Fertighäuser brennen besser - Jürgen Weidling - E-Book

Fertighäuser brennen besser E-Book

Jürgen Weidling

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Beschreibung

Helen Reiser, eine ordnungsliebende Powerfrau, ist bei Schülern und Kollegen als perfekte Pädagogin anerkannt. Eine "Schwäche" kann sie allerdings nicht verbergen: Sie fühlt sich zu Markus Runge hingezogen, einem durchaus nicht unumstrittenen Kollegen. Einem langhaarigen Lebenskünstler, der offen zugibt, lieber Gedichte zu schreiben und sich als Hobbyphilosoph zu betätigen anstatt sich seiner Unterrichtsvorbereitung zu widmen. Bei dieser Unterschiedlichkeit der beiden Charaktere kann Beziehungsstress nicht ausbleiben. Ein Zustand, mit dem sich die erfolgs-gewohnte Lehrerin nicht abfinden will. Sie fasst daher den Entschluss, ihre fast schon "olympiareife" Begabung dazu einzusetzen, den chaotischen Träumer Markus in einen heiratsfähigen Realisten mit beruflichem Ehrgeiz umzuerziehen. Kurz und gut: Die erfolgsgewohnte Power-frau möchte aus der allzeit verträumt dreinblickenden Künstlernatur Markus einen lebenstauglichen Mann machen: Ihren Traummann! Die Umerziehungsbemühungen der Frau haben auch Erfolg. Allerdings mit einem anderen Ergebnis, als sie es sich vorstellte. Das Buch erzählt nicht nur die Geschichte eines Paares, das nur schwer zueinander finden kann. Es geht in heiter besinnlicher Form vor allem auch um Erlebnisse bei der Verwirklichung eines Bauvorhabens. Die Erfahrungen von Markus bei der Finanzierungsplanung, dem Grundstückserwerb sowie dem Kauf und Bau eines Fertighauses, sind in ihrer teils satirischen Darstellung eine informativ unterhaltsame Pflichtlektüre für Bauinteressenten sowie alle Leser mit Humor.

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Jürgen Weidling

Fertighäuser brennen besser

Das Buch:

Helen Reiser, eine ordnungsliebende Powerfrau, ist bei Schülern und Kollegen als perfekte Pädagogin anerkannt. Eine „Schwäche“ kann sie allerdings nicht verbergen: Sie fühlt sich zu Markus Runge hingezogen, einem durchaus nicht unumstrittenen Kollegen. Einem langhaarigen Lebenskünstler, der offen zugibt, lieber Gedichte zu schreiben und sich als Hobbyphilosoph zu betätigen anstatt sich seiner Unterrichtsvorbereitung zu widmen. Bei dieser Unterschiedlichkeit der beiden Charaktere kann Beziehungsstress nicht ausbleiben. Ein Zustand, mit dem sich die erfolgsgewohnte Lehrerin nicht abfinden will. Sie fasst daher den Entschluss, ihre fast schon „olympiareife“ Begabung dazu einzusetzen, den chaotischen Träumer Markus in einen heiratsfähigen Realisten mit beruflichem Ehrgeiz umzuerziehen. Kurz und gut: Die erfolgsgewohnte Powerfrau möchte aus der allzeit verträumt dreinblickenden Künstlernatur Markus einen lebenstauglichen Mann machen: Ihren Traummann! Die Umerziehungsbemühungen der Frau haben auch Erfolg. Allerdings mit einem anderen Ergebnis, als sie es sich vorstellte.

Das Buch erzählt nicht nur die Geschichte eines Paares, das nur schwer zueinander finden kann. Es geht in heiter besinnlicher Form vor allem auch um Erlebnisse bei der Verwirklichung eines Bauvorhabens. Die Erfahrungen von Markus bei der Finanzierungsplanung, dem Grundstückserwerb sowie dem Kauf und Bau eines Fertighauses, sind in ihrer teils satirischen Darstellung eine informativ unterhaltsame Pflichtlektüre für Bauinteressenten sowie alle Leser mit Humor.

Der Autor:

Jürgen Weidling, geboren 1947, studierte Rechtswissenschaften in Tübingen und arbeitete mehr als 37 Jahre bis Februar 2013 als Richter an einem Gericht in Süddeutschland.

2. Auflage 2023 Copyright © 2023 by Jürgen Weidling, Neckartenzlingen Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung und Illustrationen im Innenteil: jus friends design, Schwäbisch Gmünd ISBN 978-3-746062662

1.Kapitel: Die Wette

Ob Helen heute wieder pünktlich um 15 Uhr kommen wird? Für Gabi war das keine Frage. Sie kannte Helen schon seit ihrer Schulzeit. Und fast ebenso lange wie sie sich kannten, trafen sie sich regelmäßig am Mittwochnachmittag zu einem gemütlichen Beisammensein bei Kaffee und Kuchen. Nur Urlaub, Krankheit oder unaufschiebbare dienstliche Verpflichtungen wurden als Entschuldigung für ein Fernbleiben anerkannt.

Gabi wurde durch das Klingeln ihrer Freundin in ihren Überlegungen unterbrochen. In ihrem enganliegenden beigen Kostüm sah die dezent geschminkte Helen mit ihren langen hellblonden Locken eher wie eine Fernsehmoderatorin als wie eine Studienrätin aus.

„Deine unaufdringlich elegante Aufmachung entspricht einmal mehr deinem Motto ‚Gepflegte Kleidung, Ordnung und Fleiß sind der erste Schritt auf dem Weg zu einer perfekten Pädagogin’“, begrüßte Gabi lachend ihre Freundin. Ohne ein weiteres Kompliment Gabis zuzulassen, begann diese sofort zu sprechen:

„Oh Gabi, ich glaube Markus fehlt mir mehr, als ich es bisher zugeben wollte.“

„Aber du weißt doch, dass Markus schon in drei Wochen aus den USA zurückkommen wird! Du hast ihm doch auch empfohlen, sich als Begleitlehrer bei dem Schüleraustausch mit einer High-School in Springfield/Oregon zur Verfügung zu stellen!“

Helens Freund unterrichtete als Lehrer für Deutsch und Englisch an einem Gymnasium in Baden-Württemberg. Mit seinem Vollbart und schulterlangen Haar sah er eher wie ein Künstler und nicht wie ein Beamter aus. Und diesem Aussehen entsprechend gehörte die Beschäftigung mit philosophischen Fragen zu seinen liebsten Freizeitaktivitäten.

Bei seinen Schülern war er als liebenswerter, begabter Pädagoge bekannt, der allerdings in dem Verdacht stand, lieber eigene Gedichte zu schreiben als sich seiner Unterrichtsvorbereitung zu widmen.

Demgegenüber galt Helen als Powerfrau, die mit ihrem Perfektionismus bei vielen Kollegen und allen Vorgesetzten als vorbildliche Kollegin anerkannt war. Aber auch bei ihren Schülern war die hochbefähigte Lehrerin für Deutsch und Geschichte beliebt. Gekonnt motivierte sie ihre Schüler zu weit überdurchschnittlichen Leistungen und bot kostenlosen Zusatzunterricht vor dem Abitur an. Die Abiturienten erkannten ihr regelmäßig das Prädikat “Beste Lehrerin der Schule“ zu.

Nicht nur ihre Freundin Gabi hatte allerdings von Anfang an bezweifelt, ob die Verbindung zwischen dieser Powerfrau und einer Künstlernatur wie Markus Zukunft haben kann. Gabi scheute sich nicht, gerade heute solche Bedenken Helen gegenüber zu äußern:

„Darf ich ehrlich zu dir sein, Helen? Meiner Meinung nach passt ihr beide überhaupt nicht zueinander. Ich kann bis heute nicht verstehen, was dir an diesem Chaoten so gut gefällt.“

„Natürlich wäre mir ein ordnungsliebender tatkräftiger Realist lieber als ein verträumter Hobbyphilosoph wie Markus. Aber ich fühle mich trotzdem zu diesem philosophierenden Träumer mit ungepflegten langen Haaren und einem Vollbart hingezogen. Ich glaube mein Beziehungsproblem ist unlösbar“, seufzte Helen.

„Glaube ich nicht!“ erwiderte Gabi mit Nachdruck. „Aber bevor ich Dir die Lösung für dieses Problem verrate, muss ich leider eine Bedingung stellen.“

„Und wie lautet die? Um eine Lösung für mein Beziehungsproblem zu erfahren, wäre ich selbst zu einem Verbrechen bereit!“

„Du musst erst einmal eine Tasse Kaffee mit mir trinken und zwei Stücke von meinem bekannt guten Apfelkuchen probieren.“

„Mache ich, Gabi! “zeigte sich Helen erleichtert.

Gabi verschwand eilig in der Küche ihres Appartements und erschien kurze Zeit später mit einer Kanne voll von köstlich duftendem Kaffee und einem Teller mit Apfelkuchen. Nachdem sie Helen eine Tasse Kaffee eingeschenkt hatte, begann sie:

„Du bist doch eine erfolgsgewohnte Pädagogin mit den Fächern Englisch und Deutsch. Dir brauche ich wohl kaum die Tipps und Tricks zu verraten, deren Kenntnis für eine erfolgreiche Erziehungsarbeit unerlässlich ist. Wie wäre es denn, wenn du deine fast schon olympiareife pädagogische Begabung dazu verwendest, den chaotischen Träumer Markus zu einem erfolgsorientierten Realisten zu machen? Um die Sache spannender zu machen, schlage ich dir folgende Wette vor: Gelingt es dir, Markus innerhalb von zwanzig Wochen umzuerziehen, werde ich dich zu einem Luxusmahl in einem Drei-Sterne-Restaurant einladen.“

„Und wenn meine Bemühungen scheitern?“

„Dann wirst du Dich endlich von Markus trennen und diesen unendlichen Beziehungsstress beenden! Einverstanden?“

„OK!“ versprach Helen mutig und fügte etwas kleinlaut hinzu: “Markus ist immerhin schon 35 Jahre alt. Mit Schülern in diesem Alter habe ich bisher noch keine Erfahrungen sammeln können; keine Erfahrungen im pädagogischen Bereich, meine ich natürlich. Aber ich kann es ja einmal versuchen.“

„Um eine Lösung für mein Beziehungsproblem zu erfahren,

wäre ich selbst zu einem Verbrechen bereit!“

Im Traumland USA

Es ließe sich trefflich darüber streiten, ob es mehr Last oder Lust bedeutete, als verantwortlicher Lehrer die Schönstädter Gymnasiasten für über vier Wochen in die USA zu begleiten. Für den Lehrer Markus Runge erfüllte sich mit dem achttägigen Aufenthalt in San Francisco, der zu dem Austausch gehörte, ein langgehegter Traum. Ein Besuch der Gefängnisinsel Alcatraz, eine Fahrt mit den Cable Cars und ein Spaziergang durch Chinatown waren unvergessliche Erlebnisse. Der letzte Tag des Aufenthalts in der Stadt stand zur freien Verfügung. Die Schüler erkundeten die Stadt, bestaunten die Golden Gate Bridge, die San Francisco mit Marin County verbindet und ausnahmsweise nicht in Nebelschwaden gehüllt war oder schauten Straßenkünstler in der Nähe von Fisherman’s Wharf zu. Für Markus stand ein Besuch im Golden Gate Park, einer der größten amerikanischen Parkanlagen, auf dem Programm. Er glaubte, in dem über 400 Hektar großen Gelände ein ruhiges Plätzchen finden zu können, und sah auch bald eine geeignete Wiese, legte sich hin, schloss die Augen und genoss die Wärme der kalifornischen Sonne.

„Ich werde jetzt ins Gefühlskino gehen“, sagte er zu sich und lächelte bei dem Gedanken, welche abwertenden Kommentare seine Freundin Helen abgab, als er ihr vor längerer Zeit einmal von solcherart ‚Kinobesuch‘ berichtete: „Gehe lieber öfter mit mir ins Kino!“, hatte sie ihn getadelt, hatte ihren Freund zugleich liebevoll angeschaut und ihn als unverbesserlichen Träumer bezeichnet. „Ich bin ein Träumer“, hatte er zugegeben und erklärt: „Meine Träumereien sind oft schöner und aufregender, als es ein Kinofilm je sein kann.“

Hier in dem großen Park, so hoffte er, würde es niemanden geben, der ihn stören würde. ‘Gefühlskino‘, das bedeutete für Markus Erinnerungen nachzuerleben und damit verbundene Gefühle nachzuempfinden. Die erste Liebe als Teenager, der unvermeidliche Trennungsschmerz, als die erste Beziehung zerbrach. Wehmut bei dem Gedanken an beendete Freundschaften und Freude über den Beginn neuer. Mit dem bisherigen Verlauf seines Lebens konnte er eigentlich zufrieden sein. Als Lehrer bezog er ein gesichertes Einkommen. Ihm blieb ausreichend Zeit für seine zahlreichen Hobbys wie etwa Lesen, Gedichte schreiben, Freunde besuchen oder einfach auf dem Sofa liegend zu faulenzen und Musik zu hören. ‚Wissensvermittlung ist wichtig! Bedeutsamer ist es jedoch, die Entwicklung der Persönlichkeit zu fördern‘, war seine Überzeugung. Er sah seine wichtigste Aufgabe als Deutschlehrer darin, den Schülern seine eigene Freude am Lesen zu vermitteln und die Begeisterung für kreatives Schreiben zu wecken. „Jeder, der sein Leben bewusst gestalten will, sollte zumindest den Versuch machen, regelmäßig ein Tagebuch zu schreiben“, empfahl er stets seinen Schülern. „Nicht jeder muss ein großer Literat werden. Aber das Aufschreiben von Erfahrungen und Erlebnissen kann eine wichtige Hilfe bei der Problembewältigung und einer erfolgreicheren Zukunftsgestaltung sein.“ Diese Einsichten wollte er den Schülern weitergeben. Oft mit geringem Erfolg, wie er sich selbstkritisch eingestand.

Doch ehe Markus sich seinen Träumen hingeben konnte, wurde er gestört. Er hörte mit Missfallen, wie sich mehrere Personen, die sich lautstark unterhielten, seinem Platz näherten. Aus einem Kofferradio schallte der Song ‚Nothing compares to you‘ in der Version mit Sinead O'Connor zu ihm herüber. Markus hatte nichts gegen diese Art von Musik, auch wenn er das Flötenkonzert Nummer zwei von Mozart oder Clair de Lune von Claude Debussy vorzog. Eigentlich erschien ihm hier im Park die Lautstärke der Musik erträglich, jedenfalls nicht so unerträglich dröhnend wie bei den Schulpartys, bei denen er sich vorher mit Ohropax eindecken musste.

Gerade als sich Markus wieder entspannen wollte, wurde er von einem jungen Amerikaner angesprochen:

„Hey Mister, ein schöner Tag heute!“

Markus öffnete die Augen. Obwohl ihn die Sonne blendete, konnte er den Sprecher gut erkennen. Ein junger Mann, etwa 25 Jahre alt, farbenprächtig gekleidet. Er trug eine Strickjacke, eine blau-gelbe Hose im Häkellook und eine rote Pudelmütze. Die Bekleidung seiner Begleiter wies diese als echte Hippies aus.

„Hey, Mister! Woher kommen Sie? Sind Sie Tourist?“ fragte einer der Hippies neugierig.

Markus, der stets kontaktfreudig war, begann: „Ich komme aus Deutschland und bin Begleitlehrer bei einem deutsch-amerikanischen Schüleraustausch.“

„Welche Fächer unterrichten Sie?“

„Deutsch und Englisch. Ich lebe in der Gegend von Stuttgart und heiße Markus.“

„Mein Name ist John, und ich bin von Beruf so eine Art Lebenskünstler. Aber das sieht man ja! Meine Freunde und ich treten als Straßenkünstler auf und versuchen von den Einnahmen zu leben, die wir bei unseren Auftritten erzielen. Allerdings werde ich auch noch von meinem Dad gesponsert. An welcher Art von Schule unterrichten Sie denn?“

„Ich unterrichte an einem Gymnasium und bin schwerpunktmäßig in der Oberstufe tätig.“

„Ich habe drei Jahre in unserer High-School in einem kleinen Ort in Montana am Deutschunterricht teilgenommen“, erklärte John und fügte lachend hinzu: „Aber wie bei vielen Schülern sind auch bei mir die Unterrichtsbemühungen nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Etwas Gutes habe ich dem Deutschunterricht immerhin zu verdanken: Mein Interesse für deutsche Literatur ist bis heute bestehen geblieben. Der Roman Steppenwolf und die Erzählung Siddhartha von Hermann Hesse sind ja für nicht wenige junge Amerikaner zu ‘Kultbüchern‘ geworden. Ich bedauere sehr, diese Werke nicht im Original verstehen zu können. Aber ich habe immerhin Übersetzungen gelesen und war begeistert. Als Deutschlehrer kennen Sie sicher diese Bücher?“

“Und ob! Protest gegen das Establishment und die Entfremdung von unserer kleinbürgerlichen Umwelt sind für mich bedeutsame Themen!“

Nachdenklich ergänzte Markus: „Diese Werke von Hesse haben eine fast beängstigende Aktualität. Dies gilt ganz besonders für die problematischen Bereiche Drogen, Sinnsuche und Persönlichkeitsentwicklung. Verständlich, dass sich viele junge Menschen mit dem vereinsamten Harry Haller in Hesses Steppenwolf identifizieren können, der auf der Suche Kompromiss von Ich und Welt ist.“

„Mir und vielen meiner Freunde geht es heute nicht mehr in erster Linie um den Protest gegen das Establishment“, betonte John. „Wir haben uns von unserer kleinbürgerlichen Umwelt einfach deshalb losgesagt, weil wir sie als bevormundend, langweilig und verlogen empfinden. Ein Leben wie mein Vater zu führen, ist für mich undenkbar. Der ist zwar beruflich erfolgreich; arbeitet als Chirurg mit eigener Praxis in Phönix, Arizona; verdient gut; führt nach außen hin ein schönes Luxusleben! Aber um welchen Preis? Hektik und Stress von morgens um neun bis abends um acht! Und selbst am Wochenende findet er keine Zeit der Ruhe und Besinnung, verliert er sich in einer Vielzahl hektischer Freizeitaktivitäten. Er braucht das, so sagt er, und sich ruhelos von Terminen hetzen zu lassen, ist sein Alltag geworden. Vielleicht können wir den verkannten Künstler Harry Haller auch deshalb so gut verstehen, weil wir ebenso wie er an dem Gegensatz von Ideal und Wirklichkeit leiden. Ich glaube, es geht uns darum, das Leben zu genießen und das Leben zu lernen. Darum, ganz im Sinne von Hermann Hesse, die psychische Mannigfaltigkeit der Persönlichkeit zu erkunden. Ich befürchte nur, dass wir als idealistisch gestimmte Menschen am Ende dieses Prozesses der Selbsterkenntnis und Selbsterkundung nicht zu höchster Vervollkommnung gelangen, sondern vielleicht enttäuscht feststellen müssen, dass wir die höchste Stufe der Lebensuntüchtigkeit erreicht haben. Auf dieser Stufe werden wir uns dann eines Tages vielleicht mit weltfremden Computerkids und anderen Opfern unserer Wohlstandsgesellschaft treffen. Und wir können dann den Wettbewerb um den Titel des lebensuntauglichsten jungen Menschen beginnen. Die Fernsehsüchtigen und Computerfreaks sind uns dabei zumindest zahlenmäßig weit überlegen. Und die Mächtigen dieser Welt, die Clintons, Bushs und Gates können sich über die Verweigerer der Leistungsgesellschaft freuen, verstummende Kritik auf der Habenseite ihrer Bilanz der Macht verbuchen!“

John hatte seine Ausführungen mit einem lauten Lachen beendet, das allerdings nicht sehr überzeugend klang.

„Für mich ist der von euch beschrittene Weg dennoch besser als das, was meine fernseh- und computergeschädigten Schüler praktizieren. Mir bleibt nur, euch ganz im Sinne des Steppenwolf-Verfassers zu wünschen: Vergesst die ewige Differenz von Ideal und Wirklichkeit! Versöhnt euch mit der Endlichkeit von Ich und Welt und nicht zuletzt: Ihr sollt leben und ihr sollt das Lachen lernen!“

„Vergiss nicht, John“, fügte Markus dann fast oberlehrerhaft hinzu. „Die beste Droge ist das Denken, der menschliche Geist. Wirklich berauschende Einsichten, das faszinierende Spiel mit den Inhalten und Werten unserer Kultur kann nur bei klarem Verstand ohne Einnahme von Drogen gelingen.“

Kaum hatte Markus zu sprechen aufgehört, wurde ihm bewusst, dass seine gutgemeinten Ratschläge als besserwisserisches Lehrergehabe missverstanden werden konnten. Als ob John seine Gedanken erraten hätte, rief der Markus im Weggehen zu:

„Vielen Dank für diese gutgemeinten Hinweise, aber nicht vergessen, Herr Lehrer, was Hesse noch sagt: Keinem wird Erlösung zuteil allein durch Lehrer, das heißt“, John korrigierte sich, verschmitzt lächelnd: „...allein durch Lehre...! Den Weg zum Leben werden wir durch eigenes Erleben schon selbst finden oder etwa nicht?“

‚Eben diese Einsicht versuche ich meinen Schülern zu vermitteln. Unsere Kultusbürokaten scheinen da nur leider etwas anderer Auffassung zu sein’, dachte Markus belustigt. Markus wurde sich zugleich bewusst, dass ihn mit diesen Hippies hier im Golden Gate Park in San Francisco mehr verband als mit den Kollegen seiner Schule und zwar einschließlich der von ihm ansonsten sehr geschätzten liebenswerten Kollegin Helen Reiser. War es nicht so, dass er selbst als ein auf Lebenszeit verbeamteter Mittdreißiger immer wieder Schwierigkeiten hatte, sich an sein bürgerliches Umfeld anzupassen? Waren nicht viele seiner Schüler schon als Teenager karrierebewusste Spießer, die engstirnig Faktenwissen für das Abitur pauken, um später materiellen Erfolg zu haben und schließlich zu denen zu gehören, denen erst fünf Minuten vor ihrem Tod Zeit zum Nachdenken und für die Einsicht verbleibt, dass sie ihr Leben vergeudet haben.

Markus fröstelte. Selbst im sonnigen San Francisco kann es am späten Nachmittag kalt werden. Der Nebel breitete sich wie eine Decke über den Park aus. Markus zog seine Lederjacke an und ging nachdenklich zum Hotel zurück. Er freute sich auf den Aufenthalt in Springfield.

Nach einem kurzen Flug ab San Francisco landeten die Schüler und ihr Lehrer auf dem Flughafen von Eugene / Oregon. Sie wurden dort überaus herzlich von den Gastfamilien begrüßt. Markus blieb während des Aufenthalts in Springfield wenig zum Philosophieren. Die Schüler konnten ihn jederzeit erreichen. Täglich traf er sich zur ersten Schulstunde mit den Teilnehmern des Austauschs. Alle Schüler lobten ihre amerikanischen Gasteltern begeistert. Die deutschen Teenager gaben sich auffallend viel Mühe, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Markus war daher in seiner Eigenschaft als Aufsichtsperson wenig gefragt. Bei seinen Gastgebern lernte auch er den ‚American Way of Life’ kennen, von dem er durchaus angetan war. Er wurde zu einem Angelausflug eingeladen und lernte durch seine neuen amerikanischen Freunde sogar die Freuden des Golfspielens kennen und schätzte von Beginn an deren lockere, freundliche Art. Besonders beeindruckt war er von den äußeren Lebensumständen seiner Gastgeber. Dass jedes der vier Familienmitglieder einen eigenen Pkw besaß, schien selbstverständlich zu sein. Fast jede Familie verfügte auch über ein Eigenheim, wobei es sich meist um recht schmucke geräumige Gebäude handelte, die als Holzkonstruktion erstellt wurden. Unbehagen kam bei Markus auf, als er dabei an seine eigene Wohnsituation in Deutschland dachte. Gleich nach seiner Rückkehr stand ihm ein Umzug von seiner bisherigen gemütlichen Zwei-Zimmer-Wohnung in eine etwas größere Drei-Zimmer-Wohnung bevor, die sich allerdings in einem Hochhaus mit mehr als vierzig Wohnungen befand. Der Anteil der Eigenheimbesitzer war in Deutschland im Verhältnis zu dem in den USA relativ gering. Die Frage nach den Ursachen war schnell beantwortet, als er bei einer Unterhaltung mit seinem Gastgeber Bill auf das Thema Eigenheim zu sprechen kam:

„Unser Haus hat einschließlich Grundstück 50000 Dollar gekostet“, wusste Bill stolz zu berichten. Das Haus ist zweistöckig und verfügt über sechs Zimmer. Unser Haus ist zwar schon etwas älter, aber auch neuere Häuser kosten selten mehr als 100.000 Dollar.“

Als Markus Bill die Preise für Eigenheime im Großraum Stuttgart nannte, war der zunächst sprachlos.

„Bei Preisen von oft mehr als 700.000 DM für ein freistehendes Haus fällt bei deutschen Bauherren der American Way of Life schon aus Geldmangel aus“, erläuterte Markus durchaus ernst gemeint. Für ihn selbst kam der Kauf eines Eigenheims bisher nicht in Betracht. Die Übernahme so hoher langjähriger finanzieller Verpflichtungen lehnte er ab. ‚Finanzielle Unabhängigkeit ist mehr wert als eine noch so schöne Immobilie‘, pflegte er zu sagen und hinzuzufügen: ‘Bei Kopfjägern auf Borneo würde ich mich wohler fühlen als in Gesellschaft von Maklern, Hausverkäufern oder Finanzierungsberatern. Markus Runge würde sich schneller an den Umgang mit diesem Personenkreis gewöhnen müssen, als es ihm lieb war.

Der Aufenthalt in Oregon verging viel zu schnell. Markus und seine Schüler ließen sich gerne von ihren Gastgebern verwöhnen. Diese ließen ihre deutschen Gäste, soweit es ging, an ihrem Alltag teilhaben und unternahmen Ausflüge, die im Einzelfall bis nach Kanada führten. Die vielfältigen Aktivitäten machten den Aufenthalt zu einem bleibenden Erlebnis. Und doch freute sich Markus nach Ablauf der etwa vier Wochen auf die Rückkehr nach Deutschland. Sogar der Gedanke an das Wiedersehen mit seinen Schülern bereitete ihm kein Unbehagen, stellte er überrascht fest. Und ganz besonders fieberte er dem Wiedersehen mit seiner Freundin Helen entgegen. Markus wusste, dass Helen gegen eine Intensivierung ihrer Beziehung Vorbehalte hatte. Andererseits wollte er die freundschaftliche Beziehung auch nicht auf Dauer auf der Ebene der unverbindlichen Bekanntschaft fortsetzen. Ein Ende dieser Freundschaft war für ihn allerdings unvorstellbar. Was Markus nicht wissen konnte, war, dass in ihrer Beziehung schneller eine Veränderung eintreten würde, als er erahnen konnte.

2. Kapitel:

Die Leiden des Mieters Markus oder:

Das unerwartete Glück einer Powerfrau