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Bürgerbräukeller München, 8. November 1939. Wenige Monate nach Kriegsbeginn explodiert eine Bombe. Der, den sie treffen soll, hat den Saal wenige Minuten zuvor verlassen. Der, der den Anschlag monatelang vorbereitet hat, wird kurz vor der Explosion verhaftet. Georg Elser wollte durch sein Attentat auf Adolf Hitler Blutvergießen verhindern - und scheiterte. Genauso wie über sechzig Jahre später der Wissenschaftler Johannes Faller, der auf den Spuren von Elser wandelt und sich unheilsam in die ausgelegten, kriminalistischen Fallen der deutschen Geschichte verstrickt.
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Seitenzahl: 369
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Sobo Swobodnik
Fallers Held
(vielleicht) ein zeitgeschichtlicher Kriminalfall
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2015
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Das Umschlagmotiv zeigt Georg Elser um 1938
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
nach einem Entwurf von Philippa Walz, Stuttgart
ISBN 978-3-8392-4864-5
»Ich wollte ja auch durch meine Tat
noch größeres Blutvergießen verhindern.«
Johann Georg Elser
Er war da. Die ganze Nacht durch war er gefahren. Jetzt saß er in seinem alten VW Golf im Hof und schaltete den Motor aus. Die Lichter auf der Armaturenanzeige erloschen. Draußen war es noch immer dunkel und ruhig. Leise hallte der Motor in Fallers Kopf nach, die Lüftung blies keine warme Luft mehr ins Wageninnere. Das Auto schien mit Schaumstoff ausgestopft zu sein. Faller dachte an Juri Gagarin und das Foto aus dem sechs Kilo schweren 100-Jahre-Buch, in dem das vergangene Jahrhundert in 1000Abbildungen festgehalten war. Er hatte sich das Foto herauskopiert und über den Schreibtisch gehängt. Der sowjetische Kosmonaut wartete halb liegend in seinem roten Raumfahrtanzug, den weißen Helm über dem Kopf, auf den Start zur ersten bemannten Raumfahrt. Die Augen halb geschlossen, die Gesichtszüge völlig entspannt. Er sah aus, als würde er schlafen oder wäre tot; nur noch von den breiten Gurten an den Sitz gebunden. Wenige Minuten später würde er durch den Weltraum fliegen und die Erde als erster Mensch in 300Kilometer Entfernung umkreisen. Beim Blick aus dem Fenster funkt er an die Bodenstation: »Dunkel, Genossen, ist der Weltraum, sehr dunkel.«
Langsam ging die Sonne auf. Faller hätte jetzt aussteigen, den Schlüssel unter der Gartenbank vor dem Haus nehmen und die Tür aufsperren können. Statt dessen blieb er sitzen. Er sah durch die sich langsam beschlagende Windschutzscheibe in den Hof und kurbelte das Seitenfenster herunter. Kühle Morgenluft strömte zwischen Glas und Dachholm ins Wageninnere. Es roch nach Jauche, nach Bauernhof und Dorf. Es roch nach Herbst und dem lange nicht mehr wahrgenommenen Geruch, mit dem er früher einmal Heimat assoziiert hatte. Die Kälte legte sich auf die Polyestersitze, auf die Armatur und auf Faller. Es fröstelte ihn. Die Härchen auf den Armen richteten sich auf. Seine Haut zwischen Wangenknochen und Kinn juckte. Nicht kratzen, dachte er, sonst wird es nur noch schlimmer.
Faller öffnete die Wagentür und stieg aus. Der terracottafarbene Anzug mit dem leichten Seidenglanz war zerknittert, an den Armen und am Kragen glänzte er speckig. Es fröstelte ihn noch mehr. Womöglich war er für die Jahreszeit zu sommerlich gekleidet, hatte nach all den Jahren der Abwesenheit das rauhe Klima hier oben unterschätzt. Er knöpfte sich das Jackett zu. Der oberste Knopf fehlte. Es gab bei Faller keine Jacke, an der nicht mindestens ein Knopf fehlte. Meistens waren es mehr. »Du solltest Jacken mit Reißverschluß tragen«, sagte Annkathrin, wenn sich Faller über die fehlenden Knöpfe beschwerte. Er haßte Reißverschlüsse.
Er stand im Hof vor dem Wagen und drehte sich einmal um sich selbst. Das hatte er schon als Kind immer getan. Wenn er irgendwo ankam, drehte er sich einmal ganz langsam um sich selbst. Er war schon lange nicht mehr hier gewesen. Er sah das Wohnhaus, die Scheune, Holzscheite, aufeinandergestapelt zu kleinen Mauern. Daneben die Garagen, davor Regenpfützen. Apfelbäume, der Holzschuppen, die Hundehütte.
Alles schien auf den ersten Blick wie früher zu sein. Erst als er sich aus seiner Erinnerung löste, aus dem Kreis trat und alles genau betrachtete, entdeckte er kleine Unterschiede zu damals. Er sah die Spuren, die die Zeit hinterlassen hatte. Die Hausfassade war grau und hatte wohl seit seinem Wegzug keine Farbe mehr gesehen. Der Putz war an einigen Stellen abgefallen, roter Ziegel schaute hervor. Die Dachrinnen waren verrostet und an manchen Stellen löchrig. Die Hundehütte war leer. Die Eisenkette, an der früher der Schäferhund gezerrt hatte, lag verrostet davor. Im Garten wucherte Unkraut und Gras so hoch, daß ein Durchkommen nur im Storchenschritt möglich war. Gemeines Hirtentäschelkraut, Engelwurz, Pfefferknöterich, Brennessel. Die Büsche standen ungestutzt und wild in alle Richtungen. Der Kuhstall stand leer, die Scheune auch. Alle landwirtschaftlichen Geräte waren verschwunden. Keine Egge, keine Sämaschine. Auch der alte Ladewagen stand nicht mehr dort, der Traktor nicht mehr in der Garage. Auf dem Scheunenboden lagen nur noch ein paar SchubkarrenladungenStroh. Alles, was früher unverzichtbar gewesen war, fehlte. Nur noch das Gemäuer, die Fassade, die Außenhaut waren da. Nicht einmal eine Katze streifte herum. Eine eigenartige Stille lag über dem Hof. Ein Dornröschenschloß im Bauernhofformat, dachte Faller. Bei dem Gedanken an den Erweckungskuß ekelte er sich. Auf der Stelle hätte er wieder in den Wagen steigen und zurückfahren sollen. Zurück nach Berlin, zurück ans Institut, zurück zu Annkathrin.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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