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White hope of the third world or inconsiderate despot? Fidel Castro, Máximo Líder of the Cuban revolution, polarises more than any other figure of the 20th century. He survived countless assassination attempts, the terms of ten US presidents and the fall of the Soviet Union. This biography shows how Castro was able to found and strengthen his charismatic rule amongst the conflict area of the superpowers, and to extend it into today despite several crises. Here, the author presents new sources and evaluates Spanish secondary literature for the first time, which lets Castro appear in a different light.
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Seitenzahl: 512
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1. Auflage 2014
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-021486-6
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-025074-1
epub: ISBN 978-3-17-025075-8
mobi: ISBN 978-3-17-025076-5
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1 Einleitung
2 Rebell
2.1 Wiege der Revolution
2.2 Unter dem Banner der Jesuiten
2.3 Universitätsjahre: Gangster, Generäle und Doktoren
3 Revolutionär
3.1 Gegen Beutedemokratie und Diktatur
3.2 Sturm auf die Moncada-Kaserne
3.3 Vom Angeklagten zum Ankläger
3.4 Exil in Mexiko
4 Guerillero
4.1 Mythos der Zwölf
4.2 Rivalität zwischen
Sierra
und
Llano
4.3 Fin de Fidel? Batistas Offensive
4.4 Marsch auf Havanna
5
Líder Máximo
5.1 Triumph der Revolution
5.2 Vom
Comandante en Jefe
zumAlleinherrscher
5.3 Zwischen den Fronten des Kalten Kriegs
5.4 Fidelismus versus Sozialismus
5.5 Utopie und Autokratie: Castros Wirtschaftspolitik
5.6 Exportierte Revolution: Kubas Präsenz in Afrika und Lateinamerika
6 Patriarch
6.1 Der Fall Ochoa: Anatomie eines Schauprozesses
6.2 Krise des Tropensozialismus
6.3 Die Reflexionen des
Compañero
Fidel
7 Abkürzungsverzeichnis
8 Bibliografie
9 Anmerkungen
Als der schwerkranke Fidel Castro am 24. Februar 2008 offiziell seine Regierungsämter abgab, hatte er insgesamt 49 Jahre und 55 Tage geherrscht und damit die Amtszeit von zehn US-Präsidenten und fünf Generalsekretären der KPdSU überlebt. Dennoch nimmt der Kubaner unter den am längsten amtierenden Staatsoberhäuptern des 20. Jahrhunderts nur den dritten Platz ein – hinter dem thailändischen König Bhumipol Adulyadej und der britischen Königin Elisabeth II.
Unschlagbar ist Castro dagegen als Redner – diese Gabe bescherte ihm sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde, als er am 26. September 1960 vor der Vollversammlung der UNO genau vier Stunden und 29 Minuten sprach. Seine längste Rede hielt er jedoch am 25. Februar 1998 vor dem Plenum der Nationalversammlung in Havanna. Erst nach sieben Stunden und 15 Minuten endete er mit seinem traditionellen Kampfruf ¡Patria o muerte, venceremos! (»Vaterland oder Tod, wir werden siegen!«)
»Seine Leidenschaft für das gesprochene Wort ist fast magisch«, bemerkt der Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez (1927– 2014) über seinen Freund; als Rhetoriker verfüge er über eine »erstaunliche Verführungskraft«, und
»nie hat man ihn eine dieser Pappmaché-Parolen der kommunistischen Scholastik aufsagen hören […] Er ist der Antidogmatiker schlechthin, dessen schöpferische Fantasie sich an der Grenze zur Häresie bewegt.«1
Castro hatte weder einen Redenschreiber noch einen Pressesprecher. Mit seinen Reden, die er überwiegend frei und oftmals vor Hunderttausenden hielt, zog er das Publikum mühelos in seinen Bann. Es ist keine Anmaßung, wenn er selbst sagt: »Ich erinnere mich nicht daran, jemals vor einem Publikum gestanden zu haben, das einzuschlafen oder zu ermüden drohte.«2 Das lag nicht nur an seiner rhetorischen Brillanz, sondern auch daran, dass seine Reden für die kubanischen Bürger eine der wichtigsten politischen Informationsquellen darstellten. Außerdem vermittelte Castro seinem Massenpublikum die Illusion einer aktiven Teilnahme. Bildhaft beschreibt Ernesto Che Guevara die charismatische Interaktion zwischen dem Revolutionsführer und seinen Anhängern:
»Auf den großen öffentlichen Veranstaltungen lässt sich so etwas wie das Zusammenwirken zweier Stimmgabeln beobachten, deren Schwingungen sich im Redner fortsetzen. Fidels Dialog mit der Masse beginnt zu vibrieren, gewinnt zunehmend an Intensität und erreicht ihre Klimax in einem abrupten, durch unseren Kampf- und Siegesruf gekrönten Finale.«3
Ein wirklicher Dialog fand allerdings nicht statt, Castro ging es vielmehr um Akklamation. Auch in kleinerer Runde war es hauptsächlich er, der sprach. Das erlebte beispielsweise Willy Brandt (1913–1992), der in seiner Eigenschaft als Präsident der Sozialistischen Internationale im Oktober 1984 von Castro in Havanna empfangen wurde. Der kubanische Staatschef »hält lange Monologe und bietet ihm in sieben Stunden gerade einmal eine Tasse Kaffee an«, notiert Brandts Biograf Peter Merseburger.4
Das Charisma Fidel Castros – nicht nur als Redner – ist unumstritten. Auf den »Höchsten Führer« der kubanischen Revolution – den Líder Máximo – trifft in besonderem Maße zu, was Max Weber in seinen herrschaftssoziologischen Schriften formuliert hat:
»Die charismatische Autorität ist […] eine der großen revolutionären Mächte der Geschichte, aber sie ist in ihrer ganz reinen Form durchaus autoritären, herrschaftlichen Charakters.«5
Der kubanische Essayist Iván de la Nuez etwa sieht den Líder Máximo als eine Art »König Utopus, der über ein Volk herrscht, das eine abstrakte und konkrete Einheit zugleich bildet.«6 Tatsächlich machte Castro sein Volk der eigenen, absoluten Utopie untertan. »Wir haben keine andere Alternative, als zu träumen und weiterhin zu träumen«, sagt er im Gespräch mit dem nikaraguanischen Revolutionsführer Tomás Borge (1930–2012).
»Wir träumen von der Hoffnung, eine bessere Welt zu verwirklichen, und dafür kämpfen wir […] Für eine Utopie zu kämpfen bedeutet, sie teilweise schon zu verwirklichen.«7
Wenngleich Castro in seiner Weltanschauung soziale Gerechtigkeit verfocht und sich zuweilen als radikaler Demokrat darstellte – was ihn zunächst in Kuba, später besonders in der Dritten Welt zu einem Hoffnungsträger erhob –, so war sein Handeln doch despotisch. Daher könnte man ihn, der ungarischen Philosophin Ágnes Heller folgend, als einen »abstrakten Enthusiasten« bezeichnen, für den Heroismus, Askese, Märtyrertum und Fanatismus charakteristisch sind. Den »abstrakten Enthusiasten« vergleicht Heller mit einem »Albatros der Grenzsituationen, dort kann er fliegen, im Alltagsleben kann er höchstens mühsam stolpern.«8 Beides hat der Líder Máximo immer wieder vor Augen geführt.
Für seine Gegner – zu denen auch ehemalige Kampfgefährten gehören – ist Castro schlichtweg ein Diktator. Héctor Pérez Marcano, der Mitte der 1960er Jahre in Havanna lebte und als venezolanischer Guerillero in den Genuss von Castros Waffenhilfe kam, fällt ein bitteres Urteil:
»Fidel war einmal der geliebte Held; heute ist er ein Tyrann, der sich in die lateinamerikanische Tradition von Diktatoren wie Gómez, Somoza, Pinochet, Trujillo und Pérez Jiménez einreiht.«9
Doch von den genannten Militärdiktatoren unterschied sich Castro schon äußerlich. Weder trug er deren typische Sonnenbrillen noch Ordenslametta an der Brust. Das Abzeichen des höchsten militärischen Rangs, den Castro als Oberbefehlshaber – Comandante en Jefe – einnahm, bestand lediglich aus einem fünfzackigen Stern auf schwarz-rotem Rhombus, dem 1973 noch Lorbeeren hinzugefügt wurden. Wesentlich sind jedoch zwei weitere Unterschiede: Castro kam nicht durch einen Staatsstreich, sondern durch eine von der Mehrheit der Bevölkerung getragene Revolution an die Macht, und er war der erste Herrscher in der Geschichte Lateinamerikas, der seine Macht nicht dazu nutzte, sich persönlich zu bereichern. Gabriel García Márquez schreibt:
»Ich halte ihn für einen der großen Idealisten unserer Zeit, und dies ist vielleicht seine größte Tugend, obwohl darin auch seine größte Gefahr bestand.«10
An der Art und Weise, wie er seine Ideen als Machthaber durchsetzte, wie er mit seinem politischen Sendungsbewusstsein auch ins Weltgeschehen eingriff, scheiden sich jedoch die Geister. Fidel Castro polarisiert wie kaum eine andere Figur der Zeitgeschichte.
Für Biografen stellt seine Person eine besondere Herausforderung dar. Bereits 1964 hatte der linke italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli eine Autobiografie Castros geplant, die bis zur Raketenkrise (oder Kubakrise) reichen sollte. Zunächst war er beeindruckt vom Redefluss des Comandante – »unser Mann redet wie ein Wasserfall, und um ihn zu unterbrechen, muss man brüllen« –, dann aber verlor der Autor Castro »das Projekt trotz seiner Begeisterung aus dem Auge, denn er hat ständig etwas anderes zu tun.«11
Der New York Times-Reporter Herbert Matthews, der 1969 die erste Castro-Biografie vorlegte, war mit einem anderen Problem konfrontiert:
»Es wird weder jetzt noch in Zukunft leicht sein, ihn zu erforschen. Fidel […] ist ein Mann, der kaum zugelassen hat, dass man etwas Persönliches aus seinem Leben erfährt.«12
Für ihre 1991 veröffentlichte Biografie durchforstete Georgie Anne Geyer nach eigenen Angaben 600 Bücher und 700 Artikel, zusätzlich führte sie in 28 Ländern 500 Interviews – ohne allerdings mit Castro selbst sprechen zu können. In der Zeit vor seiner Krankheit stapelten sich im kubanischen Außenministerium jährlich bis zu 300 Interview-Anfragen von internationalen Journalisten, doch nur wenigen war es vergönnt, den so glänzenden wie ausschweifenden Redner unter vier Augen zu treffen. Castro suchte sich seine Gesprächspartner selbst aus, sie mussten ihm politisch genehm sein. Dazu gehörten Gabriel García Márquez, der italienische Journalist Gianni Minà, Tomás Borge und zuletzt der spanische Publizist Ignacio Ramonet. Ihnen vertraute Castro in zum Teil tagelangen Gesprächen, die später als Bücher erschienen, auch einige private Dinge an. Nur zwei Biografen wurde ein ähnliches Privileg zuteil: dem New York Times-Reporter Tad Szulc, der 1961 die Invasion an der Schweinebucht auf die Titelseite seiner Zeitung gebracht hatte, und der brasilianischen Journalistin Claudia Furiati, die zuvor im Archiv des kubanischen Geheimdienstes über den Mord an John F. Kennedy (1917–1963) recherchiert hatte.
»Das Privatleben«, sagt Castro zu Borge, »darf weder von der Werbung noch von der Politik instrumentalisiert werden, wie das in der kapitalistischen Welt geschieht, die ich so sehr verachte.«13 Jean-François Fogel und Bertrand Rosenthal, von 1987 bis 1992 als Journalisten in Havanna akkreditiert, merken dazu an:
»Würde man es wagen, einen Artikel über das Privatleben Fidel Castros zu veröffentlichen, wäre dies eine Tabuverletzung und zöge ein Arbeitsverbot in Kuba nach sich.«14
Castros strahlende personale Herrschaft stand also im Kontrast zu seiner Privatsphäre, die der Líder Máximo sorgsam im Schatten verbarg. Nicht ganz zu Unrecht folgert Geyer in ihrer Biografie:
»Das Fehlen von persönlicher Information, die aus Fidel einen Menschen und nicht nur einen Mythos machen würde, ließ ihn unfassbar und somit allmächtig erscheinen.«15
Der Schriftsteller Norberto Fuentes wiederum, der Castros Freundeskreis angehört hatte, bevor er 1989 in Ungnade fiel und ins Exil flüchtete, versuchte sich in der »Modalität eines historischen Romans«, um dem »eigenen besessenen Streben nach Wahrheitstreue« gerecht zu werden. Doch in seiner opulenten, mit intimen Details aus dem Leben des Herrschers gespickten Autobiographie des Fidel Castro kommt er zu dem Schluss:
»Die wahre Geschichte des Fidel Castro verbirgt sich in einem Bereich, der vollkommen abgeschirmt ist und unter seiner absoluten Kontrolle steht, in seinem Gehirn.«16
In den letzten 40 Jahren ist weniger als ein Dutzend umfangreicher, gründlich recherchierter Castro-Biografien erschienen. Dazu zählt das Werk des Journalisten Volker Skierka von 2001, das lange Zeit über den deutschen Sprachraum hinaus richtungsweisend war. Seitdem gab es jedoch einige historische Wendepunkte – etwa Fidels Machtübergabe an seinen Bruder Raúl –, außerdem hat sich die Quellenlage verändert. Immerhin drei Personen wurde inzwischen der Zugang zum Historischen Archiv des kubanischen Staatsrats gestattet, um dort einige der streng gehüteten Dokumente, allesamt Primärquellen der Revolutionsgeschichte, einzusehen. Dadurch gelang es der kubanischen Journalistin Katiuska Blanco, die widersprüchliche Geschichte von Castros Ursprungsfamilie zu erhellen; die amerikanische Historikerin Julia Sweig konnte ansatzweise die bislang vernachlässigte Rolle des städtischen Untergrundkampfs gegen die Batista-Diktatur aufarbeiten; der kubanische Historiker Heberto Acosta war in der Lage, die zuvor kaum gewürdigte Etappe Castros im mexikanischen Exil zu rekonstruieren, die immerhin die Weichen für die Revolution stellte. Sweig weist allerdings darauf hin, dass die unzähligen Briefe, Operationspläne und militärischen Memoranda nicht katalogisiert seien und dass »all diese Dokumente im verschlossenen Archiv dem Publikum offiziell nicht zur Verfügung« stünden.17 Die Forschung zur kubanischen Revolution steckt also noch in den Kinderschuhen.
Auch das ist vor allem Castros Kontrolle geschuldet. Von Beginn an hielt der Líder Máximo das nationale Informationsmonopol über alle relevanten Belange der Revolution. Ebenso verstand er seine spärlichen Selbstzeugnisse als eine politische Handlung: sie dienten der Rechtfertigung, der Verteidigung, manchmal auch dem Angriff gegen ideologische Positionen des Gegners. Dabei ließ sich der im Umgang mit den Medien äußerst versierte Castro nie das Heft aus der Hand nehmen. Den Text des langen Interviews, das er zwischen 2003 und 2005 mit Ramonet geführt hatte, redigierte er, in seinem Krankenbett, wie ein politisches Vermächtnis. Dort gab er auch Blanco ein Interview, aus dem zwei autobiografische Bände entstanden, die Castro im Februar 2012 der Öffentlichkeit vorstellte. »Wir alle bangten um ihn, denn Fidel ist unsere Geschichte«, notiert Blanco im Vorwort.
»Ich erinnere mich daran, wie er mich im August [2006] empfing, als er zwischen Leben und Tod schwebte. Er sprach sicher und voller Mut über seine letzten Schüsse, die er gegen die Zeit abgefeuert hatte, er selbst sah sich wie das Gewehr eines Guerilleros.«18
In der eigenen Geschichtsschreibung hat es Castro tatsächlich vermocht, über die Zeit zu gebieten: Seine Retrospektive endet genau am 1. Januar 1959 – dem Sieg der Revolution. Auch seine zweibändige, minutiöse Darstellung des Guerillakampfs in der Sierra Maestra, die er im Sommer 2010 vor den Fernsehkameras präsentierte, reicht nicht über den Einmarsch in Havanna hinaus. Castro begreift sich als siegreicher Feldherr in einer revolutionären Epopöe.
Die vorliegende Biografie stützt sich außer auf die genannten neuen Quellen auch auf solche, die bisher kaum oder noch gar nicht berücksichtigt wurden. Sie stammen überwiegend aus dem spanischen Sprachraum und enthalten für den politischen Werdegang des Líder Máximo relevante Zeugnisse ehemaliger Mitstreiter und Widersacher. Daneben sind die 2009 veröffentlichten Memoiren von Castros exilierter Schwester Juanita aufschlussreich, die im Gegensatz zu Blancos Recherchen einen schonungslosen Einblick in die Familie Castro gewähren. Zusätzlich ist die Auswertung spanischsprachiger Sekundärliteratur, ein Großteil davon aus Kuba, in den Text eingeflossen. Sie wurde von den meist angelsächsischen Biografen wenn überhaupt, so doch eher am Rande zur Kenntnis genommen; gleiches gilt für die Castro-Biografien deutscher Autoren. Und während sich jene besonders mit dem Verhältnis zwischen dem revolutionären Kuba und den USA befassen, soll es hier in erster Linie um die Frage gehen, wie es Fidel Castro gelungen ist, seine Herrschaft im eigenen Land zu begründen, zu festigen und auszubauen. Um die Herausbildung und innere Logik dieser Herrschaft zu verfolgen, ist allerdings eine pragmatische, auf die Akteure bezogene Darstellung erforderlich, die auf ideologische oder politologische Etiketten verzichtet. So etwa ist der Streit, ob Castro bereits vor dem Sieg der Revolution Kommunist gewesen sei, aus heutiger Sicht nebensächlich, weil er der Epoche des Kalten Kriegs angehört. Dass Castro sein Land fast ein halbes Jahrhundert lang regierte, ist sowohl seinem Charisma als Revolutionsführer als auch seiner reichen Erfahrung als Guerillakommandeur geschuldet. Seine Politik hat Castro, der bervorzugt in schlichter Militäruniform auftrat, stets als eine Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln verstanden. Als Regierungschef bewegte er sich wie ein Guerillero zwischen flexiblen Fronten, der sich immer wieder, wenn auch auf widersprüchliche Weise, an neue Situationen und Krisen anzupassen wusste. Castro hat am eigenen Beispiel gezeigt, dass autoritäre Regime nicht unbedingt instabiler als Demokratien sein müssen.
Für ein solches Verständnis von Castros Herrschaftsweise ist die kubanische Revolutionsgeschichte grundlegend. Sie beansprucht in diesem Buch, zusammen mit der Entwicklung Castros zum politischen Akteur, einen besonderen Raum (Kapitel 2.3 bis 5.1) und wird ebenso chronologisch erzählt wie die Kindheits- und Jugendjahre Fidels (Kapitel 2.1 und 2.2). Dagegen sind die auf den Sieg der Revolution folgenden Kapitel 5.2 bis 6.6 vorrangig nach thematischen Schwerpunkten gegliedert, um dem Leser die Übersicht zu erleichtern. Sie behandeln Castros Innen-, Außen-, Militär- und Wirtschaftspolitik im Spannungsfeld der Großmächte. Kapitel 6.1 beleuchtet die komplexen Hintergründe des Schauprozesses gegen den Kriegshelden General Arnaldo Ochoa und widmet sich der schwersten politischen Krise der Revolution. Anschließend geht es in chronologischer Folge von der verheerenden Wirtschaftskrise in Kuba, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einsetzte (Kapitel 6.2), bis zum krankheitsbedingten Verzicht Fidels auf alle Ämter und der Vorbereitung der Post-Fidel-Ära durch Raúl Castro (Kapitel 6.3). Schließlich werden die Perspektiven für eine Übergangsgesellschaft in naher Zukunft umrissen. Neben Fidels jüngerem Bruder, der 49 Jahre lang Verteidigungsminister war und maßgeblich die Institutionalisierung der Revolution vorantrieb, nimmt in dieser Biografie auch Ernesto Che Guevara eine bedeutende Rolle ein. Wie entscheidend das Zusammenwirken der drei Comandantes für die Geschicke der Insel war, illustriert bereits ein Artikel des amerikanischen Time Magazine aus dem Jahr 1960. Demnach war Fidel das »Herz«, Che das »Gehirn« und Raúl die »Faust« der Revolution.19
Eine erschöpfende Darstellung der mit Castros Werdegang untrennbar verbundenen kubanischen Revolution würde den Rahmen dieser Biografie freilich sprengen. Deshalb konzentriert sich dieses Buch auf wesentliche, exemplarische Aspekte. Die hier eingeflossene aktuelle Forschung zum Thema spiegelt sich nicht zuletzt in den historischen Datumsangaben wider; diese dürften nun einige überlieferte Missverständnisse und Unklarheiten beseitigen. Die Übersetzung fremdsprachlicher Zitate hat der Autor selbst angefertigt. Wo die Quelle nicht gesondert angegeben wird, nämlich bei Castros »Reflexionen« sowie manchen Reden Fidels und Raúls, ist sie jeweils unter dem betreffenden Datum auf der Website des kubanischen Staatsrats abrufbar.20 Die spanischen Eigennamen im Text behalten ihr originales Genus, dieses wird also nicht eingedeutscht. Die in Kuba verbreiteten Kampf- und Spitznamen von Personen sind in Klammern gesetzt. Fidel Castro selbst trägt übrigens keinen solchen Namen. Er wird, Ausdruck seiner personalen Herrschaft, von der kubanischen Bevölkerung überwiegend beim Vornamen genannt, darüber hinaus ist er der allgegenwärtige Comandante oder Comandante en Jefe.
Der Autor möchte an dieser Stelle besonders zwei Personen herzlich danken, die beide wesentlich zum Fortgang des Manuskripts beigetragen haben: Julia Alice Treptow, die das Projekt zumal am Anfang begleitete, bei manchen Recherchen half und wertvolle Anregungen bei der Schlussredaktion gab; Ulrike (Celia) Steckkönig, die sich einfühlsam und akribisch den Detailkorrekturen widmete und mit klugem, freundschaftlichem Rat zur Seite stand.
Eine Biografie über Fidel Castro zu schreiben, somit über eine in hohem Maße kontroverse Gestalt der Zeitgeschichte, die trotz ihres überbordenden Diskurses nur wenig von sich persönlich preisgegeben hat, ist ein heikles Unterfangen. Wenn die Leser jedoch Castros eigenen Worten folgen, die er einmal Tomás Borge gegenüber äußerte, dann darf auch die vorliegende Biografie ihre Gültigkeit behaupten:
»Manchmal frage ich mich, ob die wahre Geschichte wirklich existiert, denn die Geschichte ist Gegenstand so vieler verschiedener Interpretationen […] Mir scheint, dass es höchstens Annäherungen an die Ereignisse im Leben der Menschen geben kann, nicht aber eine wirklich objektive Geschichte irgendeines Menschen oder Volkes.«21
»Ich wurde am 13. August 1926 geboren«, stellt Fidel Castro in seinem autobiografischen Abriss von La victoria estratégica fest – ein Datum, das sogar seine abtrünnige Schwester Juanita aus Miami bestätigt.1 Einige Biografen nennen dagegen auch 1927 als mögliches Geburtsjahr Fidels, wobei sie sich auf Aussagen der beiden älteren Geschwister Angelita und Ramón berufen.
Diese unterschiedlichen Angaben hat erst Claudia Furiati in ihrer 2001 erschienenen Biografie in Einklang gebracht.2 Bei der Sichtung des – nur engen Mitarbeitern oder Vertrauenspersonen des Comandante zugänglichen – Fidel-Castro-Archivs im kubanischen Staatsrat stieß sie auf drei unterschiedliche Geburtsurkunden, die in den Jahren 1938, 1941 und 1943 nachträglich ausgestellt worden waren. Von besonderer Bedeutung erwies sich das Dokument von 1941: Es beglaubigt, dass Fidel ein Jahr älter ist als noch in der Urkunde von 1938 ausgewiesen und setzt die Geburt auf das Jahr 1926 fest. Diese Änderung, für die der Vater am zuständigen Kreisgericht eine erhebliche Summe bezahlt hatte, erlaubte es seinem Sohn, vorzeitig die ersehnte Oberschule in Havanna zu besuchen.3
So banal die Entstehung des offiziellen Geburtsdatums auch ist, während oder nach der Revolution wäre es kaum noch zu korrigieren gewesen. Zwar hat Castro der von ihm »geduldeten« Biografie Furiatis in keinem Punkt je widersprochen, und auch Ignacio Ramonet gegenüber äußert er sich über den Zeitpunkt seiner Geburt noch verhalten: »In diesem Haus kam ich, wie man erzählt, am 13. August 1926 um zwei Uhr morgens zur Welt.«4
Doch wenn er sich schließlich in seinen eigenen Memoiren auf das Jahr 1926 festlegt, ist das ein Politikum: Castro zementiert damit die Numerologie einer Revolution, welche untrennbar mit seiner Person verbunden ist. Das Doppelte von 13 (Fidels Geburtstag) ergibt 26 (sein Geburtsjahr); das Doppelte von 26 wiederum ergibt 52 – im Jahr 1952 putschte sich General Fulgencio Batista (1901–1973) an die Macht; ihn wollte Castro zuerst am 26. Juli 1953 mit dem Angriff auf die Moncada-Kaserne zu Fall bringen. Dieser Tag wiederum, der als offizieller Beginn und Symbol der Revolution gilt, gab schließlich der »Bewegung des 26. Juli« (Movimiento del 26 de Julio) ihren Namen. Der Rückgriff auf den 26. Juli findet sich auch in der Präambel der Verfassung von 1976 wieder. Darin versteht sich das sozialistische Kuba als Erbe einer nationalen revolutionären Tradition, die im 16. Jahrhundert mit Indígena-Revolten beginnt und mit »den Mitgliedern der Avantgarde der Generation des hundertsten Geburtstags Martís« endet. Deutlicher ausgedrückt: Die Keimzelle der »Bewegung des 26. Juli« tritt mit ihrem Angriff auf die Moncada-Kaserne gerade zum 100. Jubiläum von José Martí (1853–1895) auf den Plan.
Hier gerät die Zahl 26 endgültig zur Chiffre der Revolution. Und die neue, etwas eigensinnige Zeitrechnung setzt Fidel Castro und José Martí – den »Apostel der Unabhängigkeit« – explizit auf eine Linie.
Dabei hatte Fidels Vater noch in jenem spanischen Kolonialheer gedient, das mit etwa 50 000 Soldaten gegen die kubanischen Unabhängigkeitskämpfer zu Felde zog. Ángel Castro y Argiz, 1875 als Sohn einer armen Bauernfamilie in der galicischen Provinz Lugo (Nordwestspanien) geboren, war 1895 nach Kuba gekommen – im selben Jahr, als José Martí beim Angriff auf eine Abteilung Kolonialsoldaten fiel. Martí, der streitbare Dichter und Journalist, hatte den zweiten kubanischen Unabhängigkeitskrieg (1895–1898) von New York aus, seinem Wohnsitz im Exil, vorbereitet und war neben den militärischen Befehlshabern Antonio Maceo (1845–1896) und Máximo Gómez (1836–1905) der zivile Führer der Erhebung. Mit dem frühen Tod Martís hatten die Separatisten der »Republik in Waffen« ihren wichtigsten politischen Strategen verloren, die Kubaner jedoch einen Märtyrer gewonnen, dessen Mythos bis in die Gegenwart reicht.
Ángel Castro indessen wurde vom Rekruten zum Gefreiten befördert und schaffte es, den von beiden Gegnern mit Grausamkeit ausgetragenen Krieg zu überleben. Fidel gibt an, dass der Vater seinen Geschwistern »mehr von seinem Leben erzählt [hat] als mir«.5 Der väterliche Werdegang ist allerdings unter den Geschwistern und Castro-Biografen gleichermaßen umstritten. Erst der Journalistin Katiuska Blanco ist es gelungen, für ihre 2003 erschienene Geschichte der Ursprungsfamilie Fidels entscheidende historische Dokumente aufzuspüren.6 Zwar ist Blanco eine Art offizielle Historiografin – sie fungiert auch als Herausgeberin der Memoiren Fidel Castros –, die künftige Forschung zum Thema wird sich dennoch auf ihre neu gewonnenen Daten beziehen müssen.
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