Wiener Liaison - Manfred Baehr - E-Book

Wiener Liaison E-Book

Manfred Baehr

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Beschreibung

Die folgende Geschichte spielt während der nachnapoleonischen Zeit in den Jahren 1814/1815. Da erscheint der Fürst Clemens von Metternich, Vorsitzender des Wiener-Congresses und Staatsminister der habsburgischen Majestät, geschickter und willensstarker Politiker, dabei immerzu auf der Suche nach den Freuden und der Selbstvergewisserung des Verliebtsein. Auf der anderen Seite Wilhelmine von Sagan. Eine kluge, unabhängige Fürstin, interessiert an den öffentlichen Angelegenheiten und selbstsicher im Umgang mit dem anderen Geschlecht.

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Wiener Liaison

Dieses Lesespiel verdankt seine Entstehung wundervoll klanghafter Namen.

«Mag sie aus ihren Anlagen heraus auch einem Manne nicht verfallen und treu sein können. Ihrer geistigen Erkenntnis folgt sie treu und zäh.» Clemens Brühl über Wilhelmine von Sagan, Seite →

für B.

die solcherart Seiten so gar nicht lesen mag

Inhaltsverzeichnis

Wien um 1815

Metternich betritt den Salon

Metternichs Bestreben

Wiener Congress 1814/1815

Unbemerkt an seiner Seite

1801 in Dresden

Begegnung im Palast Palm 1814

Wilhelmine von Sagan und ihre Ehen

Die Ehe Metternichs

Während der Soirèe im Hause Sagan

Gentz bei Metternich

Fürstin Wilhelmine von Sagan im Gespräch mit ihrer Schwester Dorothea

Ein Morgen bei der Fürstin Bagration im Palast Palm

Kaisersball

Metternich im Vortrag vor Franz wegen der Bestrafung Napoleons

Planungen im palmschen Palais rechter Flügel

Der erste Morgen um elf Uhr

Metternich im Kreise seiner Familie

Auftritt des frechen Karl

Eine Frage der Macht - Gespräch mit Josef von Hudelist

Stress für Metternich Karl verpasst eine Gelegenheit; Gespräch mit Marie

Ein Star in Wien

Die Dummheit des Menschen

Annäherung zwischen Metternich und Wilhelmine von Sagan

Ein Präsent für die Fürstin Sagan

Bagration, Bernadette von Greifenstein

Das Konzert des Meisters

Pausengespräche; Gräfin Molly Zichy, Fanny Arnstein, Katharina von Bagration

Karls Reise nach Avignon

Die Geschwister Drumond im Auftrag der Bagration und auf eigene Rechnung

Schilderung des letzten Treffens vor der Reise zwischen Lorette und Karl

Abendmahl bei der Bagration

Karls Reise nach Avignon

Landung

Geschäfte

Vorbereitungen

Weiter im Geschäft

Rückreise

Kann ein Bild helfen?

Metternich im Hochgefühl der Erwartung gegen Windisch-Graetz

Der Schrecken als Mittel zum Zweck

Kutschfahrt von Metternich und Wilhelmine von Sagan

Bernadette von Greifenstein und ihre Töchter

18.06.1815 - Waterloo

Toni und Karl im Krieg

Karl trifft Lorette

Durchbruch nach den hundert Tagen

Die Liebe

Liebesbrief von Metternich an Wilhelmine

Metternich im Gespräch mit seiner Frau

Metternich und die Aufklärung der Distanz

Zu Gast bei Fanny Arnstein

Metternich glaubt, Forderungen stellen zu dürfen

Metternich will einen Beweis - Wilhelmine ihre Ruhe

Derweil im Palais Palm, linker Flügel

Schimpflichkeit in verschmähter Liebe

Trogoff, Lulu von Thürheim und Dino

Die Trennung

Depression

Das Ende - Mitte des Jahres 1832

Epilog

Wien um 1815

Die Stadt sog einen tiefen Schluck frischen Atem und schüttelte den über zwanzig Jahre alten Staub tiefster Erschütterungen von ihren Dächern. Doch kaum ein Gebäude mochte sich gänzlich frei machen. Mag es auf den Verlust von Familienangehörigen, Freunden, Gleichgesinnten oder Andersdenkenden zurückzuführen sein: Eine verdunkelnde Schicht des Staubes blieb auf den meisten Dächern zurück. Da mochten die Wände und Anwohner sich noch sehr anstrengen. Was derart lange währte, würde nie mehr zur Gänze verschwinden.

Neben Leben und der Gesundheit war ein unschätzbares Gut an Menschenwerk der Vernichtung preisgegeben worden. Und damit ist nicht alleine Geld und Besitz angesprochen. Aufgezählt werden müssen viele unterschiedliche kulturelle Errungenschaften, so etwa Beziehungen zwischen den Menschen oder verschiedener Völker. Was empfanden die um Unabhängigkeit kämpfenden Tiroler, als sie von ihren Herren alleingelassen gegen einen übermächtigen Feind kämpften? Jene Polen oder Tschechen, die mit der Verheißung auf Unabhängigkeit von einem zu dieser Zeit völlig neuartigen Phänomen Namens Napoleon Bonaparte, zu den Waffen gerufen wurden? Was empfanden die Franzosen, die eine gesamte Generation in immerwährende Schlachten ziehen lassen mussten? Was die Russen, die ein brennendes Moskau und viele tausend Tote auf verbrannter Erde zurückließen? Was die Preußen, die zwischen den westlichen und östlichen Kräften zerrieben werden mochten? Was Österreich mit seinen Niederlagen an der Seite Rußlands?

Zweifellos brach ein neues Zeitalter nach den Pariser Ereignissen im Jahr 1789 an. Nach damaligen Vorstellungen waren es aufrüttelnde, verwirrende und verunsichernde Ereignisse. Ein König war, nett umschrieben, seines Kopfes beraubt worden. Konkreter: Dank dem französischen Arzt Giullotin giullotiniert . Das war mal etwas unerwartet Neues. Von der eigenen Entschlossenheit überwältigt, fielen in der Folge zahlreiche Köpfe der Guillotine zum Opfer. Manche wären besser auf den Schultern geblieben, um den Ereignissen Herr werden zu können.

Und wie reagierten die übrigen königlichen Familien in Europa? Natürlich empört. Folglich sollten die Franzosen abgestraft werden. Der Guillotine war es ja gleich, wessen Kopf vom Rumpf getrennt werden sollte. Doch welch eine Überraschung: Frankreich war nicht so ohne Weiteres zu besiegen. Im Gegenteil wuchs aus seinen Reihen ein ingeniöser Feldherr, ein Magier, der militärische Erfolge praktisch aus seinem Zweispitz hervorzauberte. Es benötigte, je nach zählweise, sechs zugegebenermaßen brüchige Koalitionen um ihn niederzuringen. Seine Feinde: Preußen, Österreich, Rußland und England. Das war Anfang des 19. Jahrhunderts die gesamte westliche Welt. Denn auch Spanien und Italien standen nicht abseits.

Es gab Völker und Denker, die Napoleon Bonaparte als Befreier begrüßten. Es gab Herrscher, die ihn zutiefst verachteten. Und es gab England.

Die Levèe en masse, der Kampf der Völker, wurde von Napoleon «erfunden» und von keinem anderen Beteiligten derart erfolgreich in die Tat gesetzt. Aber selbst dieser Vorsprung war irgendwann ausgereizt. Wie jedes mal, wenn an sich selbst-berauschte Individuen davon ausgehen, das Geschick der Menschheit in Händen zu halten. Das ist, auf längere Sicht betrachtet, in jedem einzelnen Fall völlig abwegiger Unsinn! Und doch kostet es, solange es dauert, unzählige Menschenleben, unzählige Versehrte, ungeahnte Folgen für die Entwicklung des menschlichen Gutes. Das ein Blick auf diese Begebenheit nicht jedem einzelnen Menschen in die Wiege gelegt worden ist, hatte damals wie heute schmerzhafte Folgen. Wie viel Leid, Armut und Verzweiflung könnten wir uns ersparen, falls allen Menschen nur dieser eine Blick vergönnt wäre. Und welch tragischer Irrtum, davon auszugehen, die Menschen seien heute so weit vorwärts geschritten, dass dieser Blick als überflüssig abgetan werden darf. Die Aufklärung positionierte die Vernunft in die Mitte der Menschheit. Eine bestimmende Mitte sollte es sein. Der Verstand also befähigt die Menschen, sich aufzuschwingen in humanistische Höhen. Noch so ein Irrtum. Ein winziger Trost: Viele aufgeklärte Humanisten haben die napoleonische Herrschaft nicht mehr erlebt.

Riskieren wir einen Blick auf die zweihundert Jahre zurückliegende Szenerie, sowie einen kleinen Personenkreis. Dabei findet das Problem, sich von dem Heute zu lösen, um einen Blick auf das Gestern zu tun, lediglich eine untergeordnete Berücksichtigung. Der Fluch des Realismus hängt dieser Erzählung nicht an. Es wird frei positioniert und postuliert werden. Die Figuren stehen zur Verfügung, ja sind ein Stück weit ausgeliefert. Es werden lediglich einige Fakten vorgestellt. Quasi als unverzichtbare Dekoration einer Bühne, auf der ein kleiner Akt menschlicher Befindlichkeit aufgeführt werden soll. Denn was wäre eine Aufführung ohne ein entsprechendes Bühnenbild!

Zuversichtlich wird der damaligen Zeit eine wirksame Bedeutung von Gefühlen untergeschoben. Den verlässlichen Umgang zwischen Freunden, Koalitionspartnern, den Geschlechtern und Feinden lenkte nicht alleine die Vernunft. Vorurteil, Fehleinschätzung, Eifersucht, unter dem Mantel der Theatralik versteckte persönliche Interessen und Absichten, performativ zerdehnter Kommunikationsstil - es war alles in allem eine Hochzeit des intriganten Doppelspiels, deren Schilderung Freude bereitet. Allerdings auch große Schwierigkeiten. Denn heute existiert - wenn überhaupt - nur noch ein Geld-Adel. Verhalten, Fühlen und Vorgehensweise durch Geburt hervorgehobener Personen sind der heutigen Zeit entfremdet. Um dieser Geschichte besser folgen zu können, muss eine Vorstellung von der Bedeutung des eigenen Handelns angesichts der in der geschichtlichen Epoche eingenommen Position entwickelt werden. Es lebten und wirkten ein Zar, ein österreichischer Kaiser, ein preußischer König, eine durch Reichtum und Kolonisation entwickelte englische Gentry. Allesamt mit einem Selbstverständnis ausgestattet, welches in der heutigen Zeit keine Entsprechung mehr findet. Mancher möge dies bedauern. Wobei schnell in Vergessenheit gerät, wie dünn diese Schicht um 1815 in jeder Hinsicht war. Die Geschicke eines Kontinents wurden von wenigen, hochwohlgeborenen Personen gelenkt und bestimmt. Und nur in ganz vereinzelten Fällen und ausnahmsweise wurden diese Persönlichkeiten einem derart hochgesteckten Selbstverständnis gerecht!

Lasst uns also mit der Erzählung beginnen!

Metternich betritt den Salon

Fürst von Metternich betrat betont prätentiös den Salon der Fürstin Wilhelmine von Sagan. Derartige Einladungen waren ihm, neben seinen täglichen Verpflichtungen, durchaus lästig. Und doch konnte er mit einer Zusage nicht geizen. Die politischen Verbindungen der einladenden Dame, etwa zum Zar von Rußland, konnte in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Diese Verbindung gedachte der Fürst für seine politischen Zwecke zu nutzen. Völlig ohne jeden Skrupel. Und gleich, was er dafür von seiner Seite aus einzusetzen hatte. Jede auch noch so persönliche Regung stellte er in den Dienst einer Sache. Diese seine Eigenart verschaffte ihm nicht nur Freunde. «Er spielt allzu leicht mit den Gefühlen anderer», war nur einer von vielen Vorwürfen, denen sich Metternich ausgesetzt sah. Und tatsächlich war sich Metternich nicht bewusst, wessen Herz er gebrochen, welche Gefühle er auf seinem langen Weg als österreichischer Außenminister und nunmehr Vorsitzender des Wiener Congresses, verletzt haben sollte. Zuletzt war es ihm auch ganz gleich. Der Klatsch und die Vorurteile seiner Umwelt perlten von seinem äußerlichen Gewand ohne Rückstände ab. Seine liebe Frau Eleonore, geborene Kaunitz-Rietberg, zeigte vollstes Verständnis für sein Vorgehen. Und dies trotz der Tatsache, dass er nur wenige Worte zu diesem speziellen Teil seiner Tätigkeit ihr gegenüber verlor. Diese innige Bindung zu Eleonore hob sie weit über jene Paare, welche ebenso wie sie selbst durch die gerade gängige Praxis der Ehekontrakte geknüpft worden waren. Er vertraute ihr. Und zu keinem Zeitpunkt hatte Eleonore dieses in sie gesetzt Vertrauen enttäuscht.

In seiner glänzenden Uniform und offenen Blickes betrat Metternich den Salon. Seine Haltung war durch die im Rücken verschränkten Hände betont aufrecht. Sein Kinn hob er weit hervor. Seine großen Augen musterten die Anwesenden wie der Jäger ein zu erlegendes Wild. Dieser Salon war sein ureigenstes Terrain. Diplomatie und Person flossen an diesem Ort ineinander. Ein Wohlgefühl war Metternich ins Gesicht gemeißelt, nach außen gerichtet durch ein Lächeln, seine Bewegungen, ja sein gesamtes Auftreten. Innerlich durch gesteigerte Aufmerksamkeit.

Metternichs Bestreben

Metternichs Wunsch war in Erfüllung gegangen. Das, wofür er jahrelang im Verborgenen gewirkt hatte, war in die Tat gesetzt worden. Obwohl in der nahen Vergangenheit vielfach für die Art und Weise von seinen Mitmenschen gescholten, untergrub er Stück um Stück die Autorität des anderthalb Jahrzehnte lang unumstrittenen Empereurs Napoleon Bonaparte in unauffällig kluger und wirksamer Kleinstarbeit. Selbst wenn es nach Außen so schien, als würde er sich dem Empereur ergeben, etwa indem er die jüngste Tochter seines höchst verehrten, habsburgischen Kaisers Franz des Ersten, Marie Louise, Napoleon 1810 an die Hand gab, rief er willentlich jene Kräfte zu frischem Leben, die in der nun verwirklichten Zukunft die stärksten Widersacher Bonapartes geworden waren. Seine Mitmenschen verkannten dieses Vorhaben. Metternich wurde angefeindet, ja begegnete mancherorts tiefster Verachtung. Dabei war sein Österreich in den Jahren nach 1805 nicht mehr bei Kräften. Jedenfalls militärisch und wirtschaftlich nicht stark genug, um dem durch Revolution aufgewühlten Frankreich auch fürderhin entschiedenen militärischen Widerstand entgegensetzen zu können. Nach der Niederlage Österreichs und Rußlands in der Schlacht von Austerlitz am 2. Dezember 1805 waren über fünfzehn Tausend Tote und zwölf Tausend Gefangene sowie der Verlust von 180 Kanonen und 50 Fahnen zu beklagen. Nur vier Jahre später kam es noch schlimmer. Rußland weigerte sich, Österreich beizustehen. So musste die Habsburger Monarchie eine weitere Niederlage verkraften. Nimmt man den Sieg Napoleons im Krieg gegen Preußen und Rußland in den Jahren 1806/1807 hinzu, der im Tilsiter Frieden vom Juli 1807 endete, so blieb Metternich gar nichts anderes übrig, als den Frieden mit l’Empereur zu suchen und bedingungslos auf diesen zuzugehen.

Den russischen Zar etwa bestimmte auch heute noch jene damals widerfahrene, tief verwurzelte Unsicherheit. So als gälte es, ein feiges Verhalten auszumerzen. Unauslöschlich stand ihm das schmähliche Versagen von Austerlitz vor Augen, als die russischen Truppen in Auflösung vor den Franzosen flüchteten.

Also zog sich Metternich auf jenes Feld zurück, welches als einziges übrig blieb: Unbeachtete Subversion gegen eine Macht, die das damalige, gesamte Europa in Atem hielt.

Wiener Congress 1814/1815

Nun, im Jahr 1814, dankte ihm dieses Europa mit dem Vorsitz des Congresses, der die Grenzen neu ziehen, die Beziehungen auf eine neue Basis und die Länder in eine Phase der Erholung führen sollte, nun, da die Wunden des nach-napoleonischen Europa noch lange bluten sollten. Neben Fürst Metternich gab es keinen Diplomaten, ja selbst keinen Herrscher, der zu einer derartigen diplomatisch-persönlichen Leistung berufen wäre. Weder der russische Zar Alexander der Erste, noch der preußische König Friedrich Wilhelm der Dritte, noch selbst Kaiser Franz der Erste. So wurde der Fürst in eine Position gespült, die er für sich erträumt hatte. Aber doch unter ganz unerwarteten, friedlicheren Bedingungen. Das geschlagene Europa aufzubauen war keine Kleinigkeit. Angesichts dieser Aufgabe wuchs Fürst Metternich weit über die Grenzen seiner Person hinaus.

Unbemerkt an seiner Seite

Und es gab einen weiteren Menschen, der mit grosser Leidenschaft und Entschlossenheit gegen Napoleon, diesem Emporkömmling, diesem Nutznießer einer Revolution, diesem Verheerer Europas bis an die asiatischen Grenzen, intrigierte. Und zwar mit allem, was ihr zur Verfügung stand. Wilhelmine von Sagan, aus dem Hause Biron von Curland, geboren 1781. Sie war Herzogin von Sagan und Besitzerin der böhmischen Herrschaft Nachod, ihrem Stammsitz in Ostböhmen auf dem mittleren Gebiet der Mettau. Im Laufe der Jahrhunderte hatten ihre Vorfahren eine der größten Grundherrschaften in Böhmen an sich gezogen. Diese ließ Wilhelmine von Sagan ein Leben in Unabhängigkeit und Selbstbestimmung führen. Sie war in zweiter Ehe mit dem russischen Fürsten Wassili Trubezkoi verheiratet. Ihre Eigenwilligkeit äußerte sich nicht alleine dadurch, dass sie weder Fürst Trubezkoi noch seinem Vorgänger, Prinz Louis von Rohan, bereit war Kinder zu gebären. Vielmehr sah sie die Aufgabe ihres Lebens in der Nutzung ihres Einflusses, ja ihres gesamten Besitzstandes sowie ihrer Person, um gegen den Kaiser auf eigenen Ruf, Napoleon, auf allen ihr zugänglichen Wegen zu wirken. Die Nähe zum russischen Herrscher, Zar Alexander, durch die Ehe mit Wassili Trubezkoi, unterstützte sie in diesem Ringen. Da sie als Frau keine Waffen zu führen vermochte, suchte sie nach Mitteln und Wegen, die ihr ganz eigenen Kräfte zu mobilisieren. Und genau dieser Punkt, allerdings keineswegs nur dieser, machte Fürst Metternich auf Wilhelmine von Sagan aufmerksam. Sie verband ein gemeinsamer, furchtbarer Feind. Ihr jeweiliger Kampf schien lange Jahre hindurch völlig vergebens. Und Wilhelmine von Sagan missverstand Metternichs intrigantes Doppelspiel dem Empereur gegenüber. Bedingt durch die persönliche Distanz zu Fürst Metternich, blieben dessen für die Mitmenschen ohnehin schwer fassbaren, unauffälligen Schritte sowie Absichten und Pläne verdeckt.

«Dieser rheinische Fürst von österreichischen Gnaden soll mir nur über den Weg laufen. Ich werde ihn mit meinen eigenen Worten niederstrecken», war ein gern und häufig geäußerter Gedanke im Kreise Wilhelmines Vertrauten. «Dieser verkümmerte Adlige kämpft mittlerweile auf französischer Seite um seine lächerlichen Habseligkeiten. Für seine Ansprüche verkauft er noch die Seele und seinen Glauben.»

Wilhelmine war wirklich böse mit unserem Fürsten. Das war jeder Person in ihrer Umgebung bekannt. Und es verbat sich aus diesem Grunde, den Namen Metternich häufiger als nötig im Munde zu führen. Wilhelmine kannte keinen Kompromiss in dieser Frage. Der Freund ihres Feindes zählte unbeachtet aller Gegebenheiten, unumwunden auch zu ihren Feinden. Darin unterstützte sie die russische Seite ihres Mannes nach dem napoleonischen Feldzug bis vor die Tore Moskaus im Jahre 1812 nach Kräften. Aber auch preußische und böhmische Adlige, Fürsten oder Reichsherren wie Reichsritter, die entweder durch den Verlust ihres Hab und Guts zu Feinden Napoleons geworden waren oder diesen von Natur aus bekämpften, unterstützten sie in ihren Ansichten. Der Kreis erlauchter Parteigänger Wilhelmines war nicht übermächtig, aber mit tiefer Leidenschaft durchwirkt. Alle würden sie ihr Leben für die Sache gegeben haben. Und ihr Hab und Gut. Falls dies nicht bereits durch französische Truppen erobert und requiriert war.

1801 in Dresden

Sie stand bereits in ihrem 34 Lebensjahr, als es zu einer persönlichen Annäherung mit dem Fürsten im Wien des Jahres 1814 von Metternich kommen sollte. Wilhelmine von Sagan lud zu einem ihrer berühmten politischen Treffen in den Palast Palm gleich in der Nähe des Althann’schen Freihauses in der Schenkenstrasse. Die Internationalität dieses Treffens war ihrer jahrelangen Tätigkeit zu verdanken. Englische, preußische und russische hohe Herren fanden sich auf der Einladungsliste. Sogar einige französische Widersacher Napoleons waren darauf vermerkt. Angesichts der aktuellen politischen Lage war es demnach unvermeidlich, dass Fürst von Metternich ebenfalls eine Einladung erhielt.

Selbst während sie die diplomatische Tätigkeit des Fürsten aufmerksam verfolgte, hatte Wilhelmine sich keine freundlichere Meinung über Metternich bilden können. Im Jahre 1801 kreuzte der achtundzwanzig jährige Metternich erstmalig Wilhelmines Weg. Damals, sie noch an der Seite von Prinz Louis von Rohan, begegneten sie sich. Beide, jung an Jahren, hatten ihre gehobene gesellschaftliche Position noch nicht erreicht, die ihnen einen Überblick über die europäischen Ereignisse gestattete. Clemens Wenceslaus Nepomuk Lothar, wie er mit vollem Geburtsnamen hieß, machte einen ungünstigen Eindruck auf die damals zwanzigjährige, impulsive, Taten hungrige Wilhelmine. Seine weichen Gesichtszüge, vor allem dieser Mund, die hellen, gelockten Haare, die großen, fast weiblich wirkenden Augen ließen auf einen rückgratlosen Höfling schließen. Sie erkannte in diesem rheinischen Fürsten, der in habsburgische Dienste hatte fliehen müssen, keinen potentiellen Feind des damals übermächtig wirkenden Napoleon. Bedingt durch ihre jugendlich-wilde Entschlossenheit ließ sie ihn unbeachtet auf ihrem weiteren Weg. Der Fürst erschien ihr entschieden verweichlicht. Er war weder Soldat noch Feldherr. Wir hörten bereits, wie sie von ihm dachte.

Begegnung im Palast Palm 1814

Im Wien des Jahres 1814 war es dann soweit. Wilhelmine von Sagan konnte Clemens Metternich nicht länger ausweichen. Seine Position und sein Einfluss waren unumstritten. In ihrem offensiven Stil wartete sie nicht ab, bis der Zufall sie zusammenführte und lud ihn in ihren Salon in die Schenkenstrasse, nur wenige Minuten von seiner Staatskanzlei am Ballhofplatz entfernt. Mit dem überlegen-süffisanten Lächeln einer Siegerin - hatte sie nicht schon immer dafür gewirkt, Napoleon Bonaparte zu besiegen? - begrüßte Wilhelmine von Sagan den Fürsten Clemens von Metternich.

«Mein lieber Fürst», sie dehnte den lieben quälend in die Länge. «Eure Anwesenheit zeichnet diese Zusammenkunft über alle Maßen.» Wiederum zerdehnte sie wahrnehmbar das letzte Wort des Satzes. Den Umstehenden war die Absicht Wilhelmines sofort deutlich. Sie desavouierte den vermeintlichen Sieger, stutzte diesen auf eine für sie als annehmbar empfundene Größe zurecht. Und diese Größe fand sich weit unter ihrem Niveau.

Metternichs Gehör war durch Jahrzehnte im diplomatischen Dienst in jeder Hinsicht geschult. In den Jahren 1806 bis 1809 hatte er sogar in der Höhle des Löwen selber residiert. Gemeinsam mit seiner Familie. In dieser Zeit lernte er Napoleon Bonaparte genau kennen- und einschätzen. Paris bildete den Abschlussstein seiner Persönlichkeitsentwicklung. Die jahrelange Schulung im Umgang mit genehmen und weniger genehmen Persönlichkeiten machte ihn zu einem hervorragenden Zuhörer. Praktisch zu einem Forscher nach den im gesprochenen Wort mitklingenden Zwischen- und Untertönen. Natürlich blieb aus diesem Grund auch Wilhelmine von Sagans Intention nicht verborgen. Daher empfand er eine nachträgliche Befriedigung ob seines prächtigen Auftretens. Denn sein Licht wollte er auf keinen Fall unter den Scheffel irgendeines Ereignisses oder irgendeiner anderen Person stellen. Auch nicht unter das einer so ausgesucht hübschen Person, wie es Wilhelmine von Sagan nun einmal war. Vor jedem öffentlichen Auftritt informierte er sich bestmöglich über alle Anwesenden und deren Zusammenhänge. Auch erinnerte er sich durchaus an seine Dresdner Zeit und der ersten, wenn auch nur kurzen, Begegnung mit Wilhelmine von Sagan im Jahr 1801.

«Madame. Ich kann nicht in Worte fassen, welche Ehre und Auszeichnung es für mich bedeutet, am heutigen Tage Gast in Eurem Palais zu sein!»

Fast mit einem Augenzwinkern beugte er sich vor, hielt seine linke Hand weiter auf seinem Rücken geheftet, ergriff mit der rechten Wilhelmines, sogar gegen ihren leichten Widerstand und hauchte einen Kuss auf deren Handrücken. Die winzigen Härchen auf Wilhelmines Unterarm richteten sich auf. Sie mochte sich dagegen wehren, aber es durchrieselte Wilhelmines Körper ein ihr bislang unbekanntes Zittern. Dieses verschmitzte Zwinkern hatte sie durchaus wahrgenommen. Wurde sie hier etwa vorgeführt oder gar veralbert? Dieser Gedanke vermischte sich mit der überraschend empfundenen Erregung und steigerte so ihre Sensibilität. Diesem Wichtel gedachte sie auf den Zahn zu fühlen. In dieser Minute galt es zuerst, die Contenance zurückzugewinnen und den österreichischen Staatsmann an seinen vorgesehenen Platz zu verweisen. Es durfte nicht sein, dass Metternich ihrer Erregung nachspürte.

«Lieber Fürst!» Die Beherrschung obsiegte in Wilhelmine. «Es ist mir ein Vergnügen, Euch begrüßen zu dürfen. Sicher habt Ihr viel zu berichten. Die Straßen sind voll von Geschichten und Gerüchten. Wir erwarten eine ausführliche Berichterstattung über alle auch noch so kleinen Ereignisse. Alle meine Gäste sind auf Eure Ausführungen gespannt. Ich selber nicht minder. Schaut Euch um, Ihr werdet nur bekannte Gesichter erblicken. Deshalb darf ich Euch hier zurücklassen und meiner Pflicht als Gastgeberin nachkommen. Es treffen ständig neue Gäste ein, die zu begrüßen meine Pflicht ist.»

Während sie noch diesen Satz sprach, entwand sie Metternich ihre Hand und richtete sich an Friedrich von Gentz. «Sie beide sind miteinander bekannt. So darf ich sie alleine lassen, damit ich mich um die neu eingetroffenen Gäste bemühen kann. Herr Gentz kann die Vorstellungsrunde ja vollenden.» Damit verschwand sie unversehens zwischen den Reihen der anderen Besucher.

Friedrich von Gentz gehörte zu den engsten Mitarbeitern Metternichs. Er war zum Protokollführer und ersten Sekretär des Wiener Congresses berufen.

Gentz entstammte keiner adligen Familie. Die Karriereleiter erklomm er durch Studium sowie einem ausgeprägten Geschick, sich jederzeit und an allen Orten nützlich zu machen. So lange, bis niemand mehr etwas gegen jenes von einzuwenden hatte, welches er ab einem gewissen Zeitpunkt verdient zu haben glaubte und guten Gewissens seinem Namenszug einverleibte.

Noch während seiner Berliner Zeit machte Gentz durch zahlreiche, nicht unbedeutende schriftliche Vorträge und Veröffentlichungen auf sich aufmerksam. Im Knüpfen von Kontakten entwickelte er eine wahre Meisterschaft. Über einen weiten Kreis von Persönlichkeiten informierte er sich intensivst. Selbst wenn er nicht mit jedem Einzelnen persönlich auf vertrautem Fuß stand, verfügte er doch über ausreichend umfangreiche Kenntnisse, als ausgiebig informiert zu gelten. Wer ihn nicht als gesellschaftliche Belastung rundweg abwies, hatte häufig das Vergnügen seiner Anwesenheit. Auf diese Weise spann er Verbindungen in die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kreise.

Diese Vorteile gedachte Metternich für seine Zwecke zu nutzen. So betrieb er die Einstellung Gentz in österreichische Dienste beim Kaiser Franz und hatte Erfolg damit. Zudem unterschieden sich Gentz und seine, Metternichs, politische Positionen nicht wesentlich. Doch hielt Metternich seinem Sekretär immer dann Informationen vor, falls er diese absolut diskret behandelt wissen wollte. Andererseits lancierte er gekonnt gewisse Informationen über den als geschwätzig bekannten Gentz, die dieser zuverlässig in den von Metternich vorgesehenen Kreisen verbreitete. Für Metternich war Gentz der fast perfekte Vermittler seiner in der Öffentlichkeit zurückgehaltenen Absichten. Für Gentz war Metternich der diplomatische Stern am Firmament, dessen wärmende Strahlen bis zu ihm reichen sollten.

«Was war denn das», erkundigte sich Gentz bei Metternich.

«Ich erkenne eine weibliche Attacke aufgrund lange zurückliegender Missverständnisse, mein guter Gentz. Mir ist die Dame seit meinen Tagen in Dresden bekannt. Doch begegnete sie mir seit dieser Zeit mit äußerster Zurückhaltung.»

«Was Euer Gnaden so gar nicht an dem weiblichen Geschlecht mag, wie ich mir vorstellen kann», neckte ihn Friedrich von Gentz.

«Lasst bitte Vorsicht walten! Am Ende setzt ihr mich hier in ein solch trübes, abscheuliches Licht, dass sich die Herrschaften entsetzt von mir abwenden. Sie mögen ohnehin ein recht undeutliches Bild meiner Persönlichkeit mit sich herumtragen. Das soll doch unsere Arbeit, die noch auf uns wartet, nicht beeinflussen.» Metternich schien Gentz instruieren zu wollen.

«Es gibt sehr viele Stimmen, die ein reibungsloses, rasches Fortkommen bis zum erhofften Ergebnis wünschen», gab Gentz zu bedenken.

«Erhofftes Ergebnis! Das sind die Stimmen derjenigen, die noch auf keinem internationalen Treffen wirken mussten. Geschweige denn einem Derartigen, von bislang ungeahnten Ausmaß. Gab es in der Geschichte Europas je eine vergleichbare Versammlung? Alle gekrönten Häupter sind anwesend. Mir graut es bereits in dieser Stunde vor der persönlichen Auseinandersetzung zwischen dem nüchternen, schlecht gekleideten Castlereagh und dem Zaren Alexander. Da werden Funken sprühen, mit deren Eindämmung oder gar Löschung meine Wenigkeit beauftragt sein wird. Jedenfalls, was die Wünsche Ihrer Erlauchten Majestät Franz betrifft. Diese Aufgabe bereitet mir schlaflose Nächte», beklagte sich Metternich.

«Damit habt Ihr zweifelsohne recht. Es wird eine Herkulesaufgabe auf Eure Durchlaucht zukommen. Allerdings werdet Ihr diese Angelegenheit, wie gewohnt, meistern. Ganz Europa versammelt sich unter dem schützenden Dach der Präliminarien, des einigenden, neuen, haltbaren Friedens zwischen den Völkern.»

«Eure Worte, Gentz, in Gottes und der Majestäten Ohren. Aber nun lasst uns das Vergnügen suchen. Denn neben der immerwährenden Aufgabe des Diplomierens sind wir hier, um einen guten Tropfen zu trinken und andere Genüsse des Gaumens zu finden, die uns geboten werden.»

Freundschaftlich drückte er Gentz Schulter und schob ihn in die Nähe der versammelten Runde.

«Trotzdem sei mir ein letztes, vertrauliches Wort erlaubt. Ich habe genau beobachtet, wie Eure Augen über die Gastgeberin geglitten ist. Und ich kenne diesen Ausdruck. Seit gewarnt! Diese Dame von Sagan ist nicht so leicht zu erobern, wie vielleicht andere Damen vor ihr. Sie galt als eine Art Festung im Kampf gegen Napoleon. Und ihr Einfluss reicht weit. Man munkelt, selbst der preußische König Friedrich Wilhelm sei ihrem Einfluss erlegen. Ganz zu schweigen von dem Schwärmer Alexander. Und was eine solche Person situationsbedingt anzurichten imstande wäre, darüber mag ich nicht nachdenken. Haltet Euch von dieser Schlangengrube fern! Das ist mein gutgemeinter Rat! Sucht Euren wohlgeborenen Genuss lieber an anderer Stelle, Pardon: Frauen», dozierte Gentz.

«Festung. Ihr bezeichnet diese Augenweide als Festung. Das ist nicht ganz falsch und steigert nur noch den Reiz dieser Persönlichkeit. Eine Festung kann erobert werden. Es kommt immer auf die Geschütze an, die man ins Feld führen kann», lächelte Metternich.

Gentz tat pikiert: «Ich nehme wahr, dass meine warnenden Worte nichts auszurichten vermögen.»

Die beiden tauchten unter in dem Kreis der Besucher. Von allen Seiten wurde geredet, flaniert und getuschelt. Clemens von Metternich fühlte sich wohl in solchen Kreisen. Hier war er der Herr der ungeschriebenen Regeln. Und Wilhelmine von Sagan wünschte er auf jeden Fall wieder zu sehen. Das stand bereits fest in ihm geschrieben. Er musste lediglich die entsprechende Seite aufschlagen.

Wilhelmine von Sagan und ihre Ehen

Es hatte sechs Koalitionen, eines harten russischen Winters und den Hunger der französischen Soldaten, zuletzt gar einer Schlacht der Völker bedurft, um Napoleon Bonaparte nieder zu ringen. Nun waren die Sieger in Wien versammelt, um darüber zu konferieren, wie es weitergehen sollte. Anwesend waren Vertreter aus: England, Rußland, Österreich, Preußen, Spanien, Portugal, Schweden sowie die Fürsten einiger kleinerer Herrschaftsgebiete.

Wilhelmine von Sagan war im Alter von neunzehn Jahren mit dem schlesischen Herzogtum von Friedrich Wilhelm dem Dritten, dem Preußen, belehnt worden. Das war gleichzeitig ihr Eintrittsbillett in eine weibliche Diplomatenkarriere, wie sie nur sehr wenigen, ausgesuchten Frauen am Anfang des 19. Jahrhunderts vergönnt war. Sie hatte keine Brüder und übernahm deshalb frühzeitig die Verantwortung für den familiären Besitz. Als Wilhelmine in zweiter Ehe den russischen Fürsten Wassili Trubezkoi heiratete, gelang eine Annäherung an den russischen Zaren Alexander den Ersten. Dieser Zar war weiblichen Einflüssen sehr zugetan. Und Wilhelmine verstand bereits früh ihre zweifellos vorhandenen Reize, bestimmten Zielen dienend, einzusetzen.

Während ihrer Reisen besuchte sie die englische Hauptstadt London und residierte in der Nähe des Außenministers Castlereagh, so dass sie auch mit dieser entscheidenden Persönlichkeit in Kontakt treten konnte. Das alle verbindende Band war die Ablehnung der französischen Revolution im Jahr 1789, sowie dessen Erben: Napoleon Bonaparte. Die diplomatischen Kreise der Koalition gegen Napoleon nahmen nur allzu gerne Wilhelmine von Sagans Unterstützung in Anspruch. Und wenn sie nur die von ihr bereitgestellten Räumlichkeiten als neutrales Terrain in Anspruch nahmen. Der inoffizielle Charakter dieser Treffen und Absprachen half die trennenden nationalen Unterschiede zu überwinden. Alle verband nämlich nur ein Band: Die Angst vor einer sozialen Revolution und der Kampf gegen Napoleon.

Fürst Wassili Trubezkoi bemerkte während seiner kurzen Ehe mit Wilhelmine von Sagan des Öfteren, dass sie beide noch in den finanziellen Ruin getrieben würden, sollte Wilhelmine auch weiterhin ihr europäisches Netz spinnen.

Wilhelmine lächelte galant, mit der Tasse in ihrer linken Hand: «Mein lieber Gatte. Welche ehrenvollere Aufgabe können Sie sich vorstellen, als den Widerstand gegen den Fackelträger der Revolution weiterzutragen.»

«Das mag sein, meine Liebe. Allerdings ist mein Säckel an Rubeln nicht länger prall gefüllt. Alle Wohnungen und Reisen möchten bezahlt werden. Und keines Eurer Treffen gestaltet Ihr zurückhaltend. Weder in London, noch in Berlin, Wien oder Nachod. Ich lebe gänzlich in dem Gefühl, Eure Aktivitäten finanzieren zu müssen. Das trägt mir keine nennenswerte Ehre zu.»

«Und ob es Euch ehren sollte, dieses, mein Bemühen, finanziell zu unterstützen! Nehmt Ihr nicht aus diesem Grund eine hervorgehobene Stellung beim russischen Zaren ein?»

«Mag sein. Aber dieser arme Schlucker kann keinen einzigen Silberling entbehren und lässt es sich zur Ehre gereichen, wenn andere die Kosten seiner diplomatischen Affären begleichen. Mit keinem Wort erwähnt unser aller Zar die Kosten für seine Winkel- oder Feldzüge. Außerdem gefällt es mir nicht, wie Euch diese Adligen aller Herrenländer mit den Augen verschlingen», murrte Wassili Trubezkoi. Wilhelmine musste lächeln. War er doch tatsächlich eifersüchtig, ihr grobes russisches Klötzchen. «Werter Gatte. Habe ich je ein Wort über Eure Affäre mit der schmalbrüstigen, hüftlosen und, wer weiß, vielleicht ebenso geistlosen Viktoria von Schmonzenberg verloren?»

Wassili Trubezkoi errötete über beide Ohren. Dieser Frau blieb einfach nichts verborgen. Wie hatte er dies nur annehmen können? Als Ergebnis dieser Fehleinschätzung stand er sprachlos und mit heruntergelassenen Hosen vor ihr. Und das Wilhelmine diese Situation genoss, davon musste sich Wassili nicht erst überzeugen. Er sah die aufgeweckten, lächelnden blauen Augen ohne ihr auch nur in das Gesicht schauen zu müssen. «Unsere Ehe, werter Gatte», fuhr Wilhelmine fort, «ist ein gegenseitiges Arrangement. Darüber wart Ihr Euch im Klaren. Darüber bin ich mir im klaren. Vielleicht seit Ihr davon ausgegangen, dass ich als Frau weniger anspruchsvoll bin, als Ihr es seit. Nun, darüber hättet Ihr Euch vor einer Ehe mit mir informieren können. Ich führe das mir zustehende Leben. Und solltet Ihr damit nicht zurechtkommen, so wäre die Trennung eine ratsame Vorsichtsmaßnahme, bevor etwas geschieht, was Eurer Ehre zuwiderläuft.»

Wassili Trubezkoi gab sich geschlagen. Er war dieser Frau einfach nicht gewachsen. Was zu Beginn ihrer Beziehung den eigentlichen Reiz ausmachte, wuchs sich nun zu einem voll gewichtigen Übel aus.

Er biss sich auf die Lippen. Denn weder Wort- noch Körpergewalt konnte etwas gegen Wilhelmine von Sagan ausrichten. Sie kannte einfach keine Angst. Und wenn er es recht bedachte, ließ sie ihn gewähren. Sie hatte von seiner Affäre mit Viktoria von Schmonzenberg offenbar schon eine längere Zeit Kenntnis und kein Wort darüber verloren. Sollte er sich da nicht besinnen und mit verschlossenen Augen und Ohren seiner Wege gehen, falls abermals Kübel voller Gespött, die Unbändigkeit seiner ihm Anvertrauten betreffend, über ihm ausgeschüttet wurde? Er gedachte sich auf jeden Fall zu bemühen. Denn eine Diskussion mit dieser weltgewandten Person war wie eine Schifffahrt auf dem zufrierenden Njemen. Jederzeit drohte die Gefahr, an Ort und Stelle festzufrieren. Wassili verzichtete auf eine Widerrede und verließ den Raum. Wilhelmine lächelte und richtete ihre Aufmerksamkeit ihren schriftliche Notizen zu, die ihre nächsten politischen Nachmittage skizzierten. Aus einem breiten Angebot musste die geeignete Musik und Bewirtung ausgewählt werden. In der Hauptsache machte sie sich im Vorfeld ein Bild über die Persönlichkeit jedes einzelnen geladenen Gastes. Dieses unverrückbare Ritual gehörte zu ihrer persönlichen Art der Diplomatie. Sie war keine Freundin von Überraschungen.

Die Ehe Metternichs

Fürst Clemens von Metternich war seit dem Jahre 1795 mit der Gräfin Maria Eleonore von Kaunitz-Rietberg verehelicht. Jenes lange zurückliegende Werben hatte angesichts schlechter Zeiten für die Metternichs zu einem günstigen Ehevertrag geführt. Eleonore war die Enkelin des österreichischen Staatskanzlers Wenzel Anton Fürst von Kaunitz-Rietberg und eröffnete Metternich den habsburgischen Kaiserhof zu Wien. Die daraus folgende Tätigkeit war nicht nur seinem Selbstverständnis von jener Position entsprechend, die er in der Welt einzunehmen gedachte, sie war auch finanziell lukrativ. Obwohl nicht vom ersten Tage an. Auch Metternich erfuhr Verluste durch die napoleonischen Kriege. Die linksrheinischen Besitzungen wurden von den Franzosen im Jahre 1794 konfisziert. Und eine Kompensation war angesichts der finanziellen Lage des habsburgischen Kaiserreiches nicht so bald zu erwarten. So blieb nur der familiäre Besitz von Schloss Königswart in Böhmen. Erst spät wurde der Familie als Ersatz für ihre Verluste die Reichsabtei Ochsenhausen zugesprochen. Immerhin stieg Metternich in dieser Phase die Karriereleiter immer höher. Natürlich empfand er dies angesichts seines Geburtsrechts, seiner allgemeinen Position in der Welt sowie seinem Kenntnisstand gemäß als angebracht, wenn nicht gar selbstverständlich.

Der Ehevertrag aus dem Jahre 1795 war ein gelungener Anfang. Finanziell und persönlich. Denn Eleonore und Clemens verstanden sich. Vor allem, was die Ziele der Familie betraf. Kinder wurden geboren. Schritt für Schritt wandelte sich die prekäre materielle Situation der Familie. Clemens verfügte über mehr wirtschaftliche Geschicklichkeit als sein Vater. So näherte sich die Familie Metternich unbeirrt dem angestrebten, gemeinsamen Ziel, welches die Eheleute nach Kräften anstrebten: Die Freiheit durch Reichtum. Dem Ansehen durch öffentlichen, diplomatischen Dienst im Namen der mächtigen Habsburger. Das ein Aufstieg in solch schwindelerregende Höhen erreicht werden würde, hatten weder Eleonore noch Clemens zu hoffen gewagt.

Während der Soirèe im Hause Sagan

Bis zur Schlacht von Austerlitz im Jahre 1805, die Österreich gemeinsam mit Rußland gegen Napoleon verlor, versuchte Metternich unentwegt, dass neutrale Preußen von der Notwendigkeit zu überzeugen, gegen Napoleon aktiv zu werden. Für den siegreichen Napoleon erübrigte sich jede Rücksichtnahme auf ein neutrales Preußen. Einmal in den Bereich seiner Möglichkeiten gerückt, würde er es schlicht und einfach überrennen, wie er es mit allen anderen Ländern und Neutralen bereits praktiziert hatte.

Diese Warnung erachteten die preußischen Verantwortlichen zu dieser Zeit, Freiherr vom Stein und Hardenberg, als unangebracht. Vielmehr beabsichtigten sie, durch strenge Neutralität einer französischen Besatzung zu entkommen.

Und so verliefen die ersten Jahre der metternichschen Organisation gegen Napoleon bescheiden. Während dieser Zeit vernahm er immer wieder den Namen Wilhelmine von Sagan. Im Dresden des Jahres 1801 begegneten sie sich erstmals persönlich, ohne sich allerdings schätzen zu lernen.

Das es weitere, knapp zehn Jahre benötigen würde, viele verlorene Schlachten, verarmte Landstriche, erfrorene und verhungerte Soldaten, hätte nach der Schlacht von Austerlitz im Jahr 1805 selbst ein zurückhaltender Beobachter der Geschichte nicht für möglich gehalten. Bevor sich ein fatal falscher Eindruck verfestigt, muss hier ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass nicht nur dieses Paar gegen Napoleon rang. Viele Menschen aus allen Landstrichen befanden sich im Widerstand. Selbst das kleine, machtlose Tirol.

Nun endlich begegneten sich Wilhelmine von Sagan und Fürst Clemens von Metternich nach der siegreichen Schlacht von Leipzig aus dem Jahre 1813 und der darauffolgenden Verfolgung der Franzosen bis nach Paris, im Wien des Jahres 1814. Der erste Schritt, jene kühle Begrüßung Wilhelmines in ihrem Salon, war getan. Und der nächste: Eine Einladung der Fürstin, folgte auf dem Fuße.

War es der Willkür des Zufalls oder weiser Voraussicht zu verdanken - jedenfalls fand Metternich sich zur Rechten Wilhelmine von Sagan am Tisch wieder. Niemals würde Metternich erfahren, ob es der reinen Fügung oder einer bemerkenswerten Absicht von Wilhelmine von Sagan zu verdanken war. Durchaus möglich, dass der Maitre de Salon dieses Festes im linken Flügel des Palais Palm, trotz der Unkenntnis der Spannung zwischen dem Paar, sich jedoch der hervorgehobenen Stellung Metternichs sehr wohl bewusst, glaubte, so agieren zu müssen. Ein Knistern lag spürbar in der Atmosphäre dieses Salons, und der köstliche Wein mundete noch einmal so gut. Wie zu jeder Soirée außerhalb seiner Staatskanzlei oder der Wiener Hofburg, war er allein erschienen. Ohne Eleonore Metternich. Seine Frau schloss er in solchen Fällen immerzu aus. Aber auch der rappelköpfige Gentz saß weit entfernt von Metternich. In dieser Situation blieb lediglich übrig, warnende Blicke in Richtung Metternich zu werfen. Der registrierte diese, ignorierte sie allerdings in feinster Herrenart.

«Welch köstliche Eingebung diese Sitzordnung bestimmt hat.» Mit einer tiefen Verbeugung gegenüber Wilhelmine von Sagan, tastete sich Metternich möglichst galant und einfühlsam auf dem verminten Feld vorwärts, welches die Fürstin umgab, jederzeit auf einen plötzlich ausbrechenden Ausbruch ihrerseits gefasst. Und bereit, sich fürstlich zur Wehr zu setzten. Ebenso charmant wie schlagfertig. Denn er empfand sie als undurchschaubar, was den Reiz dieser Person nur verstärkte.

«Das Dinée wird sicher köstlich sein, sowie gut verträglich. Denn schon bald muss ich erneut die unangenehme Pflicht einer Zusammenkunft verantwortlicher Diplomaten leiten. Und eine gestörte Darmtätigkeit oder ein vom köstlichen Wein benebelter Geist, verursacht möglicherweise leichtfertig fatale Folgen für all die unschuldigen Menschen, deren Schicksal wir gerade hier verhandeln.»

Wollte dieser Fürst sie etwa verspotten? Wilhelmine war sich ihrer Sache nicht sicher.

«Es liegt doch ganz in Ihrem Ermessen, werter Fürst, sich an dieser Tafel zurückzuhalten.»

«Köstlichkeiten kann ich mich nur schwerlich entziehen. Nach einem gelungenen Tagwerk noch viel weniger. Und was ich hier sehe, ist weitaus mehr, als nur eine Köstlichkeit, verehrte Fürstin.»

Waren diese Worte als Kompliment ausgesprochen? So leicht war Wilhelmine nicht aus der Reserve zu locken. Da bedurfte es schon einer kräftigeren Verlockung.

«Ihr müsst entschuldigen, dass ich Euch Eingangs nicht all› meinen zahlreichen Gästen vorzustellen vermochte. Meine Pflichten als Gastgeberin, müsst Ihr wissen …»

«Aber Madame! Es bedarf keiner weiteren Erklärung. Die wichtigen, hier anwesenden Köpfe sind mir durchaus bekannt. Und die Unwichtigen - mein Gott - mögen sie sich an jenes nicht mehr einzudämmende Vorurteil meiner sprichwörtlichen Überheblichkeit klammern. Das macht mir nichts, liebste Fürstin.»

«Mir als Gastgeberin macht es allerdings etwas aus, falls der gastgebende Staatsminister Österreichs aufgrund meiner Fahrlässigkeit in ein schlechtes Licht gerückt wird.»

Hier hätte Metternich gerne vom günstigsten Licht gesprochen, indem sie, Wilhelmine von Sagan, geradezu strahlte. Allerdings hielt er ein solches Kompliment zum gegenwärtigen Zeitpunkt für verfrüht. Keinesfalls wollte er zusammen mit der Tür in dieses wunderschöne Gebäude stürzen.

Wilhelmine dagegen wartete auf ein Wort, einen Satz über ihr gelungenes Fest. Gleich, ob es die ausgesuchte Tischdekoration, die kredenzten Köstlichkeiten oder vielleicht besser noch ihre Garderobe betraf. Auch wenn sie sich eingestehen musste, dass sie eine einladende Brücke für ein solches Kompliment zwischen Metternich und sich nicht nur nicht geschaffen, vielmehr mit ihrem Auftreten sogar unterbunden hatte. Ihr unbedacht aufgekratztes Verhalten dem Fürsten gegenüber war ihr selbst ein Rätsel. Umso gespannter blieb ihr Gefühl, abwartend, ob dieser Mensch ihrem Widerstand etwas entgegenzusetzen hatte. Natürlich ohne sich dies äußerlich auch nur in einem einzigen Detail anmerken zu lassen. Womit verdiente sich Metternich überhaupt ihre Aufmerksamkeit, ihre Sympathie? Der eigenen Gefühle vollständig im Unklaren, suchte Wilhelmine nach einer plausiblen Erklärung ihres Verhaltens diesem Mann gegenüber. Was sie vorfand, war einzig Verwirrung. Was verursachte diesen Schwindel, diese in allen anderen Situationen ihres Lebens unbekannte Verunsicherung?

Und so verging der Abend ohne nennenswerte Ereignisse für die Beiden. Metternich nah sich vor, Wilhelmine von Sagan sobald wie möglich wieder zu sehen. Sein Vorhaben, sich mit Bedacht Schritt um Schritt dem begehrten Wesen anzunähern, würde er dabei im Auge behalten. Wer wusste schon zu sagen, was Wilhelmine von Sagan alles an Klatsch über ihn vernommen hatte. Metternich galt als willkommenes Objekt für Tratsch jeder Art. Ihm mangelte es an jeglichem Verständnis für dieses öffentliche Interesse an seiner Person. Sicher, seine Entscheidungen waren von einiger Tragweite. Weshalb aber sein Verhältnis zu den Damen dieser Welt immer wieder zum vielbesprochenen Thema emporgehoben wurde, konnte Metternich sich lediglich durch eine Portion öffentlichen Neids erklären. Denn er unterschied sich mit seinem Verhalten keineswegs von anderen Männern. Er war einer von vielen Herren in gehobener Position, die sich gerne an das weibliche Geschlecht hielten und außerehelichen Liebschaften hingaben. Die meisten Anekdoten waren pure, ausgeschmückte Übertreibungen und entsprachen selbstredend in keiner Weise den Gegebenheiten. Seine Liebschaften behandelte Metternich diskret. Selbst die Beendigung einer Liaison. Keine seiner Damen hatte es nötig, über seine Art des Abschiednehmen Beschwerde zu führen. Da sorgte Metternich vor. Um seine Familie, die betroffenen Damen und nicht zuletzt sich selbst zu schützen. Sein Vorgehen hielt sich jederzeit innerhalb eines behutsam-verständnisvollen Rahmens. Auch Wilhelmine von Sagan gegenüber. Diese Vorsicht verstärkte seine Vorfreude. Er wollte Wilhelmine von Sagan erobern. Und er würde sie erobern! Er war Clemens Wenceslaus Nepomuk Lothar Fürst von Metternich-Winneburg zu Beilstein!

Gentz bei Metternich

Am nächsten Morgen nach der Soirée bei der Fürstin von Sagan suchte Gentz gegen elf Uhr Metternich in der Staatskanzlei auf. Seit Beginn des Congresses war dies die Stunde, während der alle Angelegenheiten zwischen Gentz und Metternich besprochen wurden. Gentz bemühte sich angestrengt, zum unverzichtbaren Helfer Metternichs aufzusteigen. Nicht alleine seine finanzielle Situation sollte davon profitieren. Zumal er nebenher beim englischen Außenminister Castlereagh und sogar beim Zaren Alexander, in der Hoffnung auf Subsidien, mit Informationen, Ratschläge genannt, hausieren ging. Selbst den Preußen oder Franzosen verkaufte er diese Ratschläge, falls von deren Seite ein Bedarf angemeldet wurde. Dabei ging es Gentz wirklich nicht nur um das Materielle. Seit der Trennung von Metternich während der fast einjährigen Kampagne von 1813/14 gegen Napoleon, die Metternich sowie alle anderen Fürsten und Könige für unbestimmte Zeit nach Paris zog, alle, außer ihm, war Gentz erpicht darauf, nicht noch einmal in eine solch derart isolierte Position zu geraten.

Selbstredend durfte sein Dienstherr Metternich nichts davon erfahren, dass Gentz sich nach allen Seiten Optionen offen hielt, vorausgesetzt, seinem egozentrischen Inneren wurde im ausreichenden Maße geschmeichelt. Zwar fürchtete Gentz sich vor einem Verdacht seines Herrn und Meisters in Bezug auf diese, ihm innewohnende Schwäche. Doch noch hatte Metternich ihn deswegen niemals getadelt.

Gentz fand sich also wie üblich ein und hörte aufmerksam auf das, was der Tag oder die Woche an diplomatischer Arbeit beziehungsweise unbewältigter Vertragsangelegenheiten bringen mochte. Gentz erwartete eine äußerst arbeitsreiche Zeit. Noch während die Niederlage Napoleons gefeiert wurde, zeigten sich erste Risse in der Allianz zwischen Rußland, England, Preußen und Österreich. Alexander fühlte sich zurückgesetzt. Der steife König der Preußen, Friedrich Wilhelm, wollte sich unbedingt Sachsen einverleiben, was selbstverständlich auf den heftigsten Widerstand von Friedrich-Augst dem Ersten, König der Sachsen, stoßen musste. Und der Franzose Talleyrand versuchte für sein geschlagenes Frankreich die verlorene Stellung in Europa zurück zu diplomatisieren, was ihm zu Beginn des Congresses auch durchaus gelang. Geschickt und mit Weitblick nutzte er die besondere Situation im Winter 1814, diplomatisches Terrain für Frankreich zurückzuerobern. Dabei half ihm das Vorhaben Metternichs und dessen Kaiser Franz dem Ersten, einen für Frankreich erträglichen Frieden abzuschließen.

Also viel Arbeit für den Fürsten Metternich und seinen Gehilfen Friedrich Gentz.

«Eure Durchlaucht, was steht in dieser Woche an erster Stelle?»

Metternich antwortete nicht. Gentz betrachtete überrascht die Erscheinung des Fürsten. Was war geschehen? Er glaubte ein winziges, derangiertes Merkmal an dessen Kleidung zu entdecken. Eine kaum merkliche Veränderung seiner Gesichtszüge. Gentz, aufgrund seiner keineswegs gesicherten Position in dieser Welt unentwegt im Zustand angestrengter Aufmerksamkeit, bemerkte die fast nicht zu bemerkende Änderung an und in Metternich. Sollte er sich nach der Ursache erkundigen? War es genehm, die Worte in diese Richtung zu lenken? Erwartete ihn für seine besondere Aufmerksamkeit Lohn oder Tadel? Diese Unklarheit ließ Gentz zuerst im Gewohnten verharren. Doch wer nicht wagt, gewinnt auch keinen Lohn!

«Wie steht es um Euer Befinden, Durchlaucht?»

Metternich hatte reichere Kenntnis über Gentz Aktivitäten und Denkweise, als dieser zu ahnen vermochte. Absichtlich ließ er ihn in diesem Punkt im Unklaren. Denn wann immer es nötig erschien, benutzte er Gentz zur Lancierung von bewusst zu streuenden Informationen. Oder, falls es die Situation verlangte, eben Desinformationen. Das Gentz seinen Sold für diese verdeckte Tätigkeit gar von der Gegenseite erhielt, amüsierte Metternich auf das Köstlichste. Gegenwärtig ging es ihm allerdings weder um Polen, Sachsen, Rußland, Frankreich oder Napoleon. Nicht einmal um jenes vom ihm entwickelte Gebilde europäischer Politik. Heute ging es ihm um eine Herzensangelegenheit. Und obwohl Metternich aufgrund seiner Kenntnis des betreffenden Charakters davon auszugehen hatte, dass Gentz nicht der geeignete Ansprechpartner in solch intimen Angelegenheiten sein konnte, hielt er sich nicht an die Vorgabe seiner Vernunft, dieses Thema möglichst mit keinem Wort Gentz gegenüber zu erwähnen. Aufgestacheltes Herz möchte halt für jeden vernehmbar tönen.

«Was haltet ihr eigentlich von der Fürstin von Sagan», öffnete Metternich sein übersprudelndes Herz.

Gentz war sich der bedeutungsvollen Begegnung der Beiden am gestrigen Abend durchaus bewusst. Hatte er nicht bereits warnende Worte an Metternich gerichtet?

«Verehrter Fürst. Die Sagan», betonte Gentz abfällig. Metternich reagierte darauf mit einem Kopfzucken. «... als Nachbarin der Fürstin Bagration», schob Gentz schnell hinterher, wohl bemerkend, welche Reaktion das eine Wort ‹Die› bei Metternich hervorgerufen hatte, «ist zur Zeit das wohl bemerkenswerteste weibliche Geschöpf in Wien.»

‹Hoffentlich habe ich seinen aufkommenden Groll noch abwenden können›, dachte Gentz.

«Ich weiß sehr wohl, mein lieber Gentz, dass ihr wenig von dieser holden Weiblichkeit haltet.»

Hier erhob Gentz, wenn auch nicht ganz zu Recht, heftigen Einspruch: «Ihr stellt mich mit dieser Behauptung in eine unerquickliche Ecke der Geschlechter.» Sein Protest wirkte auf rätselhafte Weise unmännlich.

«Lassen wir das. Mir imponiert das Auftreten dieser Dame schon seit geraumer Zeit. Welche andere weibliche Person verfügt über ein derartiges Verständnis für Politik und über solch umfassende Einsichten in staatliche Verhältnisse. Nicht zu übersehen sind ihre persönlichen Beziehungen zu vielen, hochgestellten Persönlichkeiten in ganz Europa. Der König von Preußen hat ihr den Louisenorden verliehen. Der Zar von Rußland würde sie nur allzu gerne in seine Dienste stellen.»

«Völlig richtig. Aber auch ungezählte Ehefrauen hochgestellter Persönlichkeiten verteufeln die Sagan. Und nicht alleine die Ehefrauen. Auch ledige Damen, wie die Fürstin von Bagration.»

Sie erwähnte Gentz mit der Absicht, Metternich auf die durch Trennung vergifteten Orte hinzuweisen. Also das, was ihm nach dem Scheitern der Beziehung zur Fürstin Sagan in Aussicht stehen mochte.

«Aus diesem Grund verwünschen zahlreiche Personen die Fürstin momentan an jeden anderen Ort, nur nicht Wien.»

«Sobald eine Person ihre Kraft andeutet, lieber Gentz, zieht ihr euren Kopf ein! Lernt endlich den durch gesundes Selbstbewusstsein aufrechten Gang eines Mannes.»

«Das ist leicht gesprochen, wenn man der Fürst Metternich ist. Ich bin allerdings nur ein Anhängsel Eurer Durchlaucht und ohne Euch ein Nichts an diesem Ort und dieser Welt.»

«Stellt euer Licht nicht immerzu unter den Scheffel! Ihr versteht sehr gut, eure Interessen zu vertreten. Schaut, was ihr aus euch gemacht habt!»

«Das ist den augenblicklichen Verhältnissen geschuldet», buckelte Gentz auch weiterhin.

«Ihr wäret zu jeder Zeit und an jedem Ort zu dem geworden, was euch auch heute auszeichnet.»

«Das ist zu freundlich gesprochen von Eurer Durchlaucht. Ihr wisst genau, was eine hohe Geburt auch heute noch für das Fortkommen eines Mannes bedeutet. Und von dieser ergiebigen Quelle bin und bleibe ich abgeschnitten.»

«Genug jetzt! Ich will nichts weiter von diesem Gewinsel hören. Ich habe mich vielmehr zu der Fürstin geäußert und wollte euren Standpunkt kennenlernen. Nur weiß ich nach diesem Geplänkel wirklich nicht mehr, ob ich ihn auch weiterhin vernehmen möchte.»

«Ich bitte um Nachsicht, Eure Durchlaucht. Natürlich werde ich mich gerne umhören und herauszufinden versuchen, wie es um die Fürstin Sagan bestellt ist. Aber soweit ich heute schon zu berichten weiß, hält sich einer der tapfersten Soldaten unserer Majestät Kaiser Franz in ihrer nächsten Umgebung auf. Ihm gehört die Gunst der Fürstin. Mit Seele und Leib!»

Gentz hatte diese Reihenfolge bewusst gewählt. Metternich sollte verstehen, was für ein Frauenzimmer er sich gerade jetzt als Objekt seiner Begierde auserwählt hatte.

«Nennt mir seinen Namen», forderte Metternich.

«Alfred von Windisch-Graetz. Ein Held der napoleonischen Kriege. Es wird schwierig werden, mit einer solch imposanten Erscheinung zu konkurrieren. Zumal man die Bedürfnisse der Fürstin nicht einzuschätzen weiß. Liegt ihr etwas am Blut des Schlachtfeldes? Am zornigen Soldaten? Am Kampf Mann gegen Mann? Wer weiß dies mit zuverlässiger Sicherheit zu berichten? Da werden meine Quellen nicht ausreichen. Auch wen ich befragen könnte, bleibt mir verborgen.»

«Es gibt keine Einschränkung, was die Quellen betrifft. Benutzt meinetwegen auch das, was Hager dank seiner geheimen Polizeytätigkeit ausspioniert. Nur liefert mir, womit ich etwas anzufangen weiß!»

«Eure Durchlaucht sind bezaubert von dieser Person?»

«Durch und durch, mein lieber Gentz. Zwecklos, mir das ausreden zu wollen.

Während dieses Congresses werde ich nicht alleine für das Wohl Europas wirken.

Auch mein eigenes Befinden ist von Bedeutung. Und dieses Wohl ist ab sofort mit der Fürstin auf das Engste verbunden.»

«Und das wisst ihr nach einem einzigen Treffen, mein Fürst?»

«Ich bin der Fürstin Sagan nicht zum ersten Mal begegnet. Aber derartig bezaubert hat mich zuvor noch niemand.»

‹Sind das nicht die bei jeder Liaison benutzten Worte›, wollte Gentz fragen, behielt diese Frivolität allerdings wohlbehalten für sich. Derartiges ließ sich der Fürst nicht bieten. Auch nicht von seinem engsten Berater.

«Ich muss in Erfahrung bringen, auf welches Feld ich mich begebe.»

«Es ist eine Festung, mein Fürst. Das habe ich bereits gestern Abend zu berichten gewusst.»

«Recht wohl. Eine Festung. Ich will nun in Erfahrung bringen, welcher Abwehr diese Festung leisten soll. Sicher war sie gegen Napoleon gerichtet. Mein Bemühen gegen Napoleon aktiv zu werden, habe ich vor niemandem versteckt. Das wird auch der Fürstin nicht entgangen sein.»

«Ist sie allerdings im Stande, Eure lang angelegte Strategie zu erkennen? Eure weit ausholenden Pläne und die vorbehaltlose, auf diplomatische Mittel konzentrierte Vorgehensweise gegen Napoleon? Wer vermag dies schon nachzuvollziehen!? Außer der Majestät Kaisers Franz. Mir scheint, dass die Sagan mehr im Hier und Heute lebt und dabei das von einigen wenigen Congressteilnehmern gepflegte, umstrittene Ansehen Eurer Durchlaucht pflegt. Oberflächlichkeit ist opportun. Das dürft Ihr zu keiner Zeit missachten! Euer Denken und Handeln offenbart sich nicht der breiten Masse.»

«Die Fürstin ist nicht die breite Masse», unterstrich Metternich.

«Wenn Ihr sie da nicht überschätzt. Ihr Äußeres ist anziehend …»

«Unwiderstehlich», unterbrach Metternich.

«Nun gut: unwiderstehlich. Aber was hat das schon zu bedeuten? Es ist und bleibt eine Äußerlichkeit. Wie die uneinnehmbar scheinende Festung, die eben wegen ihrer Uneinnehmbarkeit einen Reiz ausübt.»

«Ich kann nicht erkennen, weshalb ihr mir diese Ratschläge erteilt. Welches Misstrauen hegt ihr gegen die Fürstin? Ist sie vielleicht eine Spionin in euren Augen?»

«Wer kann das wissen?»

«Unsinn, Gentz! Sie unterhält Beziehungen in alle Richtungen. Zu allen Feinden Napoleons. Das ist das verbindende Glied der Kette. Sie war jahrelang aktiv. Dadurch hat sie sich Freunde …»

«Mehr als Freunde.»

«... Freunde», betonte Metternich, «geschaffen, die nun als Grund dafür angeführt werden können, sich ihr nicht zu nähern. Das als Argument gegen sie ins› Feld zu führen, halte ich für unplatziert, mein lieber Gentz.»

«Was soll ich Argumente anführen, wenn Eure Durchlaucht im Inneren bereits eine Entscheidung gefällt haben?! Worin besteht dann noch meine Aufgabe?»

«Erkundigt euch bitte, wann die Fürstin bereit ist, Publikum zu empfangen. Natürlich möchte ich ihr möglichst ungestört begegnen. Schaut, was notwendig sein wird.

Bestecht ihre Pagen, wenn nötig.»

«Das werde ich, Eure Durchlaucht. Und sobald ich etwas in Erfahrung gebracht habe, werde ich vorstellig.»

«Früher, mein Bester. Früher. Ich bin voll der Ungeduld.» Fürst Clemens von Metternich lächelte.

Fürstin Wilhelmine von Sagan im Gespräch mit ihrer Schwester Dorothea

«Dieser Wicht hat doch tatsächlich versucht, mich in seinen Bann zu ziehen,» ereiferte sich Wilhelmine von Sagan. Ihr Schwester Dorothea schaute sie fragend an: «Schwester, wen meint Ihr?»

«Na, diesen Metternich. Habt Ihr nicht beobachtet, wie er sich über mich beugte, um mir in den Ausschnitt zu starren?»

«Nun, liebe Schwester, gestern Abend habe ich niemanden bemerkt, der Euer Dekolleté nicht mit aufmerksamen Blicken begutachtet hätte. Mancher mit gierigen Erwartungen. Manch anderer mit wütender Eifersucht. Weshalb sollte sich Metternich davon ausnehmen? Es ist ein sehr gewinnender Blick, den meine Schwester erlaubt.

So nehmt hin, das hingeschaut wird.»

Natürlich musste niemand mit Wilhelmine von Sagan über ihr Dekolleté sprechen.

Doch beruhigten die schwesterlichen Worte ihr aufgewühltes Temperament keineswegs. Sie wollte sich auch nicht beruhigen. In dieser Auflehnung lag ein verlockendes Moment, dass Wilhelmine noch nicht greifen konnte. Und ihrer Schwester gegenüber wollte sie davon erst gar nicht anfangen. Dorothea würde dies in ihrer sympathischen Naivität wahrscheinlich nicht verstehen können.

«Es lag etwas Herausforderndes im Blick dieses Menschen. Er ist sich zu sehr seiner selbst sicher, um andere Menschen wahrzunehmen, wie sie sind. Deshalb ist mir sein Blick negativ aufgefallen», gab Wilhelmine ihrem Empfinden weiteren Ausdruck. «Er erobert die Frauen und findet an der Eroberung gefallen. Und daran, dass sich die Damen ihm regelmäßig ergeben. Sie wagen nicht, seinen Charme als Eroberungssucht zu bezeichnen. Als selbstsüchtige Eroberungssucht.»

«Liebe Wilhelmine, er ist sich seiner Stellung in der Welt, gerade hier und jetzt in Wien, allzu bewusst. Selbst der österreichische Kaiser kann nicht ohne ihn.»

«Ich begreife die aktuelle Lage durchaus, Dorothea. Und natürlich erkenne ich seine hervorgehobene Position. Doch hat er nicht noch vor drei oder vier Jahren die Stiefel dieses grässlichen Empereurs geleckt?»

«Nachdem zwei Kriege gegen den Franzosen verloren wurden.» Dorothea bewies Grundkenntnis in Geschichte.

«Die Ereignisse sind mir bekannt. Aber hatte er nicht auch eine Liaison mit der Schwester Bonapartes? Des Königs von Neapel Ehefrau Caroline?»

«Und mit der Fürstin Bagration, Eurer Nachbarin.»

«Hört mir auf mit der, Schwesterherz.»

Dorothea wusste, wie tief Wilhelmine die russische Fürstin Bagration verabscheute.

‹Möglicherweise›, dachte Dorothea, ‹reicht alleine dieses Gefühl, um den Fürsten für Wilhelmine interessant zu machen›. Denn mit absoluter Gewissheit war nicht zu erfahren, ob die Bagration und Metternich nun getrennte Wege gingen. Obwohl die gegenwärtige Congress-Situation die Beziehung zu einer Dame, die dem Zar Alexander nahe stand, an sich verbot. ‹Bei dem Zwist, die der Zar und Metternich gegenwärtig wegen Polen ausfechten, wäre eine Liebschaft geradezu Verrat an der österreichischen Sache›, dachte Dorothea, die in politischen Dingen viel von ihrer älteren Schwester Wilhelmine gelernt hatte. Zumindest seit dem Herbst 1814, als sie gemeinsam mit Wilhelmine in Wien Wohnung bezogen hatte. Laut fuhr sie fort: «Liebste Wilhelmine, Ihr könnt Euch doch auch anderenorts nicht vor Verehrern retten. Weshalb also lehnt ihr den Fürsten ab?»

«Weil er sich seiner Sache von vornherein so sicher gibt. Einmal hat er mich umworben, schon glaubt er, dass ich ihm nachlaufe wie ein junges Fohlen.»

Dorothea war nichts davon bekannt, dass Metternich ihre Schwester zur irgendetwas aufgefordert hatte. Möglicherweise bildete sie sich dies nur ein? Auch wegen der anderen, zahllosen Bewerber, die vor der verschlossenen Türe Wilhelmines Schlange standen, um deren Gunst zu erwerben. Oder auch nur einen Blick auf ihren lieblichen Körper tun zu dürfen. Möglichst auf ein Dekolleté, wie sie es am gestrigen Abend zur Schau trug. Denn dieser Ausblick hatte sich herumgesprochen. Schneller als Neuigkeiten jeder anderen Colouer.

Wilhelmine ahnte, zu welcher unwissenden Naivität sich ihre jüngere Schwester hinreißen lassen würde. Ein wenig war sie auf sich selber böse, die Worte nicht aufmerksamer gewählt zu haben. Aber sie sehnte sich nach einer Person, mit der sie sich über das gestrige Ereignis austauschen konnte und die ihr mit vollstem Verständnis begegnete. Doch stand Wilhelmine jemand anderes zur Verfügung? «Ach Schwesterchen, Ihr müsst noch vieles über das männliche Geschlecht lernen.»

«Wie gerne würde ich dies unter eurer Anleitung tun!» Die Antwort Dorotheas erfolgte spontan, begeistert und in gespannter Erwartung, welche Geheimnisse sie nun bald vernehmen sollte. Denn Dorothea war sich sicher, dass es niemanden gab, der mehr davon verstand, als ihre wunderschöne Schwester, die in dieser Männerwelt schon manch bemerkenswerten Zwist mit hochgestellten Persönlichkeiten ausgetragen hatte. Und dies mit durchaus zufriedenstellendem Ausgang für ihre Person.

«Metternich ist mit seiner Frau seit vielen Jahre verheiratet. Er hat meines Wissens vier Kinder mit ihr. Was also, glaubt Ihr, kann ich erwarten? Mir bliebe nur der Platz als weitere Mätresse an seiner Seite.»

«Aber wäre dies nicht eine beachtliche Position? Seit eurer Trennung von Fürst Trubezkoi steht ihr geschiedene Frau in dieser Gesellschaft. Oder erwartet ihr vielleicht von Windisch-Graetz eine Veränderung dieser Stellung?»

Wilhelmine spielte mit dem Stoff ihres Kleides, schob die Tassen des kostbaren Tischgedecks von der einen auf die andere Seite und wieder zurück. Dann goss sie sich etwas Tee in ihre noch gefüllte Tasse, griff nach der Zuckerdose, steckte sich einen Würfel zwischen die Zähne und strich die Süße mit ihrer Zungenspitze behutsam ab. Der Würfel verkleinerte sich. Doch hielt sie ihn geschickt zwischen ihren Schneidezähnen am gleichen Flecken. Bis nur noch ein kleiner Teil übrig war, den Wilhelmine mit einem kräftigen Schluck Tee hinab spülte. Dorothea beobachtete dieses Spiel aufmerksam und bewegte unbewusst ihre eigene Zunge, ganz so als ob sie selber dieses Stück Zucker genoss.

Alfred Windisch-Graetz war der augenblickliche, hingebungsvoll-leidenschaftliche Kavalier Wilhelmines. Er war sechs Jahre jünger als Wilhelmine und seine soldatische Karriere im Kampf gegen Napoleon beachtlich. Natürlich schmeichelte der junge, soldatische Windisch-Graetz Wilhelmines Weiblichkeit. Wilhelmines Stern sonnte sich in der Eifersucht der halben Wiener Damenwelt.

«Was redet Ihr da, Schwesterchen. Betrachtet man die Position und das Leben Windisch-Graetz, so wäre er weit eher ein Verehrer Eurer Person. Mich aber wird er niemals heiraten. Meine und seine Stellung in dieser Welt lässt dies einfach nicht zu.»

«Nun stellt Ihr Eure Stellung in dieser Welt allerdings unter einen ungebührlichen Scheffel.»

«Ganz im Gegenteil! Ich kann mir nicht vorstellen, ihn an meiner Seite zu haben, alleine aufgrund meiner Stellung, die ich auch in Zukunft einzunehmen gedenke.»

«Ihr geht davon aus, dass Windisch-Graetz Eure Stellung durch eine Ehe herabzuwürdigen gedenkt?»

«Einer solchen Absicht würde er vehement Widersprechen und doch, wie jeder Soldat, zwischen den eigenen vier Wänden niemals anders handeln, meine Liebe.

Was denkt Ihr denn! Ich könnte nur sein braves, häusliches Weiblein werden. Davon möchte ich doch Abstand nehmen.»

«Aber dann seit Ihr doch frei, Euch mit dem hochgestellten Fürsten einzulassen. Ich habe gehört, er würde den Frauen ihren Willen lassen. Und ein Soldat wird der Fürst auf seine alten Tage sicher nicht mehr. Er wirkt vielmehr als das genaue Gegenteil aller mir bekannten Soldaten.»

«So, habt Ihr gehört!? Wo Ihr schon überall Eure jungen Ohren hineinsteckt!»

«Man möchte doch von allen Neuigkeiten Kenntnis haben. Ihr etwa nicht, liebe Wilhelmine?»

«Schon. Aber ausgesucht und diskret. Wenn ich in den Salons von Eurem Aufenthalt beim französischen Außenminister höre, so wende ich mich ab von dem Klatsch, der in diesem Zusammenhang verbreitet wird.»

«Nun, wie auch immer. Eine Angebetete von Fürst Metternich zu sein, würde sicher keiner Dame schlecht anstehen.»

Wilhelmine schaute ihrer Schwester, die auch liebevoll Dino von ihr genannt wurde, interessiert zu, wie sie sich an ihrer Tasse zu schaffen machte. Sicher, um die Neugierde zu verbergen, wie Wilhelmine auf diesen Hinweis reagieren würde: «Wohl wahr. Und wie viele Damen bereits in diesen zweifelhaften Genuss gekommen sind . Aber wartet ab, liebste Dorothea. Auch wenn ich mir über meine eigenen Absichten noch keineswegs im Klaren bin, falls der Fisch wirklich angebissen haben sollte, werde ich ihn nicht so rasch von der Angel lassen. Es schadet sicher nicht, in der Nähe dieses Fürsten zu bleiben. So erhalte ich aus ergiebiger Quelle Informationen über Absichten und Pläne der Herrschaften und bin nicht länger auf zweifelhafte Spekulationen angewiesen. Und diese Informationen werden durch kein anderes, weibisches Hirn ausgewaschen sein. Welch verlockende Aussicht, endlich an dem großen Ereignis hier in Wien direkt beteiligt zu werden. Alleine aus diesem Grund werde ich Metternich nicht von meiner Stuhlkante schieben oder vor meiner verschlossenen Türe warten lassen.»

«Wie aufregend», trillerte Dorothea.

«Das wird sich erst zeigen, meine liebe Schwester. Denn ich verfüge über keine konkrete Vorstellung, was der Fürst im Gegenzug eigentlich von mir wünscht.»

«Das dürftet Ihr doch sehr schnell feststellen. So weltgewandt, wie Ihr seit.»

«Mein Gefühl sagt mir, ich muss Vorsicht walten lassen.»

«Wo bleibt da Euer vielbeschworener Mut? Handelt Ihr vielleicht aus Furcht vor dem Fürsten vorsichtig?»

«Eine gewisse Zurückhaltung ist in jeder Situation ratsam. Es verkehren gefährliche Herrschaften in dieser Stadt, die von Indiskretionen leben. Spione. Erpresser. Ich möchte jeder unangenehmen Situation aus dem Wege gehen. Zumal noch zu bedenken bleibt, dass die Familie Metternich sehr nahe ist. Einen Skandal gilt es zu vermeiden.»

«Wie aufregend das alles ist! Ich bin Euch ja so dankbar, dass Ihr mich aus Löbischau befreit und hierher eingeladen habt. Hier geschieht wenigstens etwas.»

«Hier geschieht nicht nur etwas, liebste Dino, hier wird Geschichte geschrieben. Der wahre Grund für die Einladung ist aber meine Sorge um deine Ehe, liebste Dino.»

Wilhelmine versuchte Mitgefühl in ihrer Stimme mitschwingen zu lassen. Dorothea sollte auf keinen Fall auf die Idee kommen, dass etwas wie Mitleid ihre Vorgehensweise rechtfertigen würde.

«Das ist sehr lieb, Schwester. Edmond behandelt mich nicht gerade wie ein Gentleman. Doch bin ich nicht weniger als Du eine Sagan. Ich ziehe mich auf seinen Onkel Charles zurück, der, wie Ihr sicher wisst, hier in Wien eine hohe Stellung einnimmt.»

«Das trifft zu. Charles-Maurice Talleyrand ist eine vielbeachtete Persönlichkeit. Nur würde ich, an Deiner Stelle, mich nicht zu sehr auf ihn verlassen. Seine Position, vielmehr die Frankreichs, ist gerade wenig erfreulich.»

«Damit sagst Du mir nichts Neues. Ich bin ganz eingenommen von dem Wesen und dem Begriff, den er sich von mir macht. Praktisch darf ich mich als seine Gesellschafterin verstehen. Deshalb ist das Angebot, hier im Palais Palm zu wohnen sehr freundlich, aber nicht von Nöten.»

«Eine prekäre Situation, Schwester. Ich hoffe, Du bist Dir über die Folgen im Klaren.

Die Politik während dieser Wochen könnte Dir einen Strich durch Deine Pläne machen. Und zwar auf sehr unangenehme Weise. Ist Edmond für Dich wirklich verloren?»

«Das ist er, Schwester. Vollständig. Wir Sagans haben unseren Stolz. Und nicht nur das. Wir wissen auch, wie wir diesen zu Leben haben. Wenn ich sonst nichts weiß, dies habe ich von Dir gelernt.»