Fanggründe - Natascha Manski - E-Book

Fanggründe E-Book

Natascha Manski

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Beschreibung

Ihr Vater kommt aus Japan, doch aufgewachsen ist Hauptkommissarin Tomma Petersen in Norddeutschland. In der Wesermarsch ticken die Uhren anders. Langsamer. Mit der Ruhe ist es jedoch jäh vorbei, als ein junger Fischer tot aufgefunden wird. Suizid, heißt es. Denn Windräder zerstören die Fanggründe in der Nordsee. Keine Krabben, keine Zukunft. Dann stirbt ein zweiter Fischer. Diesmal war es zweifelsfrei Mord. Was verheimlicht seine schwangere Witwe? Und welche Interessen verfolgt der Betreiber des riesigen Windparks? Tomma stellt unbequeme Fragen. Und bekommt von allen Seiten Gegendwind …

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Seitenzahl: 364

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Natascha Manski

Fanggründe

Ein Küstenkrimi

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

WidmungDer Fische viel ...Donnerstag, 17. März Hochwasser: 10:53 Uhr/23:14 UhrMittwoch, 23. März Hochwasser: 3:16 Uhr/15:42 UhrDonnerstag, 24. März Hochwasser: 4:00 Uhr/16:22 UhrFreitag, 25. März Hochwasser: 4:44 Uhr/17:01 UhrSamstag, 26. März Hochwasser: 5:27 Uhr/17:41 UhrSonntag, 27. März Hochwasser: 7:17 Uhr/19:33 UhrMittwoch, 30. März Hochwasser: 11:14 Uhr/23:34 UhrDanke!
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Für meine Eltern

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Der Fische viel gefangen sind,

Die Nacht wird dunkel, nass der Wind;

Bald ab vom Strande strömt die Flut,

Drum rudert rasch und rudert gut,

Damit wir zeitig landen.

 

Bald sind wir nah, nun senkt das Blei,

Noch alle Not ist nicht vorbei,

Hier liegen flach der Klippen viel,

Und ist fürwahr kein Kinderspiel,

Bei dunkler Nacht zu stranden.

 

Auszug aus: «Helgoländer Fischerlied» (Johann Peter Eckermann)

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Donnerstag, 17. März Hochwasser: 10:53 Uhr/23:14 Uhr

Sie liebte den salzigen Geruch des Wattenmeeres. Der Himmel war tiefblau, die Luft frisch, und es herrschte eine wunderbare Stille. Nur ein paar Möwen kreischten und drehten ihre Runden. Hannelore Schuster lächelte und umschloss mit beiden Händen das kalte Metall der Thermoskanne fester. Außer ihr schien noch niemand in Fedderwardersiel auf den Beinen zu sein. Der Platz vor der Fischhalle war noch nicht mit Kisten vollgestellt, heruntergelassene Jalousien verschlossen den Blick in das Innere der Geschäfte. Keine Postkartenständer säumten die Straße, keine Werbetafeln, keine Tische mit Souvenirs. Der beschauliche Küstenort in Butjadingen schlief noch.

Langsam ging sie weiter, ließ das Ausflugsschiff und den Schuppen der Seenotretter hinter sich und erreichte die Stege mit den Krabbenkuttern. Die Holz- und Metallbäuche der Fischerboote glänzten grün, rot und blau. Einige Masten waren mit Wimpeln geschmückt, die leise im Wind flatterten.

Herrlich, dachte sie, und setzte sich auf eine Bank, um in aller Ruhe das Panorama zu genießen. Vorsichtig öffnete sie den Schraubverschluss ihrer Thermoskanne und goss heißen Tee in einen Becher. Ein schwacher Duft nach Minze stieg empor. Sie war froh, dass sie sich für eine Woche Nordseeküste entschieden hatte. Hier würde sie nach den stressigen Wochen seit Jahresbeginn ein wenig zur Ruhe kommen können. Sicher, sie mochte den Ruhrpott mit seiner hektischen Betriebsamkeit, war dort zu Hause. Aber ab und zu brauchte sie eine Auszeit. Und zwar genau jetzt.

Sie hob den Blick, um einer Möwe hinterherzusehen, die lärmend um den Mast eines Kutters kreiste. Plötzlich blieben ihre Augen an etwas hängen, sie stutzte.

Weit oben in den Seilen des Schiffes hing etwas Großes, Unförmiges, das sich langsam hin und her bewegte. Ein Sack? Ein Teil von einem Segel? Sie kniff die Augen zusammen, um ihren Blick zu schärfen. Das Bündel mochte etwa zwei Meter lang sein, schätzte sie. Oben machte es einen Knick. Es sah fast aus wie ein …

Hannelore Schuster stockte der Atem. Der Tee hatte den Rand des Bechers erreicht, lief über und verbrühte ihre Finger. Doch sie schrie nicht auf.

Der Schock hatte sie erstarren lassen.

¦

Als Tomma Petersen in die Hafeneinfahrt in Fedderwardersiel einbog, musste sie feststellen, dass sie sich nicht als Einzige auf den Weg zu den Kuttern gemacht hatte.

Langsam lenkte sie den Wagen am Hafenbecken entlang, vorbei an zahlreichen Urlaubern, die neugierige Blicke in ihren silbernen Golf warfen. Für die Touristen war es mit der Idylle jetzt wohl vorbei.

«Sie haben Ihr Ziel erreicht», unterbrach die sonore Stimme des Navigationsgerätes ihre Überlegungen. Gedankenverloren stellte sie es aus. Hatte sie das wirklich? War es die richtige Entscheidung gewesen, sich um die Stelle in der Provinz zu bewerben?

Auf Höhe eines Lebensmittelgeschäftes stellte Tomma den Wagen ab, fuhr sich durch ihre langen Haare und atmete tief durch. Einen Moment noch blieb sie sitzen.

Sie hätte sich definitiv einen besseren Start in ihren neuen Job vorstellen können. Lieber wäre sie erst zur Dienststelle gefahren und hätte die Kollegen kennengelernt, statt sich gleich zu ihrem ersten Tatort zu begeben. Außerdem hasste sie es, vor einem starken Kaffee mit irgendjemandem reden zu müssen. Das ging wenn überhaupt nur mit einer Person, und die hatte sich Hals über Kopf aus ihrem Leben verabschiedet.

Tomma klappte die Sonnenblende runter und warf einen Blick in den kleinen Spiegel. Müde braune Augen, ein fast weißer Teint, ein blassroter Mund. Damit wenigstens ein bisschen Farbe in ihr Gesicht zurückkehrte, kniff sie sich kurz in die Wangen. Dann klappte sie die Sonnenblende wieder hoch, gab sich einen Ruck und sah auf ihre Notizen.

Der Tote hieß Eric Theurer, verriet ihr das Display des BlackBerrys. Er war Fischer, und sein Kutter lag hier in Fedderwardersiel. Eine Touristin hatte ihn heute Morgen gefunden. Tomma ließ ihren digitalen Assistenten wieder in die Jackentasche gleiten, stieg aus und schlug die Wagentür zu.

Zwei Polizeiwagen versperrten den Zugang zu dem Steg, an dem die Kutter lagen. Ein paar Schaulustige standen in kleinen Gruppen herum, sprachen leise miteinander und deuteten ab und zu mit dem Kopf in die Richtung der Beamten. Unerbittlich rotierte das Blaulicht eines Krankenwagens.

Als Tomma das letzte Mal in dem kleinen Hafen gewesen war, im Sommer vor drei Jahren, hatte es hier ganz anders ausgesehen – ruhig und friedlich. Zusammen mit Helma hatte sie erst einen Schiffsausflug zu den Sandbänken unternommen und dann im Hafen die Kutter beobachtet, wie sie nach und nach mit der Tide einliefen. Mit einer kleinen Tüte Krabben hatten sie sich schließlich auf eine Bank an der Hafeneinfahrt gesetzt und über Tommas Kurse an der Polizeiakademie und Helmas bevorstehende Pensionierung als Lehrerin gesprochen. Die frischen Granate schmeckten saftig und leicht salzig, und das Leben fühlte sich leicht an. Die untergehende Sonne wurde langsam von der Nordsee verschluckt – alles wie auf einer kitschigen Postkarte.

Von der damaligen Idylle war heute nichts mehr zu spüren. Tomma drängelte sich durch die aufgeregten Grüppchen und hob das rot-weiße Flatterband an, das die Schaulustigen von den Kollegen der Kripo trennte, als sich ihr jemand in den Weg stellte.

«Hier kann nicht jeder einfach so durch. Der Bereich ist abgesperrt.» Ein massiger Mann Ende fünfzig hob abwehrend eine Hand. «Gehören Sie zur Presse?»

Tomma zückte ihren Dienstausweis und hielt ihm das Dokument umständlich hin. Der Mann kam ihr riesig vor.

Mehrere Sekunden lang starrte er auf den Ausweis, dann streckte er ihr widerwillig die rechte Hand hin.

«Moin.» Sein Händedruck war kräftig, seine dunkelbraunen Augen beobachteten Tomma genau. «Ulrich Spandorff», schob er mit tiefer Stimme erklärend hinterher.

«Ich bin die Neue – guten Morgen!» Tomma musste den Kopf in den Nacken legen, um seinen Blick zu erwidern. Spandorff mochte an die zwei Meter groß sein und brachte sicher deutlich über hundert Kilo auf die Waage. Seine hellbraune Cordhose war abgewetzt und ausgeleiert, über seinem imposanten Bauch spannte eine blaue Wetterjacke, die sicher schon bessere Zeiten gesehen hatte. Auch Spandorff schien nicht taufrisch. Vermutlich hatte auch er sich einen schöneren Start in den Tag vorstellen können. Seine Stirn war gerunzelt, und unter seinen Augen lagen dunkle Schatten. Gedankenversunken kratzte er über seine rechte Wange, auf der ein grauer Dreitagebart schimmerte.

«Was wissen wir von dem Toten?», fragte Tomma und bemühte sich um einen professionellen Ton. Sie trat ein paar Schritte zur Seite, damit die Schaulustigen ihr Gespräch nicht mit anhören konnten.

«Fischer, dreiundzwanzig Jahre alt.» Spandorff war kurz angebunden. «Hing in der Takelage seines Kutters.» Dann fügte er noch unsicher hinzu: «Also im Tauwerk …»

«Schon klar.» Na, das ging ja gut los. Tomma ahnte, dass er ihr nicht viel zutraute. Das kannte sie schon, mit ihrem exotischen Äußeren sorgte sie oft für Irritationen.

Plötzlich zog Spandorff sie zur Seite, um zwei Männern Platz zu machen, die den Leichnam abtransportierten.

«Offenbar Selbstmord», brummte er. «Da drüben ist die, die ihn gefunden hat.» Mit einer vagen Handbewegung wies er zu einer Frau mittleren Alters, die mit einem uniformierten Beamten auf einer Bank saß und sich an dem Becher einer Thermoskanne festklammerte. Der Kollege hatte ihr eine Wolldecke besorgt und nickte ihr mehrfach aufmunternd zu, während sie auf ihre Hände starrte und stockend ihre Geschichte erzählte. Eine Geschichte, die sie in nächster Zeit sicher noch oft wiederholen würde.

«Weiß die Familie Bescheid?», fragte Tomma. «Hatte er eine Frau? Kinder?»

Spandorff schüttelte den Kopf. Mit seinen zotteligen Haaren, die wohl schon lange keinen Friseur mehr gesehen hatten, erinnerte er sie an einen zu groß geratenen Bernhardiner. «Der Kutter gehört seinem Vater, Eric wollte ihn bald übernehmen», sagte Spandorff.

«Kannten Sie ihn?»

Bei der Frage sah Spandorff Tomma nur ausdruckslos an. Daher versuchte sie es anders. «Wurden die Eltern informiert?»

Spandorff zündete sich langsam eine Zigarette an. «Das ganze Dorf weiß bereits Bescheid.» Er machte eine Pause. «Wir sind hier auf dem Land und nicht in Hannover. Oder in Oldenburg.»

Tomma schluckte. Okay, offenbar hatte er ein kleines Problem mit ihr als neuer Vorgesetzten. Aber war es vielleicht ihre Schuld, dass sie den Job als Chefin des ersten Fachkommissariats bekommen hatte und nicht er? Vielleicht hätte er in den letzten Jahren einfach mehr arbeiten sollen. Oder – wie sie bereits gehört hatte – weniger trinken.

«Na schön», erklärte sie und wedelte demonstrativ mit der Hand den Rauch in eine andere Richtung, «dann sprechen Sie doch jetzt am besten mit den Eltern. Ich kümmere mich um die anderen Fischer, vielleicht wissen die, warum Theurer sein Leben unerträglich fand. Ich schlage vor, in zwei Stunden treffen wir uns an meinem Wagen. Silberner Golf, Oldenburger Kennzeichen.»

Sie nickte Spandorff zu und bahnte sich dann den Weg zurück durch die Schaulustigen. An der Westseite des Hafens lagen die Boote der Fischer, dort wollte sie ihr Glück versuchen.

Der Wind hatte zugenommen, ließ die Kutter mit ihren Fangnetzen langsam hin und her schaukeln und zerrte an den bunten Flaggen, die an der Hafeneinfahrt gehisst waren. Vor dem nahegelegenen Supermarkt kippte ein Ständer mit qietschbunten Eimern und Förmchen um. Es würde ein unfreundlicher Tag werden.

Tomma zog den Reißverschluss ihrer Jacke höher und verschränkte die Arme vor dem Körper, als ob sie dadurch die Kälte abwehren könnte. In einiger Entfernung fiel ihr ein Mann mit einer blauen Baseballkappe auf, der wild gestikulierend bei einer Gruppe Fischer stand und offenbar ziemlich aufgebracht war. Sie trat hinzu und stellte sich kurz vor.

«Haben Sie Eric Theurer gut gekannt?» Tomma warf einen Blick in die Runde.

Schweigen. Einige der Männer nickten.

Tomma entschied sich, gleich in die Vollen zu gehen. «Können Sie sich vorstellen, warum er seinem Leben ein Ende gesetzt hat?»

Schließlich meldete sich ein Mann zu Wort. «Wir wissen doch alle, warum er sich aufgeknüpft hat», sagte er. Im Gegensatz zu den anderen Fischern trug er keine Wollmütze, sondern eine Baseballkappe. Seine blauen Augen fixierten die fremde Gesprächspartnerin genau.

Fragend hob Tomma die Augenbrauen.

«Thies Frerichs», stellte er sich vor. «Der Kutter hinter Ihnen gehört mir.» Stolz wies er auf ein rotes Holzschiff, das den Namen Likedeeler trug.

«Was hatte Theurer denn für Probleme?»

«Dieselben wie wir alle», sagte Frerichs und zeigte in die Runde. «Uns Fischern steht das Wasser bis zum Hals.»

«Warum?»

«Lesen Sie keine Zeitung?» Er verschränkte die Arme vor der Brust.

«Können Sie bitte einfach meine Fragen beantworten?»

«Ach, wir werden doch seit Jahren verarscht. Der Priel verschlickt, und wir kommen nicht mehr in den Hafen.» Seine Augen blitzten. «Denen in Brüssel fallen jedes Jahr neue Verordnungen ein, eine bescheuerter als die andere. Und jetzt pflastert man uns auch noch unsere Fanggründe dicht!» Sein Gesicht hatte sich rot verfärbt, an seiner rechten Schläfe pochte eine Ader.

«Womit denn?» Tomma holte ihr BlackBerry hervor.

Thies Frerichs schüttelte den Kopf, nahm seine Baseballkappe ab und fuhr sich durch sein dichtes braunes Haar. «Sie haben wirklich keine Ahnung, was? Sind ja auch nicht von hier.» Er musterte sie von Kopf bis Fuß. «Schon mal was von Offshore-Windenergie gehört?»

«Das ist ein dickes Geschäft», meldete sich ein weiterer Fischer zu Wort. Er stotterte ein wenig. «Erst sollten nur die Nordergründe dran glauben, aber jetzt sind auch die anderen Fanggebiete dran.» Als er Tommas fragenden Blick sah, ergänzte er: «Wenn die NR GmbH mit dem Bau anfängt, können wir die Kutter verschrotten und die Netze verscherbeln. Vielleicht will sie ja ’ne Strandkneipe haben.» Ein paar Fischer lachten verhalten.

«Und die geplanten Windparks sollen der Grund für Theurers Selbstmord sein?», fragte Tomma skeptisch.

«Wenn Sie was über die Windparks wissen wollen», warf ein bärtiger Mann ein, «sollten Sie bei Bol Harmsen vorbeifahren.»

Thies Frerichs nickte. «Ja», sagte er langsam, «er weiß auch, weshalb Eric sich umgebracht hat.» Er straffte die Schultern und zog seine Baseballkappe tiefer ins Gesicht. «Und er wird nicht der einzige Tote bleiben.»

¦

Die Telefonanlage auf Jochen Knappecks Schreibtisch blinkte.

«Der Redakteur vom Weser Tageblatt auf Leitung drei», seufzte seine Sekretärin, nickte ihm kurz zu und schloss die schwere Milchglastür hinter sich zu.

Knappeck bekam es nur mit halbem Ohr mit. Er stand hinter seinem Schreibtisch und war schwer gestresst. Dabei hatte der Tag so gut angefangen.

Er war früh aufgestanden, hatte eine halbe Stunde gejoggt und sich seit langer Zeit mal wieder die Zeit genommen, um mit seiner Familie zu frühstücken. Anschließend hatte er die beiden Kinder zur Schule gebracht und ihnen versprochen, nachmittags noch mal vorbeizuschauen, wenn sie für ein Theaterstück probten. Er war sich vorgekommen wie ein richtiger Vater, nicht wie ein Versorger, der das Geld ranschaffte und nur Projekte und Zahlen im Kopf hatte. Aber das musste er ja auch jetzt nicht mehr, denn die Planungen waren so gut wie abgeschlossen. Die Finanzierung stand.

Mit dem Vorfall im Hafen hatte sich das Blatt jedoch ganz plötzlich gewendet. Das musste ein schlechter Scherz sein. Wie die Geier hatten sich die Journalisten heute Morgen auf ihn gestürzt und ihn mit Fragen bombardiert.

Ächzend ließ er sich in den schwarzen Ledersessel fallen und nahm den Hörer ab.

«Knappeck.» Er wartete geduldig, bis der Journalist die Frage gestellt hatte. Eine Frage, die er an diesem Morgen schon dutzendfach beantwortet hatte. Widerwillig schüttelte er den Kopf, holte tief Luft und setzte zu seiner Standardantwort an.

«Der Tod des Fischers ist furchtbar und hat mich, meine Familie und das gesamte Unternehmen tief betroffen gemacht. Doch selbstverständlich steht der tragische Selbstmord dieses jungen Menschen in keinem Zusammenhang mit dem Offshore-Park. Ich spreche den Angehörigen mein aufrichtiges Beileid aus und wünsche ihnen viel Kraft in dieser schwierigen Zeit.»

Der Redakteur am anderen Ende der Leitung lachte trocken. «Das sind ja ganz neue Töne. Bisher war die NR GmbH nicht gerade zimperlich im Umgang mit den Fischern.»

Knappeck verdrehte die Augen. Offensichtlich hatte er es hier mit einem sehr ambitionierten Journalisten zu tun. Der Stimme nach zu urteilen, war der Mann auch noch recht jung.

«Es heißt», fuhr der Mann fort, «dass Eric Theurer wegen Ihres Windparks um seine Existenz fürchten musste. Offenbar fühlte er sich so bedroht, dass er –»

«Wie kann man bei einem derart umweltgerechten Projekt von einer Bedrohung sprechen?», unterbrach ihn Knappeck.

«Aber die Fischer gehen dort auf Krabbenfang, das wissen Sie genauso gut wie ich.»

«Wir haben doch Ausweichmöglichkeiten aufgezeigt. Hat meine Presseabteilung Ihnen die Unterlagen nicht zukommen lassen?»

Der Redakteur seufzte. «Doch, hat sie. Mich hätten allerdings viel mehr die Pläne für weitere Offshore-Parks in der Nordsee interessiert. Projekte, die der Küstenfischerei wahrscheinlich endgültig das Genick brechen.»

Knappeck lief es kalt den Rücken hinunter. Für einen Moment war er sprachlos. Wie hatte denn die Presse Wind von der Sache bekommen? Er ging zum Frontalangriff über. «Das sind doch absurde Behauptungen, die jeder Grundlage entbehren. Kompletter Blödsinn!» Knappeck zerrte an seinem Krawattenknoten, er bekam plötzlich schlecht Luft. «In zehn Jahren wird kein Hahn mehr danach krähen. Ein Fischer hat sich erhängt. Das ist zwar tragisch, steht aber in keinem Zusammenhang mit unserem Windpark-Projekt.»

Am anderen Ende der Leitung blieb es zunächst still. Dann fragte der Mann: «Darf ich Sie zitieren?»

«Nein, verdammt noch mal!» Wütend knallte Knappeck den Hörer auf das Telefon.

Knappeck starrte auf das Familienfoto, das neben dem Apparat stand. Langsam verrauchte seine Wut und machte einer tiefen Resignation Platz. Ein dumpfes Gefühl, das sich in jeder Faser seines Körpers ausbreitete. Er hatte die Fassung verloren, dabei hatte er genau das um jeden Preis vermeiden wollen.

Müde stand er auf und ging zu dem großen Panoramafenster, das den Blick freigab auf die Hunte, die ab Oldenburg auch für größere Kähne schiffbar war. Ein Binnenschiff zog mit einer Ladung Sand und Kies langsam vorbei. Knappeck hatte diesen ruhigen Platz am Fluss bewusst für seine Firma gewählt. Das Gebäude lag etwas abseits der Oldenburger Innenstadt im Grünen. Die Initialen der NR GmbH standen schließlich für «Natural Resources», und dazu gehörte neben Sonne natürlich auch Wasser. Das richtig dicke Geld jedoch, so viel hatte Knappeck gelernt, steckte im Wind. Genauer gesagt im Wind auf dem Wasser. In der Branche war in den letzten Jahren eine Goldgräberstimmung ausgebrochen, die die Politik mit ihren Energiegesetzen weiter angeheizt hatte. Und er war überzeugt davon, dass sich das Reaktorunglück im japanischen Fukushima als ein anhaltender Katalysator für den Boom erweisen würde.

Knappecks Hände zitterten, und er hatte noch immer das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Mit einer ruckartigen Bewegung griff er sich an den Hals und löste den Knoten seiner Krawatte komplett. Mit beiden Händen knetete er den Stoff. Langsam atmete er aus. Viele Jahre hatte er hart für seine Chance gearbeitet. So leicht würde er sich nicht ausbremsen lassen. Nicht von einem Fischer und nicht von der Presse, die sowieso nur das schrieb, was sich am besten verkaufen ließ.

Kapierten diese Leute es denn nicht? Er war einer von den Guten! Er war derjenige, der dem gefährlichen Atomstrom saubere Windenergie entgegensetzte. Und nun sollte er der Buhmann sein? Jahrelang hatte er sich abgerackert, Gutachten gesammelt, Genehmigungen eingeholt, Kapital beschafft. Das würde er sich nicht von einem labilen Nachwuchsfischer und auch nicht von einem überambitionierten Redakteur kaputt machen lassen!

Trotzdem kam es ihm immer noch so vor, als hätte er eine Schlinge um den Hals. Wütend feuerte er die Krawatte in die Ecke und riss an seinem Hemdkragen, bis sich die oberen Knöpfe lösten und er endlich mehr Luft bekam.

Sein Blick wanderte zum massiven Schreibtisch, zu dem Foto seiner Familie und weiter zur Telefonanlage. Die Leitung blinkte schon wieder.

In dem Moment öffnete auch schon seine Sekretärin fast lautlos die Tür, wies stumm auf das Telefon und verschwand gleich darauf wieder. Leise fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.

Knappeck warf einen Blick aufs Display – und erschrak. Regungslos blieb er stehen und starrte auf die Ziffern. Die Nummer kannte er auswendig. Fast wünschte er sich, es sei wieder irgendein Pressemensch, den er mit ein paar Phrasen und deutlich mehr Selbstbeherrschung als beim letzten Gespräch abservieren konnte.

Er biss sich auf die Unterlippe. Was auch immer dieser Anrufer gerade jetzt von ihm wollte, es war nebensächlich. Die Frage war vielmehr: Wie weit würde er gehen, um zu bekommen, was ihm seiner Meinung nach zustand?

Knappeck wusste es nicht. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Hörer abzunehmen. Er würde es gleich ohnehin erfahren.

¦

Ächzend ließ sich Spandorff auf den Beifahrersitz fallen, während die junge Frau neben ihm, die sich Hauptkommissarin schimpfte, den Zündschlüssel herumdrehte. Wortlos schaltete sie das Navi ein und gab die Adresse des Kommissariats ein. Dann lenkte sie den Golf aus dem Hafengebiet, bog am Ende der Sielstraße links ab und fuhr zügig in Richtung Burhave. Spandorff beachtete sie nicht, sie verließ sich einzig und allein auf die blecherne Stimme aus dem schmalen Gerät.

Das war also Tomma Petersen. Spandorff war enttäuscht. Er hatte sich seine neue Kollegin irgendwie anders vorgestellt.

Seine Chefin mochte knapp über einen Meter sechzig groß sein. Sie war fast so dünn wie diese abgemagerten Spargelmädchen, die er aus der Werbung kannte. Ihr Kleidungsstil erinnerte ihn an den seiner Töchter: schmale Jeans, schwarze Lederjacke und eine Tasche, die sie quer über eine Schulter gehängt trug.

Aber das war es nicht, was ihn am meisten irritierte und dafür gesorgt hatte, dass er so lange auf ihren Dienstausweis starren musste. Tomma Petersen war Asiatin! Sie hatte ein rund geformtes Gesicht, pechschwarze Haare und mandelförmige braune Augen. Wer so aussah wie sie, hieß nicht Tomma Petersen. Wer so aussah, passte eher in ein Sushi-Restaurant als in ein norddeutsches Polizeikommissariat.

«Alles in Ordnung?»

Ihre Stimme riss Spandorff aus seinen Gedanken.

«Sicher.» Verlegen sah er aus dem Fenster und ließ seinen Blick über die Weiden schweifen, auf denen Kühe grasten. Ihre monotonen Kaubewegungen und ihre stoische Art hatten etwas Beruhigendes. Ab und zu tauchten ein Haus und ein paar Bäume am Straßenrand auf, ansonsten hatte man freie Sicht.

Das war einer der Gründe, warum Spandorff noch immer hier lebte. Es gab Zeiten, da wäre er fast weggegangen, in eine größere Stadt, in eine andere Region. Doch jedes Mal, wenn die Überlegung konkreter wurde, hatte er einen Rückzieher gemacht. Er gehörte einfach in die Wesermarsch. Hier wusste er, wie die Menschen tickten. Was hatte er damals noch zu seiner Frau gesagt? Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Evelyn war allerdings wie so häufig anderer Meinung gewesen: «Du bist noch nicht mal fünfzig!» Zu alt für einen Neuanfang, hatte er entgegnet, und sich einen Whiskey eingegossen. Sie hatte noch einige Minuten im Raum gestanden und ihn angestarrt. Dann war sie wortlos aus dem Zimmer verschwunden. Und einige Wochen später auch aus seinem Leben.

Das monotone Geräusch der Scheibenwischer holte Spandorff zurück in die Gegenwart. Leichter Nieselregen hatte eingesetzt, die Baumkronen bogen sich im Wind.

Unauffällig warf er seiner neuen Chefin einen Seitenblick zu.

Das war also die Allzweckwaffe, die der Polizeidirektor in den höchsten Tönen gelobt hatte. «Sie wird ein bisschen frischen Wind in die Dienststelle bringen», hatte Klaus Sturm gesagt und etwas von «Verjüngungskur der Polizeiinspektion» gefaselt. Er hatte dabei dämlich gegrinst, ganz so, als hätte er mit ihrer Einstellung den Jackpot geknackt. Petersen ginge der Ruf voraus, äußerst genau und pünktlich zu sein. Außerdem mache sie sich nichts aus Hochprozentigem, hatte Sturm erklärt, und trinke am liebsten grünen Tee. Beim letzten Satz hatte er Spandorff einen vielsagenden Blick zugeworfen.

Natürlich hatte Spandorff die Klappe gehalten, obwohl er selbstverständlich wusste, worauf der Boss anspielte. Doch er ließ sich nicht provozieren. Er machte seinen Job gut. Besser als mancher Kollege, der zu jeder Dienstbesprechung als Erster zur Stelle war, die Berichte fehlerfrei ablieferte und immer erreichbar war. Irgendwann würde er die Möglichkeit bekommen, sich zu beweisen, das wusste Spandorff.

Und diese Chance würde er nutzen.

Sturm hatte damals weiter über sein Wunderkind doziert. Sie habe einen hervorragenden Abschluss der Polizeiakademie Niedersachsen und diverse Zusatzseminare in Hannover absolviert. Sie freue sich nun auf ihren ersten Fall in der Wesermarsch.

Na, das hatte sie ja eben schon erfolgreich bewiesen. Verbissen starrte Spandorff durch die Windschutzscheibe. Wie einen Idioten hatte sie ihn am Hafen stehen lassen und war mit ihrem komischen elektronischen Ding in der Hand weggestakst. Eine dünnhäutige Zicke war sie, die andere Leute gerne herumkommandierte.

Aber mit ihm würde das nicht so laufen, das konnte sie sich abschminken! Spandorff knetete seine Hände. Zugegeben, er war nicht gerade ein gerissener Wolf, eher ein gutmütiger, etwas altersschwacher Hund, nachdem ganz gerne mal getreten wurde. Aber beißen konnte er immer noch – wenn er musste.

«Was wussten denn die Eltern von Eric Theurer noch zu berichten?», kam es ungeduldig vom Fahrersitz.

Spandorff vergrub seine Hände in der Wetterjacke und ließ sich Zeit mit der Antwort. «Das Übliche. Sie hätten ja keine Ahnung gehabt von seinem Zustand. Er hätte doch mit ihnen über alles reden können und so weiter. Aber die Angst vor Veränderungen in den Fanggründen, die wird er auch bei seinem Vater mitbekommen haben.»

Fragend sah ihn Tomma Petersen an. «Die Angst vor einem Windpark?»

Spandorff nickte.

«Das haben die anderen Fischer auch gesagt», fügte sie noch hinzu und lauschte dann wieder den Anweisungen des Navis.

Kurz darauf bog sie rechts ab auf einen Parkplatz, der an das rote Klinkergebäude der Nordenhamer Polizeidienststelle grenzte. Mit einer zackigen Handbewegung stellte sie das Gerät aus, dann parkte sie den Wagen und zog wieder ihr BlackBerry aus der Tasche.

Spandorff seufzte. Diese Frau mochte fit im Umgang mit der neusten Technik sein und alle Prüfungen mit Bestnoten abgelegt haben. Aber ob sie auch wusste, wie man einen Fall löste?

¦

Geesa Frerichs atmete schwer. Sie legte den Löffel aus der Hand und stützte sich auf die kühle Platte neben dem Herd. Der Dampf stieg ihr dennoch in die Augen.

War ihre erste Schwangerschaft auch so beschwerlich gewesen? Sie biss die Zähne zusammen und sah aus dem Fenster. Ihr Blick wanderte über den Deich und zu den Schafen, die über die Grasnarbe wateten. Möwen jagten durch den Wind. Vereinzelt kam die Sonne durch die Regenwolken und warf die ersten wärmenden Strahlen auf die nasse Grasfläche.

Was für eine Idylle, dachte sie. Wollte sie all das wirklich aufgeben?

Aus dem Flur drang ein Läuten an ihre Ohren. Wo war nur das verdammte Telefon? Langsam ging sie durchs Haus, das Klingeln wurde drängender.

Im Wohnzimmer stapelten sich alte Zeitschriften auf dem Esstisch. Spielsachen lagen achtlos auf dem Fußboden verstreut, und auf den Bilderrahmen hatte sich eine Staubschicht gebildet. Was für ein Chaos, dachte Geesa, nicht mal den Haushalt habe ich im Griff!

Endlich fand sie den schnurlosen Apparat.

«Ja, Frerichs?» Sie war außer Atem und musste sich setzen.

Am anderen Ende der Leitung war es still, lediglich ein leises Knacken war zu hören.

«Hallo? Mit wem spreche ich?» Keine Antwort, dafür wieder ein Knacken.

Schnell unterbrach sie die Verbindung und legte das Telefon auf den Zeitschriftenstapel. Eine Weile blieb sie regungslos sitzen und starrte ins Leere, unschlüssig, was sie nun tun sollte. Dann nahm sie das Telefon erneut zur Hand und klickte sich durch die Liste der angenommenen Gespräche. Von dem Anruf wurde keine Nummer angezeigt, wie beim letzten Mal.

Geesa spürte ein Ziehen im Magen und kaute auf ihrer Unterlippe. Entschlossen stand sie auf, drückte ihr Kreuz durch und ging wieder in die Küche.

Als sie wenig später hörte, dass die Haustür geöffnet wurde, straffte sie ihre Schultern und rief: «Ich bin in der Küche!»

«Hey!» Die Stimme ihres Mannes kam näher und war schließlich dicht neben ihrem Ohr. Sie spürte, wie sich seine Arme um ihren Bauch spannten und er die Hände fest unter ihrer Brust verschränkte. Er roch nach Seeluft, Schweiß und herbem Aftershave. Früher hatte sie das gemocht.

«Nicht, lass das.» Geesa stieß ihn zurück. «Mir geht’s nicht gut. Der Junior …» Sie ließ den Satz unvollendet, tippte kurz auf ihren Bauch und widmete sich wieder dem Topf. Mit einer Kelle schöpfte sie dampfende Suppe auf die Teller und trug sie zum Tisch.

Thies ließ sich auf die Eckbank fallen, feuerte seine Jacke auf einen Stuhl und grinste zufrieden.

«Kein Wunder!», sagte er, ohne den Blick vom Teller zu heben. «Das wird ein waschechter Fischer. Ein ganzer Kerl. Der macht schon mal Radau.» Er sah sie an und fuhr sich mit den Fingern durch seine braunen Haare, die ihm in langen Strähnen ins Gesicht fielen.

Geesa schwieg. Ihr Magen zog sich zusammen.

«Wenn er will», fuhr Thies fort, «kann er später den Kutter haben, dafür sorge ich.»

Nicht schon wieder!, dachte Geesa. Wie oft hatten sie die Diskussion geführt? Wie oft hatte er sie nicht zu Wort kommen lassen, nicht einmal angehört, was sie zu sagen hatte? Sie nahm einen Lappen, tauchte ihn in das heiße Spülwasser und begann, die Arbeitsplatte abzuwischen.

Thies redete noch immer von seinem Kutter und davon, dass sein Sohn eines Tages darauf seine Netze auswerfen würde. Doch irgendwann reichte es Geesa. Abrupt drehte sie sich um und sah ihren Mann direkt an.

«Du weißt doch, wie die Situation ist. Vielleicht solltest du einfach akzeptieren, dass –»

«Ich akzeptiere gar nichts!» Thies schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Ein Löffel fiel auf den Boden. «Die graben uns hier nicht das Wasser ab!» Hektische rote Flecken breiteten sich auf seinem Hals und in seinem Gesicht aus. Auf seiner Stirn glänzte der Schweiß. «Ich lass mich nicht mehr verarschen!»

Wenn er sich so in Rage redete, konnte man direkt Angst vor ihm kriegen, dachte Geesa. War er früher auch schon so gewesen? So aufbrausend und unberechenbar? Langsam, wie in Zeitlupe, ließ Geesa den Lappen ins Spülwasser gleiten und bückte sich nach dem heruntergefallenen Löffel.

Thies schimpfte weiter. «Aber jetzt ist Schluss!» Er atmete tief ein. «Ich treffe mich gleich noch mal mit Knappeck. Und er soll mir nicht wieder mit irgendwelchen dämlichen Umweltgutachten kommen! Ich werde ihn schon so weit kriegen, dass er den Windpark verhindert.»

«Was soll das denn werden – David gegen Goliath?» Geesa war die Diskussion leid. «Nächstes Jahr hast du deinen wichtigsten Fanggrund verloren, finde dich damit ab!»

«Das wird Knappeck nicht bringen.»

«Warum? Glaubst du, es kümmert ihn, dass Eric heute Morgen in der Takellage hing? Herrgott noch mal!» Geesa warf den Löffel derart schwungvoll ins Spülwasser, dass sie selbst etwas nass wurde. «Da werden Millionen im Meer versenkt! Den interessiert es doch nicht, ob ein paar Fischerfamilien bankrottgehen. Oder hast du einen schlauen Plan, von dem ich nichts weiß? Was willst du ihm denn schon bieten?»

«Etwas sehr Wertvolles.» Ihr Mann machte eine bedeutungsvolle Pause. «Mein Schweigen.»

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Mittwoch, 23. März Hochwasser: 3:16 Uhr/15:42 Uhr

Ein Freund vieler Worte war der bullige Kollege eindeutig nicht. Das hatte Tomma während der vergangenen Tage in der Polizeidienststelle feststellen müssen. Spandorff saß ihr zwar im Büro gegenüber, aber er hatte seinen alten Holzschreibtisch, der leicht nach Bohnerwachs roch, so weit wie möglich von ihrem abgerückt.

Die meiste Zeit war er in Unterlagen vertieft. Ab und zu kritzelte er etwas in sein abgegriffenes, in dunkelbraunes Leder eingeschlagenes Notizbuch und sah nur gelegentlich kurz auf, um sich dann wieder den Akten zuzuwenden. Spandorff telefonierte selten, der Computer war die meiste Zeit nicht mal hochgefahren, und mit Tomma sprach er nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ.

«Dann betrachten wir den Todesfall Theurer also vorerst als abgeschlossen?» Es war weniger eine Frage als eine Feststellung, aber ein weiterer Versuch, mit ihrem wortkargen Kollegen Kontakt aufzunehmen.

Spandorff warf ihr einen kurzen Blick über den Rand seiner halbrunden Lesebrille zu und schwieg beharrlich.

Bemüht geschäftig blätterte sie in dem Obduktionsbericht, der heute Morgen auf ihrem Schreibtisch gelegen hatte. Fazit: Keine Blutergüsse, keine Schleifspuren, keine Hinweise auf Fremdverschulden. Theurer schien außerdem kerngesund gewesen zu sein. War die Verzweiflung über seine berufliche Zukunft also wirklich so groß gewesen, dass sie ihn in den Selbstmord getrieben hatte? War ihm die Lage derart ausweglos erschienen?

Langsam goss Tomma sich einen Becher dampfenden grünen Tee ein. Gut, dass sie heute Morgen an die Thermoskanne gedacht hatte. Das Gebräu in der Kantine war ungenießbar. Der Vorgang wurde von Spandorff skeptisch beäugt.Tomma war das egal. Sie wollte jetzt Klarheit im Fall Theurer.

Bislang gab es viel zu wenig Anhaltspunkte für Theurers Freitod. Sie hatten keinen Abschiedsbrief von Eric gefunden, keine Hinweise in seinem privaten Umfeld, und Tomma wurde das Gefühl nicht los, die falschen Fragen gestellt zu haben. Sie startete einen weiteren Versuch. «Mir geht der Satz von diesem Thies Frerichs nicht aus dem Kopf.»

Spandorff hob den Blick. «Welcher Satz?»

«Na, dass Theurer nicht der einzige Tote bleiben wird. Was meinte er damit?»

Spandorff zuckte mit den Schultern. «Frerichs ist ein Wichtigtuer und Lautsprecher. Immer schon gewesen. Er vermutet überall Verschwörungen und legt sich mit jedem an, der ihm in die Quere kommt. Fragen Sie mal die Butjadinger Kollegen, wie oft sie in der Fischerstube Handgreiflichkeiten schlichten mussten, weil der selbsternannte Cheffischer sich wieder mal angegriffen fühlte und ausgeteilt hat.» Spandorff gähnte und warf einen Blick auf die Uhr über dem Türrahmen. «Außerdem ist ein Freitod nicht strafbar.»

Tomma spürte, wie die Ungeduld in ihr hochkroch. Die Art ihres Kollegen nervte sie, seine Lethargie machte sie aggressiv. Wenn sie jedoch ehrlich war, hatte er vermutlich recht. Sie hatten alles gründlich untersucht, alles getan, was möglich war. Eric Theurer hatte seinem Leben ein Ende gesetzt, einfach so.

Ihre Überlegungen wurden vom Klopfen an der Tür unterbrochen.

Polizeidirektor Klaus Sturm stand gut gelaunt im Türrahmen, einen schüchtern lächelnden jungen Mann im Schlepptau.

«Darf ich Ihnen Jurek Pajak vorstellen?» Sturm schob den Gast ins Zimmer und bugsierte ihn zu einem kleinen Schreibtisch, der eingezwängt zwischen einem Rollcontainer und dem Regal mit alten Akten stand.

Tomma legte den Bericht zur Seite und sah dem Polizeidirektor interessiert zu. Sturm war der optische Gegenentwurf zu Spandorff. Die Bügelfalte seiner hellen Stoffhose wirkte genauso akkurat wie seine exakt geschnittene Frisur. Sein schwarzes, streichholzkurzes Haar war zusätzlich mit Gel fixiert. Er mochte knapp über einen Meter achtzig groß sein und bewegte sich mit schnellen, schneidigen Bewegungen. Hätte er sich nicht für die Polizei entschieden, wäre sicher auch eine Karriere bei der Bundeswehr drin gewesen, schätzte Tomma. Aber dann hätte er auch im Dreck wühlen müssen, und dafür war Klaus Sturm nicht geschaffen. Das sagten zumindest die Kollegen, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand: «Was will man erwarten? Der Mann ist nicht mal ein ausgebildeter Kriminalbeamter», hatte Reimers von der Spurensicherung neulich in der Kantine geätzt und seinen Ärger mit einem großen Schluck Cola hinuntergespült. «Dafür kann der Sturm gut reden und jeden Ermittlungserfolg so verkaufen, als habe er den Tätern höchstpersönlich die Handschellen angelegt.» Tomma hatte in ihren viel zu dünnen Tee gestarrt und den neuen Boss halbherzig in Schutz genommen. Aber Reimers hatte nur gelacht. «Warte, bis er deinen ersten Tatort zertrampelt und wichtige Spuren zerstört. Sturm ist ein Marketingmann. Aber kein Bulle.»

Bisher hatte Tomma aber erst wenig von Sturm mitbekommen. Jetzt stand er breitbeinig im Zimmer und lächelte sie jovial an.

«Herr Pajak hat Kriminalistik studiert und arbeitet für die Kollegen der Policja in Swinemünde.» Er sprach das Wort extrem langsam und überdeutlich aus, als habe er Sorge, er könne sich daran verschlucken. «Unser Gast ist Computerspezialist und ein Meister der Recherche. Er möchte uns einige Zeit bei der Arbeit über die Schulter sehen, und Sie können ja mit Sicherheit Unterstützung benötigen, nicht wahr? Es wird unserer Dienststelle in Nordenham guttun, so ein bisschen Internationalität. Interessiert bestimmt auch die Presse.»

Sturm, der Marketingmann. Unter anderen Umständen hätte Tomma an dieser Stelle vermutlich gegrinst. Die Aussicht auf eine dritte Kraft in ihrem kleinen Büro war jedoch alles andere als komisch. Sie wollte gerade nachfragen, was das alles zu bedeuten hatte, da drehte sich Sturm auch schon zur Tür. Mit einem erhobenen Arm erstickte er jeglichen Protest im Keim.

«Also, bis die Tage», rief er und grinste schief. «Sie werden sich jetzt sicher erst mal gegenseitig beschnuppern wollen.»

Tomma war sprachlos. Man wollte ihr einfach ohne Rücksprache einen Praktikanten aufs Auge drücken?

Der junge Mann nestelte nervös am Ärmel seines Sweatshirts. Das Oberteil war ihm mindestens eine Nummer zu groß. Auch in den Rest seiner Kleidung schien er noch hineinwachsen zu wollen, denn alles schlackerte an seinem dünnen Körper. Die Beine steckten in ausgeleierten Jeans, und Tomma registrierte, dass ihm der Schritt fast in den Kniekehlen hing. Unter den Hosenbeinen lugten Turnschuhe hervor, die wohl mal weiß gewesen waren, mittlerweile aber auch als schlammbraun durchgehen konnten. Vervollständigt wurde sein eigenwilliges Outfit durch einen Panamahut, unter dem hellbraune Locken hervorquollen, die ungefähr dieselbe Farbe hatten wie seine großen Augen.

Trug man das jetzt so? Tomma fuhr sich durch die Haare. Wie alt mochte der Praktikant sein, Anfang zwanzig?

«Swinemünde?», fragte sie, nachdem sie sich etwas gefasst hatte.

«Unsere Partnerstadt in Polen», warf Spandorff seufzend ein und schob seine Brille zurück auf die Nasenwurzel. Doch statt den Neuling eines Blickes zu würdigen, glotzte er durchs Fenster ihres Büros im ersten Stock auf den Innenhof, in dem es nichts zu sehen gab außer zwei Kollegen, die an ihren Zigaretten zogen.

«Dziękuję», sagte der seltsame Gast und verlagerte sein Gewicht nervös von einem Bein auf das andere. Eine leichte Röte kroch vom ausgeleierten Rand seines dunkelblauen Sweatshirts bis zum Haaransatz.

Tomma überlegte. Vielleicht war es gar nicht schlecht, jemanden wie Jurek im Team zu haben. Er war jünger als sie, wollte etwas lernen und musste sich noch beweisen. Und im Gegensatz zu ihrem Kollegen Spandorff hatte er mit Sicherheit keine Probleme damit, Anweisungen von einer frischgebackenen Hauptkommissarin anzunehmen. Zumal sie vermutlich diejenige sein würde, die ihm ein Zeugnis über seinen Aufenthalt an einer deutschen Polizeiinspektion ausstellen würde. Und wer weiß, dachte sie, vielleicht konnte er ihnen wirklich mal bei Ermittlungen helfen.

«Dann mal auf gute Zusammenarbeit.» Sie lächelte ihn an.

«Danke.» Jurek erwiderte ihren Handschlag mit einem überraschend festen Händedruck.

«Wie lange bleiben Sie in Deutschland?»

«Ein halbes Jahr. Ich nehme an einem internationalen Austauschprogramm teil.» Jurek nickte mehrmals, während er sprach, und Tomma überlegte, ob er seine Äußerungen damit unterstreichen wollte. Sein Deutsch war jedenfalls hervorragend und seine Aussprache fast akzentfrei.

Das Telefon klingelte, und Tomma registrierte am Rande, dass Spandorff den Hörer abnahm.

«Woher können Sie denn so gut Deutsch?», fragte sie Jurek. «Von der Uni?»

Der Panamahut wechselte die Richtung. «Nein, ich habe hier Familie.» Jurek senkte die Stimme, wohl um Spandorff nicht zu stören, der kurze, abgehackte Sätze in den Hörer sprach. «Meine Mutter kommt aus Deutschland, und wir sind oft hier zu Besuch. Mein Onkel ist auch Polizist, in Bremen. Dort wird meine nächste Station sein.» Wieder nickte er eifrig, und sein Blick wanderte unschlüssig durch den Raum. Offenbar wusste er nicht mehr, was er sagen sollte.

Tomma beschloss, ihm erst mal seinen Schreibtisch zu zeigen. Sie fuhr den Computer hoch, der sich mit einem blinkenden «Willkommen» bei seinem neuen Nutzer meldete, und deutete Jurek, Platz zu nehmen.

Als er vor dem Bildschirm saß, schien Jurek aufzutauen. Er bewegte sich hier auf gewohntem Terrain. Sturm hatte bereits veranlasst, dass er einen Zugang bekam, der ihm den Zugriff auf bestimmte Bereiche des Rechners erlaubte. Tomma erklärte ihm den Aufbau in groben Zügen und schlug vor, dass er sich mit der neuen Technik erst mal vertraut machte. Wenn er Fragen habe, könne er sich jederzeit an sie wenden.

Freudiges Nicken.

Tomma wollte gerade zurück an ihren Platz gehen, als Spandorff den Hörer auflegte und die Stirn runzelte.

«Und?», fragte Tomma erwartungsvoll nach. «Was Wichtiges?»

Spandorff sagte jedoch nichts, sondern sah abwesend aus dem Fenster.

«Herrgott, machen Sie’s nicht so spannend, Spandorff!»

Der Blick ihres Kollegen war seltsam leer. «Es gibt einen weiteren Toten», sagte er leise. Pause.

«Wo?» Tomma stützte sich auf seinen Schreibtisch und beugte sich vor, als müsse sie ihm jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.

«Wieder an der Küste.» Pause.

«Wer?»

«Wieder ein Fischer.»

Tomma biss sich auf die Unterlippe. Dann hatte sie bei Eric Theurer vielleicht doch recht gehabt. Das Gefühl sagte ihr, dass mehr dahintersteckte. Sie spürte, wie ihre Fingerspitzen kribbelten und sich ihr Puls beschleunigte. «Verdammt, jetzt rücken Sie schon raus mit der Sprache! Ein weiterer Suizid?»

Spandorff stand auf, nahm seine Jacke vom Haken und schüttelte den Kopf. «Wohl kaum.»

¦

Der strahlende Frühlingstag bildete einen scharfen Kontrast zu dem Szenario, das sich ihnen in Fedderwardersiel bot.

Sie mussten erst eine Pforte öffnen, bevor sie über die Schafweide zu dem Bereich gelangten, der nun als Tatort abgesperrt war. Schon von weitem erkannte Tomma die Kollegen der Spurensicherung. Fast lautlos gingen die Männer in den weißen Schutzanzügen ihrer Arbeit nach, suchten den feuchten Boden nach Fasern ab, ließen Zigarettenkippen und herumliegendes Papier in kleinen durchsichtigen Plastikbeuteln verschwinden.

Tommas Blick fiel auf den leblosen Körper, der in etwa 30 Meter Entfernung zusammengekrümmt im Gras lag. Die Hose und die dunkelblaue Jacke waren mit einer dunklen Kruste Blut und Dreck beschmutzt. Neben dem Leichnam hockten drei Kollegen.

Einer der Männer trug Mundschutz und versuchte gerade mit einer Pipette Blut in ein durchsichtiges Röhrchen zu füllen. Als Tomma näher trat, sah er auf und warf ihr einen langen Blick zu. Seine Augen waren eisblau, wie bei einem Husky, dachte Tomma.

Ihre Finger waren kalt. Sie rieb sich die Hände und hielt plötzlich in der Bewegung inne, als sie den Mann erkannte, der vor ihr im feuchten Gras lag. Es war Thies Frerichs.

Tomma warf Spandorff einen fragenden Blick zu. Doch der Kollege zuckte nur mit den Schultern.

Das Gesicht des Toten war zum Himmel gerichtet, an dem an diesem Morgen keine Wolke vorbeizog. Es war geschwollen, eine Augenbraue aufgeplatzt. An einer Stelle seines Körpers war die Jacke hochgerutscht und gab den Blick auf den Oberkörper frei. Die Haut wies blaue Flecken auf.

Klack, klack, klack. Das stakkatoartige Geräusch holte Tomma aus ihrer Schockstarre. Ein Kollege durchbrach mit seiner Spiegelreflexkamera die Stille und hielt jedes Detail auf einem Chip fest. Als er fertig war, setzte er die Schutzkappe auf die Linse und gab einem weiteren Kollegen ein Zeichen. Offenbar hatte er seine Arbeit getan.

Tomma entdeckte nun auch Dr. Karl Berschat. «Und?», fragte sie den Rechtsmediziner, der seinen Koffer gerade zuklappte und sich ächzend aufrichtete.

Berschat war ein hagerer Mann Ende vierzig. Vorsichtig streifte er die durchsichtigen Plastikhandschuhe ab und wog unsicher den Kopf hin und her. «Den Todeszeitpunkt kann ich noch nicht genau bestimmen. Gestern Abend vermute ich, wahrscheinlich spät, nach zehn.»

Der Mediziner kaute Kaugummi und sah Tomma abwartend an.

«Woran ist er gestorben?»

Berschat ging wieder in die Hocke und beugte sich vorsichtig über den Toten. «Er hat Stichverletzungen am ganzen Körper. Insbesondere die im Brustbereich dürften tödlich gewesen sein.» Er wies auf Brust, Bauch und den rechten Oberschenkel.

«Also hat der Täter einfach auf ihn eingestochen?», meldete sich Spandorff zu Wort, der die Szene bisher stumm beobachtet hatte.

Der Mediziner zuckte mit den Schultern. «Ich muss ihn erst genauer untersuchen.»

Tomma betrachtete die mit Blut verkrusteten Einstichstellen und vermied es dabei, in Thies Frerichs’ bleiches Gesicht und seine ausdruckslosen Augen zu sehen. «Einige der Einstiche sehen sehr tief aus. Vielleicht waren die Verletzungen doch nicht so wahllos», überlegte sie laut. «Ist er an inneren Verletzungen gestorben oder verblutet?», fragte sie Berschat.

«Wie gesagt, dazu muss er erst auf meinem Tisch liegen.» Damit erhob sich der Rechtsmediziner und gab einem Kollegen ein Zeichen, um den Leichnam für den Transport zur Obduktion im rechtsmedizinischen Institut vorzubereiten.

Tomma sah sich um. Sattes Grün, überschwemmte Flächen, Schilf, das sich raschelnd im Wind bewegte. Die Wiese wurde zu einer Seite vom Wasser begrenzt, auf dem ein roter Kutter seine Netze ausgeworfen hatte. In der Ferne konnte sie die Umrisse der Containerterminals in Bremerhaven erkennen, weiter links führte der Blick aufs offene Meer. Einige Meter vom Leichnam entfernt markierte ein grünes Seezeichen die Einfahrt des Kutterhafens.

Im Gegensatz zu dem lauten Getümmel am Hafen, das Tomma bei den Befragungen zu Theurers Selbstmord begleitet hatte, war es hier ruhig, fast unnatürlich still. Ein Rundweg führte durch die Natur, weit und breit war jedoch keine Menschenseele zu sehen. Was hatte der Fischer in dieser Einöde gemacht?

«Wer hat Frerichs eigentlich gefunden?», fragte sie Spandorff, der noch immer schweigend neben ihr stand und es offenbar vorzog, die Szene nur zu beobachten.

«Ein Spaziergänger.» Und nach einer kleinen Pause fügte er noch hinzu: «Als Tourist hat man es dieses Jahr wirklich nicht leicht hier.»

Tomma ging auf seinen lahmen Scherz nicht ein. «Gab es eine Vermisstenmeldung? Von seiner Familie? Immerhin liegt er bereits seit gestern Abend hier, wenn Berschat recht hat.»

Spandorff schüttelte den Kopf und vergrub seine Hände noch tiefer in den Hosentaschen.

«Das ist doch eigenartig», gab Tomma zu bedenken. «Ich meine, selbst wenn er abends noch schnell auf ein Bier in die Kneipe ist und anschließend nicht nach Hause kam … Das müsste seine Frau doch bemerkt haben. Er war doch verheiratet, oder?»

Spandorff seufzte. «Mit Geesa. Die beiden haben ein Kind, Tim. Die Familie wohnt hier im Dorf.» Er drehte sich um und wies in Richtung einer Wiese, von der ein süßlicher Geruch in ihre Richtung strömte. «Aber wir sollten vielleicht erst mit der Frau reden, bevor wir hier Spekulationen anstellen.»

Tomma kniff die Augen zusammen. Sie spürte erneut Ärger in sich aufsteigen, entschied sich aber für eine andere Strategie. «Gute Idee, dann machen Sie das mal. Da muss ich ja nicht unbedingt dabei sein. Ich fahre zur Dienststelle und starte die Ermittlungen in die andere Richtung. Kontobewegungen, Handyabrechnungen, Lebensversicherungen – das Übliche.»

Spandorff sah sie ungläubig an.