Fear Street 17 - Tödliche Botschaft - R.L. Stine - E-Book

Fear Street 17 - Tödliche Botschaft E-Book

R.L. Stine

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Beschreibung

Jemand hasst dich! Eigentlich freut sich Josie auf den ersten Valentinstag mit ihrem neuen Freund. Doch aus der Vorfreude wird kalte Angst: Statt heimlicher Liebesschwüre schickt ihr ein Unbekannter Grußkarten mit schrecklichen Morddrohungen. Am Valentinstag soll Josie sterben. Wer ist der Unbekannte? Und warum will er sie töten? – Was zunächst wie ein harmloser Scherz aussieht, wird plötzlich grausige Wirklichkeit …Der Horror-Klassiker endlich auch als eBook! Mit dem Grauen in der Fear Street sorgt Bestsellerautor R. L. Stine für ordentlich Gänsehaut und bietet reichlich Grusel-Spaß für Leser ab 12 Jahren. Ab 2021 zeigt Neflix den Klassiker Fear Street als Horrorfilm-Reihe!

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Prolog

Es war ein schöner, sonniger Tag, als der schreckliche Unfall geschah.

Erica McClain sah aus dem Rückfenster des Autos hinaus, wie die Häuser und Vorgärten an ihr vorüberzogen. Auf der Straße lagen schon die ersten abgefallenen Blätter, und im Vorbeifahren sah sie an den Ahornbäumen einige rote und gelbe Flecken zwischen dem grünen Laub aufblitzen. Diese Farbtupfer waren das einzige Zeichen dafür, dass der Sommer sich seinem Ende zuneigte.

Melissa Davis bog mit dem Auto in die Old-Mill-Road ein und trat das Gaspedal ihres Sportwagens kräftig durch. Der blaue Firebird röhrte laut auf. „Ich freu mich schon aufs Reiten“, sagte sie.

„Ich mich auch“, erwiderte Josie McClain. Sie saß neben Melissa auf dem Beifahrersitz und drückte auf den Knöpfen des Autoradios herum.

„Es ist ein wundervoller Tag für einen Ausritt“, fügte Rachel McClain hinzu, die neben Erica auf dem Rücksitz saß, und beugte sich zwischen den Vordersitzen nach vorne. „Kannst du mal aufhören, ständig den Sender zu wechseln?“, motzte sie Josie an. „Das nervt.“

„Aber die spielen überall nur Quatsch“, beschwerte sich Josie.

„Dann leg eine CD ein“, schlug Rachel vor.

„Die CDs hab ich vergessen“, meinte Melissa und scherte aus, um einen langsameren Van zu überholen.

Josie schaltete sich stur weiter durch die Sender.

Erica musste grinsen. Manchmal benahmen sich ihre zwei älteren Schwestern Josie und Rachel echt wie Kleinkinder.

Die beiden waren Zwillinge – auch wenn es nicht den Anschein hatte. Sie waren sechzehn und bezeichneten sich selbst als die „Anti-Zwillinge“, weil sie so verschieden waren.

Rachel hatte ein schmales, hübsches Gesicht, auffallend helle Haut und große olivgrüne Augen. Die kupferroten Haare, die sie meist offen trug, reichten ihr bis zur Taille.

Trotz ihrer feuerroten Mähne war Rachel diejenige mit dem kühlen Kopf. Ihre Stimme war sanft und leise – man konnte meinen, sie würde flüstern–, und ihre Handlungen stets wohlüberlegt. Rachel war eine Schönheit, und sie war es gewohnt, alles zu bekommen, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Sie ging selbstbewusst und leichtfüßig durchs Leben – und wusste, wo sie hinwollte.

Die dunkelhaarige Josie mit ihren blitzenden schwarzen Augen war sehr temperamentvoll, ihre Launen unberechenbar. Obwohl sie und Rachel sich gut verstanden, versuchte Josie immer, sich von ihrer Zwillingsschwester abzugrenzen.

Sie trug ihre Haare kurz, an ihren Ohren baumelten meist lange, klimpernde Ohrringe, und sie hatte den ganzen Sommer über in der Sonne gebraten, um braun zu werden, während Rachel bleich wie Elfenbein blieb.

Rachel ging gerne shoppen und war immer topmodisch gekleidet, Josie dagegen sah man selten in etwas anderem als Jeans und T-Shirt.

Dass sie Schwestern waren, erkannte man eigentlich nur daran, dass sie ständig aneinander rummeckerten, ohne sich wirklich böse zu sein, ging es Erica durch den Kopf.

Denn trotz all dieser Unterschiede standen sich Josie und Rachel sehr nah – und manchmal war Erica ein wenig eifersüchtig deswegen. Erica war vierzehn, aber ihre Schwestern behandelten sie immer, als wäre sie gerade mal sechs!

Umso erstaunter war sie gewesen, als Rachel sie gefragt hatte, ob sie zum Reiten mitkommen wolle. „Vielleicht“, dachte Erica, „nehmen sie mich jetzt auch endlich für voll, wenn ich auf die Shadyside High komme, und tun nicht mehr so, als wäre ich eine nervige Landplage.“

„Der Typ im Stall ist echt süß“, schwärmte Josie gerade Melissa vor. „Ich meine den, der für die Zuteilung der Pferde zuständig ist. Ist der dir letztes Mal aufgefallen?“

Melissa schüttelte den Kopf. „Wie heißt er denn?“, wollte sie wissen und hielt an einer roten Ampel an. Melissa war ein hübsches, quirliges Mädchen mit langem rabenschwarzem Haar.

„Chuck, glaube ich“, antwortete Josie. „Aber ich war so von seinen blauen Augen fasziniert, dass ich seinen Namen nicht richtig mitbekommen habe. Wenn er lächelt, hat er total niedliche Grübchen. Da musst du unbedingt drauf achten. Ich glaube, er wollte mich fragen, ob ich mal mit ihm ausgehe. Aber dann ist eine Frau mit dem Fuß im Steigbügel hängen geblieben, und er musste ihr helfen.“

Rachel lachte. „Wie romantisch“, sagte sie ironisch. „Wird dir das nicht irgendwann langweilig, immer hinter irgendwelchen Jungs herzulaufen?“

„Klappe!“, murmelte Josie.

„Erica, hast du einen Freund?“, fragte Melissa und sah sie im Rückspiegel an.

Erica merkte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Dass sie aber auch immer so schnell rot anlaufen musste! „Nein, nicht wirklich“, sagte sie leise und sah konzentriert zum Fenster hinaus. Sie kaute hektisch auf ihrem Kaugummi herum, machte eine kleine Blase und saugte sie dann wieder in den Mund.

„Dann kommst du dieses Jahr also in die neunte Klasse, oder?“, wollte Melissa wissen.

„Genau. Jetzt bin ich auch endlich in der Highschool“, antwortete Erica.

„Hoffentlich kriegst du nicht den Anderson“, meinte Melissa, die Augen noch immer auf den Rückspiegel geheftet. „Der ist echt mies.“

Melissa war genauso alt wie die Zwillinge. Sie war Josies beste Freundin, aber schon immer sehr nett zu Erica gewesen, denn sie sprach mit ihr, als würde sie sich wirklich für sie interessieren und in ihr nicht nur die lästige kleine Schwester sehen. Praktischerweise wohnte sie genau gegenüber der McClains in der Fear Street. So hatten sie und Josie sich auch kennengelernt.

Der Wald, durch den sie gefahren waren, ging auf einmal in hügelige grüne Wiesen über, die von Holzzäunen begrenzt waren. Ein verwittertes Holzschild kündigte den Shadysider Reitklub an.

Melissa bremste und bog auf einen Parkplatz ein. Staub wirbelte von den Autoreifen auf. Hinter dem Koppelzaun konnte Erica mehrere Pferde erkennen, die mit gebeugten Köpfen grasten.

Am anderen Ende des Parkplatzes befand sich ein graues Stallgebäude aus Schindeln. Dahinter führte ein Feldweg über eine Wiese und verlor sich in der Ferne in einem Wald.

Erica schob Josies Sitz nach vorne und stieg aus. Schnell schirmte sie die Augen gegen das grelle Sonnenlicht ab. „Wartet auf mich!“, rief sie Melissa und ihren beiden Schwestern nach, die schon über den Parkplatz auf das weit geöffnete Stalltor zuliefen.

„Hey, Chuck! Chuck!“, rief Josie und winkte einem blonden jungen Mann in Jeans und verwaschenem blauen Hemd zu, der zwei Pferde am Führstrick hinter sich herzog. Er blieb stehen, um die Mädchen zu begrüßen.

Als Erica den anderen in den Schatten vor dem Stallgebäude folgte, verwandelte sich ihre Aufregung plötzlich in Angst.

„Ahh!“

Erschrocken schrie sie auf, als eines der Pferde den Kopf zurückwarf und laut wieherte.

„Eigentlich will ich gar nicht reiten“, durchzuckte es Erica.

Auf einmal kamen ihr die Pferde unheimlich groß vor.

Erica war nicht sonderlich sportlich. Josie war das Sportass in der Familie. Sie hatte schon ein paar Tennisturniere gewonnen, schwamm wie ein Fisch, spielte außerdem gern Football und lief im Winter Schlittschuh.

„Warum bin ich überhaupt hierher mitgekommen?“, fragte sich Erica. Im Gegensatz zu ihren Schwestern war sie nicht sonderlich mutig, ging jedem Risiko aus dem Weg. Am liebsten stand sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden.

Sie ließ sich etwas zurückfallen, als Melissa, Josie und Rachel Chuck in den Stall folgten und fröhlich mit ihm schwatzten und lachten. Er sah wirklich toll aus, das musste sie zugeben. Josie hatte einen guten Geschmack, was Jungs anging.

Dabei hatte Josie schon einen festen Freund – Jerry Jenkman, der von allen aber nur Jenkman genannt wurde. Allerdings überlegte Josie, sich von ihm zu trennen. Sie wechselte die Freunde wie die Unterwäsche, dachte Erica und musste schmunzeln.

Erica beobachtete, wie Josie Chuck im Gespräch behutsam die Hand auf die Schulter legte. „Da stehen die Jungs drauf“, hatte sie Erica einmal erzählt. „Sie denken dann, dass man total auf sie abfährt.“

Chuck hatte vier Pferde für sie aus den Boxen geholt und an einem Pfosten im Stall angebunden. Jetzt nahm er Satteldecken und Sättel von einem hohen Stapel an der Wand.

Erica sah ihm von der Stalltür aus zu und merkte, wie sich vor Angst ihr Magen zu einem dicken Knoten zusammenkrampfte. „Allein der widerliche Gestank hier drin“, dachte sie.

Chuck fragte die Mädchen, ob es ihnen etwas ausmachen würde, die Pferde selbst zu satteln. Er lächelte und hastete aus dem Stall, um draußen Neuankömmlinge in Empfang zu nehmen.

„Erica, wie wär’s mit dem Rappen für dich?“, fragte Josie. „Komm her! Warum stehst du immer noch an der Tür rum?“

Zögernd lief Erica über den mit Stroh bedeckten Boden zu den anderen. „Ich … ich glaube, ich reite lieber doch nicht“, sagte sie, die Augen starr auf das schwarze Pferd gerichtet, das Melissa am Strick hielt. Es hatte seine Augen weit aufgerissen, und die Nüstern bebten. Als Erica näher kam, scheute es leicht.

Erica fand, dass es wie ein Monster aussah. Wie ein grässliches Monster der Finsternis.

„Was?“ Rachel blickte ihre jüngere Schwester erstaunt an, während sie eine Fliege von ihrer blassen Stirn verscheuchte.

„Du willst nicht reiten?“, wiederholte Josie ungläubig.

„Ich habe Bauchschmerzen“, sagte Erica leise und setzte eine Leidensmiene auf.

„Soll ich lieber bei dir bleiben oder dich nach Hause fahren?“, fragte Rachel, und in ihrer Stimme lag echte Besorgnis.

„Rachel, sie hat doch nur Schiss“, murmelte Josie und sah Erica genervt an.

„Nein, stimmt gar nicht“, beharrte Erica. „Ich würde gerne mit euch ausreiten. Echt.“

„Erica, wir reiten alle nicht sonderlich gut, wenn du dir deswegen Sorgen machst“, schaltete sich Melissa mit einem Seitenblick auf Josie ein. „Josie und ich sind auch erst ein einziges Mal ausgeritten. Aber erzähl das bloß nicht Chuck. Dem haben wir nämlich weisgemacht, dass wir uns bestens mit Pferden auskennen.“

„Ja, wir machen auch langsam“, versprach Josie.

„Vielleicht fühle ich mich ja bald besser“, meinte Erica. „Dann komme ich nach.“ Sie hasste sich selbst dafür, dass sie so überängstlich war, aber sie konnte nichts dagegen tun. Außerdem verursachte ihr der Stallgeruch tatsächlich Übelkeit.

Josie wollte noch weiter diskutieren, doch Melissa winkte ab. „Wenn wir jetzt nicht losreiten, ist unsere Stunde rum“, beschwerte sie sich und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

„Du hast recht“, stimmte Josie eilig zu und wandte sich von Erica ab. „Kommt, satteln wir endlich die Pferde. Schnell.“ Sie nahm das Zaumzeug des Rappen von einem Haken. „Bis später, Erica.“

Erica sah ihnen mit gemischten Gefühlen zu. Auf der einen Seite war sie ungeheuer erleichtert darüber, dass ihre Schwestern nicht darauf bestanden hatten, dass sie mitkam, aber zugleich war sie auch enttäuscht von sich selbst. Und zornig, dass sie nicht versucht hatte, ihre Angst zu überwinden. Sie ließ sich auf eine Holzbank an der Innenwand des Stalls sinken, verschränkte die Arme vor der Brust und atmete möglichst flach, um den beißenden Stallgeruch nicht so tief einzuatmen.

Rachels Pferd, ein großer kastanienbrauner Wallach, scharrte unruhig mit den Hufen, als Rachel sich mit dem Sattelgurt abmühte. „Kannst du mir kurz helfen?“, bat Rachel Josie und trat einen Schritt zurück. „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das so stimmt.“

Josie zäumte ihr Pferd fertig und schob Rachel beiseite, während sie eine Fliege von ihrem Arm verscheuchte. Dann schloss sie den Sattelgurt für ihre Schwester. „Ruhig, mein Junge, ganz ruhig. Was hast du denn?“ Sie legte eine Hand auf den Hals des Pferds. „Du bist ja genauso aufgeregt wie Erica. – Hab ich Rachels Sattel richtig festgezurrt, Melissa?“

Melissa hatte ihr Pferd, einen weiß gescheckten Wallach, schon nach draußen geführt und war aufgesessen. „Also, soweit ich das von hier aus beurteilen kann, sieht’s gut aus“, rief sie in den Stall. „Beeilt euch. Sonst vertrödeln wir hier unsere ganze Zeit.“

Rachel führte ihr Pferd hinaus, setzte ihren linken Fuß in den Steigbügel und griff nach dem Sattelhorn, um sich hinaufzuziehen. Ein Zittern durchlief den mächtigen Pferdekörper, dann schlug der Wallach kräftig mit dem Schweif – es klang wie ein Peitschenknall. „Brr! Ganz ruhig“, rief sie überrascht und ließ sich wieder auf den Boden gleiten. „Warum hat er das gemacht?“

Josie und Melissa lachten.

„Nimm’s nicht persönlich“, zog Josie sie auf.

„Wahrscheinlich hat ihn gerade eine Bremse gestochen oder so“, erklärte Melissa.

Rachel packte wieder das Sattelhorn, trat mit dem Fuß in den Steigbügel und versuchte es noch einmal. Diesmal gelang es ihr, sich auf den Pferderücken zu ziehen.

„Tadaa!“, trällerte sie lächelnd und warf den Kopf zurück, sodass ihr langes rotes Haar über ihren Rücken wallte.

„Wo ist deine Reitkappe?“, fragte Melissa Rachel.

„Psst! Sei leise. Ich hasse die Dinger. Aber es müssen ja nicht alle mitkriegen, dass ich ohne Kappe reite.“

„Na, dann nichts wie weg!“, drängte Josie und gab ihrem Pferd mit einem Schenkeldruck das Zeichen zum Losgehen. Die Zügel hielt sie fest in der Hand. Ihr Pferd führte den Trupp an, als sie langsam über den Hof zu dem Feldweg hinter den Stallungen ritten.

Der schmale Pfad führte über eine Wiese, auf der das hohe Gras sachte im Wind hin und her wogte. Das laute, durchdringende Zirpen der Grillen erinnerte an eine Hochspannungsleitung.

Rachels Pferd fiel in einen langsamen Trab. Es bestimmte seine Gangart selbst, als ob es das alleinige Sagen hätte. Josie und Melissa zügelten ihre Pferde, um sich Rachels Tempo anzupassen.

„Es ist wunderschön hier“, sagte Rachel, während sie den Kopf in den Nacken legte und nach oben sah, wo die langen Nadeln der Baumkronen in der Sonne schimmerten.

Melissa nickte. „Ich kann nicht glauben, dass die Ferien schon vorüber sein sollen.“

„Aber es ist so“, stöhnte Josie. „Gestern war ich im Einkaufszentrum, um mir eine neue Jeans für die Schule zu kaufen, und die halbe Shadyside High war auch da.“

„Hast du eigentlich heute Abend schon was vor?“, fragte Melissa Josie. „Gehst du mit Jenkman aus?“

Josie schnitt eine Grimasse. „Ja, wahrscheinlich.“ Dann breitete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus. „Es sei denn, Chuck will was mit mir unternehmen.“

„Das ist nicht dein Ernst!“, rief Melissa. „Du willst mit Jenkman Schluss machen?“

„Warum nicht?“, meinte Rachel. „Die beiden sind immerhin schon seit fast einem Monat zusammen.“

„Ha, ha“, machte Josie ironisch. „Du bist doch nur eifersüchtig, Rachel, weil ich schon so viele Freunde hatte. Du und Luke, ihr seid wie ein altes Ehepaar.“

„Überhaupt nicht!“, widersprach Rachel. Ihr Pferd wurde wieder schneller und lief fast lautlos über den von Kiefernnadeln bedeckten Waldboden.

„Wie lange bist du schon mit Luke zusammen? Ist es eine Sandkastenliebe?“, fragte Melissa Rachel.

„Seit wir auf der Highschool sind“, meinte Rachel und streckte ihr die Zunge heraus.

„Wie langweilig!“ Josie gähnte. Sie drückte die Schenkel fester gegen die Seiten ihres Pferdes, um es anzutreiben und zu Rachels Wallach aufzuschließen.

„Luke ist alles andere als langweilig“, verteidigte sich Rachel und bemühte sich, im Rhythmus mit ihrem Pferd zu bleiben, das nun in Galopp gefallen war. „Nimm das zurück, Josie!“

„Mit Dave wird es auch nie langweilig“, schaltete sich Melissa ein.

„Nicht zu fassen, dass du immer noch mit Dave Kinley gehst“, meinte Josie trocken. „Wie kommt es eigentlich, dass du dir ständig meine abgelegten Verehrer aussuchst, Melissa?“

Melissa grinste. „Du hast so viele Exfreunde, Josie, dass es fast unmöglich ist, einen Jungen zu finden, mit dem du noch nichts hattest.“

Rachel und Melissa lachten, während Josie schwieg.

„Du wirst Dave auch noch abschießen“, sagte Josie mit ernster Stimme zu ihrer Freundin. „Genauso wie ich. Wirst schon sehen. Er ist einfach total unreif.“

„Wenn es nach dir geht, sind alle unreif“, erwiderte Melissa, und ihr Lächeln erlosch. „Aber ich mag Dave wirklich. Manchmal ist er zwar ein bisschen verrückt…“

„Kindisch“, fiel Josie ihr ins Wort.

„Es gibt Schlimmeres als das“, rief Rachel dazwischen.

„Ach, was denn zum Beispiel?“, wollte Josie wissen.

„Hört auf mit dem Gelaber, ich will endlich richtig reiten!“, drängelte Melissa ungeduldig. „Wir können später besprechen, wer kindisch ist und wer nicht.“

Josie und Rachel verstummten. Schweigend ritten die drei Mädchen hintereinander über den schmalen, gewundenen Waldweg. Im Schatten der hohen Bäume fand nun ab und an ein Sonnenstrahl den Weg hinunter bis zu ihnen.

Die einzigen Geräusche waren das Rauschen der Bäume und das gedämpfte, gleichmäßige Trommeln der Hufe. Melissa merkte, wie das rhythmische Geschaukel, das beständige Hufklappern und der Wechsel von Schatten und Licht sie in eine Art Trance versetzten. Ihre Gedanken schweiften zu Dave ab. Was ihn anging, lag Josie falsch, wie sie fand. Josie war zwar eine gute Freundin, aber in ihrem Urteil über andere Leute lag sie oft daneben.

Melissa war schon klar, warum Josie Dave Unreife unterstellte. Er hatte eine ungebändigte, wilde Seite und konnte genauso kindisch und unberechenbar sein wie Josie selbst.

Ganz offenbar kamen die beiden nicht gut miteinander aus, weil sie sich zu ähnlich waren.

Beide neigten auch zur Grausamkeit, ging es Melissa durch den Kopf. Zum Beispiel hatte Josie wirklich auf übelste Art und Weise mit Dave Schluss gemacht und ihn damit tief verletzt.

Sie hob die Augen und sah zu Josie, die einige Schritte vor ihr ritt. Von hinten betrachtete sie das kurze dunkle Haar ihrer Freundin, das bei jeder Bewegung unter der Reitkappe auf und ab wippte.

Anscheinend war es Josie egal, ob sie Jungs verletzte, dachte Melissa. Dabei konnte sie einfühlsam und fürsorglich sein, wenn sie wollte. Melissa hatte sie durch eine harte Zeit geholfen, und zu ihren Schwestern Erica und Rachel war sie für gewöhnlich sehr liebevoll.

Aber wenn sie erst einmal beschlossen hatte, einen Jungen abzusägen, dann zog sie es gnadenlos durch. Als ob der Typ ein Spielzeug wäre, das man einfach so wegwarf.

Melissa sah, wie Rachel weit vorne kräftig die Zügel ihres Wallachs anzog. „Brr!“, rief sie. „He, mach mal ein bisschen langsamer, Pferd!“

Rachel warf die langen Haare zurück, und blickte sich zu ihren Begleiterinnen um. Auf ihrer Miene lag ein besorgter Ausdruck. „Ich kriege ihn nicht in den Griff“, rief sie ängstlich.

„Zieh die Zügel fester an!“, schrie ihr Melissa über das laute Hufgetrappel hinweg zu.

„Brr, brr!“

Der Hund kam wie aus dem Nichts. Er war groß und grau – irgendein Hirtenhund – und rannte direkt auf Rachel zu.

Melissa konnte ihn nicht sehen, bis Rachels Pferd mit einem erschrockenen Wiehern stieg. Es bäumte sich auf, zog die Vorderbeine an und warf den Kopf nach hinten.

Mit Entsetzen beobachtete Melissa, wie der Sattel sich vom Rücken des Wallachs löste.

Sie und Josie schrien auf, als der Sattel vom Rücken des Pferdes flog und Rachel, wild mit den Armen fuchtelnd, herauskatapultiert wurde.

Als das Pferd wieder mit den Vorderhufen auf die Erde kam, schlug Rachel mit einem grässlichen dumpfen Geräusch auf dem Boden auf.

Der Hund begann wie wild zu bellen.

Das Pferd wieherte erneut. Seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen, die Nüstern bebten. Dann ging es durch und raste in Richtung Stall zurück.

Rachel lag ausgestreckt mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Reglos.

„Sie ist mit dem Kopf aufgekommen!“, kreischte Josie. „Melissa, Rachel ist mit dem Kopf auf den Boden geschlagen!“

„Josie!“, schrie Melissa und rang nach Atem, während sie gleichzeitig darum kämpfte, ihr Pferd im Zaum zu halten. Sie hatte das Gefühl, der Boden würde schwanken. „Josie, hol Hilfe! Reite zum Stall! Hol Hilfe!“

Josie reagierte nicht. Sie starrte auf Rachels reglosen Körper hinab.

„Josie! Hol endlich Hilfe!“

Doch Josie schien Melissa nicht zu hören.

„Sie ist mit dem Kopf aufgeschlagen!“, wiederholte sie immer wieder, die dunklen Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. „Sie ist mit dem Kopf aufgeschlagen. Mit dem Kopf!“

1

Februar, ein halbes Jahr später

„Brr!“

Melissa spürte das Donnern der Hufe unter sich.

Es fühlte sich so kräftig an, so mächtig und stark. Die Hufschläge donnerten durch die Dunkelheit. Das Pferd war ihr durchgegangen und galoppierte schnell wie der Wind.

Sie hatte die Kontrolle über das Pferd verloren.

Unter ihr spannten sich seine Muskeln an, und Melissa hörte sein lautes, gleichmäßiges Atmen, spürte seine Wärme und roch seinen Schweiß.

„Brr! Bitte!“

Schneller und immer schneller galoppierte es.

Nach vorne gebeugt, krallte sie sich in die Mähne des Tieres. Ihre langen rabenschwarzen Haare flogen hinter ihr im Wind.

„Hilfe! Hört mich denn keiner?“, schrie Melissa.

Sie presste sich noch enger an den Hals des Tieres, um sich im Sattel zu halten.

„Hilfe!“

Noch immer wurde sie im wilden Galopp durchgeschüttelt, als jemand sie am Arm berührte und ihren Namen rief.

„Melissa, wach auf!“

Doch das Pferd raste weiter.

Sogar als jemand laut Melissas Namen rief und sie kräftig schüttelte, galoppierte das Pferd weiter.

Dann schlug sie die Augen auf.

„Melissa. Du hast wieder geträumt“, sagte ihre Mutter sanft und sah im blauen Dämmerlicht ihres dunklen Zimmers besorgt auf sie hinunter. „Du hast wieder schlecht geträumt, mein Schatz. Wach auf.“

MrsDavis nahm ihre Tochter in die Arme. Ihr Nachthemd roch süßlich nach Parfüm.

„Das Pferd ist mir durchgegangen“, flüsterte Melissa, löste sich aus der Umarmung und ließ sich auf ihr feuchtes Kissen zurücksinken. „Ich … war kurz davor zu stürzen.“

„Der Unfall liegt jetzt fünf Monate zurück, und du hast immer noch Albträume davon“, sagte MrsDavis sanft. Sie beugte sich vor und schaltete die Nachttischlampe ein.

Melissa blinzelte in den grellen gelben Lichtkegel. „Ja. Fünf Monate ist es schon her…“, sagte sie düster.

Das Pferd verblasste im hellen Lampenlicht. Der Rhythmus seiner Hufe ging im Rauschen einer eisigen Windböe unter, die durch das leicht geöffnete Fenster hereinfegte.

„Immer und immer wieder derselbe Traum“, sagte Melissa und zog sich die Decke bis zum Kinn. „Es ist sogar immer das gleiche Pferd.“

Ihre Mutter stand auf und schloss das Fenster.

„Irgendwann werden die Albträume aufhören“, sagte sie leise. Sie kam zurück zum Bett, sah liebevoll auf Melissa herab und strich ihr behutsam eine dicke schwarze Haarsträhne aus der Stirn.

„Hast du Josie und Rachel in letzter Zeit einmal wieder getroffen?“, fragte MrsDavis und zog sich die Ärmel ihres Nachthemds über die Handgelenke.

Melissa nickte. „Ich besuche Rachel, sooft es geht“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Ich glaube, sie freut sich, mich zu sehen. Aber es ist schwer zu sagen. Sie spricht fast nichts. Starrt einen nur an.“

„Ts, ts, ts.“ Ihre Mutter schüttelte traurig den Kopf, in ihren Augen standen Tränen.

„An manchen Tagen scheint es Rachel ganz gut zu gehen“, fuhr Melissa nachdenklich fort, „und ich habe das Gefühl, sie versteht, was man sagt. Aber manchmal, wenn ich sie besuche, redet sie so komisches Zeug, weißt du. Total wirr. Und dann … dann glaube ich, sie weiß nicht mal, wer ich bin.“

„Wie schrecklich.“ Mrs