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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Wie setze ich mein Ziel am besten durch? Was muss ich bedenken, wenn ich mein Gegenüber einschätzen will? Der legendäre Äsop gibt seine Antworten auf dem Umweg über Allegorien und witzige Tiergeschichten. Übertragen auf unser Zusammenleben, stecken seine Fabeln voll kantiger und pfiffiger Weisheiten. Gotthold Ephraim Lessing übersetzte die Fabeln aus einer englischen Übertragung, die Äsops Texte mit Reflexionen garniert, so unser Verständnis vertieft, ihm widerspricht und uns anregt, die Fabeln immer wieder neu zu lesen.
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Seitenzahl: 365
Äsop
Fabeln
Belletristik/Erzählungen
Aus dem Englischen von Gotthold Ephraim Lessing
Fischer e-books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Aesopus, die wahren oder fabelhaften Umstände seines Lebens, die Einrichtung und Nützlichkeit seiner Fabeln, die lange Reihe seiner Nachahmer etc. würden für einen Vorredner, der ein Vergnügen daran fände, die allerbekanntesten Dinge zu sagen, ein sehr ergiebiges Thema sein. In der Hoffnung aber, dass niemand hier suchen werde, was man überall finden kann, glauben wir dem Leser bloß anzeigen zu dürfen, wie der berühmte Name eines Richardson für ein Buch komme, das gänzlich dem Gebrauche und dem Unterricht der Kinder bestimmt ist.
Roger L'Estrange ist bei den Engländern der berühmteste Kompilator Aesopischer Fabeln. Er hat deren einen ganzen Folianten herausgegeben, fünfhundert an der Zahl; und in der Folge, auf Anhalten des Verlegers, noch einen zweiten Band hinzugefügt. Seine Schreibart wird von seinen Landsleuten für eine der reinsten und meisterhaftesten gehalten; und seine Weise zu erzählen für leicht, munter und voller Laune. Auch in dem Hauptwerke lässt man ihm die Gerechtigkeit widerfahren, dass seine Anwendungen und Sittenlehren passend, nicht abgedroschen, nachdrücklich und gemeinnützig sind.
Doch fanden sich Leute – und wo findet ein guter Schriftsteller dergleichen Leute nicht? – welche einen bessern Geschmack zu haben glaubten, weil sie einen andern hatten als das zufriedne Publikum. Ein gewisser S. Croxall, um seinen eignen Geburten Platz zu schaffen, bekam den liebreichen Einfall, die Fabeln des L’Estrange, weil er sie nicht so gradezu für elend ausgeben wollte, als gefährlich zu verschreien. Ihr Verfasser, versicherte er, habe sich nicht als ein rechtschaffner Brite, sondern als ein Feind der Freiheit und ein gedungner Sachwalter des Papsttums und der uneingeschränkten Gewalt in diesem Werke erwiesen, welches doch für eine freigeborne Jugend geschrieben sein sollte.
Diesem Vorwurfe nun, ob er gleich der gegründetste nicht ist, sind wir die gegenwärtige Arbeit des Herrn Richardsons schuldig. Er wollte ihm, mit der gewissenhaftesten Genauigkeit, abhelfen und daher teils diejenigen Fabeln, welchen L'Estrange, nicht ohne Gewaltsamkeit, eine politische Deutung gegeben, auf allgemeinere Lehren wieder zurückbringen, teils diejenigen, welche keine andre als politische Anwendung litten, mit aller möglichen Lauterkeit der Absichten bearbeiten.
So weit ging des Herrn Richardsons erstes Vorhaben. Bei der Ausführung aber fand er, dass es nicht undienlich sei, sich weitere Grenzen zu setzen. Er ließ einen guten Teil weg, alles nämlich, was mehr ein lächerliches Märchen als eine lehrreiche Fabel war; er gab vielen, auch von den nicht politischen, einen bessern Sinn; er verkürzte; er änderte; er setzte hinzu; kurz, aus der Adoption ward eine eigne Geburt.
Und hiervon wird sich auch ein deutscher Leser überzeugen können, wenn er sich erinnern will, dass ein großer Teil der Fabeln des L'Estrange bereits vor vielen Jahren in unsre Sprache übersetzt worden. Man stelle die Vergleichung an, und sie wird gewiss zum Vorteile der gegenwärtigen ausfallen.
Wer wird sich auch einkommen lassen, etwas für mittelmäßig zu halten, wobei der unsterbliche Verfasser der Pamela, der Clarissa, des Grandisons die Hand angelegt? Denn wer kann es besser wissen, was zur Bildung der Herzen, zur Einflößung der Menschenliebe, zur Beförderung jeder Tugend das Zuträglichste ist, als er? Oder wer kann es besser wissen als er, wie viel die Wahrheit über menschliche Gemüter vermag, wenn sie sich, die bezaubernden Reize einer gefälligen Erdichtung zu borgen, herablässt?
Es ist durchaus unnötig, sich in eine weitläuftigere Anpreisung einzulassen. Noch weniger wollen wir einen Bellegarde, dessen Fabeln jetzt am meisten in den Händen der Kinder sind, mit einem Richardson zu vergleichen wagen; denn der Engländer würde sich, nach der Art der alten römischen Tribune, mit Recht beschweren können, se in ordinem cogi.
Man hat bei der Übersetzung nichts weggelassen als das Leben des Aesopus. In Ansehung des Äußerlichen aber hat sie vor dem englischen Originale, sowohl was die Kupfer als den Druck anbelangt, einen großen Vorzug bekommen. Einem Buche für Kinder, haben die Verleger geglaubt, müsse nichts fehlen, was Kinder reizen könne.
Leipzig, den 17. März 1757.
Als einstmals ein Hahn auf einem Misthaufen scharrte, fand er einen köstlichen Stein. Ja, sprach er, für einen Juwelenhändler würde dieser glänzende Tand so etwas sein; mir aber ist ein einziges Gerstenkorn lieber als hundert Diamante.
LEHRE: Ein weiser Mann wird das Notwendige allezeit dem vorziehen, was bloß zur Zierde, zum Vergnügen oder zur Befriedigung der Liebhaberei dienet.
BETRACHTUNG: Die meisten Ausleger wollen hier Weisheit und Tugend unter dem Diamante, die Welt und ihre Ergötzlichkeiten unter dem Misthaufen und unter dem Hahne einen wollüstigen Mann verstanden wissen, welcher sich seinen Lüsten überlässt, ohne im Geringsten an die Erlernung, die Ausübung oder die Vortrefflichkeit besserer Dinge zu denken.
Allein, mit ihrer Erlaubnis, mir scheint in dieser Fabel vielmehr ein Sinnbild des Fleißes und der Mäßigung zu liegen. Der Hahn lebt von seiner ehrlichen Arbeit; er scharrt auf dem Misthaufen, das ist, er folgt seinem Berufe; der köstliche Stein ist weiter nichts als eine schimmernde Versuchung, die ihm in den Weg gestellet wird, um ihn von seinen Geschäften und seiner Pflicht abzuziehen. Über ein Gerstenkorn, sagt er, würde er sich weit mehr erfreuet haben als über diesen Diamant, und hiermit wirft er ihn als etwas weg, das sich nicht der Mühe verlohnt aufzuheben. Alsdenn weiß man die Dinge gehörig zu schätzen, wenn man das, woran die Vorsicht die Erhaltung des Lebens gebunden hat, den schimmernden Spielwerken vorzieht, die keinen andern Wert haben als den, ihnen Eitelkeit, Stolz und Üppigkeit beilegen. Für einen Juwelenhändler ist der Preis, wie er seinen Edelstein loswerden kann, hinlänglich; ein Mann aber von Verstand und Einsicht schätzt den innern Wert eines Dinges, und das ist ganz etwas anders. Ja der Juwelier selbst würde, bei hungrigem Magen, wenn er an der Stelle des Hahns wäre, ebenso wie der Hahn wählen. Die Lehre ist kurz diese, dass wir notwendige Dinge überflüssigen Dingen, die Erquickungen und den Segen der Vorsicht den blendenden und schimmernden Seltenheiten der Mode und Einbildung vorziehen, mit einem Worte, dass wir unser Leben nach der Vernunft und nicht nach der Phantasie regieren sollen.
Das Unglück wollte es, dass ein Hahn in die Klauen eines Fuchses geriet. Reinecke war nach seinem Fleische sehr begierig, aber gleichwohl hatte er gern einen scheinbaren Vorwand gehabt. Bursche, sprach er, was schreist du denn in der Nacht so grässlich, dass niemand in der ganzen Nachbarschaft schlafen kann? Ach, sagte der Hahn, ich wecke selten jemand eher auf, als wenn es aufzustehen und an die Arbeit zu gehen Zeit ist. Das ist, versetzte der Fuchs, eine sehr elende Entschuldigung; denn machst du nicht alles hierherum so munter, dass mein Leben in beständiger Gefahr ist, sooft ich, des Morgens, diesen Weg meinen Verrichtungen in der Stille nachgehen will. Wahrhaftig, erwiderte der Hahn, das ist meine Absicht nicht, wenn ich krähe, sondern ich will bloß damit meine Freude über den Anbruch des Tages bezeigen und die Herzen meiner Weiber ermuntern. Komm nur, komm, sagte Reinecke; wir Füchse leben von Gesprächen nicht, und es ist eben Zeit zum Frühstücken. Hiermit versetzte er ihm einen Biss und machte beides dem Hahne und der Geschichte ein Ende.
Indem ein Wolf an der Quelle des Bachs seinen Durst löschte, ward er ein Lamm gewahr, das eine gute Ecke von ihm, unten am Bache, sich labte, und sogleich sprang er mit offnem Rachen darauf los. Bube, sprach er, wie darfst du dich unterstehen, das Wasser, das ich trinken will, so zu trüben? Gewiss, sagte das arme Lamm, ich hätte nimmermehr gedacht, dass ich, wenn ich hier unten tränke, dein Wasser da oben trübe machen sollte. Sieh, versetzte jener wieder, du wirst dein Vernünfteln wohl auch nicht eher lassen, als bis dir das Fell über die Ohren gezogen ist, so wie es vor sechs Monaten deinem Vater erging, weil er eben so in den Tag hinein schwatzte; du wirst dich wohl noch erinnern, Bursche! Herr, erwiderte das unschuldige Lamm mit Furcht und Zittern, du kannst mir gewiss glauben, damals war ich noch nicht auf der Welt. Was? schrie der Wolf; du Unverschämter, du musst doch weder Scham noch Gewissen haben. Ich weiß wohl, der Hass wider meine Familie steckt deinem ganzen Geschlechte im Geblüte; darum will ich auch, dass du jetzt zum Teil für deine Väter büßen sollst. Und hiermit, ohne viel Wesens weiter zu machen, ward das arme Lamm von ihm zerrissen.
LEHRE DIESER ZWEI FABELN: Wider tyrannische Gewalt und despotische Grausamkeit hilft keine Unschuld. Gleichwohl aber sind Vernunft und Gewissen so heilige Dinge, dass auch die größten Bösewichter sich gemeiniglich unter dem Schatten dieser Namen zu verbergen suchen.
BETRACHTUNG: Der Grausamkeit und dem Stolze wird es nie an einem Vorwande fehlen, Unheil anzurichten. Gegen Gewalt in übeln Händen beruft man sich vergeblich auf seine Unschuld: Denn Anklagen ist Beweisen, wo sich Bosheit und Macht zur Ausführung verbinden. Dieses ist das lebendige Bild verkehrter Staatsstreiche, die der Wahrheit und Gerechtigkeit schnurstracks zuwider sind und gleichwohl unter dem geheiligten Namen und Vorwande der einen sowohl als der andern gespielt werden. Wenn es die Hähne und Lämmer auf die Gnade der Füchse und Wölfe müssen ankommen lassen, so haben sie sich nie auf besser Quartier Rechnung zu machen; besonders da das Herzblut der einen der Unterhalt und die Nahrung der andern ist.
Es entstand einstmals ein erschrecklicher Streit zwischen den Fröschen und den Mäusen, wegen der Oberherrschaft über die Moräste; und eben da ihn zwei von ihren Rittersleuten, nach bestem Vermögen, ausmachen wollen, schießt ein Habicht aus der Luft herab und verschlingt sie beide.
Ein Löwe und ein Bär hatten so lange über ein von ihnen erlegtes Hirschkalb gekämpft, dass sie sich endlich niederlegen mussten, um wieder zu Atem zu kommen. In diesem Augenblick kam ein Fuchs vorbei gewandert, und als er sahe, wie die Sache mit den beiden Kämpfern stand, bemächtigte er sich des toten Hirschkalbs und zog damit aus. Weil nun weder der Löwe noch der Bär aufstehen und es verhindern konnte, so mussten sie natürlicher Weise diese Betrachtung machen: Da haben wir uns nun über den Raub so lange herumgezaust, bis der verräterische Fuchs kommen und ihn uns beiden aus den Zähnen rücken muss!
LEHRE DIESER ZWEI FABELN: Wenn Narren einander in die Haare geraten, so läuft gemeiniglich ein Schelm mit dem Gewinnste davon.
BETRACHTUNG: Eben das können wir bei allen Zerrüttungen, die unter dem gemeinen Volke entstehen, wahrnehmen, wo meistenteils geschäftige Narren den Zank anfangen und listige Schelme den Nutzen davon einernten. Es mag ein öffentlicher oder ein Privatstreit sein, er mag zwischen Personen oder Parteien obwalten, ein Dritter lauert immer und hofft seinen Vorteil dabei zu finden, sodass alles nach dem alten Sprichworte geht: Wenn sich zwei Hunde um ein Bein zanken, läuft ein dritter damit fort. Es ist daher, bei allen und jeden Streitigkeiten, zu Wiederherstellung des Friedens, dieses keiner von den geringsten Bewegungsgründen, dass sich die Streitenden gemeiniglich zum Nutzen eines Dritten zugrunde richten; entweder ein räuberischer Habicht oder ein verräterischer Fuchs siegt, es sei nun mit Gewalt oder mit List, über die eine der Parteien sowohl als über die andre und eilet mit der Beute davon.
Als ein Hund, mit einem Stücke Fleisch im Maule, durch einen Fluss setzte, ward er, wie es ihm vorkam, einen andern Hund unter dem Wasser gewahr, der sich mit ihm in gleichem Falle befand. Er bedachte nicht, dass der eine bloß das Bild des andern wäre; sondern aus Gierde nach den beiden Stücken Fleisch sprang er nach dem Schatten und ließ das wirkliche Stück fallen.
LEHRE: So geht es den unvernünftigen und unersättlichen Begierden; sie hören nicht eher auf, nach Dingen, die sie nicht erreichen können, zu streben, als bis sie die Güter, die sie wirklich besitzen, darüber verlieren.
BETRACHTUNG: Wie unglücklich ist der Mensch, welcher nicht weiß, wenn ihm wohl ist, sondern die Ruhe und Zufriedenheit seines Lebens der Befriedigung phantastischer Begierden oder Grillen aufopfert. Der Ehrgeiz ist eine Leiter, die von der Erde bis zum Himmel reichet, und kein Mensch betritt die erste Staffel, ohne auch die übrigen ersteigen zu wollen. Er beruhigt sich nicht eher, als bis er auf der obersten ist, und wenn er nun nicht höher kommen kann, so muss er entweder in der Luft hängen bleiben oder fallen; denn er sieht alsdenn nichts über sich, wohin er sich noch schwingen möchte, und kann sich auch an nichts halten, um glücklich wieder herabzukommen. Der Geiz ist immer bettelhaft; denn ein Karger lebt in beständigem Mangel. Die Begierde nach mehr und mehrern steigt ganz natürlicher Weise bis zum meisten und hernach bis zu allem; beim Schlusse endlich fühlen wir (gleich dem großen Alexander, der, nachdem er die Welt besiegt hatte, weinte, weil es nicht mehrere Welten zu besiegen gäbe), dass wir uns alles dessen, was man nur immer besitzen kann, müde und überdrüssig, nach etwas ganz anderm sehnen; und wenn wir denn unsre Tage mit Verfolgung der schlechtesten Gegenstände und oft zu den Füßen des nichtswürdigsten Mannes hingebracht haben, so finden wir am Ende der Rechnung, dass alle Güter unter der Sonne, unserer Mühe und Arbeit darnach, nicht wert sind. Doch wieder auf unsre Fabel zu kommen: Aesopus’ Hund war in dem Besitze eines sehr guten Frühstücks, und er wusste sehr wohl, was er im Maule hatte; gleichwohl aber, es geschah nun aus Leichtsinn oder aus Neugierde oder aus Gefräßigkeit, musste er nach etwas anderm schnappen, das er weder brauchte noch kannte, bis er ein wirkliches Gut um ein eingebildetes und alles um einen Schatten verlor.
Ein Löwe, ein Wolf, ein Bär und ein Fuchs gingen einstmals miteinander auf die Jagd; und es ward ausgemacht, dass sie alles, was sie fangen würden, in gleiche Teile unter sich teilen wollten. Sie rissen einen Hirsch nieder, und sogleich ward er in vier Teile geteilet; als aber ein jeder nach dem seinigen greifen wollte, rief der Löwe: Gemach! Dieses Teil gehört mir, in Betrachtung meiner Würde; dieses gehört mir, weil ich die meiste Mühe dabei gehabt; dieses gehört mir, weil ich mir es nehmen darf, wenn ich es haben will; und wer mir das vierte abzustreiten gedenkt, der wird vorher einen Tanz mit mir wagen müssen. Auf diese Weise ward seinen Bundesgenossen allen der Mund gestopft, und sie gingen davon so stumm als Fische.
LEHRE: Ungleiche Verträge und Bündnisse muss man überhaupt vermeiden; denn wer das Messer, das ist die Gewalt, in seiner Hand hat, der wird sich bei dem Vorschneiden gewiss am besten bedenken.
BETRACHTUNG: Der Arme und der Schwache sind allezeit der Gnade des Reichen und Gewaltigen überlassen: Sie haben sich daher wohl vorzusehen, ehe sie mit Leuten, die für sie zu mächtig sind, gemeine Sache machen. Erdenke etwas, sagt der Günstling bei Hofe zu seinem untertänigen Diener: Dieser tut es, und wenn er glücklich ist, so behält der Hofmann den Fund für sich selbst. Denn jetziger Zeit ist es zu einer Staatsklugheit geworden, mit Wasserraben zu fischen. Mit einem Ringe um den Hals lassen die Mächtigen ihre Klienten unter das Wasser tauchen und gönnen ihnen an dem, was sie heraufbringen, auch nicht den geringsten Anteil. Wenn denn, am Ende, der Nutzen und Verlust bei dem Handel oder Anschlage, den Macht, Eigennutz und Gefälligkeit miteinander gehabt haben, berechnet werden soll, so mag der Wagehals zufrieden sein, wenn er weiter nichts als seine Mühe dabei verlieret. Kurz, alles was der Löwe in diesem Beispiele sagt und tut, ist weiter nichts, als was die Mächtigen, in tausend andern Fällen, auszuüben pflegen.
Ein Wolf, dem ein Bein in dem Schlunde stecken geblieben, versprach einem Kraniche eine beträchtliche Belohnung, wenn er es ihm herausziehen wollte. Der Kranich tat ihm diesen Dienst und wollte darauf das Versprechen gehalten wissen. Was willst du, du Unverschämter?, sprach jener. Du steckst deinen Kopf in den Mund eines Wolfs, und wenn du ihn glücklich und unverletzt herausgezogen hast, willst du noch von Belohnung sprechen? Du hast deinen Kopf wieder, Bursche; und mit dieser Belohnung kannst du dich begnügen.
LEHRE: Wer mit wilden Bestien (es gibt Menschen, die nicht besser sind) zu tun hat und mit ganzer Haut davonkömmt, der mag denken, dass er glücklich davongekommen ist.
BETRACHTUNG: Es ist sehr schwer zu bestimmen, inwiefern man bösen Leuten in ihrem Unglücke beistehen soll und wie viel Gefahr und Schwierigkeiten ein weiser und rechtschaffner Mann zu ihrem Besten auf sich nehmen kann. Er mag geben, leihen und wagen, soviel er, nach seinem mitleidigen Herzen und seiner Großmut, immer will; nur muss er niemals weiter gehen, als er nach Beschaffenheit des Falls mit gutem Gewissen gehen kann. Es ist wahr, ein jeder hat die Freiheit, diese und jene freundschaftlichen Dienste und Gefälligkeiten zu erzeigen, zu welchen er eigentlich nicht verbunden wäre; wenn ihn aber die Fülle seines guten Gemüts über die Grenzen der nötigen Klugheit verführt, so kann man es für weiter nichts als für eine schöne schimmernde Schwachheit erklären.
Unter dem Beine in dem Schlunde des Wolfs ist jede Art des Unfalls zu verstehen, er mag nun den Leib oder die Freiheit oder die Glücksumstände treffen. Wie viele sehen wir täglich sich an Beinen in ihrem Schlunde würgen und martern, die, wenn sie der Qual los sind, ihrem eignen Erretter nach Gut und Blut trachten! Kurz, die Welt ist voller Beispiele, die den Sinn dieser Fabel bestärken; und es wird tausend Menschen, bei Lesung derselben, ihr Gewissen rühren, denen es nicht an der Stirne geschrieben steht.
Ein Landmann fand bei harter Winterszeit eine Schlange unter einer Hecke, die fast tot gefroren war. Der gutherzige Mann hob sie auf und verwahrte sie in seinem Busen. Kaum aber hatte sie die Wärme wieder belebt und sie wieder in den Stand gesetzt, Unheil zu stiften, als ihr mitleidiger Erretter von ihr gebissen ward. O du undankbares Tier!, sprach er. Ist deiner bösen giftigen Gemütsart mit nichts Geringerm gedienet als mit dem Untergang deines Wohltäters?
LEHRE: Wer einen Undankbaren in seinem Busen aufnimmt, der darf sich nicht wundern, wenn er von ihm verraten wird; auch ist es nicht Barmherzigkeit, sondern Torheit, wenn man allgemeinen Feinden des menschlichen Geschlechts sich zu verbinden sucht.
BETRACHTUNG: Es ist nichts Seltnes, dass gutherzige Leute mit Undank belohnet werden. Wie viel Exempel haben wir nicht mit unsren eignen Augen gesehen, da Bösewichter, die von dem äußersten Mangel, der ihnen Lust und Kräfte, Übels zu tun, benahm, errettet worden, zum Danke sich wider das Leben, die Ehre und das Glück ihrer Gönner und Erlöser verschworen haben! Es ist weiter hier nichts als das in eine Fabel gebrachte Sprichwort: Errette einen Dieb vom Galgen, und er wird dir die Kehle abschneiden.
Ein Esel war einstmals so verwegen, dass er einem Löwen höhnische Gesichter schnitt und ihn spöttisch anschrie. Anfangs wies ihm der Löwe die Zähne und wollte über die Beleidigung empfindlich werden. Als er sich aber besser bedachte, sprach er: Sei so spöttisch, wie du willst, du bleibst doch ein Esel; nur das Einzige merke dir bei dieser Gelegenheit, dass bloß deine Nichtswürdigkeit dir deine Haut ganz erhalten hat.
LEHRE: Es ist unter der Würde eines großen Geistes, sich mit Leuten in Streit einzulassen, die weder Verdienste noch Mut haben; ohne der Torheit zu gedenken, wenn man mit jedem armseligen Schurken hadern will, den man nie, ohne eigne Schande, zu seinem Gegner oder Nebenbuhler haben kann.
BETRACHTUNG: Es schickt sich für keinen angesehenen und weisen Mann, sich mit kleinen Geistern zu überwerfen und jedem Narren nach seiner Narrheit zu antworten. Der bloße Wortstreit setzt in diesem Falle den Herrn mit dem Knechte in einen Rang; und der Löwe hatte vollkommen recht, dass er seinen Unwillen an keinem Esel verschleidern wollte, mit dem er keine Ehre einlegen, aber wohl welche verlieren konnte. Verachtung ist bei dieser Gelegenheit die einzige rühmliche Rache.
Eine Landmaus lud eine von ihren Freundinnen aus der Stadt auf ein Mahl und gab alles dazu her, was ihr Ort vermochte; schimmlichte Brotrinden, trockne Stücken Käse, dumpfigten Grütze, alten Speck und dergleichen. Die Stadtmaus wusste zu wohl zu leben, als dass sie an ihrer Bewirtung hätte etwas aussetzen sollen: Gleichwohl aber stellte sie ihrer Freundin vor, dass sie nach ihren Verdiensten einer bessern Lebensart würdig wäre, und wenn sie sehen wollte, wie köstlich sie zu leben gewohnt sei, so sollte sie sich’s gefallen lassen, sie mit nach der Stadt zu begleiten. Die Landmaus war es zufrieden; sie schlupften also miteinander fort und kamen gegen Mitternacht an Ort und Stelle. Die Stadtmaus zeigte ihrem Gast alle die Gewölber, Kammern, Küchen und andere Behältnisse, wo sie ihren Vorrat aufbewahrte, und führte ihn hernach in einen Speisesaal, wo sie die Überbleibsel eines prächtigen, diesen Abend gegebenen Schmauses noch auf der Tafel fanden. Die Stadtmaus legte ihrer Gespielin von allem das Beste vor, und ein samtnes Ruhebette war der Ort, wo sie es zusammen verzehrten. Schon wünschte sich die Landmaus, der solche Dinge vorher weder in die Sinne noch Gedanken gekommen waren, zu dieser Veränderung ihrer Umstände Glück, als plötzlich die Türen aufsprangen und ein Schwarm von lärmenden Bedienten beiderlei Geschlechts hereintrat, welche sich bei den übrig gebliebenen Leckerbissen lustig machen wollten. Die armen Mäuse gerieten hierüber in die äußerste Verwirrung, und besonders war der fremden, die sich noch nie in dergleichen Gefahr befunden hatte, um ihre Haut bange. Mit genauer Not rettete sie sich noch in einen Winkel, wo sie sich so lange mit Furcht und Zittern verbarg, bis die Gesellschaft fortging. Sobald das Haus wieder ruhig war, wandte sie sich zu ihrer Wirtin. Ei!, sprach sie, meine liebe Hofschwester, ist das die Brühe zu deinen köstlichen Gerichten? Ich will immer wieder in mein Loch zu meinem schimmlichten Käse kehren und da, in meiner Höhle, lieber an harten Rinden knaufeln und keine Gefahr zu befürchten haben, als hier die Besitzerin aller der niedlichsten Bissen von der Welt sein und mich so schrecklichen Überfallungen ausgesetzt wissen.
LEHRE: Diese Fabel zeigt den Unterschied zwischen dem Hofleben und Landleben und vergleicht das Vergnügen, die Unschuld und Sicherheit des einen mit der Angst, Üppigkeit und Gefahr des andern.
BETRACHTUNG: Wie unendlich sind die stillen Vergnügen eines Privatlebens dem Geräusche und der Verwirrung eines öffentlichen Lebens vorzuziehen. Unschuld, Sicherheit, Bekanntschaft mit sich selbst, frische Luft, Gesundheit, ununterbrochne Ruhe sind die Glückseligkeiten des einen; da immittelst tobende Lust, schwärmende Trunkenheit, Getöse, Verwirrung, Falschheit, Überlistung, Verräterei und Krankheit die beständigen Begleiter des andern sind.
Der Glanz und die Üppigkeit des Hofes sind nur sehr armselige Belohnungen für die sklavischen Aufwartungen, die neidischen Mitbewerbungen und die getäuschten Hoffnungen, welchen er uns unterwirft.
Die ungewisse Gunst des Fürsten und der Neid derer, welche nach dem Hörensagen oder dem Scheine, ohne Vernunft und Wahrheit, urteilen, machen auch die allerbeste Art des Hoflebens zu einem sehr elenden Leben: der unzähligen Versuchungen, Laster und Ausschweifungen eines vornehmen und üppigen Lebens nicht zu gedenken. Es halte nur jemand die Befriedigung seines leckerhaften Mauls gegen die Folgen der Schwelgerei und Unmäßigkeit; die Dürftigkeit seines Geistes gegen den verzärtelten Körper; die plagende Überlästigkeit der Zeitungsträger und Scheinfreunde gegen die schönen Worte und Versicherungen, an welchen das Herz keinen Anteil nimmt; er lege, sage ich, das eine nun gegen das andere auf die Waagschale, und er wird finden, dass er, mitten unter seinen größten Ergötzlichkeiten, noch immer sehr elend ist. Mit einem Worte, man stelle die Vergnügungen eines unter Getöse, Zeremonien und Lärmen zugebrachten Lebens gegen die Glückseligkeiten eines von Freiheit und Unabhängigkeit begleiteten Lebens; und mache alsdenn den Überschlag.
Wer wollte sich also, wenn er nicht sehr unsinnig ist, freiwillig dem gebieterischen Winke und der Verachtung eines Großen unterwerfen? Sich unter listigen Umarmungen den Dolch in die Brust stoßen lassen? Sich der unbarmherzigen Verleumdung preisgeben und zu seiner eignen Verteidigung ein Schelm werden? Denn in einem lasterhaften Zeitalter, wo es zum Verbrechen wird, anders als der gemeine Haufe zu sein, ist man um so viel mehr Gefahren ausgesetzt, je ehrlicher man ist. Der meisten Wort muss nach jedes besonderm Interesse verstanden und ausgelegt werden; und an ihr Versprechen glauben sie länger nicht gebunden zu sein, als es ihnen selbst zuträglich ist.
Endlich, um die Fabel näher im Gesicht zu behalten, überlege man, mit der Landmaus, die Ruhe und Sicherheit eines eingezognen Landlebens und ziehe ihr, wenn man kann, die Unsicherheit, das Geräusch und die Verwirrung eines erhabnern Glückes vor.
Eine Krähe hackte an einer Muschel und konnte, mit aller ihrer Mühe, die Schale nicht zerbrechen, um an die Muschel selbst zu kommen. Unterdessen kam eine andere Krähe, die erfahrner war, dazu und gab ihr den Rat, sie sollte mit der Muschel so hoch in die Luft fliegen, als sie könnte, und sie hernach auf einen nahen Felsen fallen lassen, so würde die Schale, durch ihre eigne Wucht, zerbrechen. Der Rat ward angenommen, und es gelang; indem aber jene im Fluge war, laurete die andere auf dem Felsen und flohe mit dem Fische davon.
LEHRE: Wenn ein eigennütziger Mensch seinem Nachbar einen guten Rat gibt, so kann man zehne gegen eins wetten, dass er seine Absichten dabei hat.
BETRACHTUNG: Offenherzige und einfältige Leute können gar leicht betrogen werden, wenn sie mit Arglistigen und Verrätern zu tun haben. Und in der Tat kann selten ein Betrug misslingen, wenn auf der einen Seite ein völliges Vertrauen und auf der andern scheinbare Vorstellungen sind. Es ist daher gut, wenn man behutsam verfährt; nur muss man nicht misstrauisch werden und überall das Schlimmste argwöhnen, sondern sich bloß hüten, dass man nicht durch allzu große Leichtgläubigkeit beides zum Raube und zum Gelächter wird. Wir Menschen können von der guten Absicht anderer nur bloß nach dem Lichte, das wir von ihren Werken bekommen, urteilen. Gleichwohl können wir dieses als eine Regel annehmen, dass wo der Ratgeber augenscheinlich bei dem Rate gewinnt und der, welchem der Rat gegeben wird, offenbar in Gefahr kömmt, sich zu verschlimmern, man sich nichts damit zu schaffen machen müsse. Der Rat der Krähe war an sich gut, nur dass sie ein betriegerisches Absehen dabei hatte.
Ein Fuchs spähte auf einem Baume einen Raben, mit einem Bissen in Schnabel, aus, der ihm das Maul sehr wässrig machte; allein die Frage war, wie er ihn wegkriegen wollte. O du glückseliger Vogel, sprach er, du Lust der Götter und Menschen! – und so ließ er sich weitläuftig über die reizende Gestalt des Rabens, über die Schönheit seiner Federn, über seine wunderbare Gabe der Prophezeiung und dergleichen aus. Wenn du, fügte er endlich hinzu, eine Stimme hättest, die sich zu deinen übrigen vortrefflichen Eigenschaften schickte, so würdest du das vollkommenste Geschöpf unter der Sonne sein. Diese unverschämte Schmeichelei machte, dass der Rabe seinen Schnabel so weit aufsperrte, als er konnte, um dem Fuchse eine Probe von seiner holdseligen Stimme zu geben. In dem Aufsperren aber entfiel ihm sein Frühstück, welches der Fuchs sogleich aufraffte und dem Raben zurief: Erinnere dich, Freund, dass ich wohl viel von deiner Schönheit, aber nicht ein Wort von deinem Verstande gesagt habe.
LEHRE: Es werden wenig Menschen in der Welt sein, bei welchen die Schmeichelei nicht mehr oder weniger wirken sollte; denn wir sind alle für uns selbst eingenommen. Wenn sie aber einmal bei einem Narren Zutritt findet, so kann man gewiss sein, dass man von ihm alles, was man sich nur vorsetzen will, durch sie erlangen wird.
BETRACHTUNG: Die Schmeichelei legt guten Dingen böse und bösen Dingen gute Namen bei; gleichwohl wird sie nicht eher ihren Glauben verlieren, als bis es keine Schelme mehr gibt, die sie machen, und keine Narren, die sie annehmen.
Sie ist an sich selbst ein unmännliches und sklavisches Laster; durch die Verbindung aber, in der sie mit der Heuchelei steht, wird sie noch hässlicher; denn indem wir machen, dass andre Leute besser von sich selbst denken, als sie verdienen, so machen wir auch, dass sie besser von uns denken, als wir verdienen. Eigenliebe und Eitelkeit kommen auf der einen Seite der Falschheit und Unverschämtheit auf der andern zu Hilfe; und indem schwache Gemüter in der guten Meinung, die sie von sich selbst haben, bestärket werden, nehmen sie gleichsam selbst an der zu ihrem Untergange gemachten Verschwörung Anteil. Das einzige Gute, was die Schmeichelei hat, ist dieses: Dass wir, wenn wir hören, wie wir nicht sind, daraus lernen können, wie wir sein sollten.
Ein Löwe, welcher in den Tagen seiner Jugend und Stärke sehr beleidigend und grausam gewesen war, ward endlich durch Alter und Schwachheit zu dem äußersten Grad der Verachtung erniedriget, sodass alle Tiere des Waldes, einige aus Übermut, andere aus Rache, über ihn herfielen. Er war nunmehr auf alle Weise ein elendes Geschöpf, nichts aber ging ihm, bei seinem Unglücke, näher ans Herz, als dass sich auch sogar der Esel unterstand, wider ihn auszuschlagen.
LEHRE: Ein Fürst, der sich keine Freunde macht, wenn er noch Vermögen und Gelegenheit hat, sie sich zu verbinden, darf sich auch nicht versprechen, Freunde zu finden, wenn er nicht mehr imstande ist, ihnen Gutes zu tun.
BETRACHTUNG: Das Beispiel dieses alten, elenden Löwen, kann den Großen zu Gemüte führen, dass sich das Rad der Zeit und des Glücks unaufhörlich herumdreht und dass sie endlich selbst in den Staub des Grabes herabmüssen, ohne in ihrem Alter irgend einen Trost als Ehre und Tugend und das Bewusstsein einer wohl angewandten Jugend zu haben. Niemand aber wird ein so unbedauertes, so gerechtes, so notwendiges, so angenehmes Opfer der Wut und Verachtung des Volkes als der, der sich durch Bevorteilung des gemeinen Wesens in die Höhe geschwungen, besonders wenn seine Unterdrückungen mit mutwilliger Grausamkeit verknüpft gewesen und er, aus bloßer Liebe zur Ruchlosigkeit, morden und plündern lassen.
Der Löwe ist hier auf dem Todbette und kann mit einem großen Manne in Ungnade verglichen werden. Kein einziger Freund, der ihm übrig geblieben wäre; kein einziger Feind, der nicht gaffend bei ihm stünde und ihm mit seinen Hörnern oder Klauen eins beizubringen suchte. Da liegt er nun schwach, arm, ohne Verteidigung und in seinen Gedanken von der sich schuldig wissenden Erinnerung des Stolzes und Übermuts seiner Jugend zernagt und durchstochen; alle seine Sünden sowohl als alle seine Feinde, seine Ränke und Grausamkeiten, seine gebrochne Gelübden, Versprechungen und Bündnisse, seine Verstellung und Tyrannei; kurz, die Sträflichkeit aller seiner auf den Untergang des Unschuldigen gerichteten Anschläge und Handlungen kommen ihm auf einmal wieder vor die Augen. Ja, sein Elend vollkommen zu machen, sieht er sich so tief herabgestürzt, dass er gezwungen ist, die Stöße und Beschimpfungen der allerverächtlichsten Tiere des Feldes zu dulden, ohne dass ihm ein Einziger beistehen, ja ihn nicht einmal beklagen will. Hieran, ihr übermütigen Großen dieser Welt, denket auf der höchsten Staffel eures Glücks, und zittert!
Ein Herr hatte einen Schoßhund, dem er sehr gewogen war und der beständig mutwillig um ihm herumlärmte und tausend Sprünge und Possen machte, die ungemein wohl aufgenommen wurden. Dieses sah ein Esel in dem Hause, der sich einbildete, dass er zu schlecht gehalten würde, und wollte ebendiesen lustigen Weg einschlagen, sich die Gunst seines Herrn zu erwerben; allein man gab ihm durch einen guten Knittel gar bald zu verstehen, wie sehr das Spielen des einen von dem Spielen des andern unterschieden sei.
LEHRE: Leute, die sich nach Exempeln richten, sollten den Nachdruck und das Ansehen ihrer Vorgänger genau erwägen; denn was einem Menschen ansteht, das kann an einem andern, unter veränderten Umständen, unerträglich sein.
BETRACHTUNG: Alle Geschöpfe haben etwas, was ihrer Art einzig und allein eigen ist; und diejenigen Handlungen sind die besten, die mit ihrer Natur, nach jedes angebornem Triebe, am meisten übereinstimmen. Wenn der Esel dem Hunde seine Schmeicheleien nachmachen will, so ist es ebenso unnatürlich, als wenn der Hund dem Esel sein Geschrei nachmachen wollte. Wer der Natur folgt, verfehlt niemals den rechten Weg, und was für jeden Menschen das Beste ist, dazu ist er auch am geschicktesten. Er tut, was er tut, leicht und glücklich; da hingegen alle Nachahmung knechtisch und lächerlich ist.
Einem großmütigen Löwen war eine arme Maus in die Klauen geraten; auf ihre demütige Bitte aber ließ er sie wieder los. Wenige Tage darauf sahe sich der Löwe im Garn verwickelt und erntete den Nutzen seiner vorigen Gnade; denn ebendieselbe Maus erinnerte sich, bei seinem Unglücke, der von ihm genossenen Wohltaten, machte sich über das Garn, zerknaufelte die Schlingen und befreite auf diese Weise ihren Erhalter.
LEHRE: Es gilt durch die ganze Kette der Schöpfung, dass der Große und der Kleine, einer den andern, brauchen.
BETRACHTUNG: Nichts ist so klein, ein Großer, er mag noch so groß sein, kann es einmal nötig haben; und also muss Klugheit und Vorsicht bei Begnadigungen ebenso wohl stattfinden als bei der Gerechtigkeit. Tue, wie du willst, dass man dir tue. Und die Verbindlichkeit wird desto stärker, je mehr Ehre man mit der Dankbarkeit einlegen kann. Die Großmut des Löwen und die Erkenntlichkeit der Maus, die Gewalt und erhabne Würde des einen und die Niedrigkeit der andern tragen alle das Ihrige dazu bei, diese Fabel zu einer von den allerlehrreichsten zu machen. Denn auf der einen Seite wird sowohl die Gnade als die Klugheit angepriesen, indem der Löwe, da er die Maus beim Leben ließ, sein eigen Leben errettete, und auf der andern wird das dankbare kleine Tier viele undankbare Menschen beschämen. Überhaupt ist kein Mensch so groß, der nicht auch einmal in den Fall kommen könnte, in welchem wir den Löwen hier sehen.
Mutter, sagte ein kranker Habicht, hört mit den unnützen Klagen auf und betet lieber für mich. Ach, mein Kind, versetzte die Alte, zu welchem von den Göttern kann ich für einen Bösewicht beten, der keinen von allen ihren Altären unberaubt gelassen hat?
LEHRE: Nichts als das Bewusstsein eines tugendhaften Lebens kann uns den Tod leicht machen; man verlasse sich also ja nicht auf die kalte Reue in den letzten betäubenden Stunden.
BETRACHTUNG: Die Frömmigkeit und Reue des Habichts auf seinem Todbette ist der Milde und den guten Werken so mancher Bußfertigen, die wir in der Welt antreffen, gleich. Nachdem sie Tempel und Altäre beraubt und entheiliget und sich der grässlichsten Gewalttätigkeiten und Unterdrückungen schuldig gemacht haben, bauen sie ein Hospital oder irgendein kleines Armenhaus, vermachen von dem, was sie Witwen und Waisen abgenommen haben, geringe Summen der Kirche und bilden sich ein, dass nunmehr alles wieder gut ist. Wie kann man sich aber, bei einem gottlosen Leben, auf den bloßen Zufall und die ungewissen Umstände verlassen, in welchen wir uns, bei Annäherung des Todes, befinden werden? Die Gnade muss sehr kräftig sein, wenn sie, in dem Kampfe mit den Schwachheiten der beängstigten Natur, völlig siegen soll. Das ist wahrhaftig die Zeit nicht, die wir zu dem großen Werke unserer Aussöhnung mit dem Himmel wählen müssen, wenn wir die Angst des Körpers und die Angst der Seelen fühlen und von beiden zugleich bestürmt werden; ja, der muss mehr als unsinnig sein, der seine Seligkeit auf diesen verzweifelten Ausgang ankommen lässt. Die Menschen entladen sich, in diesen Umständen, ohnedem aller beschwerlichen Betrachtungen, nicht anders, als wie sie zur See ein leckgewordenes Schiff durch das Auswerfen der Ladung leichter machen; alles geht da in der größten Verwirrung zu, und sie entschlagen sich ihrer Sünden in dem einen Falle eben so, als sie sich in dem andern ihrer Güter entschlagen, nämlich mit dem Vorsatze, sie wieder aufzufischen, sobald der Sturm vorüber ist.
Eine Schwalbe (ein Vogel, der wegen seiner Vorsicht bekannt ist) sahe einen Landmann Hanf auf seinen Feldern säen. Sie versammlete sogleich eine Menge kleiner Vögel, sagte ihnen, was der Mann hier tue, dass die Vogelsteller ihre Netze und Schlingen aus Hanf und Flachs machten, und riet ihnen, den Samen, wegen der schlimmen Folgen, beizeiten auszuhacken. Allein sie kehrten sich an die Warnung nicht; er fasste also Wurzel und schoss endlich auf. Nun sagte die Schwalbe abermals, es sei noch nicht zu spät, dem Übel vorzukommen, wenn sie nur allen ihren Fleiß daran wenden wollten; als sie aber sahe, dass man auf ihre Reden ganz und gar nicht achtete, verließ sie ihre alten Gespielinnen im Walde und entschloss sich, in der Stadt bei den Menschen zu leben. Der Hanf ward reif; er ward eingeerntet; er ward verarbeitet; und leider sahe hernach die Schwalbe in den daraus verfertigten Netzen verschiedene von den Vögeln, die sie gewarnt hatte, gefangen, welche denn die Torheit der so schändlich versäumten Gelegenheit zu spät erkannten.
LEHRE: Ein weiser Mann sieht die Wirkungen in ihren Ursachen; Narren aber glauben nicht eher, als bis dem Übel nicht mehr kann abgeholfen werden.
BETRACHTUNG: Sowohl Staaten als Privatpersonen hat mancher große Unglücksfall betroffen, bloß weil sie, ihm in Zeiten vorzubauen, vernachlässiget haben. Das größte Unheil ist oft aus einem sehr geringen Anlasse erwachsen; hätte es gleich beim Ausbruche Widerstand gefunden, so würde es so weit nicht haben um sich greifen können. Ich will hier nur die Ottomannische Geschichte anführen, die uns so manche traurige Beispiele hiervon zeigt; da die größten Regenten von der Welt, aus Mangel zeitiger Vorsicht, in wenig Stunden von ihren Thronen ins Gefängnis gestoßen worden. Man kann diese Lehre auch dahin ausdehnen, dass wir uns hüten sollen, den ersten Versuchungen des Lasters Raum zu geben, das, wenn es nicht bei Zeiten gehemmt wird, Wurzel fasst, sich über die ganze Seele ausbreitet und leicht in unserm gänzlichen Verderben sich endet. Man muss keine Vorspielungen gänzlich verachten, wenn die Folgen, die sie anzeigen, wahrscheinlicherweise unglücklich sein können.
Die Frösche wurden ihrer Freiheit überdrüssig und hielten bei dem Jupiter um einen König an. Jupiter, um sie zu versuchen, warf ihnen ein Klotz zum Regenten herab, das sie, durch den rauschenden Fall, alle in die Sümpfe scheuchte, aus welchen sie sich lange nicht herauswagen wollten, bis endlich einer von ihnen, der kühner als die übrigen war, den Kopf in die Höhe steckte, sich umschaute und den neuen Fürsten ganz ruhig da liegen sah. Nun rufte er seine Mitbürger zusammen, teilte ihnen seine Entdeckung mit und machte dadurch, dass sie alle auf ihrem König herumhüpften und das Schrecken, in dem sie vorher gewesen waren, in ein mutwilliges Lärmen verkehrt wurde. Dieser König, sprachen sie, ist für uns zu stille; wir müssen den Jupiter um einen andern bitten. Er gab ihnen einen andern; und schickte einen Storch unter sie, welcher den guten König Klotz gar bald rächte und so viele von seinen neuen Untertanen verschlang, als ihm in den Weg kamen. Die Übriggebliebenen von dem elenden Haufen baten nunmehr nochmals um einen neuen König oder um die Wiederherstellung ihres alten Standes; allein sie bekamen die Antwort, dass sie sich dieses Unglück selbst zugezogen hätten, und da ihnen der Storch zur Strafe gegeben worden, so müssten sie sich mit Geduld fassen und ihn so gut ertragen, als sie könnten.
LEHRE: Einem unzufriednen Gemüte missfällt jeder Stand des Lebens. Ein Volk, das nicht weiß, wenn ihm wohl ist, und sich nach Veränderung sehnt, muss es sich selbst zurechnen, wenn diese Veränderung seine Umstände verschlimmert.
BETRACHTUNG: Diese ganze Fabel, den einzigen Punkt mit dem Klotze ausgenommen, erinnert uns an die Israeliten, die mit der Theokratie, unter welcher sie das glückseligste Leben führten, nicht zufrieden waren, sondern durchaus einen König haben wollten, wie ihn die benachbarten Völker hatten. Ihrem Verlangen ward gewillfahret, und in dem Könige Saul schickte ihnen Gott einen Storch, der sie gar bald ihre Torheit empfinden ließ.
Wir sollten uns mit unserm gegenwärtigen Stande begnügen lernen, er mag sein, wie er will; denn wenn das Verlangen nach Veränderung sich des menschlichen Gemüts einmal bemächtiget, so ist kein Ende damit. Gott weiß ganz gewiss, was für uns das Beste ist, und sich seiner Vorsicht ergeben, ist der sicherste Weg, des Segens von oben herab teilhaft zu werden und die Unbeständigkeit und Unzufriedenheit des Gemüts niemals bereuen zu dürfen, welche uns Menschen sehr oft den größten Unglücksfällen unterwirft und doch nur macht, dass wir, nach vielfältigen Veränderungen, unsern ersten Zustand wieder wünschen.
Die Tauben sahen sich von dem Falken verfolgt und erwählten den Habicht zu ihrem Beschützer. Der Habicht nahm das Amt an; aber anstatt dass er mit dem Falken hätte Krieg führen sollen, richtete er, unter Vorschützung seiner Würde, in zwei Tagen mehr Unheil in dem Taubenhause an und vergoss mehr Blut, als der Falke kaum in so viel Monaten würde vergossen haben.
LEHRE: Es ist eine sehr gefährliche Sache, wenn ein Volk einen mächtigen und ehrgeizigen Mann zu seinem Beschützer erwählet.
BETRACHTUNG: Es ist oft besser, wenn wir die Übel, die wir kennen, geduldig ertragen, als mit weit größerer Gefahr ihnen abzuhelfen suchen. Wie viel Personen haben Ursache zu wünschen, dass sie lieber die Beleidigung ihres nächsten Nachbar Falken erduldet, als bei dem räuberischen Advokat Habicht Hilfe gesucht hätten.
Und um wichtigere Punkte zu berühren: wie viel Völker hätten lieber die kleinen Drückungen ihres rechtmäßigen Fürsten ertragen, als zu den Waffen, oder näher bei der Fabel zu bleiben, zur Hilfe einer auswärtigen Macht ihre Zuflucht nehmen sollen, welche in diesem Falle selten die Unabhängigkeit und Freiheit derjenigen, die sich in ihren Schutz begeben haben, zu unterdrücken vergisst. Häufige Beispiele hiervon findet man unter andern in der alten Britischen Geschichte, von den Pikten an, bis zu den Sachsen, den Dänen und Normännern; der neuern Exempel nicht zu gedenken.
Als eine Diebesbande in einem Hause einbrechen wollte, ward ein Hund darüber rege und fing an zu bellen. Einer von der Bande sprach ihm freundlich zu und wollte ihm mit einem Stücke Brot den Mund stopfen. Nein, sprach der Hund, daraus wird nichts; ich werde mich nicht bestechen lassen, um meinen Herrn zu verraten, und bin auch nicht gesonnen, um einen einzigen Bissen die Gemächlichkeit und Freiheit meines ganzen Lebens in die Schanze zu schlagen.
LEHRE: Unter schönen Worten, Geschenken und Schmeicheleien kann man gewiss glauben, dass eine schlechte und böse Absicht verborgen liegt.
BETRACHTUNG: Wenn böse Menschen auf einmal höflich und gefällig werden und besser als gewöhnlich zu sein scheinen, so vermutet die Klugheit Betrug dahinter und hält ihre Worte gegen ihre Handlungen. Diese Moral geht alle und jede an, welchen sich andere vertrauen; sie mögen Räte oder Lieblinge oder Bediente oder Soldaten oder Handelsleute sein, denn es gibt unter allen Gattungen und Professionen böse und gute Menschen. Der Hund des Aesopus beschämt also alle falsche Menschen überhaupt und gibt allen Untergebnen, wie sie Namen haben mögen, den guten Unterricht, keines elenden Gewinnstes wegen ihre Ehrlichkeit bei Seite zu setzen, wenn sie nicht am Ende von unaufhörlicher Reue und den Bissen eines verletzten Gewissens wollen gemartert werden.
Gegen eine Sau, die eben niederkommen sollte, erbot sich ein Wolf, mit vieler Höflichkeit, für ihre Jungen Sorge zu tragen. Die Sau dankte ihm mit gleicher Höflichkeit für seine Liebe und bat ihn, er möchte ein wenig von weiten stehen bleiben und ihr seine guten Dienste in der Ferne, je ferner, je besser, erweisen.
LEHRE: Keine Fallstricke sind so gefährlich als die, welche uns unter dem Namen der Gefälligkeiten erwiesen werden.
BETRACHTUNG: Ein kluger Mann ist gegen die ganze Welt auf seiner Hut, besonders gegen einen Feind, der sich ihm unter der Gestalt eines Freundes zeigt. Die niedergekommene Sau würde eine sehr schlechte Wahl getroffen haben, wenn sie den Wolf zu ihrer Wärterin angenommen hätte.