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Das intersolare Commonwealth ist in Aufruhr. Mittendrin: Edeard, genannt der Waterwalker, ein Telepath mit wachsender Macht. Noch immer ist die Gefahr der "Leerengrenze" nicht gebannt - ein Raumgebiet, das sich immer weiter ausdehnt und wie ein schwarzes Loch alle Welten auf dem Weg verschlingt. Überdies rückt die Flotte des Ocisen Empire vor, zum Äußersten entschlossen. Ihr Ziel: Die Menschheit, die sich in interne Machtkämpfe verzettelt hat, zu vernichten ...
»Überaus beeindruckend. Wir wiederholen es gern: Niemand versteht sich auf große SF so sehr wie Hamilton.« SFX
Der packende VOID-Zyklus - spannungsgeladene Space Opera des Bestseller-Autors Peter F. Hamilton:
Band 1: Träumende Leere
Band 2: Schwarze Welt
Band 3: Im Sog der Zeit
Band 4: Evolution der Leere
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.
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Seitenzahl: 1288
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
1
Inigos achter Traum
2
Inigos neunter Traum
3
Justine
Inigos zehnter Traum
4
Inigos elfter Traum
Justine: Jahr drei
5
Inigos zwölfter Traum
Justine: Jahr vier
Inigos dreizehnter Traum
Über den Autor
Alle Titel des Autors bei Bastei Lübbe
Impressum
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Das intersolare Commonwealth ist in Aufruhr. Mittendrin: Edeard, genannt der Waterwalker, ein Telepath mit wachsender Macht. Noch immer ist die Gefahr der »Leerengrenze« nicht gebannt – ein Raumgebiet, das sich immer weiter ausdehnt und wie ein schwarzes Loch alle Welten auf dem Weg verschlingt. Überdies rückt die Flotte des Ocisen Empire vor, zum Äußersten entschlossen. Ihr Ziel: Die Menschheit, die sich in interne Machtkämpfe verzettelt hat, zu vernichten …
PETER F. HAMILTON
IM SOGDER ZEIT
Aus dem Englischen von Michael Neuhaus
Seltsamerweise waren es die Eichenbäume, an die Justine Burnelli sich erinnerte, wenn sie an den Tag zurückdachte, an dem Centurion Station erloschen vor.
Wie alle anderen in der Gartenkuppel war sie auf die Türen der Sicherheitsbunker zugeeilt, nachdem sie einen Blick über die Schultern geworfen hatte.
Das dichte, smaragdgrüne Gras war von Partyabfällen übersät gewesen, Cocktailhappen waren in den Rasen getreten worden, und zerbrochene Gläser und Teller hatten vibrierend auf dem Boden gezuckt, während die gewaltigen Gravitationswellen in schneller, unerbittlicher Folge über die Station brandeten. Das zaghafte Licht über ihnen, das von den Nebelflecken um den galaktischen Kern herum ausging, war von den dunstigen Notfallkraftfeldern der Kuppel nun zu matten Pastellstreifen verwischt.
Justine spürte, wie sich abermals ihr Gewicht verminderte. Überraschte, fast panische Schreie wurden unter der sich gegen sie drängenden Stationsbelegschaft laut, während sie auf dem orangefarben leuchtenden Fußpfad um Bodenhaftung rangen. Im nächsten Moment ging ein Donnern durch die Kuppel. Der riesige Ast einer zweihundert Jahre alten Eiche war dicht am mächtigen Stamm zerborsten und nach unten gekracht. Wie ein Schwarm aufgescheuchter Schmetterlinge wirbelten die Blätter umher. Dann gab der ganze majestätische Baum nach. Entlang seines Stammes taten sich weitere Risse auf, bevor er langsam in seinen Nachbarn stürzte. Die geschmackvolle kleine Baumhausplattform, auf der vor kaum einer Minute noch die Band gespielt hatte, brach auseinander. Der letzte, flüchtige Eindruck, den Justine von dem Baum erhaschte, waren ein paar rote, aus dem gefällten Giganten hervorschießende Eichhörnchen.
Dann schlossen sich hinter ihr die Malmetall-Türen des Sicherheitsbunkers, und sie fand sich für einen Moment in einer Oase der Stille wieder. Es war ein bizarres Bild, wie sie alle schwer keuchend dastanden, nach wie vor in ihre beste Partygarderobe gekleidet, mit wirren Haaren und Gesichtern voll Angst.
Direkt neben ihr stand Sektionsleiter Trachtenberg. Mit wildem Blick schaute er sich um.
»Sind Sie okay?«, fragte er sie.
Sie nickte stumm, ihrer Stimme nicht ganz vertrauend.
Eine weitere Gravitationswelle jagte durch die Station. Wieder spürte Justine ihr Gewicht geringer werden. Ihr U-Shadow griff auf das Stationsnetz zu, und sie ließ sich die Sensorbilder vom Himmel über ihnen zeigen.
Die DF-Sphären der Raiel beschleunigten immer noch auf ihre neuen Positionen innerhalb des Sternensystems zu. Sie vergewisserte sich, dass die Silverbird von den unheimlichen Gravitationswellen, die den DF-Sphären nichts anzuhaben schienen, unbeeinträchtigt war. Der Smartcore des Schiffs teilte ihr mit, dass es direkt über dem staubigen Lavafeld, das als Stationslandefeld diente, seine Position beibehielt.
»Ich habe mich soeben mit unseren Alien-Kollegen beraten«, verkündete Trachtenberg. Er lächelte schief. »Jedenfalls mit denen, die mit uns sprechen. Und wir sind einhellig der Meinung, dass diese Gravitationsverschiebungen jenseits allem liegen, wofür die Sicherheitssysteme konzipiert wurden. Zu meinem Bedauern muss ich daher die sofortige Evakuierung anordnen.«
Ein paar Leute ächzten bestürzt auf.
»Das können Sie nicht machen«, beschwerte sich Graffal Ehasz. »Das hier ist doch exakt der Grund, weswegen wir vor Ort sind. Grundgütiger Ozzie, Mann, denken Sie nur an die Daten, die dieses Ereignis ausspuckt. Die Erkenntnisse, die wir dabei gewinnen könnten, wären ohnegleichen! Wir können uns doch nicht wegen irgendwelcher Sicherheitsauflagen, die irgendein Komitee im Commonwealth verhängt hat, einfach so aus dem Staub machen.«
»Ich verstehe Ihre Einwände«, erwiderte Trachtenberg ruhig. »Sobald sich die Situation ändert, kommen wir wieder zurück. Für den Moment jedoch begeben Sie sich bitte an Bord Ihres bezeichneten Schiffes.«
Justine konnte sehen, dass der Großteil der Belegschaft erleichtert war. Nichtsdestotrotz gingen von Ehasz und einer kleinen Clique von Hardcorewissenschaftlern eine unverkennbare Verstimmung und Feindseligkeit aus. Als sie ihren Geist dem örtlichen Gaiafield öffnete, wurde der Konflikt widerstreitender Emotionen deutlich erkennbar. Doch Ehasz und seine Leute befanden sich nun mal in der Minderheit.
Trachtenberg beugte sich näher zu Justine und fragte leise: »Wird Ihr Schiff mit dieser Sache hier fertig?«
»Oh ja«, versicherte sie ihm.
»Sehr gut, wenn Sie dann bitte mit uns aufbrechen würden?«
»Natürlich.«
Über ihre Verbindung mit dem Smartcore sah sie, wie sämtliche Sicherheitsbunker die Oberfläche durchbrachen – titaniumschwarze Kugeln, die sich aus der staubigen Lavaebene hervorschoben. Sanft begannen sie, auf die wartenden Raumschiffe zuzugleiten.
Nachdem die Evakuierung offenbar vorschriftsmäßig vonstatten ging, beruhigten sich Justines Nerven beträchtlich. Sie befahl dem Smartcore der Silverbird, über das schwache Navy-Kommunikationsrelais eine Verbindung bis zurück ins Commonwealth zu öffnen, dreißigtausend Lichtjahre entfernt. »Dad?«
»Es geht dir also gut«, sagte Gore Burnelli. »Dem Himmel sei Dank.«
Entlang der winzigen Bandbreite sickerte der blasse Eindruck eines Lächelns zu Justine durch. Warmes, karibisches Sonnenlicht spiegelte sich auf den Lippen ihres Vaters. Ein tröstlicher Anblick, der ihr einen völlig unerwarteten emotionalen Aufruhr bescherte. Sie spürte, wie sich ihre Kehle zusammenschnürte, wie ihr Tränen in die Augen traten und sich ihre Wangen röteten. Dieser gottverdammte beknackte Körper, fluchte sie in stummer Wut. Trotzdem lächelte sie schwach zurück und achtete auch nicht darauf, wie die Leute in dem Schutzraum sie ansahen. »Ja, alles in Ordnung.«
»Gut, dann hör dir das mal an: Ich hab die Navy-Relaisverbindung zu Centurion Station überwacht. Dein neuer Freund Trachtenberg hat gerade eben den Kleriker-Conservator angerufen und ihm von der Expansionsphase berichtet. Und zwar noch bevor er es für nötig hielt, die Navy vor dem, was passiert ist, zu warnen.«
Es erfüllte Justine mit gewissem Stolz, wie sie es schaffte, in diesem Moment nicht in Trachtenbergs Richtung zu sehen. Okay, vielleicht ist dieser alte Körper ja doch nicht so nutzlos. »Tatsächlich. Wie interessant.«
»Es kommt noch besser. Vor ungefähr fünf Stunden hat der Zweite Träumer seinem Skylord-Spezi gesteckt, dass er nicht vorhabe, irgendjemanden in die Leere zu führen. Und das Nächste, was wir erfahren, ist, dass diese Expansionsphase eingesetzt hat. Ich weiß ja nicht, was du davon hältst, aber hier bei uns glaubt niemand an einen Zufall.«
»Der Zweite Träumer hat das alles hier verursacht?«
»Es geschah nicht mit Absicht. Zumindest hoffe ich das sehr. Ursache und Wirkung, schätze ich. Die Skylords leben, um Seelen ins Herz der Leere zu führen, und dann kommt jemand daher und erzählt ihnen, dass ihnen demnächst der Nachschub abgeschnitten wird. Junkies neigen nun mal dazu, auf so was gereizt und irrational zu reagieren.«
»Die Skylords sind keine Junkies.«
»Nimm nicht immer alles so wörtlich. Ich benutze nur Metaphern oder Allegorien oder irgend so’n Scheiß. Der springende Punkt ist: Jetzt wissen sie, dass wir da sind und darauf warten, geleitet zu werden. Sofern wir nicht zu ihnen kommen …«
»Sie kommen zu uns«, flüsterte sie.
»Sieht jedenfalls ganz danach aus.«
»Aber nichts kann die Grenzlinie überleben.«
»Das erste Schiff hat es. Irgendwie.«
»Hat der Zweite Träumer irgendetwas gesagt?«
»Nicht ein gottverdammtes Wort, nicht einmal ›Ups, Entschuldigung‹. Arroganter kleiner Scheißkerl. Ich hab mir ja schon gedacht, dass er eingebildet ist, aber so was!«
»Na, er wird wohl irgendetwas unternehmen müssen.«
»Der Meinung sind wir hier alle auch. Fakt ist, dass Living Dream ihm dicht auf den Fersen ist. Das dürfte ernsthaften Ärger bedeuten, falls sie ihn tatsächlich in die Finger bekommen. Dafür wird unsere Freundin Ilanthe schon sorgen.«
Justine griff auf die Daten zu, die von der Station herüberkamen, und beobachtete besorgt, wie ihr Lebenserhaltungssystem von den Gravitationswellen an die Grenzen seiner Belastbarkeit getrieben wurde. »Viel schlimmer als das hier wird’s wohl kaum werden, Dad.«
»Scheiße, tut mir leid, Engel. Denkst du, du kommst da heil raus?«
»Du weißt doch, dass du dir um mich keine Sorgen machen musst. Bleib mal ’nen Augenblick dran, wir kommen gerade bei den Raumschiffen an.«
Menschen aktivierten ihre persönlichen Kraftfelder, als sich das Außentor der Luftschleuse teilte. Einige von ihnen waren auf Nummer sicher gegangen und hatten sich zudem in die Druckanzüge gezwängt, die in den Bunkerspinden bereitlagen. Justine wusste, dass sie sich auf ihre Biononics verlassen konnte, um sie vor allem, was der namenlose Planet ihr entgegenschleudern mochte, zu schützen. Ihr integrales Kraftfeld verstärkte sich um sie. Sie streifte ihre hochhackigen Pumps ab und folgte den anderen durch den dreifachen Druckvorhang nach draußen. Zehn Aluminiumstufen später stand sie barfuß und in einem ganz und gar unpassenden kleinen, schwarzen Cocktailkleid auf der Lava. Durch das schützende Polster des Kraftfelds hindurch ließen Erschütterungen ihre Fußsohlen erzittern. Eine sanfte Argonbrise umwehte sie und wirbelte kleine Staubtwister empor.
Ihr Bunker war knapp hundert Meter hinter einem gedrungenen Gebäude, in dem sich die Hauptluftschleuse der Basis befand, zum Stillstand gekommen. Zwei der fünf Navy-Schiffe standen an jeder Seite Justines bereit, schwebten auf Ingrav einige Meter über dem Boden und schwankten leicht, während sie die heimtückische Gravitation kompensierten. Eilig hastete Justine um eines von ihnen herum und entdeckte die Silverbird, die weitere zwanzig Meter dahinter wartete. Ein willkommener Anblick. Lässig hing die schlichte purpurne Ovoidform über der Lava und schien sich weit stabiler in ihrer Position zu halten als die Navy-Schiffe. Sie grinste erleichtert und rannte unter den Schiffsbauch. Die Luftschleuse an der Rumpfbasis wölbte sich nach innen und öffnete sich zu einem dunklen Schacht, der ins Herz der Silverbird führte. Der Smartcore war bereits dabei, der Gravitation entgegenzuwirken, um sie hineinzuziehen, als sie am Horizont etwas sah, das sich bewegte. Ein ungeheuerlicher Anblick.
»Stop«, befahl sie.
Ihre Füße verharrten zehn Zentimeter über der Lava. Netzhaut-Inserts zoomten das Etwas heran.
Es war ein berittener Silfen.
Der elfenhafte Humanoid war in einen dicken kobaltblauen Mantel gehüllt, bestickt mit den märchenhaftesten Juwelen, die in den unsteten Pastellfarben des Sternenlichts funkelten. Am oberen Ende des hohen, spitzen Huts, den er auf dem Kopf trug, flatterte ein einfaches goldenes Band. Eine behandschuhte Hand umfasste einen langen, phosphoreszierenden Speer, den er wie zum Gruß erhob. Es mochte sich durchaus um eine solche Geste handeln, denn er beugte sich, halb auf Steigbügeln stehend, weit in seinem Sattel vor. Als wäre sein Erscheinungsbild nicht schon verwunderlich genug, verschlug ihr sein Reittier nachgerade die Sprache. Am ehesten ließ sich die Kreatur mit einem irdischen Rhinozeros vergleichen, nur dass es fast die Größe eines Elefanten besaß sowie zwei abgeflachte, hin und her peitschende Schwänze. Das lange, zottelige Fell war von hellroter Farbe, und die vier Hörner, die sich von den Seiten seines langen Kopfes wegbogen, wirken verteufelt spitz. Justine, die bereits einmal auf einem der Charlemagnes geritten war, welche die alten Barsoomianer auf Far Away geschaffen hatten, erkannte sofort, dass die Furcht erregende Bestie ein wahres Schlachtentier war. Allein sein Anblick reichte aus, dass ihr altertümlicher Körper instinktiv eine Flut von Angsthormonen produzierte.
Der Silfen hätte einfach nicht hier sein sollen. Sie hatte nie davon gehört, dass einer ihrer Pfade auf diesen abgelegenen, unwirtlichen Planeten geführt hatte. Und er war ein Sauerstoffatmer, ebenso wie sein, wie sie annahm, tödliches Reittier. Die dünne, strahlungsgesättigte Argonatmosphäre des namenlosen Planeten bedeutete für jedes lebende Geschöpf den sicheren Tod. Dann musste sie über sich selbst grinsen. Wer war sie, solche Behauptungen aufzustellen – sie, die sie hier stand und den unheimlichen Energieemissionen der Wall-Sterne ausgesetzt war, mit nichts mehr als einem skandalös kurzen Cocktailkleid am Leib?
Es war also keineswegs unmöglich, hier auf einen Silfen zu treffen. Nicht, dass er sich irgendwelcher technischen Hilfsmittel bediente, um sich vor der lebensfeindlichen Umgebung zu schützen.
Aber … »Wieso?«, flüsterte sie.
»Die Silfen leben, um zu erfahren«, erklärte ihr Gore, gleichermaßen in Bann genommen von der Anwesenheit des Aliens. »Seien wir mal ehrlich, eine größere Erfahrung als dem Ende der Galaxis zuzusehen, die um dich herum zusammenstürzt, kann man wohl kaum machen.«
Sie hatte ganz vergessen, dass sie die Verbindung zu ihrem Vater offen gelassen hatte. »Eine ziemlich kurze Erfahrung«, gab sie säuerlich zurück. »Und was ist das eigentlich für ein Ding, auf dem er da hockt?«
»Wer weiß? Ich glaube, Ozzie hat mal erwähnt, dass die Silfen, denen er auf einem Eisplaneten begegnet ist, auf eigenartigen Kreaturen zur Jagd geritten sind.«
»Eigenartig, nicht Furcht erregend.«
»Was spielt das für eine Rolle? Ich denke, er ist zu Ehren des Ereignisses auf dem stärksten Ross hierhergekommen, das sich auftreiben ließ. Immerhin hast du das imponierendste Kampflesben-Raumschiff in dem Teil der Galaxis.«
»Kampflesben-Raumschiff?« Wie dem auch sei, es brach den Zauber, den das sonderbare Alien auf sie ausübte. Formell neigte sie den Kopf in seine Richtung. In Erwiderung senkte der Silfen seinen Speer und setzte sich zurück auf seinen schmalen Sattel.
Die Silverbird zog Justine hinauf in die kleine, komfortable Kabine. Dort angekommen, ließ sie sich in einen tiefen, geschwungenen Sessel sinken, den das Deck ausfuhr. In dem von ANA entwickelten Schiff war sie nun so sicher, wie ein Mensch es nur sein konnte. Über die Außensensoren sah sie die letzten Angehörigen der Stationsbelegschaft in die Luftschleusen der Navy-Schiffe eilen. Zwei weitere Silfen hatten sich zu dem ersten Beobachter gesellt. Ihr Vater hatte wohl recht gehabt; sie würden nur wegen etwas wirklich Bedeutsamem hierherkommen. Für Justine verstärkte ihre Anwesenheit das todbringende Panorama, das sich vor ihren Augen entfaltete, nur.
»Auf geht’s«, befahl sie dem Smartcore.
Noch vor allen anderen Schiffen erhob sich die Silverbird von Centurion Station in den Himmel. Kurz darauf stiegen auch die anderen Raumer auf und vereinten sich mit ihr zu einer seltsam ungleichen Flotte. Commonwealth-Navy-Schiffe glitten geschmeidig neben die klobigen Ticoth-Raumer, während die violett glitzernden Sphären der Ethox flink die schweren Tanker der Suline umtanzten. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre sie liebend gern in einer der eleganten Artificial-Life-Konstruktionen mitgereist, die sich in die Höhe schwangen und herabstießen, um die Forleene aus der Gefahrenzone zu bringen. Trotz der Verwüstung und des Chaos, die überall herrschten, konnten es sich nur wenige der abfliegenden Spezies verkneifen, einen raschen Scan in Richtung des Metallkubus durchzuführen, der die Kandra beherbergte. Daher war niemand wirklich überrascht, als sich das gesamte Objekt einfach vom staubigen Boden erhob und, sanft von den einstürzenden Gebäuden des Observationsprojekts fortgleitend, Fahrt aufzunehmen begann.
Es erfüllte Justine mit einem geradezu lächerlichen Stolz, dass offenbar keines der anderen Schiffe es mit dem Beschleunigungsvermögen der Silverbird aufnehmen konnte. Das Ultra-Antriebsschiff brauchte nur wenige Sekunden, um eine Höhe von fünfhundert Kilometern zu erreichen, wo es stoppte, um den letzten Minuten von Centurion Station beizuwohnen. Eine neuerliche Gravitationswelle erschütterte die Schiffshülle mit solcher Gewalt, dass der bordeigene Schwerkraftgenerator sie kaum aufzufangen vermochte. Justine spürte ein deutliches Zittern, das sich durch die Kabine fortsetzte. Der namenlose Planet bäumte sich auf und krümmte sich unterhalb des Rumpfs, während seine uralte Geologie sich den ärgsten Effekten der furchtbaren Gravitationswellen, die unsichtbar durch seinen Mantel fluteten, hartnäckig widersetzte.
Der heiße Ethox-Turm war der Erste, der unterlag; bedrohlich schwankte er hin und her, bis die Wellenbewegungen schließlich zu mächtig wurden für die Sicherheitssysteme, als dass sie noch zu kompensieren gewesen wären. In träger Grazie fiel er und krachte auf die harte Lava. Gewaltige Wasserkaskaden ergossen sich aus den Rissen in den Suline-Tanks und schoben eine Düne aus Schlacke und Trümmern vor sich her. Spritzwasser erstarrte rasch zu nadelspitzem Hagel, der vom trüben Wasser wieder aufgenommen wurde. Unweigerlich obsiegte die Kälte und ließ einen drei Kilometer durchmessenden aufgewühlten Eissee entstehen. Dünne, graue Wolken quollen aus den Brüchen in den Kuppeln sowohl der Menschen wie der Forleene, die rasch von den Böen aus Argon zerstreut wurden.
In kürzester Zeit waren die Gebäude dem Erdboden gleichgemacht und teilten nun das Schicksal der anderen Enklavenruinen, die jene Orte markierten, an denen Hunderte von Alien-Spezies Jahrtausende damit zugebracht hatten, die schreckliche, rätselhafte Leere im Zentrum der Galaxis zu beobachten.
Justine richtete ihre Aufmerksamkeit nach oben auf den geschundenen Himmel. Als spürten sie, was jenseits der Wall-Sterne geschah, kochten die gewaltigen Ionenstürme mit seltsam wütendem Glanz, heller noch, als sie es während ihrer kurzen Zeit auf der Station erlebt hatte.
Die Silverbird verfolgte, wie die DF-Sphären der Raiel ihren Flug durch das Sternensystem fortsetzten. Gravitationswellen schwappten aus ihnen hervor und verzerrten die Orbits innerhalb der Haupt-Asteroidenringe. Ein paar kleinere Monde hatten, von ihrem Kielwasser erfasst, ebenfalls die Bahnneigung verändert. Alle neun DFs hielten auf den kleinen, orangenen Stern zu, den Centurion Stations namenloser Planet umkreiste. Plötzlich begann sich die Photosphäre des Sterns zu verdunkeln.
»Heilige Scheiße!«, rief Justine aus. Die DFs zogen offenbar Energie direkt aus dem Stern. Sie fragte sich, wozu. Der Effekt war faszinierend, ließ sie die Angst, die sie verspürte, beinahe vergessen. Tatsächlich hatte sie beim Einsetzen der Katastrophe einen Moment lang geglaubt, dass Centurion Station der Ort war, an dem ihr Körper zu guter Letzt den Tod finden würde.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, öffnete Lehr Trachtenberg in diesem Moment einen Kanal zu sämtlichen Menschenraumschiffen. »Statusbericht, bitte, sind alle wohlauf?«
»Alles in Ordnung bei mir«, meldete sie der CNE Dalfrod, auf die sich der Stationsleiter mit seinen Führungskräften begeben hatte.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sich seine eigenen Leute in Sicherheit befanden, nahm Trachtenberg Kontakt mit den Alien-Schiffen auf, die aus der Atmosphäre aufstiegen. Sie alle bestätigten, dass sämtliche Außerirdischen sich hatten retten können; wenngleich sich dies zumindest in Bezug auf die Kandra mehr auf Annahmen stützte, da der rätselhafte Kubus auf keinerlei Kommunikationsversuche reagierte.
»Wir kehren auf schnellstem Wege ins Commonwealth zurück«, verkündete Trachtenberg. »Nach dem, was die Beobachtungssysteme melden, sollte es möglich sein, der Expansion zu entkommen. Ihre Ausdehnungsgeschwindigkeit beträgt ungefähr drei oder vier Lichtjahre in der Stunde. Das gibt uns einen ausreichenden Sicherheitsabstand, um aus der Gefahrenzone zu gelangen.«
»Kommen die Daten immer noch rein?«, fragte Justine.
»Ein paar. Nur noch lückenhaft inzwischen. Im Wall geht im Augenblick eine Menge vor, das wir nicht verstehen. Ich vermute, dass die meisten Störungen, die wir verzeichnen, von den Verteidigungssystemen der Raiel herrühren, aber solange die Sensoren noch nicht hinüber sind, können wir trotzdem eine eingeschränkte Überwachung aufrechterhalten. Wir leiten so viel wir können an die Zentrale der Navy-Explorationsabteilung zu Hause weiter.«
»Ich verstehe.«
Justine sah zu, wie die anderen Raumschiffe ihre Höhe erreichten, und verspürte eine merkwürdige Verärgerung in sich aufsteigen. Konnte man denn nichts anderes tun, als einfach zu fliehen? Das Ganze schmeckte nach Feigheit. Sie verhielten sich wie unwissende Bauern, die sich bei einem Gewitter heulend zusammenkauerten, weil die Götter erzürnt waren und nach irgendeinem Opfer suchten, das sie ihnen zur Besänftigung darbringen konnten. Und dabei haben wir schon vor Jahrhunderten mit diesem Quatsch aufgehört. Und doch stehen wir bei aller Aufklärung genau wieder dort und verstecken uns vor dem Donnerwetter in unseren netten, trockenen Höhlen.
In diesem Moment beschleunigten hinter ihr die Schiffe, begannen, als sie Kurs auf ihre eigenen Heimatsysteme setzten, sich in alle Richtungen zu zerstreuen. Die Forleene waren die Ersten, die auf Lichtgeschwindigkeit gingen, entschlüpften in die Schlünde von Wurmlöchern, die sich sofort wieder hinter ihnen schlossen. Ein letzter Abschiedsgruß von ihrem Rudelführer hing noch im Äther.
Die Kabine der Silverbird schwankte erneut. Achtzig Millionen Meilen entfernt eilten die DFs in ein niedriges Orbit um den sich verfinsternden Stern. Die Erschütterung bekräftigte ihren Entschluss. So sollte das nicht laufen.
»Dad?«
»Noch hier.«
»Was haben die Raiel über die Expansion gesagt?«
»Rein gar nichts. Vergiss nicht, der High Angel ist ein Rettungsschiff. Die Raiel-Abwehrsysteme sind alle auf deinen Teil der Galaxis konzentriert. Wie auch immer, wir können ihnen dafür, dass sie uns nichts erzählt haben, schwerlich Vorwürfe machen. Im Augenblick ist so ziemlich jede empfindungsfähige Spezies in der Galaxis wegen der Pilgerfahrt stinksauer auf uns, und wer wollte es ihnen verdenken? Ich bin’s ja auch.«
»Ich weiß. Und deshalb gehe ich jetzt da rein«, sagte sie, selbst überrascht von der Geschwindigkeit ihrer Gedanken.
»Du tust was?«
»Ich breche auf in die Leere.« Noch während sie sprach, instruierte sie den Smartcore und bestimmte den Kurs. Schnell. Bevor ich auf die Idee komme zu kneifen.
»Das wirst du nicht tun, meine Liebe!«
Die Silverbird trat sanft in den Hyperraum ein und hielt mit fünfzig Lichtjahren pro Stunde auf die Wall-Sterne zu. »Erzähl’s ihm«, sagte sie zu ihrem Vater. »Erzähl es dem Zweiten Träumer. Bring ihn dazu, dass er den Skylord bittet, mich hereinzulassen. Wenn ich erst einmal drin bin, erst einmal mit dem Skylord direkt reden kann, werde ich versuchen, ihm die Situation zu erklären, ihm das Unheil vor Augen zu führen, das die Grenzlinie anrichtet.«
»Du wirst deinen Arsch verdammt noch mal sofort wieder zurück nach Hause bewegen!«
»Dad. Nein. Das hier ist unsere Chance auf eine diplomatische Lösung. Die Raiel haben es eine Million Jahre mit Gewalt versucht. Es hat nicht funktioniert.«
»Komm zurück. Du kommst da nicht rein. Das Ding ist dabei, die ganz verdammte Galaxis zu zerstören. Dein Schiff …«
»Menschen können durchaus hinein, das wissen wir bereits. Irgendwie ist es uns möglich. Und wenn der Zweite Träumer mir hilft, hab ich eine wirklich gute Chance.«
»Das ist Wahnsinn.«
»Ich muss es tun, Dad. Irgendjemand muss es doch versuchen. Es mit einer menschlichen Methode anzugehen. Wir sind heute ein Teil dieser Galaxis, ein großer Teil. Es ist an der Zeit, es auf unsere Art zu probieren. Das ist unser gutes Recht.« Ihr pochte das Blut in den Ohren, während sie sich in Rage redete. »Ich werde für uns alle die Fackel tragen. Sollte ich scheitern, nun … dann versuchen wir eben was anderes. Auch das bedeutet es, ein Mensch zu sein.«
»Justine.«
Über dreißigtausend Lichtjahre hinweg konnte sie seine Verzweiflung spüren. Für den Bruchteil einer Sekunde teilte Justine sie mit ihm. »Dad, wenn irgendjemand an den Zweiten Träumer herankommt, wenn einer diese Irren zur Vernunft bringen kann, dann bist du es, der Gore Burnelli. Alles, was er tun muss, ist, dem Skylord mitzuteilen, dass ich hier draußen bin. Bitte ihn. Flehe ihn an. Versprich ihm Reichtum und Wohlstand. Was immer nötig ist. Du schaffst das. Bitte, Dad.«
»Gott – verdammt, warum bist du nur immer so unglaublich schwierig?«
»Ich bin deine Tochter.«
Ein bitteres Lachen hallte durchs All. »Natürlich werde ich ihn bitten. Ich werde verflucht viel mehr tun als das. Und wenn er dann nicht diesen Skylord auf Knien anfleht, wird er nur noch wünschen, in der Expansion gnädigem Vergessen anheimzufallen.«
»Fang nicht an, den Leuten zu drohen«, rief sie ihn zur Räson.
»Ja, ja.«
»Ich versuche, so lange wie möglich einen Kanal zum Centurion-Station-Relais offenzuhalten. Die Navy-Systeme sind einigermaßen robust, sie sollten noch ein Weilchen mitspielen.«
»Okay, dann will ich mir mal den kleinen Schwachkopf suchen, der für diesen unglaublichen Schlamassel verantwortlich ist.«
»Danke, Dad.«
»Viel Glück.«
Um drei Uhr morgens verließ Chris Turner die Betriebskantine an der Ostseite der Docks von Colwyn City auf Viotia und verzog angesichts des Regens, der ihm entgegenklatschte, das Gesicht. Er hatte gehofft, die für die Jahreszeit untypische Schlechtwetterfront wäre vorübergezogen, wenn er seine Pause machte. Aber nein, die dicken Wolken zeigten keinerlei Zeichen von Auflösungserscheinung. Die semiorganische Jacke rollte einen Kragen um seinen Nacken, und er eilte zurück zum Versorgungsdepot.
Die Docks lagen völlig still da in dieser Nacht. Nicht, dass es in anderen Nächten anders gewesen wäre. Um diese Zeit kam hier nur wenig Personal zum Einsatz. Die Bots waren zur Wartung abgeschaltet, was der Grund dafür war, warum er diese ätzende Schicht schieben musste – sie war nicht beliebt, doch wurde sie gut bezahlt. Ozeanfrachter lagen vertäut am Kai, während ihre Mannschaften in den Kojen schliefen oder sich in den Clubs der Stadt die Nacht um die Ohren schlugen. Die Lagerhallen waren alle geschlossen.
Andererseits war in der City auch nicht viel los. Der heftige Regen hatte das Nachtleben fast völlig zum Erliegen gebracht. Kapseln und Bodenfahrzeuge hatten die letzten optimistischen Nachtschwärmer schon vor geraumer Zeit zurück zu ihren Häusern und Wohnungen befördert. Nur schwach konnte Chris die gewaltige Bogenbrücke erkennen, die sich über den Cairns spannte, ihre Lichter eine undeutliche helle Schliere im niederprasselnden Regen. Normalerweise würde auf ihr irgendein Betrieb herrschen, das eine oder andere Taxi entlang ihrer Metrogleise gleiten. Doch nicht heute Nacht.
Er erschauerte.
Die Stadt wirkte heute fast gespenstisch. Um dem Gefühl von Einsamkeit zu entgehen, griff er ins Gaiafield, in der Hoffnung, etwas Trost aus den darin immerzu umherwirbelnden Gedanken zu ziehen. Sofort umhüllte ihn das emsige Hintergrundgemurmel wie ein lautstarker Spuk; Gedanken, die riefen, schwermütig und drängend, Gefühle, die Neugierde weckten, wenngleich die traurigeren von ihnen ihn zurückschrecken ließen.
Sich etwas besser fühlend, nun, da er wusste, dass immer noch andere Menschen um ihn herum lebten und wach waren, beschleunigte Chris seine Schritte. Bis zum Morgen waren noch acht weitere Universalbots zu überholen. Selbst mithilfe des Firmensmartcores, der mit den Wartungsbuchten im Versorgungsdepot verbunden war, würde er alle Hände voll zu tun haben, wollte er rechtzeitig fertig werden. Einmal mehr fragte er sich, ob die Nachtschichtzulage die Sache wirklich wert war. Seine Freunde sahen ihn nur noch am Wochenende, und dann war er wegen seines Schlafrhythmus eine ziemlich miese Gesellschaft.
Er schritt die lange Reihe von Landefeldern entlang, trat mit den Stiefeln in Pfützen, die sich über die weite Betonfläche ausdehnten. In sanften grünlichen Kräuselungen reflektierte in ihnen das Leuchten der Lichtgloben auf ihren hohen Pfählen. Dicke Regentropfen trommelten geräuschvoll auf die dunklen Rümpfe abgestellter Schiffe.
Plötzlich flackerte zehn Meter über dem glatten Beton ein kleiner Stern blauviolett auf. Chris sackte die Kinnlade herab. Jeder, der im Raumschiffbusiness tätig war, und sei es auch in einer so unbedeutenden Position wie dieser, erkannte das Signaturspektrum von Cherenkov-Strahlung sofort. »Da stimmt was nicht«, murmelte er entgeistert.
Der Stern verschwand, und an seiner Stelle kräuselte sich die Luft. Unversehens starrte Chris auf einen perfekten schwarzen Kreis, der den Boden berührte. Die Schwärze veränderte sich nochmals, hellte sich auf zu Graublau und wich zurück mit einer Geschwindigkeit, die ihn schwindelig machte. Instinktiv riss er die Arme hoch, um die Balance nicht zu verlieren, hatte das sichere Gefühl, nach vorne zu stürzen. Nachdem er sein Gleichgewicht wiedererlangt hatte, blickte er in einen endlosen Tunnel. Plötzlich erhellte sich dessen matt glühende Substanz, und im nächsten Moment strömte unerträglich grelles Sonnenlicht daraus hervor. Nicht von Viotias Sonne, wie er erkannte. Dies hier war ein völlig anderer Stern.
Einen Augenblick lang verfinsterte sich das Licht, als eine große Kapsel aus der Öffnung glitt. Hastig huschte Chris zur Seite und aus dem Weg. Er sah, dass das Wurmloch sich noch etwas gesenkt hatte, um der langen Reihe von gepanzerten Gestalten, die nun von ihrer Welt aus hindurchmarschierten, eine breite Bahn zu bieten. Über ihren Köpfen schwebten Bug an Heck Kapseln aus dem Wurmloch hervor. Stiefel schlugen in stetem, von den hohen Mauern der Dockgebäude widerhallendem Rhythmus auf den nassen Beton. Es war ein unheimlich brutales Geräusch, wie Chris fand. Mehr als hundert Soldaten befanden sich inzwischen auf Viotias Seite. Soldaten? Aber wie sonst sollte er sie nennen?
Schließlich begann ihm die Unmöglichkeit dessen, was er sah, ins Bewusstsein zu dringen. Hektisch setzte sein U-Shadow Notrufe ab; an seine Familie, seine Freunde, seine Arbeitskollegen, an Firmenbüros, die Polizei, die Stadtverwaltung, die Regierung … Sein Geist entließ einen gewaltigen Schrei des Entsetzens ins Gaiafield, der ein paar unmittelbare überraschte Reaktionen örtlicher Teilnehmer hervorrief, umso mehr, als Chris ihnen seine Sicht öffnete.
»Sie da!«, dröhnte eine verstärkte Stimme aus der ersten Reihe der marschierenden Gestalten. Es mussten jetzt an die dreißig Kapseln in der Luft sein, die beschleunigend in Richtung Stadt ausschwärmten, und es wurden immer noch mehr. Von seiner Position aus bot das Wurmloch Chris ein schmales Fenster auf das enorm große Feld auf der anderen Seite. Dort schien warmes Nachmittagssonnenlicht anheimelnd auf Reihen um Reihen gepanzerter Gestalten, auf Tausende von ihnen – Zehntausende. Die meisten standen im Schatten einer Armada von Regrav-Kapseln, die über ihnen in der Luft schwebte.
Chris Turner wirbelte herum und begann zu rennen.
»Stehenbleiben«, befahl die barsche Stimme. »Hier spricht die legitimierte Polizei von Viotia, bevollmächtigt durch Ihre Premierministerin. Bleiben Sie stehen, oder Sie tragen die Konsequenzen.«
Chris rannte weiter. Das alles konnte doch nicht wahr sein. Immerhin war dies hier das Commonwealth. Es war sicher, und es war beschaulich. Hier marschierten doch nicht irgendwelche Typen von anderen Planeten ein, nicht mal in so unruhigen Zeiten wie diesen. Das passiert alles nicht wirklich!
»Letzte Warnung. Bleiben Sie stehen!«
Allmählich begann seine Familie auf seine hektischen Anrufe zu reagieren. Andere, die er über das Gaiafield an dem, was geschah, teilhaben ließ, zeigten sich nicht weniger entsetzt als er selbst.
Da traf ihn der Jangle-Impuls.
Noch bevor er auf dem nassen Beton aufschlug, verlor Chris das Bewusstsein.
Die Elvin’s Payback befand sich nur eine Stunde vor Viotia, als die Kacke zu dampfen begann.
Die gesamte Besatzung verfiel mehr oder minder gleichzeitig in Schweigen, als ihre U-Shadows die Neuigkeiten meldeten, die sich in der Unisphäre wie ein Lauffeuer verbreiteten. Ungläubig riefen sie die Nachrichten auf und verfolgten die Bilder der paramilitärischen gepanzerten Polizeikräfte und deren Unterstützungskapseln, die aus dem Wurmloch heraus in Colwyn Citys Raumhafendocks strömten.
In einer sorgfältig ausgearbeiteten Sequenz hatte zuvor das Büro des Kleriker-Conservators auf Ellezelin an Viotia die formelle, öffentliche Einladung, sich der Freihandelszone anzuschließen, in Umlauf gesetzt. Fast auf dem Fuße war eine Erklärung von Viotias Premierministerin gefolgt, in der sie im Namen des ganzen Planeten akzeptierte.
Eine Minute darauf hatte sich das Wurmloch geöffnet.
Insofern war Oscar nicht im Mindesten überrascht, als er ein paar weitere Minuten später über eine sichere Verbindung einen Anruf von Paula erhielt. »Wir wussten, dass sie die Annexion planten«, sagte Paula. »Der Auslöser muss der Zweite Träumer gewesen sein.«
»War ja klar«, erwiderte Oscar. »Zurzeit machen sich ja alle wegen der Expansionsphase vor Angst in die Hose. Wenn wir ihn in die Finger kriegen, würde ich diesem dämlichen Schwachkopf gern höchstpersönlich etwas Verstand beibringen.«
»Ich denke, die Expansion kam für Living Dream genauso überraschend wie für uns alle. Der Traum hat ihnen nur seinen Aufenthaltsort bestätigt. Danach richten sie sich.«
Oscar betrachtete abermals die Bilder, die von den Reportern, die sich am Rand der Docks eingefunden hatten, übermittelt wurden. »Demnach können wir also mit Sicherheit annehmen, dass sich der Träumer in Colwyn City aufhält?«
»Ja, nur wissen sie nicht genau, wo. Wenn sie einen konkreten Anhaltspunkt hätten, würden ihre Agenten ihn einfach in einer verdeckten Blitzoperation ergreifen. Diese Aktion hier beweist nur Ethans Verzweiflung. Die Informationen unserer Leute vor Ort lassen darauf schließen, dass sie den gesamten Verkehr in und außerhalb der Stadt stilllegen; Boden, Luft und Raum.«
»Sie ziehen die Schlinge zu.«
»Genau.«
»Das macht unsere Mission nicht gerade leichter. Wir müssen die Absperrungen durchdringen.«
»Nun mach’s nicht komplizierter, als es ist. Ich würde vorschlagen, flieg einfach runter zu den Docks.«
»Du willst mich wohl auf den Arm nehmen, was?«
»Absolut nicht. Lass dir vom Smartcore die Tarnfunktionen des Schiffs anzeigen. Ich glaube nicht, dass Living Dream auf Viotia über irgendeine Technik verfügt, die dich nachts bei dem Regen aufspüren kann.«
»Oh Scheiße. Na schön.«
Die Verbindung wurde beendet, und er wandte sich an seine Schiffskameraden, um ihnen die Sachlage zu erklären.
»Ich kann etwas Software einspeisen, die helfen wird, unsere Ankunft zu verbergen«, sagte Liatris McPeierl. »Ihr Netzwerk reicht bereits über den Dockbereich hinaus, ich beobachte seine Entwicklung über die Unisphäre, aber ich kann die Verbindungsnodi knacken. Dadurch komme ich an ihre Sensoren und Kommandonahtstellen heran.«
»Die Docks sind eine gute Position«, meinte Tomansio. »Damit sind wir direkt im Zentrum der Operation. Ist mir egal, wie eng ihr Netzwerk ist oder wie leistungsfähig ihre Smartcores sind, da unten dürfte es in erster Linie chaotisch zugehen. Das gibt uns eine einmalige Chance.«
»Also gut«, sagte Oscar, »ihr seid die Experten. Sagt mir einfach, welchen Anflugkurs ich nehmen soll.«
Vierzig Minuten später trat die Elvin’s Payback tausend Kilometer über Colwyn City in den Normalraum ein. Sie war bereits getarnt und in der Lage, sogar den meisten hochentwickelten Sensoren der Militärklasse zu entgehen. Was in diesem Falle vermutlich gar nicht erforderlich war. Viotias zivile Raumdetektoren waren kaum imstande, ein Schiff im geosynchronen Orbit zu lokalisieren, wenn es mit aktiviertem Signalfeuer den Planeten umflog. Bislang hatten die Streitkräfte, die in die Docks strömten, noch keinerlei Art von Sensorerfassung oberhalb der Atmosphäre etabliert. Stattdessen konzentrierten sie sich darauf, den Kapselverkehr in der City zu überwachen und jeden, der sich aus dem Staub zu machen versuchte, zu ergreifen. Niemand schien auf irgendwelche Raumschiffe zu achten, die im Nahbereich auftauchten. Die Handelsschiffe, die nach Beginn der Annexion eingetroffen waren, verweilten im Orbit und warteten die Entwicklungen und die Anweisungen ihrer Eigentümer ab.
Tomansios Anordnung folgend steuerte Oscar das Schiff direkt über die Flussmündung einige Meilen vor der Stadt. Es regnete immer noch, und der angeschwollene Wasserlauf war von sich dahinwälzenden Wolken verdeckt. Mit der hochintensiven optischen Verzerrung, die um seinen Rumpf flimmerte, sah das ovoide Schiff in den Fetzen spärlichen Sonnenlichts, die durch die Wolkendecke drangen, wie ein besonders dichter Sprühregenfleck aus. Elektroniksensoren verloren es einfach aus dem Fokus, Massescanner konnten nichts Schwereres als Luft in dem Raum entdecken, den es einnahm. Selbst Higher-Feldfunktionen, falls solche im Einsatz waren, hätten arge Schwierigkeiten gehabt, irgendetwas aufzuspüren. Am helllichten Tage, an einem klaren, sonnigen Morgen, hätte vielleicht jemand etwas bemerkt. Nicht jedoch in dieser trostlosen, finsteren Nacht.
Oscar brachte sie bis auf drei Meter über dem schlammigen Wasser herunter und lenkte das Schiff allein mithilfe passiver Sensoren flussaufwärts. Einige der großen Versorgungskapseln der Ellezelin-Streitkräfte durchstreiften auf der Suche nach flüchtenden Stadtbewohnern den Himmel über ihnen. Die Elvin’s Payback blieb für sie unsichtbar, was Oscar jedoch nicht davon abhielt, die Luft anzuhalten und blödsinnig zur Kabinendecke hinaufzustarren, als die Kapseln über sie hinwegflogen. Unwillkürlich fielen ihm die Kriegsfilme ein, die er sich in seinem ersten Leben angesehen hatte und die damals schon uralt gewesen waren, Geschichten über Schleichfahrten im U-Boot. Im Prinzip waren sie in einer ähnlichen Situation. Er war sogar versucht, mit dem Raumschiff in den Fluss abzutauchen, doch Tomansio redete es ihm wieder aus, weil der Lärm und die Wasserverdrängung, die sie beim Wiederauftauchen verursachen würden, sie höchstwahrscheinlich verrieten.
Also schwebten sie wie ein nächtlicher Geist über die verlassenen Kais durch den Nebel. Aus den Informationen, die Liatris aus dem Netzwerk der Eindringlinge gehackt hatte, ging hervor, dass im Umkreis der Docks mehrere paramilitärische Einheiten im Einsatz waren, unterstützt von zehn bewaffneten Kapseln in ihrem Gefolge. Doch niemand überwachte die langgestreckte Flussfront der Docks.
Inzwischen hatte Beckia McKratz das eigentliche Geschäftsnetzwerk der Docks infiltriert und dessen Nodi geschickt mittels einer Software manipuliert, mit deren Hilfe sich Kanäle öffnen ließen, ohne dass die Verwaltungsüberwachungsprogramme irgendwelche unbefugten Aktivitäten registrierten. Noch bevor sie Land erreichten, hatte sie das Kommando über eine riesige Frachtlagerhalle übernommen, deren Eigner die Bootel-&-Leicester-Importagentur war. Als sie über eine leere Lastkahnreparaturbucht hinwegflogen, öffnete sie eines der Plyplastik-Tore, und das Raumschiff glitt in das von Dunkelheit umschlossene Halleninnere. Kalter Regen tropfte auf den enzymgebundenen Betonboden. Leise schloss sich das Tor hinter ihnen. Fünf gerundete Landestützen wuchsen aus dem unteren Teil des Schiffsrumpfs hervor. Neben einem hohen Stapel gelber und grüner Frachtkisten mit auf Außerwelt produzierten Tiefbauexkavatoren brachte Oscar die Elvin’s Payback zum Stehen und setzte sie sanft auf.
»Alle Mann wohlbehalten unten«, sagte Oscar und stieß erleichtert die Luft aus.
»Wir sind in Sicherheit«, stellte Tomansio gutgelaunt fest. »Das soll uns erst mal einer nachmachen.«
Als die Mellanie’s Redemption viertausend Kilometer über Sholapur aus dem Hyperraum fiel, schaute Troblum auf einen sich langsam dem Morgengrauen entgegenwälzenden Kontinent herab. Das helle Licht des neuen Tages fiel auf eine breite Monsunschicht direkt über der subtropischen Küste, an der sich der Stadtstaat Ikeo in die spektakulär zerklüftete Landschaft kauerte. Mit Interesse beobachtete er das Wetter. Es gab auf Sholapur nicht viele Monsune, aber die, die sich bildeten, waren im Allgemeinen ungestüm und wild. Dieser hier würde das Land in weniger als zwei Stunden erreichen.
Auf dem Kabinensessel ihm gegenüber räkelte sich zufrieden lächelnd der Solido von Catriona Saleeb. Mit einer Hand strich sie sich durch das lockige, schwarze Haar, eine lässige Bewegung, die er immer besonders sinnlich an ihr fand. »Der Sturm könnte uns helfen«, sagte sie mit ihrer rauchigen Stimme.
Trisha Marina Halgarths Solido schlenderte durch die schmale Kabine zu Catriona herüber. Sie trug enge schwarze Lederjeans und ein knappes perlweißes T-Shirt, um ihre hübsche, sportliche Figur zur Geltung zu bringen. Grüne, schmetterlingsförmige OCTattoos zuckten schläfrig über ihre Wangen, als sie sich neben Catriona anmutig auf das Sitzpolster zwängte. Behaglich legten die beiden Mädchen ihre Arme umeinander. Trisha streckte ihre nackten Zehen. »Meinst du?«, fragte sie Catriona.
»Es wird Stunden dauern, bis er über Ikeo weggezogen ist. Das dürfte sämtliche Sensoren einigermaßen durcheinanderbringen, egal, wie fortschrittlich sie sind. Die meisten Grundstücke werden sich unter Kraftfeldern befinden, die einen Großteil der Scans blockieren. Das ist doch gut für uns, nicht wahr, Troblum-Schatz?«
»Könnte sein«, räumte er ein. Er hätte jetzt viel für Isabella Halgarths Lageeinschätzung gegeben, doch leider hatte er ihr Persönlichkeitssimulationsprogramm bei seiner Flucht von der Accelerator-Station eingebüßt, als er es in einem Projektor verwendet hatte, um die Sensoren davon zu überzeugen, dass sein Raumschiff immer noch untätig in der Andockbucht lag. Isabellas Sicht auf die Welt war weit verschlagener als die der anderen Mädchen, was sie zu einer hervorragenden Analystin bevorstehender Ereignisse gemacht hätte.
»Nicht, wenn du während des Sturms dort zu landen versuchst«, wandte Trisha ein. »Selbst mit dem Ingrav dieses Schiffes dürfte es schwierig werden, in den Böen die Höhe zu halten. Besser, du lässt es irgendwo an einem geschützten Ort stehen, für den Fall, dass du schnell wieder abreisen musst.«
Abermals ließ Troblum sich die Bilder der Außensensoren anzeigen. Der Sturm war wirklich gewaltig. Selbst aus dieser Höhe konnte er das Wetterleuchten erkennen, das sich durch die dunklen Wolken kräuselte. Auf seine Aufforderung hin legte der Smartcore die Sensorraster darüber, die Ikeo vor ungebetenen Eindringlingen schützen sollten. Die Mellanie’s Redemption könnte sich durchaus durch sie hindurchschleichen. Vielleicht. Aber es würde ein hartes elektronisches Kopf-an-Kopf-Rennen werden. Und Trisha hatte recht, der Sturm würde extrem schwierige Flugbedingungen schaffen. Er führte einen Passivscan nach im Orbit befindlichen Raumschiffen durch, doch es war keinerlei ankommender- oder abgehender Verkehr auszumachen, nur Sholapurs schmales Band geosynchroner Satelliten. »Aktiviere unsere volle Tarnung, und bring uns runter«, befahl er dem Smartcore. Dann rief er eine Karte Ikeos auf und bezeichnete ein kleines Tal fünf Meilen von Stubsy Floracs Villa, gleich vor der offiziellen Grenze der Stadt.
Troblum brach der Angstschweiß aus, als sie durch die letzten Wolkenschichten fielen. Dann hatten sie den kalten Brodem hinter sich gelassen, und das zerklüftete Land lag nur mehr zwei Kilometer unter ihnen. In dem blassen Licht des heraufdämmernden Morgens verschmolz das Schiff nahezu perfekt mit dem wolkenverhangenen Himmel, während es rasch durch die klare Luft herabsank. Neben einigen palmenähnlichen Bäumen, die sich im aufziehenden Sturm bereits hin und her zu wiegen begannen, brachte er es zur Landung.
Für seinen Besuch bei Stubsy Florac wählte er einen Einteiler aus gepanzertem Stoff, den er unter seinem Togaanzug tragen konnte. Sodann führte er einen Schnellcheck seiner für sein integrales Kraftfeld zuständigen Biononics durch, um sich von ihrer Funktionstüchtigkeit zu überzeugen. Beides zusammen, die Panzerung und der Schild, sollten dazu in der Lage sein, so einiges an Waffen abzuhalten. Obwohl er sich bezüglich ihres ultimativen Leistungsvermögens nicht allzu viel vormachte für den Fall, dass ihn ein Accelerator-Agent mit voller Enrichment-Ausstattung in die Enge trieb. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, eine Waffe mitzunehmen. In einem der Spinde waren zwei Jelly Guns versteckt. Beide mussten nur noch aufgeladen werden. Doch er besaß keine Erfahrung im physischen Kampf, und außerdem hatten, wenn es hart auf hart kommen sollte, seine Biononics immer noch einen respektablen Distorsionsimpuls auf Lager. Davon abgesehen würde es Stubsy bestimmt nicht gefallen, wenn ein Besucher mit einem solchen Schießprügel in seiner guten Stube erschien. Es war schon frech genug, dass er unangemeldet bei ihm aufkreuzte, um ihn um einen weiteren Gefallen zu bitten. Also ließ Troblum die Waffen im Spind und begab sich zur Luftschleuse.
Im mittleren Frachtraum des Schiffs war ein Ein-Mann-Scooter verstaut. Mit gemischten Gefühlen starrte Troblum das Vehikel an, als es herausschwebte und ein paar Zentimeter über dem dichten, blaustichigen Gras in der Luft hängen blieb. Er hatte den Scooter seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt. Jetzt wollte er ihm unbehaglich winzig erscheinen, und als er versuchte, sein Bein über den Sattel zu schwingen, hüpfte das Ding in beängstigender Weise unter seinem Gewicht auf und ab. Er benötigte drei Anläufe, doch schließlich schaffte er es, sich rittlings darauf zu setzen, unter dem jähen Schmerz zusammenzuckend, von dem er sicher war, dass er nur von einer Muskelzerrung knapp oberhalb seiner Hüfte herrühren konnte. Biononics machten sich ans Werk und lokalisierten und reparierten die betroffenen Zellen in seinem überbeanspruchten Fleisch. Aus dem Bug des Scooters wuchs ein Plyplastik-Visier hervor und entfaltete sich zu einer stromlinienförmigen Hemisphäre, die den Führer der Maschine vor den Fahrtwinden schützte, wenngleich es sich in Troblums Fall ein gutes Stück nach außen wölben musste, um ihn ganz zu umschließen. Sodann steuerte Troblum das kleine Gefährt in Richtung Stubsys Villa direkt vor dem Tal, wobei er seine Geschwindigkeit auf fünfzig Stundenkilometer hielt, bei einer Höhe von nicht über drei Metern.
Während er sich so seinem Reiseziel näherte, überprüfte sein U-Shadow sämtliche Raumhäfen, deren Netzwerke mit der bescheidenen Cybersphäre des Planeten verbunden waren, und erstellte eine Liste von Raumschiffen, die sich derzeit am Boden befanden; nicht eines von ihnen war auf der Erde registriert. Die Aufstellung war vermutlich alles andere als vollständig, wie er einräumen musste, aber andererseits war er sich sicher, dass Paula Myo keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde, was eine Erdregistrierung zweifelsohne bewirkte. Auch ein Schiff, das zu dem Profil eines Accelerator-Agenten gepasst hätte, war nicht zu entdecken. Falls jemand wegen ihm hier war, dann hielt er sich jedenfalls reichlich bedeckt.
Sein Scooter erreichte die Reihe schlanker Silberpfosten, die die Grenzen von Stubsys Anwesen markierten. Seine Feldfunktionen meldeten mehrere Sensoren, die ihn, während er langsamer wurde, in ihren Fokus nahmen. Er rief Stubsys Code auf. Es dauerte beunruhigend lange, bis der Dealer antwortete.
»Troblum, Mann, bist du das da draußen?«
»Natürlich bin ich das. Würdest du mich jetzt bitte durch deinen Sicherheitszaun lassen?«
»Ich wusste gar nicht, dass du auf Sholapur bist. Du bist nicht auf dem Raumhafen von Ikeo gelandet.«
»Ich sagte dir doch, dass für unsere letzte Transaktion Diskretion erforderlich ist.«
»Ja, ja, schon gut.«
Troblum warf einen nervösen Blick auf die silbernen Pfosten. Er kam sich hier draußen ziemlich allein und wie auf dem Präsentierteller vor. »Lässt du mich jetzt endlich rein?«
»Ach ja, richtig. Sicher. Klar. Ich hab dich durch das Verteidigungssystem hindurch freigegeben. Immer hereinspaziert.«
Die Spitzen der beiden Pfosten vor ihm verfärbten sich zu Grün. Troblum ließ den Scooter langsam kommen und manövrierte ihn durch sie hindurch, sich merklich verkrampfend, als er die Linie überfuhr. Als nichts geschah, atmete er erleichtert auf.
Jenseits der großen, weißen Villa zog über die stahlgraue See ein dichter Regenvorhang heran. Als er an den hohen Glastüren haltmachte, ließ Troblum seinen Blick den Abhang hinab bis zu der hübschen kleinen Bucht darunter schweifen. Nirgends war etwas von Stubsys vor der Küste ankerndem Gleitboot zu sehen.
Stubsy öffnete die Tür und grinste Troblum nervös an. »Hey, dicker Mann, wie läuft’s denn so?«
»Keine Veränderung«, erwiderte Troblum. Prüfend musterte er Stubsy, der sich an der Türkante festhielt und offenbar jeden noch so flüchtigen Blick in die riesige Diele hinter sich zu verhindern versuchte. Der Mann trug seine übliche, ebenso teure wie geschmacklose Garderobe; zu enge goldene Sporthosen und ein Hemd mit knalligem schwarz-orangefarbenem Blumenmuster. Es war bis zur Taille geöffnet. Das Gesicht aber wirkte ausgezehrt und verhärmt, so als litte er an der Mutter aller Brummschädel, mit tiefdunklen Ringen unter den Augen und mindestens zwei Tage altem Bart. Außerdem wirkte er fiebrig, seine Haut war heiß und verschwitzt.
»Ich bin hier, um meine Sammlung abzuholen.«
»Ja, klar«, sagte Stubsy und kratzte sich dabei im Nacken. »Sicher. Ja, sicher. Na fein.« Irgendwo im Haus war das Geräusch von über Fliesen rennenden nackten Füßen zu hören.
Troblum musste sein Sozialinteraktionsprogramm konsultieren. »Könnte ich sie bitte jetzt bekommen?«, las er von dem Skript in seiner Exosicht ab.
»Okay«, entgegnete Stubsy widerstrebend und trat beiseite.
Der offene Bereich in der Mitte des Hauses sah exakt so aus wie bei Troblums letztem Besuch. Dieselben Wasserfälle plätscherten munter die Findlinge herab, um wie eh und je das Schwimmbecken zu füllen. Grün und gelb blühende Pflanzen, zweimal so groß wie Troblum, wiegten sich in den Windstößen, die über das niedrige Dach zu schwappen begannen. Niemand war im Wasser. Drei von Stubsys olympischen Amazonen hielten sich im Innenhof auf, eine davon auf einer Sonnenliege ausgestreckt, die beiden anderen regungslos an der Bar stehend. Troblums leichter Feldscan verriet ihm, dass ihre sämtlichen Enrichments inaktiv waren.
Lautes Donnergrollen hallte am Himmel. Alle drei Frauen hoben den Blick.
»Willst du nicht ein Kraftfeld hochfahren?«, fragte Troblum den Hausherrn, während er seine Masse auf eine der Liegen sinken ließ. Das Holz und der Stoff ächzten bedrohlich unter seinem Gewicht. Er hatte seinen Platz gleich neben der Gespielin in dem smaragdgrünen Bikini gewählt. Angespannt umfasste sie die Kanten ihres eigenen Liegestuhls, als müsste sie sich aufgrund einer Schwerkraftumkehrung festhalten. »Dieser Sturm sieht heftig aus.«
»Kraftfeld«, sagte Stubsy. »Klar. Gute Idee, Mann. Äh, ja, das können wir machen, sicher.«
»Ist meine Sammlung gut angekommen?«
Stubsy nickte und hockte sich auf die Liege auf der anderen Seite der Amazone im grünen Bikini. »Ja«, sagte er langsam. »Sie ist eingetroffen. Wir haben sie wie vereinbart vom Frachter hierher transportiert. Der Captain war ziemlich neugierig, weißt du? Musste ein bisschen Extra-Cash lockermachen, damit er Ruhe gibt. Hab alles unten im Keller. Mann, ich hatte im Leben nicht mit so viel Plunder gerechnet.«
»Ich hab immerhin ’ne ganze Weile daran gesammelt. Und außerdem ist es kein Plunder.« Troblum schaute nach oben, als sich über der Villa ein Kraftfeld aufbaute. Die Windgeräusche verebbten zu einem Nichts. »Ich würde gern alles noch heute auf mein Raumschiff verladen.«
»Wo ist denn dein Raumschiff, Mann?«
»Ganz in der Nähe«, erwiderte Troblum. Er hatte nicht vor, auch nur irgendetwas preiszugeben, solange er nicht die Bezahlung geklärt hatte und die Sammlung fertig zum Abtransport war. »Hast du eine Frachtkapsel?«
»Sicher; ja, klar.«
»Da ist noch etwas, worum ich dich bitten möchte, wenn du nichts einzuwenden hast. Ich bezahl dich natürlich für die Mühe.«
Stubsy zog tief die Luft ein, als ob er irgendwelchen Ärger runterschlucken müsste. »Und das wäre, Mann?«
»Ich möchte hier bei dir jemanden unter vier Augen treffen. Jemanden, den du normalerweise nicht in dein Haus lassen würdest. Du wirst dafür sorgen müssen, dass das Verteidigungssystem der Stadt keine Schwierigkeiten macht.«
»Wem keine Schwierigkeiten macht?«
»Stell dir einfach vor, sie wäre Polizeibeamtin.«
»Polizei?« Stubsy lächelte gequält. »Auweiowei. Na ja, was soll’s, wir werden sowieso alle in den Bereichsgrenzen der Leere draufgehen, stimmt’s?«
»Schon möglich«, sagte Troblum. Er wusste noch nicht recht, was er von der Expansionsphase halten sollte. Wenn sie wirklich nicht aufgehalten werden konnte, hatte es auch wenig Sinn, auf eine Koloniewelt zu fliehen. Er würde schon die ganze Strecke bis in eine andere Galaxis zurücklegen müssen, wie es Gerüchten zufolge Nigel Sheldon tat; eine gewaltige Herausforderung für die Mellanie’s Redemption. Glücklicherweise sollte die Hardware, die er von der Accelerator-Station hatte mitgehen lassen, einen solchen Flug möglich machen, vorausgesetzt, er würde es jemals schaffen, die Myriaden von Komponenten zusammenzusetzen und zum Laufen zu bringen. »Also kann ich sie anrufen und ein Treffen arrangieren?«
Stubsy gab ein merkwürdiges kleines Lachen von sich und hob die Augenbrauen. »Klar.«
»Danke«, sagte Troblum. Über die sichere Verbindung, die er zu seinem Schiff aufrechterhielt, rief er bei der Sicherheitsabteilung von ANA:Regierung an.
»Ja, Troblum«, meldete sich ANA:Regierung.
»Verbinden Sie mich bitte mit Paula Myo.«
»Wie Sie wünschen.«
Paula Myo kam in die Leitung. »Sind Sie bereit, mich zu treffen?«
»Ich sagte doch, Sie sollten Ihr Schiff nicht tarnen.«
»Hab ich nicht.«
»Und wo stecken Sie dann?«
»In der Nähe von Sholapur.«
»Na schön. Ich bin bei Ikeo, Villa Florac. Ich hab dafür gesorgt, dass er Sie durch die stadteigenen Verteidigungssysteme lässt. Wie lange brauchen Sie, bis Sie hier sind?«
»Ich kann in ein paar Stunden da sein.«
»Gut, ich werde Sie erwarten.« Troblum beendete das Gespräch. Er schaute hinüber zu Stubsy, der sich während der ganzen Zeit nicht gerührt hatte. »Sie ist in zwei Stunden hier.« Was nicht exakt das war, was sie gesagt hatte, wie ein pedantischer Teil seines Verstandes gestehen musste. Paula würde niemals lügen, aber es lag durchaus eine gewisse Mehrdeutigkeit in der Art, wie sie es formuliert hatte.
»Cool«, sagte Stubsy.
»Kann ich die Sammlung jetzt sehen?«
»Klar doch, Mann. Sie ist unten.«
Stubsy ging voraus, zurück in die Villa. Seine drei Gespielinnen blieben am Pool, wenngleich ihre Augen Troblum auch wie Zielsensoren folgten, als er sich in Stubsys Gefolge in Bewegung setzte.
Eine der gewölbten Türen in der Diele öffnete sich zu einer massiven Betontreppe, die ins Untergeschoss führte. Stubsy stand an ihrem oberen Ende, als die Polyphotostreifen sich einschalteten. Es schien ihm ausgesprochen zu widerstreben, dorthinunter zu gehen.
»Hier unten?«, fragte Troblum.
»Ja«, flüsterte Stubsy.
Troblum sah, dass der Dealer wieder schwitzte. Welchen Exzessen auch immer er sich in der letzten Nacht hingegeben hatte, sie mussten ausufernd gewesen sein, wenn sein Körper so lange brauchte, um mit den Nachwirkungen fertigzuwerden.
Stubsy ging die Treppe hinunter. Troblum hielt sich dicht hinter ihm, begierig darauf, sich davon zu überzeugen, dass seine kostbare Sammlung von Memorabilien aus dem Starflyer-Krieg unversehrt war. Jedes einzelne Objekt hatte sich in einem eigenen Behältnis mit Stabilisierungsfeld befunden, doch um sie samt und sonders nach Sholapur zu schaffen, hatte er sich auf gecharterte Handelsfrachter verlassen müssen, ohne jede Möglichkeit, den Transport höchstselbst zu überwachen – es war der einzige Weg gewesen, Marius’ Aufmerksamkeit zu entgehen. So vieles hätte schiefgehen können.
An ihrem unteren Ende mündete die Treppe in einen breiten, in den nackten Fels gehauenen Durchgang, mit schmaleren Seitengängen, die alle paar Meter abzweigten. Sie waren von schweren Malmetall-Türen gesäumt. Stubsys Tresorräume waren um einiges ausgedehnter als die Villa darüber.
Was, zum Teufel, hütest du eigentlich hier unten?, hätte Troblum fast gefragt: Aber sein Sozialinteraktionsprogramm sagte ihm, dass Stubsy sich über so eine Indiskretion wahrscheinlich unnötig aufregen würde.
Sein Gastgeber bog in einen Seitengang ab. Eine Malmetall-Tür öffnete sich. In der Kammer dahinter flammten Lichter auf. Troblum trat in einen großen, runden Raum, der mit niedrigen Tischen vollgestellt war. Darauf befand sich seine Sammlung und wartete auf ihn. Jedes unbezahlbare Behältnis, jede Oberfläche schimmerte im matten Glanz eines Schutzschilds. Nicht ganz einfach, das alles in der Mellanie’s Redemption unterzubringen, dachte er. Ein paar der größeren Objekte würden womöglich sogar aussortiert werden müssen. Sein U-Shadow erstellte rasch eine Inventurliste, checkte die Logprotokolle der Koffer und Kisten. Sie waren öfter durch die Gegend geflogen, als Troblum lieb gewesen war, doch die Behältnisse hatten ihren Inhalt perfekt geschützt. Lächelnd strich er mit der Hand über das Futteral, in dem sich das Handheld-Array mit Foxory-Verschalung befand; die kostspielige Einheit hatte Mellanie Rescorai persönlich gehört, ein Geschenk von ihrem Liebhaber Morten aus der Zeit vor dessen Gerichtsverfahren. Troblum konnte so gerade noch die Konturen des Arrays unter dem Flimmern erkennen.
»Danke«, sagte Troblum. »Mir ist klar, dass du das hier nicht tun musstest.« Als er in Stubsys Richtung blickte, erhaschte er in dessen Gesicht einen Ausdruck, den sein Emotionalkontextprogramm als Wut und Verachtung interpretierte.
In diesem Moment brachen die Villen-Nodi zusammen, die seine sichere Verbindung zur Mellanie’s Redemption weiterleiteten.
»Wenn ich mir das hier alles so ansehe, fühle ich mich fast wie zu Haus«, sagte The Cat.
Der Schock traf Troblum wie ein physischer Schmerz. Um ein Haar hätten seine Knie nachgegeben, und er musste sich an der Tischkante festhalten.
Im nächsten Moment trat sie hinter einer riesigen Kiste hervor, die den offenen Bugkonus eines auf Wessex stationierten exosphärischen Kampf-Aerobot enthielt. Ihre zierliche Gestalt war in einen schlichten weißen Anzug gekleidet, der ein verschwommenes Leuchten von sich gab, als wäre sie irgendeine historische Heilige. Um ihren Körper wanden sich schwarze Bänder, die sich langsam wellenförmig bewegten; zehn von ihnen formten einen bizarren Käfig um ihren Kopf. Troblum war klar, dass es sich bei ihrem Anzug um eine Art Schutzpanzerung handeln musste. Davon abgesehen musste er, selbst jetzt, da er vor Angst beinahe losgeflennt hätte wie ein kleines Kind, zugeben, dass sie ziemlich beeindruckend aussah.
»Troblum, mein Schatz«, sagte Cat erfreut, als hätte sie ihn eben erst bemerkt. »Wie schön, dich wiederzusehen. Mit dir hat man immer so viel Spaß. War doch ein tolles Spiel, das wir beide gespielt haben. Na ja, ich hatte auch nichts anderes erwartet.«
»Spiel?«, sagte er schwach. Augenblicklich hatte sich sein integrales Kraftfeld aufgebaut, obwohl er wusste, dass es ihm gegen sie nicht viel nützen würde.
Cat trat ein paar Schritte auf ihn zu. Fast panisch taumelte Troblum zurück. Sogar jetzt kam er nicht umhin, ihre Geschmeidigkeit zu bewundern. Sie bewegte sich wirklich wie eine Katze.
»Aber ja, Schnuckelchen«, sagte Cat. »Echt drollig, dass du nicht dahintergekommen bist. Marius hatte recht. Auf emotionaler Ebene hast du, was deine Mitmenschen betrifft, nicht viel drauf. Du bist hier völlig ahnungslos hereinspaziert und hast nicht das Geringste von der kleinen Posse unseres lieben, alten Stubsy mitgekriegt. Hast du denn nicht ihre Mienen bemerkt, Troblum? Dann sieh sie dir wenigstens jetzt mal genau an.«
Troblum schaute mit wildem Blick zu Stubsy hinüber. Das Gesicht des Dealers war nur mehr eine unbewegliche Maske, die Zähne so fest aufeinandergebissen, dass seine Lippen zitterten. Zwei seiner Gefährtinnen tauchten in der Kammertür auf, hochgewachsen und stark. Troblum erkannte sie von seinem letzten Besuch: Simonie, die ein rotes, kurzes Kleid trug, und Alcinda, deren Muskeln ihren glänzend schwarzen Bikini fast bis zum Bersten spannten.
Cat stieß einen spöttischen Pfiff aus. »Sind sie nicht umwerfend? Und ziemlich angepisst noch dazu; was ich wiederum extrem lustig finde.« Sie wandte sich erneut an Troblum. »Du kapierst es immer noch nicht, stimmt’s? Unglaublich. Du bist wirklich ein Härtefall. Lass mal ein Emotionaler-Kontext-Erkennungsprogramm durchlaufen, mein Lieber. Ich sag dir, die sind alle stinksauer. Sie waren es schon, als du durch die Vordertür reinkamst, und bedauerlicherweise sind sie es noch. Und das alles nur wegen mir.«
»Okay«, sagte Troblum. »Du hast recht, ich hab’s nicht kapiert. Meinen Glückwunsch.«
»Nun ja.« Cat zog einen Schmollmund. »Ich und Stubsy hier hatten eine kleine Wette am Laufen. Ich hab gesagt, du würdest es erst dann merken, wenn du am Pool ankommst. Stubsy dagegen meinte, du würdest schon vorn an der Tür Lunte riechen, spätestens wenn du ihn siehst. Wir haben beide verloren. Und du bist dran schuld.«
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte Troblum. Leider verfügte er über keinerlei Taktikprogramme und somit nicht über die geringste Möglichkeit, einen Plan auszuarbeiten, der es ihm ermöglichte, aus einem unterirdischen Raum mit nur einer Tür und ohne Kommunikationsmöglichkeit zu entkommen. Doch dann wiederum war er sich ziemlich sicher, dass auch das beste Taktikprogramm ihm in dieser Situation nichts anderes sagen würde, als dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Dummerweise wusste er zudem um einen ganzen Strauß extrem unangenehmer Methoden, mit denen diese Frau ihre Feinde (und Freunde) zu beseitigen pflegte – und das, noch bevor er ihr File aufrief, um sich in diesem Punkt auf den neuesten Stand zu bringen. Wenn er sie nur irgendwie am Reden halten könnte … Erneut warf er einen Blick auf die Tür.
»Du meine Güte!« Cats entzücktes Gelächter schallte durch den Raum. »Troblum, Schätzchen, du denkst doch nicht im Ernst daran wegzulaufen? Ich sag dir was. Ich geb dir fünf Minuten Vorsprung. Glaubst du, deine fetten Stampfer schaffen es in dieser Zeit bis zum unteren Treppenabsatz? Meinst du nicht, dass du dich dann erst mal hinsetzen und ’ne Verschnaufpause einlegen musst?«
»Leck mich.«
»Troblum! Wie unanständig!«
Bei jedem anderen hätte ihr Tadel lustig geklungen. Bei ihr machte er ihm nur noch größere Angst.
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte er noch einmal.
Cat schlug die Wimpern nieder. »Tja, das war wirklich ein schier unlösbares Problem. Du bist ja so ein Meister-Undercover-Agent. Lass mich mal nachdenken … Könnte es das ganze illegale Geld gewesen sein, das deine Accelerator-Freunde auf deine Konten auf Externen Welten überwiesen haben und das sich mühelos bis hin zu unserem Stubsy hier verfolgen lässt? Oder dein Anruf bei ANA:Regierung, in dem du meiner alten Busenfreundin Paula Myo vorgeschlagen hast, dich hier mit ihr zu treffen? Hm, was war’s denn noch gleich? Offenbar ist mein Gedächtnis auch nicht mehr das, was es mal war.«
»Oh.« Es kam nicht oft vor, das Troblum sich wie ein Einfaltspinsel vorkam, aber die Art, wie sie es sagte, machte ihm klar, was für ein Vollidiot er gewesen war. Er hatte schon geahnt, dass die Unisphäre möglicherweise von einer Fraktion kompromittiert sein könnte, trotzdem hatte er nicht die geringsten Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Und was das Geld anging; nun, jeder drittklassige Cyberfreak war imstande, Zahlungen zu verfolgen.
»Wo ist dein Schiff?«, fragte Cat.
Troblum schüttelte den Kopf. »Nein.« Der Smartcore der Mellanie’s Redemption befolgte ein paar äußerst konkrete Anweisungen, sollte seine Sicherheitsverbindung getrennt werden. Soeben zählte ein Timer in seiner Exosicht die Sekunden herunter. Ein schwacher Hoffnungsschimmer, auch wenn er davon ausging, dass das Schiff, mit dem die Accelerators Cat versorgt hatten, in der Lage war, die Mellanie’s Redemption im Handumdrehen vom Himmel zu fegen. Noch ein Planungsfehler seinerseits. Damit blieb ihm nur noch eine Chance.
»Troblum«, sagte sie, als tadelte sie ein Kind. »Ich möchte gern wissen, wo dein Schiff ist, und ich will, dass du mir die Kommandocodes gibst. Und ich glaube, gerade du solltest wissen, dass es besser ist, mich nicht zu verärgern.«
»Ja, weiß ich. Wieso willst du das Schiff?«
»Ach komm, das weißt du ganz genau, Schätzchen. Möglicherweise ist Marius ein wenig verstimmt, weil du ihn vor seinen Herrn und Meistern zum Deppen gemacht hast, aber das könnte für mich wohl kaum eine Motivation sein, oder, Mr Neunmalklug?«
»Paula. Du willst es benutzen, um dir Paula zu schnappen.«
Entzückt klatschte sie in die Hände. »Sie und ich werden eine sehr lange Zeit miteinander verbringen. Ich hab da so meine Pläne, verstehst du? Große Pläne für eine gemeinsame Zukunft. Und ich brauche sie unverletzt. Wobei du mir helfen wirst, indem du sie davon überzeugst, dass hier alles in bester Ordnung ist.«
»Völlig sinnlos. Niemand hat mehr irgendeine Zukunft. Die Galaxis wird bei lebendigem Leibe aufgefressen. Wir alle werden binnen weniger Jahre sterben.«
Ein Anflug aufkommenden Zorns huschte über Cats Gesicht. Einen langen Augenblick starrte sie Troblum einfach nur an. »Ich will, dass sie in der Annahme hierherkommt, dich hier zu treffen«, sagte sie schließlich mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme. »Und das einigermaßen arglos, auch wenn sie ein paranoides kleines Miststück ist. Also … Dein Schiff. Sofort!«
»Nein.«
»Was mache ich mit Leuten, die ich nicht mag?«
Er zuckte die Schultern, weigerte sich, an die unschönen Details zu denken, die er über die Jahrzehnte hinweg den diversen Polizeiberichten entnommen hatte.
»Du wirst mir helfen«, sagte sie. »Lass mich dir nicht erst drohen müssen. Ich bin nur deshalb bis jetzt so geduldig gewesen, weil ich weiß, dass du dir über die Konsequenzen deiner Dummheit nicht bewusst bist. Vielleicht fragst du dich also mal, wieso Stubsy und seine Freundinnen so kooperativ sind.«
Troblum wandte sich zu dem Dealer um. Das war etwas, worüber er überhaupt noch nicht nachgedacht hatte. Ein weiterer Fehler, wie ihm jetzt klar wurde.
»Hilf ihr einfach«, sagte Stubsy gebrochen.