Fetisch Legende - William Prides - E-Book

Fetisch Legende E-Book

William Prides

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Beschreibung

John und Vanessa leben im England des Jahres 2029. Sie sind restriktiver Fetisch-Kleidung und Bondage zugetan, was zu ihrer Zeit nicht mehr gesellschaftsfähig ist. Durch Zufall stoßen sie auf eine Verbindung zur Vergangenheit, in der, zu ihrer Überraschung, diese Dinge schon lange Zeit zuvor ausgelebt wurden. Dann stolpert auch noch die ganz von ihren Gelüsten beherrschte Patricia in ihr Leben. Sie bringt mit ihren politisch unkorrekten Ansichten das Leben der beiden durcheinander, bereichert es aber auch. Kann das private Glück zu dritt inmitten einer feindlichen Umgebung auf Dauer halten? Wie sollen sie mit der unerwarteten und gefährlichen Verantwortung für die Bewahrung von Vergangenem umgehen? Ein im wahrsten Sinne fesselndes Buch. Dominanz und Restriktion werden stilvoll und subtil gelebt, nicht durch bloße Gewaltanwendung. Der Leser erhält Einblick in die Denkwelten der handelnden Personen. Die Erzählung stellt historische Bezüge her und beschäftigt sich damit, wie eine bizarre Partnerschaft real umgesetzt werden kann. Kurzweilig und spannend, keinem Genre verpflichtet.

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Inhalt:

Einstimmung

Ein Paar, in dessen Leben sich viel verändern wird

Die Konferenz der grauen Eminenzen

Die Landpartie

Raum, in der Zeit versteckt

Das Vermächtnis

Die Chronik

Eine entflohene Sklavin, die nicht frei sein will

Eines Tages, in einer besseren Welt

Nachwort

Anhang: Der Sklavenvertrag

"Die Welt hat weit mehr vergessen, als sie weiß."

Vivienne Westwood

Einstimmung

Wir befinden uns im Jahr 2029 in England. Die Menschen sind verunsichert durch die Umbrüche der digitalen Revolution und der Globalisierung. Wie einst bei der ersten, industriellen Revolution, gibt es Gewinner und Verlierer. Nie zuvor konnte man sich als Individuum besser, bis ins Detail, selbst verwirklichen. Nie zuvor konnte man einfacher an Informationen gelangen und sich mit Gleichgesinnten austauschen. Aber auch nie zuvor war man so vollständig überwacht und ausgeforscht, so im Innersten verwundbar.

Bislang war Fetisch-Kleidung sogar in der Alltagskultur salonfähig und es schadete nicht, sich als abseits der Norm zu outen. Jegliche Dinge zu allen erdenklichen Fetischen waren käuflich, als realer Gegenstand oder virtuell. Diese rund drei Jahrzehnte währende, tolerante Epoche hat sich ihrem Ende zugeneigt. Im Umfeld von Finanzkollaps und Wirtschaftskrise erscheinen viele Dinge als Ballast, den man über Bord werfen muß, um nicht unterzugehen. Begonnen bei abweichender Kunst (die sich nicht als Spekulationsobjekt eignet) und endend bei diesem BDSM-Firlefanz. Dessen Anhänger lernen sich lange vor dem ersten Treffen mit einer neuen Bekanntschaft online kennen. Intimste Details werden ausgetauscht - weiß man, ob da nicht jemand mitliest? Wer sich als Stino sicherer fühlt, nur weil er der Durchschnittsnorm entspricht, dem ergeht es nicht besser: bei einer Online-Partnervermittlung die Frage 'wovor fürchten Sie sich am meisten?' zu beantworten, will gut überlegt sein. Es gibt keine Herde mehr, in der man sich verstecken und Schutz suchen kann. Am Ende steht man als nackter Datensatz alleine da, egal ob 'pervers' veranlagt oder Mitläufer, der immer das gemacht hat, was alle anderen auch gemacht haben. Mehr denn je zeugt es von gesundem Menschenverstand und von Mut, sich so auszuleben, wie man wirklich ist, ganz zu sich zu finden und zu sich selbst zu stehen. Obwohl es oft hoffnungslos schien, hat das menschliche Verlangen nach Fetisch-Kleidung und der durch sie ausgedrückten Lebensart bislang alle Epochen überlebt. Wir verdanken das besonderen Menschen, deren Lebensdrang und ein wenig Glück. Davon handelt diese Erzählung.

Ein Paar, in dessen Leben sich viel verändern wird

Ich wartete, daß mein John von der Arbeit zurückkäme. Heute würde er bestimmt pünktlich sein, denn es war der fünfte Jahrestag unserer Beziehung und er hatte mir explizite Anweisung erteilt, wie ich ihn empfangen sollte. In meinem Mund steckte ein großer violetter Ballknebel, der mit meinem Lippenstift farblich abgestimmt war. Außer einem Hauch von einem Bodystocking mit je einem Loch vorne und hinten im Schritt war ich nackt, nur meine Füße waren in abgeschlossenen Ballet Heel-Stiefeletten gefangen. Diese Schuhe waren mein gut gehüteter Besitz, denn in letzter Zeit schien es bei diesen Modellen unerklärliche Lieferschwierigkeiten zu geben. Wie von John angeordnet, hatte ich mir die Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Trotz, oder besser gesagt, wegen meiner hilflosen Situation räkelte ich mich erfüllt und zufrieden auf dem Bett. Hätte mich jemand beobachtet, hätte er trotz des Knebels das sanfte Lächeln meiner Lippen bemerkt. Ja, ich war stolz darauf, was ich für meinen Partner verkörperte. Während ich so wartend auf dem Bett lag, mußte ich daran denken, wie wir uns kennengelernt hatten. Besser gesagt, wie er mich gefunden hatte.

Ein wenig schüchtern war ich auch heute mit Mitte 30 noch, außer bei John. Wenn er mich beherrschte und einschränkte, war das meine innere Befreiung. Dann kannte ich kein Schamgefühl mehr und wußte gleichzeitig, daß ich nichts falsch machen konnte. Vor fünf Jahren war ich noch nicht so weit. Ich lebte meine Sexualität mit mir selber aus, denn ich hatte eine Scheißangst davor, mein innerstes Verlangen irgendwelchen unkontrollierbaren Datenkanälen anzuvertrauen, nur um einen Spielpartner zu finden.

Bestenfalls wäre ich mit Werbung zugemüllt und von notgeilen Männern genervt worden, schlimmstenfalls wäre ich an einem Internet-Pranger gelandet. Dort hätten mich dann meine Versicherer entdeckt, ihre Daten abgeglichen und sofort wären meine Kranken- und Haftpflichtversicherung empfindlich teurer geworden, weil ich jetzt einer Risikogruppe angehörte. Also experimentierte ich mit Selfbondage. Schüchtern, aber nicht doof, ging ich auf Nummer Sicher und kaufte mir so ein Eisschloß als Timer. Keine komplizierte Technik, keine Batterien, keine unzuverlässigen Helfer. Eis schmilzt zu Wasser, das funktioniert immer. Nur hatte ich die Rechnung ohne diese Aktivistinnen gemacht. Früher hatten weibliche Moralapostel sich in der Kondomfabrik in der Qualitätskontrolle anstellen lassen und dann mit einer Nadel Löcher ins Produkt gestochen. Ich war ein Opfer der modernen Variante geworden, wie ich später der Presse entnahm. Jemand hatte eine kleine Gelatinekapsel im nicht ganz geschlossenen Zylinder meines Schlosses platziert. Sie war mit Lötwasser gefüllt, eigentlich ein Flußmittel. Es hat die Eigenschaft, metallische Oberflächen binnen kürzester Zeit rosten zu lassen. Als ich das Schloß nahm und es ganz zusammenschob, während ich es in den Kühlschrank zum Einfrieren legte, zerplatzte die Kapsel unbemerkt. Sie gab das Lötwasser frei, so daß die beiden beweglichen Teile des Schlosses zu einem untrennbaren Klumpen verrosteten, der sich nie mehr öffnen ließ, auch nicht nach dem Auftauen. Heimtückischerweise war der Rost von außen nicht zu erkennen und das probeweise Ziehen am Schloß hatte mir einstweilen nur bestätigt, daß es wie gewünscht durch das Einfrieren verschlossen war. Wie später bekannt wurde, gab es einige tragische Todesfälle von Menschen, die, genau wie ich, geil und ungeduldig den neuen Kauf gleich ausprobiert hatten. Sie konnten sich nicht befreien und wurden nicht mehr rechtzeitig gefunden. So weit dachte ich zum Glück noch nicht, als ich bemerkte, daß sich mein Schloß nicht öffnete, obwohl die Zeit für das Auftauen bereits verstrichen war. Trotzdem bekam ich Panik. Ich hatte mich geknebelt und auf dem Fußboden mit Hand- und Fußschellen in einem Hogtie außer Gefecht gesetzt. Die Verbindung zwischen den Händen und Füßen stellte das Eistimer-Schloß dar. Wenn sie sich wie geplant gelöst hätte, hätte ich aufstehen und die Schlüssel für die Handschellen aus dem Regal nehmen können. Für den Moment bestand meine größte Angst darin, peinlicherweise von meinen Nachbarn so gefunden zu werden.

Erst später wurde mir klar, daß John möglicherweise auch mein Lebensretter gewesen war. Er hatte in der Nähe geparkt und ging zufällig an meiner Erdgeschoßwohnung vorbei. Inzwischen war es draußen bereits dunkel geworden. Um keine fremden Blicke zu riskieren, hatte ich innen vor das bodentiefe Balkonfenster den dünnen weißen Sonnenschutz gezogen und, um die fehlende Helligkeit auszugleichen, eine Stehlampe angeknipst. Bei meinem vergeblichen Zerren und Herumrollen, um das Schloß vielleicht doch öffnen zu können, stieß ich versehentlich die Lampe um und der Schirm fiel ab. Ich bemerkte nicht, daß die nun auf dem Boden liegende Birne ein Schattenspiel meines Körpers auf den Sonnenschutz warf, wie auf eine Leinwand. John sah dies im Vorübergehen, wunderte sich kurz, dann erkannte er als dominanter Mann sofort die typische Körperstellung und die hilflosen Bewegungen.

Er überlegte kurz, sah die gekippte Balkontür und entschloß sich, der Sache selbst auf den Grund zu gehen, statt die Polizei zu rufen. Es war zwar ein gewisses Risiko dabei, daß man ihn für einen Einbrecher halten konnte, aber seine Abenteuerlust war stärker gewesen, wie er mir später erzählte. Es gelang ihm, die Balkontür zu öffnen und da stand er nun vor mir wehrlosem Bündel. Ich werde mein ganzes Leben lang nicht vergessen, daß er nicht so reagierte, wie ich es erwartet hatte. Ich starrte ihn mit aufgerissenen Augen an und stöhnte in den Knebel, damit er mich befreien möge. Statt dessen stellte er die Lampe in aller Ruhe wieder auf. Dann hockte er sich neben mich, betrachtete mich ganz ungeniert, sah sich im Raum um und entdeckte den bereitgelegten Schlüssel. Scheinbar hatte er geschnallt, was ich mir angetan hatte. Ich wußte nicht, ob ich mich ängstigen oder meiner aufkommenden Erregung ihren Lauf lassen sollte. Dann die Erlösung: "Ich werde dich befreien und niemand wird davon erfahren. Aber du mußt mich zum Essen einladen und mir die Chance geben, dich kennenzulernen." Ich nickte heftig! Daß wir uns so ganz außerhalb aller digitalen Systeme, durch einen altmodischen Zufall, kennenlernten, war wie ein Lotteriegewinn. Es war uns beiden von Anfang an bewußt, daß uns das einen einzigartigen privaten Freiraum eröffnete, den wir unbedingt schützen mußten. Erst mit der Zeit merkten wir, was für ein großes Geschenk darüber hinaus unsere tiefgehende, auf Dauer angelegte Beziehung war. Wir lebten nicht wie viele andere bloß als Zweckgemeinschaft zusammen, um sich das Wohnen leisten zu können. Wir waren auch kein Produkt des vorherrschenden Zeitgeistes, der besagte, daß es bei Beziehungsproblemen einfacher sei, den Partner zu wechseln, als sie zu lösen. Die digitale Welt gaukelte eine scheinbar unendliche Fülle an Menschen vor, die man jederzeit auf Knopfdruck kennenlernen konnte (und die in der realen Welt dann meistens ebenso schnell wieder verschwanden, wenn man sie brauchte). Die ganz armen Schweine kriegten die Kurve in die Realität nicht mehr und bastelten sich eine Cybersex-Freundin zusammen. Die Erfundenen waren für sie die Besten und das nette Mädchen von nebenan konnte schon lange nicht mehr mit den manipulierten Hochglanzbildern mithalten, mit denen man täglich bombardiert wurde.

Heute war unser Jahrestag und ich hatte mir für Vanessa eine kleine böse Überraschung ausgedacht, in Anlehnung an unser Kennenlernen. Sie hatte von mir die Anweisung erhalten, sich lange vor meiner heutigen Rückkehr außer Gefecht zu setzen und mich so zu erwarten. Ich fuhr früher nach Hause, als sie mich erwarten würde. Ich fummelte absichtlich geräuschvoll an unserer Wohnungstür herum, als ob sich ein Einbrecher daran zu schaffen machen würde. Es sollte klingen, als ob ich das Schloß knacken würde, während ich ganz normal aufschloß. Im Flur verharrte ich einen Moment und hörte das "mmmhhhh-mmmhh" meines lieben Schatzes aus dem Schlafzimmer. Im Flurschrank hatte ich tags zuvor unbemerkt eine Skimaske, die nur die Augen und den Mund freiließ, eine Taschenlampe und ein Buch deponiert. Die Maske zog ich mir jetzt über. Für einen Moment genoß ich mein Kopfkino.

Das konnte sich nicht entscheiden, ob ich lieber der Held sein wollte, der die Maid in Nöten aus ihrer mißlichen Lage befreit und dafür unsterblich geliebt (und ausgiebig sexuell verwöhnt) wird - oder lieber der Bursche, der sich nimmt, was ihm gefällt, der die Wehrlose an den Schenkeln packt, in sie eindringt und sich genüßlich an den angstvoll aufgerissenen Augen und den durch den Knebel gedämpften Hilferufen weidet. Schon war der Gedankenblitz wieder vorbei. Ich machte mir das diebische Vergnügen, meine Rolle als Einbrecher noch zu steigern. Ich schlich ins Wohnzimmer und schob einige Schubladen geräuschvoll auf und zu, als ob ich gerade alles durchwühlen würde. Aus dem Schlafzimmer war jetzt kein Mucks mehr zu hören. Ich knipste die Taschenlampe an.

Nur ein kurzer Schritt zum Sicherungskasten und, klick, wurde es in der ganzen Wohnung schummerig. Aus dem Schlafzimmer kam ein gedämpfter Schrei und leises Getrappel. Offensichtlich versuchte sie, trotz des Handicaps der Ballet Heels, aufzustehen. Langsamen Schrittes, die Taschenlampe in der einen, das Buch in der anderen Hand, betrat ich in völliger Stille unser Schlafzimmer. Vanessa hatte es geschafft, sich an den Schrank anzulehnen und hatte wohl vor, sich hinter der Gardine zu verstecken, was ihr aber nicht geglückt war. Wie sie da stand, sich hilflos windend, mühsam die Balance haltend - verführerischer hätte auch kein Model auf dem Laufsteg mit den Hüften wackeln können. Würde ich sie nicht ohnehin schon lieben, wäre es spätestens jetzt um mich geschehen gewesen. Ihr schlanker, aber doch mit deutlichen weiblichen Rundungen gesegneter Körper faszinierte mich immer wieder. Ich leuchtete zunächst im Zimmer umher, als wenn ich sie nicht gesehen hätte. Dann richtete ich die Lampe plötzlich auf ihr Gesicht.

Sie erschrak bis in die Spitzen ihrer schulterlangen schwarzen Haare, die sie ausschließlich zu Hause offen trug. Dann ließ ich meinen Lichtfinger an ihrem hübschen Körper auf- und abgleiten, als wenn ich ihn genau inspizieren würde. Das bekam sie ganz genau mit und fragte sich sicher, was danach folgen würde. Ich legte das Buch aufs Bett und ging, im Halbdunkel immer noch unerkannt, auf sie zu. Sie quetschte sich in die Ecke, aus der es kein Entrinnen gab. Ich richtete die Lampe von unten auf mein Gesicht, dann zog ich die Maske herunter. Rasch hakte ich sie unter, um ihr das Stehen zu erleichtern und küßte ihre geknebelten Lippen. Vor Glück und Erleichterung sackte sie fast zusammen. Ich führte sie zum Bett zurück und setzte sie mit einem Kissen im Rücken halb aufrecht. Dann setzte ich mich zu ihr, zündete auf dem Nachttisch eine Kerze an und nahm das Buch zur Hand.

"Mein Schatz, es ist ein großes Glück, daß wir beide uns gefunden haben und daß wir so übereinstimmende Neigungen haben. Ich habe dir etwas Besonderes mitgebracht, was deine Phantasien weiter anregen wird. Es war nicht leicht zu bekommen. Ich mußte erst einen Mitarbeiter eines Antiquariats bestechen, damit er es unter dem Ladentisch verkauft. Still sein wirst du durch deinen Knebel ohnehin, also genieße es und hör brav zu."

Ich las ihr beim Kerzenschein die Kurzgeschichte 'Nini Ninette Ninon' aus einem längst vergessenen Nachdruck des Bizarre-Hefts Nr. 14 aus den 1950er Jahren vor, in der ein bizarrer Alltag als ganz selbstverständlich geschildert wird. Die Männer einer Vorstadtsiedlung gehen morgens zur Arbeit und lassen ihre Ehefrauen als korsettierte, gefesselte oder in Fetischkleidung gefangene Püppchen zurück. Als ich zu Ende vorgelesen hatte, nahm ich ihr den Knebel und die Handschellen ab.

"Bitte laß mich die unbequemen Schuhe die ganze Nacht anbehalten und verwahre die Schlüssel dazu. Sie sollen mich ständig an meine Rolle erinnern, die ich aus ganzem Herzen für dich lebe und ein Zeichen dafür sein, daß ich dir niemals weglaufen kann. Auch wenn du mich vor der lieben Überraschung ganz schön geängstigt hast, du Schuft!"

"Hat dir denn die Geschichte gefallen? Ich war mir nicht sicher, ob dir die geistige Ebene allein genügen würde, ich meine, daß ich neben dir nur so am Bettrand sitze und dir vorlese..."

"Die erfundenen Sachen sind manchmal die besten. Ich denke, so etwas kann es doch nie real geben, auch früher nicht. Aus welcher Zeit stammt denn die Geschichte?"

"Aus den 1950er Jahren."

"Was, so alt ist das schon? Dann muß es doch noch mehr davon gegeben haben? Warum weiß man heute nichts mehr davon? Du könntest doch mal im Internet recherchieren...."

"Das ist zu gefährlich. Du weißt doch, sobald irgendetwas in das System eingegeben wird, wird es automatisch analysiert. Es basiert immer noch auf diesen alten Anti-Terror-Gesetzen, die niemals widerrufen wurden. Zuletzt wurde eine Französin versehentlich verhaftet, weil man 'Cocotte' für den Namen einer verruchten Spionin hielt."

"Was die geistige Ebene angeht, glaubst du, daß du herausfindest, wozu mein Bodystocking diese beiden entzückenden kleinen Löcher hat?"

Sanft und vorsichtig drang sein Glied in mich ein. Ich gab mich völlig entspannt hin. Die Vorstellung, so wie eine dieser restriktiv gekleideten Frauen aus der alten Geschichte gehalten zu werden, ging mir nicht aus dem Kopf. Ich mußte mir eingestehen, daß es mich noch feuchter machte. John kannte wirklich mein Innerstes, wofür ich ihm unendlich dankbar war.

Die Konferenz der grauen Eminenzen

Auf einem ehemaligen Landsitz, nicht allzu weit von London, trafen sich die, bei denen die Fäden der Macht zusammenliefen. Wen immer die Öffentlichkeit als Repräsentanten wahrnehmen mochte, die Personen an diesem Tisch waren die wirklichen Herrscher. Die ländliche Abgeschiedenheit ließ sich gut bewachen, das Abhörrisiko war minimal und die Anfahrt gestaltete sich einfacher, wenn man unerkannt anreisen wollte. In dieser Atmosphäre von Sicherheit, vergangener Pracht, gegenwärtigem Luxus und idyllischer Landschaft ließ es sich offen reden. Nichts davon durfte nach außen dringen. Nicht die Namen der Teilnehmer, nicht das extravagante Ambiente und noch nicht einmal, daß es diese regelmäßigen Konferenzen überhaupt gab.

"Ich vertrete bekanntermaßen die Auffassung, daß alles, was der Gesundheit des Menschen schadet und somit seine Produktivität beeinträchtigt, nicht normal sein kann und folglich als pervers anzusehen ist. Wir haben über einen langen Zeitraum endlich die Laster des Tabaks, des Alkohols und der Drogen in den Griff bekommen. Anschließend haben wir versucht, weitere Alltagssüchte der Menschen zu reduzieren. Beispielsweise ist es inzwischen recht gut gelungen, High Heels über 8 cm Absatzhöhe auszurotten, die nachweislich sowohl der Gesundheit schaden als auch effektivem Arbeiten im Weg sind. Wir planen, ihren Bezug zukünftig nur noch über Krankenschein zu erlauben. Dazu muß man einen Fragebogen ausfüllen, unter anderem steht darin: 'Kommen Sie nur unter Zuhilfenahme des Fetisches High Heels zum Orgasmus oder können Sie es auch ohne? Manipulieren Sie lieber mit den Schuhen an sich herum oder bevorzugen Sie es, wenn ihre Partnerin sie beim Sex trägt? Sind sie sich bewußt, welchen gesundheitlichen Risiken sie ihre Partnerin aussetzen, wenn sie darauf bestehen, daß sie High Heels trägt?' Natürlich wird kaum jemand diese peinliche Möglichkeit in Anspruch nehmen.

Also können wir nach einer glaubhaften Übergangszeit wahrheitsgemäß verkünden, daß kein übergeordnetes Interesse des Volkes mehr an diesen ungesunden Dingern besteht. Parallel dazu wollen wir eine Kampagne mit abschreckenden Bildern von deformierten Füßen und verkrümmten Zehen starten, nach dem erfolgreichen Vorbild der Anti-Raucher-Kampagnen. Für die Restbestände an Schuhen, die man horten wird, vertrauen wir, in bewährter Weise, darauf, daß die Bürger sich gegenseitig ans Messer liefern. Wir wollen folgende Verordnung erlassen: 'Wenn Sie ihre Frau, Freundin oder Sexpartnerin dazu nötigen, beim Sex die Schuhe anzubehalten, hat diese das Recht, Sie zu melden.' Ich denke, mehr können wir momentan nicht tun. Die Vorgehensweise ist immer ähnlich, Sie kennen das ja."

"Ich kann dem nur zustimmen, daß alles, was die Produktivität hemmt, geächtet werden muß. Wir leben heute in einer friedlichen Welt. Diese zu erhalten, ist kein Preis zu hoch, auch wenn der Durchschnittsmensch so niemals auch nur zu einem bescheidenen Wohlstand gelangen kann. Das heutige Finanzsystem darf auf keinen Fall in Frage gestellt werden. Da große Vernichtungen von Sachwerten durch Kriege zum Glück nicht mehr vorkommen, muß jeder Einzelne seinen Beitrag hinsichtlich Arbeit und Konsum leisten, sonst wird die reale Wirtschaft, die im ständigen Wettbewerb mit dem Finanzwesen steht, vom Hebel des Zinseszinses abgehängt. Und darum verlange ich mit allem Nachdruck, daß Frauen emanzipiert zu sein haben und daß es eine Selbstverständlichkeit sein muß, daß sie alle arbeiten gehen. Frauen, die sich lieber dem Mann unterordnen und als Hausfrau glücklich sind, machen uns Probleme. Überhaupt können wir die Vorteile des Single-Daseins gar nicht genug als Selbstverwirklichung anpreisen. Schließlich können so zwei Kühlschränke, zwei Sofas etc. verkauft werden, statt nur jeweils ein Stück bei einem gemeinsamen Hausstand. Wer es mit seinem Realeinkommen nicht packt, muß eben eine Zweckbeziehung eingehen. So eine Beziehung, die nicht auf Liebe basiert, ist im Prinzip eine gegenseitige Überwachung, die uns in die Hände spielt. Wir haben eine kräftige Inflation zum Abbau der Staatsschulden herbeigeführt und gleichzeitig die Sparzinsen künstlich auf niedrigem Niveau belassen. Wer nicht von früher etwas vererbt bekommen hat, für den geht diese Schere auseinander. Zuviel Zeit füreinander sollten Paare nicht haben, denn dann beginnen sie zu denken, statt in ihrer Freizeit in vorgegebenen Schablonen zu konsumieren und so die Wirtschaft am Laufen zu halten. Auf das Problem, mit sich selbst in der Freizeit nichts anzufangen zu wissen, müssen wir die Antworten vorgeben, sonst werden die Menschen kreativ, statt Geld auszugeben.

Wir nehmen ihnen inzwischen sogar ab, sich in Phantasiewelten flüchten zu müssen, um der tristen Realität zu entfliehen. Es gibt Filme, Spiele etc. zum Thema Fantasy noch und nöcher und sie werden dankbar angenommen. Auch die Tatsache, daß bei den meisten Konsumenten heute vom Rollrasen bis hin zu den Dessous alles nur geleast oder auf Pump gekauft ist, hält sie davon ab, sich mit dem System anzulegen. Man hat so nicht nur die Kontrolle, sondern auch sämtliche Informationen. Annehmlichkeiten wie der löffelfertig automatisch nachbestellende Kühlschrank machen nun einmal die Menschen faul und abhängig."

"Zum Glück hat die wirtschaftliche Dominanz der wenigen verbliebenen Modekonzerne zu einer globalen Einheitsmode geführt. In welche Region auch immer Sie fahren, Sie finden überall die gleichen Geschäfte mit dem gleichen Angebot, wenn auch in großer Vielfalt. Regionale Besonderheiten gibt es höchstens noch an Feiertagen, wenn Abwandlungen historischer Trachten auftauchen und da auch nur noch als Kostüm, dessen Ursprung nicht mehr hinterfragt wird. Damit haben frühere Kämpfe um Rock oder Hose, um die Länge von Rock oder Haaren heute keine Bedeutung mehr. Die Konzerne geben durch ihr Warensortiment die Mode vor.

Trendsetter, Künstler und Modegurus gibt es nicht mehr, wir haben sie alle finanziell ausgehungert und aufgekauft. Wir haben inzwischen die volle Kontrolle. Beispielsweise hat sich der modische und praktische Overall als Alltagskleidung etabliert. Aber wir müssen immer auf der Hut sein, weil jeglicher Gegenstand oder Körperteil ein Fetisch sein kann. Das frühere Bild klassischer Weiblichkeit kann ich nur verachten, davon sind die Frauen heute endlich befreit."