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Das Grauen geht um in dem kleinen Dorf Pinnow wenige Kilometer östlich des Schweriner Sees. Innerhalb kürzester Zeit werden mehrere Tote in der näheren Umgebung gefunden. Bei allen befindet sich eine Stoffpuppe, die in Schwerin als Andenken an den Schlossgeist verkauft wird. Das Petermännchen. Die Kriminalisten um Raschke, den Leiter der Mordkommission Schwerin, ermitteln hektisch, aber es finden sich so gut wie keine Hinweise oder Spuren. Es ist zum Verzweifeln. Eigentlich könnte es nur ein Einwohner des kleinen Örtchens Pinnow sein. Einer, der auch im Winter mit dem Fahrrad fährt. Es gibt Hinweise, aber keine Beweise. Als dann noch das Mitglied einer Rockergang zu Tode kommt, die in einem Nachbarort ihr Quartier hat, mischen plötzlich noch ganz andere bei den Ermittlungen mit. Die Polizei gerät unter Druck. Gelingt es dem Ersten Kriminalhauptkommissar Raschke mit seinen Leuten, den Täter festzunehmen, bevor die Sache eskaliert? Ein spannender Krimi aus der Gegend in und um Schwerin.
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Seitenzahl: 134
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Ulrich Hinse
Die Petermännchenpuppe
Pinnowkrimi
ISBN 978-3-86394-607-4 (E-Book)
ISBN 978-3-86394-609-8 (Buch)
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2014 EDITION digital ® Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Es war ein winterlicher, feuchtkalter Januarmorgen in dem kleinen Örtchen Pinnow gut drei Kilometer östlich des Schweriner Sees. Die Tage mit den vielen vollmundigen Neujahrswünschen waren noch nicht allzu lange vorbei. Es war Sonntag. Trüber Himmel, böiger Wind und nieselnder Regen. Alles so knapp über Null Grad. Wen man in Pinnow auch traf, alle waren warm angezogen mit dicken Winterpullovern, wattierten Jacken oder langen Stoffmänteln. Die Mützen tief in die Stirn gezogen.
Gunnar, ein stämmiger Vierzigjähriger, war die ganze Nacht unruhig gewesen. Er hatte seine Wohnung in dem alten Büdnerhaus, das er von seinen Eltern geerbt hatte, recht früh am Morgen verlassen, das Fahrrad aus dem Schuppen geholt und war dick eingepackt und mit Handschuhen trotz des miesen Wetters durch den Wald bis nach Basthorst gefahren.
Der Himmel war grau. Er brauchte nur wenige hundert Meter auf der Kreisstraße vom Ende des Ortsteils Petersberg durch Muchelwitz zu fahren, dann war er im Wald. Die Bäume streckten ihre laublosen Äste wie ein Dach über die schmale Straße. Von ihnen tropfte es stetig. Ärgerlich fuhr er sich immer wieder mit der Hand durchs Gesicht, wenn ihm die Tropfen in die Augen gefallen waren, denn dann verschwamm alles vor seinen Augen.
Im Wald war es still. Nichts war zu hören. Sogar die Autos, welche die schmale Straße recht häufig nach Kladow, Gädebehn, Basthorst oder Crivitz benutzten, wollten bei dem Wetter offenbar nicht fahren. Er war allein mit sich und seinen Gedanken. Blutige Bilder tauchten vor seinem inneren Auge auf. Er spürte, er würde es bald tun müssen. Seine Seele, ja sein ganzer Körper verlangte danach. Es fühlte sich an wie ein Ziehen in seinem Magen.
Er rollte schnell in Basthorst den Hang hinunter, zwang sich mühsam aus dem Warnowtal hoch nach Kladow und weiter bei leichtem Gegenwind durch die lange Allee bis nach Gädebehn. Er schaute nicht nach links und nicht nach rechts. Den Weg und die Umgebung kannte er. Außerdem gab es nichts zu sehen außer freiem Feld.
Er war nie ein gläubiger Mensch gewesen. Seine Eltern hatten ihn zwar taufen lassen, sich aber dann um religiöse Erziehung nicht mehr gekümmert. Ihn selbst hatte das auch nicht interessiert und in der damaligen DDR hatte es auch niemanden gegeben, der ihm den Weg in die Kirche hätte weisen können. Er hatte sich in der Gesellschaft für Sport und Technik, in der DDR kurz GST genannt, recht wohl gefühlt. An mehr war er nicht interessiert und er hatte sich vor allen anderen Verpflichtungen, die der Staat seinen Bürgern auferlegte, mehr oder weniger erfolgreich gedrückt.
Er war ein wenig schüchtern und hatte sich nicht getraut, ein Mädchen anzusprechen. Deshalb war das andere Geschlecht für ihn fremd geblieben. Bis heute war er ledig. Zu sozialistischen Zeiten war er in der Gärtnerei in Petersberg beschäftigt gewesen. Die hatte in der neuen Wirtschaftsordnung Insolvenz angemeldet und zu allem Überfluss konnte er nach der Wende keine Arbeit mehr finden.
So lebte er einfach in den Tag hinein. Mit seiner Stütze vom Arbeitsamt kam er aus. Nicht gut, aber es ging.
Jetzt war er verwirrt, als er merkte, wie es ihn plötzlich nach einer kultischen Droge verlangte. Ein solches Gefühl war ihm bisher völlig fremd. Er hatte sich zwar schon immer sehr mit den Sagen und Mythen aus der näheren Heimat um Pinnow, Godern und Raben Steinfeld befasst und die Geschichten offenbarten ihm neue, verlockende Reize. Aber dass er sich das Ganze so zu Herzen nahm, war ein schleichender Prozess gewesen. Die Trolle und Gnome, vor allem aber das Petermännchen, schrien nach Blut. Und das, obwohl das Petermännchen eigentlich ein guter Geist gewesen war. Er war verwirrt, fühlte sich, als wollte ihm der Kopf platzen.
Ausgerechnet ihn, den arbeitslosen Gunnar Löffler aus Pinnow, hatte das Petermännchen dazu ausersehen, ihm Opfer zu bringen, und er konnte sich dem Ruf nicht widersetzen. Er beschloss, dem Ruf des Petermännchens in der kommenden Nacht zu folgen.
Sein erstes Opfer hatte er bereits ausgewählt. Den Ablauf der Opferung hatte er in den vergangenen Tagen bis ins Detail geplant. In seinem Kopf sah er minutiös genau, wie er die Tat ausführen würde. Immer wieder hatte er den Tatablauf durchgespielt, modifiziert, mögliche Fehler beachtet und die Geschehensabläufe verändert. Die Zeit des Überlegens und des Zögerns war nun vorbei. Aber Vorsicht, übereilte Hast macht alles kaputt, mahnte er sich selbst.
In Basthorst war er ganz durch den Ort gefahren. Vor dem Hotel stieg er vom Rad. In dem Restaurant gab es am Sonntag immer einen Frühstücksbrunch. Den wollte er genießen und sich ein wenig von seinen Gedanken ablenken. Einmal im halben Jahr konnte er sich das leisten, weil er das Geld dafür extra zurücklegte.
Mühsam schälte er sich aus seinen dicken Wintersachen, die er so an der Garderobe platzierte, dass er sie problemlos wiederfinden konnte. Er suchte einen Platz, bestellte Kaffee und während er sich die besten Sachen vom Buffet heraussuchte, dachte er zum wiederholten Mal an sein Opfer.
Unten in Mueß, auf einem Parkplatz neben der Ruine einer ehemaligen Gaststätte, dort, wo das Wasser des Sees in die Stör floss, stand seit einiger Zeit ein klappriges, angerostetes Wohnmobil. Darin lebte ein einsamer Mann. Schon über Weihnachten und Neujahr hatte der Wagen des Fremden dort ganz allein gestanden. Die kühlen Nächte schreckten ihn offenbar nicht. Einige Tage hatte Gunnar ihn zu unterschiedlichen Zeiten beobachtet. Der Mann hielt sich nur in der Nähe seines Wohnmobils auf. Besuch hatte er die ganze Zeit nicht bekommen. Ab und zu war er den Kilometer durch die blätterlose Kastanienallee bis zu einem Supermarkt gelaufen, wo er sich einige Lebensmittel, vor allem aber Rotwein kaufte. Damit soff der Mann sich offenbar sein erbärmliches Leben schön. Gunnar hatte befunden, dass der Säufer ein gutes Opfer für Petermännchen sein würde. Ganz bestimmt eine höhere Erfüllung, als sich mit billigem Rotwein zu Tode zu saufen. Der Mann schien Däne zu sein. Zumindest sagten das die Kennzeichen des Wohnmobils aus.
Nach gut zwei Stunden hatte Gunnar seinen Brunch beendet. Er bezahlte, zog sich die warmen Sachen wieder an und machte sich mit seinem Fahrrad auf den Weg zurück nach Pinnow.
Er schlief traumlos, bis sein Wecker klingelte. Bedächtig kleidete er sich an. Er wählte dunkle Oberbekleidung. Der alte Militärparka erfüllte den Zweck. Eine Wollstrickmütze zog er tief in die Stirn. Niemand sollte ihn erkennen.
Er trat hinaus in den Hof seines Büdnerhauses, holte das Fahrrad aus dem Schuppen und fuhr durch die Seestraße zur B 321, dort auf dem Radweg entlang unter der Autobahnbrücke hindurch und rollte schnell hinunter zur Störbrücke. Das schlechte Wetter hatte sich, wie zu dieser Jahreszeit üblich, nicht sonderlich verändert. Es war nach wie vor trüb und nass. Nur ganz wenige Fahrzeuge hatten ihn auf der Bundesstraße passiert. Er war absolut sicher, dass ihn niemand beachtet hatte. Als er über die Brücke gefahren war, wandte er sich nach rechts, wo er sein Fahrrad auf einem kleinen Platz gegen einen Müllbehälter anlehnte. Dort stellten jeden Tag die Angler ihre Fahrräder ab.
Er ging über die Straße zu dem Parkplatz, wo er sich einen Moment im Schatten der Ruine aufhielt und einen Ziegelstein aufhob. Eine Zeit lang beobachtete er aus dem Schatten heraus den Parkplatz mit dem Wohnmobil. Es stand dort allein. Die Straßenbeleuchtung reichte kaum bis zu dem in der letzten Ecke des Platzes stehenden Fahrzeug.
Vorsichtig ging Gunnar auf den Wagen zu. Der Platz war asphaltiert, so dass seine Schritte nicht zu hören waren. Er lief um den Wagen herum. Der Eingang befand sich auf der Seite zum Seeufer. Er lauschte an der Tür und hörte ein sattes Schnarchen. Dann drückte er vorsichtig die Türklinke herunter. Die Tür war nicht verschlossen. Mit einem leichten Quietschen öffnete sich die Tür. Das Schnarchen hörte auf. Gunnar bewegte sich nicht. Ganz still stand er neben der geöffneten Tür. Nach wenigen Augenblicken wurde das Schnarchen fortgesetzt. Vorsichtig stieg Gunnar die Stufen hoch ins Wohnmobil. Der Geruch, der ihm entgegenschlug, war betäubend. Ein Gemisch aus Alkohol, Körpergeruch, Fürzen, Schweißfüßen und Moder schlug ihm entgegen. Meine Güte, dachte er, wie kann man es in einem solchen Gestank nur aushalten.
Er wandte sich zur Schlafkoje, wo der Däne in seinen Sachen schlief, ohne sich zugedeckt zu haben. Einen Moment sah Gunnar sein Opfer an. Dann holte er aus und schlug dem Mann mit aller Kraft den Ziegelstein gegen die Schläfe. Es gab ein hässliches Geräusch, so als ob Holz brach. Augenblicklich erstarb das Schnarchen. Gunnar war sicher, dass sein Opfer tot war. So sicher, dass er das gar nicht nachprüfte.
Er ging nach draußen, holte tief Luft und blickte sich um. Niemand war zu sehen. Oben auf der B 321 rollte der eine oder andere Wagen vorbei. Keiner bog auf die Alte Crivitzer Chaussee ab. Gunnar ging zurück und zog den toten Dänen von seinem Lager. Der Mann war nicht sehr schwer. Auch wenn es ihn ekelte, er hob ihn über die Schulter und trug ihn die wenigen Meter bis zu dem Steinhaufen an der Ruine. Dorthin, wo er den Stein aufgehoben hatte, mit dem er den Mann erschlug. Angekommen, warf er erst den Stein auf den Boden und legte dann sein Opfer so, dass es mit der Schläfe auf dem Stein zu liegen kam. Dann machte er ihm den Hosenschlitz auf. Kaum war er damit fertig, eilte er zurück zum Wagen, nahm die Flasche Rotwein und schüttete einiges daraus auf die Koje und den Boden, dort, wo er etwas Blut gesehen hatte. Ganz zum Schluss zog er eine Petermännchenpuppe aus der Jackentasche und legte sie auf den mit vielerlei Gegenständen zugemüllten Esstisch im Wohnmobil.
Bevor er ging, nahm er eine der vielen leeren Rotweinflaschen, schloss die Tür des Wagens, warf die Weinflasche neben den Toten auf den Steinhaufen und ging zu seinem Fahrrad.
Er schwang sich auf den Sattel und mühte sich den Hang hinauf zur Autobahn und durch die Seestraße wieder nach Hause. Obwohl die Steigung schwer zu fahren war und es inzwischen angefangen hatte, richtig feste zu regnen, hatte Gunnar das Gefühl zu schweben. Den Regen spürte er überhaupt nicht. Ebenso wenig die Kälte.
Kaum hatte er die Tür seines Hauses hinter sich geschlossen, fiel es wie Steine von seinen Schultern. Er fühlte sich befreit. Fast euphorisch tanzte er in seinem Wohnzimmer herum. Er blieb neben der Büste vom Petermännchen stehen, machte einen Kratzfuß als devote Geste und hatte den Eindruck, dass die Figur ihm zulächelte. Er war stolz. Petermännchen hatte sein Opfer offenbar angenommen.
Ein Lkw-Fahrer hatte die Polizei informiert, dass an der Ruine des Gasthofs vor der Störbrücke ein Toter lag. Kriminalhauptkommissar Raschke, der griesgrämige, fast sechzigjährige Leiter des Dezernats Gesundheit und Leben der Kriminalpolizeidirektion Schwerin, war mit seiner Truppe missmutig hinausgefahren. Er ahnte, dass er bei dem starken Regen und der winterlichen Witterung bei knapp über Null Grad nicht mit allzu vielen Spuren am Tatort rechnen konnte. Aber noch wusste er nicht, ob er es überhaupt mit einem Verbrechen zu tun hatte, ob es sich um einen Unfall oder eine Selbsttötung handelte.
Raschke hatte seinen Stellvertreter Schrader in der Dienststelle gelassen, denn an jedem Montagvormittag erwartete der Leiter der Kriminalpolizeidirektion, Kriminaldirektor Armin Morla, von jedem Dezernat einen Mann zur Berichterstattung über das vergangene Wochenende. Morla war vor kurzem erst vom Landeskriminalamt als Leiter zur Direktion gekommen und hatte die eine oder andere Veränderung eingeführt. Er mochte diese Meetings nicht sonderlich, weswegen er fast immer seinen Stellvertreter schickte, der sich dort gerne produzierte. Der Kriminaldirektor hatte sich daran gewöhnt und nahm es gelassen.
Der stattliche, übergewichtige Erste Kriminalhauptkommissar, mit Vollbart und kurzen Stoppelhaaren, kletterte knurrig aus seinem Privatwagen. Seine Frau hatte ihm noch vor dem Hinausgehen ein Butterbrot geschmiert, das jetzt in der Seitenablage des Wagens ein freudloses Dasein fristete. Auf den Dienstwagen hatte er verzichtet, weil sich der Tatort ohnehin auf dem Weg zur Dienststelle befand. Von Godern aus zur Yorkstraße zu fahren, um mit dem Dienstwagen die ganze Strecke zurückzukutschen, war ihm zuwider.
Als er am Parkplatz Mueß ankam, hatte die Schutzpolizei den Tatort bereits weiträumig mit rot-weißem Trassierband abgesperrt und wartete auf die Kripo.
„Ah, die Herren von K sind auch schon aufgestanden“, wurde Raschke von dem leitenden uniformierten Beamten empfangen. Raschke hörte gar nicht mehr hin. Die gegenseitigen Sticheleien zwischen S und K, der Schutz- und der Kriminalpolizei, gingen ihm auf den Keks.
„Kann mich mal jemand über den Tatort schlau machen?“, fragte er in die Runde, ohne direkt einen Beamten anzusprechen.
Ein Hauptkommissar von der Schutzpolizei kam auf Raschke zu.
„Bregenhard“, stellte er sich ohne Dienstgrad vor, was Raschke sehr sympathisch fand, „komm mit in den Einsatzwagen, da ist es wärmer. Hier draußen im Regen und in der Kälte ist es mir zu ungemütlich.“
„Mir auch“, knurre der Kriminalist und folgte dem Schutzmann in den Wagen.
„Na, was habt ihr bisher festgestellt?“
„Nicht viel. Der LKW-Fahrer da hinten“, Bregenhard zeigte auf einen Dreißigtonner mit einem Containerauflieger, der an der Alten Crivitzer Chaussee stand, „hat den Toten gefunden und sofort über Handy bei uns angerufen. Der Tote dort auf dem Steinhaufen ist ein Däne. Er steht schon seit Mitte Dezember hier. Wir haben ihn schon ein paar Mal kontrolliert. Es liegt gegen ihn nichts vor. Deshalb haben wir ihn dort stehen lassen. Er stört ja auch keinen. Er hat nur immer wieder gesoffen. Rotwein. Literweise. Hat er sich in dem Supermarkt dort an der Ecke geholt.“
„Und auf der Strecke bis zum Wagen schon ausgesoffen“, unterbracht Raschke den Kollegen.
„Weiß ich nicht“, fuhr der Polizeikommissar unbeeindruckt fort, „jedenfalls hat er es heute wohl nicht mehr bis in den Wagen geschafft oder er wollte sein Geschäft hier an der Ruine erledigen. Seine Hose ist ja noch offen. Jedenfalls scheint er an dem Steinhaufen zusammengebrochen zu sein. Beim Fallen hat er sich an einem Stein wohl den Schädel eingeschlagen.“
„Hmm“, brummte Raschke, „dann wollen wir uns das Ganze mal aus der Nähe ansehen. Ist der Doc schon informiert?“
„Ja.“
„War von euch schon jemand im Wagen?“
„Nein.“
Raschke stieg aus dem Einsatzbus und sah sich um. Den Kollegen Bregenhard von der Schutzpolizei ließ er etwas dumm zurück.
Er winkte Biggi, der Kriminalkommissarin Brigitte Mader, die von der Dienststelle nach Mueß gefahren und zwischenzeitlich eingetroffen war. Raschke war schließlich der Dezernatsleiter. Er durfte seine Mitarbeiter heranwinken. Fand er. Natürlich nur dienstlich. Privat machte er das natürlich nicht, da war er höflicher, vor allem zu Frauen.
Biggi Mader, Ende Zwanzig und seit Jahren bei Raschke im Dezernat, nahm es gelassen. Sie kannte ihren Chef und wusste, was sie an ihm hatte. Nach außen hin mimte Raschke gern den Chef, nach innen war er ein ganz patenter Kollege, ohne Allüren. Manchmal fühlte sie sich bei ihm wie eine Tochter.
„Komm Mädel“, brummte Raschke und er war der Einzige, der diesen vertrauten Ausdruck gebrauchen durfte, ohne dass sie aus der Haut fuhr, „sprich noch mal mit dem Lkw-Fahrer. Du weißt schon. Wann eingetroffen, wann die Leiche gefunden, warum hier gehalten, ob er irgendjemanden gesehen hat, ob ihn irgendjemand gesehen hat und bezeugen kann, wie er hier vorgefahren ist und so weiter. Ich sehe mich schon mal um und hinterher schauen wir uns den Wagen an. In der Zwischenzeit lassen wir die KT an dem Toten erst einmal ihre Arbeit machen.“
Er meinte die Kriminaltechniker, die sich in ihren weißen Overalls bereits an der Leiche eingefunden hatten, wo sie trotz des Regens eifrig fotografierten. Er hatte die Techniker noch von zu Hause aus zum Tatort beordert, weil er so ein komisches Gefühl im Bauch hatte, wie er es nannte. So war es häufig mit dem Bauchgefühl. Das hatte mit kriminalistischer Ausbildung wenig zu tun, eher mit kriminalistischem Gespür. Und davon besaß Raschke eine ganze Menge.
Er hatte einen kleinen Bogen gemacht, so dass er nahe an dem Steinhaufen vorbei den Weg zum Wagen genommen hatte und trotz des Regens und des diffusen Lichts waren ihm zwei, drei dunklere Flecken am Boden aufgefallen. Unscheinbar, kaum zu sehen. Er blieb stehen und winkte einen der Techniker heran.
„Schau mal, was ich da gefunden habe. Könnte es Blut sein?“
Der Techniker blies dicke Backen.
„Mensch Raschke, bei dem Regen schwer zu sagen. Sieht eher aus wie Ölflecken von den Autos, die hier auf einem Parkplatz nun mal herumstehen.“
„Seht euch das trotzdem näher an“, ordnete der Hauptkommissar an und ging langsam zum Wagen weiter. Inzwischen hatten sich Biggi und er Gummihandschuhe angezogen. Vor der Einstiegsstufe blieb Raschke stehen. Er sah sehr genau hin, fand aber nichts, was außergewöhnlich hätte sein können. Bevor er die Klinke herunterdrückte, war er einmal um den Wagen herumgegangen. Nichts. Nichts, was auf irgendeinen Menschen hindeutete, der sich unbefugt dem Wagen genähert hätte. Kein Wischer über die Fenster, keine Hebelspuren an den Fenstern. Ein völlig normal dastehendes Wohnmobil. Biggi war mitgegangen. Auch sie hatte nichts entdeckt, was irgendwie von Bedeutung gewesen wäre. Nun standen sie wieder vor der Eingangstür. Sie war normal geschlossen, aber nicht verschlossen, wie Raschke nach dem Herunterdrücken der Türklinke feststellte. Vorsichtig schwang die Türe auf. Biggi verdrehte die Augen.
„Der Gestank ist ja widerlich. Wie kann ein Mensch sich in so einem Raum aufhalten. Entsetzlich. Da kommt ja alles zusammen.“
Raschke nickte.