Die dunkle Festung - Peter F. Hamilton - E-Book
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Die dunkle Festung E-Book

Peter F. Hamilton

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Beschreibung

Der Konflikt der Menschheit mit den Primes, einer kriegerischen Spezies, spitzt sich zu. Das Commonwealth steckt eine Niederlage nach der anderen ein. Das Ende der Menschheit scheint beschlossen ... Steckt hinter alledem ein geheimnisvolles Wesen namens Starflyer? Oder gibt es Verräter im System?

»Das beste Buch, das Hamilton in den letzten Jahren geschrieben hat.« GUARDIAN

Das große Finale der spannungsgeladenen Science Fiction Saga des Bestseller-Autors Peter F. Hamilton.

Band 1: Der Stern der Pandora
Band 2: Die Boten des Unheils
Band 3: Der entfesselte Judas
Band 4: Die dunkle Festung

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.



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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Dramatis Personae

Über den Autor

Alle Titel des Autors bei Bastei Lübbe

Impressum

 

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Über dieses Buch

Der Konflikt der Menschheit mit den Primes, einer kriegerischen Spezies, spitzt sich zu. Das Commonwealth steckt eine Niederlage nach der anderen ein. Das Ende der Menschheit scheint beschlossen … Steckt hinter alledem ein geheimnisvolles Wesen namens Starflyer? Oder gibt es Verräter im System? 

PETER F. HAMILTON

DIE COMMONWEALTH-SAGA

DIE DUNKLEFESTUNG

ROMAN

Aus dem Englischen von Axel Merz

 

Sophie Hazel Hamilton gewidmet –Ich wusste nicht, wie sehr ich dich vermisst habe,bevor du gekommen bist.

Kapitel eins

Die Assemblierungsplattform weckte Erinnerungen an die Konstruktion der Second Chance im Orbit über Anshun. Nigel hatte das Gefühl, als wäre diese Episode bereits Jahrhunderte her, als hätte sie sich in einer Zeit ereignet, als das Leben ein gutes Stück unbeschwerter und leichter gewesen war. Giselle Swinsol und Nigels eigener Sohn Otis führten ihn durch das Labyrinth aus Trägern und Streben zu einem riesigen Zylinder aus Malmetall, in dem die Speedwell gebaut wurde. Das Kolonieschiff der Dynastie war viel größer als die Second Chance, ein länglicher Cluster aus kugelförmigen Rumpfsektionen entlang einem zentralen Rückgrat. Bisher hatte Nigel den Bau von elf der großen Schiffe autorisiert und Komponenten für weitere vier erworben. Theoretisch reichte bereits ein Schiff aus, um genügend Ausrüstung und genetisches Material zur erfolgreichen Gründung einer technologisierten Zivilisation aus dem Nichts heraus zu transportieren; doch Nigel wollte mit mehr als nur den grundlegenden Dingen anfangen, und seine Dynastie war die größte im Commonwealth. Eine Flotte würde absolut sicherstellen, dass eine neu gegründete menschliche Zivilisation erfolgreich war. Jetzt jedoch war er nicht einmal mehr sicher, ob diese zweite Serie von Schiffen je gebaut werden würde. Wie alle anderen auch hatte er erwartet, dass die Kriegsschiffe der Navy einen erfolgreichen Einsatz gegen das Höllentor der Primes durchführen würden. Der Augenblick, in dem das Detektornetzwerk festgestellt hatte, dass sämtliche Wurmlöcher der Primes über den Lost23 wieder aktiviert wurden, war eine schlimme Überraschung für ihn gewesen. Auf eine Niederlage dieses Ausmaßes war er nicht vorbereitet gewesen.

»Wir haben inzwischen vier in Dienst gestellt«, berichtete Otis neben ihm. »Die Aeolus und die Saumarez werden innerhalb der nächsten zehn Tage zu Testfahrten bereitstehen.«

»Verlasst euch nicht darauf, aber möglicherweise bleiben uns keine zehn Tage«, sagte Nigel. »Giselle, ich möchte, dass du unsere Notfallprotokolle überarbeitest. Zielvorgabe ist die Evakuierung von so vielen Mitgliedern der Dynastie wie nur irgend möglich auf den Lifeboats während einer Invasion. Stimm das mit Campbell ab. Wir müssen geschützte Wurmloch-Verbindungen zu unseren Gruppierungen herstellen. Wir setzen in erster Linie die Wurmlöcher unserer Erkundungsdivision ein, aber wir müssen ein Backup bereithalten.«

»Verstanden.« Giselles elegantes Gesicht wirkte im freien Fall ein wenig aufgedunsen; dennoch schaffte sie es, einen besorgten Ausdruck aufzusetzen, und ihre Wangen zeigten Falten. »Wie wahrscheinlich ist eine Invasion?«

Nigel hielt sich an einem Karbonträger am Fuß eines Schwermasse-Manipulators fest. Er blickte auf die Antriebssektion der Speedwell hinaus, ein pilzdachförmiges Gebilde am Bug des Raumschiffs mit geriffelten Rändern, die über den vorderen Kugelsektionen nach hinten zurücksprangen wie ein schützender Regenschirm. Die Außenhaut bestand aus glattem blaugrünem Borstahl, der glänzte wie der Panzer eines Käfers.

Die meisten der robotischen Systeme der Plattform waren in das zylindrische Trägergerüst eingefahren, welches das gigantische Raumschiff umgab. Sämtliche auf Cressat vorgefertigten Komponenten waren an ihrem jeweiligen Platz eingebaut; die wenigen verbliebenen Bereiche, wo noch Aktivität herrschte, waren die Energie- und Versorgungsanschlüsse der Lebenserhaltungssysteme des Schiffs.

»Das wissen nur die Primes«, antwortete Nigel. »Aber nach unserem Fehlschlag beim Höllentor glaube ich nicht, dass es lange dauern wird, bis sie reagieren.«

»Sie wissen nicht, wo diese Welt ist«, bemerkte Otis. »Sie wissen nicht einmal, dass sie existiert. Sie findet sich in keiner Datenbank des Commonwealth. Verdammt, selbst Cressat wäre schwierig zu finden. Das verschafft uns ein wenig Spielraum.«

»Ich will nicht evakuieren«, sagte Nigel. »Der Einsatz dieser Flotte ist die allerletzte Option, was mich betrifft. Im Augenblick habe ich einen anderen Plan. Ich will unsere Waffe einsetzen, um das Commonwealth zu verteidigen. Deshalb bin ich auch hier.«

Otis starrte seinen Vater an und lächelte nervös. »Benutzen wir die Fregatten, um die Waffe abzufeuern?«

»Ja, mein Sohn. Du darfst deine Kampfmission kommandieren.«

»Ich danke dem Herrn dafür. Ich dachte schon, ich würde tatenlos zusehen müssen.«

»Freu dich nicht zu früh, Otis. Ich versuche immer noch, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden.«

»Dad, es ist kein Genozid, wenn wir diesen Brückenkopf erledigen.«

Nigel schloss die Augen. In letzter Zeit stellte er häufig fest, dass er sich wünschte, an einen Gott zu glauben, irgendeinen Gott, irgendein allmächtiges Wesen, das mitfühlend seinen Gebeten lauschte. »Ich weiß.«

»Die Fregatten sind noch längst nicht einsatzbereit«, erklärte Giselle. »Und unsere Waffe wurde noch nie getestet. Wir sind gerade erst mit der Fabrikation der Komponenten fertig geworden.«

»Auch ein Grund, warum ich hier bin«, erwiderte Nigel, froh darüber, dass es ein greifbares, praktisches Problem gab, auf das er sich konzentrieren konnte. »Wir müssen unseren Zeitplan straffen und die Fertigstellung beschleunigen.«

»Wenn du das sagst – nur wüsste ich nicht, wie wir das bewerkstelligen könnten.«

»Zeigt mir, was wir bisher haben.«

Die Fregatten-Assemblierungsplattform Nummer Eins war eine separate Kammer aus Malmetall, die an der Seite der Hauptplattform saß wie ein kleiner schwarzer Pickel. Nigel schwebte durch einen schmalen Verbindungsschlauch, dessen Elektromuskelbänder ihn peristaltisch vorantrieben. Als er in der Kammer ankam, war sein erster Eindruck, dass er sich im Maschinenraum eines kolossalen Dampfschiffs des neunzehnten Jahrhunderts befand. Es war heiß und laut, und metallisches Hämmern hallte durch die Luft, die schwer war vom Gestank nach verbranntem Plastik. Große Kranarme bewegten sich über den wenigen freien Stellen hin und her wie antike Maschinenpleuel. Kleinere Robotmanipulatoren rollten mit schlangengleichem Geschick über Schienen und hantierten an kompakter Maschinerie. Rote kreisförmige Holo-Schilder blinkten überall, wo Nigel hinsah, und warnten die Techniker vor komplexen, sich bewegenden Teilen. Im Zentrum des mechanischen Aufruhrs war die Fregatte Charybdis: eine dunkle Masse aus dicht gepackten Komponenten. Fertiggestellt würde sie aussehen wie eine flache Ellipse, fünfzig Meter lang und umhüllt von einem aktiven Tarn-Komposit; doch zum jetzigen Zeitpunkt war die Hülle noch nicht auf dem Rumpf aufgebracht.

»Wie lange dauert es noch bis zur Fertigstellung?«, erkundigte sich Nigel.

»Einige Tage«, antwortete Giselle. »Bis zur endgültigen Einsatzfähigkeit noch eine Weile länger.«

»Wir haben nicht mehr so viel Zeit, nicht unter den gegebenen Umständen«, sagte Nigel. Er drückte sich ab und schwebte näher heran, um die Fregatte genauer in Augenschein zu nehmen. »Wie weit sind wir mit den übrigen drei Plattformen?«

»Nicht so weit wie mit dieser hier. Wir können noch keine Schiffe darin bauen. Wir warten ab, bis die Fehler in der ersten Plattform gefunden und beseitigt sind. Sobald wir alle Plattformen in Betrieb genommen haben, können wir alle drei Tage eine neue Fregatte ausstoßen.«

Nigel packte einen Manipulatorarm neben einem der holografischen Warnschilder und spähte durch das sich unablässig bewegende Gerüst aus Kybernetik. Er erkannte die sanfte Wölbung der Brücke im Bereich des vorderen Drittels. Mehr als zwanzig Roboter waren damit beschäftigt, zusätzliche Bauteile zu integrieren oder Schläuche und Kabel an das Druckmodul anzuschließen.

»Hey, Sie!«, rief ihm ein Mann zu. »Sind Sie blind? Halten Sie sich verdammt noch mal fern von den Schildern! Was glauben Sie, weshalb die da sind?«

Mark Vernon glitt durch einen der roten Kreise fünf Meter von Nigel entfernt. Es sah aus, als tauche er aus einem Pool voll roter Flüssigkeit auf. »Es ist gottverdammt gefährlich hier drin. Wir haben keine der üblichen automatischen Abschaltvorrichtungen installiert.«

»Ah«, sagte Nigel. »Danke für die Warnung.«

Giselle schwebte heran und funkelte Vernon warnend an.

Mark blinzelte, als ihm urplötzlich bewusst wurde, wen er da angebrüllt hatte. »Oh. Richtig. Äh, hi, Sir. Hi, Giselle.«

Nigel beobachtete, wie das Gesicht des Mannes rot anlief, doch er schien nicht die Absicht zu hegen, sich zu entschuldigen. Nigel respektierte das – Mark war eindeutig der Boss auf dieser Plattform. Dann zeigte Nigels E-Butler die Personaldatei von Mark Vernon, zusammen mit einer Reihe von interessanten Querverweisen. Gottverdammt! Gibt es irgendetwas in diesem Universum, das nicht mit Mellanie Rescorai in Verbindung steht?

»Das ist unser Chefingenieur, Mark Vernon«, stellte Giselle den Mann vor.

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Mark«, sagte Nigel.

»Ja«, erwiderte Mark missgelaunt. »Sie müssen hier drin wirklich vorsichtig sein, Sir. Das war nicht als Witz gemeint vorhin.«

»Ich verstehe. Sie sind also der Fachmann hier oben, korrekt?«

Mark versuchte ein Schulterzucken, doch er hatte vergessen, dass er sich in Schwerelosigkeit befand. Rasch hielt er sich an einer Strebe aus Alulithium fest, um nicht herumzuwirbeln. »Es ist eine verdammt herausfordernde Aufgabe, alles auf der Plattform zu integrieren. Ich genieße sie.«

»Dann muss ich mich bei Ihnen entschuldigen, denn ich stehe im Begriff, Ihnen das Leben schwer zu machen.«

»Äh, wie das?« Marks Blick huschte zu Giselle, die gleichermaßen verstört dreinsah.

»Ich brauche innerhalb der nächsten dreißig Stunden eine einsatzfähige Fregatte im Wessex-System.«

Mark grinste ihn wild an. »Unmöglich! Es tut mir leid. Das geht einfach nicht.« Er winkte schwach in Richtung des nackten Rumpfs der Charybdis. »Das dort ist die erste, die wir bauen, und wir stehen alle zehn Minuten vor einem neuen Problem. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich bin sicher, es sind ausgezeichnete Schiffe, und sobald mein Team und ich die richtige Sequenz für den Zusammenbau herausgefunden haben, können wir so viele wie Sie wollen vom Fließband laufen lassen. Aber wir sind noch nicht so weit. Noch lange nicht.«

Nigel erwiderte das Grinsen, kalt und kompromisslos. »Lösen Sie diese Assemblierungsbucht von der Plattform. Verankern Sie sie an einem der fertiggestellten Lifeboats, und arbeiten Sie weiter an der Charybdis, während Sie nach Wessex fliegen.«

»Hä?« Trotz der fehlenden Gravitation sank Marks Unterkiefer vor Staunen nach unten.

»Gibt es irgendeinen technischen Grund, warum das nicht möglich sein sollte? Irgendeinen?«

»Äh, nun ja, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Vermutlich nicht. Nein.«

»Gut. Dann möchte ich, dass die Assemblierungsbucht innerhalb einer Stunde verankert und abflugbereit ist. Nehmen Sie mit, wen immer Sie brauchen, aber machen Sie die Charybdis einsatzbereit.«

»Sie wollen, dass ich mitkomme?«

»Sie sind der Experte.«

»Hmmm. Richtig. Ja. Sicher. Okay. Äh, darf ich fragen, warum Sie eine Fregatte im Wessex-System brauchen?«

»Weil ich sicher bin, dass dieses System ganz oben auf der Liste der nächsten Ziele der Primes steht.«

»Ah. Aha. Ich verstehe.«

»Seien Sie nicht so bescheiden, Mark. Sie haben fantastische Arbeit geleistet, als Sie den Menschen von Randtown bei der Flucht geholfen haben. Ich bin stolz, dass Sie einer meiner Nachfahren sind. Ich weiß, dass Sie uns nicht enttäuschen werden.«

Nigel winkte Otis und Giselle; dann stieß er sich ab und schwebte zu dem Verbindungsschlauch zurück. »Wir werden die Waffensektion ebenfalls auf das Lifeboat verlegen. Ich möchte unverzüglich mit den Projektwissenschaftlern reden. Welches Lifeboat ist am besten geeignet?«

»Die Searcher hat bereits zwei Testflüge absolviert«, antwortete Otis. »Sie ist fast einsatzbereit. Sie dürfte das zuverlässigste Schiff sein.«

»Dann nehmen wir die Searcher.«

Mark klammerte sich an den schlanken Träger, während er Nigel Sheldon hinterherblickte, der durch den Verbindungsschlauch davonglitt. Schweiß troff ihm aus jeder Pore und klebte an seiner Haut, was einen entsetzlich kalten, widerlichen Film aus Feuchtigkeit erzeugte. »Ganz oben auf der Liste der Ziele«, flüsterte Mark düster. Er blickte zu der unvollendeten Fregatte hinüber. »Herrgott im Himmel, nicht schon wieder.«

Es war vier Uhr morgens auf Illuminatus, als Paula Myo endlich zur CST Station aufbrach. Jeder, der sich im Greenford Tower aufgehalten hatte, war von ihrem medizinisch-forensischen Team untersucht worden. Mehrere gesuchte Kriminelle, die sich für ein Wetwiring in der Saffron Clinic aufgehalten hatten, waren festgenommen und der einheimischen Polizei überstellt worden. Die Krankenhäuser der Stadt behandelten die Verletzten sowohl vom Greenford Tower als auch vom Treetops Restaurant. Ein Team von Ingenieuren und Sachverständigen untersuchte die Überreste der Saffron Clinic auf strukturelle Schäden. Die Forensik beschlagnahmte sämtliche verbliebenen Arrays, um die Daten daraus zu rekonstruieren und zu entschlüsseln.

Paula zog ihren Kampfanzug im Kontrollzentrum aus und reichte ihn dem technischen Team, das alles einpackte. Sie legte einen Schutzschirm-Skelettanzug an; dann zog sie einen langen, gerade geschnittenen grauen Rock und ein dickes weißes Baumwolltop darüber. Ihr brauner Ledergürtel mit der eingearbeiteten silbernen Kette sah schick dazu aus; er stammte tatsächlich aus ihrer eigenen Garderobe, doch die Techniker der Senate Security hatten ihn umgearbeitet.

»Alles in Ordnung?«, fragte Hoshe.

»Es ist nicht ganz so gelaufen, wie ich gehofft hatte«, antwortete Paula. Ihr E-Butler kontrollierte die Integration von Gürtel und Skelettanzug. »Ich hoffe, es ist noch nicht vorbei. Ist für die Rückreise alles vorbereitet?«

»Die Teams sind in Position, die Ausrüstung vorbereitet …«, er blickte auf die vier schwarzen Koffer mit den Energieprojektoren hinunter, »… und aktiviert.«

»Gut. Brechen wir auf.«

Sie gingen in die Tiefgarage hinaus, in der die Gewahrsamszellen eingerichtet worden waren. Ein einzelner Käfig aus Maschendraht war noch besetzt, umzingelt von zwanzig Guardbots mit ausgefahrenen Waffen. Zwei einheimische Polizeibeamte standen rechts und links vom Zugang. Im Käfig befand sich nur noch eine einzige Person.

Mellanie wartete in der Mitte des Käfigs, noch immer in ihrer Pflegeruniform, die Arme gekränkt vor der Brust verschränkt und Empörung im Gesicht.

Paula bat die Beamten, das Gitter zu öffnen. Mellanie blieb ungerührt stehen.

»Ich dachte, wir würden uns auf dem Rückweg unterhalten«, sagte Paula. Irgendwie hatte sie nicht die geringsten Skrupel, die junge Frau wütend zu sehen. Mellanie hatte ohne jeden Zweifel eine Menge illegaler Dinge gemacht, um sich widerrechtlich Zugang zur Saffron Clinic zu verschaffen.

»Wissen Sie eigentlich, wie lange ich schon hier warte?«, fragte Mellanie.

»Auf die Sekunde. Warum?«

Mellanie funkelte sie an.

»Wenn Sie es vorziehen, können Sie selbstverständlich hierbleiben«, bot Hoshe großzügig an. »Die örtliche Polizei wird Ihren Fall behandeln, sobald Sie an der Reihe sind. Allerdings hat sie nach heute Nacht eine ganze Menge zu tun. Es könnte also noch etwas dauern.«

Mellanie stieß ein wütendes Knurren aus. »Ich habe keinen Zugriff auf die Unisphäre.«

»Wir haben hier unten Blocker-Systeme installiert«, erklärte Hoshe. »Sie sind recht effektiv, meinen Sie nicht?«

Mellanie richtete ihren wütenden Blick auf Paula. »Wohin?«, fragte sie.

»Wohin was?«, fragte Paula zurück.

»Sie sagten, wir würden uns auf dem Rückweg unterhalten. Rückweg wohin?«

»Zur Erde. Ich habe Tickets für den nächsten Express. Erste Klasse.«

»Meinetwegen. Was auch immer.« Mellanie stapfte durch das offene Gitter. »Wo ist der Wagen?«

Hoshe deutete höflich zur Rampe. »Draußen.«

Mellanie schnaubte angesichts von so viel Inkompetenz. Sie stapfte mit weit ausgreifenden, ungeduldigen Schritten in Richtung Rampe davon. Paula und Hoshe wechselten einen amüsierten Blick; dann trotteten sie Mellanie nach. Hoshes vier schwarze Koffer rollten hintendrein.

Die Rampe führte auf die Straße hinter der Greenford Plaza hinaus. Mellanie hielt verwirrt inne, als sie das Chaos draußen sah. Paula und Hoshe holten sie ein und blieben rechts und links von ihr stehen. Die noch anwesenden Reporter stürmten auf die Absperrung zu und brüllten ihnen Fragen entgegen.

Paulas virtuelle Sicht verriet ihr, dass Mellanie eine Reihe stark verschlüsselter Nachrichten empfing, sobald sie sich in die Unisphäre eingeloggt hatte. Die junge Reporterin schickte zwei Nachrichten ab.

Die Polizei von Tridelta City hatte die Allwyn Street im Umkreis von sechs Blocks um den Wolkenkratzer herum immer noch abgeriegelt. Die Krankenwagen waren inzwischen verschwunden, und nur die Feuerwehrfahrzeuge und ihre Bots und Mannschaften waren noch vor Ort und mit den Aufräumarbeiten nach der Explosion beschäftigt.

Die acht Fahrzeuge, die Rennes Taxis am nächsten standen, waren ausgebrannte Wracks, über die Straße gewirbelt und in Gebäude geschleudert. Weitere zwanzig Fahrzeuge waren mehr oder weniger stark beschädigt und nicht mehr fahrtüchtig. Ein großer Kran hob sie auf wartende Transporter. Cleaningbots der Verwaltung wuschen das Blut von den Bürgersteigen. Eine Menge Leute hatte in den Bars in der Umgebung im Freien gesessen. GPBots kletterten über die Fassaden und kehrten die Glasscherben zusammen.

»Oh mein Gott!«, murmelte Mellanie bestürzt. Sie starrte auf die Verwüstungen; dann drehte sie sich zum Greenford Tower um.

»Ich sagte doch, dass es nicht sicher ist«, erinnerte Paula sie.

Ein großes Einsatzfahrzeug der Polizei hielt vor ihnen. Die Tür glitt auf, und sie stiegen ein. Die Koffer rollten ins Gepäckabteil.

»Ich muss an Randtown denken«, sagte Mellanie leise, als der Wagen losfuhr. »Ich hatte gehofft, ich hätte es vergessen, aber jetzt ist alles wieder da. Es war grauenvoll.«

Paula sah, dass die junge Frau ehrlich aufgewühlt war. »Tod in einem derartigen Ausmaß ist niemals einfach zu ertragen.«

Hoshe schaute aus dem Fenster. Sein Gesicht war ausdruckslos.

»Gab es Verletzte unter Ihren Leuten?«, erkundigte sich Mellanie.

»Einige wurden verletzt, ja.«

»Das tut mir leid.«

»Sie kannten das Risiko, genau wie Sie, Mellanie. Wir werden sie alle relifen.«

»Wenn es noch irgendetwas gibt, für das es sich lohnt, wiederbelebt zu werden.«

»Dafür werden wir Sorge tragen, glauben Sie mir.«

Der Einsatzwagen der Polizei brachte sie rechtzeitig zur CST Station von Tridelta City. Sie hielten vor dem Haupteingang, stiegen aus und gingen zur Hauptplattform hinauf. Eine kühle Brise wehte durch die gewaltige Halle des Terminals. Sie kam direkt vom Logrosan her, der an der Seite des kleinsten Rangierbahnhofs entlangströmte, den Paula je im Commonwealth gesehen hatte. Illuminatus exportierte keine sperrigen Waren, sondern nur kleine High-Tech-Geräte. Der Rangierbahnhof diente hauptsächlich den Importeuren von Nahrungsmitteln – ohne jegliche Anbaufläche auf dem Planeten musste jede Mahlzeit mit Güterzügen herangeschafft werden. Paula fragte sich, was geschehen würde, wenn die Primes diese Welt angriffen. Oder schlimmer noch, wenn sie Piura angriffen, die Big15-Welt, die Illuminatus mit dem Commonwealth verband. Wenn Illuminatus vom Commonwealth abgeschnitten wurde, dann würde es für die Stadtbevölkerung recht schnell ziemlich schlimm werden.

Sie blickte den Bahnsteig entlang, und die übrigen Passagiere vermieden jeglichen Augenkontakt. Es herrschte kein ausgesprochener Hochbetrieb, doch es warteten mehr Leute als gewöhnlich um diese Tageszeit, früh am Morgen. Mehrere Familien standen zusammengedrängt mit ihren schläfrigen Kindern. Nach den Nachrichten vom Misserfolg der Raumschiffe hatten sie offensichtlich ernsthaft über die Konsequenzen eines Angriffs der Primes nachgedacht.

Mellanie rieb sich die Arme; die kühle Luft erzeugte eine Gänsehaut. »Ich komme mir in diesem Ding absolut dämlich vor«, murmelte sie. Die Pflegeruniform hatte kurze Ärmel.

»Hier«, Hoshe zog seinen Pullover aus und reichte ihn Mellanie.

Sie lächelte ihn dankbar an. »Danke sehr.« Er war ihr zu weit, doch sie hörte auf zu zittern.

Der Express glitt lautlos auf seinen Maglev-Schienen in die Station. Sie warteten, bis alle Passagiere ausgestiegen waren, bevor sie in den Erster-Klasse-Waggon stiegen, wo sie ein ganzes Abteil reserviert hatten.

»Zu welcher Station auf der Erde fahren wir?«, fragte Mellanie.

»London«, antwortete Hoshe.

»Ich dachte, Ihre Basis wäre Paris?«

Paula lächelte geheimnisvoll. »Kommt ganz darauf an.« Sie befahl ihrem E-Butler, eine der Taschen an ihrem Gürtel zu öffnen. Eine bratationische Spindelfliege sprang heraus und kletterte an der Wand nach oben. Sie spann einen hauchdünnen Faden hinter sich, während Paula durch den schmalen Gang des Waggons weiterging, und hielt die gesicherte Verbindung auf diese Weise aufrecht. Das Abteil war mit dick gepolsterten Ledersitzen ausgestattet und mit einem Tisch mit Walnuss-Furnier in der Mitte. Mellanie warf sich mit einem lauten Seufzer in einen der Sitze, zog die Beine an und den Pullover über die Knie. Sie starrte aus dem Fenster wie ein Kind, das die Auslagen in einem Schaufenster bestaunt. Paula und Hoshe setzten sich ihr gegenüber. Die schwarzen Koffer glitten an ihre Plätze rechts und links von der Tür.

Nach ein paar Minuten setzte sich der Express in Bewegung. Lautlos schob er sich aus der Station und beschleunigte, während er Kurs auf das Gateway nahm.

»Was ist aus den Anwälten geworden?«, fragte Mellanie unvermittelt.

»Körpertot«, antwortete Paula. »Unsere medizinisch-forensischen Experten versuchen, ihre Memorycell Inserts zu bergen, aber angesichts der Schwere der Wunden haben sie nur wenig Hoffnung.« Sie überprüfte das Bild, das sie von der Spindelfliege erhielt, eine schwarz-weiße Weitwinkelansicht des Korridors von der Decke herab. Ihre Haut kribbelte kurz, als sie den Druckvorhang des Gateways passierten. Warmes, lachsfarbenes Licht schien durch das Fenster des Abteils herein, und der Express beschleunigte stark über den gewaltigen Rangierbereich der CST Station von Piura.

»Sie waren die einzige Spur, die ich zur Cox Educational hatte«, sagte Mellanie.

»Meine ebenfalls.«

Mellanie sah Paula überrascht an. »Sie haben mir geglaubt!«

»Inzwischen tue ich das, ja. Wir haben einen Agenten des Starflyers in meinem alten Pariser Büro enttarnt. Er hat seit einer ganzen Reihe von Jahren Informationen manipuliert. Der Cox-Fall war auch darunter.«

»Haben Sie ihn geschnappt?«

»Nein«, gestand Paula. Es war ein Eingeständnis, das ihr schwer auf dem Magen lag, doch sie hatte mit Alic Hogan gesprochen, bevor die Ärzte ihn in Narkose versetzt hatten. Treetops war noch schlimmer gelaufen als der Greenford Tower.

»Also haben wir immer noch keine stichhaltigen Beweise für die Existenz des Starflyers«, seufzte Mellanie.

»Die Indizien sammeln sich aber.« Paulas virtuelle Sicht zeigte ein kleines Quadrat voll Text. Die Management-Routinen in den Arrays der Waggons schalteten ihre Kommunikationsfunktionen ab. Die Spindelfliege zeigte Paula, wie die Tür geöffnet wurde, die zum Erster-Klasse-Waggon führte. Sie wechselte einen Blick mit Hoshe, der unauffällig nickte.

»Aber sie reichen nicht aus«, sagte Mellanie missmutig. »Das ist es doch, was Sie mir sagen wollen.«

»Nein, sie reichen nicht. Und uns geht allmählich die Zeit aus.«

»Was bringt Sie auf die Idee?«

»Der Krieg verläuft nicht gut für das Commonwealth. Unsere Raumschiffe wurden beim Höllentor der Primes geschlagen.« Eine junge Frau kam durch den Gang in Richtung ihres Abteils. Paulas Herzschlag beschleunigte sich. In ihrer virtuellen Sicht klappte ein taktisches Display auf, und sie bereitete mehrere Routinen für den augenblicklichen Einsatz vor.

»Ja. Ich schätze, die Reichen werden schon ziemlich bald mit ihren Lifeboats verschwinden.«

»Ich denke auch. Wichtiger noch: Nach den Guardians ist Tatsache, dass der Starflyer aus dem Commonwealth flüchten wird, sobald er alles für unsere Vernichtung arrangiert hat. Wenn es uns nicht gelingt, bald gegen ihn loszuschlagen, ist er nicht mehr da.«

»Dann hindern Sie ihn doch einfach daran, nach Far Away zurückzukehren«, sagte Mellanie. »Bewachen Sie das Gateway von Boongate nach Half Way.«

»Dazu müsste ich zuerst meine politischen Verbündeten davon überzeugen, dass ein derartiger Schritt erforderlich ist.« Durch die künstlichen Sinne der Spindelfliege sah Paula, dass die junge Frau auf dem Gang vor ihrem Abteil stehen geblieben war.

Mellanie holte tief Luft. »Ich kenne noch weitere Agenten des Starflyers – falls Sie mir diesmal glauben, heißt das.«

»Sie sind äußerst gut informiert.«

Ein fokussiertes Disruptorfeld traf die Abteiltür, die augenblicklich zersplitterte. Mellanie schrie entsetzt auf und warf sich zu Boden. Paula und Hoshe aktivierten ihre Schutzschirme. Isabella Halgarth trat durch die ausgefransten Überreste des Türrahmens. Ein glitzernder Schutzschirm hüllte sie ein.

»Sie ist es!«, rief Mellanie. »Es ist Isabella! Sie ist eine von ihnen!«

Isabella hob den rechten Arm. Das Fleisch auf ihrem Unterarm geriet in Bewegung und teilte sich an mehreren Stellen wie lippenlose Münder.

Paula aktivierte den Käfig. Geschwungene, kelchförmige Energiefelder schossen aus den Koffern zu beiden Seiten von Isabella und hüllten sie hauteng ein. Sie verzog verblüfft das Gesicht und wollte sich bewegen, doch es ging nicht. Sie wand sich im Innern des Blütenkelchs aus Energie, der sie gefangen hielt. Ihre Bewegungen waren mechanisch, als ihre aufgerüsteten Muskeln alle Kraft einsetzten, um ihren Körper zu befreien. Eine Serie von Öffnungen entstand an ihren Armen, aus denen dunkle stummelförmige Waffenmündungen traten. Sie feuerte Ionenbolzen und Maser auf ihre Fesseln ab.

Energieblitze zuckten über das Fesselfeld und in den Boden des Abteils. Rauch kräuselte sich nach oben. Die schimmernden Energiefelder leuchteten in einem bedrohlichen Azurblau auf.

»Fertig?«, rief Paula über das Krachen der Entladungen hinweg. Sie hielt ein Dumpweb hoch, und als Hoshe nickte, klatschte sie es Isabella in den Rücken. Die Energiefelder des Käfigs arrangierten sich so, dass ihre Hand hindurchging. Ihr Gesicht war nur Zentimeter von dem der jungen Frau entfernt, und in diesem Augenblick erkannte sie mit absoluter Gewissheit, dass sie es mit einem Alien zu tun hatten. Isabellas Augen starrten sie in rasender, ohnmächtiger Wut an. Was auch immer für eine Intelligenz das war, die durch sie blickte, sie studierte Paula und schätzte ihre Fähigkeiten ein.

Isabellas Schutzschirm fiel aus.

Hoshe rammte einen Nervejam-Stock gegen ihren Rumpf. Auch der Stock durchdrang das Fesselfeld mühelos und traf Isabella an der Brust. Ihr gefangener Leib begann, unkontrolliert zu zittern. Sie bleckte die Lippen zu einem wuterfüllten Fauchen. All ihre implantierten Waffen feuerten gleichzeitig. Funken sprühten aus dem Energiekäfig, als die Generatoren protestierend aufheulten.

»Meine Güte!«, rief Hoshe. Er drehte den Nervejam-Stock auf die höchste Stufe.

Plötzlich erschien ein überraschter Ausdruck auf Isabellas Gesicht. Ihre Augen öffneten sich weit. Die Waffen hörten auf zu feuern.

Die Kelchblätter aus Energie hielten sie fest umschlossen und drückten sich gegen ihre Haut, bis sie sich nicht mehr regen konnte. Paula schaute zu den Füßen der jungen Frau hinunter. Sie schwebte ein paar Zentimeter über dem schwelenden Teppichboden. »Ist sie ausgeschaltet?«

»Ich weiß es nicht!«, antwortete Hoshe schwitzend. »Aber ich denke nicht daran, ein Risiko einzugehen!« Er hielt den Nervejam-Stock weiter fest gegen Isabellas Brust gedrückt.

»Okay.« Paula rief den Rest des Teams herbei. Vic Russell trampelte in voller Kampfmontur durch den schmalen Korridor, gefolgt von Matthew und John King.

»Sie kriegen immer allen Spaß!«, beschwerte sich Russell.

»Das nächste Mal lasse ich Ihnen den Vortritt«, entgegnete Hoshe, als Russell den Nervejam-Stock von ihm übernahm.

Nachdem Isabella von drei bewaffneten, in Schutzschirme gehüllten Männern umgeben war, deaktivierte Hoshe das Fesselfeld. Die junge Frau brach zusammen. John King fing sie auf, bevor sie den Boden berührte.

»Lebt sie noch?«, fragte Paula.

»Der Herzschlag ist leicht unregelmäßig, doch er beruhigt sich schon wieder«, versicherte John King ihr. »Sie atmet ohne fremde Hilfe.«

»Gut. Schaffen Sie sie in die Suspensionszelle.« Paula schaltete ihren Energieschirm aus und strich sich mit der Hand über die Stirn. Sie war nicht überrascht, als sie feststellte, dass ihre Finger feucht von Schweiß waren.

»Was zur Hölle hat das alles zu bedeuten?«, schrie Mellanie außer sich.

Paula drehte sich zu der wütenden, verängstigten, jungen Frau um und blinzelte überrascht. Mellanies Haut war nahezu vollständig von silbernen OCTattoos überzogen.

»Es war eine Falle«, sagte Paula und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Sie hatte keine Ahnung, welche Implantate Mellanie besaß und wozu sie imstande war. Das Einzige, was sie mit Sicherheit wusste, war, dass Mellanie nicht zum Netzwerk des Starflyers gehörte; ansonsten hätte sie Isabella Halgarth ohne Zweifel geholfen. »Sie und ich, wir haben dem Starflyer eine ganze Menge Schwierigkeiten bereitet. Gemeinsam waren wir deswegen – so hatte ich zumindest gehofft – ein unwiderstehliches Ziel. Ich habe mich nicht getäuscht. Auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass der Starflyer Tarlo schicken würde.«

»Sie!«, ächzte Mellanie und zeigte mit zitterndem Finger auf Paula. »Sie. Wir. Ich. Der Polizeiwagen. Alle haben es gesehen!«

»Das ist korrekt. Jeder hat gesehen, wie wir gemeinsam den Greenford Tower verlassen haben. Die Reporter haben darüber in der Unisphäre berichtet. Dieses Abteil wurde auf meinen Namen reserviert. Es war das perfekte Ziel für den Starflyer, um einen seiner Assassinen auf uns zu hetzen.«

»Ich habe keinen Schutzschirm-Anzug!«, heulte Mellanie auf. Das Silber auf ihrer Haut verblasste und zog sich in komplexen, lockigen Mustern zusammen.

»Sie waren relativ sicher. Das Fesselfeld ist so ausgelegt, dass es auch starken Waffen widerstehen kann, die von innen heraus abgefeuert werden.«

Mellanie ließ sich wieder auf den Sitz sinken und starrte ins Leere. »Sie Stück Scheiße! Sie hätten es mir zumindest vorher sagen können!«

»Ich war nicht völlig sicher, was Ihre Loyalität angeht. Und ich wollte, dass Sie sich möglichst natürlich verhalten. Ich bitte um Entschuldigung für den Schrecken, den Sie erlitten haben.«

»Schrecken!«, wandte sich Mellanie an Hoshe, der mit einem schwachen, besorgten Lächeln antwortete.

»Und nun«, fuhr Paula ungerührt fort, »würde ich gerne von Ihnen erfahren, woher Sie wussten, dass Isabella Halgarth eine Agentin des Starflyers ist?«

Justine traf kurz nach Mitternacht in New York ein, später, als sie erwartet hatte. Die Sitzung des Kriegskabinetts hatte eine Stunde länger als geplant gedauert, weil sie die von Wilson Kime vorgelegten Ergebnisse diskutiert hatten. Jetzt wurden siebenundzwanzig Schiffe der Moscow-Klasse mit Seattle Quantumbustern ausgerüstet. Die zwanzig Schiffe der Flotte, die das Höllentor angegriffen hatte, waren auf dem Rückweg zum High Angel, wo sie ebenfalls mit Quantumbustern ausgerüstet werden sollten, nachdem sie wieder aufgeladen worden waren.

Niemand wusste, ob das ausreichte, um weitere Angriffe der Primes abzuwehren. Selbst Dimitri Leopoldvich war vorsichtig in seinen Einschätzungen.

Das Kriegskabinett war außerdem unschlüssig, ob es den Kampf zurück ins Heimatsystem der Primes tragen sollte oder nicht. Sheldon, Columbia und Hutchinson wollten eine Reihe von Schiffen nach Dyson Alpha entsenden, solange die Primes noch nichts von den Quantumbustern ahnten. Columbia glaubte, dass sie imstande wären, unglaubliche Zerstörungen im Sternensystem der Aliens anzurichten und hoffentlich die Zivilisation der Primes auf diese Weise ganz entscheidend zu schwächen. Anschließend könnte eine zweite Welle von Schiffen nach Dyson Alpha fliegen – ›um die Arbeit zu beenden‹, wie er es nannte.

Wieder einmal die Genozid-Option. Justine hatte sich auf ihre Seite geschlagen, was den Rest des Kabinetts offensichtlich überrascht hatte, einschließlich Toniea Gall, das jüngste Mitglied. Justine hatte es wegen des Starflyers getan. Bradley Johansson hatte ihr berichtet, dass der Starflyer beide Spezies vernichten wollte und sie nach einem sorgfältig ausgeheckten Plan gegeneinander ausspielte, sodass er sich siegreich aus den Ruinen erheben konnte. Genozid war die einzige Möglichkeit, die Justine sah, wenn das Commonwealth überleben wollte.

Im Gegensatz dazu war Kime nicht von diesem Vorgehen überzeugt. Er wies auf die schiere Größe der Zivilisation von Dyson Alpha hin und auf die Tatsache, dass sie sich unterdessen ohne den geringsten Zweifel über andere Sternensysteme ausgebreitet hatte, neben den Lost23 und dem Höllentor-System. Die Überreste der Prime-Zivilisation würden genauso hart zurückschlagen, behauptete Kime. Möglicherweise würde ein doppelter Genozid die Folge sein.

»Sie versuchen, uns auszurotten, ob wir das Gleiche tun oder nicht!«, hatte Columbia erwidert.

Wenn die Genozid-Option für die nächste Zukunft ausgeschlossen war, hatte sich Alan Hutchinson zu Wort gemeldet, warum dann nicht einen zweiten Angriff gegen das Höllentor starten, unter Einsatz von Quantumbustern?

»Damit würden wir unseren Vorteil aus der Hand geben«, hatte Kime geantwortet. »Unser Quantumbuster ist die einzige Waffe, von der die Primes nichts wissen.«

»Aber wenn unsere Quantumbuster funktionieren, dann können wir das Vorrücken der Primes vollkommen unterbinden und sie außerdem von den Lost23 vertreiben«, entgegnete Hutchinson. »Ohne das Höllentor können die Primes keine zweite Invasionswelle starten. Und ohne das Höllentor können wir losfliegen und ihr Heimatsystem ausschalten.«

»Ich glaube nicht, dass wir es uns im Augenblick leisten können, Schiffe von der Verteidigung abzuziehen«, bemerkte Kime. »Wenn wir mehr Schiffe in Dienst gestellt haben, dann wird solch ein Vorgehen möglich, vorher nicht.«

Hutchinson war alles andere als zufrieden mit dieser Antwort. Die restlichen Mitglieder des Kriegskabinetts spürten die wachsende Kluft zwischen Kime und Columbia. President Doi schloss die Sitzung, indem sie einen fortlaufenden Lagebericht anordnete. Sie würden sich wieder zusammensetzen, sobald die strategische Entwicklung es erforderte.

Kaum hatten sie sich erhoben, war Justine aus dem Saal geeilt, um zusammen mit ihren Beratern und Leibwächtern in einen Express nach New York zu steigen, wo sie am nächsten Morgen ein Treffen mit Fachleuten von der Wall Street vereinbart hatte, um mit ihnen über die verschlechterten finanziellen Bedingungen zu diskutieren, die durch Steuererhöhungen, den allgemeinen Exodus und den jüngsten Fehlschlag der Navy hervorgerufen worden waren. Die Märkte befanden sich im freien Fall, und sie brauchten die Versicherung, dass die Exekutive absolut Herr der Lage war und ihre Politik letzten Endes das Problem lösen würde. Als könnte ich sie davon überzeugen! Zumindest Crispin würde beim Arbeitsfrühstück zugegen sein, und auf seine allgemeine Unterstützung konnte Justine sich verlassen.

Sobald der Express in die Grand Station einlief, stiegen Justines Berater in ein Taxi, das sie zu ihrem Hotel brachte. Justine wurde von einer Limousine der Familie zu ihrem Appartement in der Park Avenue gebracht. Während sie in den großen Wagen stieg, markierte ihr E-Butler Nachrichtensendungen in der Unisphäre, die von Illuminatus berichteten. Sie ließ einige davon durch ihre Filter und richtete sich sofort kerzengerade in den weich gepolsterten Ledersitzen auf. Bilder vom Greenford Tower füllten ihre virtuelle Sicht. Reporter berichteten von den Bemühungen der Feuerwehr von Tridelta City, mit den Verwüstungen aufzuräumen, die das explodierende Taxi angerichtet hatte. Die Verluste an Menschenleben ringsum waren erschreckend.

»Verbinde mich mit Paula Myo«, befahl sie ihrem E-Butler.

»Senatorin?«, meldete sich Paula.

»Ist alles in Ordnung?«

»Bisher ja.«

»Was bedeutet das?«

»Wir haben keinen der Agenten des Starflyers fassen können, die wir in Tridelta aufgespürt haben. Allerdings ist es uns gelungen, einen seiner Agenten zu enttarnen, der im Pariser Büro des Navy-Geheimdienstes gearbeitet hat. Das verschafft uns eine ausgezeichnete Position für Verhandlungen mit Admiral Columbia und den Halgarths.«

»Das sind gute Neuigkeiten!«

»Ja. Ich habe eine Falle vorbereitet mit mir und Mellanie Rescorai als Köder, während wir zur Erde reisen. Ich hoffe, dass ich diesmal erfolgreicher sein werde.«

»Mellanie ist bei Ihnen?«

»Ja. Sie ist sehr stark in der Anti-Starflyer-Bewegung involviert. Ich vermute, dass sie irgendwie mit den Guardians in Verbindung steht.«

Fast hätte Justine ihr verraten, dass Mellanie mit Adam Elvin in Kontakt stand, doch das würde bedeuten, dass sie ihren Kontakt zu Bradley Johansson erklären müsste, und sie war noch nicht bereit, diese Information an die fantastische Ermittlerin weiterzugeben – noch nicht. »Vielleicht sollten wir versuchen, ein Treffen zu vereinbaren. Wir könnten unsere Ressourcen bündeln.«

»Wie Sie wünschen, Senatorin. Ich möchte allerdings zuerst vollkommen sicher sein, auf welcher Seite die Rescorai steht. Sie könnte eine höchst geschickte Falle des Starflyers sein.«

»Wie Sie wünschen. Lassen Sie mich wissen, sobald sich etwas Neues ergeben hat. Viel Glück, und seien Sie vorsichtig.«

»Danke sehr, Senatorin.«

Die Limousine lenkte in die Tiefgarage des Appartement-Blocks, und Justine und ihre drei Leibwächter fuhren in den vierzigsten Stock hinauf.

Trotz der neuen, verstärkten Sicherheitssysteme des Appartements bestanden die Leibwächter darauf, sämtliche Räume zuerst zu durchsuchen sowie die Logs der Arrays in Augenschein zu nehmen, bevor sie Justine in die Wohnung ließen. Äußerlich gelassen wartete sie in der großen Lounge. Es war die Art von gesellschaftlicher Fassade, die sie bereits vor Jahrhunderten gelernt hatte; nichtsdestotrotz war es verdammt anstrengend in dieser Nacht. Ihre Füße schmerzten; die Knöchel waren geschwollen; sie litt häufiger unter stärker werdendem Sodbrennen; ihre morgendliche Übelkeit dauerte inzwischen fünfzehn Stunden täglich, und sie hatte Kopfschmerzen. Macht endlich, dass ihr fertig werdet!, dachte sie finster, während die drei Männer mit professioneller Gründlichkeit von einem Zimmer zum anderen gingen und sich umsahen.

»Das Appartement ist sauber, Senatorin«, meldete Hector Del, der Anführer des Teams, schließlich nach einer kleinen Ewigkeit.

»Danke sehr.«

»Ich werde heute Nacht hier bei Ihnen bleiben«, eröffnete er ihr.

»Was auch immer, ja.« Justine ging in ihr Schlafzimmer und schloss die Tür, während die beiden anderen Leibwächter das Appartement verließen. Das Array hatte die große Badewanne mit heißem Wasser gefüllt, kaum dass die Limousine in der Tiefgarage geparkt hatte. Die Wanne war nun randvoll mit schäumendem, duftendem Badewasser. Justine starrte wütend darauf und stöhnte. Ein langes, anständiges Bad in der Wanne war genau das, worauf sie sich während der ganzen Heimfahrt gefreut hatte. Sie hatte völlig vergessen, dass man während der Schwangerschaft keine ausgedehnten heißen Bäder nehmen durfte. Sie zischte wütend und befahl ihrem E-Butler, die Dusche zu aktivieren. Während die Badewanne sich leerte, zog sie sich aus und ließ ihre Sachen achtlos auf dem Boden liegen. Ein Maidbot würde sie wegräumen. Es stimmt tatsächlich. Das Gehirn packt zusammen und geht in Urlaub, wenn man schwanger ist.

Die lauwarmen, massierenden Wasserstrahlen spielten auf ihrer Haut. Es war ein angenehmes Gefühl, doch nicht zu vergleichen mit einem ausgiebigen Bad. Justines E-Butler wählte ein paar Jazz-Stücke aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert aus der Bibliothek des Appartements und spielte sie mit hoher Lautstärke ab, während sich nach und nach Seife ins Wasser mischte.

Sheldons Verhalten während der Sitzung des Kriegskabinetts beunruhigte Justine. Sie vermochte nicht zu begreifen, warum er so begierig auf den Genozid war. Es sei denn, er wusste, dass es eine entsprechende Reaktion bei den Primes provozieren würde. Was genau das war, was der Starflyer wollte. Oder bin ich jetzt völlig paranoid? Der einzige Beweis gegen Sheldon war Thompsons Aussage, dass sein Büro kontinuierlich alle Bemühungen blockiert hatte, Fracht nach Far Away anzuhalten und zu untersuchen. Das war etwas, das Justine bisher noch immer nicht hatte bestätigen können.

Sie wischte mit einem Entschuppungsschwamm über ihre Beine und ihren Bauch, während das schaumige Wasser sie massierte. Plötzlich blitzten rote Symbole in ihrer virtuellen Sicht. Alarm! Unbefugter Eindringling in der Wohnung! Das neu installierte Sicherheitssystem zeigte das dunkle Bild einer unidentifizierten Person, die sich durch ihre Küche bewegte.

Wie zur Hölle ist er hier reingekommen, ohne einen Perimeter-Alarm auszulösen?

Hastig wischte sie sich das Wasser aus dem Gesicht und griff nach einem Handtuch.

Senatorin!, meldete sich Hector Del, bitte setzen Sie sich keiner unnötigen Gefahr aus. Ich untersuche den Zwischenfall bereits. Der Rest des Teams ist schon auf dem Weg hierher.

Justines Herz hämmerte wie wild, was ihre Kopfschmerzen noch verschlimmerte. Sie wickelte sich das Handtuch um die Hüften und eilte ins Schlafzimmer, ohne auf die Tropfen zu achten, die sie auf dem Teppich hinterließ. Auf der anderen Seite der Tür hörte sie Hector Del unvermittelt rufen: »Hey, Sie! Halt! Keine Bewegung!«

Das hohe Krachen eines Schusse ertönte, und Justine zuckte entsetzt zusammen. Zwei weitere, lautere Schüsse folgten. Ein Mann brüllte auf. Etwas Schweres polterte zu Boden, und weißes Licht erstrahlte unter dem Türspalt.

Hector?, fragte Justine. Was ist passiert?

Ihre virtuelle Sicht zeigte, dass die Inserts des Leibwächters keine Verbindung mehr mit den Arrays des Appartements hatten. Sie legte die Hand auf die Türklinke. Zögerte. Auf der anderen Seite war kein Geräusch zu hören. Als sie versuchte, auf das Sicherheitsnetzwerk des Appartements zuzugreifen, meldete das Array, dass ein extrem starkes Störsignal mit den Sensoren interferiere, und laut ihrem E-Butler waren die anderen Leibwächter im Aufzug und auf dem Weg nach oben.

Justine öffnete die Tür einen Spaltbreit und spähte nach draußen in den Flur ihres Appartements. Er lag im Dunkeln, und Licht schimmerte aus der Eingangshalle am anderen Ende. Dünne Rauchschwaden hingen in der Luft, und kleine Flämmchen züngelten an den Überresten eines antiken Tischchens empor. Hector Dell lag reglos und verkrümmt an der Wand. Seine Kleidung war versengt, die Haut gerötet und blasig. Dem Winkel nach zu urteilen, in dem er den Kopf verdreht hatte, musste er tot sein.

Jemand trat aus der Eingangshalle in den Flur.

»Bruce!«, ächzte Justine.

Der Assassine des Starflyers hob den Arm.

Justine heulte voller Entsetzen auf, während sie instinktiv die Hände vor ihren Bauch schlug, um das ungeborene Leben darin zu schützen.

In diesem Augenblick zerbarst die Decke des Flurs in einer Wolke aus Staub und Beton, als sie von einem starken gebündelten Disruptorfeld getroffen wurde. Gore Burnelli sprang durch das entstandene Loch und landete leichtfüßig zwischen seiner Tochter und Bruce. Er sah sehr schick aus in seinem maßgeschneiderten Smoking. »Hey, Freundchen!«, sagte er zu Bruce. »Hast du zur Abwechslung vielleicht Lust, es mal mit jemandem von deinem eigenen Kaliber aufzunehmen?«

Bruce hatte beide Arme erhoben. Ein nahezu massiver Strom aus Plasmabolzen traf Gore und hüllte ihn in einen feurigen Nimbus. Sein Smoking ging in Flammen auf. Die Decke, die Wände und der Boden ringsum schwärzten sich. Justine schirmte die Augen vor dem unerträglichen Licht ab.

Bruce senkte die Arme. Gore stand in einem Ring aus versengtem Beton, dessen Ränder brannten. Die letzten Aschereste seiner Kleidung fielen von ihm ab. Sein nackter Körper war vollkommen golden, und die Flammen spiegelten sich orangefarben darin. Er grinste schelmisch. »Jetzt bin ich an der Reihe.« Er ging auf Bruce zu. Ein fokussierter Disruptorpuls schoss von ihm aus und erfüllte den Korridor mit seiner geisterhaft grünen Phosphoreszenz. Bruces Schutzschirm blitzte purpurn, während er von der Wucht des Aufpralls nach hinten stolperte. Er hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Gore feuerte einen weiteren Puls ab, der den Assassinen von den Beinen riss und ihn rückwärts über den polierten Boden des Flurs schleuderte, während er mit Armen und Beinen ruderte wie eine Schildkröte auf dem Rücken. Er rollte sich herum und huschte in Deckung.

»Komm zurück, und spiel mit mir, du Arschloch!«, rief Gore ihm hinterher. Er rannte den Gang entlang und in die Eingangshalle, wo Bruce verschwunden war. Kaum war er durch die Tür, wurde er von einer Salve von Plasmabolzen, Maserstrahlen und Ionen-Pulsen getroffen. Energiebänder explodierten ringsum, als sein integraler Energieschirm den Angriff abwehrte und in die Gebäudekonstruktion leitete. Die Wucht des Angriffs drängte Gore zurück, als würde er von einer Wasserkanone getroffen. Er expandierte den Schutzschirm hinter sich und drückte ihn gegen die Wand, um sich gegen die Wucht der Waffen des Angreifers zu stemmen. Seine Füße hörten auf, über den Boden zu rutschen, als die Wand hinter ihm krachte und sich verbog. Ein weiterer fokussierter Disruptorpuls, auf die Füße des Assassinen gezielt, riss Bruce erneut von den Beinen. Er krachte gegen die Wand neben den Balkontüren, während über ihm das Glas zersplitterte. Er rappelte sich auf und nahm eine Ringer-Haltung ein. Gore sprang ihn an.

Die beiden Männer prallten in einem Malstrom aus wirbelnder Energie und sich auflösendem Mobiliar zusammen. Gores Nervenbahnen waren mit Beschleunigern gesättigt, die seine Reflexe vervielfachten, als er den Assassinen mit einer Serie von Schlägen und Tritten eindeckte, die jeden ungeschützten Menschen in Stücke zerlegt hätten. Die Schläge vermochten Bruces Schutzschirm nicht ganz zu durchdringen, auch wenn Gore bei jedem Treffer das verräterische purpurne Flackern bemerkte, das eine drohende Überlastung ankündigte. Es gelang ihm, den Körper darunter zu verwunden, auch wenn es kaum ausreichte, den Assassinen vollkommen unschädlich zu machen. Bruces Gesicht war eine stumme Grimasse unter den roten Blitzen. Sein eigenes Nervensystem war ebenfalls aufgerüstet, doch er war längst nicht so schnell wie Gore. Es gelang ihm nicht ein einziges Mal, einen von Gores Schlägen richtig zu blocken. Der Schutzschirm wurde schwächer und schwächer, und dann war die Kleidung des Assassinen exponiert. Sie zerriss an den Stellen, wo Schläge sie trafen, und schwelte von den Überresten von Waffenfeuer. Plötzlich warf sich Bruce herum und traf Gore mit einem wilden Judotritt gegen die Beine.

Gore ließ sich vom Schwung herumreißen, verstärkte die Bewegung und vollführte einen Salto rückwärts, um wieder auf den Beinen zu landen wie ein Turner, der vom Reck gesprungen war. Ohne Pause rückte er erneut gegen den Assassinen vor, während er eine Salve von fokussierten Disruptorpulsen abfeuerte.

Bruce war in die andere Richtung gesprungen und ebenfalls elegant gelandet. Als er sich aufrichtete, mit zerfetzten Kleiderresten am Leib, stand er direkt vor dem zersplitterten Balkonfenster. Das Disruptorfeld stieß ihn rückwärts. Er dehnte seinen Energieschirm aus und formte eine Engelsflügel-Konfiguration, um sich damit an den Wänden um die Fensteröffnung herum zu verankern. Gore feuerte Plasmabolzen in den Beton und den Putz, bis der Rahmen anfing zu bröckeln. Bruce antwortete mit einem eigenen fokussierten Verzerrungsfeld. Beide standen sich vornübergebeugt gegenüber, als wollten sie sich einen Weg durch einen Hurrikan bahnen. Ringsum ging das Appartement in Flammen auf, als die Energiestrahlen erneut aufeinander prallten. Tiefe Risse entstanden in den Mauern. Ganze Sektionen des Fußbodens bewegten sich wie tektonische Platten. Putz, Beton, Holz und faserverstärkter Karbonstahl regneten von der Decke auf die beiden Kämpfer herab.

Gore duckte sich; dann sprang er mit der vollen Wucht seiner aufgerüsteten Muskeln los, während er die Bewegung durch eine perfekt abgestimmte Expansion seines Energieschirms noch verstärkte. Er segelte durch die Luft wie eine goldene Rakete und rammte Bruce seine ausgestreckten Fäuste gegen die Brust. Der Assassine wurde von den Beinen gerissen und torkelte rückwärts. Er prallte mit dem Rücken gegen die steinerne Balkonbrüstung, die sich gefährlich nach außen wölbte. Das ganze Gemäuer erzitterte, und Wasserspeier drehten ihre Köpfe.

Bruce starrte Gore für einen Moment an; dann vollführte er einen Rückwärtssalto über die Brüstung. Gore zögerte nicht den Bruchteil einer Sekunde, als er seinem Gegner hinterhersprang.

Vierzig Stockwerke über der Park Avenue war es vollkommen still in der Luft. Gore hörte nichts, während er fiel. Seine Sinne, die sich über sämtliche Spektren erstreckten, erfassten den stürzenden Assassinen unter ihm. Eingehüllt in seinen Energieschirm leuchtete er in Gores virtuellem Zielgitter wie ein Stern. Er feuerte mehrere Plasmabolzen nach unten, doch sein eigener Fall war zu instabil, als dass er vernünftig hätte zielen können. Explosionen blühten unten auf der Straße auf, und orangefarbene und violette Flammen schossen in die Höhe und ihnen entgegen.

Die wenigen Fahrzeuge und Taxis, die auf der Park Avenue unterwegs waren, führten Notbremsungen durch. Ihre Scheinwerfer huschten über die Fassaden, als sie schlitternd zum Stehen kamen. Passagiere drückten ihre Gesichter an die Scheiben, neugierig zu sehen, was sich über ihnen ereignete.

Gore breitete Arme und Beine aus wie ein Fallschirmspringer; dann expandierte er seinen Energieschirm zu einer weiten, abgeflachten Linse. Luft strömte dagegen und bremste ihn stark ab. Als der Durchmesser zwanzig Meter erreichte, bewegte er sich kaum noch. Er rotierte in eine aufrechte Position, und die untere Sektion des Energieschirms berührte den Bürgersteig und zog sich langsam zusammen. Gore schwebte dem Boden entgegen. Einen Augenblick lang stand er einfach nur reglos da, die Hände in die Hüften gestemmt, und beobachtete Bruce.

Der Aufprall des Assassinen hatte eine Vertiefung mit menschlichen Umrissen im Asphalt der Park Avenue hinterlassen, nahe den schwelenden Kratern, wo die Plasmabolzen eingeschlagen hatten. In und um die Vertiefung war eine Menge Blut zu sehen. Bruce stolperte über die Straße davon, wobei er unsicher die stehenden Fahrzeuge umrundete. Blut troff aus den zerfetzten Kleidungsresten, die an seinem Leib hingen, und erzeugte eine nicht zu übersehende Spur. Jeder Schritt wurde von einem knirschenden Geräusch begleitet. Es kam von den Knochen seiner zersplitterten Schienbeine, die bei jedem Schritt aneinander rieben. Das integrale Energiefeld seines Schutzschirms hielt seine Beine zusammen, der einzige Grund, warum er sich überhaupt noch bewegen konnte, auch wenn die Bewegungen an die eines Betrunkenen erinnerten.

Gore grinste zufrieden und sprang. Mühelos segelte er über die stehenden Fahrzeuge hinweg und landete vor Bruce, wobei er sich nach vorn beugte und in einer fließenden Bewegung nach hinten austrat. Sein Absatz krachte in Bruces Brust. Der Assassine wurde nach hinten geschleudert, als sein Schutzschirm ihn in ein bleiches purpurnes Licht hüllte. Er rollte herum und herum, bis er gegen die Stoßstange eines Taxis prallte und die Karosserie dabei verbeulte. Ein Schienbein stand im rechten Winkel vom Oberschenkel ab. Der Schutzschirm schmiegte sich um den Bruch herum und versuchte, ihn zu richten. Es gab ein lautes, quatschendes Geräusch, als das gepeinigte Fleisch erneut gefoltert wurde.

Bruces Kopf zitterte, als er versuchte, sich nach Gore umzudrehen. Dunkles Blut sprudelte gurgelnd aus seinem Mund. Er hob einen Arm und feuerte einen Plasmabolzen auf den nackten goldenen Mann. Die intensive Kugel aus angeregten Atomen spritzte von Gores goldener Haut ab wie Wasser, ohne seinen Schutzschirm überhaupt zu beanspruchen. Die entsetzten Passagiere in dem verbeulten Taxi schrien wild durcheinander und duckten sich unter die Fenster.

»Das ist kein guter Tag für dich, Junge, wie?«, schnarrte Gore. »Zuerst Illuminatus, dann hier. Wie viele von diesen korrumpierten Menschen hast du noch unter deiner Kontrolle, frage ich mich?«

Bruce rollte sich auf den Bauch und fing an zu kriechen. Gore sprang hinzu und packte ihn mit eisernem Griff im Nacken. Die beiden Energieschirme summten und knisterten wie ein Kurzschluss in einem Hochspannungskabel.

Bruce wurde vom Boden hochgerissen und herumgedreht, sodass Gore ihm in die Augen sehen konnte.

»Du gehst nirgendwo hin«, sagte Gore zu dem Assassinen. »Rein taktisch gesehen sollte ich dich an unsere Geheimdienste übergeben, damit sie versuchen können, deine Konditionierung zu durchbrechen. Wir würden wahrscheinlich eine ganze Menge daraus erfahren, Bruce.«

Bruce McFosters Augen zuckten.

»Aber du hast versucht, meine Tochter und ihr ungeborenes Kind zu töten. Also scheiß drauf.«

Bruce öffnete den Mund, und ein Schwall von Blut strömte hervor. Er versuchte, etwas zu sagen. Dann wurde sein verzerrtes Gesicht plötzlich ruhig. »Mach es. Töte das Alien.« Er schaltete seinen Energieschirm aus.

»Gut für dich, Sohn«, sagte Gore vergebend. Seine Hand schloss sich um den Hals des Mannes und brach ihm das Genick.

Als Hoshe den High Angel das letzte Mal besucht hatte, war er von zwei gelangweilten Beamten der Diplomatie Police in Empfang genommen worden, die nichts weiter taten, als einen flüchtigen Blick auf die ID aller Passagiere in der Transitstation zu werfen und ihr Gepäck zu durchleuchten. Diesmal war es ein wenig anders. Inzwischen gab es acht Transitstationen, allesamt ein ganzes Stück größer als die ursprüngliche, und alle wurden von jeweils einer Abteilung Navy-Soldaten in voller Kampfmontur bewacht.

Hoshe, der im Laufe der letzten vierundzwanzig Stunden mehr als genug Kampfanzüge gesehen hatte, beobachtete die Soldaten misstrauisch, während er sich dem Eingang einer Transitstation näherte, die für Zivilpersonal ausgewiesen war. Der große Trolleybot, der Isabella Halgarths Suspensionskäfig trug, rollte lautlos hinter ihm her, abgeschirmt vor jeder Durchleuchtung durch einen E-Shield. Hoshe rief Paula an, als er noch mindestens fünfzig Meter vom Eingang entfernt war. »Ich glaube, ich bin ein Angsthase. Ich schätze, ich brauche bereits jetzt Ihre Hilfe.«

»Okay, Hoshe«, kam die Antwort. »Ich setze mich sofort mit dem High Angel in Verbindung.«

Die Navy-Soldaten beobachteten, wie er näher kam, und bildeten einen schützenden Kordon um den Eingang herum. Zwei von ihnen traten vor und hielten ihn an.

Einer der beiden trug das Abzeichen eines Captains. Auf seiner Brust stand der Name Turvill. Er hielt die Hand vor und stoppte Hoshe. »Was zur Hölle ist dadrin?«

Hoshe starrte auf den Helm des Captains und sah weiter nichts als eine verzerrte Reflexion seiner selbst in der golden verspiegelten Kugel. »Gepäck.«

»Was für Gepäck?«

»Das geht Sie nichts an, Captain.«

Die Soldaten vor dem Eingang hoben ihre Waffen.

»Oh doch, das tut es. Öffnen Sie das.«

Hoshe schenkte dem Mann ein freundliches Lächeln. »Nein.«

»Wir nehmen Sie in Gewahrsam. Sergeant, schicken Sie ein Team her, das diese Box untersucht.«

Hoshe blieb tapfer stehen und lächelte auf eine Weise, die, wie er hoffte, einen entspannten Eindruck machte, während er betete, dass er nicht allzu offensichtlich schwitzte. Die Soldaten rückten gegen ihn vor, die Waffen schussbereit erhoben. Einige zielten auf den Trolleybot und den großen länglichen Käfig.

Plötzlich stand Captain Turvill stocksteif da. Die anderen Soldaten verharrten. Sie senkten die Waffen. Der Captain salutierte vor Hoshe. »Verzeihung, Sir. Es hat ein Missverständnis gegeben. Bitte gehen Sie hindurch. Ihr Shuttle wartet bereits. Können meine Männer Ihnen irgendwie behilflich sein?«

»Nein, danke sehr«, antwortete Hoshe. »Ich will nur, äh …« Er winkte in Richtung des Eingangs zur zivilen Transitstation. Er fühlte sich, als müsse er auf Zehenspitzen an den Soldaten vorbeischleichen. Ein Schuljungengrinsen wollte sich auf seinem Gesicht ausbreiten, und er hatte alle Mühe, nicht lauthals aufzulachen.

Der arme Captain Turvill würde niemals erfahren, was passiert war, doch Paula hatte mit dem High Angel geredet, der seinerseits Toniea Gall angerufen und sehr pointiert darum gebeten hatte, dass eine vereinbarte Lieferung an die Raiel weder aufgehalten noch eingehend untersucht wurde. Das Alien-Raumschiff war noch nie zuvor so unverblümt gewesen. Eine wütende und äußerst beunruhigte Toniea Gall hatte daraufhin wiederum augenblicklich Admiral Columbia angerufen, und der hatte dem Captain gesagt, dass er sich zurückziehen solle. Auf der Stelle!

Hoshe war der einzige Passagier an Bord des Shuttles. Die Stewards halfen ihm dabei, den Suspensionsbehälter durch den Verbindungsschlauch zu manövrieren; dann schnallten sie ihn sicher für die Dauer des Fluges an einer Sitzreihe fest. Sie dockten an der Basis des New Glasgow Auslegers an, wo sämtliche Luftschleusen kompatibel waren für menschliche Schiffe. Sobald sie im Innern waren, stellte Hoshes E-Butler eine Verbindung zum internen Informationsnetzwerk des High Angel her. Hoshes virtuelle Sicht füllte sich mit fremdartigen, fließenden Grafiken in gedämpften Farben, möglicherweise eine Art Leitsystem, das er nicht recht begriff. Klettverschlüsse an seinen Ärmeln sicherten ihn an der Wand, und er schaute sich im Korridor um. Die fließenden Bänder aus Licht in seiner virtuellen Sicht entwickelten sich zu neuen Mustern, als er den Kopf drehte.

»Was genau ist das?«, fragte er.

»Detective Finn, willkommen zurück«, sagte der High Angel. »Ich zeige Ihnen, welche Richtung Sie einschlagen müssen.«

Die farbigen Bänder bewegten sich erneut und führten Hoshe durch einen schmalen Korridor. Er winkte den Stewards, die den Suspensionskäfig hinter ihm her zogen. Eine Tür öffnete sich und zeigte eine kleine Liftkapsel. Hoshe trieb mitsamt seiner Fracht hinein. Er benutzte die Klettverschlüsse an seinen Fußsohlen, um mit den Füßen am Boden zu bleiben, als der Lift sich in Bewegung setzte.

Mehrere Minuten später stieg der Lift den Auslegerarm zur Kuppel der Raiel hinauf. »Kannst du mir bitte das Äquivalent eines Trolleybots schicken?«, fragte Hoshe an die Adresse des High Angel gewandt. Die Gravitation in der Kuppel betrug achtzig Prozent Erdstandard, und Hoshe sah keine Möglichkeit, den Suspensionskäfig ohne fremde Hilfe zu manövrieren, geschweige denn, ihn durch die Straßen der Raiel zu schleppen.

»Das wird nicht nötig sein«, antwortete der High Angel. »Ihre Fracht wird Sie begleiten, Detective Finn.«

»Ja, richtig. Danke sehr.« Die Lifttüren glitten auf. Hoshe blickte auf die Stadt der Raiel hinaus – wenn es denn eine war. Das Licht war das gleiche düstere Grau, an das er sich von seinem ersten Besuch her erinnerte. Vor ihm erstreckte sich eine Straße, deren Seitenwände aus glattem, undurchbrochenem Metall bestanden. Entlang der Basis eines jeden Gebäudes leuchteten Reihen winziger roter Lichter.

Die Bänder in Hoshes virtueller Sicht wedelten durch die Luft wie Seetang in einer Strömung und richteten sich auf die Straße aus. Hoshe holte ein Mal tief Luft und trat hinaus. Die längliche Hülle, die Isabella Halgarth enthielt, glitt hinter ihm aus der Kabine. Sie schwebte einen halben Meter über dem Boden.

»Schick, wirklich«, murmelte Hoshe. Es war nicht sonderlich beeindruckend, auch wenn ein derartiges Kunststück gegenwärtig jenseits der Fähigkeiten menschlicher Technologie war. Doch jede Kuppel des High Angel verfügte über künstliche Schwerkraft, und wenn man sie erschaffen konnte, dann war man zweifelsohne auch dazu imstande, sie nach Belieben zu manipulieren.

Unter der Führung der Bänder in seiner virtuellen Sicht marschierte Hoshe durch die schwach erleuchteten Straßen der Aliens. Diesmal gab es mehr Kurven, dachte Hoshe, und die Kreuzungen waren nicht alle rechtwinklig, doch ansonsten war es die gleiche gesichtslose, unbestimmbare Metropole, erhellt von Myriaden Reihen kleiner bunter Lichter am Fuß der Mauern rechts und links.

Hoshe kam vor einer schier endlos hohen Klippe aus Metall an, die sich in nichts von sämtlichen anderen unterschied. Die Lichter entlang dem Fundament leuchteten purpurn wie zuvor. Eine vertikale Linie teilte sich vor ihm und weitete sich gerade genug, um ihn hindurchschlüpfen zu lassen. Das Innere war der gleiche kreisrunde Raum wie bei Hoshes erstem Besuch, mit leuchtend smaragdfarbenem Boden und einer Decke, die in den Schatten hoch oben unsichtbar war.

Qatux erwartete ihn bereits – an der Identität des Aliens bestand nicht der geringste Zweifel. Die Gesundheit des Raiel hatte sich nicht gebessert seit ihrer letzten Begegnung. Mehrere seiner mittelgroßen Tentakel waren eng zusammengerollt, während das große Paar am Ansatz seines Halses auf dem Boden lag, als würde es helfen, den Kopf zu stützen. Angesichts der Tatsache, wie der massige Leib auf den acht kurzen Säulenbeinen durchsackte, war diese Einschätzung vielleicht gar nicht mal falsch, dachte Hoshe. Nicht, dass der Raiel Schwierigkeiten gehabt hätte, sein Gewicht zu tragen – angesichts der Tatsache, wie sehr die Skelettplatten durch die braune Haut schimmerten, litt er offensichtlich unter dem Raiel-Äquivalent von Magersucht. Eines seiner fünf Augen war permanent geschlossen, und eine blaue, schleimige Flüssigkeit troff zwischen den zusammengekniffenen Lidern hervor. Die übrigen vier Augen bewegten sich voneinander unabhängig wie die Augen eines Chamäleons.

Hoshe verneigte sich vor der Kreatur und verspürte ein gewaltiges Mitleid für sie. Wenn du schon süchtig werden musstest, warum dann ausgerechnet nach der menschlichen Psyche?, dachte Hoshe. Wir Menschen sind es einfach nicht wert. »Hallo Qatux. Danke, dass du dir Zeit für mich genommen hast«, sagte Hoshe förmlich.

Qatux hob den Kopf. »Hoshe Finn«, seufzte das Alien, und Luft strömte hörbar durch die bleichen Runzeln aus Fleisch, die seine Mundregion bildeten. »Danke, das du zurückgekehrt bist.« Zwei seiner Augen richteten sich nacheinander auf den Behälter. »Ist sie dadrin?«

»Ja.« Hoshes E-Butler sandte einen Kode an das Array des Käfigs, und die Oberseite wurde transparent. Isabella schwebte in einem klaren Gel, die Augen geschlossen, dünne Schläuche in den Nasenlöchern. In ihren rasierten Schädel waren Hunderte von Faseroptiken eingelassen und bildeten eine weiße Krone aus hauchdünnem Flaum. Lange Einschnitte an ihren Armen, Beinen und dem Rumpf waren mit Streifen von Healskin versiegelt, die noch blasser waren als ihre nordische Haut. Sie sah so friedlich aus, dass sie fast engelsgleich wirkte. Ein unglaublicher Kontrast zu ihrem Verhalten, als sie das letzte Mal bei vollem Bewusstsein gewesen war.

»Ihre Energiezellen wurden entfernt«, erklärte Hoshe. »Und die Waffen wurden neutralisiert. Sie ist jetzt vollkommen harmlos.«

»Ich verstehe.«

»Das Array des Käfigs kann sie in jede Stufe des Wachseins versetzen, die du wünschst. Wenn du sie vollkommen wach brauchst, können Nervenblocker verhindern, dass sie sich bewegt.« Irgendwie hatte Hoshe das Gefühl, als würde er die menschliche Frau verraten, indem er sie in diesem hilflosen Zustand an das Alien auslieferte.

»Das wird nicht nötig sein«, erwiderte Qatux. »Ein neuraler Zyklus ähnlich eurem Tiefschlaf ist alles, was ich benötige.«

»Sehr gut. Wir müssen wissen, was in ihrem Gehirn ist. Warum sie getan hat, was sie getan hat. Paula vermutet, dass sie von einer Art Alien beherrscht wird, entweder, weil es in ihrem Bewusstsein sitzt, oder weil es Isabella entsprechend konditioniert hat.«

»Welch eine wertvolle Erfahrung das wird!«, sagte der Raiel. »Ich habe noch nie die Erinnerungen eines lebenden menschlichen Gehirns geschmeckt. Ich danke dir für dieses Geschenk.«

»Es ist kein Geschenk«, widersprach Hoshe streng, während er sich darüber wunderte, woher er den Mut nahm, so mit dem Raiel zu reden. »Wir bitten dich darum, eine Dienstleistung zu erbringen, von der du ebenfalls profitierst. Trotzdem benötigen wir in diesem speziellen Fall deine absolute Zuverlässigkeit.«

»Und die sollt ihr haben, Hoshe«, sagte die sanfte Stimme mit einem Schnaufen.

»Was glaubst du, wie lange es dauern wird?«

»Das kann ich nicht beantworten, bevor ich nicht mit meinen Untersuchungen angefangen habe. Nach allem, was Paula mir berichtet hat, scheint die Methode der Subordination höchst subtil zu sein.«

»Besteht die Gefahr«, fragte Hoshe, indem er sich am Kopf kratzte, »besteht die Gefahr, dass das Alien in ihr dich in seine Gewalt bringen könnte?«

»Ein mentaler Virus? Der sich von Wirt zu Wirt ausbreitet, während er sich repliziert? Nein, Hoshe, du musst dir keine Sorgen machen deswegen. Wir Raiel sind schon früher derart körperlosen Entitäten begegnet. Unser Bewusstsein ist für derartige Angriffe nicht empfänglich. Trotzdem werde ich aufpassen, sei dir dessen versichert.«

»Ich danke dir.« Hoshe verneigte sich erneut, während in ihm die Frage brannte, wann und wo der Raiel derartigen Wesen begegnet war. Die Wand hinter ihm teilte sich und entließ ihn nach draußen auf die leere Straße. Das war alles. Er wünschte nur, er hätte mehr Vertrauen in die Fähigkeiten dieses Alien-Junkies besessen.

Der Morgen dämmerte über dem Tulip Mansion. Justine saß auf dem alten, abgerissenen Ledersofa in dem großen achteckigen Wintergarten und hatte sich zusammengerollt wie ein Kind, das Trost suchte. Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Hände ununterbrochen über ihren Unterleib streichelten, um Sicherheit zu vermitteln – aber ob sich selbst oder dem Kind gegenüber, das vermochte sie nicht mit Bestimmtheit zu sagen.

Gore kam herein. Er trug ein einfaches weißes Hemd und eine dunkelbraune Hose. Er beugte sich herab und küsste seine Tochter auf die Wange. Sie packte seinen Unterarm. »Danke, Dad.«

Er zuckte mit den Schultern. Er war so verlegen, wie sie ihn in den letzten zweihundert Jahren nicht mehr erlebt hatte. »Da war nichts dabei. Sein Wetwiring war billiger Schwarzmarkt-Kram. Er hatte nicht den Hauch einer Chance. Du hättest ihn wahrscheinlich mit einem nassen Handtuch geschlagen.«

»Ich hatte ein nasses Handtuch um die Hüften«, erinnerte sie ihn sarkastisch.

»Da hast du es – du hättest meine Hilfe überhaupt nicht gebraucht.«

Ein leises Hüsteln ertönte. Justine blickte auf und sah, dass Paula im Eingang wartete. »Senatorin, ich bin sehr erleichtert zu sehen, dass Ihnen nichts passiert ist.«