Fisch unter Bäumen - Ulla Thombansen - E-Book

Fisch unter Bäumen E-Book

Ulla Thombansen

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Beschreibung

Die rheinische Babyboomer-Frohnatur Ulla mäandert im Zeichen der Fische mit Mut und Weitblick durchs Leben. Ein herzerwärmender, anregender Lebensbericht durch die jüngere Zeitgeschichte mit Perspektive und jeder Menge Genuss und Unterwegssein. In zehn Stationen nah am Wasser schildert "die Ulla" ihren bewegten Werdegang zwischen Familie und Business. Vom behüteten Anfang mit Schnippelbohnen-Suppe und Bravo-Verbot schwimmt sie sich frei und schlägt ihre Erfolgswelle an Rhein, Pader, Dreisam, Hunte, Isar & Co. Aus ihrem Coaching-Metier sprudelt sie über Mensch & Sache, Systeme & Werte - Motivation pur für Aufgeweckte, Change-Aktive und Gestalter. Warum ein Fisch dann auch noch inmitten von Disneyland anlandet und irgendwann unter Bäumen liegt - das gibt "die Ulla" in diesem Logbuch zum Besten. Hinterfragend - unterhaltsam - schonungslos ehrlich. Ein echter Mut-Macher!

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Die Autorin „Ulla live“:

Im März 1950 als Nachkriegs-Unternehmertochter geboren und in die Studentenbewegung hineingewachsen.

Diplom-Volkswirtin, freiberufliche Trainerin und Beraterin im liberalen Umfeld und in Service-Unternehmen samt Profi-Gastronomie. Unternehmensgründerin.

Neugierige Entwicklerin entlang der Werte und Management-Praktiken in den letzten fünfzig Jahren.

Reisefreudige Entdeckerin. Netzwerkerin, Coach und Autorin.

Älteste Schwester, Freundin, nordrhein-ostwestfälische Ehefrau kurz vor der Goldenen Hochzeit. Mutter, Schwiegermutter, Großmutter, Tante und noch einiges mehr.

Inzwischen Seniorin und Teilzeit-Pensionärin.

Inhalt

Vorab: Typisch Fisch?

Schon ein bisschen!

Bewegung gehört zu mir

Was kommt …

Ja, ich bringe rheinischen Frohsinn mit!

Aufgewachsen an Düssel und Erft

Spiel, Schule und Sport bei uns Kindern

Ursula als Teenie in der Familie

Reisen, die wichtige Erlebnisquelle

Vor dem Abi: Erste Abnabelung

Zwischenstopp: Mauer, Kuba-Krise, Kennedy-Mord

Was bleibt?

Auf an die Dreisam & in den Schwarzwald

Eingewöhnen ins selbstständige Leben

Jobben für das „Spaßbudget“

Der Mann kommt ins Bild

Am Horizont winkt Paderborn

Was bleibt.

An die Pader nach Ostwestfalen

Neue Heimat?

Zwischenstopp zu Frauenrechten

Junge Emanzipation

Als Nomadin „dauernd unterwegs“

Zwischenstopp zu Paderborner Politik

Kind eins kommt, Firma geht

Neue Horizonte tun sich auf

Was bleibt.

Auf zu Hunte, Moor und Meer

Ammerland – mitten in der Gartenlandschaft

Freelancerin für die Non-Profit-Organisation

Zwischenstopp für den Wertewandel

Kompetente Trainingsleitung

Kind zwei kommt, liberal wird Beruf

Jobausweitung ins Business

Was bleibt.

Weiter an Leine & Maschsee

Einleben in der Landeshauptstadt?

Zwischenstopp: Friedensmärsche

Arbeiten und gut leben

Wir sind Profis in Beratung & Training!

Wieder nach Paderborn!

Was bleibt.

Zurück an die Pader mit „partner:“

Lebendige Familie, lebendige Firma

Zwischenstopp: Die späten 1980er

Ära der Mitarbeiterbeurteilungen

AIDS – das wirklich neue Projekt

Zwischenstopp – Thema Sex

MUT wird geboren

Was bleibt.

An der Pader jetzt mit MUT

Doch ich steige nicht in denselben Fluss

Zwischenstopp: Freundschaft mit Frauen?

Unser Büro wird Technik-dominant

Weltweit Netzwerken bildet

Als liberale Beraterin raus in die Welt!

Zwischenstopp: Unsere „Ost-Erweiterung“

Konzerne ticken anders

Zwischenstopp: die Neunziger

Neue Branchen im Portfolio

Rund um die Familie

Haussanierung – ein Alptraum?

Terror!

Was bleibt.

Auf an Isar und Bergseen

München ruft

Erfolgreiche Interimsführung

Hurra, es geht in die Arena!

Zwischenstopp zu Krieg und Ukraine

Leben wie Ulla in Bavaria

Was bleibt.

Coming Home

Die Pader hat mich wieder

MUTig geht es weiter – klassisch und zunehmend agil

MUT wird GmbH

Familie fängt auf

Corona ist angekommen

Was bleibt.

Welt ahoi!

Wir kommen!

Nachtrag: Was wird?

Danke!

Literatur und Quellen

Vorab: Typisch Fisch?

Pisces“, das Fischpaar in meinem Sternzeichen. Foto: iStock – 1366195216

Schon ein bisschen!

Geboren 1950 in den Iden des März bin ich astrologisch ein Fisch. Einer? Mein Sternzeichen zeigt zwei Geschöpfe, die entgegengesetzt einen Kreis bilden: Das Duale aus Widerspruch und Wiedervertragen, aus Kontroverse und Harmonie. Ja, ich kenne es nur zu gut. Auch wenn ich selten Horoskope lese: Von dem, was man mir nachsagt, fühle ich mich angesprochen.

Ich sei ein „Sensibelchen“, könne mich gut in Situationen und Menschen hineinfühlen, würde manchmal mutig und beharrlich neue Wege verfolgen, sei gleichzeitig oft verschlossen und würde aggressiv reagieren, wenn ich mich bedrängt fühle. All das sei wohl typisch „Fisch“, so sagt man.

Und mein Aszendent? Das ist der Krebs. Der verstärkt das Emotionale noch. In Summe ergibt das jede Menge Gefühl. Und viel Wasser mit viel Sprudel und Strömung! – Ja, ich fühle mich wohl als Fisch im Wasser! Man stelle sich nur einen Sommer ohne Meer vor. Kein Wasser? Für mich unmöglich! Oder eine Stadt ohne Cafés am Brunnen, Fluss oder See? Oder eine Landschaft ganz ohne Bachläufe? Geht gar nicht!

Und doch gilt meine große Liebe dem Wald, den Gärten und meiner Terrasse mit den vielen Blumen. Pflanzen entspannen mich: Schon als Kind waren all meine selbstgebauten Buden draußen im Grünen. Das große Weite fasziniert mich und ich liebe es, wenn mein Blick über grün bewaldete Landschaften schweifen kann.

Bewegung gehört zu mir

Meine Lebensjahre sind bewegt und bewegend. Bewegt haben mich ganz sicher meine Umfelder, die nie stabil geblieben sind, sondern laufend und bis heute andauernd neue Rahmen gesetzt haben, auch mit wechselnden Wohnorten.

Bewegend finde ich die Unterstützung und die Sympathie, die mir Menschen entgegenbringen. Auch meine Reiseerlebnisse zähle ich gerne dazu. Überhaupt mein ganzes „Drumherum“: Ich schwimme mit Partner, Familie, Business und Gesellschaft durchs Wirtschaftswunderland. Da begleite ich meine Mit-Babyboomer sowie die Folgegenerationen Golf, Millennials, Digital Natives und nun die Pandemials durch die Jahrzehnte. Werte bewegen sich: Ich spüre die wachsende Individualisierung geradezu, in der sich immer mehr „Ich“ vor das „Wir“ schiebt.

Das macht Kommunikation, Führung, Zusammenarbeit und Begeisterung von Menschen kompromisslos anspruchsvoller. Streckenweise empfinde ich das als anstrengend. Denn ich verbringe mein Leben intensiv mit Menschen, die ich in ihrer Wirkung unterstützen will – sei es als große Schwester, bei der Schülernachhilfe, später in der Erziehung unserer Kinder oder im jahrelangen Coaching im Beruf. Dabei leiten mich stets diese sechs Fragen:

In welcher Situation bewegen sie sich, diese Menschen?

Auf welche Weise bewältigen sie ihre Situation?

Welche Züge ihrer Persönlichkeit helfen ihnen dabei?

Welches Handwerk bringt sie am besten ans Ziel?

Welche Unterstützer können sie dabei weiterbringen – in der Sache und emotional?

Wie kann ich sie ermutigen?

Mein Sehnsuchtsblick in Südfrankreich bei unseren Freunden Rudolf und Angelika: Alles grün – von der Terrasse bis zum Meer! Links verbirgt sich Nizza, rechts sind Antibes & Cannes.

Mich mit möglichen Antworten auseinanderzusetzen, finde ich bis heute anspruchsvoll, auch wenn ich das gefühlt schon unzählige Male getan habe, oft auch für mich selbst. Fünfzig Jahre Entwicklungsbegleiterin rund um Familie, wirtschaftlichen Erfolg, Kundenbegeisterung und Erlebnisreichtum: Eine Reise in meine persönliche Geistes- und Gefühlsheimat.

Die vorrangigen Tugenden ändern sich dauernd in diesem halben Jahrhundert: Nach der Gehorchen-Zeit zählen Freiheit, Unabhängigkeit, Gerechtigkeitsgefühl und Gemeinsinn, dann permanente Optimierung, immer mehr Karrieregeist und Effizienz. Bis Autoritäten im aktuellen Zeitgeist aufbrechen und mehr Selbstwirksamkeit erlauben.

Meine Erfahrungen teile ich mit dieser Biografie in den zehn folgenden Stationen, in denen ich den Wasserarmen folge, an denen ich gelebt habe, denn Wasser braucht der Fisch.

Was kommt…

Ich beschreibe Erfahrungen, teile Empfindungen, erinnere an markante Ereignisse und ergänze, was mir in den Stationen geholfen oder im Weg gestanden hat. Vielleicht steckt für Sie da Bekanntes drin oder Sie verbinden ganz andere Erinnerungen damit?

Machen wir uns einfach gemeinsam auf die Reise durch mein Leben.

Ganz direkt zur Sprache: Gendern liegt mir nicht, zumal ich nicht glaube, dass Schrägstriche, Sternchen oder Doppelpunkte mit angehängten „innen“ diejenigen inspirieren, die ihre Denke feminin auffrischen müssen. Außerdem finde ich es sprachlich unschön.

Wenn ich Funktionen bezeichne, meine ich selbstverständlich Jungs und Mädels, das spiegelt sich auch in meinem Umfeld mit vielen Frauen und Männern. Ich bemühe mich um korrekte Ansprache, auch mit „Mitarbeitenden“ und „Teilnehmenden“, die wir so schon in den 1980-ern in meiner Arbeit bei einer Kundin ansprechen, weil wir das als angenehm aktivierend empfinden.

Ansonsten benenne ich sie Beide, die „Arbeitnehmer“ und die „Arbeitnehmerinnen“, denn so viel Zeit muss sein.

Also, springen wir ins Wasser!

Ja, ich bringe rheinischen Frohsinn mit!

Aufgewachsen an Düssel und Erft

Es ist Dienstag, der 11. Oktober 1968. Mein hellblauer VW-Käfer ist gepackt – voll bis unter den Autohimmel. Ich sage meinen Eltern im Büro nochmals „Tschüss“, fahre mit dem Aufzug hinunter, gehe hinaus und steige ein. Los geht’s, ab nach Freiburg ins Studium.

Hinter mir liegen achtzehn Jahre mit meiner Familie, den Trippe‘s: wochentags in Düsseldorf, am Wochenende und in vielen Ferien in Bad Münstereifel-Schönau, kurz hinter der Erftquelle, also rechts und links vom Rhein geprägt.

Der gerade verstorbene Großvater war Jäger, ebenso wie mein Vater. Das gehört zum Beruf und Umgang mit Kunden und Freunden in Vaters Business, nämlich „Eisen & Stahl“. So zieht es den Familientross zuverlässig in der Freizeit in die Eifel. Schon im Krieg war Schönau der Zufluchtsort für die Sippe, die hier erfolgreich den Bomben auf die Großstadt entkam. Das alte Jagdhaus hat Platz für viele Gäste – samt Haushälter-Ehepaar mit Hühnerzucht und Holzwirtschaft für die Öfen. Doch werktags wachse ich in und rund um Düsseldorf auf. Nach ersten Jahren in Oberkassel geht es ins Umland nach Hösel bei Ratingen in eine wunderschöne Villa mit Riesengarten und Pool sowie Nachbarn aus „Eisen & Stahl“.

Oben: Das „alte Jagdhaus“ in Schönau. Das lag damals noch am Ortsrand, so dass wir Kinder durch die Wiesen streunen können. Unten: Der Wald bei der „Ahl Höhl“, wo wir mit dem Vater im Wohn-Hochsitz die Wochenenden zwischen alter und neuer Jagdhaus-Zeit sehr rustikal verbringen.

Der weite Blick aus dem neuen „Jagdhaus“, das wir 1963 beziehen, auf den Michelsberg. Heute wohnt hier Bruder Hannswolfgang mit Familie. Foto: Hiltrud Trippe.

Unser Vater Hannswalter ist Chef der nach dem Krieg schon 1946 wieder gegründeten Hansa Eisen Trippe GmbH & Co. KG mit dem maßgeblichen Teilhaber Friedrich Flick, der bereits seit 1912 in Flick & Trippe mit dem Großvater Anton verbandelt ist.1 Dorthin fährt der Chauffeur, für uns der uniformierte „Onkel Klapdor“, unseren Vater jeden Morgen. Gerne besuche ich ihn in der Firma, wo ich das Gewusel spannend finde.

Dabei ist unser Vater noch sehr jung, was wir Kinder nicht wahrnehmen. Mit 16 Jahren ist er 1936 nach dem „Einjährigen“, wie der Abschluss nach der zehnten Klasse hieß, zum Arbeitsdienst gekommen, von wo aus er direkt zur Kavallerie und dann nahtlos in den Krieg zieht. Er ist erst 26, als er aus amerikanischer Gefangenschaft in Marseille anlandet. Laut unserer Mutter ist er deutlich gezeichnet von Hunger und Erfrierungen in den Beinen, die er aus Finnland mitgebracht hat. Diese werden ihn Zeit seines Lebens mit Thrombosen und offenen Beinen verfolgen. Seine Jugend ist weg – und mit ihr auch viel Gesundheit.

Viele Kuren folgen, und ich sehe ihn immer noch vor mir, wie er sich im hohen Alter mühsam seine engen, maßgeschneiderten Gummistrümpfe über die Waden zieht. – Doch jetzt kommt er erstmal ins Lazarett und dann direkt als Junior in die elterliche Firma.

1948 heiratet Hannswalter seine Sekretärin Ilse Grünauer, was zum Zerwürfnis mit seiner Mutter Elly führt, die für ihren Ältesten andere Kandidatinnen im Auge hat, die sie im Gegensatz zu seiner Sekretärin gesellschaftlich für angemessen hält. Der Riss sitzt tief: Diese Großeltern finden bei uns bis etwa 1965 kaum statt.

Der Großvater, eine stattliche Persönlichkeit, kommt manchmal zu unserem Vater zu Besuch, und einmal hat er mir – ich war etwa fünf Jahre alt – in Münstereifel im damaligen Kaufhaus Bollenrad ein wunderschönes kariertes Kleid mit weißem Kragen gekauft, das ich selbst aussuchen durfte! Welche Freude! Kindheitserinnerung.

Als er im Alter erkrankt und in meiner Oberstufenzeit immer wieder nach Freiburg in die Klinik kommt, besuchen wir die Großeltern auf unseren Fahrten in den Winterurlaub. In den Ferien betreue ich dort die „Oma“, was den Samen für meine Liebe zu dieser Stadt und den Schwarzwald legt.

Die ursprünglich österreichischen Großeltern Grünauer sind vor dem Krieg zur Düsseldorfer Niederlassung der Stahlwerke Böhler aus Kapfenberg in der Steiermark gekommen. „Opapa“ ist hier Betriebsleiter.

Die Familie wohnt in einer Werkswohnung an der Heerdter Landstraße, wo unsere Mutter mit ihrer knapp älteren Schwester Christel aufwächst und mit Kriegsende neben ihrer Arbeit fleißig Lebensmittel hamstert. Unsere „Omi“ ist ein herzensguter und liebenswerter Mensch, der oft bei uns aushilft und den wir Kinder sehr mögen.

In unserer Höseler Villa führt unsere Mutter ein großes Haus mit einem stattlichen Garten. Unserem Gärtner folge ich treu wie ein kleiner Hund über riesige Rasenflächen und durch die Beete. Es gibt auch ein Hausmädchen, ein Küchenmädchen sowie Säuglingsschwestern für den 1952 geborenen Stammhalter Hannswolfgang und für Bruder Stefan, der 1955 hinzukommt. Sie werden später von Kindermädchen abgelöst.

Die Villa sieht rauschende Feste, auf denen unsere Mutter in wunderschönen Roben glänzt. Zuvor versorgt uns stets das Kindermädchen, denn satte Kinder sind ruhige Kinder! Die obere Etage dürfen wir jetzt nicht mehr verlassen. Deshalb „spinksen“ wir ganz leise und verstohlen durchs Treppengeländer.

Das ist Wirtschaftswunder auf hohem Niveau. Die oft beschriebene Nachkriegsstimmung der 1950er-Jahre erlebe ich kaum, höchstens im Dorf in der Eifel, wo Wohlstand erst spät einzieht und die Dorfstraße lange nicht asphaltiert ist. Das entwickelt sich dann erfreulich bis zum Ende des Jahrhunderts.

Die Eltern in winterlicher Idylle in Klosters, Schweiz.

Unsere Mutter mit den ersten drei Sprösslingen, ca.1957.

Natürlich müssen wir unsere Teller leer essen, egal wie sehr ich Milchbrei, Graupen- oder Schnippelbohnensuppe mit ihren vielen Fäden verabscheue, ganz zu schweigen vom täglichen Löffel Lebertran. Im Kinderheim im Schwarzwald tanken wir auf langen Spaziergängen und bei strenger Mittagsruhe auf der überdachten Terrasse gesunde Luft für gesunde Lungen, denn noch grassiert die Tuberkulose.

Plötzlich kippt zu Hause die Stimmung. Hansa und ihre Schwesterfirmen schließen 1956. Gerüchteweise höre ich später aus der Familie – und lese es in Veröffentlichungen –2, dass sich der Stahlmagnat Flick, der sein Imperium bereits kurz nach dem Krieg wieder weit verzweigt hat, zurückzog, weil unter der Trippe-Leitung nicht alles korrekt zugegangen sei.

Vater startet in seinem „Herrenzimmer“ in unserem Haus mit seiner Ilse die Industrie- und Handelsvertretung HAWETE GmbH, die durch ihren Fleiß und die Konsequenz der Beiden zur echten Erfolgsgeschichte wird. Hier werden Walzen, Gussteile, Maschinen, Autoschredder, Schiffsschrauben und vieles mehr in der Industrie vermittelt, national wie international.

Die Familie sieht bis zu Vaters Tod 1999 beständige Geschäftigkeit, immer auf dem aktuellen Stand der Bürotechnik – vom Telex bis zur jeweils modernsten PC-Software. Teils führt Ilse interimsweise „den Laden“, wie er im Familienjargon heißt, weil Vater zwischendurch für Henschel in Kassel und Bliss Henschel in Düsseldorf und den USA sowie danach für eine Maschinenfabrik in Düsseldorf arbeitet. Etwa von meinem 13. Lebensjahr an helfe ich im Büro, was mir besser gefällt als die schnöde Hausarbeit.

Spiel, Schule und Sport bei uns Kindern

So wachse ich im Selbstständigen-Haushalt heran, was mich eindeutig prägt. Kindergarten und Volksschule absolviere ich noch in Hösel – letztere bei einem kriegsversehrten Lehrer mit Rohrstock, von dem er eifrig Gebrauch macht. Die Eltern finden das in Ordnung, auch zu Hause setzt es öfter mal was.

Dort spiele ich im Garten oder im angrenzenden, wild wachsenden „Gelände“, wo ich die ersten Buden baue, zu denen unser Küchenmädchen Maria Töpfe, Teller und Besteck beisteuert. Der Nachbarsjunge Dieter spielt oft mit, meine jüngeren Brüder weniger. Wir wohnen in der Waldstraße. Hier gleich um die Ecke liegen Baracken mit Flüchtlingen, mit denen wir uns nicht treffen dürfen. Das tun Dieter und ich natürlich dennoch und erfahren herzliche Menschen.

Aber die Villa in Hösel Haus hängt – ebenso wie das alte Jagdhaus in der Eifel – im Vermögen der Hansa und wird verkauft. So bauen meine Eltern in Düsseldorf auf dem ausgebombten Grundstück von Vaters Eltern ein neues Mehrfamilienhaus, in das wir 1961 nach einem Zwischenstopp in einer Mietwohnung ziehen, vis-à-vis zum Zoopark. Oben befindet sich unsere Wohnung, darüber das repräsentative Wohnzimmer und das Büro mit Chefzimmer und Sekretariat – die Rollenteilung bleibt! Zwei Stockwerke werden vermietet, im Parterre gibt es die Wohnung für das Hausmeister-Haushälterin-Ehepaar sowie die „Mädchen-Zimmer“ für weiteres Personal. Doch das beschränkt sich nun auf den neuen Fahrer, der uns viele Jahre begleiten wird, und besagtes Ehepaar.

Ich bin inzwischen im Goethe-Gymnasium, damals noch eine reine Mädchenschule. So wie ich das Schulgebäude schon nicht mochte, als ich zum ersten Mal eher ängstlich hineinschlich zur Aufnahmeprüfung, die 1960 noch anstand, so hat sich meine Abneigung über neun Jahre hinweg gehalten: Der massive, dunkle Kasten ist mir fremd, im dunklen Winter sogar unheimlich. Leistungsmäßig bin ich mit Noten im oberen Drittel vom Klassenschnitt zufrieden, was ich gut schaffe. Außer in Latein, wo es nur zur Vier mit langem Minus reicht. Mit den Lehrern und Lehrerinnen habe ich nicht viel am Hut, zumal sie ungefragt meinen Namen verballhornen – „Usch“, „Uschi“ und „Ursel“ hasse ich, „Ulla“ ist zwar ok, aber das höre ich noch selten.

Das Haus in der Grunerstraße in Düsseldorf, wo ich vom 11. Lebensjahr an aufwachse, hier im Bild 2018 kurz vor dem Verkauf an Sohn Christian, seine Frau Stefanie und Neffe Linus, sodass die Immobilie in der Familie bleibt.

Die Biologiepädagogin mag ich – wahrscheinlich, weil sie sich öfter mal ernsthaft mit mir unterhält – wie auch unsere Französischlehrerin, die mir die Liebe zur französischen Sprache schenkt. Überhaupt: Meine Gymnasialzeit fällt in den Beginn der deutsch-französischen Freundschaft mit ihrem Hype um französische Musik und ihre Interpreten. Mein eigens zum Tanzschul-Abschlussball geschneidertes Kleid ist denn auch einem Modell nachempfunden, das die Sängerin France Gall bei einem ihrer Auftritte getragen hat. Klasse!

Und so changiert mein Musikgeschmack: Nach „Brücke am Kwai“ und Schlagern à la „Weiße Rosen aus Athen“ oder „Zwei kleine Italiener“ machen France Gall, Gilbert Bécaud, Françoise Hardy und der geniale Johnny Hallyday das Rennen. In meinem Frankreich-Sommer nach dem Abitur kommen Stevie Wonder, Neil Diamond und Neil Young hinzu.

Das einzige Radio in unserem Haushalt ist der große Weltempfänger, der sich samt Plattenspieler im Wohnzimmer in einem „Tonmöbel“ verbirgt. Solche Kommoden sind en vogue, denn Technik wird versteckt wie auch die Heizkörper hinter Holzverkleidungen. Hier höre ich nachmittags Nachrichten und Musik, wenn ich nicht endlos mit Freundinnen telefoniere.

Telefon? Wir haben vier Apparate in Büro und Wohnung, alle vornehm in beige statt in schwarz, mit Wählscheibe und einer Gabel, auf welcher der massive Hörer liegt!

Von seinen Amerikareisen bringt unser Vater kleine „Transistorradios“ mit, mit denen wir jetzt aus jedem Raum Radio Luxemburg mit Frank Elstner oder Radio Hilversum mit „klasse“ Musik hören können, also auch im eigenen Zimmer oder im Bad. Und ja, ganz richtig: „klasse“ ist unser damaliges „geil“ oder „mega“. Einen Fernseher bekommen wir übrigens erst spät.

Und meine Mitschülerinnen? Verbunden bin ich vor allem mit meiner Cousine Helga, mit der ich von der Sexta bis zur Oberprima, also von Anfang bis Ende, in einer Klasse und zusammen auf vielen Schulwegen unterwegs bin. Wir Zwei sind echt „dicke“ miteinander, obwohl sie in Ermahnungen meiner Mutter immer als gutes Beispiel herhalten muss: „Die backt so gute Kuchen!“, „Die hat beim Bridge so nett serviert!“, „Helga wird doch auch Lehrerin und bleibt in Düsseldorf!“ – Das alles ist nix für mich. Wir beiden „Rosinchen“, wie wir uns abgewandelt von „Cousinchen“ nennen, verstehen uns unabhängig davon bis heute gut. Die andere Freundin ist Claudia, bei der zu Hause ich mich sehr wohlfühle. Später zieht sie nach Argentinien, woraufhin sich der Kontakt verliert. Das war’s auch schon und reicht an schulischen Beziehungen. Klassentreffen? Nein, danke!

Ursula als Teenie in der Familie

Zurück zur Kernfamilie: 1963 kommt Bruder Roland zur Welt. Aufklärung? – Nein, erst sechs Wochen vorher bemerke ich Mutters dicken Bauch unter dem Hängerkleid. Darüber wird nicht geredet, zu der Zeit auch nicht in der Schule. Die öffentliche Aufklärungswelle mit Oswalt Kolle startet erst Jahre später.3 Aufgeklärt haben wir beiden „Rosinchen“ uns gegenseitig mithilfe der Romanliteratur unserer Mütter aus der hinteren Buchregalreihe.

Anfangs gibt es für Roland wieder die obligatorische Säuglingsschwester in vollem Uniform-Ornat. Es folgt mit „Gudi“ ein Kinder- und Hausmädchen, das ich mag und später sogar in seiner schwäbischen Heimat besuchen darf. Aus dieser Zeit stammt Mutters Spruch: „Du hast eindeutig einen Hang zum Küchenpersonal!“ Wie recht sie behalten soll! Nun, das erkenne ich erst als Erwachsene!

Roland bekommt mein Zimmer – für mich wird der Raum im Spitzboden ausgebaut. Ein Traum! Ich bin weg vom Schuss! Wirklich? Auch wenn ich aus dem Puppenalter heraus bin, habe ich jetzt einen kleinen Bruder – oder ersten Sohn? –, der an mir hängt wie eine Klette an der Strickjacke. Ab jetzt gehört er zu mir, bis heute!

Doch auch das ahne ich noch nicht. Als Älteste und dann noch als Mädchen habe ich Haushaltspflichten am Hals, vor allem Brüderbetreuung, Frühstückmachen, Schulbrotschmieren, Einkaufen und Spülen nach den Mahlzeiten. Die Jungens sind fein raus, ja, sie trocknen nicht einmal ab, wie ungerecht! Das finden die aber in Ordnung und grinsen einfach nur, wenn ich maule. In dieser Generation bin ich wahrscheinlich nicht das einzige Mädel, das darüber flucht.

Womit ich meine Tage verbringe? Zunächst draußen an glatten Hauswänden, um „Proben“ mit kunstvoll geworfenen und gefangenen Tennisbällen zu üben. Oder um „Gummitwist“ zu hüpfen, wobei Zaunpfosten Mitspielerinnen ersetzen, um das Gummi zu spannen. Da kämpfe ich in immer neuen Runden gegen mich selbst. Mit Nachbarn spielen wir auf noch reichlich vorhandenen Trümmergrundstücken, woher meine Abscheu vor Ratten rührt, die wir manchmal aufscheuchen. Wir streunen die benachbarte Düssel entlang oder im Zoopark herum, denn da gibt es diesen Spielplatz, wo man sich lässig auf dem Karussell drehen und früh flirten kann.

Vor allem finde ich wieder ein „Gelände“: das große unwegsame Grundstück, auf dem heute das Gebäude vom VDI steht, wo ich mit den Nachbarsjungens und stibitzten Rosenscheren Gänge ins wilde Brombeergestrüpp schneide und mal wieder Buden baue. Das sind echte Burgen, deren Inneres man von außen nicht sieht, denn ich bin „Die rote Zora“, meine Heldin aus dem gleichnamigen Buch.

Mein anderes Lieblingsbuch ist Nils Holgersson, mit dem ich auf Gans Martin über die weite Welt reise.4 Comics und die Bravo sind bei mir noch streng tabu, bei den Brüdern später allerdings erlaubt – wie so manches, was bei mir so gar nicht ging!

In der Eifel schleichen wir Geschwister als Cowboys durch die Wälder und scheuchen Spaziergänger mit unseren Schreckschusspistolen auf, bis unser Vater davon erfährt: Da setzt es was. Nach der Tracht Prügel lassen wir das fortan. Dafür habe ich inzwischen wieder meine Bude im angrenzenden Wald.

Auch die Jagd interessiert mich. Ich gehe gerne mit unserem Vater auf die Pirsch und auf Treibjagden und Jagdhund Heiko ist mein Freund. Mit fünfzehn pauke ich mit dem Nachbarsjungen für seine Jagdprüfung, doch als ich ein Jahr später alt genug für meine bin, ist mein Interesse verflogen. Da zählt bereits die Ausgehwelt. Gut gefällt mir weiterhin das regelmäßige Tontauben- und Scheibenschießen. Denn das kann ich und das ist es, was mich auf der Düsseldorfer Kirmes zur unbestrittenen Rosen-Schützenkönigin macht.

Die Eltern haben häufig Gäste. Legendär sind ihre Eifler Pfingstfeste unten am „Steintisch“ mit dem Mühlstein aus dem Dorf als Tischplatte. Wir Kinder hassen sie, denn wir schleppen reichlich Speis und Trank die Wiese runter und die Reste wieder rauf ins Haus. Anfang Juli gibt es mit Familie und Freunden immer das große Sommerfest mit Riesen-Schinkenbraten und rheinischem Kartoffelsalat, bei dem es bis zur letzten Minute fraglich ist: drinnen oder draußen? Meist klappt es trotz unbeständiger Eifelwitterung dann doch auf der Terrasse.

„Rosinchen“ Helga hat im Wochenendhaus ihrer Familie im Westerwald eine echte, richtig gebaute Bude im alten Gartenhaus, in die wir uns stundenlang verkriechen. Unsere Puppen heißen zunächst Erika und Monika, dann Christine und Madeleine – so viel zur Kulturgeschichte.

Überhaupt gefällt es mir in dieser Kulisse. Der Onkel spielt abends auf seiner „Quetschkommode“ Lieder und wir singen mit. Dass ich gerne singe, bringt mich in den Kirchenchor und viel später mal in ein Singseminar mit Kollegen, doch so richtig allein „rausschmettern“, das traue ich mich höchstens allein im Auto. Meine musikalische Früherziehung mit Blockflöte und Xylofon trägt jedenfalls keine nachhaltigen Früchte.

Mit Gastgeberin Ilse (hinten) und Familie.

In Teeniezeiten halten „Kinderwagen schieben“ oder „mit dem Hund rausgehen“ als Vorwand her, dass ich meinen Schwarm Jens treffen kann. Dann wird die Altstadt unsere Spielwiese. Die Rottfeld-Clique, benannt nach der Straße direkt um die Ecke, in der die meisten Freunde wohnen, nimmt mich als Jüngste mit. Hierzu stimme ich mich mit Freund Peter von meinem Dachfenster zu dem Seinem gegenüber ab. Klasse!