Falco: Die Wahrheit - Horst Bork - E-Book

Falco: Die Wahrheit E-Book

Horst Bork

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Beschreibung

Horst Bork lernte Hans Hölzel alias Falco kennen, als der junge, nur im Wiener Untergrund bekannte Künstler dem A&R-Manager seine Aufnahmen vorspielte. Bork nahm Falco unter Vertrag und erlebte aus nächster Nähe dessen sensationellen Aufstieg in Europa, Japan und Amerika mit. Er lernte ihn als genialischen Künstler kennen, der nach Erfolg strebte, aber sah auch, wie Falco unter den hohen Erwartungen litt, die Fans, Presse und Plattenfirma an ihn stellten, und wie er den Druck von Anfang an mit den verschiedensten Drogen bekämpfte. Anschaulich und aus nächster Nähe beschreibt Horst Bork Höhen und Tiefen der fast 20-jährigen Karriere des Österreichers, der die Menschen polarisierte, immer für einen Skandal gut war und dennoch geheimnisvoll blieb. Er schildert Falcos Affären, seine Drogenexzesse, sein Verhältnis zum Geld und legt die Wahrheit über seinen geheimnisumwobenen Tod offen.

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Horst Bork

FALCO: DIE WAHRHEIT

Wie es wirklich war – sein Manager erzählt

Schwarzkopf & Schwarzkopf

Für Hans und Marianne

»Ein Sänger ist ein Mann, der singt,

was er verkaufen kann.

Ein Sänger, der verkauft, was er singt,

ist ein Künstler.«

Aus den Notizen von Falco

Vorwort

Der Moment, in dem der Anruf unserer Plattenfirma aus Los Angeles kam, wird mir ein Leben lang unvergesslich bleiben: Nummer eins in den amerikanischen Charts! Falco war der erste Popstar, dem das mit einem deutschsprachigen Song gelang. Rock Me Amadeus machte Falco zu einer unsterblichen Legende, dieser Erfolg ist bis heute, fast 25 Jahre später, noch immer unerreicht. Es scheint so einzigartig zu bleiben, wie Falco selbst einzigartig war.

Das Image, die Kunstfigur Falco, die sich Hans Hölzel selbst gebastelt hat, die vielen Schlagzeilen, seine schillernde Persönlichkeit und nicht zuletzt sein tragischer Tod 1998 haben mit dazu beigetragen, dass sich immer wieder neue Mythen um ihn rankten.

Ich habe mir über lange Jahre hinweg immer wieder verwundert die Augen gerieben, wer da über Hans Hölzel etwas zu berichten wusste. Alles Mögliche und Unmögliche wurde erzählt, ans Licht gezerrt und mit gesicherten Ahnungen angereichert. Das Endlosband von Sex & Drugs & Rock’n’Roll läuft und läuft und läuft, der fünfzigste Geburtstag, der zehnte Todestag, die Filmpremiere, immer wieder werden alte Geschichten neu erzählt, von Genie und Wahnsinn, Alkohol, Drogen, der schweren Kindheit und der dominanten Mutter, gescheiterten Beziehungen und falschen Freunden. Permanente Wiederholungen von unwahren Versatzstücken tragen aber auch nicht dazu bei, dem Menschen Hans Hölzel, der mit großer Begeisterung den Falco spielte, näherzukommen oder gar gerecht zu werden.

Wenn man mehr als ein Jahrzehnt an der Karriere von Hans Hölzel mitgebaut hat und immer an vorderster Front dabei war, entwickelt man eine sehr spezifische Sicht der Dinge. Lange Zeit habe ich mich mit der Einsicht getröstet, dass Schweigen eben doch Gold sei. Aber die Diskussionen, die der Film Falco – Verdammt, wir leben noch! im Jahr 2008 entfacht hat, haben mich vom Gegenteil überzeugt, denn Halbwahrheiten und Geschichtsklitterung machten erneut die Runde. Ich glaube, elf Jahre nach Falcos Tod ist es an der Zeit, die wahre Geschichte zu erzählen. Deshalb habe ich mich entschlossen, meine und die Geschichte von Hans Hölzel niederzuschreiben, spät vielleicht, aber sicher nicht zu spät. Keine Vermutungen oder Unterstellungen mehr, sondern nur die ungeschminkte Wahrheit und die traurigen Tatsachen. Weniger über den Popstar Falco, sehr viel mehr über den Menschen Hans Hölzel.

Der Film Falco – Verdammt, wir leben noch! von Thomas Roth hat einigen Mythen ein Ende bereitet und dezent angedeutet, wie es um das Seelenleben des größten deutschsprachigen Popstars aller Zeiten wirklich bestellt war. Ich wurde durch die Zusammenarbeit mit Thomas Roth dazu gezwungen, mich wieder mit Hans und Falco zu beschäftigen, mit einem Thema, das ich seit seinem Tod behutsam zur Seite gelegt hatte. Die Gespräche mit ihm über Falco und auch das Schreiben dieses Buches waren eine stellenweise schmerzhafte Zeitreise durch mein eigenes Leben – kein Wunder, wenn man zwölf Jahre geschäftlich und siebzehn Jahre privat sehr eng miteinander verbunden war.

Als ich Hans Hölzel 1981 in Wien kennenlernte, war er noch der schüchterne, leise Hans und gerade dabei, mit Ganz Wien seinen ersten lokalen Hit in die Welt zu setzen. Wir waren uns vom ersten Moment an darüber im Klaren, dass wir gemeinsam etwas auf die Beine stellen wollten, und so war ich als sein verantwortlicher A&R-Manager, dann als sein Manager und immer als Freund bei allen Stationen seiner unvergleichlichen Karriere ganz vorne mit dabei: Ich erlebte die Transformation vom Wiener Underground-Musiker zum weltweit gefeierten Popstar und habe daran im Hintergrund auch tatkräftig mitgearbeitet. Manager und Freund in Personalunion zu sein war oft ein schwieriges Unterfangen, aber unser gegenseitiger Respekt hat uns stets neue Lösungen aufgezeigt.

Ich hoffe, dieses Buch wird helfen, Hans Hölzel und Falco besser zu verstehen, vielleicht auch zu begreifen. Das hatte er sich bereits zu Lebzeiten verdient. Und wer es trotzdem nicht versteht? Auch da gab er Trost für sich und andere: »Wenn ned, dann ned!«

Horst Bork

1981

Alles wartet, alles wartet Auf die Helden von heuteHelden von heute

Drahdiwaberl & Falco: Das Signing

»Ich hab da was für dich, Horst, frische Ware aus Wien, das musst du dir anhören, Psychoterror heißt die Scheibe – und sie hält, was sie verspricht!«

Es war der Münchner Rechtsanwalt Fred Meier, der mich Anfang 1981 in meinem Büro in Hamburg anrief. Zu dieser Zeit war ich bei der Plattenfirma Teldec verantwortlich für den Bereich A&R und Marketing. In dieser Position ist man für alle (A)rtisten und alles (R)epertoire zuständig. Ein schöner Job, wenn einem die Hits nicht ausgehen, aber ich hatte frühzeitig gelernt, dass für den großen Chart-Erfolg stets alle Abteilungen zuständig sind und der Flop immer ein Waisenkind ist, für den einzig und allein der A&R-Chef verantwortlich zeichnet. Unter dieser Prämisse landete eine LP der Wiener Band Drahdiwaberl – frei übersetzt »Dreh dich Weibchen« – auf meinem Tisch am Heußweg im Stadtteil Eimsbüttel. Das Album mit dem programmatischen Titel Psychoterror hatte mir Alfred Meier, kurz Fred, zugeschickt, der es während seiner Studienjahre als Bassist und später als Rechtsanwalt im Mediengeschäft mit den Schwerpunkten Film und Musik zu Erfolg und Ansehen gebracht hat. Ich solle mir die Platte mal anhören, meinte er, denn die Rechte für eine Veröffentlichung in Deutschland seien frei.

Fred hatte sie über seine vielfältigen Beziehungen in Wien akquiriert. In Österreich sollte die LP auf dem Label GIG erscheinen, das Markus Spiegel gegründet hatte, mit dem ich in den nächsten Jahren mehr zu tun haben würde, als ich zu diesem Zeitpunkt ahnen konnte. Markus, Theaterwissenschaftler, Cineast und Schöngeist, den es per Zufall in das Musikgeschäft verschlagen hatte, importierte zunächst 12inch-Produktionen aus den Vereinigten Staaten, bevor er sich an eigene Produktionen machte, und sein erstes Signing waren ebenjene Drahdiwaberl. Heute bin ich mir sicher, er hätte auch als Theaterregisseur, Entertainer, Journalist oder Schauspieler eine große Karriere machen können.

Als ich Markus Spiegel kurzentschlossen kontaktierte, erzählte er mir, dass der Wiener Kunstprofessor Stefan Weber, der im Hauptberuf als Lehrer an einem Wiener Gymnasium wirkte, Kopf, Erfinder und Motor von Drahdiwaberl war, einer Band, die 1969 mit einer präzisen Zielvorgabe gegründet worden war: Sie sollte provozieren und polarisieren, mit aggressivem Auftreten und greller Show als Gegengewicht zu den damaligen Hippie-Formationen wirken. Und das taten sie gründlich, da wirkte Frank Zappa mit seinen Mothers wie eine wohlgesittete Combo in einem Schullandheim.

Bereits als ich die LP zum ersten Mal hörte, übte sie einen eigenartigen Reiz auf mich aus. Im charmanten Wiener Dialekt ließen sich die absurdesten Bösartigkeiten absondern, es klang trotzdem nett und unaufdringlich, nie böse und giftig. Meine Begeisterung hatte sicher auch damit zu tun, dass ich als Bayer der Einzige unter lauter Nordlichtern war, der die Texte halbwegs verstehen konnte. Und das stimmte mich optimistisch, dass der morbide Charme einiger Songs auch in Deutschland sein Publikum finden könnte. Ich entschloss mich, die Band für die Teldec mit zwei LPs unter Vertrag zu nehmen.

»Ganz Wien«

Wiener Bekannte hatten mir immer wieder in den höchsten Tönen von dem Song Ganz Wien vorgeschwärmt, der sich auf dem Album befand. In der Alpenrepublik hatte er sich zu einer Hymne der Subkultur entwickelt. Der Track handelte von allen möglichen Arten von Drogen und den komplexen Wiener Zu- und Umständen, die Textzeile »im U4 geig’n die Goldfisch« machte das gleichnamige Kellerlokal zum Hauptquartier des Wiener Undergrounds. Gesungen wurde Ganz Wien nicht von Stefan Weber selbst, sondern von Johann Hölzel, dem Bassisten der Band, der sich Falco nannte. Professor Weber habe ein gutes Händchen für seine Musiker und Akteure, erklärte mir Markus Spiegel, deswegen habe dieser auch keinen Moment gezögert, als 1979 Johann Hölzel als Bassist bei ihm einsteigen wollte. Der fügte sich nahtlos in das exzessive Biotop dieser Band ein, obwohl er auf der Bühne wie ein Gastmusiker wirkte, der sich für einen Abend die Ehre gab, anwesend, aber nicht zugehörig. Während alle Akteure wie wild geworden über die Bühne schwirrten, stand Falco ruhig mit seinem Bass vor dem Verstärker und spulte konzentriert sein Programm ab. Bereits nach wenigen Auftritten hatte er sich trotz zahlreicher anderer optischer Reize und Möglichkeiten der Ablenkung auf der Bühne zum heimlichen Star der Band gemausert. Deshalb war es auch nur logisch, dass er mit einer Solonummer auf Stefan Weber zukam, und dieser war schlau genug, ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Die Reaktionen auf diesen Titel waren so positiv, dass sich Markus Spiegel entschlossen hatte, ihn mit Falco als Single zu veröffentlichen. So kam Drahdiwaberl zu Ganz Wien und Falco zu seiner allerersten Single.

Doch egal, wie oft ich das Album hörte, neben Songs wie Boring Old Fart, Dog Shit Miller und Ausgeflippter Lodenfreak blieb Ganz Wien für mich blass und leise; während die einen mit dem Säbel wild um sich hauten, ziselierte Hans Hölzel mit dem Florett. Den ersten Song des späteren Weltstars fand ich ganz nett, vom Stuhl riss er mich nicht. Ich hatte meine Bedenken, ob die Wiener Drogenzustandsbeschreibung im Burgenland, in Vorarlberg oder München die Leute ähnlich elektrisieren würde wie in Wien, das war alles sehr spezifisch auf die österreichische Hauptstadt zugeschnitten.

Die Plattenverkäufe des Drahdiwaberl-Debütalbums in Österreich übertrafen die kühnsten Erwartungen von Markus Spiegel und mir, mit mehr als 20.000 verkauften Tonträgern donnerte Psychoterror in die österreichischen Top Ten und die Subkultur-Band mutierte über Nacht zur Chart-Größe. Der Underground hatte seine Reise durchs Establishment angetreten.

Der weiße Rabe: Falco beim Drahdiwaberl-Konzert

Als Drahdiwaberl um Ostern 1981 herum ein Konzert in der Wiener Stadthalle gaben, ließ ich es mir nicht nehmen, die sagenumwobene Band dann endlich auch einmal selbst live zu hören und vor allem zu sehen. Denn ihren Ruf als exzessive Live-Band hatte Drahdiwaberl bereits 1972 begründet. Bei einem Auftritt im Audimax der Universität Wien war es zu einem Eklat gekommen, weil die Band im Rahmen des Konzertes ein Schwein tranchiert hatte. Es folgte ein lange andauerndes Auftrittsverbot. Und tatsächlich war das, was ich dann sah, für einen mit der österreichischen Seele damals noch nicht so vertrauten Bayern nah am Kulturschock, und alles, was mir zuvor über diese Band zugetragen worden war, erwies sich als pure Untertreibung.

Ich traute meinen Augen kaum: Bandleader Stefan turnte auf der Bühne in furchterregenden Outfits aus dem Sado-Maso-Milieu herum! Aber das alles war noch harmlos dagegen, was ich nachher zu sehen bekam. Beim sogenannten »McDonalds-Massaker« bewarfen sich die Bandmitglieder mit überdimensionalen Big Macs und wer sich am Bühnenrand nicht schnell genug wegduckte, war im Nu mit Ketchup und Fleischresten verziert. Markus hatte mich vorgewarnt und so brachten wir uns rechtzeitig in Sicherheit, um das Spektakel von hinten zu begutachten. Ein bekannter Lokalpolitiker hatte bei einem anderen Konzert weniger Glück: Er wurde während der heißen Phase der Show bei der »Hendlschlacht« von Teilen eines Suppenhuhns getroffen – was der Band ein mehrjähriges Auftrittsverbot in der Wiener Stadthalle einbrachte.

Absoluter Höhepunkt jeder Show war die Live-Performance des Songs Mulatschag, in deren Verlauf Paare unter Anfeuerung des Publikums auf der Bühne kopulierten. Obwohl mich Markus Spiegel sehr gründlich auf die Show vorbereitet hatte, konnte ich die weiteren Obsessionen in Sachen Onanie und Lodenmantel kaum fassen.

Meine ganz persönliche Favoritin war trotzdem die fesche Lotte, eine 80-jährige zahnlose ehemalige Prostituierte, die mit Wickelschürze, Strickjacke, Mütze und Filzpantoffeln auf einem Stuhl sitzend den Saal zum Kochen brachte. »Ganz Paris träumt von der Liebe«, schmetterte sie stark lispelnd ins Mikrofon und der ganze Saal lispelte mit. Es war ein lautes, schrilles, anarchisches Spektakel, irgendwo zwischen Frank Zappa und den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg.

Markus Spiegel hatte mich auf dem Weg zum Konzert daran erinnert, bei der Nummer Ganz Wien doch einmal ganz genau hinzuhören, denn der Interpret Falco trüge sich schon seit geraumer Zeit mit Solo-Gedanken und arbeite an neuen Songs. Vielleicht sei er ja auch was für mich, österreichische Künstler seien in Deutschland immer sehr erfolgreich, legte Markus mir ans Herz.

Nach 60 Minuten Drahdiwaberl war es so weit – Falco präsentierte den Wienern ihren Hit. Ich war fast erschöpft vom wilden Geschehen auf der Bühne und fand es daher erholsam und entspannend, nur noch einem Künstler zuhören zu müssen. Und als dieser junge Mann da in seiner roten Sgt.-Pepper-Uniform, Turnschuhen, gegelten Haaren und Ray-Ban-Sonnenbrille im weißen Spot auf der Bühne stand und Ganz Wien sang, war das nicht nur wohltuend ruhig, fast meditativ im Gegensatz zu dem vorherigen Spektakel, es war auch eine Konzentration auf das Wesentliche. Kein hektischer Aktionismus, kein Ketchup, kein infantiles Geschrei, nur ein Stück guter Musik mit einem Sänger, der bei dem ganzen Anarcho-Spektakel herausragte wie ein weißer Rabe. Jetzt konnte ich endlich verstehen, woher die große Begeisterung für Ganz Wien kam.

»Entschuldigen Sie die Störung…«: Nach dem Konzert im »Wiener«

Gleichermaßen erschöpft wie fasziniert ging ich mit Markus Spiegel, der Band und all ihren Komparsen nach dem Konzert in den »Wiener«, damals Szenetreff und Anlaufpunkt für zahlreiche Musiker und Protagonisten des Wiener Kulturlebens. Der Abend im Wiener war so eine Art Backstage-Party mit wenig Publikum. Die Akteure drehten auch noch Stunden nach Ende des Konzertes auf und exponierten sich wie zuvor auf der Bühne. Bei allem, was mir Markus im Vorfeld zu Hans Hölzel alias Falco angekündigt hatte, war ich fast ein wenig enttäuscht von seiner Person, da hatte ich mir mehr erwartet. Oder hatte mich Drahdiwaberl so verwirrt und mein Urteilsvermögen beschädigt? Wie ein Fremdkörper wirkte der müde Falco in seiner Bühnenuniform unter seinen Musikerkollegen, und auch unsensible Zeitgenossen hätten bemerkt: Das war nicht dringend seine Welt. Drahdiwaberl war vielleicht eher so eine Art Durchgangslager für ihn.

Kurz vor der Nachspeise klopfte mir jemand dezent auf die Schulter. »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Bork, ich bin der Falco und würde mich gerne mit Ihnen unterhalten«, sagte der »Local Hero« höflich und schüchtern zugleich. Nicht nur diese ausnehmende Höflichkeit fiel mir auf, sondern auch dass er mich siezte, was in diesem Geschäft eher unüblich war. Schließlich war ich nur acht Jahre älter als er. Wir gingen in eine ruhigere Ecke des Lokals, denn mit dem Alkoholpegel hatte sich auch die Lautstärke gesteigert.

Mir fiel als Erstes auf, dass der junge Mann eine nach der anderen rauchte. Wie ich später erfahren sollte, waren es bereits an die vierzig Marlboro pro Tag und schon damals zündete er sich seine Zigaretten stets äußerst effektvoll mit einem goldenen Dupont-Feuerzeug an. Wir bestellten uns Bier, und er erzählte, was er im Moment machte und was er noch gerne machen würde. Parallel zu Drahdiwaberl spielte er in einer Band namens Spinning Wheel, einer »Kommerzpartie«, wie er leicht abfällig bemerkte: »Bei Spinning Wheel geht’s um die Marie, bei Drahdiwaberl geht’s um die Kultur, und Kultur muss man sich erst mal leisten können«, sinnierte er ganz professionell, nahezu abgeklärt. »Ich habe jetzt mit Ganz Wien zwar einen kleinen Hit, aber ich arbeite schon an einem neuen Projekt«, fuhr er ruhig und zurückhaltend fort, ohne dabei die Zigaretten ausgehen zu lassen.

Er wolle kein typisch österreichischer Interpret wie Wolfgang Ambros, Rainhard Fendrich oder Georg Danzer werden, sagte Hans Hölzel, er wolle eine ganz eigene Fraktion bilden, neu und mit nichts zu vergleichen. Er wolle deutsch singen und trotzdem solle es international klingen – aus Österreich für die Welt. Der Herr ist aber recht ambitioniert, dachte ich für mich, aber das will ja im Grunde jeder Interpret: einzigartig sein, nicht austauschbar, ein Unikat eben. Das hatte ich schon unzählige Male zuvor gehört, nur leider klaffte meist eine gewaltige Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Mir fiel auf, wie unaufgeregt, fast gelangweilt der Künstler das alles erzählte, sehr höflich, ungeheuer charmant, aber auch sehr bestimmt und keinen Zweifel daran lassend, dass alles so passieren würde, wie er sich das vorstellte. Es klang über weite Strecken aber auch wieder fast teilnahmslos, als würde er von einem anderen Interpreten und nicht von sich selbst sprechen. Er schilderte seine Pläne mit großer Distanz zum eigenen Tun, so dass man den Eindruck hatte, es ginge um die Karriereziele eines Freundes, aber nicht um die eigenen. Diese vorgetäuschte Teilnahmslosigkeit war aber, wie ich später herausfand, als ich Hans besser kennenlernte, bereits zu dieser Zeit nichts anderes als eine Art Tarnung, ein Schutz vor der großen Enttäuschung, falls die hochgesteckten Ziele nicht erreicht werden sollten.

Nach einiger Zeit gesellte sich Markus Spiegel zu uns, sein Entdecker und Produzent, mit dem ich mittlerweile schon gut bekannt war. »Horsti«, meinte der flapsig, »der Hansi macht sicher mal die ganz große Karriere, behalte ihn im Auge, ihr beide wärt ein gutes Gespann.« Hans erzählte weiter, dass er bald mit dem Wiener Produzenten Robert Ponger ins Studio wollte, um einige Ideen umzusetzen, aber auch das berichtete er mit viel Abstand und großer Gleichgültigkeit, wie ein Architekt, der über eine neue Brücke philosophiert. Er erwähnte immer wieder den Namen Rick James, den damaligen Meister der dreckigen Grooves und Riffs, als musikalische Orientierungshilfe – »schwarzes Playback, weiße Stimme« war seine Headline dafür. Müde vom Bier, dem Qualm und dem langen Tag gab ich Hans meine Visitenkarte. »Ich melde mich, wenn ich fertig bin«, sagte er höflich, brachte mich noch zum Taxi, bedankte sich für das Gespräch und verabschiedete sich.

Wenn man im A&R-Bereich einer Schallplattenfirma tätig ist, verteilt man ständig Visitenkarten. Sei es um Interesse zu heucheln oder um wirklich in Kontakt zu treten, sei es um ein Gespräch zu beenden oder um am Ball zu bleiben. Bei Hans war ich mir nicht sicher, ob er sich wirklich melden würde, zu unkonkret fand ich unser Gespräch, eigentlich hatte ich nur zugehört und ambitionierten Vorstellungen gelauscht. Später habe ich gelernt, dass Hans nur sehr selten konkret war. Er liebte so eine Art Schwebezustand, »nix is fix« war immer sein Lieblingsspruch dazu. Die Kunst der japanischen Verneinung, die mit »ja, aber« beginnt, hatte er in Perfektion im Repertoire. Er wäre ohne seine späteren Drogen- und Alkoholeskapaden sicher eine Bereicherung für den diplomatischen Dienst seines Heimatlandes geworden, doch schon während seiner Pubertät hatte er »Popstar« als Berufswunsch angegeben und hartnäckig und ausdauernd an diesem Ziel gearbeitet, wie mir später einmal seine ehemaligen Klassenkameraden erzählten.

Die Weichen werden gestellt: »Helden von heute« vs. »Der Kommissar«

Drei Monate später klingelte in meinem Büro in Hamburg das Telefon. »Servus, Herr Bork, Falco ist hier, ich bin jetzt fertig. Wann kann ich zu Ihnen nach Hamburg kommen?«, fragte Hans sehr höflich. Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, nach so langer Zeit von ihm noch irgendetwas zu hören. Ich war angenehm überrascht und gespannt, was er mir präsentieren würde.

Pünktlich zum verabredeten Termin tauchte er in meinem Büro am Heußweg auf. Er war zwei Tage lang mit seinem alten, klapprigen VW Käfer von Wien nach Hamburg gezuckelt, in der Nähe von Würzburg hatte er bei einer Freundin übernachtet. Nachdem er in Hamburg in einer kleinen Pension eingecheckt hatte, war er zum Heußweg gekommen. Im Vorzimmer hatte er bereits charmant Mozartkugeln verteilt und mit den Damen geplaudert, mir gab er die Hand und machte einen tiefen Diener, ähnlich einem artigen Konfirmanden. Mit seinem schwarzen Anzug und dem schwarzen Hemd, dem weißen Hut und dem Plastik-Samsonite-Aktenkoffer sah er nicht zwingend aus wie ein kommender Superstar, aber interessant genug, dass ich mir das Band in seinem Koffer sehr genau anhören würde.

Aus einem Papierkarton nestelte er eine riesige Tonbandspule heraus, die ich auf den Teller meines Revox-Abspielgerätes legte und festmachte. In der Zeit vor CD und MP3 war das die einzige Methode, Musik in vernünftiger Qualität zu hören; alternativ gab es noch die MC, die zwar handlicher war, aber um Längen schlechter klang. Hans stellte sich neben das Tonbandgerät und verkündete feierlich: »Jetzt hören Sie meinen ersten großen Hit.«

»Wir hab’n den Fuß am Gas und die Mode fest im Griff«, schmetterte es los, um dann in den Refrain »Wir sind die Helden von heute« zu münden. Ich hatte gelernt, im Beisein von Künstlern nur sehr vorsichtig über deren Produktionen zu urteilen und mich mit spontanen Reaktionen möglichst zurückzuhalten. Egal wie euphorisch oder kritisch es dabei zugeht, der Künstler hält sie einem ewig vor. Findet man etwas gut, veröffentlicht es und nachher wird nichts daraus, steht man als inkompetenter Trottel da; ist man kritisch, äußert Zweifel und das Ding wird nachher ein großer Hit, geht man auch als tauber Holzkopf in die Geschichte ein.

Um Zeit zu gewinnen, hörte ich mir die Nummer ein zweites Mal an, aber den großen Hit konnte ich auch da nicht erkennen. Nach dem dritten Hören war mir klar, das ist zwar ein netter Song, der vielleicht in Wien etwas Aufmerksamkeit erregen wird, aber es war nicht der große Wurf, der aus Hans Hölzel den großen Star machen, ihn so groß rausbringen würde, wie er mir das im Wiener skizziert hatte. Aber da war jemand von Wien nach Hamburg gefahren, um seinen Hit zu präsentieren, und du musst dem armen Kerl jetzt sagen, dass er sich den Weg eigentlich hätte sparen können, denn was er da produziert hatte, würde die Hitparaden nie von innen sehen. Hans merkte mir an, dass mich seine Helden von heute nicht vom Sessel rissen, aber er erwartete von mir ein klares Statement. Im Zeitalter von 7inch-Vinyl gab es noch B-Seiten, da wurde oft die Durchschnittsware versteckt, und so fragte ich mehr aus Verzweiflung: »Habt ihr auch eine B-Seite produziert?«

»Haben wir schon, aber die ist etwas von Rick James gfladert, also gestohlen, nur die Musik, nicht der Text, der ist von mir. Aber da geht es um Kokain, das spielt uns doch eh keiner im Radio und einen Plagiatsprozess will ich auch nicht auslösen«, grummelte Hans Hölzel zur zehnten Marlboro.

Ich wollte sie trotzdem hören. Seine B-Seite war Der Kommissar. Als ich den Refrain das erste Mal hörte, war ich wie elektrisiert, es war eine geniale Idee, einen Rap à la Sugarhill mit einem Kinderlied zu kreuzen. Zugegeben, wer jemals Rick James gehört hatte, der konnte sich an einige Riffs und Licks ganz gut erinnern, aber wann immer mit Gleichklängen argumentiert wird, gilt der alte Musikerspruch: Eine Oktave hat eben nur acht Töne. Und deshalb war Der Kommissar für mich der Hit, Ähnlichkeiten hin und Radiotauglichkeit her.

Die anschließende Diskussion habe ich gerne geführt, denn ich war mir absolut sicher, dass ich hier einen richtigen Kracher auf dem Teller liegen hatte. Der Einzige, der daran tiefe Zweifel hatte, war der Urheber und Interpret selbst. Die Situation hatte sich um 180 Grad gedreht, jetzt versuchte ich ihn davon zu überzeugen, dass Der Kommissar und nicht Helden von heute der Titel war, mit dem man in die Schlacht ziehen müsse, der ihn zum großen Star machen würde.

Es war eine lange, abendfüllende Diskussion, und Falco war ein aufmerksamer und sehr konzentrierter Zuhörer. Man argumentiert in solchen Momenten immer etwas im luftleeren Raum, denn der Beweis wird stets erst später angetreten und dann ist es im Falle eines Flops zu spät. Wenn man sich seiner Sache absolut sicher ist, dann machen es diese Momente aus, bei denen man seine gesamte Überzeugungskraft und Erfahrung bündeln und einsetzen muss. Und am Ende blieb es in dieser Situation bei einem einzigen Argument: »Ich bin mir sicher, bitte glauben Sie mir.« »Ich vertraue Ihnen und hoffe, Sie haben recht«, gab Hans nach. In diesem Moment ahnte ich nicht, dass wir auch die nächsten zwölf Jahre immer wieder über den richtigen Titel zur richtigen Zeit diskutieren würden. Und am Ende des Abends waren wir beim Du angelangt. Jedenfalls war Der Kommissar ein gewaltiges Statement: neu, frech, witzig, spontan und mit viel Wiener Schmäh. Das war der Hit. Da war ich mir absolut sicher.

Falcos Inspiration: Der Wiener Schmäh

Der Reiz des Kommissars bestand für mich vor allem in der großen Portion Wiener Schmäh. Dieser ist in seiner vielfältigen und oft auch subtilen Darreichungsform nicht ganz einfach zu erklären. Als Falco von einem »germanischen« Feuilleton-Redakteur einmal diensteifrig gefragt wurde, was er denn eigentlich mit seinem Lied Auf der Flucht ausdrücken wolle, antwortete dieser knapp, leicht genervt und lachend: »Den Pickel auf meinem Hirn!«

Das war sein Verständnis von Wiener Schmäh, dieser Errungenschaft, der alle Nicht-Wiener manchmal fasziniert, manchmal ratlos oder sogar angewidert gegenüberstehen. Für alle die sei hier nochmals kurz erläutert, was es damit auf sich hat. Die Wiener mögen mir den folgenden Definitionsversuch verzeihen, Schmäh ist nun mal Schmäh und kann eigentlich nicht definiert werden. Trotzdem muss ich es versuchen.

Mit dem Wort »Schmäh« bezeichnet man im Wiener Dialekt Verschiedenes: einen Trick oder Kniff, eine ironische Komponente im Gespräch, eine Irreführung, eine humoristische Lügengeschichte oder den Esprit einer Person. Der Schmäh hat eine lange Tradition, denn entwickelt hat er sich schon im 19. Jahrhundert, als eine Art sprachliche Konterrevolution gegen die pseudohöfische Sprache der Großbürger, Politiker und Kleriker. Der Schmäh kommt aus dem Wienerischen, das sich außerhalb der Ringstraßen der Stadt, dem offiziellen Herrschaftsgebiet, entwickelt hat. Zu Beginn war es die Ausdrucksform der einfachen Leute, die sich bei Fiakern, Kellnern, Taxifahrern und Hausmeistern zur Hochblüte entwickelt hat und auch heute noch »rennt«. Aber auch in der Kunst hat sich der Schmäh etabliert, zum Beispiel bei Johann Nestroy oder Friedrich Torberg.

Falco war ein Kind dieser Stadt, dieser Umgebung, sie hat ihn geprägt und gezeichnet und für ihn war es undenkbar, seine Inhalte ins Hochdeutsche oder sogar in eine Fremdsprache zu übersetzen. »Sie sollen meine Texte, egal ob gesungen oder gesprochen, zumindest spüren, wenn sie schon nicht verstanden werden«, war eine seiner Maximen.

Dieser Schmäh war in gewisser Weise eine Art Nährboden für Hans’ Texte und mit der Zeit zunehmend auch für seine Attitüde. Wie durch eine Nabelschnur wurde er permanent mit Eindrücken und Geschichten versorgt und er erkannte frühzeitig: Wien ist mein Ding. Das war mit der Grund, warum er auch auf dem Höhepunkt seiner Karriere Wien die Treue hielt und erst sehr spät von dort wegzog.

Hans selbst packte immer in heiklen Situationen, etwa während Interviews oder Diskussionen, den Schmäh aus und war sich bereits vorher sicher: »Den pack ma mit’m Schmäh und i bin der Schmähführer.« Das Wort selbst nahm er gar nicht so gerne in den Mund, er sah sich lieber als der Erfinder des »Manhatten-Schönbrunner-Deutsch«, was ihm MTV USA auch gerne glaubte.

An einer nicht verwendeten Falco-Textidee während der Einzelhaft-Aufnahmen kann man meiner Meinung nach den Schmäh besonders gut erkennen:

Verzeihung, Sie haben ein Messer im Rücken,

tut das nicht wahnsinnig weh beim Bücken?

»Der Kommissar« erobert Österreich

Im November 1981 wurde die Single Der Kommissar in Österreich veröffentlicht, die B-Seite zierte Helden von heute. Die ersten Reaktionen waren niederschmetternd. Markus Spiegel klagte mir tagtäglich sein Leid, die verantwortlichen Redakteure bei Ö3, damals der einzige Radiosender für Popmusik in Österreich, standen dem Kommissar mehr als reserviert gegenüber. Sie weigerten sich, das Lied auf die Playlist zu setzen, und konfrontierten Markus mit der Frage, ob denn da ein psychisch Gestörter vor dem Mikrofon gestanden habe.

Mir selbst ging es einige Monate später in Hamburg nicht sehr viel besser. Der damalige Teldec-Chef Kurt Richter – der in den sechziger Jahren bei der Polydor die Todsünde begangen hatte, die Beatles abzulehnen – konnte beim ersten Hören auch nicht viel damit anfangen. »Was singt der denn, ich versteh kein Wort«, sagte er kopfschüttelnd, bis ich ihn dann doch weichklopfen konnte und er der Veröffentlichung zustimmte.

Mein Gefühl sagte mir, bleib da dran, da schlummert etwas ganz Außerordentliches, da hast du einen Künstler an der Hand, der vor Charisma nur so strotzt und trotzdem sensibel und behutsam zu Werke geht. Solche Persönlichkeiten wachsen nicht auf Bäumen und sind selten, eigentlich müsste man sie unter Artenschutz stellen. Die totale Stimmigkeit zwischen dem Interpreten und seiner Musik, die dementsprechende Selbstverständlichkeit machten den Unterschied zum grauen Rest.

Bei einigen Telefonaten mit Falco merkte ich, dass ihm die ablehnende Haltung von Ö3 sehr zu schaffen machte. Es entsprach nicht seinem Naturell, sich anzubiedern und noch nett zu den Leuten zu sein, die seine Arbeit negativ beurteilten. Hier lernte er im Schnelldurchlauf und immer am Rande einer Schocktherapie die Grundmechanismen des Musikgeschäfts kennen.

Die Wiener GIG-Mannschaft rund um Markus Spiegel erreichte mit List, Tücke und Ausdauer doch einige Einsätze bei Ö3. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber das Wunder geschah: Die Hörer liebten den Song, die Reaktionen waren überwältigend. Die Telefone standen nicht mehr still, jeder wollte wissen, wie der Titel hieß und wer der Sänger war. Markus ließ innerhalb von einem Tag und mit einem Budget von umgerechnet 2000 Euro ein Video für den Kommissar drehen. Die Kulissen für die Krimiserie Kottan ermittelt standen in einer Drehpause zur Verfügung und Markus nutzte die Gunst der Stunde. Wie sich später herausstellen sollte, reichte das Low-Budget-Video voll und ganz für den ersten Promotion-Schub.

Und während Der Kommissar schon auf dem Weg in die Top Ten der Charts war, erfüllte Hans noch brav seine eingegangenen Engagements mit Spinning Wheel. Bei einem Auftritt im Münchner Tanzlokal Fregatte besuchte ich ihn, und als das Programm weit nach Mitternacht zu Ende war, kehrten wir noch auf eine Pizza ins Capri auf der Leopoldstraße ein. Hans war anzumerken, wie sehr ihn diese alte Verpflichtung nervte, aber er wollte seine Bandkollegen nicht im Regen stehen lassen. Während er jeden Abend fünf Stunden auf der Bühne stand und die Hitparaden rauf und runter spielte, versuchte er, sich tagsüber Gedanken über eine eigene LP zu machen, die jetzt anstand. Markus Spiegel hatte ihm Robert Ponger als Produzent zur Seite gestellt, dieser entwickelte musikalische Layouts, Hans schneiderte die Texte dafür. Er hatte ein Bündel an Ideen für Texte und Themen und wann immer wir uns trafen, kreisten wir diese ein beziehungsweise beförderten diese in den Papierkorb.

Falco war in Österreich über Nacht zum großen Star geworden und ebenso schnell wurde er mit den Mechanismen des Geschäftes vertraut gemacht. Die Wiener tuschelten mittlerweile auf der Straße und wollten Autogramme haben, wenn sie ihn sahen. Das freute ihn, machte ihn stolz und trotzdem kam er sich bereits damals vereinnahmt vor.

»Manchmal frage ich mich, warum ich mir das alles antue. Jeder pickt auf mich ein, jeder ist nett zu mir, aber nur weil alle etwas von mir wollen. Keiner fragt mich, was ich eigentlich will, wie es mir dabei geht«, zog er einmal traurig Bilanz. Er verstand schnell, wie das Geschäft funktioniert und auch der Künstler selbst: »Ich muss funktionieren, sonst verkaufe ich nichts«, erkannte er frühzeitig. Noch freute er sich darüber, interviewt zu werden, beantwortete brav alle Fragen und war noch weit entfernt, den präpotenten Meister zu mimen.

Er gehörte damals zur raren Spezies von Künstlern, die sehr sorgfältig registrieren, was um sie herum passiert und in welchem Verhältnis die eigene erbrachte Leistung zum eventuellen Erfolg steht. Er konnte die eigene Eitelkeit perfekt ausblenden und sich ganz in den Dienst der Sache stellen, um dann im nächsten Moment zu erinnern: »Ich hoffe, ihr vergesst nicht, was ich alles für euch mache.«

Hans und die Frauen: Gabi

Als ich Hans kennenlernte, war er mit Gabi zusammen, die in einem Damenmodegeschäft arbeitete. Ihr Chef, ein äußerst fescher Grieche, war für Hans ein permanent-latenter Grund zur Eifersucht. Er konnte es nicht ertragen, wenn Gabi Geschichten aus dem Geschäft erzählte. »Du und dein Grieche«, spöttelte er immer, »über Griechenland würde ich nicht mal drüberfliegen.« Trotzdem waren die beiden sehr glücklich zusammen und Gabi konnte seine wechselnden Stimmungslagen gut ausbalancieren. Wir verstanden uns alle so gut, dass wir im folgenden Jahr sogar zusammen in den Urlaub an den Gardasee und nach Südfrankreich fuhren.

Hans lebte zu dieser Zeit in einem ehemaligen Kloster in der Wiener Ziegelofengasse. 18 Quadratmeter großes Zimmer, Bad und Toilette auf dem Flur. Er hatte es sich so gemütlich wie möglich eingerichtet und schon damals war für alle Besucher sichtbar: Hans ist ein großer Ordnungsfanatiker! Papier und Kugelschreiber lagen militärisch ausgerichtet, ebenso die Zigarettenpäckchen, Feuerzeuge und Streichhölzer. Alles hatte seine Ordnung und wer nur etwas um einige Zentimeter verrückte, wurde sofort ermahnt, doch die alte Ordnung wiederherzustellen. Diesen fast pedantischen Hang zur Ordnung hat Hans auch später nie abgelegt. Egal in welchem Land er sich gerade befand, egal welche Drogen er gerade genommen, egal wie viel er getrunken hatte: Die Ordnung in jedem seiner Hotelzimmer war stets beängstigend musterhaft. Leere Flaschen wurden nicht im Papierkorb entsorgt, sondern eigenhändig vor die Zimmertür gestellt, die Reste vom Frühstück wurden unmittelbar nach dem letzten Bissen auf dem Tablett aus dem Zimmer gebracht.

Neben seiner Liebe zur Ordnung hatte Hans auch noch eine weitere Waffe im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht, die manchen Widerstand oft im Keim erstickte. Er konnte – wenn er wollte und musste – ein unglaublicher Charmebolzen sein. So uncharmant, bockig und zynisch er manchmal mit den Medien agierte, seine Offensiven aus Schmäh, Aufmerksamkeit und Anpassungsfähigkeit waren legendär. Ich konnte aus Nebensätzen entnehmen, wenn es wieder einmal so weit war, dass er eine seiner Offensiven startete, und seine guten Vorsätze gingen in diesen Momenten sogar so weit, dass er mit dem Trinken gänzlich aufhören wollte.

Ein Problem zeichnete sich damals nämlich bereits ab: Der Alkoholpegel bei Hans stieg langsam, aber stetig. In den Achtzigern waren Drogen aller Art ein ständiger Begleiter im Musikgeschäft, aber ich hatte bereits in den Jahren vor der Teldec gelernt, was da so alles möglich war und passieren konnte. Durch meine Arbeit mit Bands wie Ike & Tina Turner, War oder Amon Düül hatte ich schon in jungen Jahren die Schattenseiten dieses Geschäftes kennengelernt. Hans lag da noch unbedarft im grünen Bereich, er war noch weit davon entfernt, die Alkohol- und Drogenmengen zu konsumieren, die ihn Jahre später immer wieder für Tage außer Gefecht setzen sollten. Einige Gläser Bier oder Wein reichten ihm damals, von Stimmungsaufhellern und anderen chemischen Keulen noch keine Spur.

Doch wenn Hans trank, wurde er unerträglich, und das tat er immer öfter, und so sehr sich Gabi auch bemühte, damit zurechtzukommen, irgendwann hat sie das Handtuch geschmissen. Sie stand auf und ging, und die beiden haben sich, soweit ich weiß, nie wieder gesehen. Eine so bodenständige Frau wie sie an seiner Seite, vielleicht wäre Falco ein weniger tragisches Schicksal beschieden gewesen. Aber schon hier zeichnete sich ab, dass selbst die stärksten Frauen bei ihm irgendwann kapitulierten.

Falcos Kindheit: »Ich werde Popstar«

In dieser Zeit lernte ich Hans auch besser kennen, in langen Gesprächen erzählte er mir nach und nach seine Geschichte. Am 19. Februar 1957 kurz nach 13 Uhr kam er in Wien zur Welt, nachdem seine Mutter im September des Vorjahres eine Fehlgeburt mit Zwillingen gehabt hatte. Damals schien sich der Kinderwunsch von Maria und Alois Hölzel nicht zu erfüllen, die Ärzte rieten von weiteren Schwangerschaften ab und behielten Maria Hölzel zur Beobachtung im Krankenhaus. Erst einige Tage nach der Fehlgeburt registrierten die Doktoren weitere Herztöne im Bauch der Mutter – Hans, der Dritte im Bunde, war noch am Leben! Ein paar Monate später erblickte er dann gesund das Licht der Welt. Diesen Umstand hat Hans später immer wieder benutzt, um darauf zu verweisen, dass »mit mir niemand gerechnet hat, ich mehr zufällig zur Welt gekommen bin«. Er wog fast fünf Kilo, war 54 Zentimeter groß und zeichnete sich nach Auskunft seiner Mutter bereits im Krankenhaus durch ein lautes Organ aus.

Hans wuchs in kleinbürgerlichen Verhältnissen in der Wiener Ziegelofengasse im 5. Bezirk auf. Alois, der Vater, stammt aus Niederösterreich und hat als 15-Jähriger noch die letzten Wirren des Zweiten Weltkrieges miterlebt, in Wien brachte er es bis zum Werkmeister in einer Maschinenfabrik. Hans’ Mutter Maria kommt aus Bad Tatzmanndsdorf im österreichischen Burgenland. Mutter und Großmutter prägten die Erziehung des jungen Hans. Zur Aufbesserung des Familieneinkommens eröffnete Maria einige Häuser weiter einen kleinen Lebensmittelladen, die Großmutter und eine Nachbarin waren in den ersten Lebensjahren seine wichtigsten Bezugspersonen.

Hans hat schon immer eine Vorliebe für Musik gehabt. Im Alter von vier Jahren bekam er einen kleinen Stutzflügel – nicht das Akkordeon, das er sich gewünscht hatte – und einige Straßen weiter gab es zweimal die Woche Klavierunterricht. Er galt als talentierter Schüler und zwei Jahre später absolvierte er seine ersten öffentlichen Auftritte. »Mir war es ein Graus, als ich zu Hause immer vorspielen sollte, wenn Besuch da war, ich habe mich später einfach geweigert«, erzählte mir Hans einmal.

Nach der Volksschule schickten die Eltern Hans auf das Gymnasium in der Wiener Rainergasse. So sehr ihn Deutsch faszinierte und interessierte, so sehr stand er mit den naturwissenschaftlichen Fächern auf Kriegsfuß. Der positivste Aspekt seiner Gymnasialzeit war für ihn der Umstand, dass er dort Billy Filanowski kennenlernte, der über Jahrzehnte hinweg einer seiner engsten Freunde bleiben sollte.

Als der Vater 1968 die Familie verließ, um mit einer Sekretärin aus seiner Firma eine neue Familie zu gründen, gingen die schulischen Leistungen von Hans weiter bergab. Durch die neue Verbindung des Vaters bekam Hans eine Stiefschwester, Guggi, mit der er später gelegentlich zu tun hatte. Zum Vater hatte er nur noch sporadisch Kontakt, eine Zeitlang war die Verbindung komplett unterbrochen. »Ich habe meinen Vater damals schon sehr vermisst, aber ich wollte mir das nicht eingestehen«, vertraute er mir an, »es ist ja etwas Wunderschönes, wenn man beide Elternteile und Geschwister um sich hat.«

Eine andere wichtige Bezugsperson verlor er 1971: Seine Großmutter starb, sicher der wichtigste Mensch in den ersten 14 Jahren seines Lebens. Die alleinerziehende Mutter gab den schlecht gehenden Lebensmittelladen auf und begann einen Job als Vertreterin, um den Lebensunterhalt für sich und den Sohn bestreiten zu können. »Was meine Mutter damals auf die Beine gestellt hat, habe ich erst sehr viel später richtig einschätzen können, dafür kann ich ihr nur ewig dankbar sein«, eröffnete er mir einmal.

Das Klavier stand mittlerweile unbenutzt in der Ecke, in der fünften Klasse des Gymnasiums hatte Hans sich eine erste Gitarre gekauft und der galt bald seine gesamte Aufmerksamkeit. Er begann die Schule zu schwänzen und schaffte rekordverdächtige 400 unentschuldigte Fehlstunden. Die Frage nach dem späteren Berufswunsch konnte er bereits zu dieser Zeit sehr exakt beantworten: Popstar. Nicht Star oder Filmstar, Popstar war die Losung. Selbst seine resolute Mutter schaffte es nicht, ihn von der Dringlichkeit einer schulischen Ausbildung zu überzeugen – Hans verließ die Schule und wollte Musiker werden.

Seine Mutter brachte ihn in einer Versicherung, der Pensionsversicherungsanstalt für Angestellte in der Blechturmgasse, unter, das tägliche Pensum an Arbeit dort war nach drei Stunden erledigt. In den tiefen Kellern des Gebäudes begann Hans mit seiner ersten Bassgitarre zu üben, dem Instrument, dem er bis zu seinem Tod die Treue halten sollte. Die Faszination daran hat er mir so beschrieben: »Der Bass hat eine gewisse Körperlichkeit, vier Saiten, darauf spielt sich alles ab.«

Mit 17 kündigte Hans seinen Job bei der Versicherung und meldete sich freiwillig für den achtmonatigen Grundwehrdienst, was für ihn einen unschätzbaren Vorteil mit sich brachte: »Da hatte ich so viel Zeit wie noch nie in meinem Leben und konnte üben und üben.« Die anschließenden drei Semester am Wiener Jazz-Konservatorium waren mehr ein Zugeständnis an seine Mutter und die angeeignete Theorie bestärkte ihn in seinem Entschluss, professioneller Musiker zu werden.

Um neue Eindrücke zu sammeln, aber auch weil David Bowie in der Stadt war, entschloss sich Hans 1976, nach Berlin zu gehen. Für 70 DM Abendgage spielte er bei verschiedenen Formationen und traf zwar nicht auf David Bowie, aber auf Falko Weißpflog. In einer Fernsehübertragung wurde er auf den legendären DDR-Skispringer aufmerksam. Der Kommentar »der fliegt wie ein Falke durch die Luft« löste bei Hans eine Initialzündung aus, er mutierte von Hans Hölzel zu Falco.

Zurück in Wien schloss er sich der Wickerl-Adam-Truppe Hallucination Company an, einer Art Kaderschmiede für viele andere Stars der Wiener Szene. Obwohl die Band in Österreich und Deutschland sehr erfolgreich unterwegs war, fühlte sich Hans dort stets als Fremdkörper: »Das war im Grunde nichts anderes als eine Hippie-Renaissance-Band. Da ging es häufig um Ideologien innerhalb der Gruppe, damit war ich eigentlich bereits vor meiner Zeit als Erwachsener durch.«

Und dann entdeckte Hans das »duale System« für sich: Er verdiente sein täglich Brot mit Spinning Wheel, die Combo suchte im monatlichen Rhythmus alle Tanzclubs und Hotelbars im deutschen Sprachraum heim, in den Zeiten ohne Engagement zupfte er bei der Wiener Anarcho-Band Drahdiwaberl den Bass. Bei diesen Stationen wurde ihm klar, was er mir ganz zu Beginn unserer Freundschaft erklärte: »Da habe ich gemerkt, dass ich nicht einer von vielen auf der Bühne sein wollte, sondern nur der eine. Der, wegen dem man kommt.« Und diesem Ziel war er jetzt einen entscheidenden Schritt nähergekommen.

1982

Wäre mir bewusstWie es nur weitergeht Ich hätte andere Pläne wohl gefasst Oder auch nichtMaschine brennt

»Der Kommissar« wird zum Hit in Deutschland

Der Rückenwind aus Österreich half kräftig dabei mit, den Kommissar 1982 auch in Deutschland zum Erfolg zu machen. Zu Beginn des Jahres spielte nördlich des Mains zwar noch keine Radiostation die Nummer eins aus Österreich, aber ganz langsam brannte sich der Hit aus dem Süden bis nach Hamburg und Berlin hoch – bis er Ende Februar auch in Deutschland auf Platz eins war.

Dort bekam Falco schnell seinen Stempel aufgedrückt, für die Medien war er ein Kind der »Neuen Deutschen Welle« und mit dieser nach oben gespült worden. Hätte man genauer hingehört, wäre rasch klar geworden, mit NDW hatte Der Kommissar nun wirklich nichts zu tun. Hans fühlte sich verkannt und nahezu beleidigt, als Teil dieser Modewelle betrachtet zu werden, das war vielleicht auch der Grund, warum er deren Protagonisten nie so richtig ernst nahm. Für ihn war es eine zufällige Überschneidung der Ereignisse: In deutschen Landen hatte man abseits vom Schlager die eigene Muttersprache als Stilmittel entdeckt, in Wien hatte der »Austropop« bereits eine erfolgreiche Vergangenheit. Und auch die Versuche, auf Teufel komm raus witzig und originell zu sein, passten nicht in das Falco-Weltbild.

Ich sah das mit Falco und der NDW nicht so eng wie er, meine Ambition war der internationale Erfolg, da würden sich diese ganzen Eingemeindungsversuche von selbst erledigen und ihn mit sicherem Automatismus in ein anderes Lager bringen, kalkulierte ich. Mir war schon sehr früh klar, dass Falco von allen bei der Teldec unter Vertrag stehenden Künstlern der Einzige war, der international durchstarten konnte. Ohne Zweifel hatten Peter Maffay oder Udo Lindenberg zu dieser Zeit im eigenen Land mehr Erfolg als ihr Kollege aus Wien, aber außerhalb der deutschen Sprachgrenzen waren sie nahezu unbekannt und wenig erfolgreich.

Wann immer ich Hans traf, bemerkte ich, dass der Erfolg in Deutschland für ihn zwar wichtig und nahezu auch ganz logisch war – in seiner Welt unterlag das einem natürlichen Gesetz, da erinnerte er mich gerne an meine Prognose. Wesentlich mehr aber interessierten ihn die Dinge, die in der großen weiten Welt vor sich gingen.

Höhenflüge: Der internationale Erfolg

Der unglaubliche Erfolg des Kommissars hatte Markus Spiegel und mir zwar recht gegeben, doch wir hatten in diesem Jahr noch weitaus größere Pläne: Wir wollten aus Falco den internationalen Star machen, der auch er selbst so gerne sein wollte. Mit dem Kommissar hielten wir den Sprung in die internationalen Charts für möglich. Meine Empfehlung an Markus Spiegel, bei dem Falco direkt unter Vertrag stand, war, für die Länder außerhalb von Deutschland, Österreich und der Schweiz doch einen Deal mit der Plattenfirma A&M Records einzutüten, denn die hatten mit Künstlern wie Sting, Styx, Captain & Tenille, Bill Withers und Joe Cocker gerade einen guten Lauf.

Die Erfolge in den deutschsprachigen Ländern – im Fachjargon GAS genannt, was für Germany, Austria, Switzerland steht – halfen zwar, beim Rest der Welt etwas Aufmerksamkeit auf den Kommissar zu lenken, trotzdem war das Interesse sehr bescheiden. Ein deutschsprachiger Sänger mit einer deutschsprachigen Platte war für die internationale Musikwelt ein hochexotisches Konstrukt, das riss uns im ersten Anlauf niemand euphorisch aus den Händen. Es war harte Überzeugungsarbeit, neben unserem Wunschpartner A&M kontaktierte Markus alle infrage kommenden Firmen. Ich hatte zwar nicht mit einem glatten Durchmarsch gerechnet, aber das äußerst mäßige Interesse überraschte mich dann doch. Warner schüttelte ratlos den Kopf, EMI antwortete gar nicht erst, das ganze Ding hing am seidenen Faden. Am Ende des Tages hob A&M den Finger und machte den Deal, sie waren die einzige Firma, die ernsthaft Interesse gezeigt hatte.

Dann setzte innerhalb kürzester Zeit eine Dynamik ein, wie sie nur alle Jubeljahre bei den wirklich großen Hits funktioniert: Innerhalb von zwei Monaten war der Kommissar in 27 Ländern in den Charts, in Spanien, Italien, Finnland, Südafrika, Japan und selbst in Guatemala schoss der Song auf Platz eins der Hitparade! Weltweit wurden am Ende des Tages sieben Millionen Singles verkauft, davon allein 750.000 in Frankreich. Zusammen mit den Veröffentlichungen auf Compilations wurde der Song weit über zehn Millionen Mal gepresst und verkauft, wie mir Markus Spiegel einmal leise ins Ohr flüsterte. Aus der ganzen Welt schickten die beteiligten A&M-Tochterfirmen ihre Gold- und Platinplatten nach Wien.

Falco nahm das nur leicht erfreut zur Kenntnis, wie mir zum ersten Mal auffiel, er brach durchaus nicht in euphorischen Jubel aus. »Heute Platin, morgen Blech, heute küssen sie dir die Füße und morgen schaut dich nicht einmal der Hund noch an«, schrieb er mir einmal auf einer Ansichtskarte von einer Promotion-Reise in Italien.

Hans’ bisher beschauliches Musikantendasein hatte sich über Nacht in eine einzige Belastungsprobe verwandelt. Da gab es die angenehmen Seiten – von den ersten Tantiemen kaufte er sich ein gebrauchtes weißes 230er Mercedes-Coupé, das allerdings die meiste Zeit in der Garage stand –, auf der anderen Seite wurde Falco jetzt herumgereicht und jeder klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Das war nun etwas, was er gar nicht abkonnte. Je höher die Sülzdosis, desto größer sein Misstrauen.

»Daran musst du dich gewöhnen, das ist auch Teil des Geschäftes«, wiederholte ich gebetsmühlenartig.

»Daran werde ich mich nie gewöhnen, damit habe ich ein ernsthaftes Problem«, gab er ohne Umschweife zu.

Es machte ihm nichts aus, wenn zwei oder drei Fans, Gesprächspartner oder Journalisten um ihn waren, bei größeren Ansammlungen aber wurde er unsicher, gereizt und zunehmend aggressiv. Für Hans gehörte es zu den Schattenseiten des Erfolgs, vereinnahmt zu werden, mit jeder weiteren verkauften Platte steigerte sich das. Und auch seine Probleme damit.

Erfolg in den USA: Der »weiße Rapper«

Wir konnten es anfangs gar nicht so richtig glauben, aber auf seinem Weg um die Welt landete Der Kommissar auch in den amerikanischen Charts! Falco war nach Kraftwerk mit Autobahn der zweite Künstler überhaupt, der es mit einem deutschen Text geschafft hatte, dort in die Hitparaden zu kommen! Die wenigsten Plattenkäufer in den USA verstanden den Text, aber sie waren fasziniert von dem Typen, der ihnen die Geschichte vom Kommissar erzählte.

Bei Markus Spiegel und mir kam die große Freude auf, Hans war etwas verhaltener. Als ihm Markus die frohe Kunde überbrachte, nahm er das erfreut zur Kenntnis, der große Jubel und die Euphorie blieben aber aus – Hans multiplizierte die Höhe der Chart-Platzierung sofort mit dem Zeitaufwand, der ihm abgefordert werden würde.

Einer seiner größten Propagandisten auf dem Sprung in die Hitparaden war der New Yorker DJ Africa Bambaataa, der damals so wichtig und einflussreich war wie heute DJ Hell, Carl Cox und Roger Sanchez zusammen. Er pushte Falco in seinem Club und in seiner Radiosendung, die in der New Yorker Szene zu der Zeit sehr angesagt waren. Bambaataa betrachtete Hans als »Bruder im Geiste«, als Rapperkollegen mit einem kleinen Schönheitsfehler: Er war nicht schwarz. Damals wurde Falco auch das Etikett »weißer Rapper« ans Revers geheftet, gegen das er sich nur sehr verhalten wehrte. Er wusste besser als alle anderen, dass seine mit verschiedenen Sprachen spielenden Texte nichts mit den Stilmitteln aufgebrachter Afroamerikaner auf dem New Yorker Sugarhill-Label zu tun hatten. Da mein Kollege Sherman Heinig das Label für die Teldec unter Vertrag genommen hatte, war ich recht vertraut mit den Details. Falco sympathisierte laut und vernehmlich mit Grandmaster Flash und Kollegen, viel Identifikation gab es nicht. Aber ihm war auch klar, dass diese Schublade in dem Moment sehr hilfreich war.

Der Erfolg in den USA brachte es mit sich, dass Hans auch dort Promotion machen sollte. Es war von großem Vorteil, dass er sehr gut englisch sprach, so hatte er keine Probleme, Interviews zu geben. In einigen Gesprächen sagte er aber auch sehr deutlich seine Meinung: »Ich habe keinen Respekt vor der amerikanischen Musik, ich mache das, was mir gefällt.«

Das hat der Wahrheit und seiner damaligen Geisteshaltung entsprochen, mir war es einen Kick zu ehrlich. Einige US-Journalisten hat er sich damit nicht dringend zu großen Unterstützern gemacht, die Amerikaner merkten schon beim ersten Aufschlag von Hans in den USA, dass er kein stromlinienförmiger, weichgespülter Artist war, sondern ein Typ mit Ecken und Kanten und einer ausgeprägten eigenen Meinung. Weniger ist manchmal ja mehr, in diesem Fall hätte es nach meinem Geschmack gerne etwas weniger sein dürfen.

Ich versuchte, nicht Teil dieser ausufernden Euphorie in Österreich zu werden und die ganze Angelegenheit möglichst sachlich und nüchtern anzugehen. Die Nummer 72 mit einem deutschsprachigen Song in den US-Hitparaden war der erste Erfolg in den Vereinigten Staaten, an dem ich selbst mitgestrickt hatte. Damals habe ich gelernt, bei aller Begeisterung im eigenen Lager möglichst ruhig und unbeeindruckt zu bleiben. Irgendwie hatte das Ganze eine gewisse Logik für mich, da war ich mir sogar fast mit Hans einig. Und vorher hatte ich bereits mit Artisten wie Udo Jürgens, Shirley Bassey, Salvatore Adamo oder Ike & Tina Turner gearbeitet, da lernt man neben der großen Freude über den verdienten Erfolg auch Demut und Bodenhaftung. Und dass morgen bereits alles wieder vorbei sein kann …

Falkenhorst

Jeder Künstler im Unterhaltungsbereich ist auf die Charts fixiert, auf die in den USA im Besonderen. Ich kenne genug Sängerinnen und Sänger, die ihr letztes Hemd dafür geben würden, einmal nur in ihrem Künstlerleben darin vertreten zu sein. Deshalb hatten wir Woche für Woche gespannt in die USA geschaut – nicht nur auf die Top 100, sondern auch auf die Positionen 101 bis 120, im Fachjargon so nett »bubbling under« genannt: Wie geht es denn weiter und vor allem wie hoch?

Als Der Kommissar auf Platz 72 einstieg und wie festgeschraubt dort stehen blieb, bombardierten Markus und ich abwechselnd die A&M-Büros in Los Angeles, Paris und London. Mit etwas mehr Einsatz an der Promotion-Front musste da mehr drin sein, das konnte doch noch nicht alles gewesen sein! Die Nachrichten aus dem A&M-Lager verschlugen uns die Sprache – wir wurden vom eigenen Partner eingebremst, heute würde man so etwas »friendly fire« nennen.

Dazu muss ich kurz einige Wochen zurückgehen. Als sich der Erfolg des Kommissars in Europa abzeichnete, kam von A&M Records die Bitte, Falco möge den Titel doch für den Rest der Welt in Englisch einsingen. Falco weigerte sich entschieden und machte eine knappe Ansage: »So oder gar nicht.«

Bei dieser Entscheidung schlugen zwei Herzen in meiner Brust. Für den Erfolg in den USA wäre eine englische Falco-Version des Kommissars sicher sehr hilfreich gewesen, für Falco aber hätte es einen hohen Verlust an eigener Identität bedeutet. Und wer als A&R-Chef immer das Hohelied von Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit predigt, kann dem Künstler an dieser Stelle nicht in den Rücken fallen. Da waren Markus, Falco und ich uns einig.

Die Folgen bekamen wir jetzt schmerzhaft zu spüren: Eine Woche nach der Veröffentlichung des Kommissars coverte die englische Band After The Fire den Titel mit einem englischen Text. Don’t Turn Around wurde in den USA und in England erfolgreicher als das Falco-Original, der Titel schaffte es in die amerikanischen Top Ten und versperrte dem Original damit den Weg zu höheren Platzierungen.

Mit dieser Tatsache konnte Hans besser umgehen als ich, da siegte bei ihm der Sportsgeist vor der künstlerischen Eitelkeit. Was uns aber alle auf die Palme brachte und die Zornesröte ins Gesicht trieb, war die Frage: Wie konnte das überhaupt passieren, wer hat hier welche Genehmigungen erteilt und dem eigenen Urheber, in diesem Falle dem Texter Falco, einen solchen Bärendienst erwiesen?

Zum besseren Verständnis möchte ich hier einmal kurz skizzieren, wie solche Vergaben in der Praxis erteilt werden. Der Kommissar war ein gemeinschaftliches Werk von Produzent Robert Ponger, der die Musik, und von Falco, der den Text geschrieben hatte. Beide waren gleichberechtigte Autoren, die Verlagsrechte lagen beim Hermann Schneider Musikverlag in Wien, wo Robert Ponger schon länger unter Vertrag war. Er hatte Hans überredet, seine Rechte für einen Vorschuss von umgerechnet 3000 Euro auch dort einzubringen. Dieser Verlag wurde außerhalb Österreichs von der Firma Warner-Chappell vertreten. Ein Verlag kann sein Aufkommen beträchtlich steigern, wenn er möglichst viele unterschiedliche Versionen eines Titels auf den Markt bringt. In der Regel schützt man die Originalversion jedoch für eine gewisse Zeit und gibt erst mal keine Genehmigung für weitere Aufnahmen.

Im Falle Falco war das – leider – anders, hier hatte der in Ehren ergraute Kommerzialrat Hermann Schneider einen fatalen Fehler gemacht und alles freigegeben. Mit anderen Worten: Er hatte seinem eigenen Vertragspartner ein Bein gestellt.

Aus dieser Verkettung unglücklicher Umstände zogen Hans und ich eine weitreichende Konsequenz: Wir beschlossen, für die zukünftigen Falco-Werke einen eigenen Verlag zu gründen. Nachdem ich aber noch bei der Teldec in Lohn und Brot stand und nicht so einfach einen Verlag gründen konnte, meldete Hans die nächsten Titel als unverlegt bei seiner Urheberrechtsgesellschaft und brachte sie dann später in unseren Verlag ein.

Hans war von Anfang an klar: Bereits der Verlagsname musste Programm sein. Und wie aus heiterem Himmel zog er den Namen aus der Tasche: Falkenhorst! Da wusste jeder, was Sache war, selten hat ein Name so unterhaltsam zu den Hintermännern geführt. Mit der späteren Gründung von Falkenhorst konnten wir selbst entscheiden, wer wann welche Freigaben bekommen würde. Zu Falcos Lebzeiten wurde trotz zahlreicher Anfragen keine einzige Freigabe mehr erteilt.

Von solchen Querschlägern aus dem eigenen Lager ließ sich Hans jedoch nicht von seiner großen Linie abbringen: Ich lasse mir von niemandem einreden, in welcher Sprache ich singen soll, und am liebsten singe ich in meiner Muttersprache.

Ein gutes Gespann

Durch die Entscheidung, einen gemeinsamen Verlag auf die Beine zu stellen, war vorgezeichnet, dass sich unsere Wege in Zukunft noch enger verzahnen würden. Zu dieser Zeit arbeitete ich offiziell noch bei der Teldec, übernahm aber inoffiziell schon die Aufgaben eines Managers, seit der Diskussion um die richtige A-Seite und die falsche B-Seite hatte sich ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis zwischen Hans und mir entwickelt. Die Frage Der Kommissar oder Helden von heute hatte die Weichen für unsere gesamte weitere Zusammenarbeit gestellt. Hans hatte mir vertraut, obwohl ich kein einziges rationales Argument auf meiner Seite hatte, und meine Vorhersage sollte sich als richtig erweisen. Da war im Schnelldurchlauf eine Situation entstanden, die sich auch in turbulenten Zeiten als sehr belastbar herausstellen sollte. Hans hatte das damals am Hamburger Heußweg in einen kurzen Satz verpackt: »Ich hätte Sie gerne an meiner Seite.«

Fast täglich erkundigte sich Hans jetzt nach dem Stand der Dinge, wollte wissen, warum dies und das passiert. Oder eben nicht passiert. Als verantwortlicher A&R-Mann gebieten es allein die Fairness und die Verantwortung gegenüber den Künstlern, alle Pferde im Stall gleich zu behandeln. Als Manager hat man es da etwas einfacher, da kann ich mir aussuchen, mit wem ich arbeiten will und mit wem nicht. Und so entwickelte sich neben dem Arbeitsverhältnis auch ein enger freundschaftlicher Bezug über das Management-Verhältnis hinaus.

Künstler und Berater stehen immer in einer besonderen Beziehung zueinander und deren Belastbarkeit zeigt sich in der Regel erst, wenn der Wind dreht. Sensible Künstler lassen sich nur ungern kritisieren, sind aber auch Leuten gegenüber skeptisch, die stets alles toll und super finden, was der Artist so in die Welt setzt. Man kommt nicht daran vorbei, im entscheidenden Moment aufzustehen und unmissverständlich Kritik zu üben, je nach Seelenzustand des Künstlers höflich und in fein dosierten Portionen oder im Klartext. Hans war dankbar für Kritik von meiner Seite oder von Leuten seines Vertrauens, häufig hat er sie auch indirekt provoziert. Es gab aber auch Momente im Laufe unserer Zusammenarbeit, bei denen ihn meine Kritik verletzte und er tagelang beleidigt durch die Gegend zog.

Hans war generell ein misstrauischer Mensch, er hörte gerne zu und gab nur selten und dann in sehr kleinen Portionen Einblick in sein Seelenleben und seine Zwänge, Zweifel und Ängste. Er hatte im Laufe der Zeit bemerkt, dass ich mit meinen Entscheidungen und Prognosen meistens richtig lag und sie ihm gegenüber auch vernünftig begründen und darstellen konnte. Daraus entwickelte sich im Laufe der Jahre ein fast blindes Verständnis, später genügten oft ein Wort, ein kleines Zucken mit der Augenbraue und wir wussten, was der andere meinte. Aber nur Verständnis wäre zu wenig gewesen; was unsere Zusammenarbeit auszeichnete, war ein immens hohes Maß an Vertrauen. »Ich will keinen Vertrag lesen, erkläre ihn mir in zwei Minuten«, war Hans’ Losung. Trotzdem dauerte es noch fast zwei Jahre, bis ich nur noch für ihn allein zuständig war.

»Ganz oder gar nicht«

Promotion-Arbeiten für den Kommissar waren Falcos erste beinharte Erfahrungen mit dem Musikgeschäft, in deren Verlauf ich feststellte, dass er eigentlich ein recht analytischer Mensch war, der die Dinge lieber hintereinander, aber nicht nebeneinander geschehen lassen wollte. Es lag ihm mehr, eine Aufgabe nach der anderen abzuarbeiten. Doch sein Leben hatte sich über Nacht vollkommen verändert. Die ganze Welt schrie nach seiner Anwesenheit, heute hier, morgen da, zugleich wurde der Druck, mit der LP um die Ecke zu kommen, von allen Seiten täglich größer. So konnte es vorkommen, dass Hans am Vormittag aus Paris nach Wien zurückkehrte, um im Studio von Robert Ponger einige Stunden neue Titel einzusingen, und dann am Abend weiter nach Rom zu einer Sales-Convention der dortigen Schallplattenfirma reiste. Zum ersten Mal in seiner Karriere wurde er mit solch einem ungeheuren Druck konfrontiert.

Er hatte sich selbst auf die Fahne geschrieben, der größte Star aller Zeiten zu werden, kleiner ging es bei ihm nicht. Karriere auf Halbmast war nicht sein Ding, »ganz oder gar nicht« lautete die Parole und deshalb brachte er sich auch stets voll ein. Aber er spürte jetzt von Woche zu Woche mehr den Druck, der sich da aufbaute. Schnell hatte er den Mechanismus erkannt, dass im Falle des großen Erfolges das Maximum an Präsenz zur Pflichtübung gehörte. Da wollte er nicht als Verweigerer, Schwächling oder Zauderer dastehen, und so versuchte er nach Möglichkeit, alle Termine zu erfüllen. Und welcher Künstler lässt sich schon gerne nachsagen, er sei dem Druck nicht gewachsen oder knicke dabei ein? Auch Falco stellte sich diesem Druck auf seine Art: Er versuchte, ihm mit Drogen standzuhalten. Er schlängelte sich durch seine Promotion-Auftritte, aufmerksame Beobachter bemerkten die Fußnoten: Der Whiskeykonsum stieg, die weißen Bahnen wurden länger.

Noch nicht beängstigend, da hatte ich mit anderen Künstlern schon Schlimmeres erlebt. Trotzdem habe ich stetig versucht, Hans die Spirale klarzumachen: »Du kannst viel Druck nicht mit viel Drogen kompensieren, das endet im Desaster.« – »Ich hoffe, dieser ganze Scheiß ist es wert, was ich hier an Substanz investiere«, sinnierte er, und auch da konnte ich ihm keine befriedigende Antwort geben.

Das Thema kam immer wieder aufs Tapet. »Abgerechnet wird zum Schluss, wie die Hoffnung zum Schluss stirbt«, schrieb er einmal in sein schwarzes Notizbuch, das er ständig bei sich trug. Wann immer sich die Gelegenheit bot, las er mir daraus vor, dann wurden Sätze unter- und ausgestrichen, häufig auch ganze Seiten einfach herausgerissen. Übrig blieb seine eigene Gebrauchsanleitung, eine sehr persönliche Sicht der Dinge.

Ein Radiopromoter von A&M Records, der Zeuge des Dilemmas wurde und bemerkte, welche Schwierigkeiten Hans mit dem ganzen Termindruck hatte, gab ihm den Rat: »Don’t crack under pressure.« Nett gemeint, aber recht unsensibel von diesem Dummschwätzer, dessen Gehalt durch die Falco-Umsätze bezahlt werden konnte.

Im Studio: Die Aufnahmen zu »Einzelhaft«

Im Herbst 1981 begannen im Studio von Robert Ponger in Manhartsbrunn die Aufnahmen für Falcos erstes Album Einzelhaft. Manhartsbrunn war ein kleiner Ort mit Weinbau außerhalb der Wiener Stadtgrenze. Robert Ponger war für die Musik verantwortlich, Falco für die Texte. Es kam Hans dabei zugute, dass er sich im Laufe der letzten Jahre kontinuierlich Notizen zu Texten gemacht hatte und auf eine üppige Themensammlung zurückgreifen konnte. Die erste LP hat für den Künstler selbst immer einen ganz besonderen Stellenwert, der »Erstling« ist so eine Art Eintrittskarte in die Welt von Kollegen, die man ernst nimmt. Und bei Hans hatten sich viele Themen und Fragmente angesammelt, er hatte Jahre Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten. Trotzdem diskutierten wir Lied für Lied, Zeile für Zeile, ich hatte den Eindruck, dass er sich dadurch sicherer fühlte. Mein Favorit unter seinen selbstgeschriebenen Texten war Auf der Flucht:

West-Berlin neunzehnhundert-sechzig-sieben

Erster Eindruck, grüne Minna

Straßensperre gegen Spinner

Habt ihr Bock auf ne Tracht Prügel

Wir bedienen euch nicht übel

Ecke Joachimstaler Ku’damm ein Exzess

Wer das Gas als Letzter riecht

Hat als Erster den Prozess

Ganz Berlin is eine Wolke

Und man sieht sich wieder mal auf der Flucht

Aus … aus … ausbruch – auf der Flucht

Die Grundidee dazu hatte Hans bereits 1977 gehabt, als er für einige Monate in West-Berlin gelebt hatte, um sich als Jazz-Bassist in diversen Clubs seinen Lebensunterhalt zu verdienen.