Falsches Spiel der Liebe wegen - Barbara Cartland - E-Book

Falsches Spiel der Liebe wegen E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Roxana Brunts Cousine Caroline ist verzweifelt. Sie soll den Marquis von Quorn heiraten, liebt aber einen anderen. Als der Marquis aus äußerst egoistischen Gründen immer stärker auf Heirat drängt, läßt sich Roxana aus Liebe zu Lady Caroline überreden, den Platz ihrer Cousine vor dem Altar einzunehmen. Doch ihr falsches Spiel wird entdeckt und der Marquis ist überrascht, welche Frau er da geheiratet hat. Kann das Paar dennoch Liebe finden?

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Falsches Spiel Der Liebe Wegen

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2015

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

1 ~ 1820

Roxana saß auf der Fensterbank des einstigen Schulzimmers im herzoglichen Schloß. Plötzlich flog die Tür auf, und ihre Kusine stürmte herein.

Ein Blick in das hübsche Gesicht des Mädchens sagte Roxana sofort, daß irgend etwas nicht stimmte.

„Was ist los, Caroline?“

Zunächst sah es so aus, als könnte Lady Caroline Brunt kein Wort hervorbringen. Dann ging sie wütend zu Roxana.

„Ich heirate ihn nicht! Was immer Papa auch sagen mag!“

„Wovon redest du?“ rief Roxana verwundert.

Caroline setzte sich zu ihr auf die Bank und schlang die zitternden Finger ineinander.

„Du wirst es nicht glauben!“

Roxana legte ein Kleid der Herzogin beiseite, an dem sie gerade eine Spitzenborte mit winzigen Stichen ausbesserte.

„Erzähl mir alles“, bat sie mit sanfter Stimme. „Du bist ja völlig aufgelöst.“

„Aufgelöst? Ich bin wütend und todunglücklich - und ich habe keine Ahnung, was ich tun soll.“

Diese Worte klangen so mitleidserregend, daß Roxana die Hand ihrer Kusine ergriff.

„Nun erzähl doch endlich!“

„Wie ich soeben von Papa erfuhr, hat er den Marquis von Quorn zum Hindernisrennen eingeladen, das am Mittwoch stattfinden soll. Der Marquis möchte um meine Hand anhalten.“

„Der Marquis von Quorn! Bist du sicher?“

„Natürlich. Und als ich erklärte, ich würde ihn niemals heiraten, sagte Papa nur: ,Ich wünsche nicht mit dir darüber zu streiten, Caroline. Wende dich an deine Mutter.‘“

Die beiden Mädchen schwiegen. Sie wußten, wie sinnlos es war, mit der Herzogin zu reden. Wenn sie einmal einen Entschluß gefaßt hatte, gelang es niemandem, sie umzustimmen.

Nach einer Weile sprang Caroline auf.

„Ich heirate ihn nicht! Du weißt, daß ich Patrick liebe. Er wartet nur noch auf eine gute Gelegenheit, um mit Papa zu sprechen.“

Roxana sagte nichts. Sie befürchtete schon seit langer Zeit, daß man ihrer Kusine niemals erlauben würde, Patrick Fairley zu heiraten. Patrick, ein Nachbar des Herzogs, war der Sohn eines Baronets und ein sehr liebenswerter junger Mann. Es gab nichts an ihm auszusetzen, aber die ehrgeizige Herzogin wünschte sich einen vornehmeren Schwiegersohn. Ein einfacher Landedelmann kam nicht in Frage.

Normalerweise fügte sich Caroline den Wünschen ihrer Mutter und war in jeder Hinsicht eine mustergültige Tochter. Nur Roxana wußte, wie sehr die Liebe ihre Kusine verändert hatte. Nun ließ Caroline zum ersten Mal das Erbe der Herzogin erkennen - einen eisernen Willen.

Es war kein Wunder, daß sie Patrick liebte, den sie seit ihrer frühen Kindheit kannte. Erst vor zwei Monaten hatte Caroline das Schulzimmer verlassen, um in der Gesellschaft zu debütieren. Davor hatte sie niemals an den Dinnerpartys ihrer Eltern teilgenommen, sondern ihre Zeit mit Roxana und der Gouvernante im ersten Stock des Schlosses verbracht. Sie hatte kaum gesellschaftliche Kontakte gehabt. Aber Patrick begegnete ihr fast täglich, wenn sie mit Roxana ausritt. Und so war es nahezu unvermeidlich gewesen, daß sich die beiden ineinander verliebt hatten.

Nur Roxana war eingeweiht und fragte sich, was geschehen würde, wenn die Herzogin dahinter kam. Nein - danach brauchte sie sich nicht zu fragen. Sie wußte es nur zu gut.

Die Herzogin hatte ihren Mann gezwungen, alle verfügbaren hohen Ämter im County zu übernehmen und seinen ererbten Pflichten im königlichen Palast nachzukommen, was ihm gründlich mißfiel. Er zog das einfache Leben vor, und es hätte ihm vollauf genügt, sein Landgut zu verwalten und sich mit seinen Pferden und Hunden zu amüsieren. Sein einziges extravagantes Interesse galt seinen Rennpferden, die ihm eine willkommene Gelegenheit boten, diverse Rennen zu besuchen, wofür sich die Herzogin zu seiner Erleichterung nicht begeisterte.

Bei einem solchen Rennen mußte er wohl den Marquis von Quorn kennengelernt haben. Denn normalerweise bewegte sich der Marquis in ganz anderen Kreisen als der Herzog und die Herzogin von Bruntwick.

Der Ruf dieses Mannes war sogar in abgeschiedene ländliche Regionen gedrungen. Er durfte sich als engen Freund des Prinzregenten bezeichnen, unterschied sich aber von den Dandys, die Seine Königliche Hoheit so zahlreich umgaben. Und er war nicht nur einer der reichsten Aristokraten von England, sondern auch sehr erfolgreich. Seine exquisiten Pferde, die der Herzog oft begeistert erwähnte, gewannen bei allen Rennen hohe Preise. Außerdem war der Marquis ein ausgezeichneter Schütze und Faustkämpfer, der sich bereits mit ,Gentleman‘ Jackson und Mendoza gemessen hatte. Im Krieg waren ihm mehrere Orden verliehen worden.

In den Salons wußte er sich ebenso zu behaupten. Roxana hatte von Dienstmädchen und Freundinnen ihrer Tante Dinge gehört, die nicht für ihre Ohren bestimmt gewesen waren. Obwohl es sie nicht sonderlich interessierte, wußte sie von den unzähligen Liebesaffären des Marquis, die teilweise tragisch geendet hatten. Angeblich waren mehrere schöne Damen seinetwegen freiwillig aus dem Leben geschieden, während andere mit gebrochenen Herzen dahinwelkten. Gerüchten zufolge war er von einigen eifersüchtigen, in ihrer Ehre gekränkten Ehemännern zum Duell gefordert worden und hatte stets gesiegt.

Roxana fand ihn eher unwirklich, wie eine Romanfigur - zu phantastisch, um wahr zu sein. Und in Gedanken fügte sie dem Bild, das sie sich von ihm machte, alle seine neuen Eskapaden hinzu, wie weitere Romankapitel.

Als sie nun hörte, daß er ihre Kusine heiraten wollte, verschlug es ihr erst einmal den Atem. Sobald sie wieder sprechen konnte, fragte sie: „Kennst du den Marquis?“

„Ich glaube, ich habe ihn zwei- oder dreimal getroffen“, antwortete Caroline. „Lady Jersey hat ihn mir im Almack vorgestellt - aus reiner Bosheit. Sie wußte ganz genau, daß er nicht mit Debütantinnen tanzt. “

„Was hast du zu ihm gesagt?“

„Nichts. Ich war zu schüchtern. Außerdem runzelte er ungehalten die Stirn, weil er nicht tanzen wollte - schon gar nicht mit mir.“

„Und wann hast du ihn wiedergesehen?“

„Ich kann mich nicht erinnern, auf welchem Ball das war. Vielleicht im Devonshire House.“

„Was ist da passiert?“

„Er sprach mit Papa über ein Rennen, das sie am Vortag besucht hatten. Die Gangart eines Pferdes war beanstandet worden - oder irgend so etwas Langweiliges ...“

„Erzähl doch weiter!“ drängte Roxana.

„Nachdem sie sich eine zeitlang unterhalten hatten, fragte Papa: ,Kennen Sie meine Tochter Caroline?‘ Der Marquis verbeugte sich vor mir, ich knickste, und er erwiderte: ,Wir haben uns im Almack getroffen.‘ Ich war erstaunt, weil er das noch wußte, und sagte: ,Ja.‘ Danach redete er nicht mehr mit mir.“

„Und was geschah das nächste Mal?“

„Da mußte er mit mir sprechen, weil ich beim Dinner neben ihm saß. Aber er richtete kaum das Wort an mich, denn er war in ein Gespräch mit der Dame an seiner anderen Seite vertieft. Und die tat ihr Bestes, um zu verhindern, daß ich seine Aufmerksamkeit erregte.“

„Wie kann er dich unter diesen Umständen heiraten?“

„Dazu wird es niemals kommen!“ stieß Caroline hervor. „Ich weiß, das alles ist Mamas Werk. Wenn sie keinen Prinzen oder Herzog für mich findet, muß es eben ein Marquis sein - das Nächstbeste eben.“

Nach allem, was Roxana gehört hatte, mußte der Marquis viel wichtiger sein als jeder Herzog. Und sie wußte, wie hilflos und elend sich Caroline als Ehefrau dieses arroganten Mannes fühlen würde, der noch dazu einen so fragwürdigen Ruf genoß.

Aber nun wollte er sein Junggesellendasein offenbar beenden, und das war verständlich. Früher oder später brauchte er einen Sohn, der seinen Titel, sein beträchtliches Vermögen und seine ausgedehnten Ländereien erben würde.

Roxana kannte die anderen Debütantinnen nicht, bezweifelte aber, daß auch nur eine einzige schöner sein könnte als ihre Kusine - eine typische, traditionelle ,englische Rose‘. Caroline hatte einen makellosen hellen Teint mit rosa Wangen, große blaue Augen und blonde Haare, die ein Poet mit dem ,Gold reifender Weizenfelder‘ verglichen hätte. Sie bewegte sich graziös, strahlte zumeist liebenswürdige Sanftmut aus, und es wäre übertrieben gewesen, angesichts all dieser Vorzüge auch noch außergewöhnliche Intelligenz von ihr zu verlangen.

Bei den gemeinsamen Schulstunden hatte Roxana den Lehrstoff, den die Gouvernante beherrschte, schon nach kurzer Zeit bewältigt und sich dann selbst weitergebildet, während Caroline immer noch unterrichtet worden war.

Als sie nach dem Tod ihrer Eltern ins herzogliche Schloß gezogen war, hatte Roxana geglaubt, den Rest ihres Daseins in einem Gefängnis verbringen und vor Verzweiflung sterben zu müssen.

Dann entdeckte sie die große Bibliothek, die ihr Interesse weckte und ihr einen neuen Lebensinhalt bot.

Schon als kleines Mädchen hatte sie, von ihrer Mutter angeregt, stets Neugier gezeigt und sich über alles informiert, was man über dieses oder jenes Thema erfahren konnte. Ihre Mutter hatte sie auch ihre Muttersprache Französisch gelehrt, und Roxana hatte dadurch erfahren, daß es trotz der britischen Selbstherrlichkeit noch andere Länder und Völker auf dieser Welt gab.

„Du mußt dir ein möglichst umfangreiches Wissen aneignen, mein Liebling, auf allen Gebieten“, hatte ihre Mutter erklärt. „Je eifriger du studierst, desto eher wirst du fähig sein, die Standpunkte und Gefühle anderer Leute genauso zu verstehen wie deine eigenen.“

Während des Krieges war es schwierig gewesen, freundschaftliche Kontakte aufrecht zu erhalten. Denn als die Engländer gegen Mamas Vaterland gekämpft hatten, war sie von vielen einstigen ,Freunden‘ und sogar von nahen Verwandten ihres Mannes gemieden worden.

Erst viel später, nachdem Roxana ins Schloß übersiedelt war, hatte sie die Gründe erfahren - der Herzog war auf die Fähigkeiten seines jüngeren Bruders neidisch gewesen und die Herzogin auf die Schönheit ihrer Schwägerin.

Wie es in allen großen aristokratischen Familien von England üblich war, hatte der älteste Sohn alles bekommen. Der Herzog von Bruntwick hatte den Titel geerbt, das Schloß und ein großes Landgut, während sein jüngerer Bruder nur eine kleine Rente bekommen und ständig Schulden gemacht hatte.

Lord Leo war sehr beliebt und überall willkommen gewesen. Seine wahren Freunde hatten seine französische Frau akzeptiert. Trotzdem mußte die Situation während des Krieges - wie Roxana später erkannte - sehr schwierig für ihre Mutter gewesen sein, denn sie hatte ihren Mann abgöttisch geliebt und ihn nicht in Verlegenheit bringen wollen.

Sie war die Tochter eines französischen Botschafters, der während des Waffenstillstands von 1802 in England gelebt hatte.

Lord Leo hatte sie bei einer Party in London kennengelernt und wußte es sofort - sie war die Frau, die er bis dahin vergeblich gesucht hatte. Der gutaussehende Mann besaß einen Charme, dem nur wenige Menschen widerstehen konnten. Und so war es nicht erstaunlich, daß Yvette de Soisson seine Gefühle erwiderte. Trotz der Mißbilligung des Herzogs und der Herzogin von Bruntwick und trotz der Bedenken des Botschafters heirateten die beiden schon nach wenigen Monaten.

Es wäre zu ungenau beschrieben, wenn man behaupten wollte, sie wären glücklich gewesen.

Sie lebten wie im Paradies - bis die Feindschaft zwischen Großbritannien und Frankreich erneut aufflammte.

Der Botschafter kehrte nach Paris zurück, und obwohl er ein wohlhabender Mann war, konnte er seiner Tochter kein Geld schicken.

„Ich bin nur eine Belastung für dich“, hörte Roxana eines Tages ihre Mutter sagen, die nicht wußte, daß das Kind lauschte.

„Wozu brauche ich Geld?“ hatte ihr Vater erwidert. „Solange du mir den Mond und die Sterne und ein Glück schenkst, das nicht einmal dem legendären Midas beschieden war, der alles in Gold verwandeln konnte...“

Er hatte Yvette in die Arme genommen und sie geküßt, bis sie beide in fröhliches Gelächter ausgebrochen waren, weil es so wunderbar war, beisammen zu sein. In diesem Augenblick hatte Roxana erkannt, daß man Liebe nicht kaufen konnte - nicht mit allem Geld dieser Welt .

Sobald sie ins Schloß kam, wurde ihr bewußt, wie sehr man sie verachtete. Kaum ein Tag verstrich, an dem die Herzogin nicht betonte, Roxana wäre ein völlig mittelloses Waisenkind und müßte ihrem Onkel ewig dankbar sein, daß er ihr Obdach gewährte und für ihren Unterhalt sorgte.

„Extravagant, verantwortungslos und furchtbar leichtsinnig - das war dein Vater!“ pflegte die Tante immer wieder zu sagen. „Und was deine Mutter betrifft...“

Es bedurfte keiner Worte, um klarzustellen, was sie von ihrer verstorbenen Schwägerin hielt.

Wenn Roxana in den Spiegel blickte und ihr die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter bewußt wurde, war ihr klar, warum die Herzogin Mutter und Tochter haßte.

Die Ehe des Herzogs war - wie in diesen Kreisen üblich - arrangiert worden, um zwei mächtige Familien auf bequemste Weise zu vereinen. Der Vater der Herzogin, der Herzog von Hull, hatte seiner Tochter eine beträchtliche Mitgift gegeben. Und nach seinem Tod hatte sie mehrere Häuser in London geerbt, deren Mieterträge ihr jährlich ein Vermögen einbrachten.

Sie hatte dem Herzog den ersehnten Erben geschenkt und so lange intrigiert, bis er zum Oberstallmeister des Königs ernannt worden war - ein Amt, das ihn zur Zeit wenig beanspruchte, weil der Monarch im Sterben lag.

Später brachte die Herzogin Caroline zur Welt, die glücklicherweise ihrem Vater glich und die Schönheit und Attraktivität seiner Familie geerbt hatte.

Im Lauf der Jahrhunderte hatten viele Herzoginnen von Bruntwick durch ihre Schönheit geglänzt. Und in Roxana vereinten sich sowohl die äußeren Vorzüge ihrer englischen Ahnen als auch die Reize ihrer französischen Mutter, was ihr einen einzigartigen Zauber verlieh. Dies war der Grund, warum Tante Sophie sie von allen gesellschaftlichen Ereignissen im Schloß fern hielt.

Obwohl Roxana ein knappes Jahr älter als Caroline war, durfte sie nur dann an den Mahlzeiten teilnehmen, wenn die Familie keine Gäste hatte. Ansonsten beschränkte sich die Gemeinsamkeit der beiden Mädchen auf die Schlafräume und das Schulzimmer.

Zunächst konnte Roxana kaum glauben, daß ihre Tante sie wirklich so isolieren wollte. Sie dachte, die Trauer um den Vater, der ein Jahr nach ihrer Mutter gestorben war, sollte verlängert werden.

Doch dann erklärte ihr die Herzogin unmißverständlich: „Ich habe deinen Vater nie geschätzt. Und wie du weißt, war deine Mutter eine Feindin unseres Landes, eine Fremde, die man meiner Meinung nach während des Krieges hätte einsperren müssen. Deshalb wünsche ich nicht, daß du mit Carolines Freundinnen zusammenkommst oder dich aufdrängst, wenn wir Gäste empfangen.“ Nach einer kleinen Pause fügte sie boshaft hinzu: „Du kannst versuchen, dich nützlich zu machen. Kümmere dich um Carolines Kleider und schaff Ordnung in ihrem Zimmer, wenn die Dienstmädchen anderweitig beschäftigt sind. Wann immer wir nach London fahren, bleibst du natürlich hier.“

Roxana verstand nicht, warum sie so behandelt wurde - bis ihr Nanny, Carolines alte Kinderfrau, alles erklärte.

„Reg dich nicht so auf, mein Liebes“, sagte sie, als sie eine tränenüberströmte Roxana antraf. „Ihre Gnaden sind nur eifersüchtig - anders kann man das nicht ausdrücken.“

„Eifersüchtig?“ fragte Roxana ungläubig.

„Sie war immer unscheinbar, schon in ihrer Jugend. Und jetzt, mit ihren vielen Falten und Rundungen, kann sie die Tatsache, daß deine Mutter viel schöner war als sie, unmöglich übersehen.“

„Sie war wirklich eifersüchtig? Das hätte ich nie gedacht.“

„Natürlich war sie das! Und Seine Gnaden waren neidisch auf Lord Leo. Kein Wunder - wo dein Vater doch so beliebt war! Er konnte besser reiten als der Herzog und übertrumpfte ihn bei jedem Hindernisrennen, schon in alten Zeiten, als beide noch kleine Jungen waren.“

Nachdenklich betrachtete Roxana ihr Spiegelbild. Wie alle Bruntwicks hatte sie blondes Haar, aber nicht die gleichen hellblauen Augen wie Caroline, sondern dunklere wie ihre Mutter. Es war eine seltsame Farbe, die bei einer gewissen Beleuchtung fast violett wirkte.

„Stiefmütterchenaugen“, hatte ihr Vater festgestellt und seiner Frau versichert, ihr Blick würde ihn hypnotisieren; er sei ihr rettungslos verfallen.

Roxanas Augen wirkten noch viel geheimnisvoller durch den Kontrast zu ihrer weißen Haut, einem Erbe der Bruntwicks. Wie ihre französischen Vorfahren, deren Porträts sie gesehen hatte, besaß sie ein herzförmiges Gesicht. Wenn sie lächelte, umspielte ein ausdrucksvoller Zug ihren Mund, im Gegensatz zu Carolines klassisch geformten, aber ausdruckslosen Lippen.

Sie erinnerte sich, daß ihr Vater einmal zu ihrer Mutter gesagt hatte: „Ich glaube, du bist eine Hexe, mein Liebling. Jedenfalls hast du mich verhext. Vielleicht bist du die wiedergeborene Morgan le Fay oder eine andere mittelalterliche Hexe, die auf Scheiterhaufen verbrannt wurden, weil sie den Leuten Angst einjagten.“

„Fürchtest du dich vor mir?“ hatte Yvette leise gefragt.

„Ich fürchte nur, daß ich dich eines Tages verlieren könnte. Du weißt ebensogut wie ich, daß ein Mann dich nur anschauen muß, um dich unwiderstehlich zu finden.“

Sie hatte gelacht.

„Darin solltest du ein Kompliment sehen, das dir gilt, mein Liebster. Für mich gibt es nur einen einzigen Mann auf dieser Welt, und ich werde alle Zaubertricks anwenden, die ich beherrsche, um ihn an mich zu fesseln.“

Als hätte sie Roxanas Gedanken gelesen, sagte die Kinderfrau, die neben ihr vor dem Spiegel stand: „Du bist einfach zu hübsch, das ist es. Ich frage mich, was aus dir werden soll - wenn Ihre Gnaden dich nirgendwohin gehen läßt, wo du einen Ehemann finden könntest...“

Diese Worte bedrückten Roxana, denn seit ihrem achtzehnten Geburtstag wünschte sie sich, möglichst bald zu heiraten und diesem Schloß und seinen Bewohnern zu entkommen.

Natürlich träumte sie von einem Ritter in schimmernder Rüstung, der ihrem Vater glich - oder von einem Prinzen, der augenblicklich in tiefer Liebe zu ihr entbrennen und sie auf seinem Pferd entführen würde.

Seit sie in diesem Gemäuer wohnte, war sie unglücklich. Nicht nur, weil ihre Tante sie nicht mochte, sondern auch, weil es keine Liebe in diesen Mauern gab.

Das kleine Haus auf dem Landgut, das der Herzog seinem Bruder gönnerhaft zur Verfügung gestellt hatte, war stets erfüllt gewesen von Sonnenschein und Glück. Roxanas Eltern hatten eine Wärme darin verbreitet, die ihr ganz anders erschienen war als die Glut, die von den Kaminfeuern im Schloß ausging. Hier fröstelte sie sogar in der Sommerhitze.

Als Caroline im April nach London gefahren war, entzückt über ihre neuen Ballkleider und überzeugt von ihrem bevorstehenden gesellschaftlichen Erfolg, hatte Roxana zu Hause bleiben müssen und sich sehr einsam gefühlt. Doch dann sagte sie sich, es wäre sinnlos, Trübsal zu blasen. Sie wollte die wenigen Freuden genießen, die ihr geschenkt wurden.

Vor allem an den Pferden, die sie reiten durfte, fand sie großes Vergnügen - auch wenn sie nur selten Zeit dazu hatte, weil ihr die Herzogin so viele Näharbeiten aufbürdete.

Einen weiteren Trost spendeten ihr die Bücher aus der Bibliothek. Allerdings konnte sie nur abends oder in den frühen Morgenstunden lesen, weil sie tagsüber zu sehr beschäftigt war.

Meist ritt sie mit Caroline aus, aber manchmal auch allein, denn der Herzog hielt es für überflüssig, den Mädchen Reitknechte zur Verfügung zu stellen, wenn sie in der Nähe des Schlosses blieben.

Bei ihrem ersten Ausritt nach Carolines Abreise wurde Roxana von Patrick Fairley erwartet, der die Befürchtung hegte, seine Liebste könnte ihn in London vergessen.

„Glaubst du, sie liebt mich wirklich, Roxana? Wird sie stets daran denken, daß wir zusammengehören?“

Sie versuchte ihn zu trösten, denn sie war der festen Überzeugung, ihre Kusine würde ihm alle Gefühle entgegenbringen, die sie zu empfinden vermochte. Es war nicht jene himmelstürmende Liebe, die Roxanas Eltern verbunden hatte. Zu solchen Leidenschaften würde ein typisch englisches Mädchen wie Caroline wohl nie fähig sein.

Mitte Juni ging die Saison zu Ende. Nachdem der Prinzregent London verlassen hatte und nach Brighton aufgebrochen war, kehrte Caroline nach Hause zurück und freute sich sichtlich, Patrick wiederzusehen.

Jeden Morgen ritt sie mit ihrer Kusine durch den Park und die Wälder zum kleinen Landsitz der Fairleys, und Patrick kam ihnen entgegen. Roxana entfernte sich taktvoll und gesellte sich erst wieder zu den beiden, wenn es an der Zeit war, den Heimweg anzutreten.

Es wäre unmenschlich gewesen, hätte sie sich nicht hin und wieder nach einem Mann gesehnt, der sie mit so liebevollen Augen ansah wie Patrick seine Caroline und ihr zärtliche Worte zuflüsterte.

Vielleicht werde ich alt und grau werden, niemals das Glück der Liebe erleben, niemals etwas anderes sehen als dieses Schloß und seine Umgebung, dachte sie manchmal verzweifelt.

Sie verlor sich in ihren Träumen und in ihren Büchern, die sie aus den Regalen der Bibliothek holte und die jahrelang unberührt geblieben wären, hätte sie sich nicht dafür interessiert.

Und nun mußte sie erfahren, daß man ihre Kusine zwingen wollte, den Marquis von Quorn zu heiraten. Auch wenn Caroline einen anderen liebte - sie würde zweifellos einen faszinierenden Ehemann bekommen.

„Was soll ich nur tun, Roxana?“ fragte das Mädchen unglücklich. „Ich muß Patrick heiraten! Ich kann keinen anderen heiraten! Außerdem - einem Mann wie dem Marquis wäre ich niemals gewachsen, nicht einmal, wenn ich ihn gern hätte.“

Damit hat sie zweifellos recht, dachte Roxana und fragte: „Wie ist er denn? Beschreib ihn doch mal!“

„Ich glaube, er sieht gut aus“, erwiderte Caroline wiederstrebend. „Aber er wirkt so einschüchternd auf mich. Er ist einfach überwältigend. Und alle Mädchen in London klatschen über seine Liebesaffären.“

„Haben sie dir davon erzählt?“

„Natürlich. In London sprechen alle nur von der Liebe. Und ständig war von irgendwelchen Frauen die Rede, die sich die Augen ausweinten, weil der Marquis sie verlassen hatte - oder von anderen, die sich aufplusterten, weil sie seine Gunst genossen.“

Ähnliche Geschichten hatte Roxana bereits von den Dienstboten gehört.

„Was glaubst du, warum er heiraten will?“

„Oh, das ist kein Geheimnis“, erklärte Caroline. „Er hat sich mit der Frau eines Diplomaten eingelassen und möchte in den Ehestand treten, um internationale Verwicklungen zu vermeiden.“

„Und deshalb hält er um deine Hand an?“ fragte Roxana ungläubig.

Caroline setzte sich wieder auf die Fensterbank.

„Als ich in London ankam, redeten alle nur vom Marquis. Niemand schien sich für andere Leute zu interessieren. Man behauptete, er wäre fest entschlossen, niemals zu heiraten - denn eine ganze Woche mit ein und derselben Frau würde ihn zu Tode langweilen. Lieber hat er sie rudelweise zur Verfügung, wie seine Jagdhunde.“

„Das klingt ja schrecklich!“ rief Roxana.

„Genau das fand ich auch“, stimmte Caroline zu, „aber ich war nicht ernsthaft an ihm interessiert, weil ich immer nur an Patrick dachte.“

„Ja, natürlich. Erzähl doch weiter!“

„Dann begann man über diese ,Madame Sowieso‘ zu tratschen - ich erinnere mich nicht an ihren Namen. Angeblich ist sie wunderschön, hat rotes Haar und grüne Augen, und man flüsterte sich hinter vorgehaltener Hand die tollsten Dinge über den Marquis und sie zu.“

„Und was geschah dann?“

„Ich fuhr nach Hause, und heute erklärte mir Papa, der Marquis würde uns besuchen. Er hätte bei einer Begegnung in Ascot angedeutet, daß er vielleicht um mich werben will.“

„Nur vielleicht?“

„Ich nehme an, er möchte sich nicht binden - für den Fall, daß seine Affäre mit dieser Frau geringere Probleme aufwirft als erwartet“, entgegnete Caroline bitter.

Damit hatte sie die Situation viel klarer erfaßt, als Roxana es ihr zugetraut hätte.

„Ich finde, mit diesem Verhalten beleidigt er dich zutiefst. Dein Vater hätte ihn abweisen sollen.“

„Das würde Papa sicher tun, wenn ich ihn darum bäte. Aber Mama wird es zu verhindern wissen und alles tun, um mich mit dem Marquis zu verheiraten.“

Roxana konnte ihrer Kusine nicht widersprechen und sagte leise: „Du tust mir so leid.“

„Wenn ich bloß wüßte, was ich machen soll! Ich muß Patrick um Rat fragen.“

„Dann mußt du bis morgen früh warten.“

„Unmöglich! Das halte ich nicht aus. Ich muß ihn noch heute abend treffen. Mama und Papa sind beim Landrat zum Dinner eingeladen. Bitte, hilf mir Roxana - reite zum Fairley-Hof und sage Patrick, er soll zu unserem üblichen Treffpunkt kommen. Hier darf er sich nicht blicken lassen. Die Dienstboten würden es Mama sofort erzählen.“

„Und wie erklären wir meine Abwesenheit, wenn Tante Sophie nach mir fragt? “

„Glaubst du, daß sie das tun wird?“

Roxana zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht befürchtet sie, ich könnte dich gegen den Marquis aufhetzen, und kommt hierher, um das zu unterbinden.“

Caroline wußte, daß ihrer Mutter solche Gedankengänge keineswegs fern lagen. Sie stand auf und begann rastlos umherzuwandern.

„Ich muß Patrick unbedingt sehen.“

„Ich gebe ihm Bescheid“, versprach Roxana, „aber erst nach

fünf, wenn sich deine Mutter hinlegt. Leiste ihr Gesellschaft und verwickle sie in ein Gespräch über den Marquis, das wird sie ablenken.“

Caroline schnitt eine Grimasse, gab aber zu, daß dieser Plan

vernünftig klang und Roxana eine Möglichkeit bot, das Schloß unbemerkt zu verlassen.

Sie unterhielten sich noch eine Weile, und Caroline betonte immer wieder, sie könnte niemand anderen als Patrick heiraten.

Roxana wußte, daß ihre Kusine auf verlorenem Posten kämpfte. Falls bis zum Eintreffen des Marquis von Quorn kein Wunder geschah, würde die Herzogin Caroline zwingen, seinen Antrag anzunehmen.

Roxana genoß den Ritt über die Felder, obwohl sie sich wegen ihrer Selbstsucht Vorwürfe machte. Sie war froh, dem Schloß und der mühsamen Näharbeit für eine Weile zu entrinnen, konnte aber ihre Augen nicht vor der betrüblichen Tatsache verschließen, daß ihr Vorhaben erfolglos bleiben würde.

Wie sehr sich Patrick und Caroline auch lieben mochten - gegen den Marquis hatte der junge Mann keine Chance. Sowohl der Herzog als auch die Herzogin würden es als Unverschämtheit betrachten, wenn der unbedeutende Nachbar um die Hand ihrer Tochter anhielte.

Da Roxana ihre Kusine sehr gut kannte, wußte sie, wie gut Caroline zu Patrick passen und daß sie an seiner Seite ein Glück finden würde, das ihr in einer Ehe mit dem Marquis niemals vergönnt wäre.