Fairies 4: Opalschwarz - Stefanie Diem - E-Book

Fairies 4: Opalschwarz E-Book

Stefanie Diem

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Beschreibung

**Auch eine Fairy muss wachgeküsst werden …** Die Welt ist eine andere geworden, als Sophie aus ihrem Todesschlaf erwacht. Ein undurchdringliches, dunkles Eis hat sich auf die Erde gelegt und die Menschen in unterirdische Städte vertrieben. Die Fairies gibt es nicht mehr, sie sind Gefangene eines traumlosen Schlafs. Sich in ihrem plötzlich menschlich gewordenen Körper zurechtzufinden, verlangt eine enorme Willenskraft, aber Sophie hält eisern an ihrem Plan fest, den verlorenen Prinzen zu finden und die Vergangenheit wiederherzustellen. Doch wer ist der wahre Prinz in dieser veränderten Welt? Und kann ein Kuss sie diesmal retten? //Alle Bände der zauberhaften Feen-Reihe: -- Fairies 1: Kristallblau -- Fairies 2: Amethystviolett -- Fairies 3: Diamantweiß -- Fairies 4: Opalschwarz -- Fairies: Alle vier magischen Feen-Bände in einer E-Box!// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Stefanie Diem

Fairies 4: Opalschwarz

Auch eine Fairy muss wachgeküsst werden …

Die Welt ist eine andere geworden, als Sophie aus ihrem Todesschlaf erwacht. Ein undurchdringliches, dunkles Eis hat sich auf die Erde gelegt und die Menschen in unterirdische Städte vertrieben. Die Fairies gibt es nicht mehr, sie sind Gefangene eines traumlosen Schlafs. Sich in ihrem plötzlich menschlich gewordenen Körper zurechtzufinden, verlangt eine enorme Willenskraft, aber Sophie hält eisern an ihrem Plan fest, den verlorenen Prinzen zu finden und die Vergangenheit wiederherzustellen. Doch wer ist der wahre Prinz in dieser veränderten Welt? Und kann ein Kuss sie diesmal retten?

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Vita

Danksagung

© privat

Stefanie Diem arbeitet und lebt gemeinsam mit ihrer Familie im Allgäu. Schon als kleines Kind verfügte sie über eine lebhafte Fantasie und dachte sich die tollsten Geschichten aus, die sie zu Papier brachte, sobald sie schreiben konnte. Das Schreiben hat sie seither nicht mehr losgelassen und zählt neben dem Lesen zu ihren größten Leidenschaften.

Für alle TräumerFür alle, die dem Alltag entfliehen und in eine neueGeschichte voller aufregender Abenteuer eintauchen wollen

Und für meinen Papa

Prolog

Um sie herum wüteten die Naturgewalten, rissen alles in Fetzen, aber dieses Chaos war nichts gegen den Sturm, der in ihrem Inneren tobte, sie gleichzeitig lähmte und sie die Qual so hundertmal stärker fühlen ließ.

Sie hatte das Grausamste gesehen und durchlebt.

Doch es waren weder die Wirbelstürme, die ganze Bäume entwurzelten und mit sich trugen, noch die Erdbeben, die den Boden spalteten, noch die Feuerwirbel, die vom Himmel stürzten und mit ihren Flammen alles verschlangen – nein, es waren die Bilder, die sich unauslöschlich in ihre Netzhaut gebrannt hatten.

Bilder eines Kusses.

Der Mann, von dem sie gedacht hatte, er liebe sie bis über den Tod hinaus, hatte vor ihren Augen eine andere Frau geküsst.

Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass ihn keine Schuld traf, dass er einfach nur seinen Gefühlen nachgegeben hatte, die ihn übermannt hatten, just in dem Moment, in dem er ihr gegenübergestanden hatte. Sie, die Eine, die für ihn bestimmt war seit Anbeginn der Zeit. Sie, gegen die niemand eine Chance hatte. Beide teilten das Schicksal, die Welt zu retten.

Sie wusste all das, wusste, dass sie dazu verurteilt war, das Schicksal zu akzeptieren, wusste, dass sie nicht überreagieren, ihrem Schmerz nicht nachgeben durfte, aber sie konnte nicht anders.

Und dann war da dieser Blick, diese Worte aus dem Mund ihrer besten Freundin, die sie ermutigten, und sie tat es, ließ ihren Gefühlen freien Lauf, schrie ihre ganze Wut und Verzweiflung in die Welt hinaus und entfesselte ihre Magie.

Eine Magie, so gewaltig, wie nur endloser Schmerz sie hervorbringen kann.

Als der Engel, der ihr stets zur Seite gestanden, sie beschützt, bestärkt und ihr vertraut hatte, der ihre Fairy-Seele auf so unglaubliche, unerschütterliche Weise liebte, sie schließlich zur Vernunft brachte, war es zu spät.

Sie hatte sie getötet, die Eine, die doch so wichtig für das Bestehen dieser Welt und des gesamten Fairy-Volkes gewesen war. Die Eine, die ihr die große Liebe genommen hatte.

Doch sie selbst hatte ihr eigenes Unglück in diesem Moment über das Glück der Welten gestellt und damit alles zerstört.

Und der Schmerz und diese Erkenntnis raubten ihr die Luft zum Atmen, ließen sie aufkeuchen und löschten schließlich ihr Bewusstsein aus. Noch bevor ihr Körper auf dem Erdboden aufschlug, wurde es dunkel um sie.

***

Duftende Wiesen mit prächtigen Blütenteppichen, hohe Bäume, die weit in den strahlend blauen Himmel aufragten, über den nur wenige reinweiße Wolken zogen. Grüne, geheimnisvolle Wälder voller magischer Orte. Gurgelnde Bäche und Flüsse, deren kristallklares Wasser in den Strahlen der hellen Sonne glitzerte und die in große, stille Seen und wilde Meere mündeten. Gewässer voller Kraft und Wildheit. Eine Welt, die dem Zauber gehörte, der Magie der Elemente – des Windes, des Wassers, der Erde und des Feuers.

Und dennoch fehlte es diesem wundersamen und einzigartigen Ort an einem: an denjenigen, die sie einst bewohnt und mit Leben erfüllt hatten.

Sie strich über die Wiesen, atmete den frischen, reinen Duft ein und genoss den einzigartigen Zauber dieser Welt, der eines verhieß: Heimat.

1. Kapitel

Ich blinzelte und schloss die Augen sofort wieder vor dem grellen Licht.

Ich wagte es erneut, hob die Lider und wappnete mich gegen den Schmerz, doch diesmal war er erträglicher. Es gelang mir, einen Blick auf eine reinweiße Decke zu erhaschen, bevor ich die Augen wieder schloss.

Ich atmete bewusst durch und verließ mich auf meine anderen Sinne. Der schale Geruch nach Sterilität, nach Desinfektionsmitteln – ein Krankenhaus?

Ich fühlte weichen Stoff unter meiner Haut, eine Decke oder ein Laken. Auch mein Kopf schien auf einem nachgiebigen Kissen zu ruhen.

Ich versuchte, mich auf meinen restlichen Körper zu konzentrieren. Zu meiner Überraschung fiel mir dies schwer. Alles in mir fühlte sich seltsam starr an, als befänden sich meine Glieder noch im Schlaf, als wäre lediglich mein Geist erwacht.

Ich konnte meine Hand kaum bewegen, es schmerzte, als würden tausend Nadeln auf meine Haut einstechen, und so sehr ich mich auch abmühte, die einzelnen Finger zu krümmen und wieder durchzustrecken, es gelang mir nicht wirklich. Ich versuchte es stattdessen mit meinen Beinen und Zehen, doch auch hier scheiterte ich. Obwohl ich sie fühlte, vermochte ich sie nicht zu bewegen.

Frustriert gab ich es auf und entspannte mich, rollte stattdessen meinen Kopf auf dem weichen Kissen oder der Matratze – oder was das auch immer war – hin und her und öffnete die Augen wieder. So konnte ich zumindest mehr von dem Raum sehen, in dem ich mich befand.

Soweit ich das erkennen konnte, glich er tatsächlich einem Krankenhauszimmer. Alles war vollkommen in Weiß gehalten – weiße Wände, weißer Boden, weiße Möbel, die das unbarmherzig grelle Licht der breiten Neonröhren zurückwarfen, dass es in den Augen schmerzte. Ich erkannte einen weißen Beistelltisch, auf dem sich außer einem Wasserglas und einer grauen Schale noch ein schmales, dunkles Brett befand, das wie ein ungewöhnlich flacher, handlicher Tablet-PC aussah.

Wieder versuchte ich, mich zu bewegen. Ich wollte dieses Ding in Augenschein nehmen, es genauer untersuchen, doch erneut gelang es mir nicht. Ein schrecklicher Gedanke schoss mir in den Kopf – war ich gelähmt? War ich dazu verdammt, hier für immer zu liegen, unfähig, mich je wieder zu bewegen? Allein mit meinen Gedanken und Gefühlen, die ich bisher erfolgreich verdrängt hatte?

Ich wollte nicht an das Geschehene denken, wollte loslassen, nie wieder daran erinnert werden. Doch ich wusste, sobald ich den Schlaf wieder die Oberhand gewinnen ließ, würden sie mich einholen. Die schrecklichen Bilder.

Ich schüttelte den Kopf – die einzige Bewegung, die ich ohne Schmerzen und Anstrengung bewältigen konnte – und versuchte, die Gedanken auf diesem Weg zu vertreiben. Doch immer wieder schoben sich die Zerstörung und der Tod in den Vordergrund. Und dann war da der Schmerz. Dieser unerträgliche Schmerz, der mich wohl nie wieder loslassen würde. Der Schmerz der Erkenntnis, dass es kein Traum gewesen war, dass meine große Liebe, Taylor, von dem ich geglaubt hatte, er würde mich bedingungslos lieben, eine andere Frau geküsst hatte. Eine Frau, deren Überleben, deren Schutz ich über alles gestellt und deren Untergang ich letztendlich selbst herbeigeführt hatte. Unbarmherzig bohrte sich dieses schreckliche Gefühl in mein Herz, höhlte es aus und hinterließ ein dunkles Loch der Trauer, des Alleingelassenseins, der Verzweiflung. Würde diese endlose Qual jemals aus mir verschwinden? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur eins mit Bestimmtheit: Dass ich nicht am Leben sein durfte. Dass niemand von den Fairies noch leben durfte, zumindest nicht so, wie ich im Moment. Oder fühlte es sich etwa so an, wenn man tot war? Oder wenn man eine Seele auf der Suche nach einem anderen Körper war?

Aber dafür erschien mir alles viel zu real. Dieses Zimmer, dieser Geruch – das alles war echt. Ich war nicht tot. Aber wieso nicht? Weshalb lebte und atmete ich? Und wo befand ich mich? Auf der Erde oder längst in einer anderen Welt, in einem anderen Körper?

Da vernahm ich ein Geräusch. Es klang wie … ja, wie was? Ein kurzes, abgehacktes Tippeln, das immer lauter wurde und immer stärker von den Wänden zurückgeworfen wurde. Ich identifizierte das Geräusch als sich nähernde Schritte.

Sofort versteifte ich mich, versuchte, die Hände zu Fäusten zu ballen, doch wieder überkam mich die frustrierende Erkenntnis, dass ich nur meinen Kopf einigermaßen bewegen konnte. Alle anderen Glieder wollten mir nicht gehorchen. Die Frage war nur: noch nicht oder nie wieder?

Irgendwo hörte ich das Öffnen einer Tür. Sie musste sich zu meinen Füßen befinden, denn ich hatte sie bisher nicht sehen können.

Ich hörte, wie die tippelnden Schritte näherkamen und schließlich erschien das Gesicht einer dünnen, ganz in Weiß gekleideten Frau vor mir. Sie wirkte sehr blass und ihre Haut stand daher in starkem Kontrast zu ihren flammend roten Haaren und ihren ebenso roten Lippen. Sie stellte sich neben mein Bett und nahm das dünne Tablet hoch. Ihr Blick flog kurz über mein Gesicht, dann wandte sie sich dem dunklen Bildschirm zu. Sie hatte bereits den Zeigefinger der rechten Hand erhoben, um etwas auf den Touchscreen zu tippen, dann stutzte sie. Sie runzelte die Stirn, ihr Blick flog zurück zu mir, sie zog überrascht die Augenbrauen hoch und ein freudiges Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

»Oh, wie schön! Du bist wach!«, sagte sie und schien sich wirklich über diese Tatsache zu freuen.

Ich wollte etwas sagen, bekam jedoch lediglich ein Krächzen heraus. Somit nickte ich einfach nur.

Beschwichtigend legte sie eine Hand auf meine Schulter, strich mir kurz über den Kopf und nahm dann mein Handgelenk, um den Puls zu fühlen. Nach wenigen Sekunden notierte sie etwas auf dem mittlerweile hell leuchtenden Bildschirm in ihrer linken Hand. Das Seltsame war, sie musste das Tablet anscheinend überhaupt nicht berühren, sondern bewegte lediglich einen Finger knapp einen Zentimeter über der Oberfläche.

Ich musterte sie eingehend. Ohne Zweifel war sie ein Mensch. Ich schätzte sie auf etwa Mitte/Ende dreißig, großgewachsen, schlank, jedoch bereits mit einigen Fältchen um die Augenlider und ihr fehlte das markanteste Zeichen einer Fairy: das Prueba. Natürlich hätte sie sich die Mühe machen können, es vor mir zu verblenden, doch weshalb sollte sie? Mitten auf meiner Stirn prangte ein beeindruckendes Muster aus blau-weißen Steinen, die sich mittlerweile bis über die Schläfen und den Haaransatz erstreckten – das Prueba einer mächtigen Urfairy, welches ich im Moment nicht verblendete – oder doch? Ich runzelte die Stirn, strengte mich an, doch so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich mein Fairy-Zeichen auf magische Weise vor dieser Frau verbarg oder nicht. Vielmehr fühlte ich gar nichts Magisches. Verblüfft sog ich die Luft ein.

Sie deutete dies falsch und strich mir beruhigend über den Arm.

»Keine Sorge, es ist alles in Ordnung. Es geht dir gut.«

»Nein, ich …«, krächzte ich und bemerkte erfreut, dass ich jetzt einigermaßen sprechen konnte. Mein Hals fühlte sich rau und kratzig an und meine Stimme erkannte ich nicht wieder, aber ich konnte mich wenigstens verständigen, wenn auch sehr leise. »Ich kann mich nicht … bewegen.«

Sie nickte verständnisvoll und schenkte mir wieder dieses besänftigende Lächeln. »Ich weiß. Das ist alles völlig normal. Du hast sehr, sehr lange geschlafen. Dein Körper, deine gesamten Muskeln haben sich lange nicht bewegt und müssen erst wieder gestärkt werden. Aber ich kann dich beruhigen, du wirst dich wieder bewegen können.«

Erleichtert atmete ich auf. Ich war nicht gelähmt. Ich hatte nur lange geschlafen. Dann kam mir die Bedeutung dieser Worte in den Sinn.

»Was heißt das?« Ich hustete und es fühlte sich an, als hätte ich eine Drahtbürste im Hals. »Was heißt lange geschlafen? War ich im Koma?«

Was hatte das zu bedeuten? Wieso hatte ich geschlafen? Weshalb war ich nicht tot? Aus welchem Grund existierte diese Welt noch? Wo befand ich mich?

Wieder dieser lächelnde, wissende Blick ihrerseits.

»Ich werde den Arzt verständigen. Er wird dir alles erklären. Es kann allerdings etwas dauern, bis er kommt. Ich bin gleich zurück und helfe dir, dich aufzusetzen. Du möchtest sicher etwas trinken?«

Ich nickte.

»Ich bringe dir Wasser.«

Damit wischte sie wieder über das Tablet, ohne es wirklich zu berühren, dessen Licht daraufhin erlosch, legte es auf den Beistelltisch und verließ das Zimmer.

Mein Blick wanderte wieder zu der weißen Decke mit der grellen Neonbeleuchtung. Ich hatte sehr lange geschlafen, hatte sie gesagt. Was hatte das zu bedeuten? Lange geschlafen? Rose war an Beltane gestorben. Eigentlich hätte das geschehen müssen, was mit allen Welten geschehen war, in denen die Seelen der Fairies bisher wiedergeboren worden waren. Sie hätten unwiderruflich zerstört werden müssen und mit ihnen jegliches Leben darauf. Dann aber kam mir ein anderer Gedanke. Rose hatte kurz vor ihrem Tod ihre wahre Liebe gefunden. Erneut dieser Schmerz, der mich zusammenzucken ließ, sobald ich das Bild von Rose und Taylor vor meinem inneren Auge erscheinen ließ. Hatte ihr Kuss doch gewirkt und die Erde nicht untergehen lassen? Aber ich hatte gesehen, wie die Naturkatastrophen über den Planeten gefegt waren, hatte mit angesehen, wie alles Leben zerstört worden war.

Die Rückkehr der rothaarigen Frau riss mich aus meinen Gedanken. Sie stellte ein Glas Wasser auf meinen Beistelltisch und begann, mit einer Fernbedienung langsam das Rückenteil meines Bettes hochzufahren. Ich keuchte. Wieder diese Nadelstiche, doch diesmal fühlte ich sie auf meinem gesamten Körper. Sie stützte meine Schultern und stoppte das Hochfahren.

»Alles in Ordnung? Noch weiter?«

Ich biss die Zähne zusammen und nickte, bis mein Oberkörper sich in einer aufrechten Position befand. Nun hatte ich einen Blick auf die Tür und das restliche Zimmer, dessen Einrichtung lediglich aus einer weißen, kargen Schrankwand bestand, vor der zwei einsame Plastikstühle standen.

»Na, das fühlt sich doch gleich anders an, nicht wahr?« Die Frau legte die Fernbedienung für das Bett zur Seite und lächelte mich wieder schief an.

»Sicher hast du tausend Fragen, oder?«

Ich nickte und sie lächelte, während sie mir das Wasserglas an die Lippen hielt und ich gierig trank. Kühl rann das Nass durch meine trockene Kehle und bald hatte ich das ganze Glas geleert. Mit einem Klirren stellte sie es wieder auf dem Tisch ab und nahm meine Hand in ihre.

»Dann wollen wir mal sehen, ob du nicht wenigstens bald deine Arme und Finger bewegen kannst.«

Mit geübten Griffen begann sie, meine Hand zu kneten, die Muskulatur aufzuwärmen und forderte mich auf, die Finger zu beugen und zu strecken.

Es war schlichtweg frustrierend. So sehr ich mich auch bemühte, mehr als ein leichtes Zittern in den vorderen Fingergelenken bekam ich nicht zustande, was die Krankenschwester jedoch als ersten Erfolg verbuchte.

»Viele können sich am Anfang überhaupt nicht regen. Dieses Zittern ist wirklich gut. Ich denke, morgen oder spätestens übermorgen kannst du wieder selbstständig essen und Dinge greifen.« Sie versuchte, mich aufzumuntern, aber ich konnte ihren Worten nicht so recht Glauben schenken.

Ich fühlte mich schrecklich ausgeliefert. Ich musste gefüttert und gewaschen werden – vermutlich auch gewickelt – O Gott, beim letzten Gedanken musste ich husten. Als ich mit glühend heißen Wangen nach diesem Detail fragte, schenkte mir die Frau wieder ihr beschwichtigendes Lächeln.

»Keine Sorge, auch das wird sich bald erledigt haben, du wirst sehen. Erfahrungsgemäß benötigt ihr Fays nur wenige Tage, bis ihr wieder unabhängig seid.«

Ihr Fays? Was sollte das wieder heißen? War das eine Abkürzung für Fairies? Woher wusste sie als Mensch überhaupt von uns?

Ich wollte genauer wissen, was das zu bedeuten hatte, doch in diesem Moment wurde die Tür geöffnet und ein großer, blonder Mann betrat den Raum. Er hielt ein metallenes Klemmbrett in der Hand, welches er an seine Brust gedrückt hatte und sein Blick wanderte sofort zu mir. Ich musterte ihn ebenfalls. Er war sehr schlank, graue Strähnen durchzogen bereits sein helles Haar und leichte Fältchen umspielten seine blauen Augen. Doch was mich an ihm am meisten irritierte, war dieses Zeichen zwischen seinen Brauen. Es war kein Prueba, vielmehr eine Art Tätowierung, aber auch keine, wie ich sie jemals bisher gesehen hatte. Feine, geschwungene, leicht glitzernde Linien zogen sich bis hinüber zu seinen Schläfen. An den Stellen, an denen sich bei den Fairies schimmernde Edelsteine befunden hätten, zeichneten sich diverse Kreise und Spiralen ab, jedoch war dieses Zeichen bei Weitem nicht so groß und filigran wie das Prueba der Fairies. Was für ein Wesen war das? Ein Mensch? Ein Fairy? Oder eine vollkommen neue Kreatur? Er trug einen weißen Kittel und ein leuchtendes Schild, welches auf sonderbare Weise mit seiner Kleidung an der rechten Seite seiner Brust verknüpft zu sein schien, wies ihn als Dr. Stephen Hensel aus, ein Arzt vermutlich.

Er nickte der Schwester zu, die daraufhin den Raum verließ, mir zuvor aber erneut ein Lächeln schenkte, bevor sie die Zimmertür hinter sich schloss.

Ich richtete meine volle Aufmerksamkeit auf den Arzt. Er reichte mir eine Hand, die ich natürlich nicht schütteln konnte, was er freundlicherweise für mich übernahm, nannte seinen Namen und zog einen der beiden Stühle neben mein Bett, auf dem er sich niederließ und blickte abwechselnd von seinem Klemmbrett zu dem Tablet und zurück.

»Wie ist dein Name?«

»Sophie«, antwortete ich. Beinahe hätte ich Cayuga hinzugefügt, aber irgendetwas in mir riet mir, den Namen meiner Fairy noch nicht preiszugeben. Wenn er sich in der Welt der Fairies auskannte, wusste er ohnehin, wen er vor sich hatte.

»Sophie und weiter?«, fragte er, ohne von dem Klemmbrett aufzusehen.

»Wie und weiter? Meinen Nachnamen?«

Dr. Hensel blickte auf und lächelte. »Ich meine den Namen der Fairy, die in dir gelebt hat.«

»Wie in mir gelebt hat?«, rutschte es mir heraus, noch bevor ich mir überhaupt sicher war, diese Frage zu stellen.

Er atmete hörbar durch und legte sowohl Klemmbrett als auch Tablet beiseite. Dann stand er auf und verschwand aus meinem Gesichtsfeld. Es rumpelte und wenig später schob er einen großen Standspiegel auf Rollen neben mein Bett. Als mein Blick auf mein eigenes Spiegelbild fiel, keuchte ich erschrocken auf. Hätte ich gekonnt, hätte ich beide Hände vor mein Gesicht geworfen, aber so blieb mir nichts anderes übrig, als mich einfach nur entgeistert und vollkommen entsetzt anzustarren.

Der Arzt blieb wohl aus Respekt ein wenig abseits stehen und gab mir die Zeit, zu begreifen, was genau ich da sah.

Das war ich, Sophie, kein Zweifel, aber nicht Sophie Cayuga.

2. Kapitel

Ich blickte in faszinierende grüne Augen, die besonders hell schillerten und einen eisblauen Rand besaßen und die der Intensität von Cayugas Iris in nichts nachstanden. Mein Gesicht war nicht mehr ganz so schmal, mit hochstehenden Wangenknochen, eher herzförmig, mit schön geschwungenen, aber nicht mehr ganz so vollen Lippen. Ich drehte meinen Kopf leicht von einer Seite zur anderen, begutachtete meine Haare, die jetzt schulterlang waren und sich leicht an den Spitzen kräuselten. Sie waren von einem intensiven Kastanienbraun und besaßen einen unglaublichen Glanz wie zuvor die dunkle, ellenlange Haarmähne von Cayuga. Aber das wohl Merkwürdigste an mir war mein Prueba, das ich nicht mehr wiedererkannte. Die blau-silbern glitzernden Steine waren verschwunden. Stattdessen glich das Fairy-Zeichen dem des Arztes. Silberne dünne Linien überzogen meine Stirn, vermischten sich mit bläulichen Spiralen und Kreisen und glichen einem schillernden Tattoo, welches in meine Haut gebrannt war. Am liebsten hätte ich es betastet, doch so blieb mir nichts anderes übrig, als mich einfach nur fassungslos anzustarren. Es war, als wäre ich wieder die Sophie von vor meiner Zeichnung, jedoch vermischten sich die Äußerlichkeiten mit denen von Cayuga und dann auch wieder nicht. Es war sehr verwirrend und doch sickerte die Erkenntnis langsam in mein Bewusstsein.

»Ich … ich bin wieder ein Mensch«, keuchte ich und sog die Luft ein. Ich wusste, dass es so war. Schon die ganze Zeit über. Die Magie der Fairies war aus mir verschwunden und doch auch wieder nicht. Irgendwie fühlte ich mich seltsam. Halb Mensch, halb Fairy, war das möglich?

Dr. Hensel nahm auf dem Stuhl neben mir Platz, sah mich mitfühlend an und mir kam der Gedanke, dass solche Gespräche zur Routine für ihn zählen mochten.

»Ja, Sophie, du bist wieder ein Mensch«, bestätigte er meine Vermutung und ich spürte, wie mir sämtliches Blut aus dem Gesicht wich. Die zunehmende Blässe konnte ich im Spiegel in Echtzeit verfolgen. Wer mich beobachtete, hätte glauben können, ich wäre einer Ohnmacht nahe.

»Sicher ist das ein großer Schock für dich und glaub mir, mir ging es damals genauso, als ich davon erfuhr.« Er deutete auf seine Stirntätowierung. »Wie du dir denken kannst, war ich ebenfalls wie du einst ein Fairy. Wir bezeichnen uns selbst, die sogenannten ehemaligen Fairies, heute als Fays.«

Ich sagte nichts, war unfähig, irgendetwas zu erwidern. Die Erkenntnis, nicht mehr übernatürlich zu sein, nicht mehr mit Cayuga verbunden zu sein, schlichtweg keine mächtige Fairy mehr zu sein, machte mich mehr als sprachlos.

Er gab mir die Zeit, die ich benötigte, um mich zu sammeln. Ich musste immer wieder in den Spiegel sehen, war vollkommen von dem Mädchen, das ich dort sah, in den Bann gezogen. Wo war die umwerfende Cayuga geblieben mit ihren durchdringenden, eisblauen Augen? Eine Fay – eine ehemalige Fairy.

»Wo …«, setzte ich an, brach ab. »Was …?« Ein erneuter Versuch, doch wieder fehlten mir die Worte.

Er nickte verständnisvoll. »Du möchtest wissen, was geschehen ist, nicht wahr?«

Ich nickte, schluckte.

»Zu allererst, du befindest dich noch auf der Erde, genauer gesagt dort, wo früher einmal das Kap der guten Hoffnung lag. Doch durch die Apokalypse verschoben sich die Kontinente und auch sämtliche Flora und Fauna verschwanden, bis auf einige wenige Landstriche, auf denen sich noch karger Ackerbau und Viehzucht betreiben lassen. Zunächst erweiterten die Menschen bestehende Bergwerke, arbeiteten sich durch die Stollen vor und errichteten schließlich unter diesen noch bewohnbaren Bereichen unterirdische Städte, die sie mittlerweile als die U-Cities bezeichnen und in einer von ihnen befinden wir uns.«

Ich starrte ihn mit offenem Mund an, unfähig, irgendetwas zu sagen. Kontinente verschoben? Unterirdische Städte? Himmel, wie viel Zeit war seit dem Beltane-Fest vergangen?

»Bevor du fragst, wir schreiben das Jahr 119 nach der Apokalypse«, sagte er als hätte er meine Gedanken gelesen. Unwillkürlich kam mir in den Sinn, ob er wohl ein Geistelementarier war oder gewesen war?

Dann dachte ich genauer über die Jahreszahl nach, die er mir genannt hatte.

»119?«, fragte ich ungläubig und er nickte. »Sie wollen mir ernsthaft erzählen, dass ich über hundert Jahre geschlafen habe?«

Erneut ein Nicken und ein verständnisvoller Blick.

»Wie konnte ich so lange überleben? Ohne Nahrung? Ohne Wasser? War ich im Koma?«

Jetzt schüttelte er den Kopf. »Nein, als Koma kann man das nicht bezeichnen. Vielmehr als magischen Schlaf. Sämtliche Körperfunktionen wurden auf ein Minimum reduziert. Wir Ärzte können es uns immer noch nicht erklären, wie wir Menschen über so lange Zeit überdauern konnten, ohne zu altern und ohne Nahrung und Flüssigkeit zu benötigen.«

»Ich verstehe aber immer noch nicht, weshalb wir in den Schlaf gefallen sind.« Ich wollte mir den Kopf reiben, um mir so die Geschehnisse von damals besser in Erinnerung zu rufen und stellte frustriert fest, dass ich meine Finger noch immer nicht bewegen konnte.

»Du erinnerst dich sicher an das verhängnisvolle Beltane-Fest, nicht wahr?« Er blickte mich prüfend an und ich nickte.

»Wer erinnert sich nicht daran?« Diese Worte waren einfach so über meine Lippen gekommen, ohne dass ich sie hatte aussprechen wollen.

Der Arzt atmete tief durch. »Dann weißt du sicher auch, wie Cayuga ihre gewaltigen Elementarkräfte entfesselte und damit die Prinzessin tötete.«

Jetzt war es an mir zu nicken. Wer, wenn nicht ich, wüsste dies besser?

»Viele glauben, dass sie einfach wahnsinnig geworden ist, andere denken, sie sei eifersüchtig auf die Prinzessin, wobei ich das für schwachsinnig halte. Immerhin war sie eine übermächtige Urfairy, die Auroras Schutz über alles gestellt hat. Ich halte sie nicht für jemanden, der sich von Gefühlen beeinflussen ließ. Aber andere sind da unterschiedlicher Meinung. Genau werden wir es wohl erst herausfinden, wenn ihre Fay erwacht ist und das ist bis jetzt noch nicht geschehen.«

Ich konnte nicht umhin, betreten zu Boden zu blicken und zu schlucken. Diese Fay saß direkt vor ihm, aber es sah so aus, als wüsste er das nicht. Die Frage war jetzt nur, sollte ich es ihm sagen? Ich entschied mich vorerst dafür, zu schweigen, zumindest so lange, bis ich mir sicher sein konnte, dass mir als ehemalige Cayuga keine Gefahr drohte.

Die Erinnerung an das Beltane-Fest schmerzte. Ich glaubte nicht, dass er nur annähernd verstehen konnte, was in mir vorgegangen war, als ich mit angesehen hatte, wie Taylor und Rose sich küssten. Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken an diesen Moment zu vertreiben, doch der Arzt deutete dies als Zustimmung für seine These.

»Cayuga tötete die Prinzessin noch bevor diese ihren zwanzigsten Geburtstag erleben konnte. Der Fluch wurde damit erneut ausgelöst.«

»Aber die Erde wurde nicht vernichtet wie die anderen Welten zuvor«, warf ich ein.

»Ja, das ist richtig. Hier können wir nur Vermutungen anstellen. Es ist gut möglich, dass der Kuss, den sich der Prinz und die Prinzessin noch vor der Vernichtung durch Cayuga gaben, den Fluch quasi abgemildert hat.«

Ich nickte zustimmend. Diese Idee war mir auch schon gekommen und sie war die einzig mögliche Erklärung dafür, dass die Erde und auch ihre Bewohner die Apokalypse überlebt hatten.

»Tatsache ist, dass die Fairy-Seelen ihre menschlichen Körper verließen, welche in diesen besonderen, magischen Schlaf verfielen.«

»Was ist mit den Fairies selbst geschehen?«, fragte ich und hing gebannt an den Lippen des Arztes. Diese Frage interessierte mich brennend, denn jetzt, da ich wusste, dass Cayugas Seele nicht mehr in mir lebte, wollte ich unbedingt wissen, was mit ihr geschehen war. Jetzt lächelte Dr. Hensel zu meiner Überraschung.

»Ich weiß sehr genau, was in dir vorgeht. Wir haben die Seelen dieser übermächtigen Wesen über so lange Zeit geteilt. Jetzt ohne sie zu sein, ist, als wäre man nicht mehr vollständig.«

Ich nickte. Genauso fühlte es sich an, als wäre ich irgendwie nur noch halb.

»Ich kann dich beruhigen, die Fairies wurden ebenso wie die Menschen nicht vernichtet. Sie, jetzt wieder alleinige Herrscher über ihre Körper, fielen ebenso wie wir in magischen Schlaf – jedoch mit einem Unterschied. Von ihnen ist seit der Apokalypse niemand je wieder erwacht.«

»Aber sie sind nicht tot?«, hakte ich nach.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, wie schon gesagt, sie befinden sich in magischem Schlaf. Nur wachen sie nicht auf. Wir Fays schon.«

Ich runzelte die Stirn, ließ die Worte auf mich wirken. Die Fairies waren nicht wieder erwacht, keine von ihnen. Wieso aber dann wir Fays?

»Und die Erde … Wie muss ich mir den Planeten vorstellen?«, wollte ich weiter wissen.

»Du kannst sie keinesfalls mit dem Planeten von früher vergleichen. Der größte Teil der Erdoberfläche ist mit dunklem Eisgemisch und grobem schwarz-roten Stein bedeckt. Noch immer gibt es die großen Meere, den Atlantik, den Pazifik, aber die Kontinente sind nicht mehr dieselben. Einige haben sich verbunden, andere sind auseinandergerissen worden. Alle haben sich komplett verändert, sei es im Aussehen, dem Klima, der Vegetation. Aber überall gibt es wenige Landstriche, die bewohnt werden können. Aber sie sind sehr klein und würden nicht ausreichen, um den vielen Menschen und Fays ausreichend Lebensraum zu bieten. Daher kamen die Menschen auf die Idee, unterirdische Städte direkt unterhalb der bewohnbaren Flächen zu errichten mit entsprechenden Luftfiltern, Sauerstoffzufuhr, Solarstrom, zu erreichen über kilometertiefe Aufzugschächte. Wie ich bereits sagte, wurden alte Bergwerke und Stollen, die schon vorhanden waren, aufwändig erweitert und ausgebaut. Und die unterschiedlichen Städte handeln natürlich weltweit miteinander. Die Menschen sind Überlebenskünstler. Es ist unvorstellbar, was sie – pardon – was wir in den letzten Jahrzehnten alles vollbracht haben.« Er hustete kurz lächelnd. »Tut mir leid. Auch für mich ist es immer noch schwer, mich wieder als Mensch zu sehen. Ich war sehr lange Zeit ein Fairy.«

»Vermissen Sie es nicht?«, wollte ich unwillkürlich wissen.

Er zog die Augenbrauen hoch.

»Na ja, ich meine die Elementarkräfte, das lange Leben, das makellose Aussehen«, führte ich meine Frage weiter aus.

Er seufzte. »Natürlich. Welcher Fay tut das nicht? Aber es ist ja nicht so, dass wir alles verloren hätten. Manche von uns sehen ihren Fairies ähnlicher als den Menschen, die sie vor ihrer Beltane-Zeremonie waren und es gibt sogar einige wenige, die ein kleines bisschen Magie ausüben können. Meist sind es Geistkräfte wie das Gedankenlesen, in die Zukunft blicken oder besondere Menschenkenntnis. Viele der Erdelementarier haben beispielsweise eine besonders intensive Verbindung zur Natur. Je nachdem, wie lange wir bereits Fairies waren und wie ausgeprägt unsere Magie war, haben wir uns auch verändert und angepasst.«

Ich überlegte. Ich war knapp eineinhalb Jahre lang eine Fairy gewesen, jedoch eine übermächtige Urfairy. Wie viel steckte noch von Cayuga in mir? Vielleicht Teile ihrer Magie?

»Womit wir wieder bei meiner Frage wären, Sophie. Wie war dein Fairy-Name?«

Ich schluckte, überlegte. Sollte ich ihm sagen, dass ich Cayuga gewesen war? Die Urfairy, die diese ganze Misere erst ausgelöst hatte?

»Ich war Sophie Ranova«, log ich und nannte den erstbesten Namen, der mir in den Sinn kam. Diesen Fairy-Namen hatte ich einmal auf der Akademie aufgeschnappt. Ich wusste, dass ich hoch pokerte, denn leider konnte ich mich nicht an ihren menschlichen Vornamen erinnern und hoffte inständig, dass dieser auch Sophie gewesen war. Doch, wie hoch war die Wahrscheinlichkeit schon? Allein auf der MS Fairytale hatten sich über zweitausend Fairies befunden, mit den unterschiedlichsten internationalen Namen. Bei dem Gedanken an die MS Fairytale kam mir in den Sinn, dass diese Zeit mittlerweile Jahrzehnte zurücklag, über ein ganzes Jahrhundert und mir schien es, als sei es erst gestern gewesen.

Dr. Hensel warf mir einen tiefgründigen Blick zu, den ich nicht recht deuten konnte, begann dann mit seinem Zeigefinger auf dem Tablet herumzuwischen, ohne es wie die Schwester zuvor wirklich zu berühren, und meinte beinahe beiläufig: »Schade, ich hatte so gehofft, du wärst die Sophie, nach der die ganze Welt sucht.«

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Meine Vorahnung hatte mich also nicht getäuscht. Sie suchten nach der Fay, die einst Sophie Cayuga gewesen war. Ich versuchte mich an einem unschuldigen Pokerface und meinte mit hochgezogenen Augenbrauen: »Sie meinen Sophie Cayuga, nicht? Da muss ich Sie leider enttäuschen.«

Dr. Hensel lächelte und schenkte mir wieder einen sehr seltsamen, durchdringenden Blick, aber auch ich wurde aus seiner Miene nicht schlau. Weshalb suchte überhaupt die gesamte Welt nach Sophie Cayuga? Was wollten sie von mir? Mich verhaften? Eventuell sogar foltern? Ich schluckte. Eigentlich hatte ich den Arzt genau dies fragen wollen, entschied mich aber nun doch dagegen. Diese Frage war vielleicht zu auffällig und ich hatte ohnehin das Gefühl, als durchschaute er mich.

Er hatte sich mittlerweile wieder dem Tablet zugewandt und verkündete wenig später, als hätten wir nie auch nur angenommen, ich könnte auch nur ansatzweise Sophie Cayuga sein: »Es gibt eine Fairy namens Ranova in der U-City Delwagen. Sie liegt allerdings auf einem anderen Kontinent. Tut mir leid. Du wirst ihren schlafenden Körper so bald nicht besuchen können.«

Ich versuchte mich an einer traurigen Miene und hoffte, dass ich ihn einigermaßen täuschen konnte. Dann jedoch kam mir ein anderer Gedanke. Woher wusste er, wo sich Ranova befand, wenn sie doch schlief und nicht sagen konnte, wer sie war? Als ich diese Frage laut stellte, lächelte der Arzt.

»Jede Fay wird früher oder später zu den schlafenden Fairies gebracht, damit wir feststellen können, ob sie einige von ihnen erkennt. So schließen wir die Informationslücken.«

Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Ich würde früher oder später die schlafenden Fairy-Seelen sehen! Befanden sich darunter ehemalige Freunde oder Feinde? Unwillkürlich dachte ich an die Shuk. Was war aus ihnen geworden?

Doch noch ehe ich danach fragen konnte, erhob sich Dr. Hensel, legte das Tablet wieder auf meinen Beistelltisch, drückte sich sein Klemmbrett an die Brust und griff lächelnd nach meiner Hand.

»Keine Sorge, Sophie. Die Schwestern und Therapeuten hier werden deinen Körper wieder fit bekommen. Ich bin sicher, dass du schon bald wieder gehen, stehen, greifen kannst. Deine Muskulatur muss nur erst wieder gestärkt werden. Besondere Krankengymnastik und Muskelbestrahlungen werden deinem Körper dabei helfen. Ich bleibe für die Zeit in diesem Hospital dein betreuender Arzt.«

»Danke … für alles«, sagte ich leise. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken.

»Keine Ursache«, winkte Dr. Hensel ab. »Das ist mein Job. Ich würde dir raten, jetzt etwas zu schlafen, um die vielen Informationen erst einmal unterbewusst zu verarbeiten.«

»Und wer sagt mir, dass ich dann nicht erst in hundert Jahren wieder aufwache?«, versuchte ich mich an Sarkasmus und doch hatte ich tatsächlich Angst davor, einzuschlafen.

»Keine Sorge. Das wird nicht passieren. Eine aus dem magischen Schlaf erwachte Fay hat wieder einen normalen, menschlichen Biorhythmus.« Er zwinkerte mir zu. »Alles Gute, Sophie.«

Damit verließ er das Zimmer und ließ mich mit einer unglaublichen Flut an Informationen zurück.

3. Kapitel

Blumen, überall Blumen.

In den schönsten Farben und Formen.

Dazwischen schlangen sich grüne Ranken in geschwungenen Spiralen an rauen Baumstämmen empor, umrahmten die großen und kleinen Blütenkelche mit glänzenden, wunderschön geäderten Blättern. Vereinzelt zierten Tautropfen die Pflanzen und wirkten im hellen Licht der aufgehenden Sonne wie kostbare Perlen.

Ich schlug die Augen auf, blickte mich verwirrt um und wusste zunächst nicht, wo genau ich mich befand. Gedämmtes Licht beleuchtete nur spärlich meine Umgebung, aber sobald ich die sterile Schrankwand, den Beistelltisch, sowie den fahrbaren Spiegel erkannt hatte, der noch immer gegenüber von meinem Bett stand, fiel es mir wieder ein. Wenn ich den Worten des Arztes Dr. Hensel Glauben schenken wollte, lag dieser Raum tief unter der Erde in einem Krankenhaus, welches darauf spezialisiert war, ehemaligen Fairies, die aus einem Jahrzehnte währenden, magischen Schlaf erwachten, die Rückkehr in ein normales, menschliches Leben zu erleichtern. Ich wollte mich aufsetzen, doch ein stechender Schmerz fuhr durch meinen ganzen Körper und erneut wurde mir bewusst, dass ich gelähmt war, für den Moment zumindest.

Frustriert schloss ich die Augen. Mist, ich hatte so viel überstanden, so vieles erlebt, so viel durchgemacht – und wofür das alles? Um jetzt an ein Bett gefesselt zu enden, von Menschen abhängig, dazu verdammt, alles von vorn zu lernen?

Ich biss die Zähne zusammen. Nein, ich war die Urfairy Cayuga persönlich gewesen. Wenn ich etwas von ihr gelernt hatte, dann, dass ich alles schaffen konnte, wenn ich nur an mich glaubte. Sie hätte sich nicht auf andere verlassen, sie hätte versucht, sich selbst aus dieser Situation zu befreien, aus eigener Kraft und Stärke.

Ich schloss die Augen, fühlte ganz in mich hinein, hörte meinen Herzschlag, meinen langsamen Atem. Ich konzentrierte mich allein auf mein rechtes Bein, versuchte, die einzelnen Nervenstränge intensiv zu verfolgen, sie ins Leben, in mein Bewusstsein zurückzurufen. Zunächst erfolglos.

Aber dann, nach einer Weile, die sich für mich wie eine halbe Ewigkeit anfühlte, begann es plötzlich in meinem ganzen Bein zu kribbeln. Es war, als krabbelten Millionen Ameisen über meine Haut und lösten einen wahren Wirbelsturm an Reaktionen in mir aus. Auf einen Schlag spürte ich sämtliche Nerven, Muskeln und Sehnen in mir. Sie brannten allesamt wie Feuer. Es war ein Schmerz, der sich nur schwer in Worte fassen ließ und ich wollte schreien, so sehr überwältigte er mich. Ich keuchte auf, atmete schwer, doch ich unterdrückte jeden Laut, der über meine Lippen kommen wollte, niemand sollte mich hören, mich eventuell mit Schmerzmitteln betäuben. Nein, ich musste da durch. Nur so würde ich mein normales Körpergefühl zurückbekommen, da war ich mir sicher.

Die Zeit, in der ich einfach nur bewegungslos dalag, die Qualen lautlos über mich ergehen ließ, war für mich schwer einzuschätzen. Hätte man mich gefragt, ich hätte mehrere Stunden gesagt, aber in Wahrheit mussten nur wenige Minuten vergangen sein, vielleicht eine Viertelstunde.

Als die Schmerzen endlich abebbten, löste ich mich langsam aus meiner verkrampften Haltung, entspannte mein Gesicht und versuchte, vorsichtig meine Finger zu erfühlen und sie zu krümmen.

Ich keuchte auf, mein Atem ging stoßweise.

Ich konnte meine Finger bewegen! Und nicht nur das. Ich konnte meine Hand zu einer Faust ballen, sie heben und senken. Das schmerzhafte Kribbeln hatte zwar wieder eingesetzt, war jedoch auszuhalten, und je mehr ich die einzelnen Sehnen dehnte, die Finger bog und wieder streckte, desto erträglicher wurden die Schmerzen, bis sie schließlich komplett verschwanden.

Als ich meine Hände wieder gut bewegen konnte, wagte ich den nächsten Schritt. Ich versuchte, mich auf meinen Ellbogen abzustützen und meinen Oberkörper hochzudrücken, was natürlich leichter gesagt als getan war. Es fühlte sich an, als steckten tausend Messer in meinem Rücken und je weiter ich mich aufsetzte, desto mehr schmerzten sie, als würde jemand sie packen und genüsslich in meinen Muskeln umdrehen. Doch wie bereits zuvor biss ich die Zähne zusammen, konzentrierte mich auf die Bewegung. Schweiß brach mir aus, ich zitterte, atmete schwer und langsam, Millimeter für Millimeter gelang es mir, mich nach oben zu schieben. Mein Rücken fühlte sich an, als stünde er in Flammen und dennoch bemerkte ich dasselbe Phänomen wie zuvor bei den Fingern: je mehr ich meine Muskeln dehnte, desto besser wurde das Gefühl. Irgendwann setzte das intensive Kribbeln ein und ich wusste, die größte Anstrengung war überwunden.

Und dann saß ich aufrecht im Bett, konnte meinen Oberkörper nach links und rechts drehen, mir mit den Händen über die nasse, verschwitzte Stirn fahren und den Lichtschalter für die kleine Lampe auf dem Beistelltisch betätigen. Ein helles Licht erfüllte daraufhin den Raum, das jedoch bei Weitem nicht so grell war wie die Neonlampen an der Decke des Zimmers. Sofort fiel mein Blick wieder auf den Spiegel zu meiner Rechten. Ich sah blass aus, abgekämpft, hatte jedoch leicht gerötete Wangen, was vermutlich von der körperlichen Anstrengung eben herrührte, die mir doch mehr abverlangt hatte, als ich gedacht hätte.

Ich runzelte die Stirn. Wieviel von Cayuga steckte noch in mir? Ich erkannte definitiv wieder die Sophie von früher, von vor meiner Verwandlung in mir und auch wieder nicht. Die junge Frau, die mir da entgegenstarrte, war ohne Zweifel sehr hübsch, hatte ein schmales Gesicht, schöne geschwungene, leicht roséfarbene Lippen und wunderschöne, einzigartig grüne Augen mit eisblauem Rand – Augen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Mein Blick wanderte hoch zu meiner Stirn. Jetzt, mit neu gewonnener Kontrolle über meine Finger und Hände, betastete ich vorsichtig die feinen, silbernen Linien, die sich vollständig mit meiner Haut verbunden hatten. Lediglich eine dünne Erhebung war zu spüren, ähnlich einer kleinen Narbe. Meine Finger strichen weiter durch meine seidenweichen Haare, die leichten Locken an den Spitzen.

Ich konnte nicht sagen, dass ich mit meinem neuen Aussehen unzufrieden war. Nicht mehr die sexy Cayuga, aber auch nicht mehr die pummelige, unscheinbare Sophie. Eine neue Persönlichkeit. Die Frage war nur noch, steckte noch Magie in mir und wenn ja, wie viel oder welche Art? Eine Fay. Ein neues Wesen auf diesem Planeten, welches wieder mehr einem Menschen glich, jedoch auch Charakteristika einer Fairy aufwies.

Ich atmete tief durch, blickte auf meine Beine, die unter der dünnen Decke steckten.

Zu meiner Überraschung waren die Schmerzen bei Weitem nicht mehr so intensiv wie noch in meinen Händen und meinem Oberkörper. Ich hatte erwartet, dass es mir unglaublich schwerfallen würde, auch nur den kleinen Zeh zu bewegen, geschweige denn meinen Fuß und das ganze Bein, aber bereits nach wenigen Minuten konnte ich jede einzelne Zehe krümmen und geraderichten, den Fußballen drehen und schließlich, wenn auch wieder mit dem bekannten Kribbeln in sämtlichen Gliedern, auch ein Bein heben.

Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Wieder Herr über den eigenen Körper sein, sich bewegen können – ein absolut herrliches Gefühl.

Ich atmete noch einmal tief durch und biss die Zähne aufeinander. Sollte ich noch weitergehen? Entschlossen drehte ich meinen Oberkörper und schob die Beine zur Seite, ließ sie über die Kante des weichen Bettes hängen und senkte sie langsam hinab, bis sie schließlich den kühlen Vinylboden berührten. Ich wackelte mit den Zehen auf dem harten Untergrund, unsicher, ob meine Füße meinen Körper tragen konnten. Was, wenn ich zusammenbrach? Unfähig, mich selbst wieder aufzurichten?

Nein. Energisch schüttelte ich den Kopf. Ich hatte es geschafft, in so kurzer Zeit das Gefühl über meinen Körper zurückzugewinnen. Ich würde es genauso schaffen, mich wieder selbst fortzubewegen. Denn mir war klar, ich musste herausfinden, was wirklich geschehen war, weshalb die Erde nicht untergegangen war und sich auf so merkwürdige Weise verändert hatte. Irgendetwas war schiefgelaufen, stimmte nicht und eine Stimme in meinem Unterbewusstsein flüsterte mir zu, dass ich etwas damit zu tun hatte. Ich und Cayuga, wo auch immer sie sich befand. Irgendwie musste ich herausfinden, wo die Urfairies steckten, was mit ihnen geschehen war. Ich hatte den Arzt nicht danach fragen wollen, weil ich ihn nicht auf den Gedanken bringen wollte, dass vielleicht doch die Sophie vor ihm saß, nach der die Menschen und Fays suchten, die Sophie, die früher den Namen der zwölften Urfairy getragen hatte.

***

Unendlich langsam kam ich vorwärts, setzte mit Bedacht ein Bein vor das andere. Zunächst riskierte ich es nicht, meine Hände von der Bettkante zu nehmen, wagte somit nur wenige Schritte, bis ich an den Punkt kam, an dem ich hätte loslassen müssen. Scheinbar unüberwindbare zweieinhalb Meter trennten mich von der Tür, meine Hände krallten sich aber noch um das Bettgestänge.

Ich atmete tief durch.

Du schaffst das, Sophie. Wenn nicht du, wer dann?

Ich rang mir ein zittriges Lächeln ab – schließlich sagte man immer, dass ein Lächeln dem eigenen Körper stärkende Signale gibt und man tatsächlich mehr leisten kann – und löste dann Finger um Finger von der Bettkante.

Ich schwankte einen Moment, alle meine Muskeln zitterten, aber ich brach nicht zusammen. Ich streckte meine Arme aus, um besser das Gleichgewicht halten zu können, und schob mein rechtes Bein nach vorn. Dasselbe wiederholte ich langsam mit dem linken.

Vermutlich sah ich aus, als würde ich soeben über eine kilometertiefe Schlucht balancieren, den Blick stur nach vorne auf mein Ziel gerichtet: Die Tür.

Wahrscheinlich waren nur wenige Minuten vergangen, bis ich endlich den verchromten Türgriff umklammern konnte, aber ich war durchgeschwitzt und meine spärliche Kleidung, die nur aus einem dünnen, weißen T-Shirt und einer ebenso dünnen, weißen Hose bestand, klebte mir am Rücken. Mein Haaransatz war ebenfalls nass und meine Handflächen rutschten zunächst am Griff ab, bevor ich ihn fester packte und vorsichtig die Klinke nach unten drückte. Sie gab nach, ich hörte ein Klicken und wenig später konnte ich die schwere, vermutlich schallgedämpfte Tür öffnen. Ich zog sie einige Zentimeter zu mir heran und lugte durch den entstandenen Spalt auf einen spärlich beleuchteten Gang. Nächtliche Stille lag über dem Flur. Doch war es überhaupt Nacht? Ich war einfach davon ausgegangen, weil der Arzt sich von mir verabschiedet hatte und ich anschließend eingeschlafen war. Vielleicht war es in diesem tiefen, unterirdischen Bunker/Hospital, oder was das hier auch war, immer so ruhig und sie sparten Strom mit diesem gedämpften Licht. Aber nein. Ich dachte an die überhellen Lampen bei meinem Erwachen und konnte mich erinnern, geschäftiges Treiben auf dem Gang vernommen zu haben, als Dr. Hensel mein Zimmer betreten hatte. Geklapper, Stimmengewirr, hektische Schritte, eben wie in einem Krankenhaus. Davon war nun nichts mehr zu hören, bis auf gedämpfte Stimmen, wahrscheinlich von Mitarbeitern der Nachtschicht. Vermutlich befanden sie sich in einem separaten Raum mit – für einen kurzen Moment erschrak ich – Kameras, die die einzelnen Zimmer überwachten. Wenn dem so war, dann würden sie das leere Bett in meinem Raum sicher bald entdeckt haben und nachsehen, was die Patientin denn da so trieb.

Entschlossen trat ich hinaus auf den Gang und sah mich etwas ratlos um. So, und was nun, Sophie?

Die Wahrheit: Ich hatte keinen so rechten Plan, was ich tun sollte. Ich befand mich in einem Gebäude, in dem ich mich nicht auskannte, das vermutlich Millionen Gänge, Zimmer, Türen und Sackgassen zu bieten hatte, überwacht von doppelt so vielen Kameras und Sicherheitsschlössern. Dies hier war ein Hospital für ehemalige Fairies, aber wie viele Menschen wussten überhaupt von den Fairies und dieser neuen Spezies, den Fays? Allzu viele konnten es nicht sein und diese Einrichtung unterlag wahrscheinlich strengster Geheimhaltung. Aber wie viele Menschen lebten überhaupt noch? Wie viele hatten die Apokalypse überstanden? Was mich zu meinem nächsten Gedanken führte: Waren meine Freunde noch am Leben? Allen voran Lila? Und – mein Herz begann wild zu klopfen – Taylor? Waren ihre menschlichen Körper und Seelen ebenfalls als Fays erwacht? Und ihre Fairy-Seelen? Befanden sie sich auch hier, vielleicht sogar in meiner unmittelbaren Nähe oder in einer ganz anderen Stadt, vielleicht sogar auf einem vollkommen anderen Kontinent?

So viele Fragen, die ich gerne diesem Arzt gestellt hätte, die mir aber bei meinem ersten Gespräch nicht eingefallen waren. Sollte ich einfach andere Zimmer durchsuchen, in der Hoffnung, irgendwo auf Lila zu stoßen? Sollte ich nach den Fairy-Seelen Ausschau halten? Doch mit Sicherheit wurden sie gut versteckt. Der Arzt hatte behauptet, keine der Fairies sei bisher aus ihrem magischen Schlaf erwacht. Ich seufzte.

Hättest du dir nicht vielleicht vorher einen Plan überlegen können, bevor du dich dazu entschlossen hast, dein Bett zu verlassen, Sophie? Unwillkürlich musste ich lachen. Ja, genauso hätte Azarael mit mir gesprochen, in einem vorwurfsvollen Ton, die Arme vor der Brust verschränkt, die stechend blauen Augen prüfend auf mich gerichtet.

Ich keuchte auf. Azarael! Wo waren der Engel und seine Artgenossen? Was war mit ihnen geschehen? Der Arzt hatte sie mit keiner Silbe erwähnt. Ihre Unsterblichkeit hatte sie die Katastrophe bestimmt überdauern lassen. Mit Sicherheit konnten sie mir weiterhelfen! Ich musste mich einfach an die Erdoberfläche durchschlagen und versuchen, irgendwie mit Azarael in Kontakt zu treten. Doch war mir dies als Mensch überhaupt möglich? Als Fay? Wie hatte er es immer geschafft, mich zu finden, zu lokalisieren? Über die Geistkräfte. Aber ich besaß keine Geistkräfte mehr – oder doch?

Mein Kopf begann zu schmerzen von den vielen Gedanken, den unzähligen Fragen. Sollte ich bleiben und sie dem Arzt stellen? Doch würde er mich über all das aufklären können?

Ich stutzte. Ohne es zu merken war ich weitergetappt, zur nächsten Tür, die nur wenige Meter von meiner eigenen entfernt lag. Unschlüssig blickte ich auf den optisch gleichen, verchromten Türgriff hinab, sah zurück in den Gang.

Dann drückte ich die Klinke entschlossen hinunter. Die Tür ließ sich ebenso leicht öffnen wie meine eigene und dahinter lag ein fast identisches Zimmer, wenn ich das im matten Licht des Flurs richtig deutete, denn der Raum lag ansonsten vollkommen im Dunkeln. Ich erkannte ein Bett, einen Beistelltisch, einen Schrank, alles in derselben Formation wie in meinem Zimmer. Inmitten der weißen Federn ruhte eine Person. Eine Person, die schlief. Die Frage war nur, schlief sie einen menschlichen oder einen magischen Schlaf? War dies für jemanden wie mich überhaupt zu erkennen?

Ich warf erneut einen Blick zurück in den Gang. Doch noch immer hörte ich keine Stimmen oder Schritte. Wo hielt sich das Nachtpersonal auf? Was würde geschehen, wenn diese Person vor mir genau jetzt aufwachte – angenommen aus dem magischen Schlaf? Würden dann Lampen oder Alarmglocken angehen? Aber nein, ich erinnerte mich noch gut an mein eigenes Aufwachen. Die Schwester, die zu mir ans Bett gekommen war, hatte meine geöffneten Augen zunächst nicht bemerkt.

Ich entschloss mich also, das Zimmer zu betreten und mir die oder den schlafenden Fay genauer anzusehen.

Mir klopfte das Herz bis zum Hals, als ich mich langsam zum Bett vorarbeitete und dabei feststellte, dass mir das Gehen immer leichter fiel. Ich war nicht mehr so zittrig und wackelig auf den Beinen und wurde immer sicherer und stärker.

Schließlich hatte ich die Schlafstatt erreicht und warf vorsichtig einen Blick auf den Menschen, dessen Kopf dort mit geschlossenen Augen auf dem Kissen ruhte. Es war ein Mädchen mit einem filigranen Spiralmuster zwischen den Augenbrauen, welches leicht bronzefarben glitzerte. Dunkle Haarsträhnen umrahmten ihr blasses, ovales Gesicht. Sie hatte die Hände vor der Brust gefaltet und ein schrecklicher Gedanke kam mir in den Sinn. Sie lag da wie auf dem Totenbett! War sie vielleicht … Aber nein. Ich bemerkte, wie sich ihre Brust kaum merklich hob und senkte. Sie lebte.

Ich atmete erleichtert aus und mir fiel erst jetzt auf, dass ich vor Schreck den Atem angehalten hatte. Ich richtete meinen Blick erneut auf das Mädchen. Ich kannte sie nicht, zumindest nicht als Menschen. Vielleicht hatte ich sie als Fairy gekannt, aber die Fay, die jetzt dort vor mir lag, hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Ich stieß einen leicht frustrierten Seufzer aus. Aber wie hatte ich auch annehmen können, dass sich Lila oder Taylor oder vielleicht Frankie oder sonst ein bekanntes Gesicht gleich im Nebenzimmer befand?