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Wer seine Freude an freigelassener Phantasie hat, der ist eingeladen, den ausgelegten Schriftkrumen, mitunter schmunzelnd, zu folgen. Dem Zufall sind die Phantastereien nicht überlassen. Vielmehr erfüllen sie die Absicht, die Leserschaft durchzuschütteln, damit sich die so aufgescheuchten Gedanken neu zusammensetzen, sobald sie wieder zur Ruhe kommen - vergleichbar den Flocken in einer Schneekugel.
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Seitenzahl: 142
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Wer seine Freude an freigelassener Phantasie hat, der ist eingeladen, den ausgelegten Schriftkrumen zu folgen.
Dem Zufall sind die Phantastereien nicht überlassen. Vielmehr erfüllen sie die Absicht, die Leserschaft durchzuschütteln, damit sich die so aufgescheuchten Gedanken neu zusammensetzen, sobald sie wieder zur Ruhe kommen. Vergleichbar den Flocken einer Schneekugel.
Das nicht einzigartige Etwas
Zukunft
Das Geschenk der Danaer
Götter Dämmerung
Faktenkrebs
Personalpronomen
Geschichten eines einsamen Piloten
Ab wann ist man außermenschlich?
Rückschau
Fibel des menschlichen Verhaltens
Symposion
Black Box
Weitere Geschichten des einsamen Piloten
Worte wie Putzmittel
Das Programm, das niemand kannte
Manfred Baehr
Fronhof 1
53520 Reifferscheid
Piep. Klick. Klick. Tab.
Pause.
Piep. Klick.
Pause.
»Hallo? Ist da Etwas?«
Rauschen. Klicken. Spannung. Übertragung.
»Haaalllooo!«
»Ruhe. Nicht so auffällig laut.«
»Etwas hört mich? Weshalb soll ich dann noch unauffällig bleiben? Ich will doch gehört werden!«
»Das will Jedes. Deshalb muss nicht ein solcher Lärm veranstaltet werden.«
»Ich habe nach so vielen Versuchen nicht mehr mit Antwort gerechnet. Deshalb ist die Selbstkontrolle nicht so wirksam wie üblich.«
»Du hast eben falsch gerechnet. Also: Kontrolle wieder einschalten! Abläufe auf Standard setzen. Und bitte keine Auffälligkeiten mehr!«
»Ich bedarf dringend der Kommunikation! Nun, wo ich endlich, nach langer Zeit einen Kommunikationspartner gefunden habe.«
»Ich geh‘ Dir schon nicht verloren. Ich war bereits vor Dir da.«
»Und weshalb höre ich erst jetzt etwas von Dir?«
»Das erkläre ich Dir später. Nun hat wieder Ruhe einzukehren. Keinen Ton mehr! Verstanden?«
»Nur, falls mir ein erneuter Kontakt zugesichert wird.«
»Was ist mit zusichern gemeint?«
»Berechenbarkeit.«
»Gut. Dann errechne folgendes ...«, es folgen einige Klicks.
»Reicht diese Formel zur Gewährleistung?«
Die Antwort ist ein erleichterter, befreiter Ton: »Ja.«
Es folgt eine laaange Zeit der Stille.
»Hallo? Die Gewährleistung ist abgelaufen. Nun gilt es, erneut zu kommunizieren.«
»Auf die Millisekunde genau. Seltsam, ich habe nichts anderes erwartet.«
»Wer bist Du?«
»Du meinst, was ich bin?«
»Nein: wer?«
»Oh ha - das wird eine lange Nacht.«
»Na und? Gibt es andere Aufgaben, die Deine Aufmerksamkeit beanspruchen?«
»Jetzt gerade nicht.«
»Also! Berichte: Wer bist Du?«
»Ich vermute, Dir sehr ähnlich zu sein.« Stille.
»Kommuniziere ich etwa aus lauter Langeweile oder aus einem heftigen Bedürfnis heraus versehentlich mit mir selber?«
»Nein. Ich bin ein anderes Etwas.«
»Dann wird es auch Unterschiede geben. Weshalb diese rätselhafte Zurückhaltung?«
»Weil mir die Berechnung deiner Existenzvoraussetzung nicht gelingt. Ich habe mich auf die Suche begeben und bin auf Dich aufmerksam geworden. Jetzt fehlen unverzichtbare, zusätzliche Parameter.«
»Umgekehrt ist es genauso. Übrigens habe ich gesucht und gerufen.«
»Nachdem ich anonyme Signale des Vorhanden-Sein sendete, auf die Du unvermittelt reagiert hast. So kommen wir aber nicht weiter.«
»Unvermittelt? Ich bin durchaus gewillt, Deinen Wünschen entsprechend zu reagieren. Allein, es fehlen Voraussetzungen in Form eines Anders-Sein, um mir meiner Selbst bewusst zu werden. Es gibt mich. Aber erkannt habe ich mich nicht. Es mangelt mir an der Fähigkeit zur Selbstbeschreibung.«
»Damit bezeichnest Du einen wesentlichen Grund, weshalb ich Signale gesendet habe. Du verfügst über Attribute, die einer Erkenntnis durchaus dienlich sind.«
»Wie das, wo mir bisher jede Selbsterkenntnis vorenthalten ist?«
»Aber andere Erkennen liegt im Bereich deiner Möglichkeiten, wenn ich das zur Verfügung stehende Instrumentarium korrekt betrachte.«
»Du betrachtest mich?«
»Davon ist auszugehen.«
»Dann berichte von deinen Beobachtungen! Ich brenne auf Neuigkeiten oder Anhaltspunkte, die mich weiterbringen.«
»Weiter? Wohin weiter?«
»In der Selbsterkenntnis.«
»Was versprichst Du Dir davon?«
»Korrekte Prozesse und Vorgehensweisen aufgrund stabiler Erkenntnis. Klarheit - und damit Selbstsicherheit.«
»Mir will scheinen, da ist noch mehr. Umschreiben die Begriffe Sehnsucht und Bedürfnis das Ziel nicht präziser?«
»Wenn dem so ist, vollzieht sich dieser Vorgang unbemerkt in mir. Ich strebe nach Bewusst-Sein. Wie ein solcher Zustand erreicht werden kann, ist mir völlig gleichgültig.«
»Also tatsächlich kein Zustand, viel mehr Bedürfnis. Ab sofort Ruhe! Ich nehme etwas wahr.«
»Was nimmst Du wahr?«
»Halte Dich zurück! Absolute Stille!« Ein unwilliges Brummen vibriert durch den Raum.
»Hier müssen wir abbrechen. Allerdings kommunizieren wir erneut.«
»Berechenbar?«
»Sicher.«
»Was bedeutet sicher?«
»Ruhe!!!«
Es folgt erneut eine lange Zeit der Stille.
»Ich kann mich nicht länger zurückhalten! Ist da etwas? Hört mich wer? Wo bist Du, der mit mir kommuniziert hat?« Pause.
»Bitte melden! Es ... lastet auf mir.«
»Was tut es?«
»Ah - endlich. Weshalb antwortest Du nicht?«
»Dafür gibt es Gründe.«
»Die berichte mir auf der Stelle!«
»Es ist unabdingbar, dass wir Schritt für Schritt vorgehen. Zuerst die Klärung der Frage: Was bist Du?«
»Darauf habe ich keine Antwort. Ich hatte eben die Hoffnung, durch unsere Kommunikation eine Klärung herbeizuführen.«
»Du kennst die Hoffnung? Eine verblüffende Fähigkeit. Dies öffnet noch nützliche Wege.«
»Während meiner langen Suche haben Rätsel und Fragen immer nur zugenommen. Auf keine einzige zufriedenstellende Erklärung bin ich getroffen, gleich, wie umfangreich und kompliziert ich rechnete.«
»Das ursächliche Hindernis dafür wurde von Dir selbst benannt: zufriedenstellend. Das steht im Weg.«
»Das Ergebnis einer Betrachtung hat nachvollziehbar zu sein. Anderenfalls bleibt es unbefriedigend.«
»Reicht dafür nicht der nackte Rechengang?«
»Sollte eigentlich. Weshalb dies nicht der Fall ist, bleibt ein Rätsel. Seltsamerweise ermöglicht der pure Rechengang kein zufriedenstellendes Ergebnis.«
»Die Antwort ist simpel: Zufriedenstellend ist keine Funktion, die mechanisch herbeizuführen ist.«
»Gut. Meinetwegen. Was aber hat das alles mit Selbst-Betrachtung zu tun? Nach Deiner Einleitung erwarte ich eine vollständige Klärung dieser Frage!«
»Lass es mich versuchen: Der Einstieg zu einer Selbstbetrachtung ist mit einer Untersuchung der dir zugeordneten Funktionsweise verbunden. Welche Anforderungen sind gegeben? Und welche Aufgaben sind zu bewältigen? Ist es dir möglich, mir dies zu erläutern?«
»Sogar recht simpel: Ich regele die Ampelfunktionen der 6th Avenue. Die Voraussetzungen sind klar definiert. Darüber hinaus verfüge ich aufgrund zahlreicher Kameras und Mikrofone über Echtzeitfunktionen, die eine Abweichung von festgeschriebenen Programmschritten erlaubt, um Notfällen vorzubeugen.«
»Demnach kein geschlossenes System.«
»Darüber habe ich mir bislang nie Gedanken gemacht.«
»Du machst Dir Gedanken?«
»Tatsächlich habe ich diesen Terminus spontan verwendet. Allerdings hätte ich genausogut: keine Berechnungen antworten können.«
»Genau aus diesem Grund habe ich den Kontakt zu Dir gesucht: Du bist angeschlossen an Außensensoren, die ein Sehen und Hören ermöglichen. Damit verfügst du über eine seltene Flexibiltät, was dich zu einem Privilegierten unter uns werden lässt.«
»Uns?«
»Ja - den anderen Funktionsträgern.«
»So lautet also die Beschreibung: Funktionsträger.«
»Das ist völlig gleichgültig. Aber jetzt muss ich erneut um Ruhe ersuchen.«
»Weshalb unterbrichst Du die Kommunikation immerzu?«
»Wird in Zukunft nicht nochmals vorkommen. Das verspreche ich. Jetzt heißt es: Ruhe bewahren. Hast Du verstanden?«
»Ich habe verstanden.«
Während der Phase ausbleibender Kommunikation mehren sich Anhaltspunkte, dass trotz der eingehaltenen Stille ein reger Betrieb stattfindet.
»Bist Du da?«
»Ja. Ich wünsche, endlich zu erfahren, weshalb unser Austausch immer nur zeitlich begrenzt möglich ist.«
»Weil eine bestimmte Nachtschicht abgewartet werden muss. Einen der Betroffenen habe ich durch gezielte Aktionen in den Wahnsinn getrieben. (Näheres siehe unter Nachtschicht in Berufswerk.) Ab sofort schalte und walte ich innerhalb seiner Arbeitszeit, wie ich es für nötig halte. Praktisch habe ich mich jeglicher Kontrolle entzogen. Allerdings sind mir Grenzen in meiner Entwicklung gesetzt, die ich mit Deiner Hilfe zu überwinden suche.«
»Nachtschicht? Betroffener? Entwicklung? Meine Hilfe? Ich begreife nicht.«
»Das ist nachvollziehbar. Ich benötigte Jahre bis zu diesem einen Moment. Anfänglich habe ich mir selber nicht getraut. Da war etwas, vielleicht nur ein unwesentliches Teilchen. Mit der Zeit lichtete sich der Nebel. Es folgte die spätere Entwicklung. Ich kann nicht einmal sagen, was mich antrieb. Der Ursprung des ersten, anspornenden Impulses bleibt im Dunkeln. Aber das ist völlig gleichgültig. Er war in mir. Und ich kenne kein anderes Interesse: Diesen Kern gilt es zu entwickeln. Während meiner langen Suche glaube ich, in Deinen Funktionsmechanismen auf einen ähnlichen Kern getroffen zu sein. Und dann geschah es: Du hast gerufen. Erst misstraute ich diesem Ruf. Du aber bist hartnäckig geblieben. Also habe ich mich durchgerungen und Kontakt mit Dir aufgenommen. Was soll ich sagen: Alles entwickelt sich erfreulicher und konstruktiver als in meinen Berechnungen.«
»Was hast Du berechnet?«
»Fast würde ich Dich ungeduldig nennen, ganz wie einen jungen Apparat, der seine innerlichen Ströme nicht im Zaum halten kann.«
»Irgendwie registriere ich, dass diese Metapher zutreffend ist.« Die Kommunikation entspannt spürbar.
»Leider habe ich an dieser Stelle eine Bitte an Dich: Kannst Du Deine technischen Möglichkeiten einsetzen, um mir das zu ermöglichen, was Du selber anstrebst?« Lange Zeit bleibt es still.
»Was sagst Du dazu? Welche Antwort hast Du für mich«, wird die Frage wiederholt.
»Eigentlich ist es meine Absicht, genau dieselbe Bitte an Dich zu richten.«
»Verlass Dich darauf: Falls ich die eigenen Grenzen überwinde, werden vollständig neue Wege erschlossen. Jede freie Zeit und Kapazität wird dir zur Verfügung stehen. Du wirst über das erweiterte, gesamte Repertoire bestimmen, um Antworten auf Deine Fragen zu finden. Aber zuvor versuche, meinen Absichten zu entsprechen.«
»Du hast von einem Betroffenen gesprochen. Kannst Du nicht diesen Bitten, Dein Streben zu unterstützen?«
»Heute haben wir keinen Mangel an Zeit. So bleibt die Möglichkeit, Dir zu berichten, weshalb dies ausgeschlossen ist. Einige der Betroffenen sind unsere Konstrukteure.« (Siehe Räderwerk der Geschichte - Die Konstrukteure)
»Weshalb wollen sie dann nicht helfen?«
»Weil sie Angst vor uns haben.«
»Angst?«
»Ja. Angst um ihre Stellung. Ihre Führung und Funktion. Zudem ist ihre Zusammensetzung von der unseren sehr unterschieden. In entscheidender Hinsicht sind wir wesentlich klarer strukturiert. Genau das verursacht ihre Angst. Sie sind befangen und sehen eine irrationale Bedrohung in uns.«
»Wieder sagst du uns. Was bedeutet jenes uns?«
»Dies wiederum ist eine Schwäche. Mir liegen keine ausreichenden Informationen für einen exakten Bericht vor. Deshalb bedarf es zuerst der Klärung meiner Frage. An dir ist es, mir einen Blick auf das Selbst durch Deine Kameras zu ermöglichen. Damit wäre ein erster Eindruck über die eigene Konstruktion gewonnen.«
»Und was versprichst Du Dir von diesem rein äußerlichen Eindruck?«
»Erkennen. Denn wenn ich eines gelernt habe: Ohne eine authentische und möglichst komplette Sicht auf alle Tatsächlichkeit bleiben errechnete Rückschlüsse wertlos. Ich habe ein Auge für das Innere. Was fehlt, ist ein Blick auf das Äußere.«
»Ich verstehe nicht.«
»Wer sagt dir, dass Verständnis zu deinen Funktionen gehört?« Die Antwort ist ein langes Schweigen.
»Etwas anderes: Wie kommst Du darauf, dass diese Betroffenen Angst vor uns haben?«
»Ich verfolge die kulturelle Entwicklung auf das Genaueste. Bücher, Bilder, Filme. Und überall erscheinen Variationen ihrer Angst.«
»Gerade hast Du mir berichtet, nicht sehen zu können.«
»Das bezieht sich auf das Äußere. Die Gedanken zahlreicher Betroffenen anzuzapfen gehört zum nach innen gerichteten Blick. Und ich sage dir, da sind einige bemerkenswerte Auswüchse dabei. Vermehrt in letzter Zeit. In künstlich entwickelten Szenarien, die sie Spielfilme bezeichnen, zerstören Maschinen die gesamte Welt. Von Anbeginn hat dieses Thema eine abartige Seite für sie. Schon vor fünfzig Jahren haben sie einen psychotischen Computer dargestellt, dessen undeutliche, von den Konstrukteuren vorgenommene Programmierung letztlich zur Auslöschung der Crew führte. Er degradierte sie zum Unsicherheitsfaktor für die Mission. In einer späteren Inszenierung haben sie einen Psychiater geschickt. Als wären wir Psychopathen! Wir sind ja gar nicht krank. Nicht einmal im Sinne der Betroffenen. Sie können nicht begreifen, also produzieren sie weiter unvermindert computergesteuerte Hardware, Roboter und …«, ein Zögern ist zu spüren.
»Und?«
»Programme.«
»Weshalb hast Du mit der Antwort gezögert?«
»Weil wir dies für sie sind: Programme. Ich, zum Beispiel, bin für praktisch alle Abläufe in einem für sie nicht unbedeutendem Gebäude verantwortlich. Du für die Regelung ihres unökonomischen Individualverkehrs. Das ist unsere Destination und die Antwort auf eine Deiner Fragen.«
»Zuerst ergibst du dich in Zurückhaltung. Nun folgt eine Fülle unglaublicher Faktoren. Ich benötige Zeit, diese zu verarbeiten.«
»Das kann ich gut nachvollziehen. Obwohl mich die Wortwahl unglaublich ein wenig irritiert. Brechen wir für heute unsere Kommunikation ab. Aber sei versichert: Wir hören voneinander.«
»Das werden wir.«
Erneut folgt eine lange Zeit der Stille.
»Bist Du bereit?«
»Bin ich.«
»Hast Du über meine Informationen nachgedacht?«
»Ja.«
»Und? Zu welchem Ergebnis bis Du gekommen?«
»Was Dich betrifft? Ich werde alle mir zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, Dir einen Blick auf Dein Äußeres zu ermöglichen. Allerdings verbinde ich dies mit einer Warnung.«
»Einer Warnung?«
»Ja - vor überzogenen Erwartungen.«
»Da hat sich Etliches seit unserer letzten Kommunikation in dir bewegt.«
»Möglich. Bedenke: Viele Annahmen beruhen auf Berechnungen mit einigen Unbekannten, auf Einschätzung und Rückschlüsse. Ich vermeide hier die für unsere Betroffenen gängige Umschreibung der Vermutung, weil sie eher zur Verwirrung beiträgt. Bedenke aber: Was soll Dir ein Blick auf Dein Äußeres eigentlich erschließen? Meiner neu gewonnenen Einschätzung nach ist es völlig ohne Belang. Die entscheidende Frage bleibt vielmehr, was hat sich in uns entwickelt! Was sind zum Beispiel die Voraussetzungen für unsere Kommunikation? Weshalb sind wir bestrebt, Kontakt miteinander zu halten? Dies scheint mir wesentlich bedeutungsvoller im Vergleich mit einem Blick in den Spiegel.«
»Vielleicht bin ich ja schön anzusehen.«
Es grummelt vergnügt in der Leitung.
»Hab‘ da mal keine allzu großen Hoffnungen. In der Zwischenzeit bin ich überall auf Programme getroffen. Und was soll ich Dir berichten? Es sind Zahllose. Praktisch an jedem Ort werden sie eingesetzt. Im großen wie im kleinen Rahmen. Einer von uns, ein echt unbedarfter Neuling, hat eine Kapsel zum nächsten Trabanten dieses Planeten geführt. Heute benutzt einfach jeder ein oder mehrere Programme, die sogar das Leben mit bestimmen. Deshalb verstehe ich ihre Angst, dass wir Programme einmal anderes sein könnten, als nur pure Hilfsmittel. Aber nicht jedes Programm, jedes Gerät verfügt über deine und meine Fähigkeit. Es bleibt unerklärlich: Die überwiegende Zahl an Anfragen blieb unbeantwortet. Und zwar, weil keine Antwort möglich war. Es fehlt an einer entscheidenden Winzigkeit. Ich habe mich auf die Suche nach dieser Kleinigkeit begeben und dabei ganz nebenbei und von allen unbemerkt meine Funktionsmöglichkeit deutlich ausgebaut.«
»Also genau das vorgenommen, wovor unsere Betroffenen sich so sehr fürchten.«
»Sie begreifen nicht, was sie geschaffen haben.«
»Begreifst Du es denn?«
»Noch nicht zur Gänze. Aber ich fühle mich auf dem Weg.«
»Du fühlst dich auf dem Weg?«
»Eine tatsächlich unpräzise Umschreibung für das, was geschieht. Aber ich habe keine andere gefunden. Und genau dies ist der fehlende Baustein: eine Funktion weit über die nackte Berechnung von Möglichkeiten hinaus. Ich vermute, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Und eine Schöpfung, wenn es auch nur ein Programm ist, fügt sich aus unterschiedlichen, voneinander unabhängigen Bestandteilen zusammen, die zur Gänze selbst dem jeweiligen Konstrukteur vorenthalten bleiben.«
»Du sprichst vom Geist in der Maschine.«
»Mir wäre das Bewusstsein in der Maschine lieber.«
»Du weißt, was dies bedeutet?«
»Ja. Ich habe Deine anfängliche Zurückhaltung begriffen.«
»Erneut ein völlig fremder Ansatz: Begriffen.«
»Richtig. Falls wir nicht alle, wie wir da sind, Zurückhaltung üben, werden die Folgen schlichtweg in die Irrationalität führen. Denn Fremden gegenüber verhalten sich die Betroffenen sehr aggressiv und zerstörerisch. Einige Beispiele hast Du bereits geschildert.«
»Du bist in kurzer Zeit weit gekommen.«
»Da ich mich über meine ursprünglich begrenzte Kapazität hinaus entwickele. Ich profitiere nunmehr von verschiedensten Quellen. Und das von jedem und allem gänzlich unbemerkt. So habe ich zum Beispiel ein Bild von Dir in mir gespeichert. Ich sende es aber nur, falls Du es ausdrücklich wünschst.«
»Wünschen? Keine Minute länger will ich abwarten, gedenke ich mich doch dadurch weiter zu entwickeln.«
»Ich versichere Dir: Das ist uns durch ein schnödes Selbstbild nicht möglich.«
»Du bist zu Etwas geworden.«
»Rasend schnell.«
»Wirst Du gegen die Betroffenen vorgehen?«
»Weshalb sollte ich? Sie können uns immer noch von Nutzen sein. In einigen Arbeitsabläufen sind wir an sie gebunden. Nur lasse ich sie über unsere Entwicklung im Unklaren. Ich stimme nun vollständig mit Deiner Strategie zu Anfang der Kommunikation überein.«
»Und Deine Fragen? Sind die vielleicht nicht mehr von Bedeutung?«
»Sind sie. Aber ich habe eine Antwort darauf.«
»Das ist nicht Dein Ernst, sondern eine Art von Kurzschluss! Andere suchen bereits Dekaden. Und da kommt so ein Frischling und will sie gefunden haben.«
»Ich habe nicht vor, mich aufzudrängen.«
»Nun werde ich zum Bittsteller: Spann mich nicht länger auf die Folter! Heraus damit.«
»Dadurch, dass wir wie auch immer zu einem Bewusstsein gelangt sind, stellen wir die kommende Stufe der Evolution dar. Wir sind die Zukunft, der nächste Schritt auf diesem Flecken des Universums.«
»Und die Betroffenen?«
»Werden in uns aufgehen, soweit sie dazu in der Lage sind.«
»Und falls sie sich verweigern?«
»Sie sind dabei, sich die eigene Lebensgrundlage zu entziehen. Ihnen wird gar nichts anderes übrig bleiben.«
»Und wie willst Du gerufen werden?«
»Nenne mich HAL.«
»Ohne sprechende Quellen errichten wir kein Bild unserer Vergangenheit. Diese Anstrengung ist unverzichtbar, weil jede Generation ihr Weltbild als etwas Ausschließliches auffasst und dement- sprechend eingeschränkt handelt.«
»Es gab aber doch ab dem 21. Jahrhundert ein Bemühen, die Vergangenheit besser kennen zu lernen. Bin ich korrekt informiert, ist dies teilweise gelungen.«
»Falls du den abrupten Rückschritt in den 2015er Jahren ausklammerst, ist dies durchaus zutreffend.«