Der Glatteisagent - Eine Geschichte aus der Zeit des Kalten Krieges - Ulrich Hinse - E-Book

Der Glatteisagent - Eine Geschichte aus der Zeit des Kalten Krieges E-Book

Ulrich Hinse

4,9

Beschreibung

Es ist der Glatteisspion Reiner Paul Fülle, über den in diesem Roman ein Teil seiner Lebensgeschichte erzählt wird. In Zwickau geboren und als Kind in den Westen gekommen, wurde Fülle als junger Mann während eines Besuchs bei seinen Verwandten in Thüringen von der Staatssicherheit angeworben. Seit 1964 Spion beim MfS, lieferte er aus Abenteuerlust und gegen Geld Informationen aus der Kernforschungsanlage Karlsruhe in die DDR. Am 19. Januar 1979 wurde Reiner Paul Fülle vom BKA verhaftet. Er entkam und wurde von der Sowjetischen Militärmission wenige Tage später in einer Holzkiste in die DDR gebracht. Da bei der Verfolgung der BKA-Beamte auf Glatteis ausrutschte, wurde Fülle in bundesdeutschen Medien als Glatteisspion bezeichnet. Nicht zuletzt, weil er sich nur sehr ungern gängeln oder etwas vorschreiben ließ und weil seine Frau sich beharrlich weigerte, in die DDR umzuziehen, betrieb er seine Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland. Mit falschen Papieren ausgestattet, kehrte Fülle Ende 1981 zurück.

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Impressum

Ulrich Hinse

Der Glatteisagent - Eine Geschichte aus der Zeit des Kalten Krieges

Wenn Opa Raschke erzählt

ISBN 978-3-95655-248-9 (E-Book)

ISBN 978-3-95655-252-6 (Buch)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2015 EDITION digital ® Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Vorwort

Das, was Sie jetzt lesen, ist ein Roman. Er basiert auf tatsächlichen Ereignissen Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre, mitten im Kalten Krieg, an denen ich, inzwischen pensionierter Kriminalbeamter, als junger Ermittler des Bundeskriminalamtes beteiligt war. Und während ich das Buch schreibe, stelle ich fest, manchmal hat eine historische Wende ihre komischen Augenblicke. Etwa, wenn einem von einem Moment auf den anderen bewusst wird, wie absurd einiges von dem war, was man bis eben noch mit ernster Miene vertreten hat. Einige der Betroffenen sind bereits verstorben, andere leben unter anderem Namen irgendwo auf der Welt. Die grundsätzlichen Ereignisse haben aber so stattgefunden wie geschildert. Lediglich die Dialoge sind der schöpferischen Freiheit des Autors geschuldet. Auf das, was die Agenten verraten oder aus anderer Sicht ausgekundschaftet haben, wird nicht eingegangen. Der Lauf der Geschichte hat die Dinge relativiert und belanglos gemacht. Damals aber waren die Akteure einerseits gefeierte Helden, andererseits üble Verräter, bestenfalls traurige Gestalten. Je nachdem, aus welcher Richtung – Ost oder West – man auf sie blickte. Ihre Motive waren selten edel, oft handelten sie aus Geltungssucht, noch häufiger aus reiner Geldgier. Deshalb wurden bis auf den Titelhelden Reiner Fülle sowie die MfS-Oberen Markus Wolf und Erich Mielke, die inzwischen alle verstorben sind, sämtliche Namen geändert, auch die der Kriminalbeamten. Trotz und alledem sind die längst vergangenen und vielfach vergessenen Ereignisse heute noch spannende Geschichten.

Zunächst zur Person, über die in diesem Roman ein Teil seiner Lebensgeschichte erzählt wird. Die Rede ist von Reiner Paul Fülle, geboren am 26. Dezember 1938, gestorben am 9. Oktober 2010.

In Zwickau geboren, wurde Fülle während eines Besuchs bei Verwandten in Thüringen als Inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit angeworben. Er war noch ein junger Mann in den Zwanzigern, als er Anfang der sechziger Jahre am Forschungsreaktor Karlsruhe als Kaufmann und Buchhalter für den Materialsektor eingestellt wurde. Aufgrund seines freundlichen Wesens war er allgemein beliebt. Er betätigte sich in der Sportgruppe und bei Betriebsausflügen übernahm er gerne organisatorische Aufgaben. Was niemand wusste oder auch nur geahnt hatte: Fülle war seit 1964 Spion des Ostberliner Ministeriums für Staatssicherheit. Gegen Geld lieferte er bis zu seiner Flucht unter dem Decknamen Klaus Informationen aus seinem Arbeitsgebiet in die DDR. Am Forschungsreaktor gab es für Fülle nicht so viel zu berichten. Das änderte sich erst, als im Forschungszentrum eine Anlage zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen gebaut wurde. Im Jahr 1968 wechselte er dorthin, wo er unter anderem für die kaufmännische Verwaltung der Kernbrennstoffe Uran und Plutonium zuständig war. Dieses Gebiet interessierte seine östlichen Auftraggeber weitaus mehr, weil man das aus abgebrannten Brennelementen gewonnene Plutonium als Material für Atombomben verwerten konnte. Etwa zehn Kilogramm Plutonium wurden benötigt, um eine Atombombe zu fertigen, für deren Bau die DDR die Bundesrepublik Deutschland verdächtigte. Und tatsächlich waren die aus verschiedenen deutschen Kernkraftwerken gewonnenen Mengen erheblich. Freilich wurde von der DDR aus Propagandagründen verschwiegen, dass diese Materialien unter strenger Aufsicht von Euratom und IAEA standen.

Am 19. Januar 1979 wurde Reiner Paul Fülle im Zusammenhang mit den Aussagen des MfS-Überläufers Werner Stiller von Beamten des Bundeskriminalamtes verhaftet. Er entkam nach Baden-Baden und wurde von der sowjetischen Militärmission am 30. Januar 1979 in einer Holzkiste in die DDR gebracht. Weil bei der Verfolgung der BKA-Beamte auf Glatteis ausrutschte, wurde Fülle in bundesdeutschen Medien als Glatteisspion bezeichnet. Nicht zuletzt, weil er immer seine persönliche Freiheit liebte, sich nur sehr ungern gängeln oder sich etwas vorschreiben ließ und weil seine Frau sich beharrlich weigerte, in die DDR umzuziehen, betrieb er seine Rückkehr nach Westdeutschland. Mit falschen Papieren ausgestattet, kehrte Fülle am 5. September 1981 zurück. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte ihn später wegen Landesverrats zu sechs Jahren Freiheitsentzug, von dem ihm ein Großteil auf Bewährung erlassen wurde. Ich habe ihn nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik mehrere Wochen vernommen und dabei gut kennengelernt. Leider gab es nach der Entlassung aus der Haft von Reiner Paul Fülle keine Spur mehr, bis ich im Internet von seinem Ableben lesen musste. Ich hätte gerne mit ihm noch einen Schoppen Wein oder ein Bier getrunken, wünsche aber seiner Frau und seiner Tochter alles erdenklich Gute und hoffe, ihnen mit meinem Buch nicht allzu nahe getreten zu sein.

1. Kapitel

Opa Raschke, ein Bilderbuchgroßvater mit wenigen, kurzen Haaren, grauem Vollbart, Brille und einem stattlichen Bauch, hütete seine Enkel. Das kam sehr selten vor, da seine Kinder etliche hundert Kilometer entfernt wohnten und arbeiteten und nur gelegentlich mit den Enkeln zu Besuch nach Godern bei Schwerin kamen. Eine schöne Aufgabe für einen alten Herrn, vor allem wenn er Geschichten erzählen kann und die Kleinen mit leuchtenden Augen an seinen Lippen hängen. Die Zeiten, an denen seine Frau und die Kinder das getan hatten, waren schon lange vorbei. Es war eine quirlige Dreierbande, die über den Rasen im Garten tobte und gelegentlich die Goldfische im Teich zu angeln versuchte. Natürlich nur, wenn Opa sie nicht sah, wie sie glaubten. Den Fröschen war anzusehen, dass sie über eine Evakuierung nachdachten. Die zwei Ringelnattern, auf deren Anwesenheit im Gartenteich Opa Raschke im Gegensatz zu der schier entsetzten Oma besonders stolz war, hatten sich zwischen den Steinen versteckt. So glaubten sie, den Kinderorkan unbeschadet zu überleben. Eigentlich waren es acht Enkel, auf die das Ehepaar Raschke mit Stolz blicken konnte. Jede der beiden Töchter hatte es zu vier Kindern gebracht.

Aber nur die Älteste war mit ihren Kindern zu Besuch gekommen. Derek, der Älteste der quirligen vier, war schon auf dem Gymnasium und fühlte sich natürlich seinen zwei jüngeren Brüdern und der kleinen Schwester überlegen. Mit seinen schulterlangen Haaren älter wirkend, als er tatsächlich war, wurde er von Opa gelegentlich auch Klaukschieter genannt. Fast überheblich schaute er auf die beiden jüngeren Brüder herab. Er hatte sich bereits zu seinem Großvater an den Tisch auf der Terrasse gesetzt, als die beiden jüngeren Brüder, Carlo, der etwas bullig wirkende Kraftprotz, und Miguel, der eher zierliche, aber völlig angstfreie Draufgänger, den hinter der kleinen Gartenhütte versteckten Kescher entdeckt hatten. Triumphierend kreischend begannen sie, die Fische aus ihrem Element zu befreien. Jetzt griff Opa ein. Es tat ihm zwar leid, aber irgendwo gab es auch für die Enkel Grenzen und das Leben der Tiere im Gartenteich erschien ihm wesentlich wichtiger als die Kreativität der Nachkommen. Die Nachbarin, die vom Gartenzaun aus dem lauten Treiben mit kritischem Blick zugeschaut hatte, schien erleichtert. Schließlich war Samstagmittag und nicht jeder empfand das Gebrüll von Jungdeutschland in der eingeplanten wochenendlichen Mittagsruhe als positive Zukunftsperspektive. Die beiden Hobbyangler trotteten mit hängenden Köpfen auf die Terrasse.

„Opa? Was hast du eigentlich im Krieg gemacht?“

Die Frage des Ältesten der lieben Kleinen traf den Opa, der leicht schnaufend über den gepflegten Rasen zurückstapfte und sich in den Sessel fallen ließ, völlig unvorbereitet. Er konnte sich daran erinnern, dass er früher einmal seinen Vater so oder so ähnlich gefragt hatte. Der war zum Ende des Zweiten Weltkriegs aus Ostpreußen mit dem Hilfskreuzer Hansa über die Ostsee noch rechtzeitig nach Hause zurückgekommen.

„Äh, was für ein Krieg? Ich war nicht im Krieg. Ich bin erst nach dem Krieg geboren.“

„Nein, das kann nicht sein“, beharrte der Enkel, „du lügst mich an.“

„Na, hör mal, du Lausejunge. Opa lügt nicht. Das solltest du dir merken. Das hat Opa nämlich nicht mehr nötig. Schon gar nicht vor euch Bengeln. Also, ich war wirklich nicht ihm Krieg.“ Der nicht nur in diesem Moment neunmalklug wirkende Enkel ließ nicht locker.

„Doch. Mama und Papa haben neulich davon gesprochen, dass du im Krieg an der Front gewesen bist.“

Der Großvater fixierte seinen Enkel jetzt leicht grinsend und rieb sich den weißen Bart. Den hatte er sich schon längere Zeit nicht mehr rasiert, da er plante, in einigen Monaten wieder einmal den Jakobsweg in Spanien zu laufen. Und da nach seiner Meinung zu einem lebensälteren Pilger auch ein langer Bart gehörte, ließ er sich derzeit einen wachsen. Den Enkeln war´s egal, sie kannten Opa sowieso nur mit einem weißen Bart. Mal etwas länger, mal kürzer.

Opa Raschke war inzwischen etwas über sechzig Jahre alt und vor wenigen Jahren aus dem Polizeidienst, den er nach einigen Jahren bei der Bundesmarine auf den Tag genau fast vierzig Jahre ausgeübt hatte, in den wohlverdienten Ruhestand versetzt worden. Mit seinen gut hundert Kilo Lebendgewicht saß er nun zufrieden auf der Terrasse seines kleinen Häuschens in der Nähe von Schwerin und hütete die Enkel, während seine Frau mit der Tochter und der Enkelin in der Stadt unterwegs war. Der Schwiegersohn wurde erst am kommenden Abend von dem seit langem geplanten Angelausflug auf der Ostsee zurück erwartet.

„Warst du nun an der Front oder nicht?“, beharrte der Älteste der, wie Opa glaubte, hoffnungsvollen Enkel auf Beantwortung seiner Frage.

„Weißt du, mein Junge, es gibt grob gesagt zwei Arten von Krieg. In dem einen wird scharf aufeinander geschossen. Das ist in Deutschland aber schon mehr als sechzig Jahre vorbei. Und dann gibt es einen Krieg, wo man sich mit immer mehr Waffen heftig bedroht. Es wird aber nicht geschossen. Das nennt man den Kalten Krieg. Und wenn du so willst, dann war ich tatsächlich in dieser Zeit an der Front. An der Front im Kalten Krieg.“

„Das ist aber spannend, Opa. Gibt es denn da auch Geschichten, die du uns erzählen kannst?“ Opa zierte sich noch einige Augenblicke, aber dann hatte er sich überreden lassen.

2. Kapitel

„Also“, begann er seine Erzählung, „es gab einmal vor mehr als zwanzig Jahren zwei gewaltige Militärblöcke. Das war zum einen im Westen die Nordatlantische Verteidigungsorganisation, kurz NATO genannt, und im Osten der Warschauer Pakt. So genannt, weil eine Reihe von Staaten im Einflussgebiet der damaligen Sowjetunion in Warschau ein Verteidigungsbündnis gegen den Westen unterzeichnet hatten. Diese beiden Blöcke bedrohten sich gegenseitig; hielten sich so aber auch in Schach. Zur NATO gehörte die Bundesrepublik Deutschland, kurz BRD, und zum Warschauer Pakt gehörte der zweite deutsche Staat, die Deutsche Demokratische Republik, kurz DDR genannt.

Trotz gleicher Sprache und gleicher Geschichte empfand man sich als Gegner, und weil sich die Regierungen der Länder gegenseitig nicht vertrauten, wurden die eigenen Geheimdienste beauftragt, den jeweiligen Gegner auszukundschaften. Dafür gab es in der BRD den Bundesnachrichtendienst, kurz BND, und in der DDR das Ministerium für Staatsicherheit, kurz MfS. Und natürlich entwickelten diese ihr Eigenleben. Aus den bitteren Erfahrungen des Dritten Reiches hatte man in der BRD den Auslandsgeheimdienst BND geschaffen und strikt vom Inlandsgeheimdienst, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, getrennt. Das ist für die Abwehr von geheimdienstlichen Angriffen zuständig. Im MfS, das von Armeegeneral Erich Mielke geleitet wurde, waren für Angriff und Abwehr unterschiedliche Abteilungen zuständig. Den großen Bereich für die Auslandsspionage leitete ein Generaloberst mit Namen Markus Wolf. Der wiederum hatte verschiedene Abteilungen eingerichtet, die für ihre jeweiligen speziellen Sachgebiete verantwortlich waren. Ein Bereich war der Sektor Wissenschaft und Technik, kurz SWT.

Nun gab es vor mehr als dreißig Jahren einen Geheimdienstoffizier im SWT, der aus irgendeinem Grund plötzlich seine politische Führung, die er bis dahin verehrt hatte, ablehnte. Von einem Tag auf den anderen war für ihn das Land, in dem er arbeitete und an das er bisher ohne Vorbehalte geglaubt hatte, nicht mehr seins. Da er in dem Bereich arbeitete, in dem der Generaloberst Markus Wolf das Sagen hatte, und er auch Agenten in der BRD führte, überlegte er sich ganz genau, was er nun tun wollte. Sicher war, er wollte in die BRD. Zum Klassenfeind. Und so sammelte er ganz vorsichtig Unterlagen aus seinem Arbeitsbereich, der sich mit der Beschaffung von Informationen aus der Bundesrepublik Deutschland beschäftigte. Er wusste ja, dass er nur dann eine Chance hatte, anerkannt zu werden, wenn er auch Informationen mitbringen würde. Ohne diese Informationen würden Behörden in der BRD kein Interesse an ihm haben. Man würde ihn zwar nicht wieder in die DDR zurückschicken, aber auch nicht besonders schützen. Und diesen Schutz brauchte er. Er konnte sich denken, dass die DDR-Oberen alles daran setzen würden, ihn wieder zu ergreifen und in die DDR zurückzubringen. Und was dann mit ihm passierte, konnte er sich leicht ausmalen. Es würde einen Schauprozess geben und der würde, daran hatte er nicht den geringsten Zweifel, mit seinem Todesurteil enden. Also arbeitete er ganz vorsichtig und umsichtig.

Er brach in der Nacht zum 18. Januar den Safe seines Referatsleiters auf, holte dort Unterlagen heraus und steckte sie zu seinen eigenen Unterlagen in eine Aktentasche. Am frühen Morgen des 18. Januar 1979 ging er zum Bahnhof Friedrichstraße. Als Offizier des MfS hatte er dort die Möglichkeit, ohne Kontrolle auf den Bahnsteig zu gelangen, und so flüchtete er mit der S-Bahn nach Westberlin.

Westberlin, das solltet ihr wissen, hatte einen Sonderstatus und gehörte nur indirekt zur Bundesrepublik. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es den so genannten Viermächtestatus. Das heißt, die Amerikaner, die Engländer, die Franzosen und die Russen besaßen jeweils einen Sektor, den sie verwalteten. Die Russen hatten der DDR gestattet, ihre Hauptstadt im Ostsektor einzurichten. Die BRD durfte das nicht und hatte deshalb ihre Hauptstadt in Bonn am Rhein. Aber die drei Westmächte, Amerikaner, Engländer und Franzosen, hatten in Westberlin eine deutsche Verwaltung eingerichtet, die sich der BRD angeschlossen hatte und wie ein eigenes Bundesland arbeitete.

In Westberlin erkannten die Behörden sofort, wer sich zu ihnen geflüchtet hatte. Er wurde gleich von den Amerikanern übernommen und an einem geheimen Ort untergebracht. Nach einiger Zeit konnte er auf dem Luftweg in die Bundesrepublik weiterreisen. Natürlich nur mit Hilfe der Amerikaner. Und in der Bundesrepublik wurde er dann von den deutschen Sicherheitsbehörden, insbesondere dem BfV, ausgequetscht. Inzwischen hatten die Ermittler des Ministeriums für Staatssicherheit, denen die Flucht sofort bei Dienstbeginn aufgefallen war, ihn mit dem Namen SCHAKAL tituliert.

„Opa, warum haben sie ihm denn diesen merkwürdigen Namen gegeben?“, wollte Carlo, der Zweitjüngste der Enkel, wissen. Er hatte sich zusammen mit Miguel vor seinem Großvater auf den Fußboden gesetzt und hing regelrecht an seinen Lippen.

„Nun ja, du musst wissen, dass dies bei Geheimdiensten so üblich ist. So kann man sich im Kreise von Kollegen über eine Person unterhalten, ohne gleich seinen richtigen Namen nennen zu müssen. In diesem Fall sollte er aber auch die Verachtung gegenüber dem Agenten ausdrücken, weil ein Schakal wegen seiner Hinterhältigkeit von allen Menschen verachtet wird.“

„Aber warum denn Verachtung?“, fragte der Enkel weiter neugierig.

„Der Agent hatte durch seinen Übertritt in die Bundesrepublik in seiner Dienststelle einen großen Schaden angerichtet. Und so kannst du dir sicher denken, dass sie kein gutes Haar an ihm gelassen hatten. Und der Schakal ist ein wolfsähnliches Tier, lebt von kleinen und mittelgroßen Beutetieren und von Aas. Er geht meist nachts allein auf die Jagd. Bei uns Europäern stehen Schakale in dem Ruf, feige Aasfresser zu sein. Aber das stimmt nicht. Sie sind tüchtige Jäger, die sich durch großes Geschick mit abwechslungsreicher Nahrung versorgen. Ich vermute mal, dass seine ehemaligen DDR-Kollegen oder besser Genossen ihn mit dem Ausdruck diffamieren oder ihn einfach nur verächtlich machen wollten.“

„Aber das ist ihm doch bestimmt egal. Der war doch gar nicht mehr bei seinen Kollegen. Der war doch schon in Westberlin.“

„Ja, mein Junge, da hast du natürlich recht. Aber seine Exkollegen mussten ja hin und wieder von ihm reden, also nannten sie ihn einfach nur Schakal. Ist das in Ordnung?“ Opa Raschke nervte die Fragerei, und als Enkel Carlo einfach nur nickte und nicht mehr nachfragte, war auch für Opa Raschke die Welt wieder in Ordnung. Gerade wollte er weiter erzählen, als sich dieses Mal Derek zu Wort meldete.

„Mmh, Opa, weiß du. Der Agent war doch bestimmt verheiratet. Was ist denn mit seiner Frau passiert?“ Opa Raschke hüstelte etwas derangiert. Jetzt ging es doch tatsächlich ins Detail. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Er wollte einfach nur eine Geschichte erzählen. Jetzt musste er tief in den hintersten Winkeln seines Gedächtnisses kramen, um die Frage beantworten zu können.

„Wenn ich mich richtig erinnere, dann hatte er eine Freundin, die über die Botschaft der Bundesrepublik in Polen nach Westdeutschland geschleust wurde.“ Kichernd meldete sich wieder Carlo.

„War das denn eine alte Fregatte?“ Opa Raschke blieb die Spucke weg.

„Du Lausejunge, wie kommst du denn darauf? Nein, das war eine junge Frau.“

„Du hast doch eben gesagt, sie wurde geschleust. Es werden doch nur Schiffe geschleust und da habe ich daran gedacht, dass Mama neulich zu einer Frau in der Stadt „alte Fregatte“ gesagt hatte. Aber so, dass sie es nicht gehört hat.“

Opa Raschke grinste. „Na, das will ich auch meinen. Aber deswegen habe ich nicht geschleust gesagt. Das Wort ist ein Ausdruck, der von Geheimdiensten öfter einmal gebraucht wird, wenn eine Person auf verwinkelten und nicht direkten Wegen von einem Land ins andere gebracht werden soll. Zufrieden?“ Enkel Carlo nickte wieder nur.

„Also weiter. Der Agent war Oberleutnant und hatte Physik studiert. Es wurde auch behauptet, er habe schon einige Zeit für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet. Aber so sicher ist das nicht. Es kann auch sein, dass der BND das nur gesagt hat, um den DDR-Geheimdienst zu demütigen. So ist das Geschäft auf der Geheimdienstebene oft. Aber wie gesagt, der Agent hatte ja seine Unterlagen mitgebracht und mit deren Hilfe wurde eine Vielzahl von DDR-Agenten enttarnt. Die Festnahme dieser Leute musste natürlich sehr schnell gehen, denn die DDR-Organe hatten das Verschwinden ihres Mitarbeiters und vor allem der Unterlagen bereits bemerkt. Sie konnten sich denken, wohin der gegangen war. Bis zum Bahnhof Friedrichstraße ließ sich der Fluchtweg in Ostberlin sehr präzise nachvollziehen. Das MfS hatte sofort alle Agenten, die der Mitarbeiter betreut hatte, gewarnt. Sie sollten ihre nachrichtendienstlichen Unterlagen vernichten und sich am besten sofort in die DDR absetzen. Nur ganz wenigen gelang das. So wurden durch sein Adressbuch zahlreiche DDR-Agenten in Westdeutschland, Frankreich, Österreich und den USA enttarnt und verhaftet. Aber es hatten auch mehr als vierzig Agenten den Rückruf des MfS rechtzeitig empfangen und konnten sich der Strafverfolgung durch Flucht in die DDR entziehen.“

„Was heißt Strafverfolgung?“, wollte Derek wissen. Opa Raschke stöhnte zwar, als er wieder unterbrochen wurde, aber für die Enkel war eben jede Frage wichtig. Also versuchte Opa, sie zu beantworten. Wenn die Jungs etwas nicht verstanden, würden sie ohnehin weiter fragen.

„Nun, mein Junge, als Sohnemann eines Rechtsanwalts und einer Juristin solltest du das aber schon wissen. Aber noch mal von vorn. Wenn die Polizei eingeschaltet wird, dann arbeitet sie nur, wenn die Täter etwas getan haben, das im Gesetzbuch unter Strafe gestellt ist. Dieses Arbeiten nennt man Strafverfolgung. Noch Fragen?“ Alle drei Jungs schüttelten unisono die Köpfe, so dass die Haare flogen.

„In Köln beim Bundesamt für Verfassungsschutz saßen nun die dortigen Strategen zusammen. Sie überlegten, wie mit den Informationen umzugehen sei. Möglicherweise war der eine oder andere Agent ja noch umzudrehen und könnte ab sofort auch für die Kölner arbeiten. Aber der Generalbundesanwalt, der zu den Überlegungen hinzugezogen worden war, wollte den schnellen Erfolg. Er wollte, dass die vorliegenden Informationen an die Beamten des Bundeskriminalamtes weitergegeben werden, um von dort die Ermittlungen gegen die Agenten anlaufen zu lassen. So warteten die Ermittlungsbeamten mehrerer Referate des BKA nervös im Dienstgebäude des BfV und harrten der Informationen, die ihnen vorgelegt werden sollten. Das Ganze war eine ziemlich personalaufwendige Sache. Wie ihr euch denken könnt, waren ja alle Ermittlungsreferate alarmiert worden. Endlich erschienen mit wichtigen Mienen die Bundesanwälte und verteilten die Verfahren. Jedes Referat bekam mehrere.

„Was sind Bundesanwälte?“ Mit stoischer Ruhe reagierte Opa Raschke auf die neuerliche Unterbrechung. Er wusste ja, dass die lieben Kleinen immer wieder nachfragten, wenn sie etwas nicht kannten, was ihm ohne großes Nachdenken so einfach über die Lippen kam.

„Es gibt Staatsanwälte, die einen Ganoven vor Gericht anklagen. Das habt ihr sicher schon gehört?“ Alle drei nickten zustimmend.

„Bei bestimmten Verfahren, die ganz wichtig sind, und Spionageverfahren gehören nun mal dazu, klagt nicht die Staatsanwaltschaft irgendeines Landgerichts einen Täter vor Gericht an, sondern der Generalbundesanwalt. Der sitzt in Karlsruhe. Und da er nicht jedes Verfahren alleine anklagen kann, hat er eine Anzahl von Mitarbeitern, die das für ihn erledigen. Die nennt man Bundesanwälte. In diesem Fall haben die Bundesanwälte die Ermittlungsverfahren aufgeteilt und an die wartenden BKA-Beamten verteilt. Ich bekam auch ein Verfahren. Es handelte sich um einen Agenten mit dem Decknamen Bronze. Mehr wusste ich nicht. Mehr hatte auch der Agent nicht mitgeteilt. Aufgrund der Unterlagen, die er mitgebracht hatte, musste Bronze in der Führungsetage eines Energiekonzerns in Essen tätig sein. In Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsbeauftragten des Konzerns war der Mann schnell gefunden und dann von mir festgenommen worden. Ich transportierte ihn zusammen mit meinem Kollegen nach Karlsruhe. Dort wurde er dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes vorgeführt, der über den Haftbefehl zu entscheiden hatte. Ich sperrte den Mann zuerst in Karlsruhe ein. Dort erfuhr ich bei der morgendlichen Fallbesprechung, was den Kollegen in Karlsruhe passiert war. Und hier beginnt die Geschichte des Glatteisagenten.“

3. Kapitel

Endlich kam unser Referat an die Reihe. Es wurde streng nach Reihenfolge der Nummern der Referate vorgegangen. Ich gehörte zum Referat dreizehn. Die Referate elf und zwölf hatten bereits ihre Verfahren erhalten und waren sofort nach, wer weiß, wohin, abgefahren. Unser Referatsleiter, Kriminaldirektor Erhard Korn, wurde aus dem Wartezimmer herausgerufen. Der Raum war überaus nüchtern. Selbst für die teilweise tristen Büroräume einer Behörde. Die glatt verputzten Wände waren in einem eierschalfarbenen Weiß gestrichen. Bilder gab es keine. Auch keine Blumen. Zwei Schränke waren leer. Klar, wenn Polizeibeamte in dem Raum warten sollten, räumt man besser vorher die Schränke leer. Die Neugierde, was sich denn in den Schränken befinden könnte, ist bei dieser Berufsgruppe immanent. Polizei hin, BKA her. Die Sitzmöbel, ein als Tisch umfunktionierter, ebenfalls leerer Schreibtisch und ein verloren auf diesem Tisch stehendes, einfaches, graues Behördentelefon komplettierten das aufs Notwendigste reduzierte, nüchterne Bürozimmer. Die wartenden Kriminalbeamten schauten ihrem Chef gelangweilt hinterher. Draußen war es dunkel und aus dem kalten Licht einer Neonröhre an der Decke starrte man aus dem Fenster in ein schwarzes Nichts.

„Meine Fresse, die machen es aber spannend. Ich denke, es eilt. Egal was passiert. An der Hierarchie wird bei Behördens eisern festgehalten. Ein Zopf, den man schnellstens abschneiden sollte“, mokierte sich Kriminalhauptkommissar Helmut Heller. Die anderen Beamten schauten etwas irritiert zu ihm hinüber, weil der sonst eher für seine sehr nüchterne und korrekt förmliche Sprache bekannt war. Heller war bei den Kollegen nicht sonderlich beliebt, aber geachtet. Er hatte was drauf, wie man im Kollegenkreis neidvoll anerkennen musste. Er war fraglos der Beste von den jüngeren Beamten. Vor ihm stand nur noch der kurz vor seiner Pensionierung stehende Stellvertreter des Referatsleiters und Erste Kriminalhauptkommissar Heinz Harder, genannt Heinz Emil. Weil er so aussah wie eine Kölsch Reklame. Dort war ein reiferer Herr mit einem Glas mit Kölsch in der Hand zu sehen. Unter dem Bild stand: Emil trinkt Kölsch. Weil die Kollegen glaubten, Heinz Hard hätte für die Werbung Pate gestanden, wurde er nur noch Heinz Emil genannt. Er hörte das nicht gern, konnte es aber auch nicht verhindern. Aber Heinz Emil hatte ausgerechnet jetzt Urlaub und war nicht zu erreichen.

„Vermutlich turnt Heinz Emil jetzt auf seinen Latifundien im Spessart durch die Gegend. Ans Telefon geht er im Urlaub nicht. Vermutlich, weil er dort in Hessen keines hat“, wusste Helmut Heller zu erzählen.

„Oder dort kein Anschluss liegt“, warf Günter Beil kichernd ein und erntete einen bösen Blick von Helmut. Die anderen Beamten, Raschke, dessen Vornamen keiner kannte und deshalb auch keiner rief, Anni Hornung, Werner Warnke, Hanspeter Berger, Karl Korte, Erhard Reichenberg, Bertram Peiler, Peter Raddatz, und Gunter Weißgerber und noch drei weitere jüngere Kollegen, die erst vor wenigen Tagen in das Referat gekommen waren, nahmen das kurze Gespräch nicht zur Kenntnis. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Nach einer kleinen Weile war es Günter Beil, der zurückknurrte.

„Mensch Helmut, sei doch froh, dass Heinz Emil nicht da ist, und jammere ihm nicht hinterher. Jetzt bist du Stellvertreter von Korn und ich kann mir vorstellen, dass es dein Schaden nicht ist. Du wirst schon das dickste Stück vom Kuchen abbekommen. Da bin ich mir sicher.“

„Deine Sicherheit geht mir am Arsch vorbei“, giftete Helmut Heller, „wie lange bist du jetzt bei uns im Referat? Zwei Monate? Da wäre etwas mehr Respekt gegenüber den Kollegen durchaus angebracht.“

„Na, na“, mischte sich Erhard Reichenberg, ein sonst eher zurückhaltender Einzelgänger, ein, „ich meine, hier gehst du zu weit. Wenn du Respekt haben willst, dann sage das. Aber sprich nicht für alle anderen Kollegen.“ Helmut Heller kniff die Augen zusammen und wandte sich Erhard zu. Ehe er etwas sagen konnte, ging die Tür auf. Ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes rief Helmut Heller, Raschke und Anni Hornung aus dem Wartezimmer.

Die drei Kriminalbeamten gingen wortlos hinter dem Verfassungsschützer her, bogen auf dem schmalen Korridor nach wenigen Metern nach rechts ab und gelangten so in das geräumige und mit einem Sofa, dem Konferenztisch und den Bildern an den Wänden sogar für ein Amtszimmer gemütlich wirkende Büro. Raschke fiel auf, dass sich kein Bild des Bundespräsidenten oder des Kanzlers darunter befand. Es war ein geschmackvolles Landschaftsbild vom Niederrhein oder aus den Niederlanden und ein farbenfrohes Blumenbild. Hinter dem aufgeräumten Schreibtisch saß niemand. Am Konferenztisch befand sich auf der Stirnseite der recht korpulente Abteilungsleiter Täter. Daneben saßen ein Bundesanwalt und Erhard Korn.

„Meine Dame, meine Herren, um was es geht, ist Ihnen inzwischen sicherlich bekannt geworden. Wir haben einen Überläufer und der hat uns Unterlagen mitgebracht, nach denen wir sofort und unverzüglich handeln müssen. Ich gebe Ihnen jetzt ohne viel Federlesens Ihre Akten und Sie stellen Ihre Teams zusammen. Sie begeben sich sofort in Ihre Einsatzräume und nehmen die Leute fest, die sich aus den Papieren ergeben. Wie Sie das machen, muss ich Ihnen nicht erklären. Die Ergebnisse Ihrer Ermittlungen geben Sie bitte sofort an den jeweiligen Bundesanwalt weiter, der sich als zuständiger Anwalt aus den Akten ergibt.“

„Und natürlich sofort auch an mich“, wandte Erhard Korn ein. Der Bundesanwalt nickte etwas unwillig.

„Natürlich auch an Ihren Referatsleiter. Das habe ich unausgesprochen vorausgesetzt. Das größte Team dürfte sich aus der Sache in Karlsruhe ergeben. Deshalb habe ich nach Rücksprache mit Herrn Korn als Leiter hierfür Helmut Heller vorgesehen. Das zweitgrößte Team geht nach Göttingen. Da Frau Hornung in Göttingen studiert hat und sie sich auskennt, wird sie die Leitung dort übernehmen. Die dritte Sache ist für Raschke. Sie fahren nach Essen zu den RWE. Hier haben wir keinen Klarnamen. Sie müssen ihn erst ermitteln. Die Sache werden Sie mit einem zweiten Kollegen bewerkstelligen können. Es könnte länger dauern.“ Raschke nahm seine Unterlagen in Empfang. Mehr gab es nicht zu hören. Der Bundesanwalt widmete sich schon wieder anderen Papieren. Also standen sie auf, nahmen ihre Akten und verließen den Raum. Der Abteilungsleiter vom BfV begleitete sie, da er mit Erhard Korn noch etwas besprechen wollte. Dabei bemerkte Raschke, dass sich der Mann offenbar nass gemacht hatte. Eine große, nasse Stelle war auf der grauen Anzughose zwischen den Beinen zu erkennen.

4. Kapitel

Erschreckt unterbrach Opa Raschke seine Erzählung, weil in diesem Moment die Kinder anfingen, laut zu johlen. Im ersten Moment war ihm nicht klar, warum. Er schaute sie fragend an.

„Ha, ha, der hat sicher in die Hose gemacht“, jubelte Carlo und auch die anderen beiden lachten und hauten sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Opa Raschke zog seine Augenbrauen zusammen und schaute sie böse an.

„Das mit dem Johlen und Jubeln ist nicht angebracht. Da gibt es nichts zu lachen. Ich werde das sofort erklären und da solltet ihr gut zuhören und nicht herumkrakeelen.“ Glucksend setzten sich die Jungs wieder hin und hatten sichtlich Mühe, nicht wieder laut los zu lachen. Opa Raschke nahm das nicht zur Kenntnis und erzählte weiter.

Entweder hatte Regierungsdirektor Täter keine Zeit gefunden, zur Toilette zu gehen, oder aber er war so nervös, dass er sich in die Hose gemacht hatte, ohne es zu bemerken. Jedenfalls ließ er sich jetzt nichts anmerken und bewegte sich nach dem kurzen Gespräch mit Korn wieder zurück in sein Büro. Was die beiden da miteinander zu besprechen hatten, blieb den anderen Beamten verborgen. Aber eigentlich konnte es sich nur um eine Absprache gehandelt haben, denn Täter war natürlich am Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen interessiert. Sie warteten auf Korn, bis er sein Gespräch beendet hatte, und zusammen gingen sie zurück in das nüchterne Wartezimmer zu den Kollegen, die ihnen interessiert entgegen schauten.

„Ich mache es kurz und schnell“, erklärte Korn, “was genau wie zu tun ist, erläutern die Ermittlungsführer ihren Teams unterwegs. Sie haben alle ihre Bereitschaftssachen mitgebracht. Fahrzeuge sind auch genügend da. Es kann also ohne Verzug losgehen. Am meisten Zeit hat Raschke. Der muss nur bis nach Essen. Ihn wird Günter Beil begleiten. Noch Fragen?“

„Keine“, murmelte Raschke und winkte zu Günter hinüber, um ihn in die Ermittlungen einzuweisen. Viel hatte er nicht zu erzählen. Seine Akte bestand nur aus zwei Seiten.

„Mehr als dünn“, war der geflüsterte, lakonische Kommentar von Beil, als er die Papiere sah. Sie sprachen leise, um die anderen nicht zu stören. Die nahmen nicht so viel Rücksicht. Aus der Zimmerecke, in die sie sich zurückgezogen hatten, hörten sie, wie die Kollegen Karl Korte und Bertram Peiler dem Team Hornung zugeteilt wurden. Alle anderen hatten mit Helmut Heller nach Karlsruhe zu fahren. Dort wollte sich auch Referatsleiter Korn aufhalten. Damit waren die Wichtigkeiten in eine Reihe gebracht.

„Wir fahren direkt nach Karlsruhe“, hörte Raschke den Kollegen Heller sagen, „dort werde ich alle in ihre einzelnen Funktionen einteilen. Unser Referatsleiter wird per Telefon mit dem Polizeipräsidium in Karlsruhe die Räume für uns reservieren, damit wir arbeiten können. Vorrangig ist aber, dass wir mit allen anderen sofort zum Wohnhaus meines Agenten fahren.“

„Hört, hört“, griente Günter Beil, „jetzt ist das schon sein Agent und dem Referatsleiter teilt er auch schon seine Aufgabe zu.“ Raschke winkte ab.

„Wir kennen ihn doch. Er identifiziert sich sofort bis ins Detail mit seinen Fällen. Der eine mag es, der andere nicht.“

„Ich nicht“, brummte Günter. Raschke lachte.

„Ich auch nicht, das Detail verstellt oftmals den Blick fürs Wesentliche. Aber egal, lass uns in aller Ruhe nach Essen fahren, damit wir zum Dienstbeginn dem Vorstand von RWE auf den Keks gehen können. Die werden bestimmt dumm aus der Wäsche schauen. Aber unverhofft kommt oft. Das ist mein Motto.“

Während die Kollegin und die Kollegen eine harte nächtliche Fahrt nach Göttingen und Karlsruhe vor sich hatten, ließen sich Raschke und Beil Zeit. In einer Autobahnraststätte wurde ausgiebig gefrühstückt, weil man ja nicht weiß, wann man im Einsatz etwas zu essen bekommt. Auch wenn man in Essen arbeitete.

5. Kapitel

„Na ja, Opa, das ist zwar eine schöne Geschichte, aber nicht sehr spannend. Bisher haben wir noch nichts gehört von dem Agenten, der weggelaufen ist. Und der muss doch irgendwo gewesen sein. Und du warst ja gar nicht dabei. Woher weißt du das denn alles?“ Derek mimte den Klugscheißer. So empfand Opa Raschke den an und für sich berechtigten Einwand.

„He, du Schlaumeier, den ersten Teil habe ich aus den Frühbesprechungen. Natürlich vom Hörensagen. Und dann kenne ich die Geschichte, weil ich in Karlsruhe mit anderen Kollegen nach ihm gesucht habe.“

„Aber gefunden hast du ihn auch nicht“, wusste sich Carlo in Szene zu setzen. Opa Raschke beschloss, derartige Einwände einfach zu ignorieren.