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Hauptkommissar Raschke ermittelt wieder. Dieses Mal hat er sich richtig festgebissen. Nicht die Beweise, sondern sein Bauchgefühl sagt ihm, wer der Täter ist. Davon lässt er sich nicht abbringen, denn sein Bauch ist schon beachtlich. EKHK Raschke kann einfach nicht glauben, dass die Frau seines Täters angeblich genau in dem Moment über Bord ging, als ihr Mann unter Deck war. Durch den Rammstoß eines anderen Bootes, das nur sein Täter gesehen haben will! Als dann noch ein Toter gefunden wird, der mit seinem Verdächtigen in einer sehr dubiosen Verbindung stand, wird sein Jagdeifer richtig angeregt. Ein spannender Krimi aus Pinnow, dem Südende des Schweriner Sees und der Umgebung von Schwerin.
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Seitenzahl: 114
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Impressum
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
Ulrich Hinse
E-Books von Ulrich Hinse
Ulrich Hinse
Falsches Spiel
Pinnowkrimi
ISBN 978-3-86394-610-4 (E-Book)
ISBN 978-3-86394-612-8 (Buch)
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2014 EDITION digital ® Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Es war ein symbolträchtiger Augenblick. Rainer und Sybille waren seit fast sechs Monaten verheiratet. Und bis heute hatte es bei Rainers Ehegelöbnis, alles mit seiner Frau zu teilen, eine Ausnahme gegeben. Sein Boot, sein ganzer Stolz.
Seit gut drei Jahren besaß er das schon fast historische hölzerne Segelboot mit kleiner Kajüte, das er mit viel Mühe von einem Rentner für viel Geld gekauft hatte. Noch einmal viel Geld hatte es gekostet, bis er über persönliche Verbindungen einen vernünftigen Liegeplatz bekommen hatte, wo er das Boot auch für längere Zeit festmachen konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass es ihm entwendet oder beschädigt würde. Das Boot war sein Reich zum Ausspannen, zum Nachdenken, zur Konzentration auf neue Aufgaben im Beruf. Aber auch zum Feiern mit Freunden, zum Angeln und zum gelegentlichen Besäufnis.
Seine engeren Freunde aus Pinnow und Raben Steinfeld waren schon öfters auf dem Boot gewesen. Seine Frau Sybille noch nie.
Bis zu jenem Tag. Dass dieses epochale Ereignis nicht schon in den ersten sechs Monaten nach der Hochzeit eingetreten war, lag an der Witterung. Erst Anfang bis Mitte Mai erreichten die Temperaturen am Schweriner See wieder erträgliche Werte.
Sie hatten es nicht weit. Bis zu den Liegeplätzen an den Bootshäusern im Schweriner Ortsteil Mueßer Bucht, wo das Boot lag, waren es lediglich fünf Kilometer.
Rainer und Sybille wohnten in dem kleinen Ort Pinnow in einer Wohnsiedlung, die landläufig das Tal der Tränen genannt wurde. Hier waren direkt nach der Wende gut hundert neue Häuser gebaut worden. Dabei hatte sich der eine oder andere Häuslebauer offenbar heftig finanziell übernommen und unter Tränen mussten dann die Häuser wieder verkauft werden. So ein Haus hatten Rainer und Sybille aus einer Zwangsversteigerung günstig erworben und waren recht glücklich damit. Das Grundstück lag am Ende einer Wendeschleife und hatte keine direkten Nachbarn. Saß man im Wohnzimmer, ging der Blick in den eigenen und die umliegenden Gärten. Die Nachbarn waren freundlich und hilfsbereit und so machte das Wohnen dort richtig Spaß.
Gerade verließen sie ihr Haus, als Sybille den Hut zeigte. Jedenfalls nahm Rainer an, es müsse sich um einen Hut handeln, obwohl er eher wie ein dünner Gullydeckel aussah, mit einer Krempe, unter der ein Infanterieregiment Platz gefunden hätte.
„Was um Himmels Willen ist das?“, entfuhr es ihm, als sie ihn aufsetzte.
„Mein neuer Hut“, sagte sie und drehte leicht den Kopf, um das Exemplar richtig zur Geltung zu bringen, „ist er nicht himmlisch?“
„Und du hast ernsthaft vor, ihn den ganzen Tag auf dem Kopf zu tragen?“, wollte Rainer wissen.
„Ich beginne zu ahnen, dass er dir nicht gefällt“, maulte sie und zog einen süßen Schmollmund.
„Doch, er gefällt mir. Er gehört nur zu den hässlichsten Dingen, die ich in der letzten Zeit gesehen habe.“
„Ach, dann ist es ja gut. Ich dachte schon, du würdest ihn von mir ausborgen wollen“, antwortete sie reichlich spitz.
Während der Fahrt in ihrem Cabrio zu den Bootshäusern bat Rainer seine kleine Frau, den Hut auf dem Schoß zu behalten. Zum einen könnte das gute Stück davonfliegen und möglicherweise einen Schwerlaster von der Straße fegen und zum anderen wäre der Luftwiderstand für das kleine Cabrio zu hoch.
So ließ Sybille ihre langen Haare im Fahrtwind flattern. An den Bootshäusern angekommen, brannte Sybille richtig darauf, das Boot kennenzulernen. Dutzende von Booten lagen mit dem Bug zum Steg vertäut. Sie gingen an einer Reihe von Booten vorbei und als sie davor standen, erkannte sie es sofort. Er hatte ihr verschwiegen, dass er sein Boot Sybille genannt hatte. In ihrer Gegenwart wurde immer nur von dem Boot gesprochen. Ein Name war nie genannt worden. Jetzt stand sie davor und kämpfte mit den Tränen.
Einmal an Bord, stellte Sybille gleich klar, dass sie nicht den passiven Badegast spielen wollte. Sie wollte wissen, wie alles funktioniert und bestand darauf, alles selbst zu tun. Sie ließ den Motor an, schaltete ihn wieder ab, zog die Fock und das Großsegel hoch und steuerte schließlich aus der Bucht hinaus auf den Schweriner See. Nach der ersten Stunde, sie waren nur bis hinter die Insel Ziegelwerder gefahren, ließen sie sich treiben und gingen zum gemütlichen Teil über. Als der Wind plötzlich auffrischte, dachte Rainer daran, den Törn zeitlich abzukürzen.
„Wir sollten vielleicht noch das mitgebrachte Mittagessen einnehmen und uns dann langsam auf den Rückweg machen“, schlug er seiner mit glücklichen Augen über den See träumenden Frau vor. Sybille zog einen Flunsch, stand aber trotzdem auf, um die Essenssachen zu holen und den Tisch vorzubereiten.
„Könnten wir nicht doch noch am Schloss vorbei? Da habe ich mich so sehr drauf gefreut.“
„Schon überredet“, sagte Rainer und hoffte, der Wind möge nicht weiter auffrischen, um die Fahrt zum Schloss undurchführbar zu machen.
Rainer konnte problemlos ein Mittagessen neben dem Kühlschrank stehend verschlingen, aber für Sybille war jedes Essen ein Ereignis. Binnen weniger Minuten war der Tisch mit einer weißen Tischdecke gedeckt, das Geschirr aufgestellt, jeder Teller mit einer eigenen Serviette. Stolz sah sie ihren Mann an.
„Na, was sagst du?“
„Boa, da fehlt es an nichts“, meinte er nach einem kontrollierenden Blick über das Ensemble, „wenn das große Boot der Wasserschutzpolizei vorbeikommt, können wir die fünf Mann ja zum Essen einladen.“
Kritisch sah sie ihren Mann an.
„Wie wäre es denn mit denen da drüben?“, meinte sie und zeigte auf eine schwarz blaue Jacht, eine vom Typ Pedro 44, eine sogenannte Levanto, wie sie häufig von den Bootsverleihern an sehr zahlungskräftige Wassertouristen ausgeliehen wurde. Sie lag gut hundert Meter entfernt, wo sie auf dem Wasser dümpelte. Rainer sah hinüber. Das Boot hatte er hier auf dem See noch nie gesehen. Aber das wollte natürlich nicht viel heißen. Immer wieder kamen fremde Boote über den Störkanal aus der Elbe oder von den großen Mecklenburger Seen im Südosten.
„Wer ein Urlaubsschiff so dunkel anstreicht oder so ein Boot fährt, der verdient es nicht, bei uns zum Essen eingeladen zu werden“, brummte er, „außerdem haben Urlauber eigentlich immer selber was zum Essen.“
„Und zum Trinken“, ergänzte Sybille.
„Ja und zum Trinken.“
Sie setzten sich an den gedeckten Tisch. Es war ein köstliches Essen, was Sybille da für den heutigen Tag gezaubert und mitgenommen hatte, fand Rainer. Er hatte reichlich gegessen und lehnte sich zufrieden zurück. Sybille begann abzuräumen.
„Mein lieber Schatz, ich werde gleich erst einmal für einige Minuten dahin gehen, wohin sich auch der chinesische Kaiser nicht tragen ließ.“
„Tu das. Inzwischen räume ich hier wieder alles ab, damit wir noch einen schönen Nachmittag auf dem See haben. Ich möchte gerne noch bis zum Schloss.“
„Alles, was du willst“, brummte Rainer noch, als er nach unten in die Kajüte mit der Nottoilette kletterte. Aus den Augenwinkeln sah er noch, wie die schwarz-blaue Jacht langsam Fahrt aufnahm.
Sybille sah ihm nach, wie er unter Deck verschwand. Dann nahm sie ihren Cajalstift und schrieb etwas auf die Tischplatte. Plötzlich fegte ein Windstoß ihren riesigen Hut vom Kopf. Sie versuchte noch, ihn mit der Hand zu schnappen, aber sie griff ins Leere. Der Hut trieb nicht weit vom Boot auf dem Wasser. Sie lehnte sich weit über den Bootsrand und versuchte so, ihn wieder aus dem Wasser zu ziehen. In diesem Moment ging ein heftiger Schlag durch das Boot. Sybille verlor das Übergewicht und stürzte ins Wasser. Unten im Boot rief Rainer nach seiner Frau, aber er erhielt keine Antwort mehr. Das Dröhnen eines großen Bootsmotors übertönte alle anderen Geräusche. Das Holzboot wurde wie von einer eisernen Faust seitwärts geschoben, bis der Schilfgürtel, der die Insel Ziegelwerder umschließt, das Boot stoppte. Dann dröhnten die Motoren noch einmal heftig auf und Rainer hörte, wie sich das schwere Stahlboot entfernte. Mühsam quälte er sich aus der Kajüte nach oben.
„Sybille? Mäuslein? Wo bist du?“
Rainer erhielt keine Antwort.
„Mäuslein, was ist? Wo bist du? Mach keinen Mist und melde dich!“
Der Stimme von Rainer war anzuhören, dass er sich sorgte. Er sah über den Bootsrand nach unten ins Wasser. Im Schilf sah er den großen Hut von Sybille. Mit dem Bootshaken zog er ihn zu sich heran. Von seiner Frau war nichts zu sehen. Er sprang, so wie er war, ins Wasser, tastete nach allem, was er in die Finger bekommen konnte. Seine Frau fand er nicht. Er zog sich an der Bordwand hoch, schaute ins Boot, ob sie nicht doch wieder auf der anderen Seite ins Boot geklettert war. Aber sie blieb verschwunden. Im Wasser sah er nichts. Der Propeller der schweren Pedro hatte den Schlick aufgewirbelt. Die Sicht unter Wasser war gleich Null. Langsam begriff Rainer, dass seine Sybille durch den Aufprall von Bord gestürzt, unter Wasser gedrückt worden und offenbar ertrunken war. Plötzlich konnte er nichts mehr denken. Es war eine große Leere in seinem Kopf. Wie in Schockstarre saß er an dem Tisch, an dem er vor wenigen Minuten noch mit seiner Frau gegessen hatte. Dann stand er auf. Noch einmal sprang er ins Wasser. Er versuchte, unter das Boot zu tauchen. Tastete am Bootsrumpf entlang, tauchte nur auf, um Luft zu holen und ließ sich wieder unter die Wasseroberfläche sinken. Aber wo er auch suchte, er fand Sybille nicht. Da war nichts. Sie war nicht da. War sie ertrunken? Oder ist sie ins Wasser gefallen und ans Ufer der Insel geschwommen? Oder hatte vielleicht das andere Boot sie entführt?
Er war wieder ins Boot geklettert. Am Mast hielt er sich fest, weil ihm leicht schwindelig geworden war. Er rief, nein brüllte, nach seiner Sybille. Das musste auch auf der Insel gehört werden. Aber es kam keine Antwort.
Er blickte sich wie irre um, aber von der Stahljacht war nichts mehr zu sehen. Auch andere Boote waren nicht in der Nähe. Schließlich setzte er sich hin. Er blickte leer vor sich auf den Bootsboden. Rainer saß einfach da, nass von oben bis unten, die Hände in den Schoß gelegt und starrte auf den Schweriner See. Jetzt erst fiel ihm auf, dass etwas auf den Tisch gemalt war. Meine ewige Liebe ist dir sicher, las er.
„Mäuslein, war sie das denn bisher nicht?“, murmelte er und brach in Tränen aus.
Als er die Meldung bekam, wusste Raschke sofort, was er vor sich hatte. Es war kaltblütiger Mord und der Täter stand auch schon fest. Sein Bauchgefühl sagte es ihm. Die Fälle, wo ihn sein Bauchgefühl im Stich gelassen hatte, konnte er in einem sehr, sehr langen Berufsleben als Kriminalbeamter im Allgemeinen und als Leiter des Morddezernats der Kriminalpolizeidirektion Schwerin im Besonderen an einer Hand abzählen. Keiner wusste, warum Raschke seine Meinung so und nicht anders gefasst hatte. Seine engsten Mitarbeiter schon gar nicht. So kannten sie ihren Chef eigentlich nicht. Er hielt sich sonst immer alle Optionen offen, bis die Beweise auf dem Tisch lagen.
Vor langer Zeit hatte Raschke, den alle nur mit seinem Nachnamen riefen, wobei die Ausnahme, der Leitende Oberstaatsanwalt von Beuershausen, unerheblich blieb, gelernt, aus Gerede und Geschwätz die Fakten herauszuschälen. Und in diesem Fall lagen die Fakten für Raschke auf der Hand. Rainer Hebbel hatte mit seiner Frau Sybille einen Bootsausflug gemacht. Das Ganze mit einem Boot, auf dem er unfallfrei schon mindestens hundertmal gefahren war. Sie hatten sich vor Ziegelwerder im Schweriner See treiben lassen. Dann war er auf die Nottoilette im Boot gegangen und angeblich genau in dieser Zeit war sein Holzboot von einem anderen Schiff gerammt worden, seine Frau ins Wasser gefallen und ertrunken.
Zufall? Niemals. Das war ohne den geringsten Zweifel Mord. Eiskalter Mord.
Leider erwies sich die Beweisführung in diesem Verbrechen als äußerst schwierig. An einen ärgerlicheren, frustrierenderen Fall konnte sich Raschke beim besten Willen nicht erinnern.
Der Wasserschutzpolizei war das in den Schilfgürtel von Ziegelwerder gefahrene Holzboot auf ihrer Kontrollfahrt sofort aufgefallen. Jeder Bootsführer auf dem Schweriner See wusste, dass die Schilfgürtel für Boote tabu waren. Das war frevelhaft. Deshalb waren sie vor das Boot gefahren und als der auf dem Deck sitzende Mann auch auf eine Ansprache hin nicht reagiert hatte, waren sie an Bord gegangen. Die Beamten fanden Rainer Hebbel in Schockstarre, nass, frierend, zitternd auf der Back sitzend. Sie hatten das Boot abgeschleppt und Hebbel ins Krankenhaus gebracht. Von einer Frau, die ins Wasser gefallen sein sollte, hatten sie nichts erfahren, da Hebbel zu keinem Wort fähig war. Erst zwei Tage später wurde die Leiche von Sybille Hebbel im Schilfgürtel der Insel Ziegelwerder von einem anderen Bootsfahrer entdeckt.
Der Gerichtsmediziner Dr. Schade, den in Schwerin alle wegen seines weißen Kittels, der weißen Haare, seines hellen Teints und der hellen Augen nur Albino nannten, hatte Ertrinken diagnostiziert. Und festgestellt, dass die junge Frau kurz vor ihrem Tod noch Geschlechtsverkehr und gut gegessen hatte. Sonst waren keine Besonderheiten bemerkt worden. Keine Einstiche, keine stumpfe Gewalteinwirkung, kein Schnitt, kein Gift. Nichts, was auf ein nur geringes Fremdverschulden hindeuten konnte. Alles wies auf einen tragischen Unfall hin. Und um das Maß an Widrigkeiten noch voll zu machen, fand Raschke bei den Ermittlungen keinerlei Hinweise auf Probleme in der Ehe. Die beiden hatten sich vor gut zwei Jahren kennengelernt, vor sechs Monaten geheiratet und niemand sagte ihnen etwas anderes nach, als dass sie sich nicht heiß und innig geliebt hätten. Tatsache war, Raschke hatte nichts gefunden, was Rainer Hebbel als Täter eines Verbrechens belastet hätte. Zwar forderte sein Bauchgefühl keine Beweise, aber der Chef der Staatsanwaltschaft, Herr von Beuershausen, und auch Kriminaldirektor Rainer Morla, sein Dienststellenleiter, forderten sie. Er hatte keine und das verdarb ihm die Laune. Der Fall wurde offiziell abgeschlossen. Offiziell. Niemals würde er den Vorfall ad acta legen. Wann immer er konnte, würde er daran arbeiten und irgendwann den Saukerl festnehmen, der die junge Frau umgebracht hatte.