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Der Feuerdämon ist besiegt, doch mit dem neuen König von Abrantes hat Krona noch ein Hühnchen zu rupfen. Der Kampf um den abrantinischen Thron wird an den Rändern der bekannten Welt entschieden, und als die Todesgöttin Meridia höchstselbst sich ins Spiel bringt, muss Krona etwas tun, das sie eigentlich nicht kann: Frieden schließen. Auf dem Winterfeld wird inzwischen ein erbitterter Kampf gefochten – nicht nur zwischen politischen Gegnern, sondern auch zwischen besten Freunden. Ein gut gehütetes Familiengeheimnis kommt ans Licht und verändert einfach alles, und Wolfram der Spielmann empfängt einen Kuss, der mehr als eine Wahrheit in sich trägt. Das fulminante Finale der mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichneten Feuerjäger-Trilogie! Von Juri Susanne Pavlovic ist im Abrantes-Zyklus erschienen: Das Spielmannslied Der Sternenritter Feuerjäger 1: Die Rückkehr der Kriegerin Feuerjäger 2: Herz aus Stein Feuerjäger 3: Das Schwert der Königin Die Herren von Nebelheim Drei Lieder für die Königstochter Die Frostchroniken 1: Krieg und Kröten Die Frostchroniken 2: Der letzte Magier 7 Sorten Schnee (in Vorbereitung)
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Seitenzahl: 1311
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© 2016 Amrûn Verlag Jürgen Eglseer, Traunstein
Covergestaltung: Christian Güntherwww.atelier.tag-eins.deLektorat: Simona Turini www.lektorat-turini.de
Korrektorat: Marietta HerzbergerIllustrationen: Kristina Gehrmann
www.mondhase.com
Kartendesign: Martin Lorber
Alle Rechte vorbehalten
ISBN – 978-3-95869-206-0
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar
Dieses Buch ist für dich, Jaromir, und nicht nur, weil du auch rückwärts gelesen mein Held bist.
– 1 –
Vergebung und Vergeltung
»Meridias nackter Arsch!«
Krona kam mühsam vom Boden hoch. Ihre Knie protestierten, und sie hatte Mühe, den Rücken gerade zu richten. Sie warf die Bürste zurück in den Eimer, dass es spritzte, und weil ihr das noch längst nicht genügte, trat sie kräftig nach. Der Eimer stürzte um und verteilte einen Schwall Seifenwasser auf dem Boden.
Lianna zog die Füße auf ihrem Stuhl in die Höhe und raffte ihren Rocksaum.
»Das machst du schön selber weg«, sagte sie.
»Na klar!«, schnaubte Krona. »Wie auch sonst alles! Weil ich die Einzige hier bin, die sich um Haus und Hof kümmert! Aber so hatten wir nicht gewettet, junge Dame!«
»Ich bin schwanger«, sagte Lianna unbewegt.
»Schwanger zu sein ist keine tagesfüllende Beschäftigung! Als ich so schwanger war wie du …«
»Ja, ja, ich weiß! Als du so schwanger warst, hast du Soldaten ausgebildet und warst jeden Tag von früh bis spät auf dem Kasernenhof, und nachts hast du zur Entspannung noch einen Gewaltmarsch gemacht und ein Pferd gestemmt.«
Krona ballte die Hände zu Fäusten.
»Du wohnst hier«, sagte sie mühsam beherrscht. »Genau wie ich. Es ist in Ordnung, wenn ich die schweren Sachen übernehme – Brennholz, Wäsche – aber es gibt keinen Grund, warum du dich nicht ums Essen kümmern könntest! Oder mal ein paar Sachen flicken!« Sie wies mit dem Zeigefinger auf die Bank, wo seit Tagen ein Stapel nachlässig gefalteter Kleidungsstücke herumlag und Platz wegnahm. »Ich brauche mein Hemd wieder, Himmelarsch!«
»Dann mach nicht ständig Löcher in deine Sachen, wenn du sie nicht flicken willst.«
Krona stieß Luft aus.
»Wenn du nicht … Wenn du noch einmal … Ich schwöre dir – Ich habe noch nie … Du freches, ungehöriges, unmögliches, fürchterliches Weibsbild! Mach dein Zeug, oder ich schwöre dir, ich werde …«
Lianna begegnete ihrem Blick mit herablassender Gleichmut. »Was? Womit willst du mir Angst einjagen? Meinst du, es gibt etwas Schlimmeres als das, was ich erlebt habe? Eine Hölle, in die du mich schicken könntest, in der ich nicht sowieso schon bin? Meinst du wirklich, ich habe noch irgendetwas zu verlieren? Du hast ja keine Ahnung.«
»Ich habe keine Ahnung? Ich habe keine Ahnung?! Weiß du was – mach doch, was du willst! Du kannst mich mal!«
Krona stürmte an Lianna vorbei und zur Tür hinaus. Auf der Schwelle machte sie nochmal kehrt und riss ihr hölzernes Übungsschwert von der Truhe, dann knallte sie die Tür hinter sich zu, dass das alte Holz ächzte. Die Wut kochte in ihr. Sie hätte etwas gegeben für einen anständigen Gegner, jemanden, dem sie das Übungsschwert quer zu fressen geben konnte, zwei, drei, fünf Schrate oder Untote oder Zentalliner, die es verdient hatten, dass man sie in Stücke hieb, ein Lindwurm, in dessen Fleisch sie gewaltsam ihre Klinge rammen konnte, und wieder, und wieder - Karcharoth, um ihm mit bloßen Fäusten das überhebliche Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln …
»Hauptmann Feuerfaust!«
Sie ließ das Übungsschwert sinken. Einige Schritte vor ihr lugte Alba erschrocken über ihre Arme, die sie schützend vors Gesicht hielt.
»Ich … Äh ... Wir sind vollzählig angetreten, Hauptmann. Wenn es aber gerade nicht passt …«
»Es passt ganz hervorragend!«, fauchte Krona. »Ich hatte schon beinahe vergessen, dass ich hier nicht die Küchenmagd bin!«
»Ich verstehe nicht …?«
Krona atmete tief durch und wischte sich Haarsträhnen aus der verschwitzten Stirn. Ihre Hände rochen nach Seife.
»Gib mir einen Augenblick«, sagte sie. »Ich komme gleich. Jetzt geh!«, herrschte sie Alba an, als die Zwergin zögerte. Alba drehte sich um und eilte davon, und Krona sah ihr mit einer Mischung aus Wut und Bedauern hinterher.
Die Sonne im Holzmond war mild und von erster herbstlicher Blässe. Die Felder rundum waren abgeerntet, und die Luft duftete nach Wald und Erde. Krona ließ den Blick über die waldigen Hänge Erendors schweifen. Ein harter Klumpen ballte sich in ihrem Inneren, der mehr schmerzte als alle Herabwürdigungen, die Lianna sich einfallen lassen konnte.
Alles wäre einfacher, wenn …
Sie packte ihr Übungsschwert und wandte sich vom Wald ab, hinunter zu dem Stoppelfeld, das sich zwischen ihrem Haus und dem Rand des Dorfes erstreckte. Der Bauer, dem es gehörte, war zunächst nicht sehr begeistert von dem Gedanken gewesen, es bei militärischen Übungen zertrampeln zu lassen, hatte seine Meinung aber rasch geändert, als Krona ihm klargemacht hatte, dass diese Armee aus Zwerginnen womöglich demnächst das einzige Bollwerk zwischen seinem Hof und einer Horde marodierender Aufständischer sein würde.
Am Rand des Feldes hatten sie Übungspuppen aus Strohballen und Besenstielen aufgebaut, die von den Anfängerinnen mit dem Holzschwert beharkt wurden, dass das Stroh flog. Krona war immer wieder berührt von dem beinahe heiligen Ernst, mit dem die Zwerginnen ihre Übungsschwerter trugen.
»Langsam«, sagte sie zu einer molligen Rothaarigen, die mit ihrer Übungspuppe besonders unsanft umsprang. »Du sollst deine Technik üben, nicht das Ding zerlegen! Ich will nicht schon wieder neue bauen müssen. Achte mal lieber auf deine Füße! Schrittstellung, locker in den Knien. So. Genau.«
»Tut mir leid, Frau Feuerfaust«, schnaufte die Rothaarige. »Ich bin nur so wütend! Sveinn hat versucht, mir zu verbieten, hierher zu kommen. Das ziemt sich nicht für eine Ehefrau und Mutter! Ich soll daheim bleiben und saubermachen!« Sie versetzte der Übungspuppe einen heftigen Schlag mit dem Holzschwert. »Kochen! Seine Wäsche waschen! Das sei meine Aufgabe!« Drei weitere Schläge, einer davon hätte einem wirklichen Gegner sauber den Schädel gespalten. Die Rothaarige pustete sich eine Haarsträhne aus der erhitzten Stirn. »Aber ich lasse mir nichts mehr vorschreiben! Jawohl!«
»Richtige Einstellung«, sagte Krona. »Und diese Wut, heb dir die für einen echten Kampf auf. Du bist eine Frau, du hast den Vorteil, dass der Gegner dich nicht ernst nimmt. Wenn er seinen Irrtum dann bemerkt, hast du ihn längst. Aber lass die Puppe am Stück, wenn’s geht.«
»Jawohl, Frau Feuerfaust!«
»Weitermachen.«
Sie wandte sich ab und ließ ihren Blick über das Übungsfeld schweifen. Die fortgeschrittenen Kämpferinnen übten Attacken und Paraden. Das trockene Knallen, wenn zwei Holzklingen aufeinandertrafen, schallte weit über das Feld, vermischt mit Rufen und Gelächter. Dahinter lag der Wald, sein Grün schon müde vom langen Sommer, und schwieg.
»Wenn das so weitergeht, wird nicht die Armee aus Aufständischen dein größtes Problem sein, sondern eine Horde erzürnter Ehemänner«, sagte Alba. »Gròrs heiliger Hammer! Wer hätte gedacht, was wir in Bewegung setzen.«
»Hm?«, sagte Krona. »Ja. Damit werde ich schon fertig, wenn’s kommt.«
»Es war ein Scherz«, sagte Alba. »Wobei … wenn ich’s bedenke – vielleicht auch nicht.«
»Ich hab nicht zugehört. Entschuldige.«
»Das habe ich gemerkt.«
Krona riss sich zusammen.
»Also dann, los. Zeig mal, was du gelernt hast.«
Und das war eine Menge, wie Krona überrascht feststellte. Alba war schnell und entschlossen und geschickt im Umgang mit dem Schwert. Krona parierte und führte einige grundlegende Angriffe – Dachschlag, Eber, Ochs – die Alba mühelos mit Gegenangriffen konterte. Nach einem Gegenangriff brauchte sie noch einen Wimpernschlag zu lang, um wieder in die Grundstellung zu kommen, und Krona brachte einen Angriff durch und tippte ihr mit der Schwertspitze auf die Brust.
»Übe die Übergänge«, sagte sie. »Such dir eine Partnerin. Hier, Reida. Die ist fast so gut wie du. Ein echter Gegner bleibt auch nicht stehen und wartet, bis du dich wieder sortiert hast.«
»Jawohl, Hauptmann!« Alba marschierte davon, und Krona stemmte die Fäuste in die Hüften und besah sich ihren behelfsmäßigen Kasernenhof mit ihrer behelfsmäßigen Armee. Näherinnen, Gemüsehändlerinnen, Köchinnen, Goldschmiedinnen, Bäuerinnen. Jede hatte einen Mann, einen Bruder oder Vater in der Westlichen Halle verloren, und hier waren sie, manche zu nichts zu gebrauchen, aber alle wild entschlossen, ihren Berg gegen alle weiteren menschlichen Übergriffe zu verteidigen.
Und hier war sie, Krona Feuerfaust, die Letzte der Gefährten, von König Brainn geduldet, unehrenhaft aus der Armee entlassen und gesucht wegen Mordes. Lindwurmbezwingerin, Aufersteherin von den Toten, besungen in den Liedern zumindest eines Spielmannes, Anführerin einer Armee aus Zwerginnen. Am Ende der Welt in einem Winkel zwischen Berg und Meer verkrochen, ohne einen Weg oder ein Ziel.
Sie sah hinüber zum Wald. Ein kalter Wind sprang sie an.
Du hängst besser irgendwo in einer Falle, oder ich reiße dir den Kopf ab, wenn ich dich zu Gesicht kriege.
Sie wusste nicht, welcher Teil dieser Vorstellung sie mehr schmerzte.
Ein blaues Flattern lenkte ihren Blick: Da war Lianna, der Wind spielte mit ihrem Gewand. Sie hatte sich ein Schultertuch umgelegt und ging über den Hof, um dann auf die Straße zum Osttor einzuschwenken. Ihr Leib war rund und schwer.
»Wie geht es ihr?«
»Hm?« Krona zuckte zusammen. Saelka war neben sie getreten, eine energische, taugliche Kämpferin, Bootsbauerin im Hauptberuf. Ihr Bruder war am Westtor gefallen, und sie hatte sich ihre langen kastanienbraunen Haare abgeschnitten und geschworen, ihn zu rächen, ehe der Zopf nachgewachsen war.
»Ich meine die Kleine. Wie macht sie sich?«
»Nicht gut.« Krona seufzte. »Mit dem Kind ist wohl alles in Ordnung, aber sie selbst findet aus ihrer Schwermut nicht heraus. Die meiste Zeit ist sie einfach unerträglich.«
»Du brauchst noch ein bisschen Geduld mit ihr, Hauptmann.«
Krona schnaubte. »Geduld! Mit mir hatte auch keiner Geduld, als ich damals meinen Mann begraben habe.«
»Und ich bin sicher, du warst ebenso unerträglich.«
Saelka zwinkerte zu ihr hinauf, und Krona seufzte und nickte.
»Kann sein. Ich mache mir Sorgen, Saelka. Jetzt rennt sie wieder in den Berg und steht in der Heimstatt der Könige am Abgrund und schaut runter, als könnte sie ihn wieder raufholen, wenn sie es nur genug will. Sie macht das ständig, und ich glaube nicht, dass ihr das gut tut.«
»Warst du jemals da, seit der See verschwunden ist?«
»Einmal.«
Und nie wieder, weil es gruselig war. Dieses riesige schwarze Loch, mit Brücken drüber wie Spinnenbeine, und da tief unten irgendwo Wasser und Steine und Dunkelheit – Gebeine, die mit Stein verschmelzen.
Sie biss sich hart auf die Unterlippe. Sie wusste, wie Lianna sich fühlte – wie ein Leben sich anfühlte, in dem ein Loch war, so groß wie das in der Heimstatt der Könige.
»Die Königsfamilie hat Wohnsitz in Kohlstein genommen«, sagte Saelka. »Oder das, was von der Königsfamilie noch übrig ist. Offiziell, weil es sicherer ist als Schmiedeberg, aber ich denke, sie konnten es nicht mehr ertragen, aus ihren Fenstern direkt in dieses schreckliche Loch zu schauen.«
»Können wir über etwas Anderes reden?«, sagte Krona. »Sofort. Ich muss mich sonst besaufen oder einen Streit vom Zaun brechen, und beides wäre nicht gut.«
»Sehr gerne. Wie geht es mit den Vorbereitungen für das Manöver voran?«
»Gut. Lomir hat eine Handvoll Zwerge aufgetrieben, die uns einen Gegner markieren. Ich hätte gerne mehr Zwerge gehabt, aber er sagt, die Bereitschaft war nicht allzu hoch. Die meisten Zwerge halten das, was wir hier machen, für ausgemachten Schwachsinn und wollen die Frauen nicht auch noch unterstützen.«
»Und wann brechen wir auf?«
»Weiß ich noch nicht. In ein paar Tagen. Ich gebe Bescheid. Und jetzt geh trainieren! Vom Herumstehen wirst du nicht stärker. Liegestütze, wie viele schaffst du am Stück?«
»Vierzig.«
»Mach sechzig.«
Als Krona bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause kam, war Lianna noch nicht zurück. Krona entzündete die Lampe neben der Tür und sah sich um. Das Geschirr von ihrer letzten Mahlzeit stand noch auf dem Tisch. Der Eimer lag da, wo sie ihn hingetreten hatte. Das Seifenwasser war in den Boden eingesickert und hatte einen dunklen Fleck hinterlassen. Niemand hatte den Kleiderstapel auch nur angefasst.
Krona legte ihr hölzernes Übungsschwert auf den Tisch und sah sich unschlüssig um. Sie war müde und übellaunig und rastlos zugleich. Auf dem Übungsplatz hatte sie all ihre Selbstbeherrschung aufbringen müssen – sie konnte sich nicht erinnern, je mit so vielen Anfängern gearbeitet zu haben – doch nun, in der kühlen Stille des einsamen Wohnraumes, wünschte sie sich zurück zu den eifrigen Köchinnen und den Hausfrauen, die schnaufend und mit hochrotem Kopf ihre Runden um das Stoppelfeld drehten.
Sie nahm ihr Hemd von dem Kleiderstapel, drehte es in den Händen und untersuchte den Riss.
»Du gerätst aus der Form, mein Herz.«
Ein Zeigefinger, der sich in meine Hüfte bohrt, dazu ein schelmisches Grinsen. Ich packe sein Handgelenk und drehe seine Finger weg.
»Meine Form reicht immer noch aus, um dir Manieren beizubringen, mein Herz.«
Er lacht. Wie ich es liebe, wenn er lacht. Wie ich es vermisse, zu lachen, in all der Trauer.
»Nur zu.«
Er packt mich und drückt mich gegen den Kirschbaum. Er ist so stark wie ich, aber ich bin gewitzter. Ich spüre die Spannung in seinen Muskeln, diesen harten, schmalen Körper, habe seinen Atem im Gesicht, ich winde mich unter seinem Arm hervor, doch er hält mich an der Schulter und mein Hemd gibt nach.
»Hoppla.« Er hält inne. Ich nutze die Gelegenheit und schubse ihn rückwärts ins Gras. Er packt mich und zieht mich mit sich hinunter, umfasst mich so fest, dass mir die Luft wegbleibt. Ich küsse ihn, als wäre es mein letzter Kuss.
»Du musst mir gar nicht die Kleider vom Leib reißen, mein Herz. Du musst einfach nur nett fragen.«
Krona warf das Hemd auf den Tisch. In einer Schublade fand sie Nähzeug, holte sich die Lampe heran und verbrachte geraume Zeit mit dem Versuch, den Faden durch das Nadelöhr zu bekommen. Als sie den ersten Stich setzte, war ihre Geduld schon aufgebraucht, und als sie einige Zeit später feststellte, dass sie gerade dabei war, das vordere Schulterteil an die Rückseite des Ärmels zu nähen, fegte sie das verschlimmbesserte Kleidungsstück auf den Boden und vergrub das Gesicht in den Händen. Eine schier unerträgliche Anspannung ballte sich in ihrem Inneren. Sie focht einen kurzen und heftigen Kampf und verlor. Kurz darauf durchsuchte sie die Vorratskammer, fand aber nichts als einen Rest abgestandenes Bier. Sie stürzte ihn hinunter und schüttelte sich. Schal und bitter und lange nicht genug. Ohne viel Hoffnung suchte sie nach Schnaps, sie wusste, es gab keinen, aber der Wunsch danach war übermächtig, vielleicht hatte sie ja doch irgendwo noch einen Krug ihrer eisernen Reserve, einen Becher wenigstens, doch sie fand nichts.
Sie nahm den leeren Bierkrug mit, schlüpfte in ihren Mantel und trat ins Freie. Die Sonne war längst untergegangen, über Erendor glitzerten die Sterne. Sie stand still und lauschte, noch mehr als einen Krug voll Schnaps wünschte sie sich ein langgezogenes Heulen aus dem dunklen Wald, doch die Nacht blieb still.
Krona machte sich auf den Weg hinunter ins Dorf.
Anhand der Häuser konnte man genau erkennen, wo die Menschen wohnten und wo die Zwerge. Zahlenmäßig hielten sie sich die Waage, und obwohl das Dorf klein war, gab es zwei Wirtshäuser. Krona konnte sich entscheiden, ob sie als die widerwillig geduldete Prinzenmörderin angesehen werden wollte oder als die abgehalfterte Soldatin, die sich mit den Erdfressern verbündet hatte. Sie entschied sich für die Soldatin und betrat den Gasthof Zum Rostigen Fass am südlichen Ende des Dorfplatzes. Die Blicke gingen ihr zu, als sie eintrat. Sie grüßte energischer, als sie sich fühlte, und bekam gemurmelte Begrüßungen und lange Blicke zurück. Zwischen den gut besetzten Tischen hindurch suchte sie sich ihren Weg zum Tresen und stellte ihren Krug mit einem Knall ab.
»Einmal vollmachen, bitte.«
Die Schankmagd nickte und nahm den Krug an sich. Während Krona wartete, sah sie sich um. Sie hatte Lust, zu würfeln oder Karten zu spielen, und unter anderen Umständen hätte sie sich einfach irgendwo dazu gesetzt, ein bisschen gelacht, ein paar Witze gerissen, geschäkert und irgendwann die Würfel auf den Tisch gepackt, doch jede Leichtigkeit war ihr verlorengegangen.
Neben der Tür saß ein junger Blonder, er hatte welliges Haar und breite Schultern, ein Gesicht frisch wie der junge Morgen und schöne helle Augen. Sie lächelte ihn an, und er wandte irritiert den Blick ab.
Die Schankmagd kam mit dem gefüllten Krug zurück. Krona kramte ein paar Münzen aus der Manteltasche, bezahlte und nahm den Krug an sich. Er war tröstlich schwer, und sie balancierte ihn vorsichtig, um nichts zu verschütten, zur Tür.
Wie ein dunkler Teich lag der Dorfplatz zwischen den Lichtinseln der beiden Gasthäuser. Krona setzte sich auf die Bank neben dem Brunnen und trank. Der Alkohol entfachte ein Feuer in ihr, brannte sie aus und ließ sie hohl und müde zurück. Sie nahm den Krug in die Arme und schmiegte die Wange an die Wölbung. Irgendwo schrie ein Nachtvogel. Sie fragte sich, ob sie wohl schlafen könnte, wenn sie jetzt nach Hause ginge.
Dann fiel ihr Lianna ein. Ob sie schon zurück war? Es waren mehrere Stunden Fußmarsch von hier bis Schmiedeberg, etwas weniger, wenn sie Unter dem Berg ein Boot nahm.
Was, wenn sie diesmal nicht zurückkam? Wenn sie am Rand stand und einen Schritt nach vorne machte statt einen zurück?
Ich hätte den Schritt nach vorne gemacht, wenn sie mich nicht gehalten hätten. Cladis, Frido und die Anderen.
Sie kam taumelnd in die Höhe und hielt sich an ihrem Krug fest.
Versprich mir, dass du hinaufgehst und dich um sie kümmerst.
Goldene Fünkchen in einem einzelnen grünen Auge, ein Blick, so tief und unerschütterlich.
»Ich komme ja schon«, murmelte sie. »Aber dass ich das ganz alleine machen muss, ist nicht gerecht, Meridias Arsch! So hatten wir nicht gewettet!«
Sie beeilte sich, nach Hause zu kommen. Mit jedem Schritt wuchs ihre Besorgnis. Der Schnaps saß ihr in den Gliedern und ließ sie stolpern, doch sie hielt sich aufrecht und rannte die Straße hinauf, bis sie Licht im Fenster sah und innehielt, weil sie vor Erleichterung kaum mehr atmen konnte. Sie legte die letzten Steinwürfe zurück und riss die Tür auf. Lianna fuhr herum, sie hatte die Hände voll schmutzigem Geschirr. Ein Teller entglitt ihr und zersprang auf dem Fußboden.
»Was ist los?«
Schwer atmend hielt Krona sich am Türrahmen.
»Du bist da. Ein Glück. Alle beschissenen Götter.«
Lianna schüttelte den Kopf.
»Wo soll ich denn sein? Ich habe keinen anderen Ort auf der Welt, schon vergessen? Hast du schon wieder getrunken, sag mal?«
»Kaum was«, sagte Krona. »Ich dachte nur … Ich hab mir Sorgen gemacht.«
»Um mich? Die fürchterliche, schreckliche, ungezogene Person?«
»Tut mir leid. Ich hab’s nicht so gemeint. Doch, eigentlich schon, jedes Wort, aber … Egal. Du hast das Recht, fürchterlich zu sein.«
Lianna stellte das Geschirr auf den Tisch und rang sich ein schmales Lächeln ab.
»Willst du nicht endlich reinkommen und die Tür zumachen?«
Krona gehorchte. Ihren Mantel ließ sie auf der Truhe, dann, einem Impuls folgend, trat sie zu Lianna und zog die junge Frau in eine enge Umarmung. »Lass das bleiben, hörst du? Jag’ mir keine Angst mehr ein. Ich halte das schlecht aus.«
Lianna schlang die Arme um Kronas Hals und atmete in ihre Schulter. »Du hast mir gesagt, dass der Schmerz nie vergehen wird, weißt du noch? An seinem … bei seiner … im Auge der Götter. Aber ich würde lernen, damit zu leben.«
»Ja. Ich erinnere mich.«
»Wie lange wird es dauern, bis ich es kann?«
Krona strich mit der freien Hand über Liannas Haar. »Warte, bis der Kleine da ist. Dann ist alles so anders … und du wirst so wenig Schlaf bekommen … Dann wird es wichtigere Dinge geben, als traurig zu sein.«
Lianna seufzte. »Du hilfst mir, oder?«
Krona lachte auf. »Na klar. Weil ich mich dazu auch so hervorragend eigne.«
Lianna hob den Kopf von Kronas Schulter und sah sie an. »Du hilfst mir besser, verstanden? Ich habe sonst niemanden.«
»Ist gut, Schätzchen. Wir schaffen das schon irgendwie.«
Es war noch ein Rest in ihrem Krug, den sie auf dem Heimweg nicht verschüttet hatte. Sie trank den Krug mit großen Schlucken leer und spürte der angenehmen Hitze nach, die der doppelt Gebrannte in ihrem Mund hinterließ.
»Du kriegst dein Kind nicht mehr heute, oder? Ich frage nur, weil mir gleich die Lichter ausgehen.«
Lianna lächelte schwach. »Jedenfalls nicht, bevor ich hier ein bisschen aufgeräumt habe. Was hast du mit deinem Hemd gemacht, sag mal?«
»Arbeitsunfall«, sagte Krona und ließ sich schwer auf die Ofenbank fallen.
Lianna sammelte das Geschirr vom Tisch und trug es zur Waschschüssel.
»Ruh dich aus. Ich flicke dein Hemd. Eine meiner leichtesten Übungen.«
Krona schloss die Augen. Die Stube schaukelte leise um sie. Sie würde schlafen können, und wenn sie Glück hatte, vielleicht nicht mal Kopfschmerzen bekommen.
Drei Nächte später lag sie im feuchten Unterholz und versuchte vergeblich, im Halbdunkel des mondbeschienenen Waldes etwas zu erkennen. Kleine Tiere raschelten in den Zweigen, der Wind bewegte die Blätter. Es roch nach Regen. Krona unterdrückte ein Gähnen. Sie wünschte sich mehr Licht, aber sie hatte Albas Argumenten nichts entgegenzusetzen gehabt: Natürlich war dies eine Probe für den Ernstfall, und natürlich würden sie Karcharoths Männern, wenn sie kämen, nicht in einem Wald auflauern, der beleuchtet war wie ein Festsaal.
Krona wischte sich übers Gesicht und versuchte, sich zu konzentrieren. Der Spähtrupp war seit mindestens einer halben Länge unterwegs, und seitdem hatten sie nichts von ihm gehört. Es war nicht auszuschließen, dass die Damen orientierungslos durch den Wald irrten oder inzwischen nach Hause gegangen waren.
Gedämpfte Stimmen drangen aus dem Busch zu ihrer Rechten, wo die übrigen Mitglieder ihrer Einsatzgruppe lagerten.
»… meiner Großmutter. Ich verwende ja gerne Butter, aber in diesem Fall nehme ich Schweineschmalz, es macht den Teig geschmeidiger und …«
Krona tastete um sich, fand einen Stein und schmiss ihn hinüber. Das Gebüsch raschelte, und ein empörtes Quieken drang durch die Nacht.
»Himmelarsch und dreimal zugenähter Zwirn! Wir üben hier für den Ernstfall! Ihr werdet kaum Kochrezepte tauschen, wenn der Gegner den Hügel stürmt, oder?«
»Backrezepte«, kam Minas Stimme aus dem Busch. »Und es ist nur eine Übung. Reg dich ab.«
»Ein Wort noch, und ich komme rüber!«
»Püh«, machte Mina beleidigt, doch es wurde still im Busch.
»Reg dich ab«, knurrte Krona. »Reg dich ab! Einen Scheißdreck werde ich. Ich rege mich auf, wann es mir passt.«
»Psssst!«, drang es aus dem Busch zu ihrer Linken, in dem Alba mit zwei Genossinnen lagerte. »Da kommt jemand!«
Plötzliche Stille fiel über das Waldstück. Krona hielt den Atem an und lauschte konzentriert. Allmählich gelang es ihr, das verräterische Rascheln und Knacken von Schritten aus den nächtlichen Geräuschen des Waldes herauszuhören.
»Einen Steinwurf entfernt«, hörte sie Alba flüstern. »In meine Richtung.«
Es klang wie eine ganze Gruppe, die sich wenig unauffällig durch den Wald bewegte, und sie kam schnell näher.
»Befehle, Hauptmann?«, flüsterte Alba aufgeregt.
»Nur zu. Du bist die Anführerin.«
»Ja. Richtig.« Alba lachte nervös. »Ganz vergessen. Also, Mädels – macht euch bereit!«
»… kneten, bis er Blasen wirft …«
»Mina! Ruhig, sonst knete ich dich, bis du Blasen wirfst!«
Krona grinste und zog ihr Übungsschwert. Die kleine Blondine hatte den richtigen Umgangston schnell aufgeschnappt.
»Lasst sie rankommen«, murmelte Alba. »Auf mein Kommando! Und jede von euch auf ihren Platz!«
»Wer hat sie eigentlich zur Bestimmerin gemacht«, murrte Uva, die neben Mina im Busch kauerte, doch sie wurde durch ein vielstimmiges »Psssst!« zum Schweigen gebracht.
Was sich da durch den dunklen Wald näherte, glich eher einer fröhlichen Reisegruppe als einem schlagkräftigen Einsatzkommando. Krona hörte Stimmen, männliche wie weibliche – der Spähtrupp konnte es also schon mal nicht sein.
»Bereit machen!«, zischte Alba. Krona kam in die Hocke. Ihre Knie fühlten sich an, als wären sie mit flüssigem Feuer geschmiert, und sie unterdrückte ein schmerzerfülltes Keuchen. Wäre dies der Ernstfall, sie wäre längst nicht schnell genug kampffähig. Sie packte einen jungen Baum neben sich und zog sich in die Höhe.
»Da kommen sie«, murmelte Alba. »Auf drei! Eins … zwei …«
Der Busch zu Kronas Rechten löste sich in einen Pulk angriffslustiger Zwerginnen auf, die brüllend den Neuankömmlingen entgegenstürmten.
»Drei«, sagte Alba entnervt und sprang ihrerseits hinter dem Busch hervor.
Das Handgemenge war beendet, kaum dass es begonnen hatte. Der Spähtrupp war tatsächlich zurück, und sie hatten eine Handvoll Zwerge dabei, allen voran Lomir, der die Hände vor dem Körper gefesselt hatte und ein breites Grinsen im Gesicht trug.
»Bericht!«, bellte Alba, und Fjola, die den Spähtrupp angeführt hatte, nahm Haltung an.
»Wenig Gegenwehr, Kommandantin! Es ist uns gelungen, das gegnerische Lager im Handstreich zu nehmen.«
»Aber ihr wart der Spähtrupp! Ihr solltet das Lager auskundschaften, nicht einnehmen!«
»Die Gelegenheit war günstig.«
Alba sah hilfesuchend zu Krona. Die zuckte die Schultern.
»Auf diese Weise gewinnt man einen Krieg ganz schnell – oder man verliert ihn gründlich. Kommt immer drauf an. Aber sag mal, Lomir, mein Freund, dir war klar, dass du nicht nur herumsitzen und schön aussehen solltest? Du solltest dich wehren! Das ist eine militärische Übung, kein Kindergeburtstag!«
Lomir gab sich alle Mühe, betreten dreinzuschauen – vergeblich.
»Wie lange kennen wir uns, Krona? Über ein Jahr. Du kannst doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich mich wehre, wenn du mir zwanzig hübsche Zwerginnen schickst.«
Krona stöhnte entnervt, und Alba versetzte Lomir einen unsanften Stoß.
»Das war aber der Sinn der Sache, mein Holder!«
Er zwinkerte ihr zu. »Ich weiß. Und deshalb …«
Er nahm die Hände hoch und auseinander. Die Fesseln fielen zu Boden, und ehe Krona noch begriff, war Lomir an ihr dran, brachte sie mit einem gezielten, unsanften Tritt auf die Knie, legte den Arm um ihren Hals und hielt ihr einen hölzernen Dolch an die Kehle.
»Deshalb dachten wir, wir machen es euch nicht allzu einfach.«
Krona packte Lomirs Handgelenke und versuchte, sich zu befreien, doch sie hing im Griff des Zwergen wie in einem Schraubstock.
»Pjakur? Verlies unsere Bedingungen.«
Einer der Zwerge hielt Mina auffordernd die gefesselten Hände entgegen. Mina sah zu Alba, die seufzend nickte. Pjakur wurde befreit und fummelte einen mehrfach gefalteten Zettel aus der Hosentasche, den er umständlich entfaltete.
»Aushändigung aller Waffen«, las er vor. »Begebt euch widerstandslos in Gefangenschaft. Händigt uns all eure Pläne aus, Karten, Truppenaufstellungen, Namen von Befehlshabern. Außerdem …« Er unterbrach sich und sah zu Lomir.
»Nur zu«, sagte Lomir freundlich.
»Stellt eine Abordnung von Zwerginnen. Diese mögen sich … was? Leicht bekleiden und uns Früchte und Wein servieren … alternativ sich selbst?!«
»Auf einem Bärenfell«, sagte Lomir verträumt. »Mit nichts bekleidet als einem Salatblatt.«
»Ansonsten werden wir eure Kommandantin an Ort und Stelle vom Leben zum Tod befördern«, las Pjakur unglücklich zu Ende und ließ den Zettel sinken.
Krona beobachtete, wie ein heiliger Zorn auf Albas Zügen erblühte.
»Euer schöner Plan hat einen Fehler«, sagte Alba. »Diese hier ist nicht unsere Kommandantin. Sie ist so verzichtbar wie ein löchriger Hut.«
»Besten Dank«, stöhnte Krona. Lomir zog ihr, ohne zu zögern, den Holzdolch über die Kehle, und sie ließ sich gehorsam zu Boden sinken und stellte sich tot. Gleichzeitig hatte Alba ihr Schwert aus der Scheide gerissen und sich mit einem Kriegsschrei, der von den Bäumen widerhallte, auf Lomir gestürzt. Nur einen Augenblick später war im dunklen Wald ein wildes Handgemenge im Gange. Eilig suchte Krona Zuflucht unter einem Baum, um nicht getreten zu werden. Sie sah sich nach ihrem Gepäck um und fand es nach einigem Suchen. Bis sie ihre Laterne in Gang gebracht hatte, war der Kampf entschieden. Überall lagen Zwerginnen, die ihren Tod simulierten. Lomir und seine Truppe hatten gut aufgeräumt. In der Mitte des Kampfplatzes standen Alba, Fjola und Saelka dicht aneinandergedrängt und wehrten sich gegen eine Übermacht an Zwergen.
»Schluss«, sagte Krona laut. »Übung abbrechen! Dass mir hier keiner noch zu Schaden kommt.«
Die Kontrahenten ließen die Schwerter sinken, und die Toten rappelten sich auf und schüttelten sich Moos und Tannennadeln aus den Kleidern.
»Wir gewinnen«, sagte Lomir. »Oder sieht jemand das anders?«
»Ihr gewinnt«, sagte Krona. »Die Lektion des heutigen Abends: Vertraue niemals einem Zwerg mit schmutzigen Gedanken.«
Lomir grinste und fasste Alba um die Mitte.
»Was mich direkt wieder zu meinem Forderungskatalog bringt. Salat ist ja so gesund.«
Zu Lomirs Enttäuschung gab es lediglich einen großen Kessel mit Suppe, der von zweckmäßig bekleideten Zwerginnen gehütet wurde, als sie ins Dorf zurückkamen. Auch Lianna hatte sich eingefunden und machte sich nützlich, indem sie Schalen mit Suppe füllte und an die Kämpferinnen verteilte. Krona nahm eine Schale entgegen und setzte sich zu Lomir und Alba auf die Bank am Brunnen.
»Gib ihnen ein bisschen Zeit zum Essen«, sagte sie und wies mit dem Löffel auf Alba. »Dann machst du Manöverkritik.«
»Ich?«, sagte Alba erstaunt. »Aber was … wie?«
»Sag ihnen, was gut gelaufen ist und was nicht. Schrei sie ordentlich an, und am Schluss ermunterst du sie, damit sie uns erhalten bleiben.«
»Und du?«
Krona hob die Schultern. »Ich lege mich schlafen. Niemand bezahlt mich dafür, dass ich mir hier die Nächte um die Ohren schlage.«
»Aber …«
Lomir legte den Arm um Alba und zog sie an sich.
»Du machst das schon. Du bist die geborene Anführerin.«
»Ich weiß nicht«, sagte Alba zerknirscht. »Immerhin habe ich unseren Hauptmann auf dem Gewissen. Was mir schrecklich leidtut, übrigens. Ich dachte … ich weiß nicht, was ich gedacht habe. Vielleicht, dass er’s nicht tun würde. Oder …«
»Alles gut«, sagte Krona mit vollem Mund. »Eine deiner besten Entscheidungen. Der Einzelne ist immer verzichtbar, und es geht immer nur um die Sache.«
»Aber ist das nicht schrecklich?«
»Es ist Krieg, Schätzchen, was hattest du erwartet? Hm, das hier schmeckt großartig. Wer hat es gekocht?«
»Mina. Heute Vormittag. Aber …«
»Gut zu wissen. Im Ernstfall bleibt Mina hinter den Linien und wird als Feldköchin eingesetzt. Nichts hebt die Moral der Truppe so gründlich wie gutes Essen.«
»Jawohl, Hauptmann.«
Krona lehnte sich zurück, blinzelte in den Sternenhimmel und genoss das Zusammenspiel der Aromen auf ihrer Zunge. Sie überlegte gerade, ob sie aufstehen und nachnehmen sollte, als sie Lomirs Hand an ihrer Schulter spürte.
»Hast du etwas von Pintel gehört?«
Sie unterdrückte ein Seufzen. »Nein. Schon seit Wochen nicht.«
»Sollten wir uns Sorgen machen?«
»Nein. Er ist verliebt, und er ist auf einem Luftschiff unterwegs. Da kann man schon mal vergessen, regelmäßig zu schreiben. Oder sein Brief ist irgendwo hängen geblieben. Was man so hört, ist es nicht mehr ganz ruhig auf der Insel. Meridias Arsch! Ein abrantinischer Bürgerkrieg. Und ich nicht mal mittendrin! Ich weiß gar nicht, worüber ich mich mehr wundern soll.«
»Sprechen wir noch von einem Bürgerkrieg?«, fragte Lomir nachdenklich. »Es gibt kaum Gegenwehr. Seit der gute Konrad gestürzt ist, laufen immer mehr Adelige zu Karcharoth über, mitsamt ihren Rittern. Das Militär ist entweder gespalten oder aufgelöst – man sieht immer mal rot-weiße Waffenröcke auf beiden Seiten. Das Einzige, worauf man sich verlassen kann, ist, dass sie Dörfer plündern und sich daneben benehmen. Regar hat alle Pläne auf Eis gelegt. Drüben auf Lichtenau gibt es Läden, die seit Wochen keine Lebensmittellieferung mehr bekommen haben. Die Wagen werden auf der Straße abgefangen und geplündert – abwechselnd von Soldaten und wütenden Dörflern. Und das ist erst der Anfang. Wenn die Leute nichts mehr zu essen haben, wird die Stimmung ganz schnell kippen.«
»Welche Stimmung«, knurrte Krona. »Krieg ist nie gut für die Stimmung. Außer für meine, aber mich will ja diesmal keiner.«
»Abgesehen von deinen verletzten Gefühlen haben wir ein gewaltiges Problem. Karcharoth macht seine Sache wirklich gut. Alles Schlechte schiebt er entweder dem alten Konrad oder den Zwergen in die Schuhe. Konrad hat er beseitigt, jetzt kommen die Zwerge dran. Und den Leuten gefällt das. Gerade die Bergener stehen hinter Karcharoth, oder Eldsorna, wie er sich neuerdings zu nennen pflegt. Er verspricht ihnen ihren Teil vom Wohlstand, auf den sie unter Konrad und seinen Vorgängern haben verzichten müssen. Dass er gedenkt, diesen Wohlstand den Zwergen abzunehmen, ist ihnen ganz recht.«
»Vielleicht sollte ich mal gehen und die königstreuen Rot-Weißen zusammentrommeln. Und dann haue ich Karcharoth aufs Maul, dass es kracht.«
Lomir seufzte. »Es ist nicht ganz einfach, mit dir über Politik zu sprechen, wenn du gleichzeitig deine Gewaltphantasien pflegst.«
»Politik interessiert mich nicht.«
»Das merke ich.«
Krona kratzte die letzten Reste der Suppe aus ihrer Schale und leckte den Löffel ab. Lomir und Alba tauschten leise Worte auf Zwergisch, und sie lachte glücklich und strich ihm über den Bart.
»Ich stör mal nicht länger«, sagte Krona und stand auf. »Danke für das Manöver, Lomir. Ich weiß deine Unterstützung zu schätzen.«
»Gern geschehen«, sagte Lomir erstaunt. »Jetzt warte doch!«, rief er hinter ihr her, als sie sich zum Gehen wandte. »Was ist mit Fenrir? Hat er sich blicken lassen? Hast du von ihm gehört?«
Sie blieb nicht stehen, hob nur den Arm und zeigte Lomir über die Schulter den ausgestreckten Mittelfinger. Sie brachte ihre Schüssel zum Waschtrog, wo zwei Zwerginnen dabei waren, Geschirr zu spülen. Lianna kam zu ihr, die Hände in ein Spültuch geschlungen. Krona nahm sie in die Arme und drückte für einen Augenblick das Gesicht in ihr Haar, dann schob sie sie weg und ging davon, bis die Nacht still und kühl um sie lag.
In den nächsten Tagen dünnte sich die Truppe auf dem Stoppelfeld merklich aus. Als kaum mehr die Hälfte der Zwerginnen zu den Übungen erschien, nahm Krona Alba beiseite.
»Was ist los? Wo sind die alle?«
»Das weißt du nicht?«, sagte Alba erstaunt. »Wir haben das Erntedankfest vorzubereiten. Kommenden Runestag. Feiert man das nicht, da, wo du herkommst? Bei uns ist es das einzige Fest, das Zwerge und Menschen gemeinsam begehen.«
»Das heißt, die Damen haben das Schwert in die Ecke gestellt, um daheimzubleiben und Kuchen zu backen?«
Alba grinste flüchtig. »In Minas Fall trifft das bestimmt zu. Andere kümmern sich um den Blumenschmuck oder die vielen Tische und Bänke, oder um den Festbaum.«
»Das ist doch nicht zu fassen!«, schnaubte Krona. »Wir stehen an der Schwelle eines Krieges, und die flechten Blumenkränze!«
»Wir sind nicht beim Militär«, erinnerte Alba sie sanft, »auch wenn du alles dafür tust, dass es sich so anfühlt. Was ist mit dir? Kommst du nicht zum Fest?«
»Ich wüsste nicht, was ich zu feiern hätte.«
»Seit wann bist du eine Frau, die einen Grund zum Feiern braucht? Gib dir einen Ruck. Lomir hat mir erzählt, dass du dich aufs Feiern verstehst.«
»Mal sehen.«
Albas Bemerkung hallte in Krona nach. Hatte sie wirklich verlernt zu feiern? Wann war sie zu der übellaunigen Spielverderberin geworden, die zwischen Übungsplatz und Schnapsfass pendelte und sich ihre freie Zeit damit vertrieb, mit Lianna zu streiten?
Sie sah hinauf zum Wald. Hinter den Wipfeln ging die Sonne unter. Sie wusste sehr genau, was passieren musste, um ihre Stimmung nachhaltig aufzuheitern, und sie hasste den Gedanken beinahe mehr als die Tatsache, dass das Ereignis nicht und nicht eintreten wollte.
»Stell dich drauf ein«, sagte sie zu Lianna. »Wir gehen zum Erntedankfest. Versuch gar nicht, dir eine Ausrede einfallen zu lassen.«
»Wie das so plötzlich?«, fragte Lianna, die damit beschäftigt war, eine flüssige honiggoldene Glasur auf kleine flache Kuchen zu streichen.
»Weil«, sagte Krona und deutete mit dem Zeigefinger auf Lianna, »ich keinen Augenblick länger damit verbringen werde, hier herumzusitzen und zu warten, dass der feine Herr von seinem Ausflug zurückkommt. Soll er bleiben, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen! Er kann mich mal! Das kann er mit einer machen, die jünger oder dümmer ist als ich. Soweit kommt’s noch, dass ich mein Wohl und Wehe an einen Kerl hänge!«
»Ist ja gut«, sagte Lianna. »Geh ruhig, wenn es dich glücklich macht.«
»Und du wirst schön mitkommen.«
»Ich glaube nicht. Ich bin in letzter Zeit abends immer so müde …«
»Komm mir nicht mit Ausflüchten, Schätzchen! Es wird Zeit, dass du wieder anfängst zu leben.«
»Und du entscheidest, wann das ist, oder wie?«
»Es ist die letzte Gelegenheit, zu feiern, bevor der Krieg die Ostküste erreicht.«
Krona brach ein Stück von einem der Kuchen ab und steckte es sich in den Mund.
»Bisschen trocken. Ist das Pintels Rezept? Bei ihm waren sie irgendwie flauschiger.«
»Mach’s besser.«
»Bestimmt nicht«, sagte Krona besänftigend. »Ich vermisse ihn nur, den Kleinen. Ich vermisse sie alle. Die guten alten Zeiten. Na ja, so alt sind die noch gar nicht. Trotzdem.«
»Ich auch«, sagte Lianna. »Und …« Sie verstummte, ihr Blick verlor sich.
»Ich weiß«, sagte Krona. »Sorge dafür, dass du’s mal einen Abend nicht spürst. Es bleibt genug davon übrig.«
Am Ende des folgenden Tages war der Dorfplatz in einen Festplatz verwandelt worden. Der Brunnen war mit Blumen umkränzt. Bunte Bänder wehten aus der Dorflinde. Neben den Haustüren standen kunstvoll gebundene Getreidegarben, und auf langen, polierten Tischen warteten Schalen voller Früchte und Brot auf hungrige Gäste. Ein Tanzboden war verlegt worden, und einige Musikanten, die nach Minas Informationen den ganzen weiten Weg von Wolkenstein gekommen waren, nur um aufzuspielen, stimmten ihre Instrumente und schäkerten mit den Dorfmädchen.
Obwohl sie betonte, sie wisse gar nicht, warum, zog Lianna ihr bestes blaues Unterkleid und eine bestickte Kotta darüber an, kämmte sich die tintenschwarzen Haare, die inzwischen wieder sachte ihre Schultern berührten, und verteilte ein wenig rote Farbe auf ihren Lippen. Ihre Trauer trug sie wie einen zarten Schleier über dem Gesicht. Krona sah ihr zu. Sie erinnerte sich nicht, wann sie selbst zuletzt Mühe auf ihr Äußeres verwendet hatte.
Das muss … vor den Südlichen Inseln gewesen sein. Irgendein Jahrestag vielleicht. Etwas, wozu man keine Uniform trägt. Ich hatte dieses rote Kleid mit den weiten Ärmeln. Meine Güte, ist das lang her. Und er … wie er mich angesehen hat. Mein Mattis. Warum müssen die Guten immer tot bleiben, und die Arschlöcher stehen wieder auf.
»Gehen wir?«, fragte sie. »Ehe ich es mir anders überlege.«
»Bist du denn schon fertig?«, fragte Lianna erstaunt. »Du siehst ja aus wie immer.«
»Und was ist dagegen einzuwenden?«
»Nichts. Nur … Frauen ab einem gewissen Alter müssen sich einfach ein bisschen mehr Mühe geben, um hübsch auszusehen.«
»Für hübsch gibt’s Blumen, Liebchen! Ich bin dort für die Stimmung zuständig.«
»Ist ja gut.« Lianna versuchte, Krona einen hellen beinernen Kamm ins Haar zu stecken, doch die duckte sich unter dem Angriff hinweg und schob Lianna zur Tür hinaus.
Die Dämmerung kroch bereits über die Hänge Erendors. Der Dorfplatz unter ihnen war festlich beleuchtet. Fetzen von Musik und Gelächter drangen zu ihnen, als sie sich näherten.
Krona verspürte eine Beklommenheit, die ihr gänzlich fremd war. Was, wenn der Zauber tatsächlich verflogen war? Wenn sie zu alt war, um noch ausgelassen zu feiern? Wenn die Vorbehalte, die man im Dorf gegen sie hegte, griffen und man sie an den Rand drängte?
Und dann? Wohin dann?
Sie beschloss, es gemächlich angehen zu lassen. Mit einem Krug Bier setzte sie sich zu Alba, Saelka und einigen anderen aus der Truppe und lauschte den Gesprächen über Kinder, Ehemänner und Haushalt. Alles wirkte völlig normal. Krona kannte das. Die Leute begriffen erst, dass Krieg war, wenn ihnen das Dach über dem Kopf in Flammen aufging.
Das Bier war süß und dunkel und so kalt, dass ihr die Zähne schmerzten, wenn sie zu schnell trank. Die Zwerge mussten es tief im Fels lagern. Sie leerte den ersten Krug zügig und holte sich einen zweiten.
Sie überlegte, ob sie den Zwerginnen empfehlen sollte, ihre Familien Unter dem Berg in Sicherheit zu bringen. Der Berg war groß genug, die meisten Eingänge inzwischen sowieso verschlossen und mit Zaubern belegt. Sie sah hinüber zu den Menschen des Dorfes, die an langen Tischen unter der Linde saßen. Ob Zwerge und Menschen auch in den vergangenen Jahren an getrennten Tischen gefeiert hatten? Von Gemeinsamkeit war wenig zu spüren, das Fest ließ sich eher an wie zwei, die gleichzeitig stattfanden.
Viele von den Männern würden sterben, wenn die Kämpfe die Ostküste erreichten. Im folgenden Sommer würden sie fehlen, um die Felder zu bestellen. Auf Krieg folgte immer Hungersnot.
Wäre wenigstens Bragi von seiner Reise nach Lichtenau zurückgekehrt. Er hätte König Brainn womöglich dazu bewegen können, auch Menschen in den Berg zu lassen, wenn die Armeen kamen. Platz genug war. Doch niemand hatte mehr von Bragi gehört, seit er aufgebrochen war.
»Hauptmann Feuerfaust?«
»Hm?«
»So still heute?«
Krona nahm einen Schluck aus ihrem Krug.
»Ich hab nichts beizutragen zu eurem Gespräch, Alba.«
»Warst du nie verheiratet?«
»Doch. Zweimal.«
»Tatsächlich?«, sagte Saelka beeindruckt. »Also, wir Zwerge heiraten ja fürs Leben. Es gibt kaum jemanden, der ein zweites Mal heiratet.«
»Tja. So ist das mit uns wankelmütigen Menschen. Wir müssen alle Dummheiten, die wir machen wollen, in ein paar siebzig Jahre pressen.«
Sie zog ein Knie hoch und schlang die Arme darum. Ein kühler Wind schlich sich vom Wald heran und schlüpfte unter ihr Wams. Sie ließ das Gespräch der Zwerginnen über sich hinweg plätschern – Nachbarschaftsklatsch, Kinder, Berufswünsche der erwachsenen Söhne und Töchter.
Bootsführer, Goldschmied oder Kriegsopfer, mit dem Gesicht voran im Dreck eines zertrampelten Stoppelfeldes?
Ich bin zu alt für diesen Scheiß.
Sie trank ihren Krug leer, stellte ihn mit Nachdruck ab und stand auf.
»Wohin willst du?«, fragte Saelka erstaunt.
»Eine Dummheit machen«, sagte Krona. »Solange ich noch kann.«
Die Musiker hatten sich inzwischen warm gespielt, und Krona mischte sich unter die Tänzer. Das Bier machte ihr den Kopf leicht und den Schritt unsicher, und ein weiterer Krug verhalf ihr beinahe zur gewohnten Feierlaune. Sie suchte sich einen Jungen mit langen dunklen Haaren aus, er hatte breite Schultern und die unschuldige Ausstrahlung eines Hirten oder Gärtners, sie tanzte mit ihm und genoss die Wärme, die sein Körper abstrahlte, und das Spiel seiner Muskeln unter ihren Händen. Ein Tanz reihte sich an den nächsten, er sprach nicht viel, aber er war süß und jung und lebendig, und irgendwann nahm sie ihn ums Gesicht und brachte ihre Lippen gegen seine, und er machte sich erschrocken los und verschwand in der Menge.
Sie blieb auf der Tanzfläche zurück und umarmte sich selbst, wurde von tanzenden Paaren angestoßen und allmählich zum Rand befördert, und sie verließ den Tanzboden mit dem Gefühl einer vernichtenden Niederlage.
Sie trank, obwohl es ihr nicht mehr schmeckte, sie war noch lange nicht betrunken genug, vielleicht konnte sie später noch eine Schlägerei vom Zaun brechen, irgendwo die Sau rauslassen, ungeachtet ihres Rufes, der war ohnehin ruiniert, die Alte mit ihrem Schwert, die nicht merkte, wann ihre Zeit vorbei war, altes Eisen, abgehalftert, eine, der nichts geblieben war als der Schnaps und die Erinnerung an bessere Zeiten.
»So traurig, schöne Schwertmeisterin?«
Eine leichte Hand, die sich auf ihre Schulter legte, jemand, der ein Bein über die Bank schwang und sich rittlings neben Krona setzte. Sie drehte ihren schweren Kopf, den sie auf ihren verschränkten Armen abgelegt hatte, und blinzelte. Eine Woge unklarer, trunkener Gefühle trieb ihr die Tränen in die Augen.
»Wolfram?«
Er lächelte sie an, seine Augen waren warm und freundlich, und er streckte die Hand aus und schob ihr liebevoll eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Was ist los?«
Sie seufzte. »Nichts. Selbstmitleid ist los. Ich bin alt und raus aus dem Spiel, und ich habe kein Zuhause und keinen Ort, an den ich gehöre, und ich habe niemanden, der mir einen Arschtritt verpasst, der hart genug ist, dass ich wieder zurück in die Reihe finde.«
»Na, wenn’s weiter nichts ist.«
Er griff nach ihrem Krug und nahm einen tiefen Schluck.
»He«, sagte sie müde.
»Du hattest genug«, sagte er. »Sieh dich um. Was für ein wunderschönes Fest, was für ein wunderschöner Abend. Das ist wirklich nicht die richtige Gelegenheit, um sich zu betrinken und Trübsal zu blasen.«
»Was machst du hier?«
»Ich suche dich. Ich habe einen Auftrag für dich.«
»Du? Du kannst mich doch gar nicht bezahlen.«
Wolfram lachte leise. »Du bist alt und raus aus dem Spiel. So teuer kannst du nicht sein.«
»Ich bin die Prinzenmörderin und Lindwurmbezwingerin. Ich bin von den Toten zurückgekommen und über den Wolken gereist. Ich bin aber sowas von teuer.«
»Aha? Das klingt ja plötzlich ganz anders. Aber zu deinem Glück hat die junge Dame, um die es geht, ein gut gefülltes Säckel. Sie ist übrigens von höchster adeliger Abstammung und steckt wirklich tief in Schwierigkeiten. Willst du dir ihre Geschichte anhören?«
»Nein. Ich habe meine eigenen Schwierigkeiten.«
Wolfram seufzte.
»Sie wird dir sehr dankbar sein, wenn du ihr hilfst, und du brauchst Geld, spätestens dann, wenn Karcharoths Schergen dich hier aufstöbern, was nur eine Frage der Zeit ist, weil er sie nämlich schon nach dir losgeschickt hat.«
Krona kam mit dem Kopf vom Tisch in die Höhe. Die Welt schwankte sachte um sie, und sie bekämpfte einen Anflug von Übelkeit.
»Woher weißt du das?«
»Ein kluger Mann sorgt dafür, immer gut informiert zu sein. Vor allem, wenn er mit Feinden des Königreichs freundschaftlich verkehrt, so wie ich mit dir.«
»Aber er hat mich laufen lassen. Karcharoth. Er hätte mich im Auge der Götter erledigen können. Nach Thorks Beerdigung. Er hat’s nicht getan, weil er ein gutes Spiel zu schätzen weiß. Das ungefähr waren seine Worte.«
Wolfram hob die Schultern.
»Vielleicht hat er keine Zeit mehr zu spielen, seit er auf dem Thron sitzt. Ich weiß es nicht, Krona. Ich bin einfach nur unauffällig genug, um Dinge zu hören, wenn du verstehst, was ich meine.«
Sie nickte, zog ihren Krug wieder zu sich heran und trank den Rest, den Wolfram ihr übriggelassen hatte.
»Ich brauche dich nüchtern«, sagte er sanft.
»Zu spät«, murmelte sie.
Er seufzte, stützte das Kinn auf die Hand und ließ seinen Blick auf ihr ruhen. Er war dünn wie immer, sein dunkelblondes Haar von silbrigen Fäden durchzogen. Seine Roben waren fadenscheinig und abgewetzt, und in seinen Mundwinkeln saß der milde Spott, der sie so zur Weißglut bringen konnte.
»Findest du mich wirklich schön, oder hast du das nur so gesagt?«
Eine Spur von Traurigkeit mischte sich in sein Lächeln.
»Du bist wunderschön in meinen Augen, das weißt du.«
»Warum ich?«
»Wer sonst, wenn nicht du?«
»Tanz mit mir.«
»Wie bitte?«, sagte er erstaunt.
»Das hier ist ein fabelhaftes Fest, das sagst du selbst.« Sie machte eine fahrige Handbewegung. »Und ich verlasse es nicht, bevor ich nicht meinen Spaß hatte.«
Er nickte, erhob sich und reichte ihr die Hand. Er führte sie auf den Tanzboden, und sie lehnte sich in seine Arme, seine Hand schloss sich um die ihre. Sie spürte, wie er die Wange gegen ihren Kopf lehnte und tief in ihre Haare atmete.
»Was ist eigentlich mit deinem Jägersmann?«, fragte er leise.
»Er ist weg.«
»Das klingt aber sehr endgültig.«
»Versuch mal, dich nicht zu offensichtlich zu freuen.«
»Ich freue mich nicht, Krona. Wie lange ist er denn überfällig?«
»Wir haben uns nicht für einen bestimmten Zeitpunkt verabredet. Aber als er sagte, ich dreh mal ein paar Runden durch die Wälder, dachte ich nicht, dass er zwei Monde wegbleibt.«
»Womöglich ist ihm etwas zugestoßen?«
Krona seufzte.
»Nein, ich glaube, das wüsste ich.«
Er nickte und zog sie dichter an sich.
»Sag jetzt nicht, wird alles gut«, sagte sie. »Oder so einen oberflächlichen Mist, mit dem man sich was einredet.«
»Wird alles anders«, sagte er. »Gut wird alles nur in Geschichten. Im wahren Leben geht’s irgendwie weiter. Mehr darf man nicht erwarten.«
»Ja.«
»Wir machen alle die gleichen Fehler, wenn dich das tröstet.«
»Du auch?« Sie brachte sich auf eine Armlänge Abstand zu ihm, um ihn anzusehen. Sein Lächeln war mild und ein wenig traurig.
»Ich allen voran.«
»Du kannst mich haben, wenn du willst.«
»Besten Dank für dieses – äh – überraschende Angebot, aber ich bevorzuge meine Frauen ein bisschen weniger … verzweifelt.«
»Da hast du vermutlich recht.«
»Natürlich hab ich das.«
Er wiegte sie sanft im Takt der Musik, und sie schmiegte die Wange in sein struppiges blondes Haar, das Gefühl war vertraut und fremd zugleich.
Die Musik verklang, und er nahm sie an den Schultern und schob sie sanft von sich.
»Kannst du jetzt mit mir kommen und dir die ganze Geschichte anhören?«
»Können wir nicht hierbleiben und tanzen und trinken und noch ein bisschen Spaß haben, bevor Karcharoths Schergen hier alles plattwalzen?«
»Nein.«
Sie seufzte.
»Sie hat’s eilig, deine Jungfrau.«
»Das hat sie, und wenn du ihre Geschichte kennst, wirst du verstehen, warum.«
Seine leichte Hand in ihrem Rücken schob sie unerbittlich voran, vom Tanzboden und durch die Bankreihen, vorbei an den Resten des Spanferkels, die noch sorgsam über der Glut gedreht wurden, vorbei an den Bierfässern, dann nochmal vorbei an den Bierfässern, weil es Krona gelungen war, in diese Richtung abzubiegen, weg vom Dorfplatz und durch die stillen Gassen hinauf zu Kronas Haus.
»Könntest du versuchen, nüchtern zu werden?«, bat er und zeigte auf das Regenfass neben der Tür. »Es ist ja oft der erste Eindruck, der zählt.«
»Ich bin nüchtern«, sagte Krona. »Stocknüchtern. Steinnüchtern. So nüchtern wie ein ausgetrocknetes Flusstal.«
»Mach dich nüchterner.«
»Na, weil du’s bist.«
Das Wasser war so kalt, dass es Krona den Atem verschlug und sich mit spitzen Nadeln in ihr Gehirn bohrte. Sie ließ das Gesicht unter Wasser, bis ihr die Luft ausging, dann tauchte sie auf und schnappte prustend nach Luft. Undeutlich sah sie, dass die Haustür aufgegangen war. Jemand hielt ihr ein Tuch hin, und sie trocknete sich das Gesicht ab. Stimmen drangen aus dem Haus, eine gehörte Lomir, die andere, eine weibliche, kannte sie nicht. Sie schüttelte sich Wasser aus den Haaren.
»Besser?«, fragte Wolfram und nahm ihr das Tuch ab.
»Bisschen«, sagte sie. »Du bist wirklich leidgeprüft mit mir, was?«
»Ach was«, sagte er und schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Unerreichbare Frauen anzuschmachten gehört zum Berufsbild.«
In der Wohnstube warteten Lomir, Alba und Lianna, außerdem eine junge Frau in staubiger Reisekleidung, die am Tisch saß, die Hände in den feinen ledernen Handschuhen artig auf der fleckigen Tischplatte verschränkt.
»Das ist sie?«, fragte Krona Wolfram. Der nickte und räusperte sich.
»Ja. Euer Gn… Herrin Bertradis, das hier ist die Kriegerin, von der ich Euch berichtet habe. Krona Feuerfaust, Heerführerin Erendors und ehemaliger Hauptmann der Königlichen Garde. Eine Frau, aufrecht und unbeugsam wie ein Fels. Krona, das ist die Edle Bertradis vom Lerchenfeld.«
Krona schnappte sich einen Stuhl, klemmte ihn sich verkehrt herum zwischen die Beine, ließ sich darauf fallen und verschränkte die Arme auf der Lehne. Ihr Kopf schepperte, als wäre er mit glühenden Messern gefüllt. Sie bekämpfte einen Anflug von Übelkeit. Über den Tisch hinweg musterte sie Bertradis. Sie war jung, höchstens achtzehn, hatte klare, fein geschnittene Züge und eine Haut, weiß wie Milch. Ihr langes rotbraunes Haar trug sie nach höfischer Sitte geflochten, auch wenn die Frisur ziemlich selbstgemacht aussah. Unter Kronas prüfendem Blick wich sie ein wenig zurück und richtete sich dann auf.
»Das ist die Frau, die meinen Vater retten soll? Kürenberger, Ihr wollt mich verschaukeln.«
»Ähm«, machte Wolfram.
»Sie ist betrunken«, sagte Bertradis. »Und sie ist alt.«
»Und sie schmeißt dich raus, wenn du ihr blöd kommst«, sagte Krona. Lomir grinste von einem Ohr zum anderen, während Wolfram ein gequältes Gesicht machte und flehend die Hände ausstreckte.
»Lasst bitte nicht den ersten Eindruck entscheiden, Edle Bertradis. Frau Feuerfaust hat ein Leben lang Erfahrung im Kampf gesammelt. Sie hat Blut für das Königreich vergossen – und nicht nur ihr eigenes, sondern mehrheitlich das ihrer Feinde, und wäre sie nicht die Beste, dann säße sie heute nicht hier. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie diese Frau einen Lindwurm bezwungen hat …«
»Hast du nicht«, sagte Krona. »Du warst hinter den Linien, wo du hingehörst in einem Krieg.«
»Aber ich habe den Lindwurm gesehen. Und Augenzeugen befragt. Und … Himmel, Krona, mach’s mir doch nicht so schwer!«
Krona grinste und zog geräuschvoll die Nase hoch.
»Hast du Geld, Liebelein?«
Bertradis musterte sie mit einem vernichtenden Blick, bückte sich dann und hob eine Tasche auf den Tisch. Sie öffnete sie, packte sie an der Unterseite und kippte den Inhalt aus.
Es klapperte und klirrte, glitzerte und funkelte. Ketten, Fibeln, Ringe, Ohrgeschmeide, geschmiedete Kämme und Armreifen purzelten lustig durcheinander auf die rissige Tischplatte. Lianna, Lomir und Alba kamen näher und beugten sich staunend über den Schatz.
Krona gab sich unbeeindruckt.
»Das reicht für den Anfang. Also, was hat dein Vater für ein Problem?«
»Die korrekte Anrede ist Bertradis Edle vom Lerchenfeld.«
»Willst du meine Zeit verschwenden, Liebelein?«
Bertradis schob ihren Stuhl zurück und stand auf.
»Kürenberger, wir gehen. Ganz offensichtlich sind wir hier falsch.«
»Was kommandierst du ihn eigentlich so herum, sag mal? Gehört er dir? Er ist ein freier Mann, niemand kommandiert ihn herum!«
»Außer dir«, warf Wolfram ein.
»Das ist etwas Anderes! Das hat Tradition!«
»Du hast recht«, sagte Lomir zu Lianna. »Das hier ist wesentlich unterhaltsamer als jedes Erntedankfest.«
Mit einem großen Schritt war Wolfram bei der Tür und blockierte sie.
»Wir gehen nirgendwohin«, sagte er. »Mit aller Ehrerbietung, die Euch selbstverständlich zusteht, und in aller gebotenen Demut … aber das hier, dieses Haus, ist der vermutlich sicherste Ort im ganzen Königreich, und diese Leute sind Euch das, was Verbündeten am nächsten kommt. Und, mit Verlaub und allem Respekt, aber ich bringe Euch nicht durch das halbe Königreich, verstecke Euch vor Soldaten beider Seiten und schmuggle Euch an der Obrigkeit vorbei, nur damit Ihr Euch hier von ein paar schlechten Manieren abschrecken lasst!«
»Die übrigens gar nicht alle hier an den Tag legen«, warf Lomir ein. »Ich beispielsweise bin ein Zwerg von ausgesuchter Höflichkeit.«
Bertradis warf Wolfram einen finsteren Blick zu und setzte sich wieder.
»Vielleicht klären wir erst mal, worum’s geht«, sagte Krona. »Also, nochmal. Dein Vater hat ein Problem?«
»So könnte man es sagen.« Bertradis sah hilfesuchend zu Wolfram, der die allgemeine Fluchtgefahr offensichtlich als gebannt ansah und seinen Posten an der Tür verließ.
»Der Edle vom Lerchenfeld war einer der ersten Leidtragenden des Machtwechsels«, erklärte er. »Seine Besitztümer wurden eingezogen, er selbst auf der Goldenen Burg eingekerkert. So ging es den Oberhäuptern einiger adeliger Familien, die nicht schnell oder überzeugend genug die Seiten gewechselt haben. Nach allem, was wir hören, ist der Edle noch am Leben – allerdings nicht, weil Eldsorna so viel Milde walten lässt, sondern weil er noch den richtigen festlichen Rahmen abwartet, um ihn zusammen mit ein paar anderen Adeligen vom Leben zum Tod zu befördern. Es geht die Rede, dass er die Hinrichtungen im Rahmen der großen Feierlichkeiten zur Arathronsweihe vollstrecken lassen will. Um ein Zeichen zu setzen, seinen Herrschaftsanspruch zu verdeutlichen – all diese Dinge, die Thronräuber so tun, um zu verschleiern, dass sie letztlich nur Diebe und Mörder sind.«
»Und du bist ihnen durch die Lappen gegangen«, sagte Krona zu Bertradis. »Wie hast du das denn geschafft?«
»Wir haben Verbündete in der Burg«, sagte Bertradis. »Sie konnten mich nach draußen bringen. Unter tätiger Mithilfe des Kürenbergers – was ich ihm niemals vergessen werde.«
»Ach, das war doch gar nichts.« Mit gespielter Bescheidenheit sah Wolfram auf die Spitzen seiner löchrigen Stiefel, aber sein stolzes Grinsen verriet ihn.
»Unsere Verbündeten konnten nur mir oder meinem Vater zur Freiheit verhelfen«, fuhr Bertradis fort. »Es ging alles furchtbar schnell. Mein Vater bestand darauf, dass ich gehe, und ich versprach ihm bei meinem Leben, ich würde zurückkommen und ihn befreien.«
»Großartig«, sagte Krona. »Nur zu. Gib mir eine Armee, und ich stürme dir die Goldene Burg. Kann ein paar Jahre dauern. Burgen nimmt man normalerweise nicht im Handstreich, sondern durch Belagerung. Aber das ist völlig in Ordnung, solange man sich bei dem Haufen außerhalb der Burg befindet.«
»Wir haben weder die Armee noch die Zeit«, sagte Bertradis. »Und es geht mir nicht um die Goldene Burg. Es geht mir um meinen Vater. Wir müssen ihn vor der Arathronsweihe da rausholen, oder man wird ihn öffentlich hinrichten.«
Ihre Haltung war bemerkenswert. Sie sprach mit völlig ruhiger Stimme, lediglich ein Glitzern in ihren Augenwinkeln verriet, dass sie kurz vor den Tränen stand.
Eine eiserne Hand krampfte Kronas Magen zusammen und presste ihr alles, was sie gegessen und getrunken hatte, den Hals hinauf.
»Wart mal«, sagte sie. »Ich muss kotzen.«
Sie taumelte an Wolfram vorbei, der ihr eilig den Weg frei machte, nach draußen, die drei Stufen zum Hof hinunter und erbrach sich in die Büsche. Sie hielt sich an der Hauswand, bis die Welt aufhörte, sich um sie zu drehen. Die glühenden Messer hinter ihrer Stirn führten einen wilden Tanz auf.
Jemand hielt ihr einen Becher hin. Es war Wasser darin, und sie spülte sich den Mund aus und trank durstig.
»Wirst du’s tun?«, fragte Lomir hinter ihr. Sie drehte sich schwankend um und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht.
»Den Vater befreien? Ganz bestimmt nicht. Da kann sie mir alles Gold des Königreiches auf den Tisch kippen.«
»Warum nicht?«
»Keine Lust.«
Sie ging an Lomir vorbei und ließ sich schwer auf die Bank neben der Haustür fallen. Vom Wald drang schwere, feuchte Kühle zu ihr und legte sich auf ihr erhitztes Gesicht.
»Es wäre gut, wenn du’s tätest«, sagte Lomir ruhig. »Nicht nur für den Vater.«
»Wie stellt sie sich das vor? Wenn er in der Goldenen Burg sitzt, kommen wir niemals an ihn ran! Und wenn er so wichtig ist, wird er bestimmt besonders gut bewacht.«
»Wie wir es machen, können wir entscheiden, sobald wir vor Ort sind. Du musst raus hier, Krona.«
»Warum? Weil mich sonst Karcharoths Soldaten kriegen? Und deshalb flüchte ich mich am Besten in die Goldene Burg, na klar.«
»Ich verliere dich lieber an Karcharoth als an den Schnaps.«
Krona schwieg und schlang die Arme um sich. Ihr war kalt, aber sie wollte nicht wieder hinein in die Wohnstube zu all den fragenden Gesichtern.
Das alte Holz der Bank knarrte, als Lomir sich neben sie setzte und behutsam nach ihrer Hand griff.
»Wir wissen alle, dass du gerne einen über den Durst trinkst«, sagte er leise. »Es gehört zu dir, gewissermaßen. Aber in letzter Zeit ist dir die Trinkerei aus der Hand geraten. Wir erleben dich kaum noch nüchtern.«
»Nüchtern ist es hier nicht zum Aushalten. Das könnt ihr alle aber nicht verstehen, weil die meiste Zeit ja keiner von euch hier ist!«
»Ich bin jetzt hier«, sagte Lomir eindringlich. »Und ich sage dir: Ändere etwas. Es ist doch Unsinn, in einem unerträglichen Zustand zu verharren und zu hoffen, dass die Dinge sich von selbst zum Guten wenden. Du bist eine Frau der Tat. Ändere etwas.«
»Ich kann nicht«, flüsterte sie. »Ich kann hier nicht weg.«
»Fenrir«, sagte Lomir.
»Ja. Was, wenn … Ich habe seit fast zehn Wochen nichts von ihm gehört, Lomir. Was, wenn er kommt und ich bin gerade weg?«
»Was, wenn er kommt, und du empfängst ihn hier betrunken und mit einer Scheiß-Laune?«
Sie holte tief und zitternd Luft. Lomir lächelte.
»Wer hätte gedacht, dass du eine Frau bist, die daheimbleibt und den Herd hütet und wartet, bis der Mann sich bequemt, nach Hause zu kommen.«
»Ich bin nicht … Ich habe nie … Du Arsch!«
Lomirs Lächeln verbreiterte sich.
»Ich sehe, du triffst gerade eine sehr vernünftige Entscheidung. Wann brechen wir auf?«
»Ich hasse dich sehr«, sagte sie dumpf. Er schlug ihr auf die Schulter, dass es krachte.
»Ich gehe wieder rein. Komm nach, wenn du genug frische Luft hattest.«
Die Bretter der Sitzfläche bewegten sich leicht, als er aufstand. Sie hörte seine Schritte, dann Wolframs besorgte Stimme.
»Wie geht es ihr?«
»Sie nimmt langsam Vernunft an.«
»Und wird sie mitkommen?«
»Ich denke schon. Ich musste sie zum Jagen tragen, wie es so schön heißt, aber jetzt hat sie Witterung aufgenommen.«
»Ich kann euch hören«, sagte sie laut. Wolfram steckte den Kopf aus der Tür.
»Geht’s dir gut? Brauchst du etwas?«
»Einen Augenblick Ruhe.«
»Sollst du haben.«
Wolfram verschwand und schloss die Tür hinter sich. Krona ließ den Kopf nach hinten an die Hauswand kippen. Sie fühlte sich leer und müde. Sie wollte zehn Längen am Stück schlafen und dann aufwachen und wütend sein, wütend und tatkräftig wie früher.
»Du Riesenarsch«, sagte sie zu dem Wald, der hinter dem Haus lag wie ein schwarzes Loch in der Nacht. »Du kannst mich mal. Ich brauche dich nicht, weißt du? Ich hab noch nie einen Kerl gebraucht.«
Sie stellte sich vor, was Wolfram der jungen Adeligen wohl über sie erzählt hatte. Sie kannte die Pfade, die seine Heldinnenverehrung beschritt, zur Genüge. Sie waren deutlich farbenprächtiger als das Leben. Beinahe tat es ihr leid, dass sie dem Bild nicht gerecht werden konnte. Es musste sich gut anfühlen, so zu sein – so edel, ohne Zweifel und Anfechtungen, eine Heerführerin der guten Sache, eine Heldin in schimmernder Rüstung.
»Scheiß drauf«, brummte sie, spie einen Rest üblen Geschmacks in den Staub und ging nach drinnen zu den Anderen.