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In einem zeitgemäßen Französischunterricht ist das sprachliche und kulturelle Lernen mit Hilfe digitaler Medien von besonderer Bedeutung. Anhand von motivierenden Praxisbeispielen zeigt diese Fachdidaktik, wie elektronische Medien im Französischunterricht implementiert werden können. Dabei werden ausgewählte médias numériques in sinnvoller Weise mit bewährten Methoden verbunden. Darüber hinaus muss das Lernen mit Hilfe digitaler Medien, also Mediendidaktik, durch das Lernen über die Nutzung der technologischen Neuerungen, d. h. Medienerziehung, ergänzt werden. Praxisnahe Beispiele helfen Französischlehrerinnen und -lehrern dabei, abwechslungsreiche Lerngelegenheiten schaffen, die Kinder und Jugendliche zu einer kritisch-konstruktiven Haltung gegenüber der Digitalisierung führen. Internationalisierung, Globalisierung und Digitalisierung erfordern darüber hinaus die Öffnung der Didaktik hin zu wissenschaftsbasierten Ansätzen beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Unter diesem Gesichtspunkt trägt die Digitalisierung dazu bei, didaktische Konzepte zu überdenken und umzugestalten. Mit Hilfe dieses Buches können Sie überholte didaktische Modelle zugunsten weltweit anerkannter Ansätze hinter sich lassen und so einen zukunftsweisenden Französischunterricht gestalten, der die Lernenden tatsächlich erreicht.
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Seitenzahl: 538
ibidem-Verlag, Stuttgart
Mein allerbester Dank geht an meinen ehemaligen Studenten
Tobias Altmann.
Inhaltsverzeichnis
Teil 1
Kap. 1
Denkanstöße und Diskussionsgrundlagen
Pistes de réflexion et bases de discussion
1.1 Was bedeutet kompetent mit Blick auf Lehrpersonen?
1.2 Was bedeutet emanzipiert in diesem Zusammenhang?
1.3 Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Weiterentwicklung des Faches Französisch?
1.4 Wie ist diese Einführung in die Fachdidaktik Französisch aufgebaut?
1.5 Wie kann man das Buch effektiv nutzen?
Kap. 2
Fremdsprachendidaktik und Fachdidaktik Französisch
Didactique du français langue étrangère (fle)
2.1 Wesentliche Ziele der Fremdsprachendidaktik
2.2 Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung
2.3 Fachdidaktik Französisch und didactique du français langue étrangère (fle)
Kap. 3
Einflüsse der Bezugswissenschaften auf die Lernprozesse
Influences des sciences de référence sur les processus d’apprentissage
3.1 Angewandte Linguistik und Zweitspracherwerbsforschung
3.2 Allgemeine Didaktik und fremdsprachliche Bildung
3.3 Einflüsse der Bezugswissenschaften auf die Lernprozesse
3.4 Neurowissenschaften
Kap. 4
Einflüsse der Bezugswissenschaften auf die Lehrstrategien
Influences des sciences de référence sur les stratégies d’enseignement
4.1 Einleitung
4.2 Die Untersuchungen von John Hattie
4.3 Die Untersuchungen von Robert Marzano
4.4 Die Untersuchungen von Martin Wellenreuther
Kap. 5
Einflüsse der Bezugswissenschaften auf die Inhalte
Influences des sciences de référence sur le contenu
5.1 Sprache
5.2 Literatur und Texte
5.3 Interkulturalität
5.4 Multimedia und Multiliteralität
Kap. 6
Wege zum wissenschaftsorientierten Französischunterricht
En chemin vers l’enseignement du fle influencé par les sciences
6.1 Zur Unterscheidung zwischen wissenschaftsbasiertem und wissenschaftsorientiertem Unterricht
6.2 Qualitative und quantitative Forschungsmethoden
6.3 Deskriptive und erklärende Forschung
6.4 Evidenzbasierte Forschung und Metaanalysen
Kap. 7
Kommunikative Kompetenz und kommunikativer Französischunterricht
Compétence communicative et enseignement communicatif du fle
7.1 Gesellschaftlicher Wandel und die Notwendigkeit kommunikativer Kompetenz
7.2 Kommunikative Kompetenz und kommunikativer Fremdsprachenunterricht im deutschsprachigen Raum
7.3 Kommunikative Kompetenz und kommunikativer Fremdsprachenunterricht in den englischsprachigen Ländern
7.4 Lehr- und Lernmaterialien für den kommunikativen Fremdsprachenunterricht
7.5 Trivialisierungen und Missverständnisse
Kap. 8
Ansätze und Methoden
Approches et méthodes
8.1 Ansatz, Strategie/Methode, Technik
8.2 Einordnung neuerer Ansätze und Strategien
8.3 Lernen in Tandems und Kleingruppen
8.4 Reziprokes Lehren
8.5 Aufgabenorientiertes Lernen
8.6 Problem- und projektbasiertes Lernen (PBL)
8.7 Post-method Theorien
8.8 Scaffolding
Kap. 9
Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen und Europäisches Sprachenportfolio
Cadre européen commun de référence pour les langues et Portfolio européen des langues
9.1 Wichtige Ziele der Sprachenpolitik des Europarats
9.2 Kontaktschwelle, Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen und Begleitband mit neuen Deskriptoren
9.3 Das Europäische Sprachenportfolio
Kap. 10
Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität
Multilinguisme et multiculturalité
10.1 Mehrsprachigkeit, Mehrkulturalität und Mehrsprachigkeitsdidaktik
10.2 Der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen
10.3 Möglichkeiten der Implementation im Französischunterricht
10.4 Interkomprehension
Kap. 11
Bildungsstandards, Kompetenzen und Lehrpläne
Standards de formation, compétences et programmes d’étude
11.1 Von PISA zu DESI
11.2 KMK-Bildungsstandards und das IQB
11.3 KMK Strategie-Papier: Bildung in der digitalen Welt
Teil 2
Kap. 12
Der erfolgreiche Französischlerner
L’apprenant performant du français langue étrangère (fle)
12.1 Lernstile
12.2 Lernmodelle
12.3 Motivation und Motivierungsstrategien
12.4 Digital natives und Computer-Kompetenz
Kap. 13
Der bessere Französischlehrer
Le meilleur enseignant de français langue étrangère (fle)
13.1 Lehrstile und subjektive Theorien
13.2 Grundlegende Prämissen: Klassenmanagement und Klassenklima
13.3 Eine besondere Herausforderung: Inklusion und Heterogenität
Kap. 14
Lehrerbildung im Internetzeitalter
La formation des enseignants à l’ère du numérique
14.1 Digital immigrants und Computer-Kompetenz
14.2 Lehreraus- und Lehrerfortbildung
14.3 KMK-Anforderung an die Lehrerbildung im digitalen Zeitalter
Kap. 15
Die Interdependenz zwischen bewährten Methoden und digitalen Medien
L’interdépendance entre les méthodes éprouvées et les médias numériques
15.1 Computer, Internet, Digitalisierung: ein kurzer Überblick
15.2 Die Implementation digitaler Werkzeuge im Französischunterricht
15.2.1 Tafeln und Whiteboards
15.2.2 Lehrwerke und zugehörige Lernsoftware
15.2.3 Text und Hypertext
15.2.4 Lernplattformen und Open Educational Resources
15.2.5 Gamification
15.2.6 Informationstechnologie
15.2.7 Kommunikationstechnologie und soziale Medien
15.2.8 Virtuelle Realität und Robotik
15.3 Wahrung der Privatsphäre und Schutz vor Gefahren
Kap. 16
Von der Sprache zur Literatur: Interkulturelle Diskurskompetenz
De la langue à la littérature : Compétence Discursive Interculturelle
16.1 Plädoyer für eine integrierte Sicht
16.2 Von der Kommunikativen Kompetenz zur Interkulturellen Diskurskompetenz
16.3 IDK: die Macht der Sprache
16.4 IDK: die Macht der Kulturen
16.5 IDK: die Macht der Literatur
Kap. 17
Ein Unterrichtsmodell als Ausgangspunkt
Un modèle d’enseignement comme point de départ
17.1 Das MET – ein wissenschaftsorientiertes Unterrichtsmodell
17.2 Planung und Einstieg in den Unterricht
17.3 Darbietung neuer Lerninhalte und Verständnissicherung
17.4 Vom angeleiteten zum selbstständigen Üben
17.5 Fortführung durch kooperative und handlungsorientierte Lernformen
Kap. 18
Formatives und summatives Feedback
Feedback formatif et feedback sommatif
18.1 Forschungsergebnisse zum Feedback
18.2 Formatives Feedback von Lehrpersonen für Lernende
18.3 Formatives Feedback unter Peers
18.4 Formatives Feedback von Lernenden für die Lehrperson
18.5 Summatives Feedback
Fazit:
Die meisten Fragen verdienen eine Antwort
La plupart des questions méritent une réponse
Downloadverzeichnis
Literaturverzeichnis
Teil 1
Grundlagen des FranzösischunterrichtsFondements de l’enseignement du français langue étrangère
Kap. 1
Denkanstöße und Diskussionsgrundlagen
Pistes de réflexion et bases de discussion
1.1 Was bedeutet kompetent mit Blick auf Lehrpersonen?
1.2 Was bedeutet emanzipiert in diesem Zusammenhang?
1.3 Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Weiterentwicklung des Faches Französisch?
1.4 Wie ist diese Einführung in die Fachdidaktik Französisch aufgebaut?
1.5 Wie kann man das Buch effektiv nutzen?
In 1.1 werden Bereiche angesprochen, in denen eine kompetente Lehrperson sich auskennen sollte. Das sind in erster Linie Ansätze des wissenschaftsorientierten Lehrens und Lernens sowie die Nutzung elektronischer Technologien, die in Form digitaler Medien längst Eingang in fast alle Lebensbereiche gefunden haben. Als emanzipiert kann eine Fremdsprachenlehrerin oder ein -lehrer gelten, wenn sie oder er aus den vorgefundenen Möglichkeiten die Unterrichtsverfahren und Lernformen auswählt, die für die Schülerinnen und Schüler in einem bestimmten institutionellen Kontext angemessen und hilfreich sind (1.2). Daraus werden Konsequenzen für die Stellung des Faches Französisch abgeleitet (1.3). Im folgenden Abschnitt (1.4) wird erläutert, welche Gesichtspunkte der vorliegenden Einführung in die Fachdidaktik Französisch hauptsächlich dazu beitragen, die wünschenswerte Kompetenz und Emanzipation von Lehrpersonen zu verbessern. Den Schluss (1.5) bilden Hinweise dazu, wie Lehramtsstudierende, Auszubildende in der 2. Phase (Referendarinnen und Referendare) sowie Lehrpersonen im Dienst am besten von den Ausführungen und Anregungen dieser Didaktik profitieren können.
Im Zusammenhang mit schulischem Lehren und Lernen lautet eine gängige Frage: Was ist guter Unterricht? Hilbert Meyer (122016) benennt, gestützt auf geisteswissenschaftliche Studien und einige wenige empirisch-quantitative Untersuchungen zehn Kriterien, die aufgrund seiner „bewussten, wertenden Entscheidung“ (ibid.: 20) guten Unterricht ausmachen. Kompetente Lehrpersonen kennen solche älteren Ansätze, weil sie häufig noch im schulischen Unterricht, auch im Fremdsprachenunterricht, genutzt werden.
Die entscheidende Rolle, welche die Lehrperson bei der Umsetzung der zehn Merkmale spielt, spricht Meyer allenfalls indirekt an. Helmke listet ebenfalls zehn „wichtige fächerübergreifende Qualitätsbereiche“ auf (Helmke 42012: 168f.), nämlich:
Klassenführung
Klarheit und Strukturiertheit
Konsolidierung und Sicherung
Aktivierung
Motivierung
lernförderliches Klima
Schülerorientierung
Kompetenzorientierung
Umgang mit Heterogenität
Angebotsvielfalt
Betrachtet man diese Qualitätsbereiche, so stellt man unschwer fest, dass sie in der Regel nur unter Anleitung einer ‚guten‘ Lehrkraft verwirklicht werden können. Helmke gibt also Orientierungshilfen, die bei reflektierter Nutzung und sinnvoller Kombination durch die Lehrperson lernwirksam sein können.
Strebt man eine Verbesserung des Unterrichts an, kommt man nicht umhin zu erläutern, wie es einer Lehrkraft gelingen kann, ‚guten‘ Unterricht zu gestalten, Die Grundfrage lautet also: Was macht die kompetente Lehrperson aus? Im Rahmen von Internationalisierung, Globalisierung und Digitalisierung bedeutet das, dass man sich nicht länger auf Expertenmeinungen aus dem deutschsprachigen Raum beschränken kann. Vielmehr sollte man weltweit verfügbare Erkenntnisse und Hypothesen empirischer Forschung hinreichend berücksichtigen. Mit anderen Worten: Um einen zeitgemäßen wissenschaftsorientierten Unterricht zu gestalten, ist es ratsam, dass sich Lehrkräfte mit den vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnissen auseinandersetzen, wenn sie ihre Lernenden nicht benachteiligen wollen.
Über die angemessene Kenntnis und Berücksichtigung einschlägiger empirisch-experimenteller und evidenzbasierter Forschungsergebnisse hinaus, wird die Kompetenz von Lehrkräften auch von ihrer Vertrautheit mit digitalen Medien bestimmt. In diesem Zusammenhang sollte man sich vor Augen führen, wie weit die Digitalisierung inzwischen fortgeschritten ist – gleichgültig ob man die Entwicklung begrüßt, ihr skeptisch gegenübersteht oder sie gänzlich ablehnt. Es gibt eine Vielzahl von Bereichen, in denen Künstliche Intelligenz (KI; intelligence artificielle) in kürzester Zeit beachtliche Fortschritte bewirkt hat. Die elektronischen Technologien haben das Leben von Menschen weltweit – sei es im privaten, gesellschaftlichen und/oder beruflichen Bereich – stark beeinflusst.
Längst hat die Digitalisierung auch in die universitäre Lehre Einzug gehalten. Damit sind nicht nur Formen des E-Learning oder des Blended Learning, einer Kombination von computergestütztem Lernen und Präsenzlernen, gemeint. An der Universität Marburg gestaltet seit 2017 im Bereich der Linguistik unter Anleitung von Professor Jürgen Handke ein humanoider Roboter, Pepper, die einführenden Vorlesungen, während ein zweiter Roboter, Nao, im Hörsaal auf und ab geht, um den Studierenden auf deren Fragen hin unverstandene Inhalte zu erläutern. Wohlgemerkt: Die beiden Roboter ersetzen Handke nicht, sondern schaffen ihm Freiraum für eine intensivere Beschäftigung mit seinen Studierenden (vgl. Kap. 15.2.8).
Die rasante Entwicklung legt es nahe, dass Lehrpersonen im Bereich der Digitalisierung über eine hohe Kompetenz verfügen, damit sie selbst angemessen agieren und die Lernenden auf die digitale Welt vorbereiten können. Diese Forderung bedarf jedoch der Präzisierung. Häufig sind Lehrerinnen und Lehrer der Meinung, ihre Lernenden verfügten über mehr computerrelevantes Wissen als sie selbst. Wenn sie damit meinen, dass ihre Schülerinnen und Schüler die App kennen, die überflüssige Selfies automatisch vom Smartphone entfernt, dann mögen sie Recht haben. Häufig besteht aber der vermeintliche Vorsprung der digital natives, d. h. der nach 1985 geborenen Kinder und Jugendlichen, nur darin, dass sie im Klicken und Wischen geübter sind.
Viele Lehrkräfte glauben, sie seien nur in der sogenannten analogen Welt so richtig zuhause. Diese Vorstellung bedarf der Überprüfung. Zum einen gibt es keine analoge, sondern nur eine reale Welt. Analog sind darin allenfalls Geräte, wie z. B. Uhren. Zum anderen sind umfängliche Kenntnisse der realen Welt die beste Grundlage dafür, digitale Medien sachgerecht zu nutzen und ihren Gefahren zu begegnen. Nicht wer weiß, wo er einen Inhalt finden kann, ist für die Digitalisierung hinreichend ‚vorgebildet‘, sondern wer die Inhalte kennt und sich eine eigene Meinung dazu gebildet hat.
Die angesprochenen Kompetenzen, insbesondere die Kritikfähigkeit, verhindern, dass Lehrpersonen irgendwelchen Vorgaben unüberlegt folgen. Die mit Kompetenz eng verknüpfte emanzipierte Haltung bewirkt, dass Lehrkräfte bewusst eine Auswahl treffen und sich aus den verschiedensten Gründen über Vorschläge und Empfehlungen hinwegsetzen. Unterrichtsratgeber und manche Fachzeitschriften regen nicht immer zur Reflektion und zur Kreativität an. Sie benennen zündende Ideen und machen Vorschläge, wie diese im Unterricht umgesetzt werden können. Als emanzipiert kann eine Lehrperson gelten, die solche meist hervorragend aufbereiteten Unterrichtsstunden oder -einheiten nicht einfach übernimmt.
Zunächst legt sie Ziele fest, die für ihre Schülerinnen und Schüler angemessen sind. Anstatt irgendeiner bestechenden Idee zu folgen, wählt sie auf der Grundlage der Ziele geeignete Inhalte und Methoden (einschließlich passender Medien) für den jeweiligen Lernkontext aus. Dabei mag es sich ergeben, dass sie die in einem Methodenrepertoire vorgefundenen Empfehlungen in ihre Unterrichtsplanung und Durchführung ganz oder nur teilweise einbezieht. Diese Ausprägung emanzipierten Lehrverhaltens gilt auch für wissenschaftliche Ergebnisse. Im Rahmen dieser Einführung werden Lehrpersonen immer wieder angeregt, aufgrund hinreichender Grundlagenkenntnisse und am besten unter Beteiligung der Lernenden über Inhalte, Methoden und Medien zu entscheiden.
Bei diesen Entscheidungen berücksichtigt die emanzipierte Lehrperson nicht nur die Bedürfnisse und Interessen ihrer Schülerinnen und Schüler und den speziellen Kontext, in dem das Erlernen der jeweiligen Fremdsprache, in unserem Fall des Französischen, stattfindet. Sie stellt auch ihre eigene Persönlichkeit nicht hintan. Es gibt keine Lernziele, die nur durch bestimmte Inhalte und Methoden erreicht werden können. Meist steht eine Palette von Möglichkeiten zur Verfügung, aus denen die emanzipierte Lehrkraft diejenigen auswählt, die ihren Anschauungen und Erfahrungen am ehesten entsprechen.
Emanzipation im genannten Zusammenhang bedeutet auch, dass sich die Lehrperson – allein schon wegen des Zeitbudgets – nicht scheut, aufgrund ihrer Intuition zu entscheiden. Man kann von keiner Lehrkraft im (Vorbereitungs-)Dienst erwarten, dass sie sich immer und zu jedem Faktor, der das Unterrichtsgeschehen bestimmt, mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und den daraus abgeleiteten Empfehlungen vertraut macht. Hier empfiehlt sich Intuition – Gerd Gigerenzer (2008) spricht in seinen wissenschaftlichen Untersuchungen von ‚Bauchgefühl‘, der Macht des Unbewussten. Diese Form der Intuition, die auch die emanzipierte Lehrkraft auszeichnet, darf nicht mit einer zufälligen Eingebung oder mit Naivität verwechselt werden. Nach Gigerenzer funktionieren Bauchentscheidungen besonders gut, wenn sie auf Fachwissen beruhen.
In den meisten Fachdidaktiken und Lexika der Französischdidaktik (Christ 2015; Lange 2017; Minuth 22016; Küster 22017) finden interessierte Lehrkräfte Hinweise, in welchen Schulformen und ab welchen Jahrgangsstufen Französischunterricht in den einzelnen Bundesländern angeboten wird. In der Regel wird Französisch als 2. Fremdsprache in der Sekundarstufe I gelernt.
Der nächste Punkt, der in der genannten Fachliteratur behandelt wird, ist die Entwicklung der Schülerzahlen. Das Statische Bundesamt nennt für das Schuljahr 2015/2016 für Französisch eine Gesamtschülerzahl von 1,6 Millionen, während im gleichen Zeitraum 8,5 Millionen Schülerinnen und Schüler den schulischen Englischunterricht besuchten. Auch wenn die Zahl der Französischlerner seit der Jahrtausendwende leicht zugenommen haben mag, gibt es keinen Zweifel daran, dass die Teilnahme am Französischunterricht an Realschulen und Gesamtschulen rückläufig ist. Darüber hinaus ist der Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler, die am Französischunterricht der gymnasialen Oberstufe teilnehmen, in der gleichen Zeit von 37,2 % auf 26 % gefallen (vgl. Christ 2015: 34). Ähnliche Angaben findet man auch im Bericht zur Situation des Französischunterrichts derKMK (2013, i. d. Fassung von 2018).
Welche Ratschläge erhalten Französischlehrerinnen und -lehrer in der didaktischen Literatur, um die Stellung des Französischen im schulischen Curriculum zu verbessern? Erstaunlicherweise erfolgt keine Analyse der Gründe für den Rückgang, sondern es wird direkt oder indirekt empfohlen, für das Fach Französisch Werbung zu betreiben. In einer Präsentation für die Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (VdF) erläutert U. C. Lange Warum Französisch eine gute Wahl für Schülerinnen und Schüler in Deutschland ist. Zu den weiteren Werbestrategien zählt die detaillierte Aufzählung von Programmen, Projekten und Wettwerben, einschließlich des Abi-BAC, welche die seit 1963 bestehende enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich unterstreichen. Die Frage ist, ob sich Schüler und Eltern bei der Wahl einer 2. Fremdsprache von diesen Ausführungen beeinflussen lassen. Fraglich ist erst recht, ob diese ‚Werbemaßnahmen‘ Schülerinnen und Schüler der Oberstufe überhaupt erreichen und sie zu einer möglichen Fortführung der 2. Fremdsprache in der gymnasialen Oberstufe veranlassen. Welchen Effekt haben die ausführlichen Darstellungen (vgl. Christ 2015: 41–49 von insgesamt 33–49) insbesondere auf Jungen, zumal es auch im Englischen zahlreiche Initiativen für Austauschprogramme und Schulpartnerschaften von Australien über das UK und Canada bis hin zu den USA gibt?
Um Lehrpersonen bei der Förderung des Französischunterrichts zu unterstützen, müssen zunächst einmal die Ursachen für den Rückgang der Teilnehmerzahlen analysiert werden, und zwar unterteilt in solche, auf die Lehrkräfte keinen Einfluss haben und solche, für die sie in gewisser Weise die Verantwortung tragen.
Keine Französischlehrerin und kein Französischlehrer wird die Expansion des Englischen als Weltverkehrssprache beeinflussen können. Internationalisierung, Globalisierung und Digitalisierung haben dazu geführt, dass Englisch inzwischen von weit mehr Sprechern als Lingua franca genutzt wird, als es native speaker des Englischen gibt. Außerdem ist Frankreich bis zu einem gewissen Maß selbst schuld, dass Französisch als elitär und schwer lernbar empfunden wird. Die Académie française tut alles, um die natürliche Entwicklung der französischen Sprache in Grenzen zu halten. In seinem Buch Enlightenment now (2018; dtsch. Aufklärung jetzt 2018) macht sich der amerikanische Sprachforscher und Philosoph Steven Pinker darüber lustig, dass eine Sprache überhaupt in dieser Weise reglementiert wird. Auf der Grundlage seiner Forschungen konnte er keine andere Sprachgemeinschaft ausmachen, in der eine (halb-)staatliche Institution in einer ähnlichen Weise über die Entwicklung einer Nationalsprache bestimmt. Das gilt beispielsweise im Bereich der elektronischen Technologien: Warum numérisation und médias numériques statt ‚digitalisation‘ und médias digitaux‘? Unter der Überschrift Dire, ne pas dire veröffentlicht die Académie française regelmäßig entsprechende Empfehlungen, z. B. zum Terminus fake news (4. Mai 2017):
on dit on ne dit pas
La prolifération des contre-vérités La prolifération des fake news
Alimenter la presse en ragots Alimenter la presse en fake news
Die Gründe, auf die Lehrpersonen hingegen Einfluss nehmen können, sind die fehlende Attraktivität des Französischunterrichts, seine teilweise Grammatiklastigkeit und die damit verbundene mangelnde Ausrichtung auf kommunikative Kompetenz sowie letztlich auf fremdsprachliche Bildung. Es ist sicher keine Lösung, die Schuld beim Gesetzgeber zu suchen und die Forderung zu erheben, die Beibehaltung der zweiten Fremdsprache oder einer anderen Fremdsprache neben Englisch in der Gymnasialen Oberstufe verbindlich zu machen (vgl. Meißner 1997). Viele Schülerinnen und Schüler wählen Französisch ab, weil sie sich das Abiturzeugnis bzw. den Notendurchschnitt nicht verderben wollen. Andere führen den großen Arbeitsaufwand bzw. ungünstige Fächerkombinationen an. Außerdem stellen nicht wenige Vergleiche zum Englischunterricht an. Hinzu kommt das veränderte Reiseverhalten.
Schülerbefragungen sowie Untersuchungen zur Akzeptanz des Faches Französisch mit empirisch-experimenteller oder zumindest quasi-experimenteller Ausrichtung fehlen bisher (vgl. Kap. 6). Es gibt verdienstvolle Studien, die sich in der Regel auf Schülerbefragungen stützen. Zwei ältere Untersuchungen seien exemplarisch genannt. Christoph Bittner (2003) hat im Rahmen seiner Examensarbeit Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe in Hamburg auf der Grundlage von 4 Hypothesen zu ihrem Wahlverhalten befragt. Lutz Küster (2007) geht mit den Studierenden eines Hauptseminars an der Humboldt-Universität Berlin der Frage nach, was Schülerinnen und Schüler motiviert, Französisch zu lernen. Wie bei den meisten Befragungen werden Auswahlantworten vorgegeben. Sie liefern einen Überblick bzw. eine Zusammenschau, bieten aber Französischlehrerinnen und -lehrern kaum Hinweise, wie sie ihren Unterricht motivierender gestalten könnten. Deutlich ausführlicher, aber zugleich selektiver ist die Dissertation von Theresa Venus (2017), die auf Einstellungen von ca. 800 Schülerinnen und Schülern fokussiert, die an bayrischen Realschulen und Gymnasien Französisch als 1., 2. oder 3. Fremdsprache lernen. Da die Untersuchung quantitativ-statistisch ausgerichtet ist, liefert sie keine Details zur Unterrichtsgestaltung. Es ist zweifellos sinnvoll, die Lernenden zu Wort kommen zu lassen. Dies müsste aber aufgrund aussagekräftiger Einzelheiten zum Unterricht erfolgen.
In den einzelnen Kapiteln der vorliegenden Fachdidaktik gibt es zahlreiche Hinweise und Vorschläge, wie man einen ansprechenden und zukunftsweisenden Französischunterricht gestalten kann, von dem die Lernenden bestmöglich profitieren und den sie zudem gern besuchen. Besonders wichtig sind folgende Aspekte:
Die Lehrerpersönlichkeit spielt eine entscheidende Rolle, d. h. Französischlehrerinnen und -lehrer sollten explizit deutlich machen, was sie veranlasst hat, das Fach Französisch zu studieren und was sie an der französischen Sprache und den damit verbundenen Kulturen besonders fasziniert.
Individualisierung sollte dann eingesetzt werden, wenn die individuellen Lernenden mit dem gleichen Zeitaufwand wie unter direkter Anleitung durch die Lehrperson die gesteckten Ziele erreichen (können).
Die Vermittlung der Sprachmittel, insbesondere grammatische Kenntnisse, ist stets an kommunikative Ziele gebunden. Dem steht die Direkte Instruktion oder besser der Interaktive Klassenunterricht, der nichts mit Frontalunterricht zu tun hat, keineswegs entgegen. Dadurch dass die Lehrperson die Verbindung zwischen den Sprachmitteln und den kommunikativen Absichten herstellt, werden Lernprozesse positiv beeinflusst.
Gegen das sogenannte individualisierte Lernen spricht auch die Tatsache, dass die Lehrperson gerade im Anfängerunterricht das wichtigste sprachliche Vorbild ist.
Die wünschenswerte Interkulturelle Kommunikative Kompetenz ist nicht das Endziel des Französischunterrichts, sondern höherrangigen Zielen untergeordnet. Utilitaristische Ziele allein greifen im Fremdsprachenunterricht, vor allem im Französischunterricht, zu kurz.
Ihnen vorgeordnet sind vertiefte Kenntnisse der französischen Kulturen (Afrika ist nicht ausschließlich Entwicklungsland) und weitere Ziele fremdsprachlicher Bildung. Dabei spielt der Einfluss von Fremdsprachen auf die Identitätsbildung eine eminente Rolle.
In den USA wird das Erlernen von Fremdsprachen mit Blick auf die Persönlichkeitsentwicklung weitgehend unabhängig von kommunikativen Zielen gesehen (schließlich kann man sich fast überall in der Welt auf Englisch verständigen).
Besonderes Augenmerk ist in diesem Zusammenhang auf das sogenannte Bildungsselbst zu richten (vgl. u.a. Dörnyei 2003, 22009; 2007).
Insgesamt kann die Ausrichtung auf Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität, die selbstverständlich auch in anderen fremdsprachlichen Fächern zu berücksichtigen ist, motivationssteigernd wirken, vorausgesetzt ihre Vorzüge kommen in Lernaktivitäten angemessen zur Geltung.
Die vorliegende Einführung in die Fachdidaktik Französisch ist in zwei Teile gegliedert:
Teil 1: Grundlagen des Französischunterrichts
Fondements de l’enseignement du français langue étrangère
Teil 2: Ausgestaltung des Französischunterrichts in der Praxis
Enrichir l’enseignement du français langue étrangère (fle)
In Teil 1 geht es zunächst darum, (angehende) Französischlehrerinnen und -lehrer für eine intensive Beschäftigung mit den wissenschaftlichen Grundlagen des Unterrichts zu gewinnen und ihnen Anregungen für deren Umsetzung in der Unterrichtspraxis zu geben.
Folglich werden grundlegende Konzepte und Vorgaben erläutert, die den heutigen Fremdsprachenunterrichts, insbesondere den Französischunterricht, entscheidend prägen. Sie werden im Wesentlichen von der Fremdsprachendidaktik, den Fachwissenschaften und den Bezugsdisziplinen bereitgestellt, welche die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen sowie die Wahl der Unterrichtsinhalte stark beeinflusst haben und weiterhin beeinflussen. Die kommunikative Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts und die damit verbundenen Methoden sind ohne den Einfluss verschiedener Bezugswissenschaften nicht denkbar. Dazu gehören auch Überlegungen und Erkenntnisse zu Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität (vgl. Kap. 10).
Weitere wichtige Grundlagen für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen sind die Empfehlungen und Vorgaben des Europarats, insbesondere der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen und das Europäische Sprachenportfolio (vgl. Kap. 9). Eine besondere Rolle spielen in Deutschland darüber hinaus die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) sowie die Lehrpläne einzelner Bundesländer. Hinzu kommen die neueren (ergänzenden) Dokumente des Europarats und der KMK sowie die Bemühungen einzelner Bundesländer, die elektronische Technologien, insbesondere digitale Medien, stärker unterstreichen.
In Teil 2 geht es zunächst um die Voraussetzungen, die Lernende und Lehrende in den Unterricht einbringen. Wenn Medienkompetenz (Lernen mit Hilfe digitaler Medien) und Medienerziehung (Lernen über digitale Medien) angebahnt und ausgebaut werden sollen, sollten zunächst die oben angesprochenen Voraussetzungen der sogenannten digitalnatives und der digital immigrants kritisch betrachtet werden. Aus der entsprechenden Analyse lassen sich unter anderem Anforderungen an eine zukunftsweisende Lehrerbildung ableiten.
Im Folgenden stellt sich die Frage, wie die Umsetzung neuerer und neuester wissenschaftlicher Ansätze im Französischunterricht verschiedener Schulformen und Schulstufen in der Praxis gestaltet werden kann. Dabei geht es um die Weiterentwicklung der kommunikativen Kompetenz sowie die Verbindung von bewährten Methoden mit digitalen Medien.
Im Zusammenhang mit Interkultureller Diskurskompetenz, dem anvisierten Leitziel des Fremdsprachenunterrichts, werden Bereiche, die bisher oft getrennt behandelt werden, aufeinander bezogen betrachtet und durch Beispiele veranschaulicht. Dabei stellen das Internet und digitale Medien unerlässliche Hilfen dar, die im herkömmlichen Fremdsprachenunterricht nicht hinreichend berücksichtigt werden. „Mit anderen Worten: Keine Lehrkraft, gleichgültig ob sie der Digitalisierung eher positiv oder ablehnend gegenübersteht, kann digitale Medien aus ihrem Unterricht ausblenden, im Gegenteil. Gerade diejenigen, die Bedenken haben, dürfen nicht auf die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Lernenden verzichten“ (www.deflorio.de: Blog).
Nach der Vorstellung eines wissenschaftsorientierten Unterrichtsmodells geht es zum Schluss um (Selbst-) Evaluation, d. h. kontinuierliches formatives Feedback und die Überprüfung der Lernleistungen durch Tests, Klassenarbeiten und Klausuren.
In beiden Teilen beschränke ich mich auf Aspekte, die für einen zukunftsweisenden Französischunterricht relevant sind. Es geht nicht darum, sämtliche historischen Ansätze in gleicher Breite darzustellen wie aktuelle Entwicklungen. Um Lehramtsstudierenden und Lehrkräften im Vorbereitungsdienst zu Erfolgserlebnissen in der Praxis zu verhelfen, beschränke ich mich auf Ansätze und Methoden, die richtungsweisend für einen zeitgemäßen, motivierenden Französischunterricht sind. Diese werden freilich ausführlicher als üblich dargestellt und durch konkrete Unterrichtsbeispiele belegt. Auch für Lehrkräfte im Dienst ist eine solche Vorgehensweise angezeigt, finden sie doch so Anknüpfungspunkte an neuere Entwicklungen. In Gesellschaften, die von Internationalisierung, Globalisierung und Digitalisierung stark beeinflusst sind, geht es nicht nur um das Lernen mit und über digitale Medien, sondern auch darum, neuere pädagogische und didaktische Konzepte aus dem englischsprachigen Raum und aus Frankreich selbst für den Französischunterricht nutzbar zu machen.
Die vorliegende Einführung in die Fachdidaktik Französisch ist ein zusammenhängender Text und keine Häppchenlektüre oder eine Sammlung von Abbildungen. Jedes Kapitel beginnt mit einem Advance organizer und ist in mehrere Unterabschnitte gegliedert. Wichtige Begriffe und Textstellen sind durch Fettdruck hervorgehoben. Besonders markierte Zusammenfassungen (meist) in französischer Sprache erleichtern die Arbeit. Die meisten Begriffe werden im Text zweisprachig angeboten. Das umfangreiche Literaturverzeichnis rundet die Einführung in die Fachdidaktik Französisch ab. Außerdem stehen zahlreiche Beispiele in Form von Arbeitsblättern für den Französischunterricht im Download zur Verfügung.
Am Ende eines jeden Kapitels gibt es einen Abschnitt Révision, Réflection, Pratique mit entsprechenden Aufgaben sowie weiterführende, kommentierte Literaturhinweise. In diesem Abschnitt finden sich – außer Wiederholungsfragen zu den Inhalten des jeweiligen Kapitels – Aufgaben mit Praxisbezug. Dabei habe ich mich bemüht, einige Aufgaben für Lehramtsstudierende anzubieten, die eher auf praxisbezogene Theorie abzielen, weil die Praxis noch zu vielgestaltig ist. Für die 2. Phase, also die Referendarausbildung, gibt es Aktivitäten, bei denen die Praxis stärker ins Spiel kommt. Weiterführende Aufgaben richten sich an Lehrpersonen im Dienst. Die einzelnen Schwierigkeitsgrade sind absichtlich nicht gekennzeichnet, sodass sich die Leserinnen und Leser die Aufgaben aussuchen können, die ihrem Kenntnisstand und ihren Interessen am ehesten entsprechen.
Am meisten profitieren Sie, wenn Sie das Buch kapitelweise in der vorgegebenen Reihenfolge durchlesen bzw. durcharbeiten. Wenn Sie möglichst rasch zur Unterrichtspraxis vorstoßen möchten, fahren Sie nach der Lektüre von Kapitel 2 mit den Kapiteln 7 bis 11 fort. Die Kapitel 3 bis 6 können Sie zu einem späteren Zeitpunkt heranziehen. Auf keinen Fall sollten Sie sie ganz auslassen, denn ihre Kenntnis trägt entscheidend dazu bei, dass sie sich Rechenschaft über internationale Einflüsse auf Lehr- und Lernprozesse sowie die Wahl der Inhalte ablegen. Zudem sind auch in diese vier Kapitel Unterrichtsbeispiele integriert.
Danach bietet es sich für Teil 2 an, zunächst die Kapitel 12 bis 14 zu bearbeiten, welche die personalen Voraussetzungen für die unterrichtspraktischen Empfehlungen bilden. Die folgenden Kapitel 15 bis 18 sind auf die Umsetzung neuerer und neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und Hypothesen in der Unterrichtspraxis ausgerichtet. Den Aufgaben und Anregungen am Ende jedes Kapitels Révision, Réflection, Pratique widmen Sie sich am besten zusammen mit anderen Studierenden, Auszubildenden sowie Kolleginnen und Kollegen.
Kap. 2
Fremdsprachendidaktik und Fachdidaktik Französisch
Didactique du français langue étrangère (fle)
2.1 Wesentliche Ziele der Fremdsprachendidaktik
2.2 Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung
2.3 Fachdidaktik Französisch et didactique du français langue étrangère (fle)
In diesem grundlegenden zweiten Kapitel werden Entwicklung und Ziele der Fremdsprachendidaktik imdeutschsprachigen Raum dargestellt (2.1). Im folgenden Abschnitt (2.2) geht es um den Beitrag, den die Sprachlehrforschung zur Weiterentwicklung der Fremdsprachendidaktik geleistet hat. Diese grundlegenden Konzepte werden in Abschnitt 2.3 für die Fachdidaktik Französisch konkretisiert und mit dem aktuellen Stand der didactique du françaislangue étrangère (fle) in Verbindung gebracht. Dabei geht es vor allem um Anknüpfungspunkte für den Französischunterricht im deutschsprachigen Raum.
Häufig suchen Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer nach Antworten auf folgende Fragen:
Wie können wir, meine Lernenden und ich, die allgemeinen und spezifischen Ziele des Curriculums erreichen?
Wie soll ich den Unterricht gestalten, um bestmögliche Ergebnisse für jeden individuellen Lernenden zu erzielen?
Wie kann ich meine Lernenden dazu motivieren, in ihren Lernanstrengungen nicht nachzulassen?
Welche Themen und Inhalte sollen wir behandeln, damit kommunikative Kompetenz tatsächlich ausgebildet wird? Welche literarischen Texte sollen wir lesen?
Welche Strategien erlauben es, bewährte Methoden mit digitalen Werkzeugen zu verbinden?
Wie kann ich die Fähigkeiten meiner Lernenden verbessern, digitale Medien für ihr Lernen zu nutzen und vor allem eine kritische Haltung gegenüber der Digitalisierung auszubilden?
Wodurch kann ich meine Lernenden dazu veranlassen, sich an der Wahl der Lehrinhalte und Unterrichtsmethoden zu beteiligen?
Welche Strategien der Klassenführung sind geeignet, um mit Herausforderungen wie Störungen und Ablenkungen im Unterricht umzugehen?
Wie baue ich eine Beziehung zu den Lernenden auf, bei der sich Freundlichkeit und Verständnis mit professioneller Distanz die Waage halten?
Welches sind die besten Feedback- und Evaluations-Formen, einschließlich der Selbst-Evaluation durch die Lernenden, für den Französischunterricht?
Die wichtigste wissenschaftliche Disziplin, die sich mit solchen Fragen beschäftigt, ist die Fremdsprachendidaktik. Seit einigen Jahrzehnten bietet sie Antworten auf obige Fragen an, die nicht länger (nur) auf Expertenmeinungen beruhen, sondern durch empirische Forschungsergebnisse belegt sind.
Die Fremdsprachendidaktik ist eine mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen in institutionellen, primär in schulischen Kontexten befasste Wissenschaftsdisziplin. Fremdsprachendidaktik ist nicht als Fachdidaktik oder ein Konglomerat mehrerer Fachdidaktiken zu verstehen, sondern als eine Ebene zwischen den Fachdidaktiken der einzelnen Fremdsprachen, bezogen auf gemeinsame Zielsetzungen, Inhalte und Methoden einer Gruppe von benachbarten fremdsprachendidaktischen Einzeldisziplinen. (Doff 22017: 90)
Wie alle Fachdidaktiken ist auch die Fremdsprachendidaktik jüngerer Prägung eine angewandte Wissenschaft, die auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse begründete Empfehlungen für die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts gibt. Der von Sabine Doff angesprochene institutionelle Kontext reicht auch beim Lehren und Lernen der französischen Sprache inzwischen von der Primarstufe über die Sekundarstufe I und II und schließt berufliche Kontexte sowie die Erwachsenenbildung ein (vgl. Kap. 15). Neuere Entwicklungen in den deutschsprachigen und den meisten europäischen Ländern fokussieren auf Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität, d. h. auf die Verbindung zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen unter ausdrücklichem Einschluss der Sprachen von Migranten (vgl. Kap. 9). Ein weiteres wichtiges Forschungs- und Anwendungsfeld ist die Nutzung elektronischer Medien für das Erlernen fremder Sprachen auf der Grundlage einer konstruktiv-kritischen Einstellung zur Digitalisierung und einem zweckmäßigen Engagement im Hinblick auf KI.
In den letzten drei Jahrzehnten haben sich die Forschungsinteressen der Fremdsprachendidaktik und die damit verbundenen Vorschläge für die Unterrichtspraxis deutlich gewandelt. Die bis in die 1970er Jahre vorherrschende Sicht ging von der Überzeugung aus, dass die möglichst genaue Analyse der Fremdsprache und die Vermittlung sprachbezogener Phänomene für den Lernerfolg ausschlaggebend seien. Die strukturelle Linguistik (linguistique structurelle) analysierte Korpora gesprochener und geschriebener Sprache, um der Struktur der jeweiligen Fremdsprache auf die Spur zu kommen und daraus Empfehlungen für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen abzuleiten.
Diese Sichtweise wandelte sich mit dem Aufkommen des kommunikativen, auf Interaktion ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts grundlegend. Die Betrachtung der Sprache trat mehr und mehr in den Hintergrund, obwohl die sprachliche Analyse unter fachdidaktischen Gesichtspunkten nach wie vor ihre Berechtigung hat. In den Mittelpunkt des Interesses rückte der bis dahin vernachlässigte Fremdsprachenlerner. Sprachlerneignung und sonstige Voraussetzungen, Bedürfnisse und Interessen, individuelle Lernprozesse und nicht zuletzt die Beteiligung an der Gestaltung des Unterrichts waren und sind Gegenstand qualitativer und quantitativer Untersuchungen. Der angedeutete Wandel führte dazu, dass die Voraussetzungen und Sichtweisen der einzelnen Lehrkräfte selten Gegenstand der fremdsprachendidaktischen Forschung waren. Aber gerade in jüngerer Zeit stehen Lehrerinnen und Lehrer durch die größere Bedeutung von Fremdsprachenkenntnissen im Privatleben und im Beruf sowie aufgrund der zunehmenden Heterogenität der Lerngruppen vor großen Herausforderungen. Es bedarf also besonderer Anstrengungen der Fremdsprachendidaktik und weiterer Bezugswissenschaften im Hinblick auf die Lehrperspektive (vgl. Kap. 12–14).
Inzwischen ist die Fremdsprachendidaktik eine fest etablierte wissenschaftliche Disziplin, die neben den oben angeführten Bereichen auch für die Lehrerbildung, sowohl die Aus- als auch die Fort- und Weiterbildung, verantwortlich ist. Als das Lehramtsstudium nach dem Zweiten Weltkrieg an deutschen Hochschulen eingeführt wurde, war die Fremdsprachendidaktik noch ein Anhängsel der Literaturwissenschaft und vor allem der Linguistik. Nichtsdestoweniger gab es seit der Antike eine Reihe von fremdsprachendidaktischen Ansätzen, an denen sich die Lehrkräfte orientierten. Die bekannteste, häufig zitierte Vorgehensweise ist die sogenannte Grammatik-Übersetzungsmethode, die der traditionellen Methodologie zuzurechnen ist.
La Méthode Grammaire-Traduction est la plus vieille des méthodologies d’enseignement/ apprentissage des langues étrangères. Elle existait depuis la fin du XVIème siècle. Initialement elle était utilisée dans l’enseignement du grec et du latin. On croyait qualifier les apprenants pour la lecture, la compréhension et la traduction des textes anciens à l’aide d’une connaissance détaillée des règles grammaticales.
Quand les langues modernes étaient intégrées dans l’enseignement des écoles publiques pendant le 19ème siècle, les professeurs se trouvaient dépourvus d’une méthodologie adéquate. Ils essayaient donc d’adapter la Méthode Grammaire-Traduction à l’enseignement des langues vivantes. Les conséquences se font sentir jusqu’au présent. Visant seulement à la lecture et à la traduction, les compétences de l’écrit n’étaient pas suffisamment développées et les compétences orales étaient complètement négligées. De plus, la langue étrangère n’était pas utilisée pour le discours en classe; c’était la langue maternelle des élèves qui restait la langue d’enseignement.
Schon bald kritisierten bedeutende Wissenschaftler diese Vorgehensweisen im sogenannten neusprachlichen Unterricht, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum festen Bestandteil der gymnasialen Curricula wurde. Der Hauptvertreter der Neusprachlichen Reformbewegung, Wilhelm Vietor (1850–1918), wandte sich vehement gegen Methoden, die eindeutig am altsprachlichen Unterricht orientiert waren. In einem Pamphlet mit dem Titel Der Fremdsprachenunterricht muss umkehren, das erstmals 1882 veröffentlicht wurde, forderte er zwei wesentliche Veränderungen am neusprachlichen Unterricht: Statt Lesen und Schreiben in den Mittelpunkt des Lehrens und Lernens zu stellen, sollte das Schwergewicht auf der Ausbildung mündlicher Kompetenzen, einschließlich der Phonetik, liegen. Eng verbunden mit dem Fokus auf Hören und Sprechen war Vietors Forderung, im Unterricht ausschließlich die Fremdsprache zu verwenden. Er propagierte damit eine Methode, die den direkten Umgang mit der Zielsprache in den Vordergrund rückte (vgl. De Florio-Hansen 1996).
Vers les années 1900 la Méthode Directe est née en opposition à la méthodologie traditionnelle. C’est la première méthode spécifique à l’enseignement des langues vivantes étrangères. Elle est basée sur la pratique orale en évitant l’usage de la langue maternelle en classe. Cette nouvelle méthode soulignait l’importance de la langue étrangère comme instrument de communication. Comme ça, la Méthode Directe tenait compte des besoins et des intérêts des apprenants (cf. Puren 1998: passim).
In den 1950er und 1960er Jahren bewirkten gesellschaftliche Veränderungen einen Wandel in der Bildungspolitik. Durch das Hamburger Abkommen von 1964 wurde das Erlernen mindestens einer Fremdsprache, meist Englisch, auf alle Schultypen ausgedehnt. Diese an sich begrüßenswerte Entwicklung brachte für einen Teil der Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer eine erhebliche Umstellung mit sich, galt es doch jetzt Schülerpopulationen für das Fremdsprachenlernen zu gewinnen, die wenig Interesse daran zeigten und sich größtenteils davon überfordert fühlten. Die neuen Herausforderungen verlangten nach neuen Ansätzen und Methoden. Sie waren häufig vom Behaviorismus, einer systemischen Sicht auf menschliches (und tierisches) Verhalten, geprägt.
Behavioristen sind der Überzeugung, dass jegliches Verhalten die Antwort auf einen Stimulus darstellt. Diese besondere psychologische Betrachtungsweise wurde auch auf den schulischen Kontext übertragen. Danach kommen die erwünschten Lernergebnisse, der sogenannte Outcome, ausschließlich durch Verstärkung, meist in Form von Lob, sowie durch Bestrafung zustande. Der Behaviorismus, der in den 1930er Jahren hauptsächlich von Burrhus Frederic Skinner vertreten wurde, unterstreicht die Wichtigkeit von Kontextfaktoren in Form von Wiederholung und Drill. Diese Überbetonung führt zu einer prinzipiellen Vernachlässigung der Persönlichkeit der individuellen Lernenden. Zwei bekannte, einander ähnelnde Methoden, die dem Behaviorismus zugerechnet werden, sind die aus den USA stammende Audiolinguale Methode und die in Europa vorherrschende Audiovisuelle Methode.
La Méthode Audio-Orale et la Méthode Audio-Visuelle sont des méthodologies behavioristes semblables qui dérivent de la Méthode Directe propagée et appliquée par Vietor. La Méthode Audio Orale est appelée aussi Army Method dû au fait que cette approche était très répandue dans les États-Unis pour préparer les soldats au service dans le monde entier. La Méthode Audio-Orale souligne l’importance de la compréhension orale tandis que la Méthode Audio-Visuelle ajoute un stimulus visuel comme point de départ.
Les stratégies et techniques des deux méthodologies se basent sur la mémorisation et le drill comme dans l’exemple suivant :
Enseignant : Il y a un stylo sur la table. Répétez.
Apprenants : Il y a un stylo sur la table.
Enseignant : une feuille de papier
Apprenants : Il y a une feuille de papier sur la table.
Enseignant : livre
Apprenants : Il y a un livre sur la table.
Enseignant : dans les étagères
Apprenants : Il y a un livre dans les étagères.
Ces deux approches contrastaient avec l`enseignement communicatif des langues étrangères. La Méthode Audio-Orale et la Méthode Audio-Visuelle négligeaient les compétences de lire et d’écrire et ne tenaient pas compte du sens des exemples. De plus, ces deux méthodes étaient dominées par l’enseignant. Elles perdaient leur popularité pendant les années 1950 et 1960 quand des linguistes liés au cognitivisme, un ensemble de théories portant sur les processus d’acquisition des connaissances, comme Noam Chomsky(1959) mettaient en doute les fondements scientifiques du behaviorisme.
Die Fremdsprachendidaktik hat ihren gegenwärtigen Status als anerkannte Wissenschaftsdisziplin, welche Theorie und Praxis des Fremdsprachenlernens mit klar definierten Forschungsinteressen und angemessenen wissenschaftlichen Methoden untersucht und beschreibt, vor allem der Sprachlehrforschung, genauer der Sprachlehr- und -lernforschung, zu verdanken. Diese, ebenfalls mit dem Lehren und Lernen fremder Sprachen befasste Disziplin war in den 1970er Jahren entstanden und erreichte ihre größte Verbreitung um 1990.
Im Kern stellt die Entstehung der Sprachlehrforschung eine wissenschaftsgeschichtlich notwendige Antwort auf jene Disziplinen dar, welche aufgrund ihrer eigenständigen Erkenntnisinteressen und Methoden nur Teilkonzepte für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen liefern konnten (vgl. Kap. 2 bis 4). „Vor diesem Hintergrund verfolgt die Sprachlehrforschung das übergeordnete Ziel, die begründete Konsolidierung bzw. Veränderung konkreter Formen des Lehrens und Lernens fremder Sprachen zu bewirken“ (Bausch et al. 42003: 3–4).
Die wichtigsten Ziele der Sprachlehrforschung, welche die Fremdsprachendidaktik maßgeblich beeinflusst haben, betreffen die bereits in Abschnitt 2.1 angesprochenen Bereiche:
1. Der Fokus auf dem individuellen Lernenden wird verstärkt. Als relevant erachtet die Sprachlehrforschung in diesem Zusammenhang die Interlanguage (interlangue). Damit ist der Lernstand oder besser das Fertigkeits- und Fähigkeitsniveau gemeint, welches ein Fremdsprachenlerner zu einem bestimmten Zeitpunkt im Vergleich zu seiner Muttersprache sowie, im Fall des Französischen, im Vergleich zur ersten Fremdsprache Englisch erreicht hat. Hinzu kommen die subjektiven Theorien der Lernenden (sowie diejenigen der Lehrpersonen; De Florio-Hansen 1998).
2. Es erfolgt eine sorgfältige Analyse der zahlreichen Faktoren, welche auf verschiedene Art und Weise und in unterschiedlichem Ausmaß den Lehr- und Lernkontext beeinflussen. Dieses Zusammenspiel bezeichnet die Sprachlehrforschung als Faktorenkomplexion, die ihrer Auffassung nach eine entscheidende Rolle bei der Planung und Durchführung des Unterrichts spielt.
3. In strengem Kontrast zu den system-orientierten Modellen der strukturellen Linguistik befürworten die Vertreter der Sprachlehrforschung eine besondere Form der Grammatik für die Hand der Lernenden. Diese sogenannte pädagogische Grammatik berücksichtigt vor allem auch die Pragmatik, also den Einfluss des Kontextes auf die Bedeutung.
4. Während die Fremdsprachendidaktik sich zur damaligen Zeit noch ausschließlich auf den schulischen Kontext bezog, betonte die Sprachlehrforschung Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen natürlichem und institutionellem Fremdsprachenlernen und bezog auch die altersabhängigen Lernbiographien erwachsener Fremdsprachenlerner ein.
5. Im Gegensatz zur Fremdsprachendidaktik, die sich vornehmlich auf Expertenmeinungen stützte, forderten Vertreter der Sprachlehrforschung wie Karl-Richard Bausch (vgl. Bausch et al. 1981, 1984) einen empirisch ausgerichteten wissenschaftlichen Ansatz. Um den verschiedenen Lernkontexten, den vielfältigen Einflüssen und vor allem den Charakteristika der individuellen Fremdsprachenlerner gerecht zu werden, wurden kontinuierlich empirische, auch experimentelle, Forschungsmethoden in die Betrachtung des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen einbezogen.
Nach und nach begannen die Vertreter der Fremdsprachendidaktik sich an Zielen und Methoden der Sprachlehrforschung zu orientieren.
Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung haben sich bis heute weitgehend angenähert. Hierfür waren gemeinsame Diskussionen, z. B. im Rahmen der Frühjahrskonferenzen zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, und vielfältige Aktivitäten, z. B. durch die Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung initiierte Kongresse und die Gründung der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung, wichtige Beiträge. (Bausch et al. 62016: 6)
Für die aus den unterschiedlichen Bemühungen hervorgegangene Disziplin wird inzwischen meist der Terminus Fremdsprachendidaktik verwendet. Unter dem Einfluss der Sprachlehrforschung hat sich die Fremdsprachendidaktik zu einer Wissenschaftsdisziplin weiterentwickelt, welche (fast) alle am Unterricht beteiligten Faktoren erforscht, beschreibt und interpretiert.
Fremdsprachendidaktik (älterer Prägung) Sprachlehr- und -lernforschung
Fremdsprachendidaktik (neuerer Prägung)
Wie oben angesprochen, ist die Didaktik einer Fremdsprache eine eigenständige Disziplin, die sich zwar an den Erkenntnissen und Empfehlungen der Fremdsprachendidaktik orientiert, aber zahlreiche spezifische Züge aufweist. Das gilt selbstverständlich auch für die Französischdidaktik. Allgemeine Ratschläge, wie z. B. die Übertragung von Verantwortung auf die Lernenden oder Hinweise zur Mediation, der Übertragung aus der Zielsprache in die Muttersprache und umgekehrt, sind für die jeweilige Fremdsprache zu konkretisieren. Sie gestalten sich im Französischunterricht anders als beispielsweise im Englisch- oder Spanischunterricht.
Generell unterscheidet sich der Französischunterricht im deutschsprachigen Raum deutlich vom Englischunterricht. Das ist u. a. darauf zurückzuführen, dass das Englische andere Sprachen zurückgedrängt hat und inzwischen in internationaler Kommunikationallgegenwärtig ist. Daher wird die von der Sprachenpolitik der Europäischen Union verbreitete Formel 1+2, Muttersprache und zwei Fremdsprachen, so ausgelegt, dass alle EU-Bürger neben ihrer Muttersprache unabdingbar Englisch und nach Wahl eine „Nachbarsprache“ beherrschen bzw. erlernen sollen.
Inzwischen hat sich Englisch zu einer Lingua franca (lingua franca/langue véhiculaire) entwickelt, denn es wird als Sekundär- und Verkehrssprache zwischen Sprechern unterschiedlicher Sprachgemeinschaften verwendet. Das hat zu Veränderungen und Vereinfachungen geführt, die Rückwirkungen auf britisches und amerikanisches Englisch haben. Diese kurz angesprochene Entwicklung hat dazu geführt, dass Verstöße gegen die Sprachnorm im Englischen nicht in der Weise negativ belegt werden wie im Französischen, das von der Académie française reglementiert wird. Bekanntlich ist es das Ziel dieser seit Jahrhunderten existierenden Gelehrtengemeinschaft, die „Vereinheitlichung und Pflege der französischen Sprache“ voranzubringen.
Außer den Besonderheiten der jeweiligen Fremdsprache spielen auch die Muttersprache(n) der Schülerinnen und Schüler eine wichtige Rolle. Mit anderen Worten: Lehren und Lernen der Fremdsprache Französisch unterliegt im deutschsprachigen Raum anderen Bedingungen als der Französischunterricht in England oder den USA. Daher sind die Hinweise der didactique du fle nur bedingt hilfreich. Sie unterstreichen zwar die Unterschiede zwischen Französisch als Muttersprache, als Zweitsprache und als Fremdsprache, geben aber für den Französischunterricht in einem bestimmten Land keine konkreten Hinweise. Das sieht man an den allgemein gehaltenen Formulierungen wie z. B. im Cours de didactique du français langue étrangère et seconde von Jean-Pierre Cuq und Isabelle Gruca (2002: 94):
Le français est donc une langue étrangère pour tous ceux qui, ne le reconnaissant pas comme langue maternelle, entrent dans un processus plus ou moins volontaire d’appropriation, et pour tous ceux qui, qu’ils le reconnaissent ou non comme langue maternelle, en font l’objet d’un enseignement à des parleurs non natifs. C’est la prise de conscience de cette différenciation qui devait donner naissance, dans les années soixante, aux deux champs disciplinaires de la didactique du français langue maternelle (DFLM) et du français langue étrangère (DFLE).
Dieses Zitat weist eher indirekt auf zwei weitere Besonderheiten der Fachdidaktik Französisch hin. Es ist ein Unterschied, ob man Französisch freiwillig lernt und ob der Unterricht in einem institutionellen Kontext oder außerhalb eines solchen stattfindet. Mit anderen Worten: Das Erlernen der Fremdsprache Französisch im schulischen Kontext zeichnet sich durch besondere Charakteristika aus, die bedacht werden müssen. Dabei ist auch die Stellung des Französischen im Fremdsprachencurriculum des jeweiligen Bundeslandes und der jeweiligen Schule zu berücksichtigen (vgl. Kap. 1.3).
Die Flexibilität einer Lehrperson, die Französisch als Fremdsprache unterrichtet, macht Michel Billières, Professor (i. R.) für Französisch als Fremdsprache an der Universität Toulouse, auf seinem seit wenigen Jahren existierenden Blog Au son du fle an folgenden Lehr- und Lernstrategien fest:
de ne pas être dépendant d’un type particulier de méthodologie,
de varier considérablement la façon de faire ses cours,
de s’adapter plus souplement à des publics d’apprenants de cultures différentes,
de proposer une progression plus souple et plus diversifiée.
https://www.verbotonale-phonetique.com/methodologie-et-linguistique/ (letzter Zugriff Juli 2018)
Neben zahlreichen Detailfragen, die im Verlauf dieser Einführung angesprochen und erläutert sowie durch Unterrichtsbeispiele illustriert werden, besteht ein wesentliches Kennzeichen einer Fremdsprache darin, wie stark sie sich von der Muttersprache der Lernenden unterscheidet. Es ist etwas anderes für deutschsprachige Schülerinnen und Schüler die Fremdsprache Englisch bzw. die Fremdsprache Französisch zu erlernen.
Nach Lutz Küster, der die wichtigsten Spezifika des Französischen umreißt, sind fürdeutschsprachige Lernende einige Aussprachemerkmale wie die Nasale oder die Unterscheidung des stimmhaften und stimmlosen Konsonanten ‚s‘ zunächst ungewohnt. Auch die französische Orthographie stellt Lernanfängerinnen und -anfänger vor besondere Herausforderungen. Als lernerleichternd erachtet Küster demgegenüber die Kenntnisse der meist zuvor gelernten Fremdsprache Englisch aufgrund gemeinsamer lateinischer Wurzeln. Die Tatsache, dass das Französische im Hinblick auf die Grammatik komplexer strukturiert ist, führte lange Zeit zu einer stark grammatikalischen Ausrichtung der Unterrichtspraxis. „Heute hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass der Grammatik eine dienende Funktion für den Kompetenzerwerb zukommt und dass diese eingebettet in chunks mit dem lexikalischen Lernen verknüpft sein sollte“ (Küster 22017: 89).
Wie Französischlehrerinnen und -lehrer diesen Schwierigkeiten begegnen können und wie man das wichtige Lernen in chunks, d.h. in kleinen Blöcken sprachlicher Information, sinnvoll gestalten kann, wird im unterrichtspraktischen Teil 2 in mehreren Kapiteln ausführlich behandelt.
Die besondere Ausprägung des Französischunterrichts beruht aber keineswegs nur auf sprachlichen Kriterien. Dazu schreibt Billières (ibid.): « La didactique [du fle] signifie l’enseignement de la langue mais également de la culture. Son importance est soulignée dans la conception du plurilinguisme prônée dans le Cadre commun de référence pour les langues. » (vgl. Kap. 9)
Dabei geht es nicht nur darum, den Schülerinnen und Schülern die vielfältigen Aspekte französischer Kulturen näherzubringen. Dann würde sich der landeskundlich ausgerichtete Anteil des Französischunterrichts weltweit kaum unterscheiden. Zu beachten ist vielmehr, auf welche kulturellen Prägungen der Lernenden im deutschsprachigen Raum die Informationen treffen. Inzwischen sind die Fremdsprachendidaktik und folglich auch die Fachdidaktik Französisch über einfache Gegenüberstellungen hinaus. Beim Inter- bzw. Transkulturellen Lernen geht es vielmehr darum, in welcher Weise die unterschiedlichen kulturellen Aspekte für die Ausbildung der Persönlichkeit des individuellen Fremdsprachenlerners genutzt werden können und vor allem, wie er in persönlichen Kontakten mit französischen Muttersprachlern damit umgehen sollte (vgl. Kap. 16).
Exemple de cours: Reconnaître les clichés et les stéréotypes
Das folgende Unterrichtsbeispiel entstammt einer Unterrichtseinheit (B1+/B2, 5. Lernjahr) mit dem Titel: Clichés, stéréotypes et préjugés (vgl. De Florio-Hansen 2017: 166; Hinweise, Anregungen, Lösungen: 169; das Arbeitsblatt steht im Download zur Verfügung unter
www.ibidem.eu/downloads/1290_kap_2.docx).
Zusammenfassung
Die besondere Bedeutung der Fremdsprachendidaktik besteht darin, dass diese Wissenschaftsdisziplin sämtliche Aspekte des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen einschließlich der Lehrerbildung beschreibt, untersucht und interpretiert, während andere Nachbardisziplinen und Bezugswissenschaften sich auf Teilaspekte beschränken.
Die Fremdsprachendidaktik ist eine angewandte Wissenschaft. Sie ist nicht mit den Didaktiken einzelner Fremdsprachen gleichzusetzen, sondern bildet eine Ebene zwischen einer Fachdidaktik mit spezifischen Ausprägungen und den allgemeinen Zielen, Inhalten und Methoden des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen.
Während die Fremdsprachendidaktik älterer Prägung von der Literaturwissenschaft und vor allem der strukturellen Linguistik abhängig war, hat sie sich unter dem Einfluss der Sprachlehr- und -lernforschung zwischen 1970 und 1990 zu einer eigenständigen Wissenschaft entwickelt.
Durch den Einfluss der Sprachlehrforschung ist die Fremdsprachendidaktik nicht länger von Expertenmeinungen dominiert, sondern untersucht die Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern, das Zusammenspiel verschiedener Faktoren und angemessene linguistische Konzepte wie die grammaire pédagogique mit empirisch-qualitativen sowie mehr und mehr auch mit empirisch-quantitativen Forschungsmethoden.
Während alle Fachdidaktiken mit der Forderung nach Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität sowie der hinreichenden Berücksichtigung der Digitalisierung konfrontiert sind, steht die Fachdidaktik Französisch im Kontext deutscher Schulen vor allem in Kontrast zur ersten Fremdsprache Englisch. Außerdem müssen die muttersprachlichen und kulturellen Prägungen der heterogenen Schülerschaft bedacht werden. Besonders wichtig sind darüber hinaus die Spezifika der französischen Sprache und ihrer Kulturen, welche Lehrpersonen je nach Persönlichkeit und (pädagogischen) Überzeugungen unterschiedlich und gleichwohl erfolgreich in der Praxis umsetzen können. Dabei ist die didactique du fle nur bedingt hilfreich. Sie folgt zwar den einschlägigen internationalen Ausrichtungen, bezieht die genannten Spezifika jedoch nicht auf einen konkreten Lehr- und Lernkontext.
Révision, Réflexion, Pratique
Was macht die Fremdsprachendidaktik zu einer wissenschaftlichen Disziplin?
Worin bestehen die beiden Hauptunterschiede zwischen der von Vietor eingeführten und praktizierten Direkten Methode und vorausgegangenen Ansätzen?
Warum wurde in den 1960er Jahre das Erlernen mindestens einer Fremdsprache für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich?
Welches sind die wesentlichen Charakteristika des Behaviorismus?
Warum ist die Automatisierung von Aussprachephänomen, grammatischen Strukturen und Wortschatz durch Drill ein legitimes Anliegen?
Nennen Sie konkrete französische Beispiele für den pattern drill?
Was bedeutet Interlanguage?
Wodurch hat die Sprachlehrforschung zur Weiterentwicklung der Fremdsprachendidaktik beigetragen?
Vor welchen besonderen Herausforderungen steht die Fachdidaktik Französisch? Nennen Sie bitte mindestens drei Aspekte.
Worin besteht die Bedeutung der didactique du fle für den Französischunterricht im deutschsprachigen Raum?
Lektüreempfehlungen
Sucht man nach näheren Informationen zu wichtigen Begriffen und zu Verbindungen zwischen einzelnen Bereichen der Fremdsprachendidaktik bietet es sich an, eine einschlägige Enzyklopädie zu konsultieren, wie z. B.:
Surkamp, Carola. ed. 22017. Metzler Lexikon der Fremdsprachendidaktik. Ansätze – Methoden – Grundbegriffe. Stuttgart & Weimar: Metzler.
Im Unterschied zu anderen Lexika und Übersichtsbänden sind die Einträge im Metzler Lexikon in alphabetischer Reihenfolge angeordnet. Das vereinfacht das Nachschlagen im Vergleich zu Publikationen, in denen die Eintragungen nach Inhaltsgesichtspunkten gegliedert sind. Gleichwohl gibt es auch im Metzler Lexikon eine systematische Auflistung der Einträge. Sie ist in Bezugswissenschaften und Teilbereiche; Ansätze und Konzepte; Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen; Methoden, Materialien und Medien sowie bildungspolitische und institutionelle Rahmenbedingungen gegliedert und gibt außerdem einen Überblick über Grundbegriffe (Surkamp 22017: 347–348).
Kurze Überblicke über die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts findet man bei:
Christ, Herbert. 2010. „Geschichte des Fremdsprachenunterrichts“, in: Hallet, Wolfgang & Königs, Frank G. edd. Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer, 17–22.
Cillia, Rudolf de & Klippel, Friederike. 62016. „Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in den deutschsprachigen Ländern seit 1945“, in: Bausch, Karl-Richard et al. edd. Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke (UTB), 625–631.
Während die meisten französischen Einführungen und Lexika zwar Französisch als Fremdsprache im Titel führen (z. B. Cuq 2003), gibt es keinen Eintrag zum Stichwort français langue étrangère. Eine Ausnahme bildet die Publikation von Robert, die auch als Einführung die französische Terminologie dienen kann:
Robert, Jean-Pierre. 2002. Dictionnaire pratique de didactique du fle. Paris: Éditions OPHRYS.
Gute Einblicke in den aktuellen Stand der didactique du fle gewinnt man durch den Blog von Michel Billières (Universität Toulouse). Besonders informativ unter seinen zahlreichen Beiträgen ist der ca. 6seitige Blogeintrag mit dem Titel:
Didactique, méthodologie et linguistique appliquée en fle (2018)
Der Blogbeitrag besteht aus folgenden Teilen:
La didactique, un terme difficile à circonscrire.
La didactique du fle: présentation de la problématique.
La méthodologie au cœur de la didactique.
Le fle et la didactique des langues et des cultures.
Pourquoi parler de linguistique appliquée en didactique du fle aujourd’hui?
https://www.verbotonale-phonetique.com/methodologie-et-linguistique/ (letzter Zugriff Juli 2018)
Michel Billières hat parallel zu seinem Blog Au son du fle auch zahlreiche, ca. 15minütige Videobeiträge bei YouTube eingestellt. Zwei dieser Videos aus 2017, in denen sich Billières zu Aussprache-Problemen äußert, sind beachtenswert:
Pourquoi acquérir une bonne prononciation en langue étrangère est si difficile
Enseigner la prononciation du français
https://www.youtube.com/channel/UC0YdARyLK8olANZiPqEVfaQ (letzter Zugriff Juli 2018)
Kap. 3
Einflüsse der Bezugswissenschaften auf die Lernprozesse
Influences des sciences de référence sur les processus d’apprentissage
3.1 Angewandte Linguistik und Zweitspracherwerbsforschung
3.2 Allgemeine Didaktik und fremdsprachliche Bildung
3.3 Einflüsse der Bezugswissenschaften auf die Lernprozesse
3.4 Neurowissenschaften
Zunächst werfen wir einen kurzen Blick auf die Angewandte Linguistik und die Zweitspracherwerbsforschung, die in den meisten Ländern und Sprachgemeinschaften als hauptsächliche Bezugsdisziplinen für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen gelten (3.1). Da Fremdsprachenunterricht über die Vermittlung kommunikativer Kompetenz bzw. Interkultureller Diskursfähigkeit hinausgeht, wird im Folgenden (3.2) der Zusammenhang zwischen der Allgemeinen Didaktik und fremdsprachlicher Bildung aufgezeigt. In einem größeren Abschnitt (3.3) geht es um die Einflüsse wichtiger Bezugsdisziplinen wie Kognitivismus, Konstruktivismus und Konnektionismus auf das fremdsprachliche Lernen Den Abschluss bildet eine kritische Betrachtung der bisherigen Ergebnisse der Hirnforschung, die denen der Lehr-Lern-Forschung gegenübergestellt werden (3.4).
In den folgenden drei Kapiteln geht es um wissenschaftliche Erkenntnisse und Hypothesen, welche die Fremdsprachendidaktik in irgendeiner Form beeinflusst haben bzw. deren Einfluss hilfreich sein kann. Meist entstammen sie benachbarten Disziplinen, welche als Bezugswissenschaften bezeichnet werden.
Es gab immer wieder Versuche, die sogenannten Bezugswissenschaften zu kategorisieren. Ein Versuch stammt von Andreas Digeser (zuerst 1983). Er nennt die Allgemeine Didaktik; die Erziehungswissenschaft, die Allgemeine Pädagogik und die Schulpädagogik; die Pädagogische Psychologie; die Lerntheorie, die Bildungstheorie; die Deskriptive Linguistik; die Angewandte Linguistik; die Soziolinguistik (auch Soziologie), die Literaturwissenschaft und die Textwissenschaft sowie die Kulturwissenschaft (früher Landeskunde), Politikwissenschaft und Geschichte. Die Bezugswissenschaften der Pädagogik und Didaktik sind weiter gefasst und beziehen u. a. auch Erkenntnisse der Biologie, der Ethnologie und der Philosophie ein. In dieser weiteren Perspektive wird die Pädagogische Psychologie als Subdisziplin der Pädagogik bezeichnet.
Da die Bezüge ganz unterschiedlicher Natur sind, würde man am besten von Nachbardisziplinen sprechen, zumal in jüngster Zeit durch den Beitrag der elektronischen Technologien neue Wissenschaftsfelder im Entstehen sind. Dennoch wird in dieser Einführung in die Fachdidaktik Französisch der Terminus Bezugswissenschaften (sciences de référence) beibehalten in der Hoffnung, dass sich das Begriffsverständnis unter dem Einfluss neuerer und neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse erweitert. Bezugswissenschaften sind im Folgenden alle benachbarten Disziplinen, deren Forschungsergebnisse in irgendeiner Form für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen richtungsweisend sind oder sein können.
In den meisten Ländern und Sprachgemeinschaften gibt es keine Disziplin wie die Fremdsprachendidaktik, die sich ausschließlich mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen beschäftigt. Häufig wird das Fremdsprachenlernen als Teilbereich der Angewandten Linguistik (linguistique appliquée) betrachtet. Auch im deutschsprachigen Raum trägt diese Disziplin partiell zur Verbesserung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen bei (vgl. Kap. 5.1). Sie greift Hypothesen und Erkenntnisse aus der Psychologie, der Kommunikationsforschung, der Anthropologie und der Soziologie auf und wendet sie auf so unterschiedliche Felder wie den Schrifterwerb, die Werbekommunikation, die Gesprächsberatung und die klinische Behandlung von Sprachstörungen an.
In seiner umfangreichen Einführung in die Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch widmet der Herausgeber Karlfried Knapp (2004) eines der acht Kapitel dem Fremdsprachenlernen. Dieses Kapitel mit dem Titel Mehrsprachig kommunizieren umfasst drei größere Abschnitte, einen zum Fremdsprachenunterricht (367–386), den zweiten zum Deutschen als Fremdsprache (387–408) und den dritten zur Interkulturellen Kommunikation (409–430). Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt, dass in diesen drei Abschnitten überwiegend sprachliche Aspekte thematisiert werden. Die darüber hinausweisenden Bereiche werden aus linguistischem Blickwinkel betrachtet, z. B. Zur linguistischen Konzeption von ‚interkultureller Kommunikation‘ (411–415).
Ohne Zweifel profitiert die Fremdsprachendidaktik von den Erkenntnissen der Angewandten Linguistik. Letztere deckt aber, wie bereits erwähnt, nur Teilbereiche des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen ab, setzt sie kaum zueinander in Beziehung und verbindet sie nicht mit anderen wichtigen Aspekten. Dennoch wird die Angewandte Linguistik im englischsprachigen Raum neben der Zweitspracherwerbsforschung (acquisition d’une langue seconde) als wichtige Bezugsdisziplin für sprachliches Lernen angesehen.
Auch in Frankreich ist die Angewandte Linguistik im Zusammenhang mit der didactique du fle weiterhin von Bedeutung. Das hängt möglicherweise mit der dominanten Rolle zusammen, welche die Linguistik in den 1950er Jahren bei der Erstellung des Français fondamental gespielt hat. Jean-Pierre Cuq bezeichnet das Français fondamental als « Vocabulaire et grammaire d’initiation du français langue étrangère réalisé par le CREDIF [Centre de recherche et d’étude pour la diffusion du français] entre 1952 et 1954 » (Cuq 2003: 107–108).
In den 1970er Jahren hat diese Auflistung von Wörtern und grammatischen Hinweisen aufgrund neuer didaktischer Zugänge zum Fremdsprachenunterricht ihre Bedeutung verloren. Versuche, das Français fondamental wieder aufleben zu lassen, sind bisher ohne Ergebnis geblieben.
Auch der in Kapitel 2 erwähnte Experte für Französisch als Fremdsprache, Michel Billières, überschreibt den letzten Teil seines Blogeintrags Didactique, méthodologie et linguistique appliquée en fle (2018, vgl. Lektüreempfehlungen Kap. 2) mit der Frage: « Pourquoi parler de linguistique appliquée en didactique du fle aujourd’hui ? » Während die Fremdsprachendidaktik im deutschsprachigen Raum als autonomer Wissenschaftsbereich betrachtet wird, trifft das nach Billières auf die didactique du fle nicht zu: « Elle est au carrefour d’un ensemble de disciplines dites de référence ou encore contributoires ». Er empfindet die Angewandte Linguistik auch heute noch als Sammelbecken verschiedener Bezugswissenschaften und ihrer Implementation in der Unterrichtspraxis. Unerlässlich ist sie seiner Ansicht nach für die Lehrerbildung. Im deutschsprachigen Raum hingegen werden alle diese Bereiche von der Fremdsprachendidaktik abgedeckt.
Wie oben angedeutet spielt in englischsprachigen Ländern, vor allem in den USA, neben der Angewandten Linguistik die Zweitspracherwerbsforschung eine bedeutende Rolle. In den Vereinigten Staaten von Amerika ist dies vornehmlich dadurch zu erklären, dass der Fremdsprachenunterricht dort nicht die gleiche Verbreitung hat wie in den meisten nicht englischsprachigen Ländern. In amerikanischen Schulen geht es vornehmlich darum, Kinder und Jugendliche, die Englisch nicht als Muttersprache sprechen, im Rahmen des regulären Unterrichts zum Gebrauch des Englischen zu führen. Es handelt sich um eine Spielart des bilingualen Unterrichts. Der Zweitspracherwerb der English language learners (ELL) in seiner speziellen Ausprägung beherrscht Forschung und Praxis. Claire Kramsch – sie war, obgleich französischen Ursprungs, jahrelang Professorin für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Berkeley – vertritt in ihren Publikationen die Meinung, die Zweitspracherwerbsforschung weise zu viele Besonderheiten und Einschränkungen auf, um auch für das Fremdsprachenlernen gültig zu sein. Sie optiert daher für die Angewandte Linguistik als interdisziplinäre, übergeordnete Disziplin, die am ehesten zwischen der Theorie und der Praxis des Spracherwerbs und -gebrauchs vermittelt (Kramsch 2000: 311).
Vor der Auseinandersetzung mit dem Einfluss verschiedener Bezugswissenschaften auf fremdsprachliche Lernprozesse im institutionellen, genauer im schulischen Kontext, sei an die bereits angedeutete Feststellung erinnert, dass der Erwerb von Kommunikativer Kompetenz oder von weiterführender Interkultureller Diskursfähigkeit im Fremdsprachenunterricht zwar eine herausragende Rolle spielt, aber keineswegs die übergeordnete, allgemeine Zielsetzung des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen ausmacht. Ohne Zweifel stellt die Weiterentwicklung von system-linguistisch oder literaturwissenschaftlich dominierten Ansätzen hin zu einer kommunikativen Ausrichtung einen großen Fortschritt dar. Die Fokussierung auf kommunikative Fertigkeiten und Fähigkeiten aufgrund vermehrter internationaler Kontakte, sei es face-to-face oder via Internet, hat selbstverständlich ihre Berechtigung. Schule und Unterricht sind jedoch über sprach- und kommunikationspraktische Ziele hinaus auf Erziehung und Bildung ausgerichtet. Es geht also auch um die Vermittlung fremdsprachlicher Bildung.
Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer haben die Aufgabe, den Schülerinnen und Schülern neue Perspektiven zu eröffnen, die über den konkreten Nutzen hinausweisen. Fremdsprachliches Lernen muss den Schülerinnen und Schülern einen Blick auf andere Kulturen, aber auch auf ihr eigenes Leben und ihr Selbst eröffnen. Folglich stellt fremdsprachliche Bildung die Lehrpersonen vor deutliche größere Herausforderungen als beispielsweise die Vermittlung des fremdsprachlichen Wortschatzes. Es geht um die Entfaltung der Persönlichkeit und die Ausformung einer fremdsprachlichen Identität. Diese Erweiterung der eigenen Identität umschreibt eine Lehrerin mit den Fächern Französisch, Italienisch und Latein wie folgt:
Fremdsprachenlernen entwickelt die Persönlichkeit in besonderer Weise, weil allein schon durch die Art und Weise, wie in anderen Sprachen Sachverhalte ausgedrückt werden, ein Perspektivwechsel erfolgt und der eigene Horizont erweitert wird. Hinzu kommen interkulturelle Erfahrungen (auch ohne Reisen oder echte Begegnungen – beispielsweise durch Literatur). Damit ermöglicht Fremdsprachenlernen eine befriedigendere Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs, etwa weil man im Internet zu aktuellen Themen auch in fremdsprachigen Zeitungen, Blogs etc. „stöbern“ kann. Fremdsprachenlernen fördert ‚Fremdverstehen‘ und damit das friedliche Zusammenleben der Menschen. (De Florio-Hansen 2015: 88–89)
Eine Berufsschullehrerin sieht den wichtigsten Nutzen des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen in dem Beitrag, den es zum Miteinander leistet:
In Deutschland selber haben wir doch viele Nationen hier, denen wir helfen sollten sich zurechtzufinden und das heißt auch deren Sprache wir sprechen sollten, um damit entsprechend beraten zu können; und das sehe ich gerade aus beruflicher Sicht, das betrifft die Amtshilfe, die Verwaltung, das betrifft aber auch die Empfehlung für Schulen und Möglichkeiten hier, Sprache, d. h. die Muttersprache von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, für das Erlernen der deutschen Sprache nutzen zu können. (De Florio-Hansen 2015: 89)
Da fremdsprachliche Bildung viele Facetten aufweist, dürfte es nicht schwierig sein, wichtige Einzelheiten in fremdsprachliche Lernarrangements einzubeziehen. Der Unterricht darf nicht auf ein Training von Fertigkeiten und Fähigkeiten hinauslaufen, ohne Einstellungen und Haltungen auszubilden, die für das Zusammenleben in multiethnischen und multikulturellen Gesellschaften unerlässlich sind (De Florio-Hansen 2015: 90).
Eine wissenschaftliche Disziplin, welche die oben angesprochenen Entwicklungen begünstigt, ist die Allgemeine Didaktik (didactique générale). Dabei handelt es sich um einen Teilbereich der Psychologie, der in den letzten Jahrzehnten von der Fremdsprachendidaktik stark vernachlässigt wurde. Die Allgemeine Didaktik beschäftigt sich mit Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens in einem übergreifenden, umfassenden Sinn. Da diese Disziplin nicht mit den Problemen eines bestimmten Fachs befasst ist, betrachtet sie Lehr- und Lern-Phänomene aus einer weiteren Perspektive.
Le fondement de la Didactique Générale est le trio des savoirs : le savoir, le savoir-faire et le savoir-être.Le savoir est l’ensemble des connaissances acquises par l’apprentissage ou l’expérience. Le savoir-faire concerne l’expérience pratique, c’est-à-dire savoir appliquer les connaissances. Le savoir-être se réfère à l’attitude et les valeurs se manifestant dans les qualités personnelles et comportementales. La Didactique générale mire à transformer les savoirs et les savoir-faire de certaines matières scolaires en savoir culturel général. L’éducation, pas seulement le simple entraînement, comprend des aspects de maturation culturelle et personnelle. Dans ce sens, l’étude d’une langue étrangère aide à développer une identité plus riche et à recentrer la propre personnalité, le soi. De plus, la didactique générale met l’accent sur une meilleure compréhension des autres, même ceux de la propre langue et surtout ceux des langues migratoires.
Schon seit Jahrzehnten spielt derBehaviorismus für das Lehren und Lernen keine Rolle mehr. Längst hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass Lehr- und Lernprozesse, also auch das Fremdsprachenlernen, nicht durch das sogenannten Black Box Model (méthode de la boîte noire) erklärt werden können, welches Einblicke ins Gehirn nicht beachtet. Anstelle von Konditionierung sind kognitive Aspekte des Wahrnehmens, Denkens und Erkennens entscheidend. Sie müssen bei der Planung, Durchführung und Evaluation von Unterricht hinreichend berücksichtigt werden. Der Übergang von behavioristischen zu kognitiven und konstruktivistischen Lerntheorien wurde vor allem durch wissenschaftliche Erkenntnisse der Pädagogischen Psychologie(psychopédagogie), eines Teilbereichs der Psychologie, begünstigt.
Die Pädagogische Psychologie ist eine Angewandte Disziplin