White Wings – Zwischen Tod und Leben - Stefanie Diem - E-Book
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White Wings – Zwischen Tod und Leben E-Book

Stefanie Diem

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Beschreibung

GÜNSTIGER EINFÜHRUNGSPREIS NUR FÜR KURZE ZEIT Engel und Dämonen, Exorzismus und die drohende Apokalypse in Verbindung mit einer aufwühlenden Liebesgeschichte – für alle LeserInnen von Marah Woolf und Stella Tack »Wenn die Welt in Flammen steht und alles ausweglos erscheint, glaube an dich selbst und deine Fähigkeiten werden dich überraschen!« Wie durch ein Wunder hat Lena die schreckliche Halloweennacht überlebt, besitzt nun jedoch keine magischen Fähigkeiten mehr. Als normal Sterbliche kann sie nicht mehr an der Akademie der White Wings ausgebildet werden und kehrt zurück in ihr altes Leben. Doch schon bald breiten sich weltweit merkwürdige Naturphänomene aus und als dann auch noch Nikolas schwer krank bei ihr auftaucht, werden ihre schlimmsten Befürchtungen wahr. Die sieben Plagen werden zusammen mit den sieben Dämonen die Apokalypse auslösen und die Welt für immer zerstören. Es bleibt ihr nichts Anderes übrig, als zu fliehen - doch wie kann sie in diesem Kampf ohne besondere Fähigkeiten überstehen? Band 2 der düsteren Fantasy-Reihe »Engel und Dämonen«. »Die Story ist teils sehr düster, aber auch voller Hoffnung und Liebe. Das actionreiche Finale steht dem packenden Auftakt in nichts nach und bekommt von mir sehr gern eine Leseempfehlung!«  ((Leserstimme auf Netgalley)) »Ein toller zweiter Teil einer gelungenen Romantasy Reihe. Kaum begonnen, konnte ich das Buch nicht mehr aus den Händen legen.« ((Leserstimme auf Netgalley))  

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Natalie Röllig

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Giessel Design

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

NACHWORT und DANKSAGUNG

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

KAPITEL 1

Mein Kopf fühlte sich an, als wäre er komplett mit Watte ausgefüllt.

Eine unglaubliche Leere höhlte mich aus, sämtliches Leben, alles, was mich ausmachte, meine Gefühle, Erinnerungen, mein gesamtes Wesen schienen von einem Moment auf den anderen verschwunden.

War ich tot? Es musste so sein, denn ich spürte meinen Körper nicht mehr. Um mich herum war eine merkwürdige Leere, ein Vakuum, und ich befand mich schwerelos in dessen Mitte.

Dieses Gefühl war jedoch nicht schlecht. Eine innere Zufriedenheit füllte mich aus, wie ich so in dieser Schwerelosigkeit schwebte, losgelöst von allem Körperlichen. Ich war frei. Glücklich. Im Reinen mit mir selbst.

Ein leichtes Kribbeln machte sich mit einem Mal bemerkbar. Ich konnte es zunächst nicht einordnen. Dann stellte ich fest, dass es aus mir selbst zu kommen schien – aus der Magengegend oder vom Herzen? Das Gefühl breitete sich aus, wurde stärker, ging über in ein Ziehen und schließlich in ein Brennen, welches in alle Richtungen ausstrahlte. Ich stöhnte auf, hörte, wie der Laut in meinem Kopf dröhnte, und krümmte mich zusammen. Aus dem Ziehen wurden Schmerzen, die meine Wirbelsäule entlangliefen, von dort in meine Knochen wanderten, in meine Sehnen, Adern, bis in jeden einzelnen Winkel meines Körpers.

Ich schrie auf, wusste nicht, wie ich mich drehen und wenden sollte, wusste, dass ich nichts mehr herbeisehnte, als dass es endlich aufhörte und ich in diesen friedlichen Zustand der Schwerelosigkeit und des Friedens zurückkehren konnte. Doch statt sich zu verringern, wurden die Schmerzen immer unerträglicher, als brannte ein unlöschbares Feuer in mir.

»Du wirst gebraucht«, drang eine Stimme leise zu mir durch. Sie hallte und klang wie aus weiter Ferne, wurde immer lauter und fordernder. »Wach auf, Lena, wach auf. Du schaffst das. Kämpf dagegen an. Kämpfe!«

Sie wiederholte diese Worte mehrmals, bis sie so klar und deutlich waren, als hätte ich sie selbst ausgesprochen.

Ich fühlte etwas Nasses, Kaltes an meinen Lippen, die, wie ich erst jetzt bemerkte, völlig trocken und spröde waren und förmlich nach Feuchtigkeit lechzten. Ich öffnete den Mund einen Spaltbreit, und sofort schmeckte ich das klare Wasser, das frisch und süßlich wie Nektar meinen Hals hinabrann.

Augenblicklich wurden die Schmerzen leichter, wichen erst einem Stechen, dann einem Kribbeln, welches ganz aufhörte.

»Na komm«, ertönte die Stimme jetzt klar und deutlich.

Ich blinzelte, und allein die wenigen Strahlen, die durch meine Wimpern drangen, schmerzten auf meiner Netzhaut.

»Lena, alles ist gut.«

Ich atmete tief ein und aus, blinzelte und zwang mich, die Augen zu öffnen.

Lange, braune Locken fielen mir ins Gesicht, welche die Frau, die sich über mich beugte und mir zu trinken gab, sich schnell zurück über die Schultern strich. Ihre großen goldenen Ohrringe und Armreifen klimperten bei jeder Bewegung und hörten sich an wie ein Windspiel.

Ich hustete, würgte, schluckte, und sie half mir, mich aufzusetzen. Ich starrte auf meine Hände. Sie waren ungewöhnlich rau und wirkten vertrocknet, ebenso wie mein restlicher Körper. Die Beine wiesen an vielen Stellen Kratzspuren und spröde Hautstellen auf, über die ich besorgt rieb.

Nadya streichelte mir indessen behutsam den Rücken, reichte mir hin und wieder etwas von der Flüssigkeit in ihrem Holzbecher und beobachtete jede meine Bewegungen.

»Wie fühlst du dich?«, fragte sie und strich mir eine verknotete Haarsträhne aus dem Gesicht.

Ich sah sie an und dachte einen Moment nach. Ja, wie fühlte ich mich? Ich war irgendwie platt, nicht ich selbst und unglaublich verwirrt. »Merkwürdig erschlagen, müde, schlapp. Alles in einem, mehr tot als lebendig.«

Sie lächelte und wirkte gleichzeitig traurig. »Kannst du dich erinnern, was geschehen ist?«, wollte sie vorsichtig wissen.

Ich presste die Lippen aufeinander, fixierte einen Punkt vor mir auf dem staubigen Boden und nickte. Die Bilder erschienen so klar vor meinem inneren Auge, als würde ich die Geschehnisse noch einmal erleben.

Ich sah Pfarrer Beyard vor mir, nein, Luzifer, den Teufel, wie er mich mit einem schadenfrohen Grinsen bedachte. Meine ehemalige Schulkameradin Jackie, die jetzt als Kassandra auf dieser Welt wandelte, wie sie das sagenumwobene Flammenschwert in den Händen hielt, und Nikolas, meinen Nikolas, von dem ich geglaubt hatte, er würde mich lieben. Er hatte mir das Gefühl gegeben, ich sei das Kostbarste auf der Welt für ihn und dass er mich immer vor allem Bösen beschützen würde. Mein Nikolas. Tränen brannten mir in den Augen, und als ich blinzelte, bahnten sie sich ihren Weg über die Wangen.

Er war nicht mein Nikolas. Er war Michael, der mächtigste Erzengel. Zumindest war er das gewesen, bevor er den Fehler begangen und Kassandras Fähigkeiten nicht zerstört, sondern lediglich unter Verschluss gehalten hatte, sodass Luzifer sie hatte finden und auf mich übertragen können.

Michael. Der Erzengel Michael. Ich konnte es immer noch nicht fassen.

Ich erinnerte mich daran, wie das Flammenschwert in meiner Brust steckte, und an Michaels blaue Augen, in denen kein goldener, sondern ein schwarzer Schimmer flackerte. Und ich wusste, dass die ganze Welt um mich herum zerbrochen war. Alles, woran ich geglaubt, wofür ich mich eingesetzt hatte, war zerstört. Jegliches Gefühl dafür verloren. Dieser Mann war nicht mehr derselbe, in den ich mich verliebt hatte, falls er überhaupt jemals der gewesen war, den er vorgegeben hatte, zu sein.

Die Tränen waren nicht mehr aufzuhalten, ich schluchzte, zog die Beine an und vergrub mein Gesicht in den Armen, die ich auf den Knien abstützte.

Dann stutzte ich, hielt inne und blickte an mir hinab. Ich trug ein merkwürdiges, langes Hippie-Kleid, welches sich fließend um meinen Körper legte und meine Brust verdeckte. Ich schob den Stoff beiseite und suchte nach der Stelle, an der das Schwert mich verletzt, nein getötet hatte. Ein kleiner Fleck war zu sehen, nicht größer als ein Radiergummi, und er schimmerte leicht silbern.

Ich sah zu Nadya auf, die mich seufzend betrachtete.

»Das wird dich immer daran erinnern.«

»Es war also kein Traum.« Ich sagte das wie eine Feststellung, und die Worte auszusprechen, war ernüchternd.

Sie senkte den Blick. »Nein, leider nicht. Auch wenn ich wie du wünschte, es wäre einer gewesen.«

Ich schaute sie stumm an und legte meinen Kopf wieder auf den Knien ab. Die erwarteten Tränen blieben aus, stattdessen fühlte ich eine Leere in mir, die noch unerträglicher war als das schändliche Gefühl, belogen und betrogen worden zu sein.

»Du hast mich geheilt, richtig?«, stellte ich tonlos fest, ohne aufzusehen. »Und du hast mich hier in diese – was ist das? – Höhle gebracht?«

Sie stand auf und holte von irgendwoher frisches Wasser.

»Nein und ja«, antwortete sie, kniete wieder nieder und gab mir zu trinken. »Ich konnte dich nicht heilen, du warst tot.«

Ich verschluckte mich, begann heftig zu husten und zu keuchen.

»Wie bitte?« Ungläubig starrte ich sie an und wischte mir mit dem Handrücken das Wasser vom Kinn. »Du … du hast mich von den Toten zurückgeholt, oder was? Ich … ich bin sprachlos. Ich …«

Sie betrachtete mich, biss sich kurz auf die Lippen, als überlegte sie, wie viel sie mir anvertrauen konnte. Dann strich sie sich eine ihrer langen Locken aus dem Gesicht und musterte mich erneut.

»Ich wusste nicht, dass wir Wings zu so etwas imstande sind«, sagte ich fassungslos und starrte nach vorn auf den hellen Himmel.

Die Höhle, in der wir uns befanden, war groß und lag auf einer Anhöhe, von der aus wir einen herrlichen Ausblick auf die umliegenden Felder, Wälder, Täler und Hügel hatten, die sich im Licht der Herbstsonne unter uns erstreckten. Weshalb ich hier in dieser Abgeschiedenheit war und nicht in einem Krankenhaus oder dem Wing-Hospital, darüber wollte ich im Moment nicht nachdenken.

»Das können die Wings auch nicht«, sagte sie tonlos und wich meinem erschrockenen Blick aus.

»Aber wie … was … wer?« Ich hatte eine leise Vorahnung, und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. War es möglich, dass Nik… Michael mich wiederbelebt hatte? War ich ihm doch nicht …

»Nein«, unterbrach Nadya meinen Gedankengang. »Er war es nicht.«

Ich sah sie an und fragte mich, ob sie in meinen Kopf sehen konnte. Wusste sie, was ich dachte?

»Ich habe dich zurück ins Leben geholt. Ich habe ihm versprochen, dass ich es tue, auch wenn ich einen großen Preis dafür zahlen werde.« Um ihre Mundwinkel zuckte es.

Ich richtete mich auf und betrachtete sie genauer. »Gerade hast du noch gesagt, dass wir Wings das nicht können, jemanden von den Toten wiedererwecken? Und jetzt warst es doch du?«

»Richtig, ich sagte, die Wing-Magie kann dies nicht bewerkstelligen.«

Unsere Blicke trafen sich, und ich betrachtete lange ihre Augen, die in sämtlichen Grüntönen intensiv schimmerten wie ein Smaragd.

»Stell schon deine Frage«, forderte sie mich auf, und ihre Lippen umspielte ein Lächeln.

»Wer bist du wirklich? Du bist nicht einfach nur Nadya, die Hebamme, richtig? Du bist auch keine in Rente gegangene Wing.«

Jetzt lachte sie laut und schüttelte den Kopf. »In Rente, wie sich das anhört. Wings gehen niemals in Rente. Aber um deine Frage zu beantworten, ich war nie eine Wing, auch wenn man sich das gerne erzählt, und ich lasse alle in dem Glauben, weil es vieles leichter macht. Die Wahrheit allerdings ist, dass … nun, kannst du es dir nicht denken?«

Ich fixierte wieder ihre Augen und entdeckte dort einen ähnlichen Schimmer wie in denen von Nikolas.

»Du bist ein Engel, richtig?«, stellte ich tonlos fest und musterte sie eingehend. Natürlich, so musste es sein. Warum sonst diese Vertrautheit zwischen den beiden? Sie besaß ähnliche Heilkräfte, und Nikolas hatte mich immer zu ihr gebracht, wenn er nicht imstande gewesen war, mir zu helfen. Sicher war sie ein Engel, es konnte gar nicht anders sein.

»Richtig.« Sie sah zu Boden. »Ich bin nicht Nadya, sondern der Cherub Adaya.«

Ich legte den Kopf schief und musterte sie erstaunt. Adaya, Adaya, bei der Erwähnung dieses Namens regte sich etwas in meinem Unterbewusstsein.

»Adaya?«, fragte ich.

»Du hast den Namen bereits gehört, richtig? Ja, ich bin der Cherub Adaya, der Engel der Fruchtbarkeit, der einst auf Erden wandelte und die Mütter mit dem göttlichen Licht der Mutterliebe umgab, für sie sorgte, sie beschützte.« Sie hielt inne und schnalzte kurz mit der Zunge. »Zumindest so lange, bis ich auf Luzifer, diesen hinterhältigen Verräter, hereingefallen bin.«

»Du … du bist Kassandras Mutter«, entfuhr es mir, und ich hielt mir erschrocken die Hand vor den Mund.

»Wie hat Luzifer es so schön ausgedrückt? Ironie des Schicksals, der Engel der Fruchtbarkeit war selbst unglaublich fruchtbar. Ja, ich gebar ein Kind. Das erste Halbwesen des Universums, halb Engel, halb Dämon. Meine Kassandra, die erste Sterbliche mit übermenschlichen Fähigkeiten. Sie war mein größtes Glück und gleichzeitig mein schlimmster Fehler, denn sie kostete mich meinen Platz im Himmel.«

Sie fuhr sich fahrig durch die Locken. »Zunächst bereute ich nichts, hatte ich nun doch das erhalten, was ich auch den Frauen schenkte: das unbeschreibliche Gefühl, Mutter zu sein. Meine Kräfte hatte ich auch behalten dürfen, und so tauschte ich gerne ein irdisches Leben gegen ein himmlisches. Kassandra und ich erlebten unbeschwerte Zeiten, aber natürlich konnte Luzifer sich nicht aus unserem Leben heraushalten. Er mischte sich ein, wo er nur konnte, und ich, blind wie ich war, redete mir ein, dass die Vaterliebe zu seiner Tochter ihn vielleicht wieder auf den Pfad der Liebe zurückbringen würde. Michael, mein schon damals enger Vertrauter, sah Luzifers Besuche zu Recht kritisch. Er glaubte im Gegensatz zu mir nicht daran, dass er sich würde bessern können. Wir stritten deshalb oft miteinander. Außerdem wollte ich Kassandra den Kontakt zu ihrem Vater nicht verwehren. Natürlich wusste sie nicht, wer er wirklich war, Gott bewahre. Ich nannte ihn Luzius, und sie liebte ihn abgöttisch. Er wurde zu ihrem großen Vorbild, und zu spät erkannte ich seine Absichten.«

Sie atmete tief ein und aus und sah gedankenverloren auf die Landschaft uns zu Füßen. Ein trauriger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, und mir kam in den Sinn, welches Leid sie gesehen und ertragen hatte.

»Ich lehrte Kassandra alles über die Natur, über ihre Heilkräfte, das Zusammenspiel von Sonne und Mond, die Jahreszeiten. Ich brachte ihr bei, wie man sich der Schätze der Erde bemächtigt und dass man alles auch wieder zurückgeben muss. Was ich nicht wusste, war, dass Luzifer sie andere Dinge lehrte. Durch ihn lernte sie geschickt zu täuschen, gute Menschen zum Bösen zu bekehren, ihre Fähigkeiten dafür einzusetzen, sich andere untertan zu machen. Viel zu spät erkannte ich ihre bösen Züge, und wieder einmal war es Michael, der zu mir kam und mir von seiner Mission berichtete.«

Sie sah mich lächelnd an. In ihren Augen lag mit einem Mal so viel Liebe, und mich überkam das Gefühl, sie betrachte nicht mich, sondern ihre Tochter.

»Er sollte sie töten, nicht wahr?«, fragte ich, als Nadya, nein Adaya, keine Anstalten machte, weiterzusprechen.

Sie nickte seufzend und schloss kurz die Augen. »Ja, das war sein Auftrag. Ich redete lange auf ihn ein, und schließlich fand er eine Möglichkeit, sie nicht zu töten.«

»Tja, mich konnte er aber umbringen«, entfuhr es mir sarkastisch. Ich schluckte und spürte, wie sich schon wieder Tränen in meinen Augen sammelten.

Ohne auf meine Bemerkung einzugehen, fuhr sie fort: »Michael entriss Kassandra ihre Fähigkeiten und ließ sie machtlos und sterblich zurück. Er überredete mich auch dazu, sie allein zu lassen, damit jeder glaubte, sie sei tot und ich in Trauer. Also trennte ich mich von meiner Tochter.«

Sie schwieg wieder, presste die Lippen aufeinander und starrte vor sich ins Leere. Eine Träne rann ihr übers Gesicht, und ich sah, dass sie einen inneren Kampf mit sich ausfocht. Ich wusste, was mit Kassandra geschehen war, und konnte mir ausmalen, von welchen Selbstvorwürfen Adaya geplagt wurde.

»Kassandra wurde …«

»Ich weiß, was mit ihr geschehen ist«, sagte ich ruhig und legte ihr vorsichtig eine Hand auf den Oberarm.

»Sie war meine Tochter, mein Ein und Alles. Ich habe sie so sehr geliebt«, fuhr sie schluchzend fort. »Mein Mädchen. – Heute denke ich oft, ich hätte nicht auf Michaels Vorschlag eingehen sollen. Besser wäre es gewesen, ich hätte ihr den Kontakt zu Luzifer untersagt, sie allein nach meinen Grundsätzen unterrichtet. Ich denke, dann hätte sie ein ruhiges Leben führen können, wie die Wings heute. Sie hätte ihr Kind und deren Kinder aufwachsen sehen und gemeinsam mit mir großziehen können.«

»Irgendwann wäre sie auch gestorben«, fügte ich so leise wie möglich hinzu, und sie seufzte erneut.

»Ja, das wäre sie. Aber ich hätte nicht diese unglaublichen Schuldgefühle in mir, die mich jede Nacht plagen und seit diesem Halloween umso mehr umtreiben.«

Sie schwieg, und ich sagte für den Moment nichts mehr. Gemeinsam genossen wir das Schweigen und hingen unseren eigenen Gedanken nach. Meine drehten sich vorrangig um Nikolas und um meine Zukunft. Ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen, hatte Nadya gesagt. Nur wie sah diese aus? Erneut Dämonen austreiben, nur um letztendlich doch wieder besiegt und hinters Licht geführt zu werden?

Nadya war es, die das Schweigen brach. »Ich habe sie gesehen, weißt du? Ich habe Kassandra gesehen, nein, diese Jacqueline, in der nun ihre Seele lebt. Und sie ist nicht mehr mein Mädchen. Ich weiß nicht, was Luzifer in all den Jahren in der Hölle mit ihr gemacht hat, aber sie ist nicht mehr meine Tochter.«

»Die Frage ist, wie können wir sie stoppen? Wie können wir Luzifer und Michael überhaupt aufhalten? Ich meine, ich bin einfach nur ein Mensch, nicht einmal mehr eine Wing, wenn ich richtigliege. Luzifer hat mir gesagt, indem ich sterbe, gehen meine Kräfte an Kassandra zurück. Und da ich ja tot war, habe ich keine Kräfte mehr, nehme ich an. Ganz toll.«

Nadya schwieg, was mir Antwort genug war.

Ich fuhr mir wieder durch die Haare, atmete tief ein und aus. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Mein ganzes Leben hatte ich davon geträumt, so wie die anderen zu sein, normal zur Schule gehen zu können, ohne Visionen, ohne Angstzustände, ohne Albträume. Und nun, da ich all das offensichtlich hatte, spürte ich eine unerträgliche Leere in mir, die ich kaum in Worte fassen konnte. Ausgerechnet jetzt, da ich endlich akzeptiert hatte, wer ich war, was meine Rolle in dieser Welt ausmachte, hatte man mir meine stärkste Waffe genommen.

»Dann kann ich ja zurück in die USA und mein Leben dort fortführen, als wäre nichts gewesen, als wäre ich nie hier in Deutschland auf die Wing-Akademie gegangen«, sagte ich sarkastisch und biss die Zähne aufeinander, als ich hörte, wie verbittert diese Worte aus meinem Mund klangen.

»Er wollte, dass ich dich rette. Ich musste es ihm mehr als einmal versprechen, dass ich dir das Wasser des Lebens gebe, solltest du sterben. Bitte, Lena, das musst du mir glauben. Er hat dich gemeinsam mit hierhergebracht und neben dir ausgeharrt. – Ich kenne ihn schon sehr lange, und ich bin der Meinung, niemand weiß über Michael besser Bescheid als ich. Und ich habe ihn noch nie so verzweifelt gesehen wie in den Momenten, in denen er hier neben dir am Boden kauerte und deine Hand hielt. Er hat darauf gewartet, dass du aufwachst, allerdings dauerte das seine Zeit. So lange konnte er nicht warten. Er hätte dir gerne alles selbst erklärt, aber er musste fort.«

Ich blinzelte, und um meine Mundwinkel zuckte es. Diese Worte hörten sich falsch an und trösteten mich kein bisschen.

»O natürlich, er musste fort. Wie praktisch für ihn. Jetzt, da er ja wieder in Luzifers Diensten steht, muss er natürlich kommen, wenn sein Herrchen pfeift, und kann nicht wie früher einfach tun und lassen, was ihm gefällt. – Wo ist er denn hin, weißt du das?«

Sie leckte sich über die trockenen Lippen und schlug die Augen nieder. »Ich weiß nicht, ob er bei Luzifer ist. Es könnte sein, aber nicht, weil er in seinen Diensten steht. Er wird versuchen, die Geschehnisse aufzuhalten, auch wenn das schwer möglich sein wird. Genau genommen gar nicht.«

»Geschehnisse? Welche Geschehnisse? Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich und sah sie so durchdringend wie möglich an. »Nadya, du verschweigst mir etwas, nicht wahr?«

Doch sie schüttelte nur den Kopf. »Du weißt die Antwort im Grunde längst. Denk nach. Was hat Luzifer dir über deinen Tod und deine Kräfte gesagt?«

Ich runzelte die Stirn und versetzte mich in Gedanken in den Saal zurück, als Luzifer mich in seinen perfiden Plan eingeweiht hatte. Den Plan, der meinen Tod beinhaltete.

»Wenn ich sterbe, gehen meine Kräfte an Kassandra in Jackies Körper zurück, die … nein, sag, dass das nicht wahr ist. Sag mir, dass es nicht geschehen wird!«

Ich zitterte, spürte, wie das restliche Blut aus meinem Gesicht wich und die Dunkelheit schon wieder nach mir griff.

Der Blick aus Adayas Augen verhieß nichts Gutes. »Leider ja. In dem Moment deines Todes gingen deine Kräfte auf Jackie über, und sie ebnete damit Luzifers sieben stärksten Dämonen den Weg in diese Welt.«

Ich rieb mir über die Stirn. »Ein einziger Albtraum ist das. Nur weil ich gestorben bin, wird diese Welt, so wie wir sie kennen, zugrunde gehen. Und es gibt nichts, was wir dagegen tun können? Du bist ein Cherub, verdammt! Die Engel können das doch nicht einfach geschehen lassen! Wo ist Gott? Ist das etwa sein Plan gewesen? Möchte er uns Menschen auslöschen und Dämonen herrschen lassen?«

Ich legte für einen Moment den Kopf schief und stieß ein albernes Lachen aus. »Wobei, vielleicht ist es für diesen Planeten sogar das Beste. Ich meine, wir Menschen beuten ihn doch ohnehin nur aus, zerstören Lebensraum, verpesten die Luft. Wie schlimm kann da eine Dämonen-Invasion schon sein? Wahrscheinlich wartet Gott erst einmal ab, bis alle Menschen vernichtet sind, schickt dann seine Engelsarmeen, die Luzifer wieder einmal besiegen, und baut anschließend den Planeten neu auf, diesmal ohne Menschen. Sicher um einiges friedlicher. Ja, wenn man es so bedenkt, klingt diese Lösung durchaus plausibel.«

»Lena, jetzt sei nicht so streng. Noch ist nicht alles verloren. Ich bin mir sicher, die himmlischen Heerscharen werden kommen. So wie sie es immer tun. Und sie werden euch retten.«

»Ja klar.« Ich hatte mich in Rage geredet und war jetzt so traurig und niedergeschlagen, dass ich verbal um mich schlug. Ich wollte nichts von Hoffnung und Trost hören. Für mich hatte sich ohnehin alles erledigt. Indem ich auf Luzifers Plan reingefallen war, hatte ich das Ende der Menschheit besiegelt. Nein, indem ich auf Michael reingefallen war, mich von ihm hatte umgarnen lassen. Ich hatte ihm vertraut!

»Gott, ich war so dumm, dumm, dumm!« Mit einem Mal stand ich auf und lief wie eine Verrückte im Kreis herum. Dies stellte sich als denkbar schlechte Lösung heraus, denn mein Körper sackte innerhalb weniger Sekunden in sich zusammen wie eine Luftmatratze, der die Luft entwich.

»Langsam, Lena, beruhige dich. So kommen wir nicht weiter.« Nadya hatte mich aufgefangen und hielt mich auf ihrem Schoß fest wie ein kleines Kind.

»Die Frage ist doch, wie geht es jetzt überhaupt weiter? Was soll aus mir werden?« Ich schluckte und spürte die warmen Tränen auf meinen Wangen. »Ich kann nicht mehr zurück auf die Wing-Akademie. Ohne Magie werden sie mich nicht mehr dort akzeptieren.«

Sie strich mir liebevoll über die Stirn. »Ich denke, es ist das Beste, du kehrst zu deinen Eltern in die Staaten zurück. Dort bist du fürs Erste sicher. Außerdem sollte Luzifer jetzt ohnehin kein Interesse mehr an dir haben. Er hat bekommen, was er wollte, Kassandras Fähigkeiten sind wieder zu ihrer ursprünglichen Besitzerin zurückgekehrt. Ohne diese Magie bist du vollkommen wertlos für ihn.«

»Danke«, erwiderte ich schon wieder in diesem trotzigen Ton. »Ich hatte für einen Moment vergessen, wie klein ich jetzt doch bin.«

»Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, Lena. Noch ist nicht alles verloren. Ich glaube, du spielst noch eine Rolle in diesem Spiel Himmel gegen Hölle.«

Wieder blitzte dieses Funkeln auf, das ihre Augen strahlen ließ wie wunderschöne Edelsteine. Dann kramte sie in einer Tasche.

»Hier, ich habe dein Handy. Viel war es nicht, was ich in der kurzen Zeit zusammenpacken konnte. Aber dieses Smartphone erschien mir doch als wichtiges Hilfsmittel, nicht wahr? Glücklicherweise konnte ich es aufladen.« Sie zwinkerte, stand auf und legte meinen Oberkörper behutsam auf der Erde ab. Wenig später stopfte sie mir ein Kissen unter den Rücken und legte mir eine wärmende Decke über die Beine.

Ich starrte das zerkratzte Display an. Unzählige Nachrichten blitzten auf. Von Cat, von Ann, meinen Eltern und unbekannten Rufnummern. Ich scrollte durch die endlos scheinende Liste, doch eine Nummer fehlte auf der Anzeige. Nikolas. Er hatte kein einziges Mal versucht, mich zu erreichen. Mein Herz krampfte sich zusammen, und ein dumpfes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit, schnürte mir die Luft ab. Würde ich ihn je wiedersehen? Ich konnte die Beteuerungen seiner Liebe nicht recht nachvollziehen. Wenn er gewollt hatte, dass ich lebte, weshalb war er dann nicht hier bei mir? Warum war er nicht bei mir geblieben?

Dann fiel mein Blick auf das Datum. Siebenundzwanzigster November?

»Euer Ernst? Vier Wochen? Vier Wochen sind seitdem vergangen?«

Nadya, die soeben weiteres Holz nachgelegt hatte und nun mit einem Stock in der Asche herumstocherte, um die Flammen anzuheizen, nickte.

»Ja, du hast lange gebraucht, um aufzuwachen.«

»Was … was ist in der Zeit geschehen? O mein Gott, meine Eltern müssen sich ja unglaubliche Sorgen machen. Was werden sie denken, wo ich bin?«

»Sie denken, du seist tot«, antwortete Nadya nüchtern, ohne mit dem Stochern aufzuhören.

»Was?« Mein Puls schoss schon wieder in Höhe.

»Na ja«, bemerkte sie achselzuckend. »Es war ja auch schließlich so. Und weshalb hätten die Wings sie anlügen sollen? Nicht einmal ich wusste, ob mein Wasser nach so langer Zeit überhaupt noch wirkt. Mir ist es eigentlich strengstens untersagt, jemanden von den Toten zurückzuholen. Das stört den himmlischen Plan. Aber ich habe es versprochen, und meine Versprechen halte ich auch. Jetzt werde ich dafür geradestehen.«

»Und was soll ich nun tun? Einfach zurück ins Internat gehen und sagen: Hallo, hier bin ich wieder, habt ihr mich vermisst? O nein …«

»Ich schlage dir vor, du rufst deine Eltern an und lässt die Wing-Akademie vorerst außen vor. Je weniger von deiner Auferstehung wissen, desto besser.« Sie deutete mit einem Kopfnicken auf mein Telefon.

KAPITEL 2

»Mom?«

Schweigen am anderen Ende. Lediglich ein leises Rauschen und hin und wieder ein Knacken.

»Mom? Bist du dran?«, fragte ich noch einmal vorsichtig in den Hörer.

»Bitte, wer sind Sie? Und wie kommen Sie an das Telefon meiner Tochter?« Meine Mutter klang zittrig und verwirrt. Kein Wunder. Sie musste den Schock ihres Lebens bekommen haben, als sie auf dem Display meinen Namen gelesen hatte.

»Ich bin es, Mom, Lena.«

Wieder Schweigen und Rauschen. Jetzt ertönte ein Rascheln, und schließlich meldete sich Dad.

»Hallo? Hier Bergmann. Wo haben Sie das Telefon unserer Tochter gefunden? Hören Sie, wir sind …«

»Dad, hier ist Lena.« Mit meinem Vater zu sprechen, war mir schon immer leichter gefallen. Er war in vielen Dingen sicherer, entschlossener, reagierte nicht so emotional wie meine Mutter.

»Wenn das ein Scherz sein soll, so ist es kein besonders Guter«, sagte er weiter, und der Tonfall seiner Stimme wurde schärfer.

»Es stimmt wirklich, Dad. Ich bin es, Lena, ich bin nicht tot.«

Gott, was war das für eine Situation? Seinen Eltern diesen Umstand erläutern zu müssen, fühlte sich so surreal an, dass ich meinen eigenen Worten nicht traute.

»Dad, ich … ich kann es dir nicht erklären, zumindest nicht so, dass du es verstehst. Aber ihr wusstet doch schon immer, dass ich besonders bin. Ich bin noch am Leben, Dad.«

»Ich … ich verstehe das nicht. Wie ist das möglich? Ich … wir, wir waren in Deutschland vor wenigen Wochen. Die Oberin sagte uns, es hätte einen schrecklichen Unfall gegeben. Wir … wir haben die Ausmaße des Feuers gesehen, wir …«

Er brach ab, und wieder ertönte nur dieses Rauschen und Knacken in der Leitung. Einen Unfall? Mit sehr viel Fantasie könnte man den Vorfall vielleicht als Unfall betrachten. Was hatte die Oberin meinen Eltern erzählt? Dass ich aus Versehen auf dem Halloween-Ball in ein echtes Schwert gefallen sei? Oder dass mich ein Mitschüler versehentlich erdolcht hätte? Oder dass ich einfach so in den Flammen umgekommen sei?

»Ich kann Ihnen nicht glauben, es tut mir leid.« Ich hörte die Worte meines Vaters, doch sie wollten mir nicht in den Kopf.

»Dad, erkennst du mich denn nicht? Lena, deine Lena. Ihr habt mich hier in Deutschland nicht ohne Grund abgesetzt. Ihr habt gewusst, was ich bin, welche Fähigkeiten ich besitze. Mom hat es mit eigenen Augen gesehen, und sie wusste von Grandma. Wieso glaubt ihr mir denn jetzt nicht, dass ich …«

Ich brach ab, hörte selbst, wie unglaubwürdig und an den Haaren herbeigezogen sich das anhörte. Dass ich von den Toten auferstehen konnte wie Jesus? Das klang verdammt nach einer Hochstaplerin, und meine Eltern taten gut daran, jetzt aufzulegen. Ich selbst hätte es vermutlich nicht anders gemacht.

»Bitte … ihr müsst mir glauben. Kommt hierher, wir treffen uns und reden. Gebt mir eine Chance.«

Dad räusperte sich und zögerte lange mit seiner Antwort. »Tut mir leid. Für meine Frau ist es immer noch sehr schwer, und es wird auch noch eine ganze Weile brauchen, bis wir halbwegs darüber hinweg sind. Aber wenn wir jetzt zu Ihnen kommen, reißen wir nur alte Wunden auf, und das möchte ich weder meiner Frau noch mir antun. Bitte geben Sie das Telefon in der Akademie Santa Luzia in Sonthausen ab. Die Nonnen dort werden es uns zukommen lassen. Wiederhören.«

»Halt! Bitte nicht! Wie wäre es mit einem Video-Call? Facetime? Dad, bitte!«

Angestrengt lauschte ich in den Hörer. Er hatte noch nicht aufgelegt, das konnte ich an dem konstanten Atmen hören, das in der Leitung rauschte.

Er seufzte, und ich zögerte nicht lange.

»Ich rufe dich schnell per Facetime an.« Eilig beendete ich das Gespräch, um im Adressbuch meines Smartphones auf den entsprechenden Button zu drücken. Mit klopfendem Herzen wartete ich, dass er den Anruf annahm. Es klingelte, doch die Leitung blieb tot. Ich versuchte es erneut, dann kam die Meldung, dass ein FaceTime-Gespräch aufgrund der schlechten Verbindung derzeit nicht möglich sei. Ich probierte es noch einmal mit einem normalen Telefonat, doch auch hier verliefen meine Versuche erfolglos.

Fluchend ließ ich die Hand, mit der ich das Telefon hielt, wie in Zeitlupe sinken und starrte in die Flammen, vor denen Nadya saß und sich wärmte.

»Lass mich raten, sie glauben dir nicht«, stellte sie fest und stocherte wieder im Feuer herum.

»Im Internat haben sie ihnen gesagt, es sei ein Unfall gewesen«, murmelte ich mehr zu mir selbst und setzte mich zu Nadya.

»Ja, so lautet die offizielle Version deiner Todesumstände. Die Wings haben ganze Arbeit geleistet, die Wahrheit zu verschleiern, und das ist auch gut so. Jetzt wird es für dich natürlich schwer, wieder ins Leben zurückzukehren, und deshalb sage ich dir noch einmal: Flieg in die USA und lass die Akademie fürs Erste im Ungewissen.«

»Würde ich ja gerne, aber mit welchem Geld? Wahrscheinlich sind meine Konten bereits inaktiv oder geleert. – Gott, das Ganze ist ein einziger Albtraum.«

Nadya lachte kurz auf. »Das, meine Liebe, ist noch kein Albtraum. Warte ab, was noch alles passieren wird. Später wirst du dir wünschen, wieder hier mit mir zu sitzen. – Ich werde dir ein wenig Geld geben. Wie du weißt, bin ich unsterblich, und in meinem bisherigen Leben konnte ich mir die ein oder anderen Reichtümer zulegen. Für einen Flug zurück in die Staaten wird es definitiv reichen. Wir müssen nur zusehen, wie wir an deinen Pass kommen. Oder ich muss jemanden auftreiben, der dir einen ausstellt.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie hat Nikolas sich das alles vorgestellt? Hat er sich gedacht, ach, Adaya wird sie aufwecken, und dann ist alles wieder gut, oder was? Hat er auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, was aus mir wird?«

Nadya richtete den Blick unbeirrt auf die vor ihr tanzenden Flammen, die ihr Gesicht flackernd beleuchteten. »Nein, das hat er nicht. Für ihn war nur wichtig, dass du lebst. – Komm, Lena, wir schaffen das.«

Sie stand auf und klopfte sich den Schmutz von den Beinen. »Ich nehme dich mit zu mir, wir wärmen uns etwas auf und buchen für dich den nächsten Flug in die Staaten. In der Zwischenzeit kümmere ich mich um deinen Pass.«

»Wieso sind wir eigentlich nicht schon längst in deinem Haus? In dieser eiskalten Höhle hole ich mir noch den Tod.« Unwillkürlich musste ich bei dieser Feststellung lachen. »Schon wieder«, fügte ich daher hinzu.

Nadya lachte nicht, sondern zog sich mit ernster Miene eine dicke Jacke über die Schultern. »Die Dämonen und Luzifer wussten von mir. Michael und ich, wir waren uns sicher, dass sie in meinem Haus zuerst suchen würden. Diese Höhle hier schien uns fürs Erste ein passender Rückzugsort. Sie ist auf magische Weise abgesichert, sodass du in aller Ruhe zu dir kommen konntest. Aber ich denke, jetzt kann ich einen kleinen Ausflug in mein Heim riskieren. – Ich bin bald zurück. Stell in der Zwischenzeit nichts Dummes an, ja?«

Ich zuckte nur mit den Schultern und wartete, bis sie außer Sichtweite war. Dann ging ich um das Feuer herum und hielt Ausschau nach einer Ansammlung mehrerer Lichter. Die Stadt musste in der Nähe sein und das Kloster sowie die Basilika mit ihren großen Türmen meilenweit zu sehen. Ich würde schon dorthin finden. Und wenn ich erst einmal dort war, würden mir die Schwestern helfen.

Mein Plan wies sicherlich Lücken auf, aber ich war verzweifelt und musste irgendetwas unternehmen. Ich war der festen Überzeugung, dass die Nonnen, wenn sie mich erst einmal sahen, mich erkennen und anhören würden.

Sie würden mich verstehen und mir helfen, zu meinen Eltern zu kommen, besser, als es Nadya je könnte.

Ich rieb mir über die Arme. Wenn ich nicht irrte, lag die Stadt in der Richtung direkt gegenüber der Höhle. Ein kleiner Feldweg führte am Eingang vorbei, dem ich hocherhobenen Hauptes folgte.

***

Bereits nach wenigen Metern beschlich mich ein merkwürdiges Gefühl. Ich konnte es schwer einordnen, war es Angst oder einfach nur die Kälte, die mir langsam, aber sicher in die Knochen kroch? Die Sonne war längst untergegangen und einer sternenklaren Nacht gewichen. Hin und wieder war aus der Ferne das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos zu hören, das mir Mut machte und mir eine andere Möglichkeit aufzeigte. Wenn ich es schaffte, ein Auto anzuhalten, würde es mich vielleicht bis zum Kloster mitnehmen können. Diese Idee gab mir neue Zuversicht, und ich beschleunigte meine Schritte.

Nach wenigen Minuten brach mir der Schweiß aus, mein Herz klopfte unnatürlich schnell, und ich keuchte, als hätte ich einen Marathonlauf absolviert. Verdammt. Auf diese Weise konnte ich keinen Meter mehr gehen, und ich sank erschöpft in die Hocke.

Da vernahm ich hinter mir ein merkwürdiges Schnauben. Es klang wie ein Tier, ein Pferd oder eine Kuh, und ich spürte, wie etwas näher kam. Für den Moment war ich wie gelähmt, unfähig, mich umzudrehen, wollte nicht wissen, was dort unmittelbar hinter mir stand und mir warmen Atem auf die Schultern blies.

Ein dumpfer Schlag ertönte, als wäre eben jemand oder etwas auf den Boden gefallen.

»Du wolltest doch nicht etwa davonlaufen, oder?«

Ruckartig drehte ich mich um und sah in Nadyas Gesicht. Sie führte ein schwarzes Pferd am Zügel, musterte mich prüfend und warf mir eine dicke Daunenjacke zu. »Glaub mir, liebe Lena, du musst früher aufstehen, um mich auszutricksen. Außerdem läufst du in die vollkommen falsche Richtung. Sonthausen liegt genau entgegengesetzt. Komm jetzt.«

Ich versuchte, aufzustehen, scheiterte aber und ging in die Knie. Ich hustete, und Nadya war sofort bei mir.

»Dein Körper ist noch nicht so weit. Shagall, runter.«

Wie auf Kommando ging das Pferd in die Knie. Seine dunklen Augen musterten mich erwartungsvoll, und Nadya gab mir mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass ich aufsteigen sollte.

Völlig entkräftet hing ich wenige Sekunden später auf dem Rücken des Pferdes, welches mich zurück zur Höhle trug.

»Dein Flieger geht übermorgen. Bis dahin sollten wir dich wieder einigermaßen aufgepäppelt haben, sodass du halbwegs gehen kannst, ohne nach wenigen Metern entkräftet zusammenzubrechen«, verkündete Nadya und reichte mir eine Plastikbox, in die sie belegte Brote, Tomaten und Gurken gepackt hatte.

Erst jetzt merkte ich, wie ausgehungert ich war. Gierig schnappte ich nach dem Brot und nahm einen herzhaften Bissen.

»Ich habe dir einen gefälschten Pass besorgt. Deinen richtigen haben deine Eltern mit in die Staaten genommen, als deine Asche überführt wurde.«

»Bitte was?« Ich keuchte und hustete, so sehr hatte ich mich an dem Bissen verschluckt.

Nadya lachte. »Jep, du hast richtig gehört. Ich weiß nicht, welchen Körper sie als deinen verkauft haben, jedenfalls haben sie eine Überführung organisiert. Dein angeblicher Leichnam wurde verbrannt, und die Asche befindet sich jetzt in den USA.«

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich fasse das alles nicht.«

»Sei froh, dass die Wings alles so gut organisiert haben. So kommt keiner auf die Idee, du hättest überlebt. Das ist deine Chance.«

»Selbst wenn, wen würde es denn noch interessieren, ob ich lebe oder nicht? Ich habe keine Kräfte mehr und bin niemandem von Nutzen.«

Nadya kniff die Augen zusammen und sah mich mit einem merkwürdigen Blick von der Seite an. »Du bist Michaels Achillesferse, vergiss das nicht. Mit dir hätte Luzifer ein Druckmittel gegen ihn in der Hand, sollte sich Michael wieder einmal nicht für eine Seite entscheiden können. Auch ohne Kräfte kannst du für den Teufel ein wichtiges Werkzeug sein, das darfst du nie vergessen, Lena, ja?«

Ich schluckte. Michaels Achillesferse. War ich das? Der Erzengel hatte mich, ohne mit der Wimper zu zucken, getötet, wie konnte ich da ein wunder Punkt sein?

»Ein zweites Mal kann ich dich nicht retten, Lena. Dessen musst du dir bewusst sein. Das Wasser des Lebens kann nur ein einziges Mal gespendet werden. Daher beherzige meinen Rat, und pass auf dich auf.«

Ich sah sie an. »Werde ich ihn wiedersehen?« Die Frage kam so unvermittelt, dass ich selbst überrascht war, sie gestellt zu haben.

Nadya strich mir behutsam über den Arm. »Wenn es sein soll, gewiss.«

Mit dieser kryptischen Aussage stand sie auf und holte etwas zu trinken aus ihrer Tasche.

***

Es war so unwirklich, hier zu stehen, durch die Scheibe die Flugzeuge zu betrachten, nebenan das Rollfeld, auf dem unentwegt Flieger starteten und landeten. Und einer von ihnen würde mich nach Hause zurückbringen. Ich konnte es kaum glauben, dass es erst wenige Monate her war, seitdem mich meine Eltern nach Deutschland gebracht hatten. Für mich fühlte es sich an wie mein halbes Leben. So vieles war geschehen, ich hatte unglaubliche Dinge erlebt, so viele Menschen kennengelernt.

Ich schloss für einen Moment die Augen, und sofort sah ich ein Gesicht vor mir. Ich betrachtete die schön geformte Nase, das schmale, kantige Kinn und die geschwungenen Lippen, tauchte ein in dieses helle Blau, welches von den goldenen Lichtpunkten durchzogen wurde. Noch immer hing ich an ihm, konnte nicht loslassen. Nadya hatte mir in gewisser Weise die Hoffnung auf ein uns zurückgegeben, und dennoch rief tief in mir eine Stimme warnend, wenn ich an ihn dachte.

Ich griff nach meinem Smartphone und scrollte wie so oft durch die letzten Nachrichten. Der Großteil stammte aus der Zeit vor dem schicksalsträchtigen Halloween-Fest – von Ann oder Cat, meinen Eltern oder ab und zu von Penny. Auf Penny freute ich mich am meisten. Sie würde meinem Leben wieder etwas mehr Normalität verleihen.

Traurig starrte ich auf die Profilbilder meiner Freundinnen hier in Deutschland, auf Anns rote Mähne und Cats immer etwas hochnäsige Miene. Sie waren mir so ans Herz gewachsen, dass ich es beinahe nicht über mich gebracht hätte, sie im Ungewissen zu lassen. Oft hatte ich mich dabei ertappt, wie ich beiden eine Nachricht schreiben wollte. Oder wie ich kurz davor war, ihre Nummern zu wählen, um für einen Moment ihre Stimmen zu hören. Immer wieder lauschte ich diversen Sprachnachrichten aus der Vergangenheit und brach dann in Tränen aus.

Um das hier jetzt am Flughafen zu vermeiden, steckte ich das Telefon schnell in meinen Rucksack. Ich besaß ein Ticket und einen Pass, wenn auch einen gefälschten, und hoffte inständig, die Reise möge bald vorbei sein.

Ich ließ mich auf einen der schwarzen Sitze am Gate fallen und betrachtete die vielen Menschen. Sie wussten nicht, in welcher Gefahr sie schwebten, hatten keine Ahnung davon, was ich auf mich genommen hatte, um diese Welt zu retten – woran ich kläglich gescheitert war.

Was für sie alle zählte, war, pünktlich in den Flieger zu steigen, um drüben in den Staaten ihren Geschäften nachzugehen, ihre Lieben wiederzutreffen oder einen schönen Urlaub zu verbringen. Fast beneidete ich sie um dieses Unwissen.

Auf einem großen Bildschirm in der Wartehalle übertrug ein Nachrichtensender irgendein Interview. Was mich stutzig machte, war nicht die Sendung an sich, sondern der rote Balken am unteren Rand, auf dem die aktuellen News durchliefen.

Seltsame Male: Weltweit treten bei Millionen Menschen unerklärliche Male und Symbole an Stirn oder dem Handgelenk auf. Forscher stehen vor einem Rätsel.

Male? Mein Herz begann schneller zu schlagen, und ich spürte, wie meine Handflächen feucht wurden. Ich zog mein Handy hervor, um im Internet diesem Phänomen nachzugehen, da rief eine Stewardess zum Boarding auf.

»Verdammt«, stieß ich aus und ließ das Telefon wieder verschwinden.

***

Glücklicherweise hatte es weder im Flugzeug noch bei der späteren Einreisekontrolle Probleme mit dem Pass gegeben, und ich war erleichtert, endlich im Zug nach Hause zu sitzen. Ich war mittlerweile unglaublich nervös. Wie würden meine Eltern auf mich reagieren, wenn ich vor ihnen stand? Nadya hatte mich gut instruiert. Vor meiner Abreise waren wir diverse Szenarien durchgegangen und hatten besprochen, wie ich Mom und Dad so einfach wie möglich erklären konnte, was vorgefallen war. Dennoch blieben da diese Restzweifel. Was würde ich tun, wenn sie mich abwiesen?

»Das ist ja eigenartig«, hörte ich plötzlich einen Mann sagen. Er hatte gemeinsam mit seiner Frau auf den beiden Sitzen gegenüber meinem Platz genommen und sah seiner Begleitung intensiv ins Gesicht.

»Was? Was hast du denn?«, herrschte sie ihn an.

»Hast du dir eine Schlange auf die Stirn gemalt?«, wollte er wissen und starrte sie belustigt an.

»Sehr witzig, Edward.« Sie schüttelte den Kopf und wandte sich mir zu, sodass ich das Geschwür oder Muttermal, das zwischen ihren Augen prangte, gut erkannte.

»Sieht doch einfach nur lächerlich aus, finden Sie nicht auch?« Er wandte sich an mich, und ich warf beiden einen verunsicherten Blick zu. »Eine Frau in deinem Alter mit solch einer albernen Zeichnung auf der Stirn«, maulte er weiter, bis sie ihn barsch anblaffte.

»Jetzt ist es aber genug, Edward! Ich habe mir nichts auf die Stirn gemalt und werde es auch nicht. Bitte lass es doch dabei bewenden!«

Ich legte den Kopf schief und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Konnte dies so ein Mal sein, von dem mittlerweile die halbe Welt sprach? Ich hatte es nicht nur am Flughafen mehrere Male gesehen, auch die Radiosender hatten nur noch ein Thema. Es war die Rede von einem eigenartigen Pilz oder Bakterium, das die Menschen befiel – die Wissenschaftler waren sich nicht einig. Auf jeden Fall schien es fürs Erste nicht besorgniserregend oder gesundheitsbedrohlich.

»Miss, Sie haben sicher einen Spiegel bei sich, nicht wahr? Ihr jungen Leute habt doch immer solch einen Beauty-Kram bei euch.« Der Mann, von dem ich wusste, dass er Edward hieß, sah mich erwartungsvoll an.

»Ähm, einen Spiegel habe ich nicht«, antwortete ich entschuldigend. »Aber vielleicht etwas, das ihnen auch weiterhilft. Moment.«

Ich entsperrte mein Smartphone und hielt der Frau die Kamera mit der Selfie-Funktion vor die Nase. Sie kniff die Augenbrauen zusammen, brachte ihr Gesicht näher an das Display und strich sich die wenigen Haare aus der Stirn, um das Gebilde dort besser in Augenschein nehmen zu können.

»Was zum Teufel …«, entfuhr es ihr, und sie rückte näher an mein Telefon. Mit den Fingern begann sie, an der schlangenartigen Zeichnung zu reiben, als wollte sie sie wegwischen. Erfolglos.

»Vielleicht nur ein Ausschlag«, versuchte ich sie zu beschwichtigen. »Sicher ist er morgen schon wieder verschwunden.«

»Es ist eines dieser komischen Male, wie sie im Fernsehen dauernd gezeigt werden.« Die Frau klang jetzt panisch, und der Mann, den ich bisher als recht provokant empfunden hatte, strich ihr sanft über den Rücken.

»Ach, das ist bestimmt nichts. Wir können ja morgen gleich einen Termin beim Hautarzt ausmachen. Sicher kann man das mit einer Salbe behandeln.«

Sie sah ihn aus aufgerissenen Augen an, beruhigte sich aber langsam wieder. Auch ich nickte ihr aufmunternd zu, obwohl mich dieses Mal mehr als aufwühlte. Ich wusste nicht, wieso, aber ein schreckliches Gefühl überkam mich, je länger ich es betrachtete.

Umso erleichterter war ich, als der Zug in diesem Moment in die Amtrak-Station in Bakersfield einfuhr. Ich stand auf, schulterte meinen kleinen Rucksack und verabschiedete mich schnell von den beiden Passagieren.

Draußen empfing mich trockene, warme Luft. Im Gegensatz zu den im November frostigen Temperaturen in Deutschland herrschten hier meist angenehme fünfzehn bis zwanzig Grad in Herbst und Winter. Früher hatte ich mich wehmütig nach der kalten Jahreszeit in Deutschland gesehnt, nach weißer Weihnacht, Schlittschuhlaufen auf dem See und Schlittenfahren am Hügel. Mit der Zeit aber hatte ich erkannt, dass auch warme Winter ihre Vorzüge hatten. Kein Schneeschippen, kein Frieren, kein Feststecken im Schnee.

An meinem Rucksack, dem einzigen Gepäck aus Deutschland, war eine dicke Winterjacke befestigt, die mir Nadya geschenkt hatte. Diese würde ich hier vermutlich nicht mehr brauchen. Ohnehin besaß ich aktuell nicht viele Kleidungsstücke. Das zerrissene, blutverschmierte Abendkleid hatte Nadya noch in der Halloweennacht entsorgt und gegen eines ihrer wallenden Kleider und Strickpullover getauscht. Eines dieser Kleider trug ich jetzt, natürlich ohne Pullover. Dazu hatte sie mir ein wenig Unterwäsche eingepackt und zwei Paar Socken. Mehr befand sich derzeit nicht in meinem Koffer.

Ich beeilte mich, hinaus auf die Straße zu kommen, um gleich eines der Taxis zu erwischen, und hatte Glück. Kurz darauf saß ich auf einer ledernen Rückbank und ließ mich mit klopfendem Herzen zum Haus meiner Eltern fahren. Je näher wir der Straße kamen, desto nervöser wurde ich. Mir brach der Schweiß aus, meine Füße wippten unaufhörlich auf und ab, und meine Hände zitterten, sodass mich der Fahrer fragte, ob alles in Ordnung sei.

Schließlich erreichten wir unser kleines Haus, und mit gemischten Gefühlen stieg ich aus dem Wagen. Zum einen verspürte ich diese unbeschreibliche Freude, wieder zu Hause zu sein, den alten Garten mit den Grünflächen und großen Bäumen zu sehen, in denen ich gespielt hatte. Ich betrachtete das weiße, unscheinbare Gebäude mit der breiten Veranda und erinnerte mich an mein kleines Zimmer mit der integrierten Sitzbank vor dem Fenster, auf der ich so viele Lesestunden verbracht hatte. Zum anderen war die Nervosität allgegenwärtig. Was, wenn sie mich nicht erkannten? Wenn sie mich als Hochstaplerin bezeichneten und wegschickten? Was sollte ich dann tun?

Ich bezahlte das Taxi und sah ihm für einen Moment hinterher, wie es hinter der nächsten Wegbiegung verschwand. Entschlossen trat ich zur Tür und legte vorsichtig meinen Zeigefinger auf den Klingelknopf. Die gewohnte Melodie erklang, und wieder war da dieser Heimkomm-Effekt, der meinen Magen zum Kribbeln brachte.

Die Zeit kurz nach dem Klingeln kam mir vor wie eine Ewigkeit, in der ich darauf wartete, dass sich im Haus etwas rührte. Ich wollte den Knopf schon ein zweites Mal betätigen, da vernahm ich Schritte und Bewegungen.

Ich atmete tief durch, ballte die Hände entschlossen zu Fäusten und wappnete mich für das, was nun geschehen sollte.

Vor mir stand meine Mutter und sah mich an. Wortlos.

Ihr Blick wanderte von Kopf bis Fuß über meinen Körper, bis er an meinem Gesicht hängen blieb. Ich betrachtete sie ebenfalls. Ihre grünen Augen, die mich seit meiner Kindheit begleiteten, die runden Konturen, die roten Haare, die vollen Lippen. Sie hatte mich immer beschützt, seit ich denken konnte. Wir hatten nicht die beste Beziehung zueinander, aber mir war stets bewusst, dass sie mein Fels in der Brandung war, der Mensch, auf den ich mich zu hundert Prozent verlassen konnte.

Tränen rannen über mein Gesicht. »Mom«, sagte ich zittrig und ging einen Schritt auf sie zu.

Sie zuckte zusammen, wurde bleich und rief im selben Moment nach meinem Vater.

»Lars?« Sie klang, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen.

»Ja?«, ertönte die vertraute Stimme aus dem Hintergrund.

»Kommst du bitte?« Auch er musste den panischen Unterton wahrnehmen, denn es dauerte nicht lange, und er stand mir gegenüber.

»Gütiger Himmel«, entfuhr es ihm, er riss die Augen auf und hielt sich die Hand vor den Mund.

***

Meine Finger umschlossen das Glas mit dem kalten Wasser, und ich trank gierig. Mittlerweile hatte ich Kopfschmerzen, ignorierte diese jedoch, so aufgewühlt war ich. Nachdem die erste Skepsis verflogen war, hatten wir einander lange in den Armen gehalten, gelacht und miteinander geweint.

Jetzt saßen wir in der Küche am Esstisch, sahen uns in die Augen und konnten unser Glück kaum fassen.

»Wie … wie ist das nur möglich?« In gewohnt ruhiger, sachlicher Stimmlage begann mein Vater das Gespräch und sah mich dabei immer wieder an, als wäre ich eine Fata Morgana.

Und ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich hätte mit Sicherheit ähnlich reagiert, wenn ich mich damit abgefunden hätte, meine Eltern nie mehr wiederzusehen, und sie dann plötzlich vor meiner Haustür auftauchten.

»Eine Frau aus dem Ort hat mich gerettet und bei sich aufgenommen. Ich hatte mein Gedächtnis verloren und wusste über Wochen weder meinen Namen, noch wo ich hingehörte«, erzählte ich brav die Lüge, die Nadya und ich uns ausgedacht hatten.

»Ja, aber es ist schon seltsam, dass sie sich nicht erkundigt hat. Ich meine, dieser Ort ist ja nicht gerade groß. Eine vermisste Schülerin war dort sicher in aller Munde.« Auf Moms Skepsis war wie immer Verlass.

»Nicht, wenn bereits mein Leichnam gefunden worden war.« Auf solche Fragen hatte mich der Cherub vorbereitet. »Jeder dachte, ich sei bei dem Feuer im Schloss umgekommen, vor allem, da ja eine Leiche gefunden worden war. Wie hätte man da annehmen sollen, ich sei noch am Leben?«

Nadya hatte mir von der offiziellen Version des Klosters erzählt, die mir recht gut in die Karten spielte. Die Mönche hatten einen falschen Totenschein ausgestellt. Der wahre Tote war ein verkohlter Dämon, dessen Leiche ohnehin hätte entsorgt werden müssen. Meinen Eltern war eine Urne mit seiner Asche mitgegeben worden.

»Du ahnst ja gar nicht, was wir uns für Vorwürfe gemacht haben, Liebes. Es war der schrecklichste Tag meines Lebens, als der Anruf aus Deutschland kam, das kannst du mir glauben.« Meine Mutter rieb sich übers Gesicht, und ich sah, wie ihre Finger zitterten, als sie sich die Kaffeetasse an den Mund führte.

»Sie haben euch von dem Unfall erzählt, ja?«

Mom nickte, aber es war Dad, der antwortete. »Ja, von dem schrecklichen Brand während des Balls. Wir haben nicht lange gezögert und haben uns sofort ins Flugzeug gesetzt. Warst du noch einmal in der Halle? Wir haben sie uns nach langem Zögern angesehen. Es war alles zerstört. Unglaublich.«

Ich kaute auf meiner Unterlippe. Nadya hatte mir erzählt, dass es die Dämonen waren, die das gesamte Schloss, in dem sich einst das Gymnasium befunden hatte, verbrannt und damit vernichtet hatten. Sie wollten Michael für seine Unentschlossenheit strafen, vermutete sie. Er hatte an dem Schloss gehangen. Es war sein Zuhause gewesen, in dem er seit seiner Verbannung aus dem Himmel gelebt hatte. Jetzt standen dort nur noch verkohlte Ruinen, und eine unheimliche Atmosphäre herrschte zwischen den eingestürzten Mauern.

»Wir wollten nur so schnell wie möglich wieder weg von dort«, fuhr Mom fort und griff nach meiner Hand. »So viele sind in dieser Nacht umgekommen. Die Eltern, die dort waren, so viel Verzweiflung und Elend. Ich konnte es kaum ertragen.«

Tief atmete ich ein und aus. Ich wusste von den siebenundfünfzig anderen Schülerinnen und Schülern, Lehrern und Ordensleuten, die an diesem Abend ums Leben gekommen waren. Offiziell hatten sie aufgrund herabstürzender Balken, die die Ausgänge blockierten, nicht mehr entkommen können und waren elendig in den Flammen verbrannt. Allerdings hatte in Wahrheit kein Feuer sie getötet, sondern sie hatten sich teilweise selbst umgebracht, besessen von Dämonen, die sie dazu zwangen, das Messer gegen sich oder andere zu erheben. Mit Grauen dachte ich an den Abend zurück, als ich persönlich von Kassandra besetzt worden war und sich schließlich Luzifer im Körper von Pfarrer Beyard zu erkennen gegeben hatte.

»Gott, du musst Furchtbares erlebt haben.« Mom wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Ich schwieg. Sie hatte recht, ich hatte Schreckliches erlebt, die Frage war nur, was würde noch alles kommen? Wenn ich Nadya Glauben schenkte, war dies erst der Anfang.

»Wann kam dein Gedächtnis wieder?«, wollte Dad wissen.

Ich schluckte. »Vor etwas mehr als einer Woche«, log ich. »Sie hat mich ins Krankenhaus gebracht, aber ohne meine Erinnerung wusste niemand, wer ich war. Also hat sie mich wieder mit zu sich genommen, mich dort gepflegt, und irgendwann war alles wieder da.«

»Oh.« Mom rieb sich mit den Händen über das Gesicht, und ich betete inständig darum, dass niemand die Schwachstellen bemerkte, die die Geschichte hatte. Dem Krankenhauspersonal hätte in den Sinn kommen müssen, dass ich ein Opfer des Schlossbrandes sein könnte, und sie hätten zumindest im Kloster nachfragen können, ob mich jemand erkannte. Ich beobachtete meine Eltern genau, doch für den Moment sah es so aus, als glaubten sie mir die Geschichte.

»Als ich wieder wusste, wer ich war, bin ich zum Internat gegangen, und dort riet man mir, nach Hause zu fliegen, bis sich alles normalisiert hat. Fürs Erste kann in der Akademie kein Unterricht stattfinden.«

Dad nickte. »Ja, das verstehe ich. Du meine Güte. So schrecklich. – Haben sie dir das Geld für dein Ticket ausgelegt? Ich werde mich sofort mit der Schule in Verbindung setzen und es ihnen zurückerstatten. Vielleicht können wir auch etwas spenden für den Wiederaufbau.«

»Nein, nein, alles gut. Das … das Geld stammt bereits aus Fördermitteln.« Ich wusste, dass ich eine schlechte Lügnerin war, und jetzt verstrickte ich mich immer weiter in diesem Netz. »Alles in Ordnung, Dad. Sie sind froh, dass mir nichts geschehen ist, und ich bin hier in den USA erst einmal sicher.«

»Sicher? Wovor?« Mom sah mich durchdringend an, und in ihren Augen konnte ich eine gewisse Angst erkennen.

»Das hast du falsch verstanden. Sie meinen, hier bei euch werde ich mich am ehesten von den traumatischen Erlebnissen erholen.« Ich rieb mir über das Kinn. Meine Mutter runzelte die Stirn, aber die Erklärung schien halbwegs plausibel für sie, denn nach einer Weile nickte sie.

»Jaja, das stimmt natürlich. Hier bist du weit weg von den Erlebnissen. Wieder einmal.« Sie warf meinem Vater einen vielsagenden Blick zu. »Vielleicht ist es das Beste, du bleibst hier und gehst überhaupt nicht wieder zurück.«

Den letzten Satz sagte sie mehr zu sich selbst als zu uns. Sie wirkte seltsam in sich gekehrt, wie sie so dasaß, die Hände verkrampft um das Glas gelegt.

»Deine Halluzinationen, die … die werden wir schon irgendwie in den Griff bekommen, denke ich.« Sie sah auf und schenkte mir ein mattes Lächeln. Ich legte meine Hand auf die ihre und strich mit dem Daumen sanft über ihren Handrücken.

»Ich habe gute Nachrichten«, sagte ich leise. »Ich bin geheilt. Keine Visionen und keine Ohnmachtsanfälle mehr.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Was? Nach so kurzer Zeit? Wie kannst du dir da sicher sein? Es sind gerade mal drei Monate vergangen.«

Ich atmete tief durch. »Ich kann es ja selbst auch kaum glauben. Aber ich weiß, dass es zu hundert Prozent so ist. Wahrscheinlich hat mein Gedächtnisverlust dazu beigetragen. Auf jeden Fall kann ich jetzt ein ganz normales Leben führen.«

Ich sah Dad an und bemühte mich, so viel Zuversicht in meinen Blick zu legen wie nur möglich. »Ich werde mich so anstrengen wie noch nie zuvor, das verspreche ich euch, und ihr werdet sehen, im nächsten Jahr mache ich einen guten Abschluss und gehe auf ein College.«

Moms Gesicht hellte sich auf. »Das klingt zu schön, um wahr zu sein.«

Wie sehr sie mit diesem Satz recht behalten sollte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nur erahnen.

Es klingelte an der Haustür. Für einen Moment reagierte niemand, und ich begann mich zu fragen, ob ich es mir nur eingebildet hatte. Da ertönte zum zweiten Mal die Glocke, und Dad stand auf, schob quietschend seinen Stuhl zurück und öffnete. Wenig später rief er nach mir.

»Lena, kommst du bitte? Besuch für dich.«

Meine Augen leuchteten auf. Das konnte nur Penny sein! Wie hatte sie so schnell von meiner Rückkehr erfahren? Manchmal glaubte ich echt, sie überwachte mich per Satellit.

Hastig stand ich auf und warf dabei fast den Stuhl um, so sehr freute ich mich auf das lustige, stets optimistische Gesicht meiner verplanten besten Freundin. Im Türrahmen allerdings blieb ich wie vom Donner gerührt stehen.

Dort, direkt gegenüber meinem Vater, war nicht Penny.

KAPITEL 3

»Großer Gott«, entfuhr es mir, und ich hielt mir schnell die Hand vor den Mund. »Nikolas!«

Er sah mit einem Wort einfach nur schrecklich aus, wie er so im Türrahmen lehnte. Die blonden Haare standen ihm wirr vom Kopf ab, das Gesicht war unnatürlich blass und eingefallen, die Kleidung verschmutzt und an einigen Stellen sogar durchlöchert. Er schien sich kaum auf den Beinen halten zu können, schwankte immer wieder hin und her.

Ein mattes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er mich erkannte.

»Lena«, flüsterte er.

Dann trat er einen Schritt vor, stützte sich aber sofort am Türrahmen ab.

»Lena, kennst du diesen jungen Mann?«, fragte Dad, der sich kurzerhand Nikolas’ Arm um die Schultern legte und ihn zum Sofa begleitete.

Ich nickte und beeilte mich, an Nikolas’ Seite zu treten, um ihm ebenfalls Halt zu geben. Gemeinsam setzten wir ihn auf den Polstern ab, betteten ein Kissen unter seinen Kopf und deckten ihn zu. Ich ging neben ihm in die Hocke, betrachtete ihn eingehend. Ich wollte nach seiner Hand greifen und ihm eine Strähne aus dem Gesicht streichen, doch ich zögerte.

Szenen schoben sich vor mein inneres Auge. Szenen, die ich vergessen wollte, an die ich nie auch nur eine Sekunde mehr denken wollte, und dennoch sah ich sie so klar und deutlich vor mir, als erlebte ich sie ein zweites Mal. Nikolas’ finsterer Blick, in dem Dunkelheit aufleuchtete wie wabernde Schatten, die ihn einhüllten und mir eine vollkommen neue Seite offenbarten. Er war zu allem entschlossen, und dann folgte diese simple Handbewegung, mit der er mir sein Schwert in die Brust stieß.

Einem Impuls folgend griff ich doch nach seiner Hand, ließ sie aber sofort wieder los.

»Was …?« Seine Stimme zitterte, er war unglaublich schwach und ausgezehrt.

Anstatt ihn noch einmal anzufassen, rutschte ich weg von ihm.

»Lena?« Mit der Hand tastete er nach mir, fand mein Knie und umschloss es. Die Kälte der Berührung drang durch den Stoff des Kleides bis auf meine Haut.

»Lena, wer ist das?«, wollte meine Mutter wissen, die zu uns getreten war und erschrocken auf den blassen Jungen hinuntersah, der dort auf unserem Sofa lag. Ihr Blick streifte die Hand auf meinem Knie, doch sie verkniff sich einen Kommentar.

»Das … das ist Nikolas. Ein … Schüler des benachbarten Gymnasiums von Santa Luzia«, antwortete ich wahrheitsgetreu.

»Und wie kommt er hierher? Was will er hier?«, fragte Dad und wirkte alles andere als erfreut.

»Das wüsste ich auch gerne.« Ich überlegte, ob er vielleicht geflogen war oder sich teleportieren konnte. Luzifer hatte gesagt, er habe ihm seine Macht zurückgegeben. Aber was bedeutete das im Detail? Und woher hatte er gewusst, dass ich hier war und nicht bei Nadya? Und warum zur Hölle sah er aus, als hätte ihn soeben ein Bus überrollt? Eigentlich müsste er doch vor Kraft und Energie nur so strotzen, er, der leibhaftige Erzengel.

Ich hielt mir die Hand vor den Mund. Der Erzengel Michael lag vor mir auf dem Sofa und wirkte, als wäre er todkrank. Zu einer ähnlichen Erkenntnis kam auch meine Mutter, denn besorgt trat sie zu ihm und fühlte seine Stirn.

»Er ist eiskalt und schwitzt gleichzeitig. Merkwürdig. Am besten wäre es, wir rufen einen Krankenwagen. Im Hospital kann man ihm am ehesten helfen.«

»Nein«, kam es da krächzend aus Michaels Mund. »Kein Krankenhaus. Bitte.«

Mom sah mich an, als wäre das alles meine Schuld. So viel dazu. Ich war kaum eine Stunde von den Toten zurückgekehrt, und schon verfiel sie in alte Verhaltensmuster.

»Ich hole mal das Fieberthermometer und mache ihm eine Wärmflasche. Vielleicht kannst du in Erfahrung bringen, weshalb er hier ist und was seine Eltern dazu sagen«, erklärte sie und verließ das Zimmer.

Seine Eltern, tja, was mochten die dazu sagen? Was dachte sich Gott generell dabei, wenn er seine Engel auf der Erde beobachtete?

Ich warf Dad einen Blick zu. »Kann ich kurz mit ihm allein sein?«

Dads Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er alles andere als begeistert von dieser Bitte war, aber er sagte nichts und verließ stumm unser Wohnzimmer.

Ich schaute auf Nikolas hinab, den Jungen, in den ich mich verliebt hatte, betrachtete das schöne Gesicht, hob die Hand und wollte ihm über die Wange streichen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne. Es fühlte sich falsch an, wie Verrat an mir selbst.

»Wieso bist du hier?«, fragte ich leise und hoffte, er würde mir antworten.