'Festgenagelt sein' - Angelika Zegelin - E-Book

'Festgenagelt sein' E-Book

Angelika Zegelin

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Beschreibung

Bettlägerigkeit ist ein häufiger Umstand in Pflegezusammenhängen. Umso erstaunlicher ist es, dass über Bettlägerigkeit kaum etwas bekannt ist: Welche Ursachen gibt es, sind verschiedene Ausprägungen unterscheidbar, wie gehen Betroffene damit um? Ja, selbst der Begriff 'Bettlägerigkeit' ist unklar - sind auch die Menschen als bettlägerig zu bezeichnen, die kurzfristig und mit Hilfe aufstehen können? Diese Forschungsarbeit gibt Antworten auf diese Fragen. In einer breiten Literaturrecherche wird deutlich, dass bisher vor allem die pathophysiologischen Auswirkungen von 'Bettruhe', einem befristeten Zustand des Liegens, gut untersucht sind. In der vorliegenden Studie wurden 32 liegende Menschen zur Entwicklung ihrer Bettlägerigkeit befragt, die Ergebnisse wurden im Forschungsstil der 'Grounded Theory' aufbereitet. Dabei zeigte sich, dass eine Verkettung unglücklicher Umstände schließlich das Dauerliegen herbeiführt. Bettlägerigwerden ist ein Prozess, in dessen Verlauf vor allem das Phänomen der Ortsfixierung in den Vordergrund tritt. Zahlreiche Faktoren, die zum Dauerliegen führen, können beeinflusst werden. Aus den Ergebnissen der Studie lassen sich viele Hinweise entnehmen, um eine unerwünschte Bettlägerigkeit zu vermeiden. 'Bettlägerigkeit ist keine medizinische Zwangsläufigkeit. Sie hängt weder mit dem Alter eines Menschen zusammen noch mit der Schwere der Krankheit, an der jemand leidet. Stattdessen ist sie meist eine Verkettung unglücklicher Umstände, die man sehr häufig vermeiden könnte.' DER SPIEGEL 52/2004 'Wer immer noch glaubt, dass die Pflegeforschung nichts für die Praxis bringt, der sollte dieses Buch unbedingt kaufen.' Prof. Dr. Ruth Schröck Frau Zegelin gelingt mit der sorgfältigen, anregenden Präsentation ihrer Untersuchung ein kleines Kunststück; sie steckt den Leser mit ihrer eigenen Neugier an und bietet der Pflegewissenschaft und der praktischen Pflege zahlreiche Aspekte und Anregungen, eigene Erfahrungen zu reflektieren, um neue Sichtweisen und Möglichkeiten für die eigene Arbeit zu entwickeln. Sabine Kalkhoff in Pflege & Gesellschaft

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[1]Angelika Zegelin«Festgenagelt sein»

Verlag Hans HuberProgrammbereich Pflege

Beirat

Angelika Abt-Zegelin, Dortmund

Jürgen Osterbrink, Salzburg

Doris Schaeffer, Bielefeld

Christine Sowinski, Köln

Franz Wagner, Berlin

[2][3]Angelika Zegelin

«Festgenagelt sein»

Der Prozess des Bettlägerigwerdens

2., ergänzte Auflage

Verlag Hans Huber

[4]Angelika Zegelin. Hon.-Prof. Dr., Krankenschwester, Lehrerin für Pflegeberufe, Mag. Erziehungswissenschaft. Pflegewissenschaftlerin und Curriculumsbeauftragte an der Uni Witten-Herdecke. Honorarprofessorin an der Fachhochschule Rheine.

Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit (Department für Pflegewissenschaft), Stockumerstr. 12, DE-58453 Witten

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Jürgen Georg, Michael Herrmann

Herstellung: Daniel Berger

Umschlagillustration: pinx. Winterwerb und Partner, Design-Büro, Wiesbaden

Umschlaggestaltung: Claude Borer, Basel

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Druck und buchbinderische Verarbeitung: AALEXX Buchproduktion GmbH, Großburgwedel Printed in Germany

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Die Verfasser haben größte Mühe darauf verwandt, dass die therapeutischen Angaben insbesondere von Medikamenten, ihre Dosierungen und Applikationen dem jeweiligen Wissensstand bei der Fertigstellung des Werkes entsprechen.

Da jedoch die Pflege und Medizin als Wissenschaften ständig im Fluss sind, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, übernimmt der Verlag für derartige Angaben keine Gewähr. Jeder Anwender ist daher dringend aufgefordert, alle Angaben in eigener Verantwortung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

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Anregungen und Zuschriften bitte an:

Verlag Hans Huber

Lektorat: Pflege

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Tel: 0041 (0)31 300 45 00

Fax: 0041 (0)31 300 45 93

[email protected]

www.verlag-hanshuber.com

2. Auflage 2013

© 2013, 2005 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-95260-4)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-75260-0)

ISBN 978-3-456-85260-7

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

[5]Inhalt

Geleitwort (Ruth Schröck)

Vorwort

Zusammenfassung

Einleitung

1. Der Erkenntnisstand zur Bettlägerigkeit

1.1 Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit

1.2 Vorkommen von Bettlägerigkeit

1.3 Einstellung zur Bettlägerigkeit und anthropologische Grundlagen

1.4 Definitionen in Pflegeliteratur und Lexika

1.5 Pathophysiologische Auswirkungen von Bettlägerigkeit/Bettruhe

1.5.1 Medizinische Diskussionen zur Verordnung von Bettruhe

1.5.2 (Patho-)physiologische Auswirkungen des Liegens

1.5.3 Sensorische und psychische Auswirkungen des Liegens

1.5.4 Strukturelle Aspekte zur Bettlägerigkeit

1.5.5 Kognitive Einbußen durch Rückzug

1.5.6 Erfahrungen von liegenden Menschen

1.6 Nomenklaturen, Konzepte und Theorien

1.6.1 Die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)

1.6.2 Die Taxonomie der US-amerikanischen Pflegediagnosen

1.6.3 Konzeptanalyse «Mobilität»

1.6.4 Immobilität als «Pflegekonzept»

1.6.5 Das Konzept «chronische Krankheiten»

1.7 Das Bett als besonderer Ort

1.8 Verordnetes Liegen - ein Erbe aus dem 19. Jahrhundert

1.8.1 Der Rückzug ins Bett als historisches Schonungskonzept

1.8.2 Das Beispiel Florence Nightingale

1.8.3 Der Rückzug ins Bett in der heutigen Zeit

[6]1.9 Fazit der Literaturanalyse

1.10 Vorsensibilisierung durch die Befragung Pflegender

2. Methodologie

2.1 Problemstellung

2.2 Forschungsziel und Fragestellungen

2.3 Der qualitative Untersuchungsansatz

2.4 Grounded Theory

2.4.1 Erkenntnistheoretische Einordnung

2.4.2 Entwicklung und Charakteristika der Grounded Theory

2.5 Sample und Samplingstrategien

2.5.1 Auswahl der Interviewpartner (Sample)

2.5.2 Stichprobenumfang

2.5.3 Feldzugang

2.5.4 Theoretical Sampling

2.5.5 Besonderheiten des Samples

2.6 Datenbestand

2.6.1 Beobachtung

2.6.2 Datenerhebung

2.6.3 Technik der Interviewführung

2.7 Datenanalyse

2.7.1 Offenes Kodieren

2.7.2 Axiales Kodieren

2.7.3 Selektives Kodieren

2.7.4 Notizen im Forschungsprozess

2.8 Gütekriterien

2.9 Ethische Erwägungen

3. Ergebnisse I: Personen und Geschichten

3.1 Herr Kampmann

3.1.1 Beobachtung

3.1.2 Bericht

3.2 Frau Schulz

3.2.1 Beobachtung

3.2.2 Bericht

3.3 Frau Merz

3.3.1 Beobachtung

3.3.2 Bericht

[7]3.4 Frau Schmidt

3.4.1 Beobachtung

3.4.2 Bericht

3.5 Frau Winter

3.5.1 Beobachtung

3.5.2 Bericht

3.6 Frau Meier

3.6.1 Beobachtung

3.6.2 Bericht

3.7 Frau West

3.7.1 Beobachtung

3.7.2 Bericht

4. Ergebnisse II: Das Phasenmodell mit beeinflussenden Faktoren

4.1 Der erste Faktor: Individualität

4.2 Der zweite Faktor: Liegepathologie und kognitive Einbußen

4.3 Der dritte Faktor: Krankheitsausprägung und Komplikationen

4.4 Der vierte Faktor: Weltsicht und Bewältigung

4.5 Der fünfte Faktor: Die Pflegenden – Einstellung, Wissen, Möglichkeiten

4.6 Die erste Phase: Instabilität

4.7 Die zweite Phase: Ereignis

4.7.1 Klinikaufenthalt aus verschiedenen Gründen

4.7.2 Sturzereignisse mit und ohne Klinikaufenthalt

4.7.3 Rehabilitationsmaßnahmen

4.7.4 Situation des Transfers

4.8 Die dritte Phase: Immobilität im Raum

4.8.1 Transfersituation «Gezerre»

4.8.2 Möblierung im häuslichen Bereich und im Altenheim

4.8.3 Rücksichtnahme

4.8.4 Geglückte Mobilisation

4.8.5 Liegepathologie in der Phase der Immobilität im Raum

4.9 Die vierte Phase: Ortsfixierung

4.9.1 Sich einrichten

4.9.2 Selbstbestimmte Wechsel

4.9.3 Beschäftigung und Langeweile

4.9.4 Bewusstwerdung, Schlüsselereignisse und familiäre Geschehnisse

4.9.5 Hilfen zur Mobilitätsförderung

4.9.6 Krankheitsbewältigung in der Phase der Ortsfixierung

[8]4.10 Die fünfte Phase: Bettlägerigkeit

4.10.1 Zeitverlust

4.10.2 Die Pflegenden - Einstellung, Wissen, Möglichkeiten

4.10.3 Verlust an Handlungsmöglichkeiten und Abhängigkeit von Hilfe

4.10.4 Warten müssen

4.10.5 Sich nicht ernst genommen fühlen, keine Ansprache mehr haben

4.10.6 Territorium, Radius und persönlicher Raum

4.10.7 Zuhause: Räume nicht mehr nutzen

4.10.8 Verlust des persönlichen Raumes

5. Integration der Ergebnisse zur Kernkategorie

5.1 Instabilität

5.2 Ereignis und Unterordnung

5.3 Schicksalhafter Verlauf durch Einflussfaktoren

5.4 Immobilität im Raum durch fehlende Mobilisierungshilfen

5.5 Mangelnde Aktivierung trotz aktivierender Pflege

5.6 Abnehmender Bewegungsradius

5.7 Zentrale Kategorie: allmähliche Ortsfixierung

6. Diskussion und Erkenntnisgewinn

6.1 Theoretische Relevanz des Phasenmodells

6.2 Das Konzept «Bettlägerigkeit»

6.2.1 Definitorische Aussage zur «Bettlägerigkeit»

6.2.2 Faktoren und Formen der Bettlägerigkeit

6.2.3 Zeitzerfall

6.2.4 Lägerigkeit als Daseinsstrategie

6.3 Praktische Relevanz der Untersuchung

6.3.1 Schließen von Versorgungslücken

6.3.2 Anwendung umfassender Aktivierungskonzepte

6.3.3 Sturzprophylaxe

6.3.4 Bedarfsorientierte Ausstattung mit Möbeln und Hilfsmitteln

6.3.5 Rollstühle nach Maß

6.3.6 Anpassung an die Gegebenheiten

6.3.7 Aufnahme des Themas Bettlägerigkeit in die Pflegeausbildung

6.4 Erkenntnisgewinn

[9]7. Methodische und inhaltliche Reflexion

7.1 Glaubwürdigkeit der Ergebnisse

7.2 Grenzen der Studie

7.3 Vorschläge für weitere Forschungen

8. Schlussbemerkungen

9. Ergebnisse aus Praxis-Projekten

9.1 Bestätigung früherer Ergebnisse

9.2 Orientierung der Praxisprojekte

9.3 Ablauf der Praxisprojekte I

9.3.1 Analysephase

9.3.2 Umsetzungsphase

9.4 Ergebnisse aus den Praxisprojekten

9.4.1 Pflegeprozess, -dokumentation und Einschätzung

9.4.2 Physiotherapie

9.4.3 Angebote für bereits bettlägerige Menschen

9.4.4 Institutionalisierung

9.4.5 Wertschätzung

9.4.6 Biografische Orientierung

9.4.7 Architektur und Raumnutzung

9.4.8 Lage der Einrichtung, Umgebung, Natur

9.4.9 Möglichkeiten zum Spazierengehen im Haus

9.4.10 Normalitäts- und Alltagsorientierung, Einzugsmanagement

9.5 Ablauf der Praxisprojekte II

9.5.1 Arbeitsgruppe Mobilität

9.5.2 Das Drei-Schritte-Programm

9.5.3 Evaluation

9.5.4 Nachhaltigkeit

9.6 Schlussgedanken

9.6.1 Renaissance der Bewegung

9.6.2 Bewegung und Demenz

9.6.3 Menschen brauchen Bewegung

9.7 Anhang - Beispiel einer Fallanalyse - Frau Bayer

9.7.1 Interview

9.7.2 Auswertung der Fragebögen

9.7.3 Pflegedokumentation

9.7.4 Ergebnisse der Fallbesprechung

[10]Nachwort zur 2. Auflage

Literaturverzeichnis

Autorin

Sachwortverzeichnis

[11]Ich habe es sehr deutlich bemerkt, dass ich oft eine andere Meinung habe, wenn ich liege, und eine andere, wenn ich stehe.

[12][13]Geleitwort

Wenige wissen, dass die Pionierin der modernen Krankenpflege, Florence Nightingale, die letzten dreißig Jahre bis zu ihrem Tode 1910 im Bett liegend verbrachte. Trotz Phasen akuter Krankheit bewältigte sie bis in ihr hohes Alter (sie starb in ihrem 90. Lebensjahr) eine beträchtliche Arbeitslast und übte Kontrolle und Macht nicht nur in ihrem unmittelbaren Umfeld aus. Sie war im gebräuchlichen Sinne des Wortes bettlägerig, doch wie es dazu kam, ist nicht leicht ersichtlich. Abgesehen davon, dass den Medizinern des 19. Jahrhunderts nur wenige effektive Heilmittel zur Verfügung standen und Bettruhe verbunden mit großzügigen Gaben von Laudanum (einer Opiumtinktur) eine bevorzugte Behandlung war, bildete der Rückzug ins Bett einen Weg, unerträglichen Familiendynamiken oder anderen Stressoren zu entgehen.

Bettlägerigkeit hat keine unikausale Verbindung mit einer spezifischen Pathologie, ob physischer oder psychischer Herkunft, abgesehen vielleicht von einem schweren Hirnschädel- oder Wirbelsäulentrauma, das den Menschen lähmt oder bewusstlos macht. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen gibt, was einen Menschen bettlägerig macht und wie sich dieser Zustand gestaltet. Genauso wenig, wie wir wissen, was wir als Bettlägerigkeit bezeichnen sollen (ist jemand weniger bettlägerig, wenn er anstatt im Bett zu liegen immobil in einem Rollstuhl sitzt?), wissen wir auch kaum, welche Auswirkungen schon wenige Tage erzwungener Bettruhe auf einen Menschen haben können. Noch immer ist das Kranksein eng mit der Vorstellung verbunden, dass ein kranker Mensch ins Bett gehört. Und das ist auch ein Grund, dass Bettlägerigkeit in vielen Formen ein alltägliches Phänomen in der Pflege ist.

Angelika Zegelin ist neugierig, sagt sie. Und besonders dann, wenn sie Ungereimtheiten bemerkt, einen gängigen pflegerischen Begriff nicht in den Stichwortverzeichnissen gängiger Pflegelehrbücher finden kann und erfährt, «wir haben keine bettlägerigen Bewohner», diese allerdings nicht im Bett, sondern unbeweglich und anscheinend unkomfortabel in Sesseln liegen. Zu den Grundregeln progressiver Pflege gehört es, den Patienten zu «aktivieren» – einer Aufgabe, der sich Pflegende mit Gewissenhaftigkeit und Ausdauer widmen. Die «Transferleistungen» tauchen bestimmt in Leistungskatalogen und in der Pflegeversicherung auf. Es ist eine traditionelle Pflegeaufgabe, den Patienten aus dem Bett zu helfen, zu einem Stuhl oder Sessel zu befördern und ihn wieder ins Bett zu bringen. Die wichtige Frage bei all dem ist jedoch, ob sich durch die Veränderung in der Liege- und Sitzgelegenheit für den Patienten etwas zum Positiven hin verändert.

[14]Angelika Zegelin hat diese komplexe Welt des Bettlägerigwerdens und Bettlägerigseins aus der Perspektive von 32 älteren bettlägerigen Menschen in einer fundierten qualitativen Untersuchung erkundet. Die qualitative Forschung geht nicht von vorgefassten Annahmen (oder Hypothesen) aus, sondern setzt es sich zum Ziel die Realität einer menschlichen Erfahrung zu ermitteln und sichtbar zu machen. In diesem Buch werden die Realitäten (und sie sind sehr unterschiedlich) von bettlägerigen Menschen lebendig. Da ist Frau Meier, die die Welt zu sich in ein angenehmes, helles Zimmer bringt, wo sie tagsüber sitzt oder liegt. Sie ist realistisch und zumeist optimistisch; das Leben lässt sich regulieren und gestalten.

Frau Schulz dagegen ist deprimiert, einsam und passiv. Sie führt ein Randdasein in einem Familienhaus: «Ich liege doch hier immer alleine. Von morgens bis abends.»

Mit einem Grounded-Theory-Ansatz kommt Angelika Zegelin nicht nur den wesentlichen Elementen, die das Bettlägerigsein bestimmen, sondern auch einem schleichenden Prozess auf die Spur, der zu einer zunehmenden Ortsfixierung, größerer Abhängigkeit und einem ungemeinen Verlust an Lebensqualität führt, der aber an vielen Punkten hätte unterbrochen und so eine unerwünschte Bettlägerigkeit vermieden werden können.

Dem Leser dieses Buches eröffnet sich eine bisher verschleierte Welt, in der insbesondere Pflegende in Praxis und Lehre viele eigene Erfahrungen widerspiegeln und reflektieren können, um dann doch Wege zu finden, Menschen vor diesem Schicksal bewahren zu helfen. Hier finden sich grundlegende Informationen und Texte zu wichtigen Themen: z.B. Liegefolgen, unterschiedliche Perspektiven zur Bettlägerigkeit, das Bett als ein besonderer Ort, Rückzug und Schonung sowie das verordnete Liegen als ein Erbe des 19. Jahrhunderts. Praktische Relevanz haben die verschiedenen Aktivierungskonzepte, die Sturzprophylaxe, angepasste Möbel, Rollstühle (ein besonders grimmer Aspekt der gängigen Versorgung) und andere Hilfsmittel. All dies, sollte man hoffen, wird in Zukunft Eingang in Pflegelehrbücher auf allen Ebenen finden – mit dem Stichwort «Bettlägerigkeit» im Index!

Wer immer noch glaubt, dass die Pflegeforschung nichts für die Praxis bringt, der sollte dieses Buch unbedingt kaufen oder sich zum Geburtstag schenken lassen.

Edinburgh und Witten, November 2004

Dr. Ruth Schröck

Professorin für Pflegewissenschaft

Universität Witten/Herdecke

[15]Vorwort

Zwei Beweggründe haben zur Bearbeitung des Themas geführt. Der erste Anlass ist vor allem Entdeckerfreude. Die Einsicht, dass ein in der Pflege so häufig verwendeter Begriff wie Bettlägerigkeit bisher ungeklärt ist und jeder etwas anderes darunter versteht und dass Bettlägerigkeit nicht als Stichwort in beruflichen Verzeichnissen geführt wird, hat meinen «Forschergeist» angeregt. Daneben leitet mich von jeher ein Interesse an sprachlichen Klärungen und vor allem an der Differenzierung pflegerischer Begriffe.

Der zweite Zugang speist sich aus vielerlei Erfahrungen mit Bettlägerigkeit im persönlichen Umfeld. Ich begleitete Menschen mit Schicksalen des jahrelangen Liegens, Personen unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen Krankheiten. Aber ich erlebte auch schwer kranke Menschen, die in der letzten Zeit ihres Lebens noch mobil waren. Meinem Ehemann Helmut Zegelin blieb eine Phase langer Lägerigkeit erspart. Noch kurz vor seinem Tod unternahmen wir auf seinen Wunsch eine Reise nach Kanada; nur in den letzten Tagen seines Lebens konnte er das Bett nicht mehr verlassen – auch dies entsprach seinen Vorstellungen. In dieser Erinnerung möchte ich ihm meine Arbeit widmen.

Danksagung

Das Leben soll in siebenjährigen Zyklen verlaufen, ebenso lange hat die Arbeit an dieser Untersuchung gedauert. Sie vollzog sich gleichsam auch in einer Verlaufskurve mit unterschiedlichen Phasen der intensiven Arbeit, Flow-Erlebnissen, Unterbrechungen, Problemen des Wiederanfangens und zähen Ringens.

Viele Menschen haben mir in dieser Zeit geholfen, den Faden immer wieder aufzunehmen. Ich danke meiner Mentorin Prof. Dr. Dr. Ruth Schröck für ihre Klarheit und stete herzliche Unterstützung. Dr. Wilfried Schnepp, Freund und Kollege, ist nicht müde geworden, mir als Betreuer immer wieder wertvolle Hinweise zu geben – Dank schulde ich ebenso Corry Bosch, die mir in langen Gesprächen das Wesen der Grounded Theory näher gebracht hat.

Meine Kollegen und Kolleginnen im Institut für Pflegewissenschaft haben mich immer wieder ermutigt, die Dissertation fortzusetzen, Anneke de Jong und Dr. Charlotte Heinritz haben sich mit meiner Arbeit auseinander gesetzt, ebenso auch Christian Müller-Hergl und Dr. Andreas Gerlach. Allen voran danke ich Prof. Christel[16] Bienstein für ihre Unterstützung als Freundin und Institutsleitung, sie schafft es, allen im Institut Tätigen einen Rahmen zur Entwicklung und Vollendung beruflicher Ideen zu geben. Sabine Metzing, MScN, hat die Interviews transkribiert und die Literatur zusammengestellt, Lena Oesterlen, BScN, hat den Text abschließend korrigiert und ihm ein «Gesicht gegeben» – beiden dafür vielen Dank.

Mein lieber Mann Emile hat mich in Phasen des Durchhängens immer wieder neu motivieren können, ähnlich positiv treibend waren auch die insistierenden Fragen von Freundinnen und Bekannten. In der Erhebungsphase war ich angewiesen auf die Hilfe verschiedener Mittelspersonen, stellvertretend möchte ich hier Annette Beckers, Birgit Kangowski und Sophia Chowdhury nennen. Danke an die bettlägerigen Menschen, die mir so bereitwillig über ihr Schicksal Auskunft gegeben haben. Last but not least: Die Untersuchung wäre nicht zustande gekommen, wenn nicht die Robert Bosch Stiftung ein Stipendium gewährt hätte, das mir in der ersten Phase der Untersuchung den Freiraum zur Datenerhebung eröffnete.

Angelika Zegelin

[17]Zusammenfassung

Bettlägerigkeit ist ein alltägliches Phänomen der Pflege, trotzdem liegt kein differenziertes Wissen über Gründe, Formen, Entwicklung und Bewältigung von Bettlägerigkeit vor, auch über Prävention und Rehabilitation von Bettlägerigkeit ist nichts bekannt. Der Begriff Bettlägerigkeit wird beliebig eingesetzt, der Zustand ist nur grob umrissen. Eine Literaturanalyse ergab, dass lediglich die pathophysiologischen Folgen des Liegens hinreichend geklärt sind, weitere Aspekte dieses Phänomens jedoch kaum Beachtung finden. Manche Menschen werden frühzeitig bettlägerig, andere Kranke bleiben lange mobil. Die vorliegende Untersuchung hat zum Ziel, Einblicke in die Entstehung von Bettlägerigkeit zu erhalten.

Den Hauptdatenbestand der vorliegenden Untersuchung bildeten 32 Interviews mit bettlägerigen, älteren Menschen. Die Befragten berichten über die Entwicklung aus ihrer Sicht. Es handelte sich um 19 Frauen und 13 Männer, die Hälfte lebte im Altenheim, die anderen wurden zuhause versorgt. Die Zeit der Bettlägerigkeit stellte sich unterschiedlich dar, sie reichte von Jahren bis zu einigen Tagen. Diese qualitative Studie folgte dem Forschungsstil der Grounded Theory nach Strauss und Corbin.

Als zentrale Kategorie bildete sich das Phänomen der «allmählichen Ortsfixierung» heraus. Bettlägerigwerden geschieht in einem schleichenden Prozess der zunehmenden Verwiesenheit auf einen Ort, zunächst die Wohnung, dann ein Sitzmöbel, einen Rollstuhl und schließlich das Bett. Die Entwicklung ist verbunden mit steigendem Hilfebedarf und ungünstigen Folgen wie der Liegepathologie, Interesseneinengung und Zeitverlust. Diese Folgen unterhalten wiederum die Abwärtsentwicklung. Die Untersuchung deckt einen phasenhaften Verlauf und eine Reihe von Einflussfaktoren auf diesen Prozess auf. Viele dieser Faktoren liegen in der betroffenen Person selbst und in ihrer Interaktion mit den Umständen, gegenseitige Rücksichtnahme spielt eine große Rolle. Andere Einflüsse liegen im strukturellen Bereich, zum Beispiel durch Zeitdiktate der Pflege, durch ungünstige Möblierung oder verzögerte Verordnung von Hilfsmitteln.

Ein großer Teil dieser einflussnehmenden Faktoren ist veränderbar – bei rechtzeitiger Erkennung und Vorbeugung könnte ein unfreiwilliges Schicksal langer Bettlägerigkeit für viele Betroffene vermieden werden.

[18][19]Einleitung

In dieser Untersuchung geht es um die Erkundung von Ursachen und Formen von Bettlägerigkeit. Bettlägerigkeit ist eines der wichtigsten und geläufigsten Phänomene in der Pflege, zugleich aber auch ein Begriff aus unserer Alltagssprache. Fast jeder Mensch kann sich unter Bettlägerigkeit etwas vorstellen; dieser Zustand ist bekannt aus der Erfahrung, aus dem eigenen Umfeld, aus Film und Fernsehen oder aus der Literatur.

Und doch gibt es kaum systematisches Wissen über Bettlägerigkeit, insbesondere die Gründe, warum und wann Menschen schließlich bettlägerig werden, sind unbekannt. Eine medizinische Diagnosestellung erklärt nicht, warum im Krankheitsfortschritt der eine Mensch bettlägerig wird und der andere nicht. Verlaufsformen, «Karrieren» des Bettlägerigwerdens mit Weichenstellungen und Schlüsselmomenten sind bisher nicht beschrieben. Untersuchungen aus medizinischer Sicht erklären wohl die Pathophysiologie des Liegens, über psychische und soziale Auswirkungen und Bewältigungsformen für Betroffene und Angehörige finden sich jedoch keine Studien.

Unklar ist auch, was Bettlägerigkeit eigentlich ausmacht. Wird unter Bettlägerigkeit striktes Liegen verstanden, oder fallen unter diese Bezeichnung auch Menschen, die mit Hilfe ganz kurze Zeit «aufstehen» können? Würden sich Menschen selbst auch als bettlägerig bezeichnen, wenn sie nicht im Bett, sondern in einem anderen Möbel den Tag liegend verbringen müssen? Sind im Rollstuhl sitzende Menschen, unfähig zu jeder Bewegung, im Grunde auch bettlägerig?

Diese Untersuchung dient also der Beschreibung eines alltäglichen Gegenstands, wobei auch auf sonst wenig Beachtetes aufmerksam gemacht werden wird und «Selbstverständlichkeiten» in Frage gestellt werden. Eine Selbstverständlichkeit ist etwa die Einleitung des Sterbens mit einer mehr oder weniger langen Phase des im Bett Liegens. In früheren Zeiten haben sich Menschen auf das «Altenlager» begeben, sie haben kaum gegessen, und irgendwann endete ihr Rückzug mit dem Tod:

[…] sich nach einem langen und arbeitsreichen Leben einfach ins Bett gelegt und aufgehört zu sprechen, aufgehört, auf das was gesprochen wurde zu reagieren. (Thorsson, 2000, S. 194)

In der heutigen Zeit scheint es diese Form des Rückzugs nicht mehr zu geben, Bettlägerigkeit und mehr noch ihre Folgen werden zu medizinischen und pflegerischen Problemen.

[20]Bettlägerigkeit hat beträchtliche Auswirkungen auf die Lebensgestaltung der Betroffenen. In der Regel wird ihre Autonomie stark eingeschränkt, und sie werden oft weitgehend abhängig von helfenden Personen. Im medizinisch-pflegerischen Umfeld wird der Begriff Bettlägerigkeit oft benutzt, doch, wie es scheint, in einer recht diffusen Art.

Die vorgestellten Unklarheiten lassen sich zusammenfassen in der Frage:

«Was ist Bettlägerigkeit?»

Diese Frage leitet die anschließende Literaturanalyse, der eine Spezifizierung der Forschungsfrage folgt.1

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde im gesamten Text nicht explizit nach geschlechtsneutralen Formulierungen gesucht. Wurde im Text die geschlechtsspezifische Schreibweise gewählt, so ist immer auch das andere Geschlecht gemeint.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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