth-Navy-Schiffe der Capital-Klasse auszuschalten, noch bevor diese dazu kamen, sich aus ihrem Standby-Modus herauszuwagen. Waffen, die nur ein einziges Mal erprobt worden waren. Um sie ohne die Gefahr einer Ortung zu testen, hatte das Schiff mehr als zehntausend Lichtjahre zwischen sich und das Commonwealth gebracht. Noch in Jahrtausenden würden die primitiven Alien-Zivilisationen in jenem Teil der Galaxis die schillernden Nebel, die sich über die interstellaren Öden ausdehnten, als Gottheiten verehren.

Selbst jetzt, da sie in der sterilen halbkugelförmigen Kabine des Schiffs saß und die bildliche Darstellung der Flugroute still in ihrer Exosicht spielte, sah Neskia die Sterne noch vor sich, wie sie mit einem fast ängstlichen Zittern auseinandergebrochen waren. Es war eine Sache, die geheime Fertigungsstation für die Accelerator-Fraktion zu leiten und dabei Schiffe und Geräte an diverse Agenten und Repräsentanten zu verteilen. Das war leicht: ein kaltes Räderwerk, das mit einer Präzision funktionierte, auf die sie stolz sein konnte. Doch die Waffen im Einsatz zu sehen, war ein kleines bisschen anders. Sie war von einer Unruhe erfüllt, wie sie sie seit über zweihundert Jahren nicht mehr verspürt hatte, seit damals, als sie Higher geworden war und ihre geistige Migration in die Wege geleitet hatte. Nicht, dass sie ihren Glauben an die Accelerators in Frage stellte, nein, es war einfach das schlichte Wirkungspotenzial der Waffen, das ihr auf irgendeiner primitiven Ebene, die sich nie gänzlich aus der menschlichen Psyche verbannen ließ, zu schaffen machte. Die gewaltige Schlagkraft, über die sie allein gebot, machte ihr Angst.

Andere Elemente ihrer tierhaften Vergangenheit dagegen waren still und erfolgreich ausgelöscht worden. In erster Linie durch Biononics und die Übernahme der Higher-Lebensphilosophie, was darin gipfelte, dass sie sich die Grundsätze der Accelerator-Fraktion zu eigen gemacht hatte. Dann hatte sie sich, wie um ihre neuen Überzeugungen zu unterstreichen, zu einer unterschwelligen Ablehnung ihrer bestehenden körperlichen Daseinsform bekannt. Ihre Haut changierte jetzt in einem metallischen Grau, die Epidermalzellen waren von einer zeitgemäßen semiorganischen Faser durchdrungen, die sich in perfekter Symbiose anpasste. Das Gesicht, das, als sie jung gewesen war, so viele Männer veranlasst hatte, sich bewundernd nach ihr umzusehen, hatte jetzt ein effizienteres, flacheres Profil; mit großen runden Augen, die modifiziert worden waren, um über eine Vielzahl an Spektren zu sehen. Außerdem war ihr Hals gestreckt worden, sodass dessen erhöhte Flexibilität ihrem Kopf nun eine wesentlich größere Beweglichkeit verlieh. Die Muskeln unter ihrer sanft schimmernden Haut waren auf ein Maß verstärkt worden, das es ihr erlaubte, es mit einem irdischen Panther im Beutejagdsprint aufzunehmen, und das noch bevor ihre biononischen Kräfte in Aktion getreten wären.

Doch die größte Entwicklung hatte ihr Geist durchlaufen. Sie hatte auf ein bioneurales Profiling verzichtet, ganz einfach, weil sie für ihre Überzeugungen keine genetische Festigung brauchte. Verehrung war für Denkprozesse ein unbeholfener Begriff, doch zweifellos war sie ihrer Sache voller Hingabe ergeben. Auf einer durch und durch emotionalen Ebene hatte sie sich den Accelerators völlig verschrieben. Die alten menschlichen Belange und biologischen Zwänge tangierten sie schlicht und einfach nicht mehr: Ihr Intellekt kreiste einzig und allein um die Fraktion und deren Ziele. In den letzten fünfzig Jahren waren die Projekte und Pläne der Fraktion das Einzige gewesen, das Befriedigung oder Leid in ihr ausgelöst hatte. Ihre Eingliederung war total, sie war der Inbegriff acceleratoreigener Werte. Das war der Grund dafür, warum sie ausgesucht worden war, das Schiff für die Fraktionsführerin, Ilanthe, auf dieser Mission zu fliegen. Das, und nur das, machte sie zufrieden.

Das Schiff begann abzubremsen, als sie sich den Koordinaten näherten, mit denen Neskia den Smartcore gefüttert hatte. Die Geschwindigkeit sank, bis es inaktiv in transdimensionaler Suspension hing, während die Navigationsdisplays das dreiundzwanzig Lichtjahre entfernte Sol-System anzeigten. Die Distanz war ausreichend. Sie befanden sich außerhalb des weitgespannten Sensorennetzes, das die Geburtswelt der Menschheit umgab, und sie konnte doch in weniger als dreißig Minuten dort sein.

Neskia befahl dem Smartcore, einen Passivscan durchzuführen. Abgesehen von interstellarem Staub und einem seltsamen kalten Kometen gab es innerhalb von drei Lichtjahren keinerlei erkennbare Masse. Dort waren mit Sicherheit keine Schiffe. Allerdings fing der Scan eine winzige eigentümliche Anomalie auf, die Neskia ein kleines selbstzufriedenes Lächeln abrang. Rings um das Schiff hielten sich Ultra-Antriebe in transdimensionaler Suspension, nicht zu orten außer für dieses eine, gezielte Signal. Man musste wissen, wonach man suchte, um es zu finden, und niemand würde hier draußen nach irgendwas suchen, ganz zu schweigen von Ultra-Antrieben. Das Schiff bestätigte, dass dort achttausend Maschinen Position hielten und auf Anweisungen warteten. Neskia stellte eine Kommunikationsverbindung zu ihnen her und führte eine rasche Funktionskontrolle durch. Der Schwarm war bereit.

Sie machte es sich bequem und wartete auf Ilanthes nächsten Anruf.

Die Sitzung des ExoProtectorate Council wurde geschlossen, und Kazimir unterbrach die Verbindung zu dem perzeptuellen Konferenzraum. Er war allein in seinem Büro oben im Pentagon II und wusste sich keinen Ausweg. Die Abschreckungsflotte musste losgeschickt werden – das war jetzt nicht mehr die Frage. Nur sie war in der Lage, mit der anrückenden Ocisen-Armada fertigzuwerden, ohne dass es auf beiden Seiten zu inakzeptablen Verlusten kam. Und wenn durchsickerte, dass die Ocisen von Prime-Schlachtschiffen unterstützt wurden … Und das würde es. Dafür würde Ilanthe schon sorgen.

Ich habe keine Wahl.

Ein letztes Mal glättete er, während er zu dem großen Panoramafenster hinüberging, die aufsässige silberne Kragentresse an seiner Ausgehuniform und blickte hinunter auf die üppige Parklandschaft des Babuyan Atoll. Ein sanftes Leuchten schimmerte auf ihn herab, ausgehend von der Kristallkuppel, die sich am Himmel über ihm spannte. Dennoch konnte Kazimir durch die simulierte Dämmerung noch Icalanises Sichel erkennen. Ein Anblick, den er während seiner Amtszeit unzählige Male geschaut hatte. Er hatte ihn immer als selbstverständlich genommen. Jetzt fragte er sich, ob er ihn wohl jemals wiedersehen würde. Für einen wahren Mann des Militärs war das kein ungewöhnlicher Gedanke, tatsächlich befand er sich damit in namhafter Gesellschaft.

Sein U-Shadow öffnete einen Link zu Paula. »Wir bringen die Abschreckungsflotte gegen die Ocisen in Stellung«, teilte er ihr mit.

»Oh je. Ich schätze, die letzte Kapermission hat also nicht funktioniert?«

»Nein. Das Prime-Schiff ist explodiert, als wir es aus dem Hyperraum geholt haben.«

»Verdammt. Suizid sieht den Prime gar nicht ähnlich.«

»Sie wissen das, ich weiß das. Und ANA:Regierung weiß es natürlich auch, aber wie immer braucht es Beweise, keine Indizien.«

»Werden Sie mit der Flotte fliegen?«

Kazimir konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Wenn du nur wüsstest. »Ja. Ich fliege mit.«

»Viel Glück. Ich möchte, dass Sie versuchen, den Spieß herumzudrehen. Die werden bestimmt da draußen sein und alles beobachten. Irgendeine Chance, dass Sie sie zuerst entdecken?«

»Wir werden’s auf jeden Fall versuchen.« Blinzelnd spähte er nach den Industriestationen, die den High Angel umkreisten, ein dünnes, glitzerndes Band vor dem Feld der Sterne. »Ich hab’ das von Ellezelin gehört.«

»Ja. Digby konnte nichts machen. ANA schickt ein forensisches Team. Wenn es ihnen gelingt herauszufinden, was Chatfield bei sich gehabt hat, können wir die Accelerators vielleicht vor Gericht schleppen, bevor Sie die Ocisen-Flotte erreichen.«

»Das glaube ich nicht. Aber ich habe ein paar Neuigkeiten für Sie.«

»Ja?«

»Die Lindau hat das Hanko-System verlassen.«

»Mit welchem Ziel?«

»Das ist eine höchst interessante Sache. Soweit ich es feststellen kann, sind sie zum Spike unterwegs.«

»Zum Spike? Sind Sie sicher?«

»Dafür spricht jedenfalls die Projektion ihres gegenwärtigen Kurses. Er ist inzwischen seit sieben Stunden stabil.«

»Aber das … Nein.«

»Warum nicht«, fragte Kazimir, leicht amüsiert über die Reaktion des Investigators.

»Ich glaube einfach nicht, dass Ozzie sich noch einmal in die Belange des Commonwealth einmischen würde, nicht so. Und er hat ganz gewiss niemals jemanden beschäftigt wie Aaron.«

»Okay, in dem Punkt gebe ich Ihnen recht. Aber es gibt noch andere Menschen im Spike.«

»Ja, stimmt. Wie wär’s mit einem Namen?«

Kazimir gab auf. »Wie ist also Ozzies Verbindung?«

»Keine Ahnung.«

»Die Lindau fliegt nicht so schnell, wie sie könnte. Wahrscheinlich ist sie auf Hanko beschädigt worden. Sie könnten spielend vor ihnen am Spike sein, oder sie sogar aufhalten.«

»Verlockend, aber darauf lasse ich mich nicht ein. Ich hab schon viel zu viel Zeit mit meinen persönlichen Obsessionen vergeudet, noch eine sinnlose Verfolgung kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr riskieren.«

»Na schön. Nun, ich werde in den nächsten paar Tagen ziemlich beschäftigt sein. Aber wenn es sich um einen echten Notfall handelt, können Sie mich jederzeit kontaktieren.«

»Danke. Zuallererst muss ich mich jetzt darum kümmern, den Zweiten Träumer zu finden.«

»Viel Glück damit.«

»Ihnen auch, Kazimir. Viel Erfolg.«

»Danke.« Nachdem er den Link zu Paula unterbrochen hatte, blieb er einige Sekunden am Fenster stehen. Dann aktivierte er seine biononische Feldinterface-Funktion, die mit der T-Sphäre der Navy vernetzt war. Er teleportierte zum Wurmlochterminus, der sich im Orbit um das gigantische Alien-Archenschiff befand, und kam über diesen wenig später an der Kerensk-Endstelle heraus. Ein weiterer Teleportsprung, und er befand sich in Hevelius Island, einer der schwebenden T-Sphären-Stationen der Erde, siebzig Kilometer über dem Südpazifik.

»Bereit«, teilte er ANA:Regierung mit.

ANA öffnete daraufhin das zugangsbeschränkte Wurmloch nach Proxima Centauri, vier Komma zwei Lichtjahre entfernt, und Kazimir trat hindurch.

Das Alpha-Centauri-System war, als Ozzie und Nigel dort 2053 ihr erstes Langstreckenwurmloch freigegeben hatten, eine herbe Enttäuschung gewesen. Angesichts der Doppelsterne der G- und K-Klasse und der Planeten, die mittels herkömmlicher Astronomie bereits entdeckt worden waren, hatte jedermann gehofft, dort H-kongruente, für die menschliche Besiedelung geeignete Welten zu finden. Es gab keine. Doch nachdem sie nun den Beweis erbracht hatten, dass es möglich war, Wurmlöcher über interstellare Distanzen einzurichten, fuhren Ozzie und Nigel damit fort, sich Gelder für die Company zu sichern, die bald schon zu Compression Space Transport wurde und den Grundstein für das Commonwealth legte. Nach Alpha Centauri kehrte niemand je zurück, und im Proxima-Centauri-System war nie jemand überhaupt gewesen. Mit seinem kleinen M-Klasse-Stern würde es niemals einen H-kongruenten Planeten besitzen. Und genau das hatte es für ANA zum idealen Ort gemacht, die »Abschreckungsflotte« zu bauen und zu stationieren.

Kazimir materialisierte im Zentrum einer schlichten durchsichtigen Kuppel mit einem Durchmesser von zwei Kilometern an der Basis. Ein winziges Bläschen auf der Oberfläche eines öden, luftlosen Planeten, der in einer Entfernung von fünfzig Millionen Kilometern seine Umlaufbahn um den kleinen roten Zwerg zog. Die Schwerkraft betrug etwa zwei Drittel Standard. Niedrige Hügel schufen ringsum einen zerknitterten Horizont. Der graubraune Regolith verkleckste unter Proximas wirkungsloser Strahlung zu einem trostlosen Rostrot.

Seine Füße standen auf etwas, das mattes, graues Metall zu sein schien. Nur dass sich die nichtssagende Fläche jedes Mal, wenn er versuchte, seinen Schwerpunkt zu verlagern, wegbog, so als würde irgendetwas seine Stiefelsohlen von der physikalischen Struktur trennen. Seine biononische Feldscanfunktion verriet ihm, dass sich um ihn herum gewaltige Kräfte zu regen und aus dem eigenartigen Boden nach oben zu steigen begannen.

»Sind Sie bereit?«, fragte ANA:Regierung.

Kazimir biss die Zähne zusammen. »Tun Sie’s.«

Wie Kazimir sowohl Gore als auch Paula versichert hatte, war die Abschreckungsflotte kein Bluff. Sie stellte den Höchststand von ANAs technologischen Fähigkeiten dar und konnte sich durchaus mit den Schiffen der Krieger-Raiel messen. Trotzdem musste er zugeben, dass es eine leichte Übertreibung war, sie eine Flotte zu nennen.

Zwangsläufig hatte sich die Frage gestellt, wem man ein so enormes Aufgebot an Feuerkraft anvertrauen sollte. Je mehr Crewmitglieder involviert waren, umso größer war die Wahrscheinlichkeit eines Missbrauchs oder einer Unterwanderung durch eine der Fraktionen. Ironischerweise lieferte die Technologie selbst die Antwort. Sie bedurfte nur eines einzigen steuernden Bewusstseins. ANA lehnte es aus ethischen Gründen ab, das Kommando selbst zu übernehmen, da dies in Essenz bedeutet hätte, zu Allmacht aufzusteigen. Also fiel die Aufgabe immer dem Chief Admiral zu.

Die Kräfte im Innern der Basis schwärmten um Kazimir herum, stürzten wie eine Flutwelle auf ihn ein; lasen ihn auf einem Quantenniveau aus und konvertierten dann die Erinnerung. Kazimir veränderte sich: Seine rein stoffliche Struktur verwandelte sich in eine äquivalente energetische Funktion, verkapselt in einem einzigen Punkt, der in die Raumzeit eindrang. Seine »Masse«, die Energiesignatur, die er erhalten hatte, war tief in die Quantenfelder gehüllt; sie machte sich ein ähnliches Konstruktionsprinzip zunutze wie das von ANA selbst. Die Signatur enthielt sein Bewusstsein und seine Erinnerung sowie einige wesentliche Manipulator- und Sinnesfähigkeiten, und anders als ANA war sie kein Fixpunkt.

Mit seinen neuen Wahrnehmungsfunktionen untersuchte Kazimir das interspatiale Gitter, das ihn augenblicklich umgab, und sichtete die wartende Menge transformierter Funktionen, die in der komplexen Exotische-Materie-Vorrichtung der Kuppel abgespeichert waren. Er suchte sich die heraus, die er für seine Mission vielleicht benötigen würde, und band sie in seine eigene Signatur ein: ein Vorgang, den er immer mit der Prozedur verglich, wenn ein Soldat aus grauer Vorzeit durch eine Rüstkammer ging und Waffen und Schilde aus den Regalfächern zog.

Schlussendlich integrierte er achthundertsiebzehn Funktionen in seine Primärsignatur. Funktion siebenundzwanzig war eine FTL-Tauglichkeit, die es ihm gestattete, seine komplette Energiesignatur durch den Hyperraum zu bewegen. Da er in dem Sinne keine Masse mehr besaß, würde die Geschwindigkeit, die er erreichen konnte, um ein Zigfaches über der eines Ultra-Antriebs liegen.

Kazimir startete von dem namenlosen Planeten und nahm mit hundert Lichtjahren in der Stunde Kurs auf die Flotte der Ocisen. Dann beschleunigte er.

Der Delivery Man lächelte dem Steward zu, der durch die Kabine ging und die Getränke der Passagiere einsammelte, während das Schiff sich auf den Eintritt in die Planetenatmosphäre vorbereitete. Eigentlich war dies ein Job, der eher einem Bot oder einem eingebauten Abfallschacht angestanden hätte. Aber die Linienfluggesellschaften unterhielten stets eine menschliche Crew. Die überwältigende Mehrheit der Menschen (der Non-Higher jedenfalls) schätzte dieses bisschen persönlichen Kontakt während der Reise. Außerdem sorgte eine menschliche Belegschaft für einen zusätzlichen Hauch von Noblesse, von Vornehmheit einer längst vergangenen Epoche.

Als die Atmosphäre um sie herum dichter wurde, griff er auf die Schiffssensoren zu. Es regnete auf Fanallistos zweitgrößtem südlichen Kontinent. Eine gewaltige Masse metallisch grauer Wolken begleitete ihren Weg landeinwärts, von Winden gepeitscht, die über den leeren Weiten der antarktischen See eine beängstigende Geschwindigkeit aufgebaut hatten. Städte schalteten die Kraftfelder ihrer Wetterkuppeln ein, so heftig war der Regen. Flutwarnungen gingen an die expandierenden Agrarzonen heraus.

Fanallisto befand sich in seinem zweiten Jahrhundert der Erschließung. Ein hinreichend freundlicher Planet, unscheinbar am Sternenzelt der Externen Welten. Er besaß eine Bevölkerung von zehn Millionen, konzentriert auf relativ reizlose urbane Regionen. In jeder von ihnen gab es einen offiziellen Living-Dream-Repräsentanten sowie eine beträchtliche Anzahl von Jüngern. Die geplante Pilgerfahrt rief bei den Einwohnern ein hohes Maß an Spannungen und Unfrieden hervor, eine Situation, die durch die jüngsten Ereignisse auf Viotia nicht eben entschärft wurde. Mit jedem Tag, den die Krise andauerte, nahm die Zahl der tätlichen Übergriffe auf die Gefolgsleute von Living Dream zu.

An sich stellte das nichts Außergewöhnliches dar. Dergleichen Konflikte griffen im gesamten Commonwealth zunehmend um sich. Allerdings waren den Ausschreitungen auf Fanallisto in mehreren Fällen Menschen, die über Biononics verfügten, entgegengetreten. Und daher hätte die Conservative-Fraktion liebend gerne gewusst, was denn so Besonderes an Fanallisto war, dass es der Hilfe und des Schutzes mutmaßlicher Accelerator-Agenten bedurfte.

Wie er der Fraktion unmissverständlich klar gemacht hatte, war das dem Delivery Man völlig egal. Ungeachtet dessen befand sich jedoch derzeit ein Agent der Conservative-Fraktion auf Fanallisto, und die Standardvorschriften für Feldeinsätze sahen vor, für eine unabhängige Rückzugsunterstützung zu sorgen. Das war der Grund, warum der Delivery Man vom Purlap-Raumhafen nicht direkt zurück nach London geflogen war. Stattdessen hatte er einen Flug nach Trangor genommen und das nächste Raumschiff nach Fanallisto erwischt. Wenigstens war er nicht Teil der aktiven Operation. Der andere Agent wusste nicht einmal, dass er auf dem Weg war.

Der Linienraumer sank durch die durchnässte Atmosphäre und landete auf dem Raumhafen von Rapall. Zusammen mit den anderen Passagieren ging der Delivery Man von Bord und holte in der Abfertigungshalle sein Gepäck ab. Auf Regrav schwebten die beiden mittelgroßen Koffer hinter ihm her und verstauten sich eigenständig im Frachtraum eines Taxis. Sodann befahl er dem Taxi, ihn in das Gewerbegebiet der Stadt zu bringen, eine kurze Fahrt in der kleinen Regrav-Kapsel, während sie unter der Kraftfeldkuppel umherflitzte. Von dort aus begab er sich zu Fuß zu einem weiteren Taxistand und flog, eine andere Identität benutzend, hinüber zum Foxglove-Hotel auf der Ostseite der Stadt.

Einen dritten Identitätsnachweis und einen nicht rückverfolgbaren Credit-Jeton verwendend, mit dem er für zehn Tage im Voraus bezahlte, checkte er ein für Zimmer 225. Er brauchte knapp vier Minuten, um den Cybersphären-Nodus des Raumes zu infiltrieren, in den er diverse Routinen installierte, die das Zimmer so aussehen ließen, als würde es benutzt. Ein hübscher professioneller Touch, wie er fand. Die kleine Kücheneinheit würde Mahlzeiten produzieren, die der Maidbot dann morgens, wenn er seinen täglichen Besuch abstattete, um das Zimmer herzurichten, in der Toilette herunterspülte. Die Sporendusche würde zum Einsatz kommen, ebenso wie einige andere Sanitärvorrichtungen; die Raumtemperatur würde von der Klimaanlage gesenkt und angehoben werden und der Nodus über die Unisphäre ein paar Anrufe tätigen. Der Energieverbrauch würde schwanken.

Anschließend schob er zum Schein seine beiden Koffer in den einzelnen Schrank und schaltete ihren Sicherungsmechanismus ein. Was immer sich auch in ihnen befand, er wollte es gar nicht wissen; obwohl er auf ziemlich offensives Einsatzgerät tippte. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sie ordnungsgemäß funktionierten, verließ er das Zimmer und rief sich ein Taxi vor die Lobby des Hotels. Nicht er würde hierher zurückkehren, um die Koffer abzuholen – das würde ein Muster ergeben. Er war froh und dankbar für diese Einsatzvorschrift. Nach Justines letztem Traum wollte er nur noch zu seiner Familie zurück. Er hatte bereits entschieden, in den nächsten paar Wochen jedes weitere Ansinnen der Conservative-Fraktion rigoros abzulehnen, ganz egal, welches Horrorszenario sie ihm ausmalten und wie nett sie ihn baten. Die Ereignisse liefen auf einen Höhepunkt zu, und da gab es nur einen Ort, an dem ein richtiger Vater jetzt sein sollte.

Die Glasschleiertüren der Lobby teilten sich und ließen ihn hindurch. Das Taxi wartete bereits auf ihn, ein paar Zentimeter über dem Betonfeld draußen schwebend. Er hatte es noch nicht ganz erreicht, als die Conservative-Fraktion anrief.

Ich werde nein sagen, schwor er sich. Was immer es ist.

Er setzte sich in den geschwungenen Sitz des Taxis, gab dem Smartcore die Anweisung, ihn ins Stadtzentrum zu bringen, und nahm dann den Anruf entgegen. »Ja?«

»Die Abschreckungsflotte ist auf dem Weg«, sagte die Conservative-Fraktion.

»Es wundert mich, dass es so lange gedauert hat. Die Leute werden langsam nervös wegen der Ocisen, und sie wissen noch nicht einmal von den Prime.«

»Wir glauben, dass der ganze Einsatz von den Accelerators forciert worden ist.«

»Warum? Was könnten sie davon haben?«

»Sie würden endlich erfahren, worum es sich bei der Abschreckungsflotte genau handelt.«

»Okay, und inwieweit hilft ihnen das?«

»Das wissen wir nicht. Aber es muss äußerst wichtig für ihre Pläne sein. Sie haben beinahe alles riskiert, damit dieser Fall eintritt.«

»Das Spiel ändert sich«, erwiderte der Delivery Man matt. »Das hat Marius zu mir gesagt: Das Spiel ändert sich. Ich dachte, er würde von Hanko reden.«

»Offensichtlich nicht.«

»Dann treten wir also wirklich in eine kritische Phase?«

»So sieht es aus.«

Augenblicklich wurde der Delivery Man argwöhnisch. »Ich übernehme nichts mehr für euch. Nicht im Moment.«

»Das wissen wir. Deshalb rufen wir an. Wir denken, dass Sie es verdient haben, davon zu erfahren. Wir können nachvollziehen, wie viel Ihnen Ihre Familie bedeutet und dass Sie bei ihr sein möchten.«

»Ah. Danke.«

»Wenn Sie wieder in einen aktiveren Status zurückkehren wollen –«

»Lasse ich’s Sie wissen. Hat mein Ersatzmann Marius’ Verfolgung übernommen?«

»Einsatzinformationen unterliegen der Geheimhaltung.«

»Natürlich. Tut mir leid.«

»Nochmals vielen Dank für Ihre Hilfe.«

Der Delivery Man setzte sich auf, als das Gespräch abrupt endete. »Verdammt.« Die Abschreckungsflotte! Die Sache wurde langsam ernst, um nicht zu sagen potenziell tödlich. Er befahl dem Taxi, auf direktem Wege zum Raumhafen zu fliegen. Zum Teufel mit der Vorschrift. Der Flug, der für seine Abreise gebucht war, würde erst in zwei Stunden gehen. Binnen kürzester Zeit machte sein U-Shadow das erste Schiff zu einer Zentralwelt aus. Ein PanCephei-Line-Flug nach Gralmond, Start in fünfunddreißig Minuten. Der U-Shadow schaffte es, ihm einen Platz zu reservieren und entrichtete einen gigantischen Aufschlag, um ihm die letzte Erste-Klasse-Ruhekabine zu sichern, doch der Flug würde zwanzig Stunden dauern. Dann noch mal zwanzig Minuten, um über die Verbindungswurmlöcher die Erde zu erreichen, und in etwas mehr als einundzwanzig Stunden wäre er wieder zu Hause in London.

Das ist bestimmt noch früh genug. Oder?

Araminta hatte so verzweifelt aus Colwyn City herauskommen wollen, dass sie tatsächlich nicht einen Gedanken an die praktische Seite eines Wandelns zwischen Welten auf den Pfaden der Silfen verschwendet hatte. Die Vorstellung, durch geheimnisvolle Wälder mit sonnigen Lichtungen zu schlendern, entbehrte nicht einer gewissen Romantik, und auch der Gedanke, damit Living Dream und dem Bastard von Kleriker-Conservator Ethan den dritten Finger zu zeigen, war nicht ohne Reiz. Trotzdem, hätte sie nur einen Moment nachgedacht, hätte sie sich das, was sie am Leibe trug, bestimmt ein klein wenig sorgfältiger ausgesucht, und ganz gewiss hätte sie sich auch für ein Paar festere Stiefel entschieden. Und dann war da noch die Sache mit dem Proviant.

Nichts von dem wurde ihr während der ersten fünfzig Minuten, die sie sorglos durch das kleine Dickicht zu Tal spazierte, in dem der Pfad aus dem Francola-Wald herausgekommen war, bewusst. Sie staunte einfach nur über das eigene Glück, darüber, wie sie es geschafft hatte, ihre missliche Lage am Ende doch noch zu wenden.

Finde heraus, was du willst, hatte Laril zu ihr gesagt.

Und genau das mache ich gerade. Ich nehme mein Leben wieder selbst in die Hand.

Dann war das Quartett von Monden hinter dem Horizont versunken. Lächelnd hatte sie zugesehen, wie sie sich verabschiedeten, sich gefragt, wie lange es wohl dauerte, bis sie wieder auftauchen würden. Das Himmelszelt wanderte schnell, also würden sie diese Welt wohl mehrere Male am Tag umrunden. Als sie sich umdrehte, um den Horizont gegenüber zu prüfen, verblasste ihr Lächeln schlagartig angesichts der dicken, unerfreulich schwarzen Wolkenbank, die sich über den luftigen Hügeln am Rande des Tals zusammenzog. Zehn Minuten später hatte sie der Regen erreicht, eine erbarmungslose Sturzflut, die sie binnen Sekunden durchnässte. Ihre bequeme, alte Vliesjacke vermochte sie zwar vor leichtem Niesel zu schützen, doch für einen Wolkenbruch, der an einen Monsunregen heranreichte, war sie nicht gemacht. Nichtsdestotrotz schob sich Araminta die klatschnassen Haarsträhnen aus dem Gesicht und stapfte tapfer weiter, kaum in der Lage, mehr als hundert Meter weit zu sehen. Stiefel mit viel zu dünnen Sohlen glitten auf dem jetzt gefährlich rutschigen Gras-Äquivalent beständig aus. Als sie das Gefälle hinter sich gebracht hatte und am Talgrund angekommen war, verbrachte sie die Hälfte der Zeit in geduckter Haltung wie ein Gorilla, um sich langsam ihren Weg vorwärts zu kämpfen. Das war in den ersten drei Stunden.

Sie ging den ganzen Tag weiter, durchquerte das weite, öde Tal, während die Wolken sich unter Donnergrollen verzogen. Das orangefarbene Sonnenlicht half zwar, ihre Vliesjacke und Hosen zu trocknen, doch ihre Unterwäsche blieb lange Zeit klamm. Schon bald begann der Stoff, auf der Haut zu scheuern. Dann kam sie an einen breiten, mäandernden Fluss.

Das Ufer auf ihrer Seite des Tals war beunruhigend sumpfig. Wie es aussah, benutzten die Silfen keine Boote. Auch eine Furt war weit und breit nicht zu sehen, nicht einmal Trittsteine. Und überhaupt wollte ihr ganz und gar nicht gefallen, wie rasch das glitzernde Wasser dahinströmte. Sie biss die Zähne zusammen und setzte sich am Ufer flussabwärts in Bewegung. Nach einer halben Stunde fügte sie sich in die Erkenntnis, dass es keinen wie auch immer gearteten Übergang auf die andere Seite gab. Es half nichts – wenn sie über den Fluss wollte, würde sie hindurchwaten müssen.

Araminta zog sich Jacke, Hose und Bluse aus und schnürte alles mit ihrem treuen Werkzeuggürtel zusammen – auf keinen Fall würde sie die Sachen zurücklassen, selbst dann nicht, wenn sie gezwungen sein sollte zu schwimmen.

Das dicke Bündel über den Kopf haltend, watete sie in den Fluss. Dessen Grund war glitschig, das Wasser eisig genug, ihr den Atem zu rauben, und die Strömung beängstigend brutal. In der Mitte reichte ihr das Wasser fast bis zum Schlüsselbein, aber einmal mehr biss sie die Zähne zusammen und ging weiter.

Ihre Haut war vollkommen taub, als sie schließlich auf der anderen Seite ans Ufer taumelte. Das Zittern war so heftig, dass sie nicht einmal mehr das Kleiderbündel aufbekam, das jetzt ihre einzigen Besitztümer im Universum enthielt. Eine ganze Weile kauerte sie sich abwechselnd heftig fröstelnd zusammen oder machte mit schlenkernden Armen einige Schritte. Schließlich begannen ihre Finger, ihr wieder zu gehorchen. Ihre Haut war immer noch fürchterlich blass, als sie ihre zitternden Glieder wieder in die Kleider zwang.

Das Gehen wärmte sie nicht merklich auf. Und auch den Waldrand auf der anderen Seite des Tals erreichte sie nicht vor Einbruch der Nacht. Neben einem kleinen Felsen rollte sie sich zusammen und schlotterte sich in einen unruhigen Schlaf. Es regnete zweimal in dieser Nacht.

Am Morgen wurde ihr langsam schmerzlich bewusst, dass sie nichts zu essen hatte. Ihr Magen knurrte vernehmlich, als sie sich über ein kleines Wasserrinnsal beugte, das um einen Felsen herum floss. Gierig schlürfte sie die eiskalte Flüssigkeit in sich hinein. Sie konnte sich nicht erinnern, sich jemals so elend gefühlt zu haben; nicht an dem Tag, an dem sie Laril verlassen hatte, und auch nicht, als sie hatte mit ansehen müssen, wie ihre Apartments in Flammen aufgegangen waren. Dies hier war einfach erbärmlich. Und schlimmer noch, sie war sich noch nie so allein vorgekommen. Das hier war nicht einmal eine menschliche Welt. Wenn irgendetwas schiefging, irgendetwas so Banales wie ein verknackster Knöchel oder ein unglücklich verletztes Knie, gab es keinen Notdienst, den sie anrufen konnte, innerhalb von Lichtjahren keine Hilfe. Dann konnte sie sich in diesem Tal einfach nur noch auf den Boden legen und verhungern.

Bei dem Gedanken daran und an das Risiko, das sie am vergangenen Tag auf sich genommen hatte, indem sie durch den Fluss gewatet war, fingen ihre Glieder erneut an zu zittern. Verzögerter Schock, diagnostizierte sie, sowohl von der Durchquerung des Flusses wie von dem entsetzlichen Gefecht im Bodant Park herrührend.

Danach war sie um einiges vorsichtiger, als sie zu der Baumlinie hoch oben hinaufstieg. Allerdings war immer noch nirgendwo eine Spur von etwas Essbarem zu sehen. Am Boden wuchs lediglich gelbliches Gras mit Tupfern aus kleinen, lavendelfarbenen Blüten.

Während sie bedrückt weitertrottete, versuchte sie, sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was sie je über die Silfenpfade gehört hatte. Es war nicht viel. Selbst die Universalenzyklopädie in ihrer Speicherlakune enthielt mehr Mythologie als Fakten zu diesem Thema. Sie existierten, es gab jedoch keine Karte von ihnen, und ein paar menschliche Geschichtsforscher hatten sich aus verschiedenen persönlichen oder irrationalen Motiven auf ihnen auf die Reise gemacht – nur von wenigen hatte man je wieder gehört. Abgesehen von Ozzie natürlich. Jetzt, da sie darüber nachdachte, hatte sie geahnt, dass er ein Silfen-Freund war. Und das war Mellanie auch, wer immer sie auch sonst gewesen sein mag. Araminta hätte sich in den Hintern beißen können, dass sie nicht einmal eine simple Recherche mit ihrem U-Shadow durchgeführt hatte. Es war über eine Woche her, dass Cressida ihr von ihrer Abstammung erzählt hatte, und sie hatte es nicht für nötig befunden, mehr darüber in Erfahrung zu bringen, hatte nicht eine einzige Frage gestellt. Wie dämlich.

Bei dem Gedanken an Cressida riss sie sich zusammen. Cressida würde niemals aufgeben oder in einem Anfall von Selbstmitleid versinken. Und mit ihr bin ich genauso verwandt.

Also fing sie an, in Gedanken eine Liste von positiveren Aspekten aufzustellen, während sie weiter auf das Waldstück zuhielt, wo, wie sie sicher war, der nächste Pfad begann. Zunächst einmal konnte sie Pfade erspüren, was bedeutete, dass diese strapaziöse Reise irgendwann ein Ende haben würde. Das war doch schon mal was. Dass sie nichts zu essen hatte, war dumm, aber sie besaß ein starkes Advancer-Erbgut; und dessen Sinn und Zweck war es, den Menschen dazu zu befähigen, in der Galaxis zu überleben. Wie sie in ihrer Kindheit auf der Farm gelernt hatte, wo sie, ihr Bruder und ihre Schwestern beim »Wer-traut-sich-was«-Spielen alles Mögliche angeknabbert hatten, war es relativ schwierig für einen Advancer, sich mit außerirdischer Vegetation zu vergiften. Ihre Geschmacksnerven konnten sehr gut erkennen, was gefährlich war und was nicht. Und solange eine Pflanze nicht gerade extrem toxisch war, konnte ihr Metabolismus sie wahrscheinlich verkraften.

Trotzdem gefiel ihr das Gras auf dem Berg überhaupt nicht.

Ich werde bis zum nächsten Planeten warten, bevor ich zu solchen Maßnahmen greife.

Als sie die ersten moosbewachsenen Bäume erreichte, wurde die Luft spürbar kälter. Von weiter talabwärts zogen dicke Ambosswolken auf sie zu. Regen bei dieser Temperatur hatte ihr gerade noch gefehlt.

Sie ging tiefer in den Wald. Lange, honigbraune Blätter zitterten über ihrem Kopf an den Ästen. Kleine weiße Spindeln wie Spinnengespinste lugten durch das Gras unter ihr. Je weiter sie voranschritt, umso unbewegter wurde die Luft zwischen den Bäumen. Ihre Zuversicht wuchs. Irgendwo in ihrem Bewusstsein konnte sie spüren, wie die Veränderungen einsetzten. Als sie nach oben sah, zeigten die spärlichen Himmelsflecken, die sie durch das Astgewirr erspähte, ein leichtes Türkis, was ermutigend war. Auf jeden Fall war es heller und einladender als die Wolkenfront über den Bergen.

Tief im Gaiafield, oder dem Tagtraum des Silfen-Mutterholms – was immer das auch für ein Reich war, durch das ihr Geist derzeit trieb –, spürte sie, wie sich die Welt um sie herum fast unmerklich verformte. Der Pfad war in permanenter Bewegung, besaß weder fixen Anfang noch Ende – er war eine Straße, die auf die Wünsche des Reisenden reagierte. Obgleich unfassbar weit entfernt, war da ein Bewusstsein, das sie zu beobachten schien. Das war der Moment, in dem sie eine vage Vorstellung davon bekam, wie viele Entitäten sich auf den Pfaden befanden. Unzählige Millionen, alle frei umherziehend, einige mit Ziel, gelenkt von dem Wunsch, eine bestimmte Erfahrung zu machen, andere absichtslos und es den Pfaden überlassend, sie aufs Geratewohl durch die Galaxis zu tragen, um was auch immer zu finden und kennenzulernen.

Neue Bäume mit einer glatten, weißgrünen Rinde tauchten zwischen den moosbedeckten Stämmen auf. Ihre sattgrünen Blätter in den Kronen erinnerten Araminta an einen Laubwald im Frühling. Dann wimmelten Efeu und andere Klettergewächse die Stämme hinauf und ließen graue Blütenkaskaden erstehen.

Araminta ging weiter. Der Pfad wand sich an kleinen Hügeln vorbei und führte durch schmale Senken. Bäche plätscherten neben ihr dahin. Einmal konnte sie das Donnern eines großen Wasserfalls hören, aber offenkundig befand er sich nicht auf dem Pfad, also versuchte sie erst gar nicht, dem Geräusch zu folgen. Rote Blätter durchzogen das hellbraune Baumkronendach. Ihre Stiefel traten auf frisches Laub zwischen den Gräsern. Die Luft wurde trocken und warm.

Stunden nachdem sie das regnerische Tal hinter sich gelassen hatte, drang ein heiterer, mehrstimmiger Gesang in einer fremden Sprache an ihr Ohr. Es machte nichts, dass sie die Worte nicht verstand, die Harmonie war von bezaubernder Schönheit. Eine Weile blieb sie sogar stehen, um einfach nur zu lauschen. Es waren die Silfen, das wusste sie, eine größere Gruppe, frohgemut zu einer weiteren Welt unterwegs, die ihnen neue Anblicke und Aufregungen bot. Einen Moment lang wäre sie am liebsten losgerannt und hätte sich ihnen angeschlossen, um zu sehen, was sie sahen, um die Dinge so zu schauen wie sie. Doch dann drängte sich das Bild von Cressida – klug, selbstbewusst, zielstrebig – in ihr Bewusstsein, und beschämt gestand sie sich ein, dass es nicht die Lösung sein konnte, mit einem Haufen Alien-Elfen auf und davon zu ziehen. Widerstrebend setzte sie sich wieder in Bewegung. Irgendwo weit vor ihr befand sich eine Commonwealth-Welt, da war sie sich sicher; auch wenn der Pfad heutigentags wenig genutzt wurde. Die Silfen kümmerten sich nicht um Planeten, auf denen andere Zivilisationen entstanden; zumindest nicht oberhalb eines bestimmten technologischen Levels.

Araminta seufzte erleichtert auf, als sich der Wald endlich lichtete. Über ihr war es weiß und hell, und mit jedem Schritt, den sie voranging, wurde es wärmer. Die Bäume mit den roten Blättern waren jetzt in der Mehrzahl. Ihre hellgrauen Äste waren schlank und wuchsen weit auseinander. Als sie zu ihnen hochblickte, konnte sie erkennen, wie dick und wachsartig die Blätter waren. Unwillkürlich musste sie grinsen. Solche Pfade zwischen den Welten waren wirklich der Hammer.

Ihr Weg führte sie schließlich an den Saum der wogenden Bäume. Dort angekommen, blieb sie wie vom Donner gerührt stehen und starrte, im grellen Licht blinzelnd, auf das Panorama hinaus, das sich ihr bot. »Oh grundgütiger Ozzie«, flüsterte sie bestürzt. So weit das Auge reichte, war das vor ihr liegende Land eine weiße Fläche aus Sand. Hoch am Himmel brannte die heiße Sonne dieser Welt, und weit und breit war keine einzige Wolke zu sehen. »Eine Wüste!«

Langsam drehte sie sich einmal um sich selbst und stellte fest, dass sie inmitten einiger kläglicher Baumgrüppchen herausgekommen war, die sich am Ufer eines länglichen, schlammigen Tümpels festklammerten. Und irgendwo inmitten dieser Bäume schrumpfte der Pfad zusammen zu nichts. »Nein«, befahl sie ihm. »Nein, warte. Das hier stimmt nicht. Hier will ich nicht hin.« Aber da war der Pfad auch schon fort. »Oh Scheiße.«

Araminta mochte vielleicht absolut keinen Plan von fremdartigen Planeten haben, aber eines wusste sie sicher: Man stapfte nicht einfach los und marschierte mitten am Tag durch die Wüste, und ganz gewiss nicht, wenn man für so ein Abenteuer nicht gerüstet war. Langsam umrundete sie den Tümpel und versuchte, irgendwelche Hinweise auf andere vernunftbegabte Wesen in der Nähe zu finden. Doch abgesehen von einigen sehr seltsamen Spuren in dem trockenen Schlamm gab es nicht das geringste Anzeichen dafür, dass irgendjemand die Oase regelmäßig nutzte. Indessen die Sonne immer höher stieg, setzte sie sich unter einen der grauen Bäume und machte aus den armseligen Schatten, die dessen dicke Blätter warfen, das Beste.

All die Zweifel und alles Selbstmitleid, die sie auf dem Pfad zu guter Letzt von sich geworfen hatte, drohten wieder auf sie einzustürzen. Vielleicht hatten die Silfen mehr mit galaktischen Ereignissen zu tun, als irgendjemand ahnte. Es war nicht auszuschließen, dass sie sie absichtlich an diesen Ort abgeschoben hatten, damit sie niemals eine Pilgerfahrt der Menschen anführen konnte. Schon der Gedanke ließ abermals ein Bild von Cressida vor ihrem inneren Auge erstehen; ihre Cousine zog in ihrer unnachahmlich spöttischen Art die Augenbraue hoch. Allein bei der Erinnerung daran zog Araminta unwillkürlich den Kopf ein.

Komm schon, reiß dich zusammen.

Sie schaute auf ihren Werkzeuggürtel herab. Das Sortiment an Geräten darin war relativ mager, und bei einigen war der Akku bereits fast leer. Aber sie konnten sich vielleicht als nützlich erweisen. Für was? Wie sollen die mir helfen, eine Wüste zu durchqueren? Ein weiteres Mal ließ sie ihren Blick über die totenstille Oase schweifen und versuchte, klug und analytisch an die Sache heranzugehen, so wie Cressida es tun würde. Okay, Wasser hätte ich also schon mal. Bloß, wie soll ich es tranportieren? Dann fiel ihr auf, dass es zwar ein paar aus dem Boden ragende Stümpfe ringsumher gab, aber keine umgefallenen Bäume. Sie rannte zu einem von ihnen hinüber und sah, dass er eine saubere und glatte Schnittfläche besaß. Hier hatte zweifellos jemand gesägt. Grinsend schaute sie auf den Stumpf hinab. Ein wertvoller Wink mit dem Zaunpfahl. Und jetzt denk nach. Was kannst du mit Holz in dieser Situation machen?

Die Energiesäge, die sie dabeihatte, war klein und eigentlich dafür gedacht, geringere Anpassungsarbeiten vorzunehmen, nicht, einen Baum zu fällen, egal wie dürr. Nichtsdestotrotz beharkte sie damit einen der Stämme, bis dieser schließlich aufgab und kippte. Der Länge nach stürzte er auf freies Gelände. Das Holz unter der Rinde war unglaublich hart. Sie sägte ein paar Stücke von etwa einem halben Meter Länge ab, rollte sie in den Schatten und setzte sich daneben. Sodann bohrte sie mit ihrem Drillbohrer in jedes von ihnen der Länge nach ein Loch in der Mitte. Nachdem dies getan war, schaltete sie das praktische Gerät auf seinen Verbreiterungsmodus um und begann aufs Neue zu bohren. Es dauerte Stunden, doch schließlich hatte sie alle Zylinder bis auf ein wenige Zentimeter dickes Gehäuse ausgehöhlt. Sie gaben hervorragende Flaschen ab. Als sie sie zu dem Tümpel hinübertrug, um sie mit dem klaren Wasser in der Mitte zu füllen, spürte sie, wie etwas unter ihren Füßen nachgab. Die dunkelblaue Kugel, die sie im nächsten Moment herausfischte, besaß eine glitschige, gallertartige Schale. Ein Ei! Nervös schaute Araminta sich um und fragte sich, welche Kreatur es wohl gelegt haben mochte. Ein Landtier oder ein Wasserbewohner? Vielleicht war es auch eine Samenkapsel.

Als alle Flaschen voll waren, zerrte sie sie eilig heraus. Das schlaffe Ei aber behielt sie. Es war etwa so groß wie ihre Faust, und die nasse Oberfläche gab unter ihren Fingern nach wie glibbriges Gummi. Allein sein Anblick ließ ihren Magen vor Hunger knurren. Schmerzlich wurde ihr bewusst, dass sie nichts mehr gegessen hatte seit jenem letzten Frühstück mit Tandra und deren Familie, und das war inzwischen eine ganze Weile her.

Am Rand des Tümpels klemmte sie das Ei zwischen ein paar Steine, stellte ihren Laser auf geringen Streustrahl und strich mit dem rubinroten Fächer über die elastische Schale. Deren Farbe begann, sich zu einem schmutzigen Braun zu verdunkeln, auf dem sich, während sie langsam hart wurde, winzige Risse bildeten. Nach einigen Minuten stellte Araminta auf Verdacht den Beschuss ein und stach mit ihrem Schraubenzieher ein Loch in das Ei. Der Geruch, der ihr entgegenstieg, war nicht gerade angenehm, trotzdem brach sie die Schale weiter auf und angelte sich etwas von dem dampfenden, grünlichen Papp im Inneren heraus.

Mit angewidertem Gesicht berührte sie versuchsweise mit der Zunge den klebrigen Brei. Er schmeckte so gut wie nach gar nichts, ein wenig minzig vielleicht. Sekundärroutinen in ihren makrozellularen Clustern analysierten die Ergebnisse, die von ihren Geschmacksrezeptoren durch die Nervenbahnen schossen. Sie konnten nichts Tödliches in der heißen organischen Pampe erkennen. Das Zeug würde sie ganz gewiss nicht auf der Stelle umhauen. Sie machte die Augen zu und schluckte. Ihr Magen ächzte erleichtert auf, und Araminta schöpfte einen größeren Happen heraus.

Nachdem sie das erste Ei vertilgt hatte (sie war immer noch halb überzeugt, dass es sich um eine Art Wassersamen handelte), machte sie sich auf die Suche nach weiteren. Sie erbeutete insgesamt neun. Vier davon garte sie direkt mit dem Laser und spülte den faden Inhalt mit dem Wasser aus ihren Flaschen herunter. Das Holz war absolut dicht, was sie als einen bescheidenen Sieg ansah. Als ihr Magen endlich besänftigt war, nahm sie sich ein paar weitere Holzstücke vor, um sie zu spalten, und machte ein kleines Feuer. Sodann buk sie die restlichen Eier über den Flammen, um Energie in ihrem Laser zu sparen. Eine Idee, auf die sie mächtig stolz war, auch wenn sie vielleicht etwas eher daran hätte denken sollen.

Während das Feuer vor sich hin knisterte, machte sie sich daran, die Rinde von dem Baum, den sie gefällt hatte, zu schälen. Nachdem sie in dünne Streifen geschnitten war, begann sie, sich eine Kopfbedeckung zu flechten. Drei Anläufe später hatte sie ein flaches, trichterartiges Hütchen in Händen, das schließlich sogar auf ihrem Kopf sitzenblieb. Solchermaßen ermutigt nahm sie einen Korb für die Eier in Angriff.

Am späten Nachmittag unternahm sie noch einen Angelausflug, der weitere fünf Eier abwarf, und legte sich dann hin, um sich etwas auszuruhen, bevor die Dunkelheit einbrach. Sie hatte etliche Stunden vor sich hin gewerkelt und gemacht und getan, und doch sank die Sonne gerade erst auf den Horizont hinunter. Die Tage hier waren lang. Logischerweise waren es die Nächte dann auch, also sollte sie in der Lage sein, ein ordentliches Stück des Weges zu schaffen, bevor die Sonne wieder aufging.

Der Tag dauerte noch an, als sie eindöste und von einem schlanken, blonden Mädchen träumte, das ebenfalls allein war. Der Traum war undeutlich, und das Mädchen befand sich eher an einem Berghang als in einer Wüste. Ein hübscher Bursche tauchte auf, der das Herz des Mädchens zum Flattern brachte, dann stand sie vor einem Mann mit einem goldenen Gesicht.

Ruckartig schreckte Araminta aus dem Schlaf. Der Mann war Gore Burnelli gewesen. Was sie vermuten ließ, dass der Traum aus dem Gaiafield gekommen war. Es war hier nur schwach, aber sie konnte es immer noch spüren. Gore war sehr wütend über irgendetwas gewesen. Einen Moment lang war Araminta versucht, in das Gaiafield zurückzutauchen, um zu sehen, ob sie den Traum wieder einfangen konnte, doch sie entschied sich dagegen. Das Letzte, was sie im Augenblick wollte, war, eine abermalige Entdeckung durch Living Dream zu riskieren, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, wie sie sie hier aufspüren wollten. Abgesehen davon hatte sie dringlichere Probleme.

Als die kleine, helle Sonne endlich hinter den Horizont glitt, packte sie ihre dürftige Wüstenüberlebensausrüstung zusammen. Die Flaschen waren bis zum Rand gefüllt und mit Holzstücken verstöpselt. Unter dem Gewicht ächzend wuchtete sie sich den Wasserproviant in einem Gurtwerk aus geflochtenen Rindenstreifen auf den Rücken. Die gebackenen Eier wanderten in ihren Korb, den sie sich über die Schulter schlang. Noch mehr Rindenstreifen hingen um ihren Hals – sie konnte sich nicht vorstellen, wozu sie sie brauchen würde, aber sie waren alles, was sie hatte, und außerdem die Früchte ihrer eigenen Arbeit. Dergestalt gerüstet machte sie sich auf den Weg.

Die Dämmerung hielt lange an, was ihr mehr als lieb war; völlige Dunkelheit wäre bedrückend gewesen und nicht nur ein bisschen unheimlich. Am Himmel begannen Sterne zu funkeln. Keine der Konstellationen ließ sich bestimmen, jedenfalls nicht anhand der Dateien ihrer Enzyklopädie. Demnach befinde ich mich nicht mal annähernd im Greater Commonwealth. Trotzdem war sie überzeugt, nicht weit von einem Pfad entfernt zu sein, der sie dorthin führen würde. Sie hatte nicht einen Moment gezögert, als sie von der Oase aufgebrochen war. Sie kannte die Richtung, die sie einschlagen musste.

Die Wasserflaschen waren lächerlich schwer. Doch sie musste so viel Flüssigkeit mitnehmen, wie sie nur konnte. Ihr Magen fühlte sich nicht wirklich an, als wäre er hundertprozentig in Ordnung, und der Hunger war jetzt ein beständiges Nagen. Anscheinend waren diese komischen Eier für Menschen doch nicht so fürchterlich nahrhaft. Aber immerhin hatte sie die Dinger bei sich behalten. Das war ein Plus.

Araminta musste grinsen. Schon eigenartig, wie sehr sich die Wahrnehmung in Abhängigkeit von den Umständen änderte. Noch vor einer Woche hatte sie sich Sorgen über die rechtzeitigen Anzahlungen von Käufern für ihre Apartments gemacht und sich über verspätete Lieferanten geärgert. Jetzt sah sie es schon als beachtliche Leistung, ohne zu kotzen durch eine unbekannte Wüste am Arsch der Galaxis zu stapfen.

Nach drei Stunden zwang sie sich zu einer Pause. Die Wüste wurde jetzt nur noch vom Licht der Sterne illuminiert. Einen Mond schien diese Welt nicht zu besitzen, aber einige Sterne leuchteten relativ hell. Sie wünschte, sie hätte genug Ahnung von Astronomie, um sagen zu können, ob es sich um Planeten handelte. Nicht, dass das eine Rolle gespielt hätte. Und überhaupt, sie hatte jetzt wichtigere Dinge im Kopf. Es fühlte sich gut an, ein reales Ziel vor Augen zu haben, etwas, woran sich Erfolg messen ließ.

Vorsichtig, um nichts zu verschütten, trank sie etwas Wasser. Die Eier rührte sie nicht an. Die spar ich mir besser für den richtigen Hunger auf.

Eine halbe Stunde später spürte sie, wie die Luft deutlich kühler wurde, während die Tageshitze allmählich in den Himmel entwich. Sie schloss ihre Vliesjacke wieder und setzte sich erneut in Bewegung. Ihre Füße taten weh. Die Stiefel waren absolut nicht geschaffen für solch einen Marsch. Immerhin war wenigstens das Gelände gleichbleibend flach.

Während sie so dahintrottete, fragte sie sich, was sie machen würde, wenn sie das Commonwealth wieder erreichte. Sie wusste, dass sie nur eine Chance hatte, nur einen Versuch. Zu viele Leute suchten nach ihr. Davor, sich Living Dream zu stellen, scheute sie instinktiv zurück. Aber für Laril, bei all seiner Loyalität und seiner Bereitschaft zu helfen, war die Sache eine Nummer zu groß. Für wen nicht? Obwohl er vielleicht mit irgendeiner Fraktion verhandeln konnte. Aber mit welcher? Je mehr sie darüber nachdachte, umso überzeugter war sie, dass sie Oscar Monroe kontaktieren sollte. Wenn irgendjemand ihr Zuflucht bieten konnten, dann ANA selbst. Und wenn man sie dort auch instrumentalisieren wollte, war wirklich alle Hoffnung dahin.

Araminta schleppte sich weiter voran. Hunger und Mangel an richtigem Schlaf machten ihr zusehends zu schaffen. Sie fühlte sich erschöpft, aber sie wusste, dass sie nicht schlappmachen durfte. Sie musste während der Nacht so viel Boden gewinnen wie möglich, denn bei Tage würde sie nirgendwohin gehen. Ihre Glieder schmerzten, vor allem die Beine, während sie einfach nur weitermarschierte. Jedes Mal, wenn sie stehenblieb, um etwas zu trinken, wurde es mühsamer, die Flaschen wieder auf ihren Rücken zu hieven. Ihre Wirbelsäule begann, das Gewicht jetzt wirklich zu spüren. Als ihre Stiefel anfingen, über wundes Fleisch zu scheuern, war das Einzige, was sie tun konnte, die Zähne zusammenzubeißen und das Pochen in ihren Füßen zu ignorieren. Hin und wieder jagte die inzwischen eisige Nachtluft ihr einen Schauer über den Rücken, ein heftiges Zucken, das ihren ganzen Körper in Mitleidenschaft nahm. Dann blieb sie einen Augenblick stehen, schüttelte den Kopf wie ein aus dem Wasser kommender Hund und verfiel im nächsten Moment wieder in ihren Trott. Ich darf nicht aufgeben.

Es gab so viel zu tun, so viele Dinge, die sie zuwege bringen musste, um diesen ganzen Living-Dream-Wahnwitz zu stoppen. Ihr Geist begann davonzudriften. Sie sah wieder ihre Eltern, nicht die, mit denen sie sich in ihren späten Teenagerjahren andauernd herumgestritten hatte, sondern die aus ihren Kindertagen, die sie verwöhnt, mit ihr gespielt, sie getröstet und ihr zu Weihnachten ein Pony geschenkt hatten, als sie acht gewesen war. Selbst nach der Scheidung hatte sie keinen Drang verspürt, sie anzurufen. Zu starrköpfig, wie sie war, oder vielleicht auch zu dumm. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, was sie sagen würden, wenn ich ihnen erzählte, dass ich Mr Bovey kennengelernt und mich entschlossen habe, ein Multiple zu werden. Dann war da die Zeit, kurz nachdem Laril sich vom Planeten davongemacht hatte, als sie mit Cressida fast jede Nacht durch die Clubs gezogen war und eine Verabredung nach der anderen gehabt hatte. Frei sein, Spaß haben, erfahren, wie es war, jung und unverheiratet zu sein. Seine Unabhängigkeit im Commonwealth genießen, und ein kleines bisschen Stolz dazu.

Sie fragte sich, ob irgendetwas von diesem Leben jemals zurückkehren würde. Alles, was sie sich im Augenblick wünschte, war, dass dieser gefährliche Wahnsinn endete, dass Living Dream zunichte gemacht wurde, und für sich selbst, dass sie Mrs Bovey wurde. War es möglich, wieder in selige Vergessenheit abzutauchen? Andere hatten es geschafft, Tausende hatten ihren Augenblick des Ruhms oder der Schande. Mellanie musste es fertiggebracht haben.

Der Timer in Aramintas Exosicht blinkte purpurrot auf, begleitet von einem eindringlichen Piepsen, das sich durch die Hörnerven wand, und riss Araminta aus ihrer tröstlichen Träumerei. Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus und schälte sich aus dem Gurtzeug. Zumindest war es jetzt nicht mehr so kalt. Als sie die Flasche hochhielt, um zu trinken, sah sie plötzlich Lichter über das Sternenfeld kriechen. Sie hatte lange genug in Colwyn City gelebt, um Raumschiffe zu erkennen, wenn sie sie sah. »Was zur Hölle …?« Das war der Moment, in dem sie bemerkte, dass der Silfenpfad jetzt hinter ihr lag.

»Ozzie!« Ihr Geist nahm zahlreiche, ruhige Gedankenemissionen im Gaiafield wahr. Ihr Ausgangspunkt befand sich irgendwo in der Nähe. Eilig schirmte sie ihre eigenen Gedanken ab, damit nichts von ihnen herausdrang und ihre Anwesenheit verriet.

Wo in Ozzies Namen bin ich?

Abermals ließ Araminta den Blick umherschweifen und versuchte, die Umgebung auszumachen. Es gab nicht viel zu sehen, obwohl sie einen schwachen Schimmer an einem Bereich des Horizonts zu erkennen vermeinte. Lächelnd setzte sie sich hin und wartete.

Eine halbe Stunde später wusste sie, dass sie richtig gelegen hatte. Ein mattrosa Lichtschein begann emporzusteigen, als der Morgen anbrach. Jetzt konnte sie erkennen, dass sie sich immer noch in einer Wüste befand, doch anders als das gesichtslose Meer aus Sand, das sie hinter sich hatte, bestand diese größtenteils aus bröckeliger Erde und ockerfarbenem Gestein. Der graubraune Boden war hier und da von spärlichen Flecken grünblauer Vegetation unterbrochen, kleines immergrünes Gesträuch, das schon halb abgestorben wirkte. Lange Wedel von blass-cremefarbenen Grasbüscheln hielten sich in Spalten und zwischen Steinen versteckt, allesamt vertrocknet und welk. In der Ferne, zur Hälfte versunken im Flimmern der Luft, ragte eine breite Gebirgsfront in den Himmel empor. Ihre Berge waren von stattlicher Höhe, obwohl Araminta nirgendwo auf den Gipfeln Schnee entdecken konnte. Die Wüste erstreckte sich bis zu ihrem Fuß. In der anderen Richtung lag eine niedrige Hügelkette, schätzungsweise fünf Meilen entfernt, wenn nicht mehr. Aufgrund der gnadenlos eintönigen Landschaft ließ sich das schwer sagen.

In jedem Fall befand sie sich auf einem Feldweg, der von irgendwelchen Fahrzeugen geschaffen worden war. In einem langen, sanften Gefälle führte er hinab zu einer Kreuzung mit einer fest betonierten Straße. Allein ihr Anblick war eine riesige Erleichterung. Araminta hatte fast zwanzig Jahre im Hinterland eines Externen Planeten gelebt. Sie wusste, wie lange man in solchen Einöden bisweilen nach einer Straße suchen musste. Und dabei hatte Langham in einem erschlossenen Agrargebiet gelegen. Heutzutage benutzte jedermann Regrav-Kapseln. Kurz: Sie hatte verdammtes Glück gehabt, hier mitten in einer Wüste auf diese Straße zu stoßen. Enormes Glück.

Danke, sagte sie zum Silfen-Mutterholm.

Sie trank noch einen Schluck Wasser und setzte sich dann den Feldweg hinab in Bewegung. Die Entfernung hatte sie letzten Endes doch getrogen. Hartnäckig schien die Straße an der gleichen Stelle zu verharren, egal wie viel Wegstrecke sie auch zurücklegte. Während sie das leichte Gefälle hinabschritt, konnte sie jenseits der Hügelkette einige Regrav-Kapseln fliegen sehen. In der anderen Richtung rührte sich nichts über der ausgedehnten Wüste. Zumindest war damit klar, welchen Weg sie einzuschlagen hatte, als sie endlich an der Kreuzung angelangt war. Offenbar befand sich irgendeine Art von Ansiedlung hinter den Hügeln. Ein paar vorsichtige Prüfungen des Gaiafields bestätigten, dass das Gedankengewirr dort seinen Urprungsort hatte.

Sie brauchte weitere drei Stunden, um die Hügelkette zu erreichen. Wobei sich herausstellte, dass auch die Bezeichnung »Hügelkette« trog. Je näher sie kam, umso höher ragte der Grat vor ihr empor. Wie ein langgestreckter Berg. Und das Glück, welches ihr die Straße beschert hatte, hatte sie ganz offensichtlich verlassen; den ganzen Morgen über sah sie kein einziges Gefährt.

Als sie schließlich ermattet auf den Bergkamm hinkte, war sie so ziemlich auf jeden Anblick vorbereitet, außer dem, der sie nun begrüßte. Sie hatte fast richtig gelegen mit dem langgestreckten Berg. Der hohe Grat war in Wirklichkeit die Wand eines Kraters. Eines großen Kraters, inklusive kreisrundem See, der einen Durchmesser von mindestens zwanzig Meilen besaß. Dies hier war die Mutter aller Oasen! Die innen liegenden Abhänge des Trichters waren vollständig von grünem Waldland und von angebauten Terrassen bedeckt, bei denen es sich dem Anschein nach um Weinberge handelte. Die Straße vor ihr fiel ab und schlängelte sich in eine kleine Ansiedlung hinunter, deren bunte Häuser durch einen Saum hoher Bäume schimmerten. Obwohl sie völlig erschöpft war, jeden Knochen im Leib spürte und einigermaßen besorgt war über den schmerzenden Zustand ihrer Füße, brach sich bei dem herrlichen Panorama, das sich Araminta bot, ein kleines, ersticktes Lachen Bahn. Sie wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und streifte langsam ihre Flaschentragegurte ab. Zusammen mit dem Korb voll Eiern deponierte sie ihre Last am Straßenrand hinter ein paar Felsen. Sodann setzte sie sich, mit ob des weggefallenen Gewichts frohlockenden Schultern, den Hang hinab in Bewegung.

Menschen starrten sie an, als sie in den Ort gehumpelt kam. Kaum verwunderlich. Sie hatte immer noch ihren albernen Hut auf dem Kopf, und ihre Klamotten waren eine einzige Katastrophe, völlig ruiniert von mehrfachen Wolkenbrüchen und Dreck. Wahrscheinlich roch sie auch entsprechend. Als sie einen vorsichtigen Vorstoß ins Gaiafield wagte, konnte sie das unwillkürliche Befremden spüren, das jedermann bei ihrem Anblick empfand. Auch ein hohes Maß an Furcht mischte sich unterschwellig mit hinein.

Die Häuser der kleinen Stadt waren zum größten Teil mit Schindeln gedeckt und in verschiedenen hellen Farben gestrichen. Moderne Werkstoffe waren nur spärlich zu sehen. Die einfachen Gebäude verliehen dem Ort eine behaglich-idyllische Atmosphäre. Der etwas altmodische Stil passte zu dem friedlichen See.

Selbst im Schatten der hohen, schlanken Bäume war es heiß in der vormittäglichen Sonne. Es waren nicht viele Menschen unterwegs. Trotzdem konnte sie schließlich ein älteres Paar wahrnehmen, das die Besorgnis seiner Mitbürger nicht vollkommen teilte. Die Frau strahlte sogar ein wenig Anteilnahme und Mitgefühl über ihre Gaiamotes aus.

»Entschuldigung«, sprach Araminta sie an. »Können Sie mir sagen, ob es hier im Ort eine Übernachtungsmöglichkeit gibt?«

Das Paar wechselte einen Blick. »Das ist ein außerplanetarer Akzent«, sagte die Frau.

Araminta unterdrückte ein Kichern, denn für sie hatte wiederum die Frau einen fremdartigen Akzent; sie verschliff ihre Worte fast, indem sie sie merkwürdig ineinanderlaufen ließ. Zum Glück waren die Kleider, die sie trugen, nicht von jener unzeitgemäßen Art, wie Living-Dream-Anhänger sie gewöhnlich favorisierten. Andererseits kam es selten vor, dass man jemandem begegnete, dessen Körper in einem solchen Maße gealtert war. »Stimmt, leider ja. Bin gerade erst angekommen.«

Die Frau sandte ein Aufschimmern von Befriedigung aus. »Das freut mich für Sie, meine Liebe. Waren Sie lange fort?«

»Ich, äh, bin mir nicht sicher«, erwiderte sie wahrheitsgemäß.

»Ich hab’s mal versucht«, sagte die Frau mit einem Anflug von Wehmut. »Bin auf keinen grünen Zweig gekommen. Vielleicht probier ich’s noch mal nach der Rejuvenation.«

»Ähm, ja. Dieses Hotel …?«

»Warum machen Sie es nicht einfach mit Ihrem U-Shadow ausfindig?«, fragte der Mann. Sein weißer Haarschopf lichtete sich bereits. Sein ganzes Äußeres ließ ihn gutmütig erscheinen, doch der Ton, den er anschlug, war relativ scharf.

»Ich bin ein Natural-Mensch«, erklärte Araminta.

»Bitte, Earl«, tadelte ihn seine Frau. »Es gibt ein StarSide-Motel gleich hier auf der Caston Street, meine Liebe. Nur vier Straßen weiter.« Mit freundlichem Lächeln wies sie Araminta die Richtung. »Preisgünstig, aber sauber. Sie werden dort keine Probleme haben.«

»Alles klar, vielen Dank.«

»Haben Sie Geld?«

»Ja. Danke.« Araminta verabschiedete sich mit einem knappen Nicken und machte sich auf den Weg. Nach ein paar Schritten blieb sie wieder stehen. »Äh, was für ein Ort ist das hier eigentlich?«

»Miledeep Water«, antwortete der Mann trocken. »Wir befinden uns auf Chobambas Äquatorialkontinent, bekanntermaßen eine Externe Welt.«

»Ach ja, richtig.« Sie lächelte, versuchte den Eindruck zu erwecken, als sei dies alles ihr nur kurz entfallen.

»Tatsächlich sind wir sogar die einzige Ansiedlung auf dem ganzen Kontinent, der von Küste zu Küste eine Wüste ist. Sie haben wirklich Glück gehabt, dass Sie uns gefunden haben.« Der spöttische Unterton des Mannes war deutlich zu erkennen, selbst durch den eigentümlichen Akzent hindurch.

»Ja.«

Ehe er etwas erwidern konnte, versetzte ihm die Frau einen sanften Schlag mit der Hand und brachte ihn damit zum Schweigen. Araminta lächelte abermals und machte dann rasch, dass sie fortkam. Während sie weiter die Caston Street hinunterging, war sie sich unangenehm des alten Ehepaars bewusst, das dort hinter ihr stand und ihr nachsah. Die Gedanken des Mannes verströmten eine leichte Belustigung, im Verein mit vielleicht einer winzigen Spur Verbitterung.

Es hätte schlimmer kommen können, sagte sie sich. Sie hätten Verdacht schöpfen oder mich erkennen können.

Araminta zog ihre Enzyklopädie-Files zu Rate und erfuhr, dass die Besiedelung Chobambas erst vor knapp zweihundertfünfzig Jahren stattgefunden hatte. Sie nahm an, dass das StarSide-Motel zu den ersten Unternehmen zählte, die seinerzeit hier gegründet worden waren. Seine kleinen Chalets bildeten einen auffallenden Gegensatz zu den Schindelhäusern der übrigen Stadt. Sie bestanden aus gewachsenem Drycoral, das inzwischen längst abgestorben war und unter der unbarmherzigen Sonne bereits abzubröckeln begann. Es war von ähnlicher Art wie das blassviolette Drycoral, das daheim auf der Farm in Langham für Ställe eingesetzt wurde, weshalb sie wusste, dass es, um dieses Stadium zu erreichen, mindestens ein Jahrhundert auf dem Buckel haben musste.

Das Motel nahm eine große Fläche ein, wobei die Chalets sich in einem weiten Kreis um einen zentralen Swimmingpool verteilten. Ihre Betonlandefelder für Gästekapseln waren samt und sonders rissig, von Unkraut und Kolonnen ekelhaft aussehender, roter Kugelpilze gesprengt. Zurzeit war dort nur eine einzige Kapsel geparkt.

Sprinklerdüsen versprühten in kurzen Intervallen einen feinen Regen über den Vorgartenrasen, während sie hinauf zum Empfangsgebäude schritt. Sie nahm an, dass die gesamte Kraterwand bewässert werden musste.

Der Besitzer befand sich im Büro hinter der Rezeption und bastelte an einer museumsreifen Klimatisierungseinheit herum. Sofort kam er heraus, wischte sich an seiner schmutzigen weißen Weste die Hände ab und stellte sich ihr als Ragnar vor. Mit raschem Blick taxierte er Araminta von oben bis unten und musterte ihre Kleidung. »Ist ’ne Weile her, dass jemand bei uns reingeschneit ist«, sagte er, die Worte seltsam betonend. Sein Akzent war der gleiche wie der des älteren Paars von vorhin.

»Also bin ich nicht die erste?«, fragte sie argwöhnisch.

»Nein, Ma’am. Der Silfenpfad endet da draußen irgendwo hinter dem Krater. Da ist uns über die Jahre so mancher Reisende wie Sie untergekommen.«

»Ja, richtig.« Sie entspannte sich wieder ein wenig.

Ragnar beugte sich über den Tresen und dämpfte die Stimme. »Waren Sie lange da draußen?«

»Ich weiß nicht so genau.«

»Verstehe. Nun, Sie haben sich nicht gerade den besten Moment zum Zurückkommen ausgesucht. Sind momentan für das alte Greater Commonwealth ziemlich unruhige Zeiten, ja, das kann man wohl sagen.« Seine Augen verengten sich angesichts ihrer ausdruckslosen Miene zu schmalen Schlitzen. »Sie wissen, was das Commonwealth ist?«

»Ja, sicher, klar«, erwiderte sie rasch.

»Gut. Wollte nur gefragt haben. Diese Pfade sollen reichlich verworren sein nach dem, was man so hört. Ich hatte mal welche hier, die kamen direktemang aus ’nem Vor-Wurmloch-Jahrhundert. Junge, Junge, waren die von der Rolle.«