Faustina - Jakob Wassermann - E-Book

Faustina E-Book

Jakob Wassermann

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Beschreibung

"Vor Jahren hatte in einem geselligen Kreis, in dem ich damals verkehrte, die junge C. viel Aufsehen gemacht. Abkömmling einer alten Adelsfamilie, hatte sie sich, kaum zwanzig Jahre alt, von dem Zwang und Drill ihrer Welt befreit, um, wie sie sich ausdrückte, 'selbst' zu leben. Die Ungebundenheit ihrer Lebensführung war in der Tat erstaunlich ... In dieser Zeit näherte ich mich ihr. Wir hatten uns ziemlich viel zu sagen. Faustina, so wurde sie meist kurzweg genannt, war geistreich, und was mehr ist, ihr Geist hatte Fundamente." Dann verschwindet sie urplötzlich und es dauert einige Zeit, bis der Erzähler sie zufällig auf der Straße wiedertrifft. Kurze Zeit später erhält er ein Billet von ihr mit der Aufforderung, sie zu einer bestimmten Abendstunde zu besuchen. In einer Vorstadtpension trifft er sie und dort ist es, dass sich zwischen beiden ein ganz einzigartiges Gespräch über die Liebe entwickelt. Zum Abschied reicht er ihr die Hand. "Sie sah mich an, und wundersam, ihr Auge war voll Fragen wie das eines kleinen Mädchens." Zwei Tage später ist sie aus der Pension verschwunden.-

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Jakob Wassermann

Faustina

Ein Gespräch über die Liebe

[erstmalig erschienen 1912]

Saga

Vor Jahren hatte in einem geselligen Kreis, in dem ich damals verkehrte, die junge C. viel Aufsehen gemacht. Abkömmling einer alten Adelsfamilie, hatte sie sich, kaum zwanzig Jahre alt, von dem Zwang und Drill ihrer Welt befreit, um, wie sie sich ausdrückte, »selbst« zu leben. Die Ungebundenheit ihrer Lebensführung war in der Tat erstaunlich. Eine Zeitlang kämpfte sie im größten Elend; plötzlich ging sie zum Theater, dort heiratete sie einen Schauspieler, von dem sie sich nach dreimonatlicher Ehe wieder trennte. Um Geld zu verdienen, übersetzte sie mittelmäßige Romane aus dem Französischen. Eines Tages hieß es, sie sei mit einem reichen Brasilianer verlobt und mit ihm in seine Heimat gereist. Aber schon nach Jahresfrist kam sie zurück, – ohne Brasilianer, leider genau so arm wie zuvor.

In dieser Zeit näherte ich mich ihr. Wir hatten uns ziemlich viel zu sagen. Faustina, so wurde sie meist kurzweg genannt, war geistreich, und, was mehr ist, ihr Geist hatte Fundamente. Sie war schön und sie war exzentrisch; nimmt man aber dies Wort in genauem Sinn, so hatte sie mehr Mittelpunkt als diejenigen, in deren Bezirk sie sich fremd erschien. Ob sie auch immer anziehend war, lasse ich dahingestellt; eine Fremde war sie durchaus, stets fremd, nie bürgerlich vertraut, höchstens seelisch verwandt. Zur Abenteuerin fehlte ihr die Skrupellosigkeit und um eine große Dame zu sein, war sie zu ruhelos und zu voll von Opposition.

Wieder eines Tages war Faustina verschwunden. Sie verabschiedete sich nicht einmal von mir. Niemand wußte, wohin sie gegangen war, und sie blieb verschollen. Man vergaß sie, auch ich verlor sie beinahe aus dem Gedächtnis. Da, wiederum nach Jahren, begegne ich ihr plötzlich auf der Straße. Sie gewahrt mich, sie zögert, ich mache Miene, sie anzureden, sie grüßt und geht weiter. Kurz darauf erhielt ich ein Billett von ihr mit der Aufforderung, sie zu einer bestimmten Abendstunde zu besuchen.

Sie wohnte in einer Vorstadtpension. Ich trat in ein Zimmer, das die übliche Halbeleganz fliegender Quartiere aufwies. Faustina war noch immer schön, aber wie von einem sich entlaubenden Baum kann man auch von dem Herbst eines menschlichen Gesichts sprechen. Ohne Zweifel las sie in meinem Gebaren, daß ihre lakonische Einladung eher geeignet war, Neugier zu erregen als an freundliche Beziehungen zu erinnern. »Die Sache ist die, daß ich ganz ausgehungert darnach bin, mit einem vernünftigen Menschen zu reden«, sagte sie. »Ich habe berechnet, daß ich seit siebzehn Monaten bloß mit Kellnern, Kutschern, Zimmervermieterinnen, Hausmeistern und Ladenmamsellen gesprochen habe. Das heißt doch leben, wie? Daß ich so viel Talent zur wandelnden Mumie besitze, wer hätte das gedacht.«

»Sie haben immer zu überraschen verstanden, Faustina«, versetzte ich ablenkend.

»Als ich Sie auf der Straße sah,« fuhr sie fort, »hatte ich ein Gefühl just wie Robinson, als er das erste Schiff vor seiner Insel gewahrte.«

»Und doch sind Sie davongelaufen, gar nicht wie Robinson, sondern wie Freitag, der scheue Wilde.«

»Ja; scheu bin ich geworden. Wenn ich wenigstens schreiben oder musizieren könnte Den Kunstdilettanten bietet die Welt immer noch Lockungen, und von allem, was im Menschen abzutöten ist, stirbt die Eitelkeit zuletzt. Aber leider, ich bin stumm geboren, und der bloße Kunstgenuß quält den Stummen manchmal mehr, als er ihn beruhigt.«

»Ich wundre mich, Faustina. Sie waren doch stets obenauf. Eine richtige, tüchtige Schwimmerin waren Sie. Haben Sie denn keine Arbeit, keine Betätigung mehr?«

»Ich finde es langweilig, zu arbeiten. Was kommt dabei heraus? Eine Art von Trunkenheit und Selbstbetrug bestenfalls. Arbeiten, wie das klingt Dem Leben mit Gewalt ein Versprechen abnötigen Ich brauche keine Versprechungen mehr, ich glaube an keine mehr. Vorläufig hab ich noch ein bißchen Kapital, meine Eltern sind nämlich gestorben, und man hat mir den Pflichtteil ausbezahlt. Aber von den Zinsen könnt ich nicht leben, das würde höchstens für eine Büchse Kaviar im Monat reichen.«

»Also ist am Ende Ihre Einsamkeit ein ökonomisches Prinzip?«

»Um Gottes willen, wer wird so philisterhaft denken.«

»Und da treiben Sie sich nun mutterseelenallein herum, ohne Genossin, ohne Freundin –?«

»Ach was, Freundin Ich habe keine Freundin, habe nie eine gehabt. Eine Frau hat niemals eine Freundin.«

»Aber die Freunde, Faustina Sie ließen mich einmal glauben, daß ich Ihr Freund sei.«

»So? Wirklich? Mag sein, doch ich ärgerte mich, daß Ihnen keinen Augenblick lang der Einfall kam, etwas anderes sein zu wollen.«

Sie lachte über mein verdutztes Gesicht und fuhr fort: »Spricht man hingegen nicht vom Freund, sondern von den Freunden, so muß ich gestehen, daß ich für solche Beziehungen nicht viel übrig habe. Die Freunde, das sind Wesen von einer geradezu lächerlichen Gefräßigkeit. Sie verdauen schneller als die Hühner, und sie bleiben immer mager, ihr Herz bleibt immer mager.«

»Dennoch, Faustina, mit Menschen verbunden zu sein, bleibt der schönste Vorzug des Menschen. Einen isolierten Zustand schadlos zu ertragen, dazu gehört schon eine ungewöhnliche Seelenstärke.«

»Mag sein, mag sein«, erwiderte Faustina, und sie lächelte unbestimmt vor sich hin.

»Offengestanden, hätte ich nicht erwartet, Sie so zu finden«, fuhr ich fort. »Ich dachte Sie mir in großen Erlebnissen. Eine Gestrandete, oder wie Sie sagen, einen Robinson, nein, das hatte ich nicht erwartet. Faustina unentflammt, Faustina ohne Liebe, ohne Verliebtheit, Faustina einsam, was hat das zu bedeuten?«

Sie sah mich lange schweigend an, bevor sie antwortete. »Was kann es andres zu bedeuten haben, bester Freund, als daß für Faustina keine Liebe mehr da ist? Fertig, Freund, fertig Abgewirtschaftet Die Rahel Varnhagen, die ja eine grundgescheite Person war, hat es einmal als besondere Genialität Goethes gepriesen, daß er im Wilhelm Meister die drei Frauen, die lieben können, – Marianne, Aurelie und Mignon, – sterben läßt; denn, sagte sie, es ist noch keine Anstalt für solche da. Sehr tiefsinnig: es ist noch keine Anstalt für solche da Sie schweigen? Sie meinen, ich lebe ja. Gewiß, ich lebe, aber wie, das sehen Sie doch. Ehemals, da spürte ich nur mein eigenes Feuer, jetzt empfinde ich die ganze Kälte des Zeitalters. Vielleicht ist es mein Mißgeschick, für eine Epoche geboren zu sein, in der die Liebe nur ein artistischer Begriff ist.«

»Verallgemeinerungen sind töricht. Man muß sich, Faustina, vor der Manier der Malkontenten hüten. Der Malkontente nämlich, das ist ein Mensch, der aus seiner persönlichen Unfähigkeit eine Weltanschauung macht.«

»Sie sind sehr deutlich, mein Lieber. Ich bin aber keine Malkontente. Malkontente opfern sich nicht.«

»Haben Sie sich denn geopfert?«

»Wenn es opfern heißt, zu lieben, wahrhaft zu lieben, sich wegzuwerfen –«

»Sich wegzuwerfen, das heißt nicht lieben und das heißt nicht sich opfern. Doch wir verstimmen uns im Wesenlosen. Erzählen Sie mir. Erzählen Sie mir von Ihrem bisherigen Leben. Es gibt nichts Überzeugenderes als das Erlebnis, Faustina, nichts Unbedingteres als die Art, wie ein Mensch von Erlebnissen sie vorzutragen weiß.«

»Um keinen Preis. Ich kann nicht von mir sprechen, solang Sie argwöhnen, daß ich meine persönlichen Enttäuschungen gewissermaßen an der Zeit rächen möchte.«

»Es ist schwer, liebe Freundin, und nicht einmal dem Glücklichen gelingt es, Zeit und Schicksal auseinanderzuhalten.«

»Was wäre auch zu erzählen«, versetzte Faustina. »Eine Geschichte wie hundert andere. Wenn ich Ihre Erwartungen in bezug auf meine Person betrüge, so ist das Ihre Schuld.«

»Sie sagen, Sie hätten geliebt und sich weggeworfen. Darin liegt mehr Schuld, als Sie glauben.«