Fairies 2: Amethystviolett - Stefanie Diem - E-Book

Fairies 2: Amethystviolett E-Book

Stefanie Diem

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Beschreibung

**Es wird dunkel in der Welt der Fairies …** Endlich steht Sophies Verwandlung in eine vollwertige Fairy kurz bevor. Nun ist sie nur noch wenige Tage und mühsame Prüfungen davon entfernt, zu einem der schönsten und reinsten Wesen des Universums zu werden. Doch dann geschieht etwas, womit niemand gerechnet hätte. Ein unvorhergesehenes Ereignis zwingt sie dazu, alles aufzugeben und die Flucht zu ergreifen. Während der Feenwelt ernsthafte Gefahr droht, erfährt Sophie, dass nur sie die Gabe besitzt, den über die Fairies gelegten Fluch abzuwenden. Aber wird sie dabei auch sich selbst und ihre große Liebe retten können? //Alle Bände der zauberhaften Feen-Reihe: -- Fairies 1: Kristallblau  -- Fairies 2: Amethystviolett  -- Fairies 3: Diamantweiß  -- Fairies 4: Opalschwarz -- Fairies: Alle vier magischen Feen-Bände in einer E-Box!// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Stefanie Diem

Fairies 2: Amethystviolett

Es wird dunkel in der Welt der Fairies …

Endlich steht Sophies Verwandlung in eine vollwertige Fairy kurz bevor. Nun ist sie nur noch wenige Tage und mühsame Prüfungen davon entfernt, zu einem der schönsten und reinsten Wesen des Universums zu werden. Doch dann geschieht etwas, womit niemand gerechnet hätte. Ein unvorhergesehenes Ereignis zwingt sie dazu, alles aufzugeben und die Flucht zu ergreifen. Während der Feenwelt ernsthafte Gefahr droht, erfährt Sophie, dass nur sie die Gabe besitzt, den über die Fairies gelegten Fluch abzuwenden. Aber wird sie dabei auch sich selbst und ihre große Liebe retten können?

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Vita

© privat

Stefanie Diem arbeitet und lebt gemeinsam mit ihrer Familie im Allgäu. Schon als kleines Kind verfügte sie über eine lebhafte Fantasie und dachte sich die tollsten Geschichten aus, die sie zu Papier brachte, sobald sie schreiben konnte. Das Schreiben hat sie seither nicht mehr losgelassen und zählt neben dem Lesen zu ihren größten Leidenschaften.

Prolog

Sie war blass, sah abgekämpft aus, doch ihr leicht gebräunter Teint erschien ihm makellos und schön wie eh und je. Er betrachtete die langen, leicht gewellten, dicken Haare, die sanft ihr ovales Gesicht umrahmten, die vollen Lippen, und beobachtete, wie sich ihre Brust unter der leichten Decke bei jedem Atemzug langsam hob und senkte.

Wie lange hatte er sich nach diesem Moment gesehnt? Wie oft hatte er sich eben diesen Augenblick in Gedanken vorgestellt und jetzt, wo sie tatsächlich vor ihm lag, vermochte er sein Gefühl kaum in Worte zu fassen.

Sein Herz klopfte wild, er wollte nach ihrer Hand greifen, ihr übers Haar streichen, ihr zärtliche Worte ins Ohr flüstern und sanft ihre Lippen mit den seinen berühren.

Doch er hielt sich zurück.

Er durfte nicht, konnte nicht.

Erst musste sie mit ihm sprechen, ihm sagen, dass er all die Jahre nicht umsonst gewartet hatte, dass sie seine Gefühle noch immer erwiderte, auch jetzt – mit einer neuen menschlichen Seele.

Aber was, wenn sie ihn nicht mehr liebte?

Wenn ihre Gefühle jemand anderem galten?

Er dachte an den Kuss, der sie ihm überhaupt erst zurückgebracht hatte.

Nein, er durfte gar nicht daran denken, dass ihre Liebe einem anderen gehörte und nicht ihm!

Das würde sein Herz nicht überleben.

***

Nur wenige Stunden zuvor blickte ein anderer, junger Mann in ein vollkommen verdrecktes, von blutigen Kratzern durchzogenes Gesicht, umrahmt von dunklen, strähnigen Haaren. Dunkle Augen blickten ihm verwirrt und beinahe verzweifelt entgegen.

Sein Leben war vollkommen aus dem Ruder gelaufen.

Verächtlich spuckte er aus, in das kleine Becken, über dem er versucht hatte sich den Schmutz notdürftig aus dem Gesicht und vom Körper zu waschen.

Erneut fiel sein Blick auf sein Spiegelbild.

So hatte er nie enden wollen. Liebeskrank, vollkommen eingenommen von einer Frau.

Doch sie war nicht irgendeine Frau. Sie war eine der mächtigsten Fairies der Welt.

Ihr Gesicht schwebte so deutlich vor seinen Augen, als stünde er ihr und nicht einem Spiegel gegenüber.

Das ovale, schön geformte Gesicht mit dem leicht gebräunten Teint, den schön geschwungenen Augenbrauen, den langen, dichten Wimpern, den vollen Lippen und den eisblauen Augen, von denen er glaubte, sie könnten in sein Innerstes blicken.

Mit geballter Faust schlug er wütend auf das Porzellan des Waschbeckens.

Jetzt war alles anders.

Kapitel 1

Ein Krachen und Dröhnen durchbrach die gespenstische Stille.

Es klang wie eine Explosion und ruckartig drehten sich alle Köpfe in Richtung des Ausgangs der Dimension, verängstigt und blass. Die vergangenen Geschehnisse saßen uns noch tief in den Knochen und jedes ungewohnt laute, dumpfe Geräusch ließ uns verschreckt zusammenzucken.

Es krachte erneut, dann näherten sich Schritte, die auf dem Boden der felsigen Steinwüste knirschten. Energisch stapfte eine Frau in engen, grauen Jeans, einem schwarzen Tanktop und ledernen, hellgrauen Bandagen um die Handgelenke in die Mitte des Kreises aus gläsernen Stühlen. Ihre braunen Haare hatte sie straff zu einem dicken Knoten im Nacken zusammengebunden und mit ihren grünen Augen musterte sie ihre Umgebung.

Wir befanden uns in einer uns noch unbekannten Dimension, einer seltsamen Steinwüstendimension, und wussten nicht, was auf uns zukommen würde. Für die Theoriestunden wählte Ms Ishanti normalerweise ihre Weltraumdimension. Ich beobachtete unsere Lehrerin, die heute so untypisch gekleidet war, als würde sie ein Überlebenstraining leiten.

Sie wirkte wie immer in letzter Zeit abgespannt, müde und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Das tat ihrem guten Fairy-Aussehen jedoch keinen Abbruch, machte sie im Gegenteil sogar etwas sympathischer.

Woche um Woche war nach den schrecklichen Vorkommnissen an Samhain vergangen, an denen die Shuk uns so schändlich und heimtückisch während den Abschlussfeierlichkeiten angegriffen hatten. Über zwei Monate waren verstrichen, ohne ein Lebenszeichen von Ralph oder Taylor. Tagein, tagaus wurden wir mit neuen Erkenntnissen, Untersuchungen und Maßnahmen dieses Massakers konfrontiert, sei es aus den Medien oder direkt über die Zirkeleinheiten. Wir lebten mit unseren eigenen Albträumen, lernten mit den Ängsten und Sorgen umzugehen und je mehr Zeit verstrich, desto besser gelang es uns.

Lila und mir hatte man irgendwann eine Innenkabine auf Deck 10 zugewiesen. Und eines Tages hatte auch der Unterricht wieder begonnen. Endlich ein wenig Normalität. In den Einheiten konnten wir zumindest für eine Weile von der Trauer und der Angst abschalten und uns auf die bevorstehende Beltane-Zeremonie vorbereiten, ein Ereignis, auf das wir nun mit noch größerer Sorge blickten.

Die Elementar-Einheiten wurden anstrengender, härter, die Theorie-Kurse stoffintensiver und komplizierter. Ich hing mich wie eine Wahnsinnige in den Unterricht. Zum einen, um einen guten Start in die nächste Zirkelstufe hinzulegen, zum anderen, um mich von der Abwesenheit der vielen Mitschüler, die wir nach dem Samhain-Anschlag verloren hatten, abzulenken. Vor allem im Feuerunterricht vermisste ich schmerzlich Ralph und nicht selten kam es vor, dass ich mich kurz beruhigen und mir die eine oder andere Träne aus dem Gesicht wischen musste. Und ich war nicht die Einzige, der es so ging. Tanja, unsere gehasste Barbie, war nicht mehr sie selbst. Beim kleinsten, lauten Geräusch, zuckte sie zusammen, brach in Tränen aus und ließ sich nur mit Mühe wieder beruhigen. So leid sie mir auch tat, ich versuchte mich so gut es ging von ihr fernzuhalten. Im Allgemeinen hatte sich diese Taktik für mich als äußerst praktikabel erwiesen, Augen zu und alles nicht näher an mich heranlassen.

Ich hatte auch den empfohlenen Psychiater-Termin abgesagt und die komplette Therapie ausgeschlagen. Ich wollte das nicht. Ich wollte niemandem erzählen, wie es mir ging, auch nicht, dass mich Albträume von der Samhain-Nacht verfolgten, die noch grausamer waren als die schlechten Träume, die ich sowieso schon hatte. Ich wollte niemandem sagen, dass ich Taylor vermisste, dass es mich fertigmachte, nicht zu wissen, was mit ihm geschehen war, dass niemand ihn bisher hatte finden können. Ich wollte nicht, dass jemand erfuhr, wie stark mich die Angst beherrschte. Angst vor der Vergangenheit, vor der Gegenwart und vor allem vor der Zukunft.

Die einzige Person, der ich mich anvertraute, war Lila. Weil sie meine Ängste teilte.

Ms Ishanti räusperte sich und ließ ihren Blick über den auf fünfzehn von einstmals dreißig Schülern geschrumpften Zirkel wandern.

Wir wagten kaum zu atmen, jeder war gespannt, welches Thema wir heute behandeln, beziehungsweise welche Lektion sie uns erteilen würde.

Sie atmete lange aus, schloss dann die Augen und warf schließlich ein einziges Wort in den Raum: »Tanian.«

Die Stille war gespenstisch und die Atmosphäre zum Zerreißen angespannt.

Ich merkte, wie ich nervös begann mit meinen Fingern zu spielen und mit den Augen förmlich an den Lippen meiner Lehrerin hing, die sich erneut räusperte.

»Dieses Thema, das ich heute behandeln möchte, ist eigentlich für den Unterricht in den Theoriezirkeln späterer Stufen vorgesehen. Doch angesichts der vergangenen Ereignisse möchte ich es bereits heute behandeln.«

Sie machte erneut eine theatralische Pause.

»Tanian KANN nicht wiedererweckt werden. Ein gewagtes Statement, dessen man sich in den letzten Wochen nicht mehr ganz so sicher ist wie noch vor einigen Monaten. Es wurden Stimmen laut, dass Tanian mit den Shuk im Bunde sei.«

Sie sah in die Runde und musterte jeden genau. Ihr Prueba schillerte in der grellen Sonne dieser Dimension in allen Farben des Regenbogens.

»Ich und auch die gesamte Regierung sagen: Das ist nicht möglich und vollkommener Unsinn!«

Sie erhob die Stimme und ich zuckte ein klein wenig zusammen.

»Wie ich bereits in früheren Zirkellektionen erzählte, ist Tanian einige Male hier auf der Erde erwacht und jedes Mal gelang es uns, sie zu jagen und zu töten.«

Ein Finger erhob sich neben mir. Lila hatte sich gemeldet und wurde aufgerufen.

»Tanian ist eine Urfairy, eine der mächtigsten Fairies überhaupt? Wie konnte man sie eigentlich so einfach jagen und hinrichten?«, stellte sie ihre Frage.

Ms Ishanti lächelte. »Eine berechtigte Frage, Lila. Eine sehr berechtigte Frage. In der Tat, Tanian war eine der mächtigsten Fairies unter der Sonne, das ist nicht zu bestreiten. Aber auch die Mächtigsten unter uns haben Schwächen, die man ausnutzen kann, so auch sie. Tanians Schwäche war ihre Eitelkeit, ihr Hochmut, ihre Bosheit, ihre Verbitterung und vor allem ihr Egoismus. Dieser wurde ihr immer wieder zum Verhängnis. Sie war stets die Außenseiterin unter den Schwestern, eine Einzelgängerin. Allein war sie mächtig, ja, aber die Schwestern waren gemeinsam noch mächtiger als sie. Und schließlich gelang es ihnen – wie Sie alle wissen – eine Möglichkeit zu finden, wie sie nicht mehr erweckt werden kann.«

»Und wie genau kann man das denn verhindern?«, fuhr ich dazwischen, diesmal in einem Ton, den ich selbst nicht an mir kannte. Er klang trotzig und beinahe wütend. Dazu lehnte ich mich zurück und verschränkte bockig die Arme vor der Brust. Ich wusste, dass sie mir – wie schon in einer früheren Zirkeleinheit – diese Frage nicht beantworten würde, aber dennoch drängte etwas in mir immer wieder, nachzubohren.

Ms Ishanti starrte mich an, antwortete jedoch zu meiner Überraschung: »Das, liebe Sophie, ist das erste Mal, dass ich die Hintergründe hierfür nennen darf. Auf allerhöchsten Wunsch wurden alle Lehrkräfte angewiesen in ihren Zirkeln zu erklären, weshalb Tanian nicht wiedergeboren werden kann, um damit ein für alle Mal den Zweifel zu beseitigen, der in der letzten Zeit durch die Medien geschürt wird und in aller Munde ist. Wir haben es der Schicksalsfairy Mandaya zu verdanken, die als Urfairy die Eigenschaft einer besonderen Gesundheit schenken kann und somit ein gewisses Talent für alle Tränke und Zauber hat, die die Sinne benebeln. Sie entwickelte gemeinsam mit Ahilea, der Geduld, und Dimeloe, der Begabung, eine Art Zaubertrank, der in jedem Prueba-Serum enthalten ist. Somit nehmen ausnahmslos alle jungen Fairies schon bei ihrer Zeichnung durch die Seeker diesen Trank zu sich.«

»Und wenn jetzt eine von uns als Tanian hätte wiedergeboren werden sollen, was passiert dann an Beltane mit derjenigen?«, warf Lila ein und Ms Ishanti zog die Lippen zusammen.

»Dies kam bis jetzt einmal vor. Das junge Mädchen …« Sie stockte und sah zu Boden. »Sie ging vor uns in Flammen auf.«

Erschrockenes Aufkeuchen. Ein Raunen und Geflüster ging durch die Klasse, viele wirkten schockiert und entsetzt. So auch ich und Lila. Wir warfen uns einen stummen Blick zu und mir kam einer meiner Träume in den Sinn, in dem ich selbst in Flammen gestanden hatte. Der Traum war wie alle sehr real gewesen und so spürte ich noch jetzt die Schmerzen, die Hitze, den Rauch …

»Aber wie gesagt, es kam bisher erst einmal vor. Die Wahrscheinlichkeit, dass es jemanden aus diesem Zirkel trifft, ist verschwindend gering«, beschwichtigte Ms Ishanti.

Ich hob meinen Finger in die Luft und wurde von der Lehrerin mit einem schrägen Blick aufgerufen. Langsam kehrte wieder etwas Ruhe ein und alle waren gespannt auf meine Frage.

»Wie genau wurde Tanian getötet?«

Diese Frage brannte mir schon länger unter den Fingernägeln und ich konnte Ms Ishanti ansehen, dass sie nicht leicht zu beantworten war.

»Die Schicksalsschwestern und Angehörigen des Rates haben sich damals viele Gedanken gemacht und überlegt. Und wie ich bereits erwähnte, waren es die Schwestern, die sich gegen eine der ihren wandten. Genauer gesagt, war es eine der jüngsten, Ambrosora, die Tanian verriet.«

Plötzliche Wut überkam mich. Schon allein beim Erwähnen von Ambrosoras Namen drehte sich mir der Magen um, ich krallte mich an meinem Stuhl fest und biss die Zähne zusammen. Mein ganzer Körper war aufs Äußerste gespannt, es fehlte nur noch ein Funke und ich würde wie eine Rakete an die Decke gehen. Nein, das durfte nicht passieren! Wieso jetzt? Wieso schon wieder? Ich dachte, diese Gefühle hätten sich gelegt? Wieso verspürte ich jetzt schon allein bei der Erwähnung dieses Namens eine ungeheure Wut und diesen Hass, ohne dass sich die Urfairy überhaupt in meiner Nähe befand? Das musste aufhören! Jetzt sofort! Ich schloss die Augen, atmete tief ein und wieder aus.

Noch einmal, tief einatmen, ausatmen, an etwas anderes denken, denk an Taylor, denk an Taylor, denk an den armen Ralph! Denk an Ralph! Wer weiß, was er momentan bei den Shuk durchmachen muss?

Der letzte Gedanke half und ich merkte, wie die Wut verrauchte und mein Körper sich langsam entspannte. Ich öffnete die Augen wieder. Lila beugte sich aus ihrem Glasstuhl herüber zu mir und sah mich besorgt an.

»Alles in Ordnung bei dir?«

Ich nickte und atmete erneut tief durch.

Der Blick, den sie mir zuwarf, war sehr skeptisch, doch sie sagte nichts weiter.

Ms Ishanti hatte zum Glück nichts von meinem wirren Gefühlschaos mitbekommen und beendete gerade ihren Monolog über die unmögliche Wiedererweckung Tanians.

»… und deshalb möchte ich euch noch einmal sagen, dass die aktuellen Gerüchte über diese schwarze Fairy nicht stimmen, und dumme, von absolut Unwissenden in die Welt gesetzte Geschichten sind, die die Stimmung aktuell ausnutzen, um die Angst noch weiter zu schüren. Lassen Sie sich nicht verunsichern. Glauben und vertrauen Sie unserer Regierung und den Urfairies. Es wird alles getan, damit die Situation in absehbarer Zeit wieder unter Kontrolle ist.«

***

Schon bald erfuhren wir, wofür die Steindimension vorgesehen war.

»Ahhhh«, schrie ich und rieb mir die Wange. Für einen kurzen Moment sah ich Sterne vor den Augen und schwankte leicht.

Ein Pfiff ertönte und zwei Fancys kamen in exakt demselben Tempo auf mich zu. Erst, als sie mich erreicht hatten, verschmolzen sie wieder zu einer Person und sahen mich besorgt von oben an, wie ich so am Boden lag und mir meinen schmerzenden Arm rieb.

»Sophie, alles in Ordnung?«

Ich versuchte alle meine Glieder zu bewegen.

»Ja, ich glaube schon«, murmelte ich dann.

»Sorry, ich habe eigentlich gar nicht so fest zugeschlagen.« Das war Erica, eine Tonne von Mädchen, gegen die selbst ich sehr schlank wirkte. Sie war eine der Frisch-Gezeichneten, die sich nach dem Samhain-Fest blindlings auf die Fairytale gerettet hatten und eigentlich Schülerin einer anderen Akademie war. Und sie war mein fleischgewordener Albtraum. Ich hatte noch nie ein Mädchen gesehen, das weniger Mädchen war als Erica. Sie war groß, dick, hatte ein kantiges Gesicht mit einer bolligen Nase, wulstigen Lippen und stank fast immer übelst nach Schweiß. Dazu trug sie meist abgewetzte, übergroße Jeans, Kapuzenpullis und derbe Stiefel und stampfte breitbeinig wie ein Junge, die Hände in den Hosentaschen vergraben, an Deck herum. Sie war fies, hatte es immer auf andere abgesehen und konnte zuschlagen wie ein erwachsener Mann. Sie war auch ständig in irgendwelche Prügeleien oder Streitereien verwickelt und traktierte mit Vorliebe kleinere, schwächere Mädchen - so wie mich. Diesmal sogar mitten im Unterricht.

»Wir trainieren hier Selbstverteidigung! Hast du denn die Griffe nicht angewandt?« Oh, das war an mich gerichtet. Fancy kniete immer noch neben mir. Natürlich hatte ich versucht die Griffe anzuwenden, was dachte er denn? Aber angesichts dieser Walze, die wie ein Bulldozer auf mich zugerollt war, hatte mein Gehirn für einen Moment wohl vor Schock ausgesetzt.

Gott, wie sehr wünschte ich mir manchmal die fiesen, verbalen Sticheleien der Barbies zurück statt dieses Fleischbergs, vor dem sogar die Jungen unserer Altersstufe Reißaus nahmen. Es war schwer vorzustellen, dass sich Erica einmal nach der Beltane-Zeremonie in ein elfengleiches, wunderschönes Wesen mit Stil und Charakter verwandeln sollte.

»Tschuldigung, ich hab’s ja probiert«, sagte ich kläglich und nahm die Hand, die mir mein Lehrer entgegenstreckte, dankbar an.

»Kommt einmal alle her!«, rief Fancy laut in die große Steinwüste, in der sich überall Gruppen von Schülern miteinander prügelten und die Selbstverteidigungsgriffe ausprobierten, die unser Lehrer uns beigebracht hatte. Sie hielten inne und joggten dann zu uns herüber, wo sie sich im Kreis um uns drapierten. Lila eilte an meine Seite und warf mir einen mitleidigen Blick zu. Sie selbst hatte Glück gehabt und war mit Oliver in einer Gruppe, der sich gemeinsam mit seinen Freunden Vin und Mike ebenfalls auf die Fairytale hatte retten können und die so zu unseren Zirkelkameraden geworden waren.

»Ihr wisst doch ganz genau, weshalb diese neue Zirkeleinheit eingeführt worden ist, oder?«

»Ja?«, rief Fancy einen Jungen auf, von dem ich meinte, er hieß Jörg, ich war mir aber nicht sicher.

Nach den Samhain-Vorfällen waren wir ein bunter Haufen von Fairytale- und Nicht-Fairytale-Zugehörigen, die sich erst noch genauer kennenlernen mussten. »Um uns besser gegen Shuk und andere Dämonen wehren zu können«, erklärte der Junge mit fester Stimme und Fancy nickte.

»Genau. Dazu gehört aber auch, dass ihr euch von eurem Gegenüber nicht einschüchtern lasst. Die Shuk werden nicht zögern und euch überwältigen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Sie werden noch schneller, noch gemeiner, noch böser sein, als ihr es euch überhaupt vorstellen könnt. Die meisten von euch sind ja leider bereits in den Genuss gekommen, die Shuk aus nächster Nähe zu sehen und daher muss ich euch nicht weiter erklären, was für euch auf dem Spiel steht. Nicht wenige von euch haben gute Freunde an den Feind verloren.«

Lila und ich warfen uns einen traurigen Blick zu.

»Umso wichtiger ist es daher, dass ihr lernt euch selbst zu verteidigen. Sowohl mit Magie als auch ohne. Natürlich ist uns auch klar, dass eure Mitschüler bei Weitem nicht die Stärke und Schnelligkeit echter Shuk simulieren können. Aber das muss für den Anfang auch gar nicht sein. Ich will, dass euch die Griffe und Taktiken in Fleisch und Blut übergehen und das funktioniert am besten, wenn ihr das erst einmal langsam einübt und trainiert. Also, bitte macht weiter.«

Ich verdrehte die Augen. Was dachte er? Dass ich mich nicht genug anstrengte? Dass mir die Griffe und Taktiken noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen waren? Wie konnte ich das, wenn sich meine Gegnerin immer mit brachialer Gewalt auf mich warf, mich bewegungsunfähig machte und dann mit heller Freude auf mich einprügelte?

Ich betete schon jeden Abend für einen neuen Sparringpartner. Bisher ohne Erfolg.

Nach der Stunde humpelte ich gemeinsam mit Lila, Oliver und Mike aus der Steindimension. Weshalb dieses Training in einer steinernen Wüste abgehalten werden musste, war mir nach wie vor schleierhaft. Die Hitze hier war unerträglich und jedes Mal, wenn ein Schüler stürzte, landete er auf spitzen Steinen oder kantigen Felsen und musste sich verstaubt und oftmals hustend wieder hochrappeln. Eine Gummidimension wäre doch durchaus praktischer oder eine überdimensionale Hüpfburg, butterweich ausgepolstert. Aber wahrscheinlich wollten die Lehrkräfte das Training so authentisch wie möglich gestalten.

»Wieso muss ausgerechnet immer ich Erica bekommen?«, murmelte ich, rieb mir stöhnend den Rücken und klopfte mir den Staub von der grauen Stoffhose.

»Tja, das Los der Schwächsten«, sagte Oliver lachend und streckte seinen Oberkörper durch, bekam von Lila jedoch sofort einen Stoß in die Rippen und einen bösen Blick hinterher.

Ich sah ihn ebenfalls böse an, konnte dann aber ein Lächeln nicht mehr zurückhalten.

»Na ja, immerhin musst du nicht mit Vin trainieren. Der macht einen wirklich fertig!«, versuchte Mike mich aufzuheitern.

Der muskelbepackte Vin war jedoch meistens nicht mehr mit seinen Freunden von der MS Daytona zusammen unterwegs. Er hatte neue Kumpels gefunden, die mit ihm das Fitnessstudio besuchten oder joggen gingen. Aber ab und zu frühstückte er mit uns oder begleitete uns auf eine der nur noch selten stattfindenden Partys im Elements. Besonders meine alte Kabinengenossin Claire hatte es ihm angetan. Doch auch Claire war nicht mehr dieselbe. Sie hatte ihren Freund Brian an Samhain verloren und das hatte aus der selbstbewussten, schönen, jungen Fairy eine verbitterte Frau gemacht, die nur noch selten lächelte und sich melancholisch von anderen zurückzog. Selbst ihre Freundinnen Rachel, Natalie und Tina kamen nicht mehr an sie heran. Auch ich erkannte sie kaum wieder.

Doch mit Vin verstand sie sich – wieso auch immer. Die beiden hatten einen Draht zueinander, auch wenn es von Vins Seite wohl eher mehr Schwärmerei und Verliebtheit war, die allem Anschein nach nicht erwidert wurde. Er versuchte es tapfer weiter.

Der dickliche Mike hatte die Ehre, in Fancys Selbstverteidigungskursen gegen ihn antreten zu dürfen und zog natürlich immer den Kürzeren.

»Wir sollten gegeneinander kämpfen«, schlug Mike vor und stieß mich freundschaftlich an.

»Ah«, stöhnte ich auf und rieb mir wieder den schmerzenden Ellenbogen.

»Sorry«, sagte Mike. »Aber im Ernst, da hätten wir, denke ich, wirklich reelle Chancen!«

Ich lächelte ihn an. »Danke, das ist lieb von dir. Aber ich glaube nicht, dass uns Fancy tauschen lässt.«

Da kam mit einem »Bing« der Aufzug und wir traten ein. Lila drückte den Knopf für das zehnte Deck.

»Sophie, wollen wir nicht noch shoppen gehen für den Weihnachtsball?«, störte Lila meine Unterhaltung.

Ich zuckte die Schultern. »Eigentlich hab ich keine Kohle. Ich werd’ einfach irgendein Kleid anziehen, das ich schon habe.«

»Kommt gar nicht in Frage.« Sie schüttelte vehement den Kopf. »Du hast dir schon das Samhain-Kleid nicht geleistet! Dann gönn dir wenigstens eines für Weihnachten!«

»Du kannst doch dein Samhain-Kleid anziehen. Da der Samhain-Abschlussball nicht stattgefunden hat, ist es doch noch neu und ungetragen«, warf ich ein.

»Ja schon …« Lila legte den Kopf schief und kräuselte die Lippen. »Aber die Verlockung ist einfach zu groß. Ich habe unten in Madame Pompadours Boutique ein irres Kleid gesehen, mit Schleppe! Das muss ich einfach haben! Und das Samhain-Kleid kann ich ja auch zum Beltane-Abschlussball anziehen, ohnehin ein viel passenderer Anlass!«, schwärmte sie weiter.

»Also wenn du mich fragst, siehst du jetzt schon perfekt aus«, sagte Oliver leise und ließ seinen Blick über die Aufzugknöpfe fliegen, so als wäre dieser Satz absolut unwichtig. Doch ich sah, wie Lila puterrot anlief und fragte mich, ob Oliver und sie vielleicht … Hatte sie Ralph so schnell vergessen?

»Ich kann dir Geld für dein Kleid leihen«, sagte Mike da und drückte sich näher an mich.

Ich seufzte. »Danke, Mike, das ist echt lieb von dir. Aber ich denke, für Weihnachten brauche ich wirklich nichts Neues. Ich habe noch ein schwarzes Kleid, das …«

»Schwarz? Zum Weihnachtsball?«, fuhr Lila dazwischen. »Du gehst doch nicht zu einer Beerdigung!« Sie schüttelte protestierend den Kopf.

»Es macht mir wirklich nichts aus. Ich habe recht gute Noten und daher ein entsprechendes Konto«, meldete sich Mike wieder zu Wort.

Ein Klingeln ertönte, die 10 leuchtete auf und die Aufzugtüren öffneten sich.

»Das ist wirklich sehr nett von dir, Mike«, sagte ich, während ich meinen Fuß über die Aufzugschwelle setzte. »Aber nicht nötig. Danke noch einmal.«

Dann schlossen sich die Aufzugtüren und Lila und ich standen allein auf dem Flur. Sie sah mich vorwurfsvoll an.

»Der arme Mike ist total verschossen in dich. Gönn ihm doch die Freude und lass ihn ein bisschen Geld für dich ausgeben«, sagte sie und hakte sich bei mir unter.

»Ich möchte ihn nicht auch noch auf den Gedanken bringen, dass ich seine Gefühle erwidere«, erklärte ich sachlich. »Ich finde ihn ja nett, aber er ist einfach nicht mein Typ.«

»Ich weiß schon, dein Typ sind große, dunkelhaarige Seeker, die für dich ihr Leben einsetzen«, sagte sie und ich blieb stehen. Die Beschreibung von Taylor versetzte mir einen Stich und die ganze Trauer und Ungewissheit brach wie eine Welle über mir zusammen.

»Oh, sorry«, murmelte Lila, der gerade bewusst wurde, was sie gesagt hatte. »Tut mir leid.«

Schweigend liefen wir weiter zu unserer Zimmertür, über der Lila einen Mistelzweig aufgehängt hatte, in der Hoffnung, hier einmal mit dem passenden Jungen zu stehen und ihm so einen Kuss abringen zu können. Natürlich hatte sie hierbei an Ralph denken müssen und gemeinsam hatten wir uns überlegt, wie er wohl über den Zweig gedacht hätte.

Lila hielt einen Kristall vor das gelbe, nervös hin und her zuckende Auge unserer Kabine, welches daraufhin begann wild zu blinzeln.

»Krieg dich wieder ein, Earl«, sagte Lila und rollte mit den Augen.

Daraufhin beruhigte sich Earl, unser Scanner, und die Tür öffnete sich mit einem Klack.

Manchmal wusste ich nicht, wer besser war: das divenhafte Scannerauge meiner alten Kabine, das wir Elvira getauft hatten, oder unser nervöser, hibbeliger Earl.

Ich wollte eintreten, stutzte jedoch augenblicklich.

Earl zwinkerte mir zu und es schien beinahe, als wolle er samt Augapfel aus der Tür hüpfen. Dann registrierte ich den kleinen, goldenen, tropfenförmigen Kristall, der ihm soeben als Träne aus dem Augenwinkel rann.

Ich hob ihn auf und hielt ihn vor mein Prueba. Goldene Buchstaben tauchten wie von Zauberhand vor meinem Auge auf.

Sophie Kramer, für Sie wurde ein Paket abgegeben. Dieses kann zu den üblichen Öffnungszeiten an der Rezeption abgeholt werden.

»Ein Paket?«, fragte Lila, als ich ihr von der Nachricht erzählte.

»Hm, keine Ahnung. Ich habe nichts bestellt. Wahrscheinlich falsch adressiert. Ich gehe später runter.«

Ich ging hinüber zu meinem Bett, zog mich aus und legte die verstaubten und verschwitzten Trainingssachen auf den Boden, um mir bequeme Jeans und einen Pullover überzustreifen.

»Och bitte, bitte, magst du es nicht gleich holen? Ich liebe Pakete, egal was drin ist!« Lila benahm sich wie ein Kind, wie sie sich so auf ihr Bett warf, mit den Beinen in der Luft strampelte und mich mit Schmollmund ansah.

Ich seufzte. »Na schön. Dann gehen wir gleich.«

»Au prima.«

So schnell, wie sie sich aufs Bett geworfen hatte, war sie auch schon wieder auf den Beinen und hakte sich bei mir unter, während wir uns auf den Weg zurück zu den Aufzügen machten.

***

»Sophie Kramer?«, fragte die junge Rezeptionistin mich mit strengem, aber nicht unfreundlichem Blick.

Zur Überprüfung meiner Identität wurde mein Prueba mittels eines blau-leuchtenden Irrlicht-Kristalls gescannt.

»Ah, wunderbar. Einen Moment.«

Sie verschwand in einem Hinterzimmer und kehrte später mit einem großen, braunen Karton zurück, welchen sie zu mir herüberschob. In großen Druckbuchstaben stand mein Name darauf, sonst nichts, kein Absender, nicht einmal ein Postaufkleber oder sonstige Marke.

»Entschuldigen Sie, Miss, aber wissen Sie zufällig, wer das für mich abgegeben hat?«, fragte ich die Fairy.

Diese zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Wenig später wandte sie sich mit einem entschuldigenden Blick an mich.

»Es tut mir leid. Ich kann ihnen leider nicht sagen, woher das Paket stammt. Wollen Sie es nicht annehmen?«

»Doch, doch«, antwortete ich schnell. »Es ist nur, ich habe nichts bestellt und …«

»Keine Sorge«, fiel sie mir ins Wort. »Alle Pakete, die das Schiff erreichen, durchlaufen sorgfältige Sicherheitskontrollen und Scans. Sie können es unbesorgt öffnen.«

Ich zog die Augenbrauen hoch. Der Gedanke war mir noch gar nicht gekommen, dass mir hier jemand eine magische Bombe hätte schicken können.

***

»Jetzt mach schon endlich auf!«, sagte Lila, kaum dass wir zurück in der Kabine waren und ich das Paket auf einem Bett abgelegt hatte.

»Ja doch«, sagte ich und kramte in einer Schublade nach einer Schere, mit der ich das Paketband durchschneiden wollte.

Doch nicht nötig. Mit der brachialen Gewalt ihrer lila Fingernägel hatte Lila das bereits für mich übernommen. Ich rollte mit den Augen. Sie war echt schlimmer als ein Kind an seinem Geburtstag.

Zu allererst flog uns ein kleiner Kristall entgegen und noch bevor ich ihn prüfen konnte, hielt Lila ihn sich bereits an ihr Prueba.

»Ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Alles Liebe. Hoffe, es passt. Du wirst toll aussehen«, las sie laut vor und runzelte die Stirn.

»Wie, das ist alles? Kein Name?«, fragte ich und sie reichte mir wortlos den Kristall, damit ich mich selbst überzeugen konnte.

Nachdem ich die wenigen Zeilen noch einmal mit meinen eigenen Augen überflogen hatte, zuckte ich die Schultern, legte den Kristall beiseite und faltete das leichte Papier auseinander, in das mein Geschenk eingeschlagen war. Ich keuchte auf.

»Ach du meine Güte!«

»Wahnsinn!«, stieß auch Lila aus und hielt sich die Hände vor den Mund.

Vorsichtig, um es nicht zu zerstören, nahm ich das schillernde, rote Kleid an dem einen Träger aus dem Karton und hielt es staunend in die Höhe.

»Das ist das Kleid aus Alpha&Omega!«, stieß ich aus. »Das, das ich mir für Samhain kaufen wollte!«

»Irre!« Lila strich über den glitzernden Tüll, der sich locker über den roten Satin legte. »Aber wer wusste denn, dass du das wolltest?«

Ich runzelte die Stirn. »Eigentlich nur Claire und … Taylor.«

Wir sahen uns sprachlos an.

»Meinst du, dass …?«, setzte sie an, sprach allerdings nicht weiter.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, niemals. Das kann nicht sein. Ich habe seit Samhain nichts mehr von ihm gehört. Auch Frankie nicht oder sonst jemand. Wenn er jetzt so einfach hier auftaucht …«

»Meinst du, er ist auf dem Schiff?«, fragte sie und meine Gedanken überschlugen sich.

»Nein, nein, das glaube ich nicht. Er kann das Paket auch geschickt haben.«

»Oder es stammt von Claire?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das würde sie nicht machen. Sie würde mir kein Kleid kaufen und es dann an der Rezeption abgeben. Sie würde mich in den Laden schleppen, mich zwingen das Kleid anzuprobieren und mich dann überreden es zu kaufen.«

»Das war die alte Claire«, warf Lila ein. »Die neue würde es vielleicht machen.«

»Nein, definitiv nicht. Die neue Claire denkt nur noch an sich und versinkt in ihrer Melancholie.« Ich sah traurig auf meine Bettdecke.

»Dann muss es Taylor sein.« Lila verschränkte entschieden die Arme vor der Brust und sorgte mit ihrem Satz dafür, dass mein Puls in die Höhe schnellte.

»Oder ein heimlicher Verehrer hat dich damals beobachtet. Aber da wir Mike da noch nicht kannten …«

»Ach halt die Klappe!«, sagte ich lachend und warf ihr ein Kissen ins Gesicht, das sie spielerisch fing und kichernd meinte: »Jetzt überleg doch, so abwegig ist die Geschichte nicht. Vielleicht hast du ja noch einen weiteren Verehrer, der sich so deine Gunst erkaufen will!«

»Und keinen Namen drauf schreibt? Ganz schön doof, der heimliche Verehrer.« Ich zog eine Augenbraue hoch.

»Halloho? Heimlich!« Sie streckte den Kopf theatralisch nach vorn und riss die Augen auf.

»Nein, das glaube ich nicht. Frankie käme eventuell noch in Frage. Aber woher sollte er von dem Kleid wissen?«

Lila schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, dass es Frankie war. Es war sicher Taylor.«

»Und wo kommt er jetzt so plötzlich her? Warum hat er sich dann seit Samhain kein einziges Mal gemeldet? Nein, das glaube ich wirklich nicht, er muss gewusst haben, dass ich halb krank bin vor Sorge um ihn. Mit Sicherheit war es nicht er.«

»Keine Ahnung. Du wirst es erfahren. Jetzt probier schon an!«

***

Es war der Morgen des vierundzwanzigsten Dezembers und ich war aufgeregt wie ein kleines Kind, weil heute Abend der Weihnachtsball stattfinden würde. Bereits um 6:00 Uhr war ich hellwach und konnte nicht mehr schlafen. Lila im Bett neben mir grummelte im Schlaf vor sich hin und so tappte ich so leise wie möglich im Dunkeln hinüber ins Badezimmer und wusch mich.

Nachdem ich mich geduscht und angezogen hatte, überlegte ich, was ich mit dem noch langen Tag anstellen sollte. Ich hinterließ Lila eine Nachricht, die Earl ihr überbringen würde, und machte mich auf dem Weg in die Sunset Cafeteria, in der ich frühstücken wollte.

Ich genoss die Zeit allein heute so richtig, bediente mich ausgiebig am aufgebauten Buffet, las ein wenig in den bereitgelegten Zeitungen und verließ das Café erst nach zwei Stunden.

Ich überlegte kurz, ob ich zurück in unsere Kabine schauen sollte, entschloss mich dann jedoch für einen Bummel an Deck.

Das ganze Schiff war weihnachtlich dekoriert. Überall glitzerten Weihnachtsbäume mit Girlanden und Christbaumkugeln um die Wette, es waren verschiedene, schwebende Lichterketten in Eiszapfen-, Sternen- und Tannenbaumform um sämtliche Säulen und Treppengeländer geschlungen und sogar im Aufzug saß ein kleiner Kunststoffweihnachtsmann, von dem ich mir nicht sicher war, ob er lebendig war oder nicht und trällerte »Jingle Bells« vor sich hin, sobald man in seine Nähe kam.

»Das Ding nervt«, sagte ein junger Fairy, als ich zu ihm in die Kabine stieg und der kleine Mann sofort begann zu singen.

Ich grinste ihn an und drückte dann auf die 15.

Oben auf dem Freideck angekommen, schlug mir eine kalte Brise entgegen. Für Ende Dezember genau das richtige Wetter. Ich kuschelte mich enger in meine dicke Daunenjacke und lief langsam an der Reling entlang. Mein Atem gefror zu kleinen Wölkchen in der kalten Luft und auf der Eisenstange bildeten sich Eiskristalle. Auch hier hatte sich Weihnachtsstimmung ausgebreitet. Blinkende Kristalllichter wanden sich um die Reling und silberne Sterne funkelten im spärlichen Sonnenlicht. Es war ein wundervoller Tag.

Ich setzte mich auf eine der weißen Bänke in die Sonne und beobachtete das Treiben. Natürlich waren wieder einige der Sportler unterwegs und drehten joggend ihre Runden auf dem Trail. Mehrere Pärchen schlenderten verliebt Hand in Hand entlang der Reling, sahen verträumt auf das Meer hinaus und küssten sich.

Ich seufzte und hielt unwillkürlich Ausschau nach einem bestimmten Jungen mit dunklen Haaren, einem durchtrainierten, schlanken Körper und tiefschwarzen Augen, den ich natürlich nirgends fand.

Ich schüttelte den Kopf. Die Hoffnung, Taylor jemals wiederzusehen, hatte ich bereits vor Wochen aufgegeben und jetzt wieder die Möglichkeit zu erwägen, er könnte doch noch am Leben sein, war absurd. Es war albern zu glauben, Taylor würde plötzlich wie aus dem Nichts auftauchen. Aber dieses Kleid hatte alles durcheinandergewirbelt, vor allem mein gesamtes Gefühlsleben, welches gerade angefangen hatte, wieder einigermaßen zur Ruhe zu kommen.

Und was, wenn er wirklich auftauchte? Was dann? Wie würde er sich mir gegenüber verhalten? Wie sollte ich mich ihm gegenüber verhalten? Ich fuhr mir durch die Haare und merkte, wie meine Knie zitterten.

Ich sah auf die Uhr. Es war erst kurz vor Mittag! Gott, wie sollte ich den Tag nur überstehen? Ich war doch schon jetzt ein nervliches Wrack!

Den Nachmittag verbrachte ich mit Lila im Schwimmbad, genauer gesagt saßen wir den halben Tag im heißen Whirlpool und betrachteten durch die Fenster das offene Meer. Die Kälte draußen ließ den Dampf innen an den Scheiben anlaufen und wir malten ein paar Figuren mit den Fingern auf das Glas. Na gut, Lila malte Herzchen mit Pfeilen und machte sich über mich lustig, weil mich die Sache mit dem Kleid so nervös machte. Wobei sie selbst jedoch nicht weniger unruhig war. Ihre Begleitung für den heutigen Ball war niemand anderer als Oliver. Sie war sich über ihre Gefühle ihm gegenüber nicht sicher, dachte sie so oft noch an Ralph? Wo er wohl dieses Weihnachten verbrachte? Ob er sich wohl bereits in einen Shuk gewandelt hatte? Oder war er etwa tot? Wir wollten uns gar nicht ausmalen, was ihm bisher widerfahren war.

»Meinst du, man kann ihn irgendwie retten?«, fragte ich und starrte auf die blubbernden Luftblasen, die um uns herum im Wasser aufstiegen.

Lila schüttelte betrübt den Kopf.

»Ich glaube nicht, dass jemals ein Frisch-Gezeichneter von den Shuk zurückgeholt wurde. Und wenn, dann war er sicher nicht mehr derjenige, der er vor seinem Kidnapping war.«

Ich nickte und sah schweigend aus dem Fenster.

***

Dann endlich war es so weit und wir machten uns fertig für den Ball. Lila hatte sich nun doch dafür entschieden ihr Samhain-Kleid anzuziehen und stand in einem lila und fliederfarbenen Rüschenmeer vor dem Spiegel, drehte und wendete sich und strahlte angesichts ihrer hoch aufgetürmten Haare, die sie zu allem Überfluss auch noch mit lila Kunststoffblumen gespickt hatte.

Ich selbst steckte in dem atemberaubenden roten Traum und wusste nicht, was ich mit meinen Haaren anstellen sollte. Ich sehnte mich nach Claire, die mir sonst immer für mein Outfit mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte. Doch sie hatte abgelehnt uns zu begleiten. Sie wollte den Abend allein verbringen und würde nicht auf den Ball gehen.

»Ich möchte niemanden sehen«, hatte sie gesagt und die Worte hatten mich sehr getroffen. Claire litt so sehr unter ihrer Trauer und ich fühlte mich so hilflos. Sie zog sich ganz in ihr Schneckenhaus zurück und schien von Tag zu Tag mehr zu verschwinden.

Schließlich entschloss ich mich meine Haare einfach offen zu lassen und dieser Entschluss kam keine Sekunde zu spät, denn in der nächsten Minute klopfte es an der Tür und Oliver und Mike standen davor, um uns abzuholen.

»Wow! Du siehst …« Mike machte eine Pause und es schien fast, als fehlten ihm die Worte. »… Hammer aus!«, vollendete er dann seinen Satz und starrte mich bewundernd an.

Ich wurde rot, lächelte ihn dankbar an und hakte mich bei ihm unter.

»Du stehst ihr natürlich in nichts nach«, hörte ich Oliver hinter mir leise zu Lila sagen.

»Danke«, antwortete sie geschmeichelt. »Aber Sophie sieht in diesem Kleid einfach wahnsinnig toll aus.«

Ich lächelte bei diesen Worten und fühlte mich, als wäre ich plötzlich um einige Zentimeter gewachsen. So beflügelt lief ich in den wackeligen High Heels an der Hand von Mike den Flur entlang zu den Aufzügen.

***

Über ein Portal, welches vom Unterrichtsplateau zu erreichen war, gelangten wir in eine andere Dimension, in eine wahre Weihnachtsdimension. Ich traute meinen Augen beinahe nicht.

Die Welt, die sich vor mir erstreckte, war mit feinem Puderschnee bedeckt, der funkelte und glitzerte und in großen, dichten Flocken vom Himmel schwebte und sich wenige Zentimeter über unseren Köpfen in Luft auflöste, sodass wir nicht durchnässt wurden. Wir befanden uns auf einer Lichtung mitten im Wald, die wir über ein weißes, übergroßes Tor betreten hatten, um dessen Flügel sich goldene Ranken wanden. Überall standen runde Tische mit blütenweißen Tischdecken, die sich wallend über den Boden erstreckten und vom Schnee begraben wurden. Verspiegelte Wege, die wie zugefrorene Bäche aussahen, führten verschlungen um sie herum und zu einer großen, ebenfalls verspiegelten, rechteckigen Tanzfläche, über der funkelnde Eiskristalle schwebten und alles in romantisches Licht tauchten. Die Lichtung selbst wurde umrahmt von unzähligen Tannenbäumen, allesamt dekoriert mit weißen, silbernen und gläsernen Kugeln, über denen goldene Irrlichtkristalle glitzerten.

»Wow!«, fasste es Mike neben mir ziemlich treffend in Worte, blickte sich mit großen Augen auf der Lichtung um und unwillkürlich stellte ich mir Ralph vor, wie er hier wohl gestanden hätte, cool die Hände in den Anzugtaschen vergraben. Wahrscheinlich wäre ihm ein »Krass« entfahren und er hätte Lila breit grinsend seinen Arm geboten.

»Dürfen wir uns hier einen Sitzplatz aussuchen oder stehen hier Sitzkarten oder Kristalle oder wie?«, hörte ich meine Freundin hinter mir leise murmeln.

Mein Blick huschte über einige Tische, die in unserer Nähe standen.

»Nein, keine Karten oder Kristalle oder sonstige Namensindikationen in Sicht. Also nehme ich an, wir dürfen uns hinsetzen, wo wir wollen.«

Sie nickte und überflog prüfend die Tischreihen, auf der Suche nach dem möglichst günstigsten Platz. »Ich schlage vor, wir nehmen gleich einen vorne an der Tanzfläche! Oh, wir müssen uns beeilen, die sind gleich alle besetzt!«

Damit packte sie Oliver am Ärmel und zog ihn mit sich. Mike und ich folgten achselzuckend.

Nachdem wir an einem der vordersten Tische auf den mit weißen Stuhlhussen bezogenen edlen Stühlen Platz genommen hatten, sahen wir uns in aller Ruhe um – bis auf Mike, der studierte das Menü, das vor uns auf einem Spiegel in goldenen Buchstaben zu lesen war, welcher wenige Zentimeter über der Tischplatte schwebte.

Mein Blick flog über sämtliche Tische, hin zu einer großen Bühne, auf der sich soeben ein Orchester aus weiß gekleideten Fairies einspielte, weiter über die dichten Christbäume, zurück zu den Tischen auf der Suche nach … ja, nach was? Nach einem Tisch für Lehrkräfte? Nach einem Tisch für Seeker? Ich seufzte. Ich suchte nach Taylor. In dieser ganzen Dimension suchten meine Augen nur nach dem einen, vertrauten Gesicht mit den dunklen Augen und den schönen, halblangen Haaren. Und natürlich war es nicht da. Wie immer.

»Lachscremesuppe als Vorspeise! Entenkrustenbraten als Hauptspeise …«, verkündete Mike neben mir begeistert und ich lächelte. Er war so ein sympathischer, guter Junge und er meinte es anscheinend wirklich ernst mit mir, wenn man Lila – die das wiederum von Oliver wusste – Glauben schenken wollte.

»Hör auf!«, zischte Lila neben mir und sah mich warnend an. »Er ist nicht da.«

Gott, war es so offensichtlich? Ich nickte beschämt und begann mich mit Mike über sein Lieblingsthema zu unterhalten – das Essen.

Wenig später, nachdem auch alle anderen Plätze besetzt waren, hielt Ms Ishanti eine ergreifende Begrüßungsrede. Sie war schlicht, kurz und beinhaltete doch alles, was man sich für eine Rede wünschte. Sie erwähnte die vergangenen Ereignisse an Samhain mit keiner Silbe, das war die Wochen und Monate zuvor bereits ausgiebig erörtert worden. Stattdessen bedankte sie sich bei allen, Schülern, Lehrern, dem Personal, den Defenderre und auch den anwesenden Seekern – allein bei der Erwähnung des Wortes »Seeker« schlug mein Herz höher und ich reckte und streckte meinen Hals in alle Richtungen, um einen Blick auf die anwesenden Seeker erhaschen zu können – für Ihre Leistungen, ihr Engagement und Hilfsbereitschaft in der Vergangenheit, vor allem natürlich in den letzten Wochen. Sie blickte auf herausragende Ereignisse zurück, hervorragende Abschlussjahrgänger, Lehrer und Schüler, die uns in diesem Jahr verlassen hatten (dabei erwähnte sie nicht, ob diese gestorben oder auf andere Weise von Bord der Fairytale gegangen waren) und sonstige Ereignisse und schloss mit einem aussichtsreichen Ausblick auf das kommende Jahr. Anschließend wünschte sie uns einen wunderschönen Abend und gab dem Personal einen Wink, damit die Vorspeise, sprich die Lachscremesuppe, serviert werden konnte.

Während den Gängen spielte das Orchester leise Musik. Zarte Geigenklänge begleiteten jeden Happen und ich kam mir vor, wie in einem Freiluft-Nobelrestaurant und dementsprechend versuchten wir auch alle uns zu benehmen. Jeder saß in aufrechter Haltung vor seinem Teller, kaute jeden Bissen unendlich lange, bemühte sich die Gläser edel zu halten und immer nur wenige Schlucke zu nehmen. Immer wieder wanderten meine Blicke fasziniert über die Lichtung, den Schnee über unseren Köpfen, die glitzernden Bäume, die Spiegelwege. Ich wunderte mich nicht, dass ich trotz des fallenden Schnees und des Eises hier in meinem schulterfreien, dünnen Kleid nicht fror. Irgendwann hörte man auf sich über solche Dinge in anderen Dimensionen Gedanken zu machen.

Nach dem ersten Gang zeigte eine Fairy-Artistengruppe ihr Können. Eine Seiltänzerin vollführte waghalsige Bewegungen in luftiger Höhe auf einem – wie ich vermutete – unsichtbaren Seil, doch Oliver behauptete, sie tänzle einfach so in der Luft, ein Feuer-Elementarier zeigte als magischer Feuerspucker und Magier sein Können und eine Art Fairy-Komiker versuchte das Publikum mit schlechten Scherzen zu belustigen. Letzteres war weniger mein Fall.

Der dritte und letzte Gang hieß »Holunder-Quark-Schaum mit Kirschragout, Zitronenpfefferbiskuit und Kirschsorbet« und war ein Gedicht aus Zucker und sonstigem süßem Zeug. Danach durfte endlich getanzt werden, was vor allem Lila und Oliver freute. Die beiden sprangen auf, nachdem Ms Ishanti dazu aufgefordert hatte, und eilten nach vorn.

»Willst du auch?«, fragte Mike, noch immer kauend (er aß die Reste von Lilas Dessert, die nicht alles hatte bewältigen können), und ich schüttelte den Kopf.

»Gut«, mampfte er weiter. »Ich bin kein besonders guter Tänzer.«

Ich grinste ihn an.

»Ich meine, ich kann es schon«, fuhr er fort, »nur vergess’ ich immer die Schritte und trete den Frauen ständig auf die Füße. Das wäre kein Spaß für dich.«

Ich lachte. »Geht mir genauso. Ich glaube, ich habe zwei linke Füße.«

»Vielleicht ist es nach der Beltane-Zeremonie besser!«, fügte er hinzu und wir brachen beide in lautes Lachen aus.

Aber nach drei, vier Tanzrunden, während denen wir uns nur zu zweit am Tisch befanden, ging uns langsam der Gesprächsstoff aus und wir begaben uns dann doch zu den ausgelassen tanzenden Pärchen, unter denen sich immer noch Oliver und Lila befanden. Und es stellte sich heraus, dass wir beide nicht gelogen hatten. Es war eine Katastrophe, wie wir uns auf der Tanzfläche bewegten. Ein Gestolpere, Gelächter und Gehampel. Absolut erbärmlich, aber wir hatten sehr viel Spaß zusammen.

In einer der Pausen setzten wir uns mit Lila und Oliver an eine Bar, deren verspiegelte und mit blau-weißen Irrlicht-Kristallen beleuchtete Theke sich entlang des Christbaumwaldes schlängelte, und bestellten Sekt.

Es war kein Heiligabend, wie ich ihn von zu Hause kannte mit meiner Oma. Sie hatte eine fantastische Ente gemacht und wir hatten gemeinsam Weihnachtslieder gesungen, bevor wir dann Bescherung gefeiert hatten. Beim Gedanken daran wurde mir schwer ums Herz. Mit wem würde sie den heutigen Abend verbringen? Allein? In einem Heim? Seltsam. Bisher hatte ich keinen einzigen Gedanken an sie verschwendet. Wieso jetzt? Vielleicht war das ein magischer Vergessenszauber, den wir mit dem Prueba-Trank zu uns genommen hatten und der langsam seine Wirkung verlor?

»Hey, was sind denn das für traurige Augen an einem so schönen Abend?«, versuchte Mike mich aufzuheitern. Ich schüttelte meinen Kopf, als wolle ich die trüben Gedanken so vertreiben, und drehte mich lächelnd zu ihm um.

Mein Lächeln erstarb augenblicklich. Sprachlos starrte ich den Jungen an, der da vor mir stand.

Ich merkte, wie mein ganzer Körper begann zu zittern, meine Lippen bebten, meine Augen füllten sich mit Tränen und dann brach die Anspannung mit einem Mal in mir zusammen. Ich schwankte, wurde von ihm aufgefangen, gestützt und dann schlang ich wie eine Ertrinkende die Arme um seine Schultern, drückte mich an ihn, hielt ihn fest und schluchzte hemmungslos.

»Ich dachte, ich seh’ dich nie wieder!«, brachte ich heraus.

Zunächst war er wohl überrumpelt.

Dann jedoch erwiderte er die Umarmung, schloss schützend die Arme um mich, strich mir beruhigend über die bebenden Schultern und meine Haare.

»Schsch, ist ja gut. Beruhige dich«, sagte er und es klang fast ein wenig unsicher. »Komm, die Leute gucken schon. Hör auf zu weinen.«

Er zog sich einige Meter zurück und wischte mir zärtlich die Tränen von den Wangen.

Ich stutzte.

Konnte es sein? War ihm die Situation unangenehm? Ich löste mich sofort von ihm, wischte mir selbst die Tränen von den Wangen und schniefte noch einmal.

»Tttut mir leid«, stammelte ich dann und starrte auf den Boden. »Es ist-ist nur …«

Er rieb sich verlegen den Hinterkopf. In diesem Moment setzte die Musik wieder ein und die Paare strömten zurück auf die Tanzfläche.

»Hast du Lust zu tanzen?«

Ich schüttelte den Kopf und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Mein Wiedersehen mit Taylor hatte ich mir verdammt … ja wie? Romantischer? Bedeutsamer vorgestellt? Ich hatte tausend Fragen an ihn. Wo war er die letzten Monate gewesen? Wie war er an Samhain entkommen? Wieso hatte er sich nicht ein einziges Mal bei mir oder Frankie oder sonst irgendjemandem gemeldet? Und wieso tauchte er so plötzlich einfach wieder auf? Als wäre nichts passiert? Doch stattdessen sagte ich einfach nur: »Ich kann nicht tanzen.«

»Das habe ich gesehen.« Taylor lachte leise und reichte mir die Hand.

Trotzig schob ich meinen Hintern auf einen Barhocker und drehte mich demonstrativ von ihm weg.

Dabei fiel mein Blick auf Lila, Oliver und Mike, die sich ruckartig in Richtung Bühne drehten und plötzlich lautstark begannen über die Band zu diskutieren, die dort soeben ihre Instrumente aufbaute. Lila sah sich ab und zu verstohlen nach mir um, doch ich bedeutete ihr mit strengem Blick, wieder nach vorn zu sehen.

»Aber es schien mir, als hättest du Spaß am Tanzen.« Taylor hatte sich neben mich gestellt und blickte mich schief von der Seite an. Sein Lächeln wirkte krampfhaft.

Ich schwieg immer noch.

»Na komm, dir fehlt nur ein richtiger Tänzer, der dich anständig führt.«

Er hielt mir seine Hand vor die Nase.

»Ich hatte bereits einen richtigen Tänzer. – Mike, hast du Lust auf die nächste Runde?«

Ich wusste selbst nicht, was mich da ritt, hüpfte von meinem Barhocker, hakte mich bei dem vollkommen überrumpelten Mike unter und eilte zur Tanzfläche. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Taylor den Kopf schüttelte, sich auf dem eben noch von mir besetzten Hocker niederließ und etwas bei der jungen Barkeeperin bestellte. Dann begann er mit Lila und Oliver ein Gespräch.

»Wer war das denn?«, fragte Mike. »Etwa dein Seeker?«

Ich nickte und bemühte mich sehr, diesmal eine gute Figur beim Tanzen zu machen, was mit Mike natürlich nicht ganz einfach war.

»Der, der dich an Samhain gerettet hat?«, wollte er weiter wissen.

Ich nickte wieder verbissen.

»Wow, das ist also Taylor Tayugan!«

»Jep«, zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen.

»Können wir nicht wieder zurückgehen? Ich würde ihn gerne persönlich kennenlernen.«

»Was? Jemand, der mich rettet, dann spurlos verschwindet, sich über zwei Monate nicht meldet und mich dann mit den Worten ›Hör auf, die Leute gucken schon‹ begrüßt?« Ich merkte erst jetzt, wie sauer ich eigentlich war.

»Na ja, die Leute haben ja auch geguckt. Ich mein’, du bist plötzlich in Tränen ausgebrochen. Da hab ich auch erschrocken geguckt«, erwiderte er achselzuckend.

Ich war sprachlos und hörte auf mich nach den Klängen der Musik zu bewegen.

»Dann geh doch zu ihm und lern ihn kennen.«

Damit drehte ich mich um, ging zurück an unseren Tisch, packte meine Handtasche und wollte nur noch weg. Ich blickte mich um, suchte nach dem großen Tor, durch welches wir den Saal betreten hatten. Verdammt! Es war nicht zu sehen!