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Edyta Zaborowska erzählt in diesem Roman von der unscheinbaren Bürokauffrau Ewa, deren konservatives Weltbild vollkommen auf den Kopf gestellt wird, als ihr Lebensgefährte Henri ihr seine heimlichen Neigungen für BDSM und Latexwäsche beichtet. Die Einbeziehung dieser Elemente in das Sexualleben ist zunächst undenkbar für die zurückhaltende Ewa. Doch er lässt nicht locker und eines Tages springt sie über ihren eigenen Schatten und wagt den Sprung ins kalte Wasser. Trotz anfänglicher Vorbehalte gefällt ihr das Spiel mit sexueller Macht, sie entdeckt bald sogar bisexuelle und sadistische Neigungen an sich. Das neue Selbstbewusstsein wirkt sich dabei nicht nur auf das Sexualleben, sondern auch auf das berufliche Leben aus. Unerwartet legt sie eine beachtenswerte Karriere am Arbeitsplatz hin und hat plötzlich die Kraft, mit einigen gemeinen Quälgeistern aus ihrer Vergangenheit abzurechnen… Der Roman mit autobiografischen Bezügen verbindet handfeste Erotik und BDSM mit Humor und Spannung.
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Seitenzahl: 266
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Edyta Zaborowska wurde 1970 in Polen geboren. Ihre Kindheit, Jugend und Erziehung waren geprägt vom Niedergang des Sozialismus und von strenger katholischer Lehre. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren siedelte sie ohne Kenntnis der deutschen Sprache und gegen den Willen ihrer Familie alleine nach Deutschland aus. Später folgten verschiedene Anstellungen, unter anderem im kaufmännischen Management, sowie musikalische Engagements im In- und Ausland.
Flieg mit mir, mein Schwarzer Schwan! ist ihr erstes Werk.
Ebenfalls von der Autorin von BoD:
Der Tanz des Schwarzen Schwans!
Die Wahrheit hinter der Maske
In Vorbereitung:
Sklave, bis der Tod uns scheidet (Marterpfahl Verlag)
Mehr über die Autorin unter:
http://edytaswelt.jimdo.com/
Schatten der Vergangenheit
Schwanentanz
Die Schöne und das Biest
Hanna
Eine Fetischnacht in Berlin
Rache, so süß wie der Geruch von Latex
Mistress, Zofe und Sklave
EPILOG
Es war unmöglich für Henri, sich bemerkbar zu machen. Der Knebel saß einfach zu fest in seinem Mund. Nicht einmal bewegen konnte er sich richtig, denn Hände und Füße waren mit Lederbändern an die stabilen Bettpfosten gezurrt. Er wusste nicht, wie lange er schon so hilflos gefesselt auf dem Bett lag, wie viel Zeit vergangen war, seit sie ihn hier fixiert hatte.
Zumindest konnte er aber wieder etwas sehen, denn sie hatte inzwischen die Klappe von seinen Augen genommen.
Langsam musste er sich an den schummrigen Schein der vielen Kerzen im Zimmer gewöhnen und es dauerte eine Weile, bis er wieder einigermaßen sehen konnte. Sein Herz begann wie wild zu rasen und er traute seinen Augen nicht, als er die ersten Einzelheiten erkannte. Ewa hatte die Zeit genutzt, sich ein schwarzes Latexoutfit anzulegen, das sich eng um ihren Körper schmiegte. Die glatte Oberfläche des Materials reflektierte die vielen flackernden Kerzenflammen als kleine Lichtpunkte, die sich bei jeder Bewegung sanft verschoben und über ihre weiblichen Rundungen glitten. Wie ein Sternenhimmel, dachte Henri. Seine geheimsten Träume waren heute Nacht wahr geworden.
Ewa stellte sich vor das Bett und gab ihm jetzt schweigend die Gelegenheit, sie eine Weile anzuschauen. Mit strengem Blick musterte sie ihn.
Sie musste sich geschminkt haben, überlegte er, denn ihre Augen wirkten weitaus dunkler als zuvor und waren weiter nach außen gezogen. Roter Lippenstift betonte den zarten Schwung ihrer Lippen. Sie sah zugleich wundervoll und unnahbar aus: eine wahre Göttin. Seine Ewa war jetzt ein vollkommen anderer Mensch. Sie war seine Frau, seine Geliebte und jetzt seine Herrin. Die Gefühle, die er Ewa entgegenbrachte, und die Erregung, die sie in seinem Körper auslöste, überwältigten ihn.
Sie nahm die Reitgerte in die Hand und drückte die Spitze unter sein Kinn.
„Guten Abend! Warst du wieder ungezogen und wolltest an dir herumspielen?“, fragte sie spöttisch.
Schweigend schaute sie ihn eine Weile an. Ihr kühler Ausdruck und ihr unnahbares Auftreten signalisierten ihm, dass sie es ernst meinte.
„Erzähl mir die Wahrheit! Du weißt doch, dass meinen scharfen Augen nichts entgeht“, sagte sie mit ruhiger, fast schon sanfter Stimme.
Henri schüttelte verlegen den Kopf, der Knebel machte es ihm unmöglich, auch nur ein Wort herauszubringen.
Sie lachte und ihr Ton wurde wieder lauter.
„Du lügst doch schon wieder! Du willst es wohl nie lernen, was? Hattest du tatsächlich geglaubt, ich kenne meinen kleinen Sklaven nicht in- und auswendig?“
Sie ließ die Spitze der Reitgerte von seinem Kinn über seine Wange streifen, versetzte ihm dann einen leichten Hieb und schüttelte den Kopf.
„Es ist immer dasselbe mit dir. Kaum drehe ich dir einmal den Rücken zu, schon beginnst du an dir herumzuspielen!“
Ewa wandte sich ab und schlenderte zum Fenster hinüber. Leise waren die hohen Absätze ihrer schwarzen Lackstiefel auf dem Teppich zu hören. Sie blickte durch die Scheiben in die Dunkelheit dieser sternenklaren Nacht hinaus und schwieg. Henri konnte sie jetzt in ihrer vollen Pracht bewundern. Der schwarze Rock spannte sich um ihren wohlgeformten Po. Kurz war dieser Rock, und Henri konnte darunter gerade noch den Spitzenabschluss ihrer Strümpfe erkennen. Eine fest geschnürte Korsage verlieh ihr eine Wespentaille. Die langen schwarzen Handschuhe hatte sie fast bis zu den Schultern hochgezogen. Sie hielt die Reitgerte in der rechten Hand und schlug mit ihr leicht gegen den Schaft ihres Stiefels. Ob sie gerade über die Art der Bestrafung nachdachte? Er wusste, dass er sich ab sofort nichts mehr bei ihr zu Schulden kommen lassen durfte, denn sie wurde offensichtlich ungeduldig mit ihm.
Sie schaute weiter aus dem Fenster und redete, ohne ihn anzuschauen:
„Ich will heute noch einen Ausritt mit dir machen und dafür brauche ich einen richtigen Hengst. Ich kann dich nicht gebrauchen, wenn du die ganze Zeit vorher an dir herumgespielt hast. Und damit du das künftig nicht mehr machen kannst, habe ich mir gerade etwas überlegt. Ich werde dich künftig den ganzen Tag über so wie jetzt auf dem Bett verzurren, wenn wir einen Ausritt auf dem Programm haben!“
Sie drehte sich zu ihm um und hob den Kopf.
„Aber dein heutiger Verstoß gegen meine Anweisungen wird eine harte Bestrafung mit meiner Reitgerte zur Folge haben! Ich denke, nach der körperlichen Züchtigung wird es uns beiden viel besser gehen. Glaub mir, ich habe da meine Erfahrungen!“
Sie hielt bei diesen Worten die Gerte mit beiden Händen vor sich und bog sie etwas, als ob sie ihre Belastbarkeit prüfen wollte.
Sodann ließ sie mit einer Hand die Jalousie herunter.
„Es ist besser, wenn uns jetzt keiner zuschaut, denn ich will dir nun bessere Manieren beibringen. Ich werde dich von den Fesseln erlösen, und du wirst dich dann auf den Boden knien, damit meine Gerte für mich sprechen kann!“
Sie löste die Handschellen und er tat, was ihm gesagt wurde. Er kniete so vor ihr nieder, dass sich seine Augen auf der Höhe ihrer langen Lackstiefel befanden.
„Gut, in dieser Position bleibst du jetzt!“, sagte sie und postierte sich hinter ihm.
„Du glaubst nicht, wie ich mich auf diesen Moment gefreut habe. Nachher wirst du ein fügsamer und dressierter Hengst sein, dem es eine Freude ist, seiner Herrin zu dienen. Und jetzt genug geredet. Du hältst schön still, denn jetzt werde i…“
Das „i“ zog sich plötzlich unnatürlich in die Länge.
„…iiiiiiii!“
Der Ton verzerrte sich immer mehr und plötzlich folgte ein dumpfer Knall.
Und dann war wieder Stille.
Langsam verwandelte sich das mit Kerzenlicht erfüllte Schlafzimmer in ein nüchternes Büro im vierten Stock einer Behörde und der große Schlafzimmerspiegel wurde zu der verspiegelten Gebäudefront einer Versicherung auf der Straßenseite gegenüber.
Unten auf der Straße war ein schwarzer Mercedes trotz einer Vollbremsung auf einen Kleinwagen aufgefahren. Zwei Personen diskutierten so laut miteinander, dass Henri bis hier oben einzelne Gesprächsfetzen mitbekam. Die Männer fuchtelten und gestikulierten dabei mit den Armen und Händen. Einer der beiden, offenbar der Fahrer der schwarzen Limousine, drückte sich ein Taschentuch gegen seine blutende Nase.
Henri war plötzlich wieder auf dem harten Boden der Realität angelangt. Wieder nur ein Traum, grübelte er und drückte gedankenverloren die Stirn gegen die Scheibe seines Bürofensters. Er dachte an Ewa und sein Blick wanderte zum Stadtpark, wo die Blätter inzwischen fast komplett von den Bäumen gefallen waren. Er bemerkte den Druck seines harten Gliedes in der Hose.
„Herbst!“, flüsterte er.
Das kahle Astwerk der Eichen schien sich wie die erhobenen Arme eines flehenden Mannes in den Himmel zu recken. Erst in einem halben Jahr würde man wieder junges Grün an dem Holz sehen können. Durch die kahlen Äste konnte er jetzt sogar den ovalen Teich mit der weißen Balustrade am Ufer erkennen. Jeden Sommer war er voller Seerosen, die herrlich weiß und rosa erblühten, dachte er voller Wehmut. Zwei Schwäne hatten den ganzen Sommer über ihre Bahnen auf dem Wasser gezogen. Davon war kaum noch etwas zu sehen. Die Schwäne und die Blüten der Seerosen waren verschwunden. Das Grün der Seerosenblätter hatte sich in ein schmutziges Graubraun verwandelt. Es wird bald ganz absterben. Bald ist der Winter da und der Schnee wird sich wie ein weißes Tuch über alles legen. Fast wie Sterben ist das, dachte er. Aber der Herbst war mehr als nur die Zeit des Blattfalls und kühler Vorbote des nahenden Winters. Der Herbst war auch die Zeit der Reife. Und er war auch die Zeit der Reife im Menschen, sinnierte er. War er mit seinen siebenundvierzig Jahren dort auch schon angelangt? In drei Jahren würde er fünfzig sein, eine magische Zahl. Ob es danach nur noch abwärts ginge? Würde dann sein persönlicher Winter beginnen?
Henri kniff die Augen zusammen und fixierte den Teich, der im fahlen Licht der Herbstsonne mitten in dem alten Baumbestand des Parks lag. Er fragte sich, was er noch zu erwarten hätte, und seine Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit. Allzu aufregend war sein Leben bisher nicht verlaufen, sagte er sich. Vielleicht war er auch nur immer viel zu zurückhaltend und zu ruhig gewesen. Er war sicherlich nicht gerade der geselligste Mensch, aber in Gesellschaft war er trotzdem stets gern gesehen. Eine gewisse Ausstrahlung sagte man ihm durchaus nach. Aber was hatte ihm die nachgesagte Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht tatsächlich eingebracht? Er dachte an seine kurze Ehe, die nur zwei Jahre gehalten hatte, an ein paar Affären und an die große Enttäuschung mit Claudia. Unter dem Strich war das nicht allzu viel, wie er fand.
Nachdenklich wanderte sein Blick wieder runter auf die Straße. Inzwischen war ein Streifenwagen der Polizei am Unfallort eingetroffen, und Henris Gedanken verloren sich erneut in seiner Vergangenheit. Sein persönliches Glück hatte er inzwischen gefunden. Fünf Jahre waren Ewa und er nun schon ein festes Paar. Sie hatten sich damals bei einem Weinfest kennen gelernt. Er hatte sie zum ersten Mal an einem der Stehtische getroffen, wo sie der Musik zuhörte. Henri konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie damals neben ihm gestanden hatte. Eine unauffällige Attraktivität war von ihr ausgegangen, die vielleicht nicht jeder sofort erkannt hätte. Ihre langen dunklen Haare waren zu einem Zopf gebunden und ihre hochstehenden Wangenknochen verrieten eine slawische Abstammung. Der Anfang war ein kurzer Augenkontakt und ein schüchternes Lächeln gewesen. Dann hatten sich ihre Blicke immer wieder gesucht und gefunden. Auch wenn aus ihren Augen eine gewisse Zurückhaltung sprach, hatte er doch zugleich Stärke und Willenskraft in ihnen erkannt.
Irgendwann waren sie dann ins Gespräch gekommen. Ewa hatte einen reizenden osteuropäischen Akzent. Ihre Unterhaltung an diesem Abend endete erst spät. Zuletzt hatte er ihr seine Telefonnummer gegeben und es waren kurze Verabredungen in der Öffentlichkeit gefolgt. Bei einem Spaziergang im Stadtpark standen sie dann lange schweigend am Ufer des Teiches und schauten den Schwänen zu, die dort langsam ihre Bahnen zogen. Die Seerosen blühten in voller Pracht.
Ewa nahm behutsam seine Hand; sie schien im Laufe der letzten Jahre ein erhebliches Defizit an Liebe und Zuneigung angesammelt zu haben. Henri schaute sie an, ohne vulgäre Gier, vielmehr wie ein Kunstwerk: Alles an ihrem wohlproportionierten Körper fand er bezaubernd schön. Sie taute schrittweise auf; ihre Reserviertheit schwand merklich dahin, und dann küsste sie ihn flüchtig auf die Wange.
Bald lud sie ihn zu sich zum Abendessen ein. Dabei kam es zum ersten Kontakt mit ihren beiden Söhnen, von denen sie ihm erzählt hatte.
Dann kam eines Tages der erste richtige lange Kuss beim Abschied vor der Haustür. Die anfängliche beiderseitige Scheu war aufkeimender Leidenschaft gewichen. Drei Wochen später hatten sie ihren ersten Sex im Wohnzimmer.
Sie setzte sich auf das Sofa und er kniete sich vor sie hin. Sein harter Penis drang zärtlich in sie ein und ließ sie beide erstmals nach langer Zeit wieder die Höhen der Liebe erklimmen. Sie begehrten einander und ihre Liebe ging wie ein Stern auf; ein heller Stern erstrahlte in dieser Nacht an ihrem Himmel.
Schließlich zogen sie zusammen, überwanden die Tiefen und genossen die Höhen der Beziehung. Mit Ewas Söhnen verstand sich Henri inzwischen hervorragend, konnte sogar in so etwas wie die bescheidene Rolle eines Ersatzvaters schlüpfen, die er mit viel Freude und Engagement ausfüllte.
Henri schaute erneut zur Straße hinab. Eine Menschenmenge hatte sich inzwischen am Unfallort gebildet. Ein Streifenbeamter war darum bemüht, den Verkehr zu regeln, während sein Kollege mit den beiden aufgebrachten Unfallgegnern diskutierte. Es schien, als sei dort ein Streit ausgebrochen, denn der Fahrer der Limousine begann plötzlich laut zu schreien.
Alle guten Dinge haben ihre Schattenseiten, und es bildeten sich erste kleine Risse in ihrer Zweisamkeit. Hinsichtlich einer Sache konnte Henri sich nämlich nicht überwinden, ihr die Wahrheit frank und frei einzugestehen. Sicher war das auch der Anlass für seine häufiger an den Tag gelegte Unzufriedenheit, der Auslöser oft aufkommender Streitereien und Verdruss. Er wusste, dass diese Entwicklung und sein Schweigen falsch waren, konnte sich aber nicht dazu überwinden, sich Ewa voll anzuvertrauen. Zu viele negative Erlebnisse hatten bereits ihre Spuren in ihm hinterlassen. Der Grund waren seine ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben: Unterwerfung und Dominanz, Fesselspiele und Latexwäsche beschäftigten ihn in seiner Fantasie. Wie gerne hätte er seine Leidenschaft dafür mit ihr geteilt!
Seine vorherigen Beziehungen waren alle gescheitert, teils auch wegen seiner erotischen Vorlieben. Nicht jede Frau ist bereit, sich auf sexuelle Experimente einzulassen, neue und ungewöhnliche Wege zu beschreiten. Und wenn sie nicht aus diesem Grund scheiterten, dann klappte es zwar vielleicht mit dem Sex, aber es waren wieder andere Gründe dagewesen. Ein dummer Teufelskreis war das, aus dem er einfach nicht herauskam. Als Henris letzte Beziehung, nämlich die mit Claudia, so enttäuschend geendet hatte, da hatte er beschlossen, allein zu bleiben. Mehrere Jahre lang musste er daraufhin allein auskommen. Sich die Latexwäsche anzuziehen und es sich selbst zu besorgen, brachte zwar eine kurzfristige Befriedigung, machte ihn aber auf die Dauer nicht glücklich. Es kam ihm vor wie die Befriedigung eines bloßen tierischen Triebes.
Was blieb ihm noch übrig? Er versuchte es mit Besuchen bei Prostituierten, die zu einem teuren Fiasko wurden. Zu sehr fehlte das Herz während des sexuellen Spiels und voller Grauen dachte er an seinen ersten Besuch bei einer Liebesdame. Zweihundert Euro hatte ihn eine Domina gekostet, die ihm die Prozedur der lustvollen Unterwerfung zeigen wollte. Nach der Behandlung mit der Peitsche machte sie es ihm mit ihrer fleischigen Hand. Mit schnellen Bewegungen und gelangweilt dreinschauend verschaffte sie ihm Erleichterung. Sein Sperma verteilte sich über die schwarzen Bodenfliesen. Eine Maske hätte ihr besser gestanden, hatte er damals gedacht. So hätte er zumindest ihr aufgedunsenes Gesicht nicht sehen müssen, als sie lustlos den teuren Liebesdienst versah. Ihr Gewicht hatte sie in der Zeitungsannonce natürlich verschwiegen. Wenn sie fünfzig Kilogramm weniger auf die Waage gebracht hätte, dann hätte sie vielleicht scharf ausgesehen in ihrem Latexbody, den langen schwarzen Strümpfen und den Handschuhen. So sah sie eher aus wie eine dicke Bockwurst, die beim Kochen aufzuplatzen droht.
Enttäuschend war auch Henris zweiter Versuch bei einer anderen Domina. Die Annonce passte zu seinen Erwartungen: „Erfahrene Domina mit Studio – ab 20:00 Uhr“, war darin zu lesen. Die erfahrene Domina erwies sich als eine einundzwanzigjährige Jurastudentin, die offensichtlich ihr Studium finanzieren wollte, und das Studio entpuppte sich als das Zimmer einer Wohngemeinschaft einiger Studenten. Die junge Dame nannte sich Amber und trug eine englische Schuluniform. Die langen blonden Haare, ihr schmales Gesicht und die schlanke Figur machten sie zu einem durchaus ansehnlichen Wesen. Henri musste sich in ihrem kleinen Zimmer auf einen Ikeahocker setzen und sie überschüttete ihn auch sogleich mit einer Welle von Kraftausdrücken: „Hinsetzen, du Made!“, „Maul halten, sonst gibt es mit dem Kochlöffel auf deinen pickeligen Arsch!“
Kochlöffel? Pickeliger Arsch? Sein Schwanz blieb schlaff und klein wie ein altersschwacher Regenwurm. Obendrein schien ein anderes Mitglied der Wohngemeinschaft an diesem Abend eine Studentenfete feiern zu wollen. Die wummernden Bässe einer Musikanlage und laute Stimmen drangen aus dem Nachbarzimmer herein. Schrilles Gegacker erschallte plötzlich auf dem Flur und vor der Tür. Amber verzog wütend ihr Gesicht, stolzierte zur Tür, riss sie auf und stauchte die lauten Schluckspechte nach Strich und Faden zusammen, während Henri, nur mit einer Boxershorts bekleidet, auf dem unbequemen Ikeahocker saß. Ob sie nicht einmal in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen könne, fragte die sie verdutzten Partygäste, die ihn neugierig durch die geöffnete Tür begafften. Sie hätte schließlich einen anstrengenden Beruf, der ihre ganze Konzentration erfordere. Als sie die lästigen Störenfriede mit einer Tirade aus Schimpfworten von der Tür vertrieben hatte, hatte Henri sich bereits wieder angekleidet. Er legte fünfzig Euro auf ihr Bett und bahnte sich verstohlen seinen Weg durch die Reihen der grinsenden Partygäste auf dem Flur. Draußen, als die alte Haustür hinter ihm ins Schloss gefallen war, empfand er die anonyme Nacht wie einen alten Freund, und er verschwand in der Dunkelheit. Wie er Jahre später zufällig erfuhr, hatte die gute Frau irgendwann mit ihrem dreißig Jahre älteren Professor angebändelt, der ihretwegen prompt seine Frau verließ. Sie heirateten kurz darauf. Sie gab ihr Studium auf und gebar ihm zwei Kinder. Inzwischen seien sie aber wieder geschieden. Sie sei jetzt in einem Supermarkt tätig und soll mit einem Kraftfahrer zusammenleben, der sie dauernd verprügelt.
Den vorläufigen Schlusspunkt unter Henris einschlägige Erfahrungen hatte dann der Besuch bei einer thailändischen Prostituierten in einem SM-Studio gesetzt. Zu dieser ostasiatischen Dame war offensichtlich die Kunde vorgedrungen, dass eine Domina weitaus mehr Geld verdienen kann als eine herkömmliche Prostituierte auf der Straße.
„Lady Sumatra! Dominante Spiele, Erotisch – Exotisch, Atemkontrolle und Atemtraining in gehobenem Ambiente, Klinikspiele.“
Mit diesen Versprechungen in einer Kleinanzeige der Tageszeitung hatte er sich in ein Studio ganz in seiner Nähe locken lassen.
Auf seinem Arbeitsweg war er jeden Tag daran vorbeigefahren, ohne zu ahnen, was sich hinter den Wänden des Wohn- und Geschäftshauses mit der Eisdiele im Parterre verbarg. Die Dame hatte offenbar ein kleines Vermögen in ihre Wohnung an der stark befahrenen Hauptstraße investiert. Es war eine voll eingerichtete SM-Lounge mit Klinikausstattung und einem Gynäkologenstuhl. Einige Zimmer hatte sie wohl auch weitervermietet an andere Damen, denn zahlreiche Klingelschilder waren mit fremdländischen Vornamen beschriftet. Ungeduldig drückte er die Klingel, an der ihr Name mit krakeliger Schrift stand: Lady Sumatra. Ein Klicken der Haustür signalisierte, dass er eintreten konnte und er stieg die Treppen bis in den zweiten Stock hinauf. An der Wohnungstür erwartete ihn schon die geheimnisvolle Lady Sumatra in einem weißen Schwesternoutfit. Die durchscheinende und an den Säumen stark gerüschte Tracht war aus edlem Latex und musste ein kleines Vermögen gekostet haben. Ebenfalls aus diesem wundervollen Material gefertigt waren die Schwesternhaube, die langen weißen Strümpfe und ihre Handschuhe. Die Dame war hübsch und zierlich, etwas zu zierlich nach seinem Geschmack; er schätzte sie auf höchstens 1,50 Meter inklusive ihrer Stöckelschuhe, deren Absätze mindestens zwölf Zentimeter hoch waren. Deutsch sprach sie nur gebrochen und mit einem schwer verständlichen asiatischen Akzent.
„Los, auszin und hinsätnen, in Stul, los hinsätnen!“
Was meinte sie damit?
„Auf Gunakolstul, sofort!“
Aha, in den Gynäkologenstuhl, wird sie wohl gemeint haben.
Er hatte sich ausgezogen und musste sich nackt auf den Gynäkologenstuhl setzen. Die Beine legte er auf die dafür vorgesehenen Auflagen. Das hell geflieste Untersuchungszimmer und der Stuhl waren eiskalt und er fror so erbärmlich, dass er eine Gänsehaut bekam. Sie band seine Arme und Beine am Stuhl fest und begann die Vorbereitungen für die Atemspiele.
„Nik bewegene, nik bewegene, sonst Schwäster mackt Strafe!“
Nun gut, dachte Henri, dann halte ich lieber still und befolge ihre Anweisungen. Sie begann nun, unsicher einige Schläuche an den Öffnungen einer Gasmaske zu befestigen, nur um sie wieder zu lösen und dann an anderen Stellen zu befestigen. Mit ratlosem Blick schaute sie sich nach einigen Versuchen ihr Schlauchwerk an der Gasmaske eine Zeitlang an. Henri schluckte verängstigt, denn unwillkürlich musste er an Shakespeares Hamlet denken, der den Totenschädel des verstorbenen Hofnarren Yorick musternd in der Hand hält. Dann zuckte die Thaifrau mit den Schultern und zog ihm die Maske über den Kopf. Wurde ihm jetzt gerade ein Totenschädel über den Kopf gezogen? Er bekam keine Luft. Die Schläuche waren ganz offenbar vollkommen falsch angeschlossen worden. Schon nach Sekunden lief er blau an. Er japste und hustete, konnte sich aber nicht befreien, er war ja gefesselt.
Das war es dann wohl mit mir, überlegte er unter der luftdichten Maske. Man würde ihn tot auf dem Gynäkologenstuhl in einem SM-Studio auffinden, mit einer Gasmaske auf dem Kopf! Er dachte an seine Freunde und Eltern und deren Reaktion, wenn die Todesumstände bekannt werden würden. Der Sauerstoffmangel ließ sein Bewusstsein rasch schwinden; Henri fiel friedlich und ohne Angstempfindungen in eine tiefe Dunkelheit. Noch heute weckt die Erinnerung daran in ihm ein banges Schauern.
Einige Ohrfeigen und hektische Diskussionen in einer unbekannten Sprache erweckten ihn dann wieder von den Toten. Die erleichterten Gesichter mehrerer leicht bekleideter Thaifrauen blickten ihn erwartungsvoll an. Er wurde von seinen Fesseln befreit und ihm wurde sogleich einmal kostenlos „Blasen“ angeboten, als Ausgleich für die Unannehmlichkeiten, wie man ihm erklärte.
„Aber nur mit Kondom!“, wie schnell ergänzt wurde.
Noch etwas wackelig auf den Beinen lehnte er dankend ab, nahm seine Kleidung und sah zu, dass er aus diesem asiatischen Vorhof der Hölle verschwand.
Kaum eine Woche später konnte er in der Zeitung lesen, dass es ein Mitglied des Stadtrates in eben dem Studio erwischt hatte. Sein schwaches 57-jähriges Herz hatte die dilettantische Untersuchung der exotischen Krankenschwester nicht ausgehalten. Die konservative Partei, welcher der bekannte Lokalpolitiker angehörte, drückte in einer eilig einberufenen Pressekonferenz ihr Entsetzen aus. Sie distanzierte sich von dem Doppelleben ihres verblichenen Mitgliedes. Sein Sexualleben sei nicht mit den Grundsätzen der Partei vereinbar gewesen, und man verurteilte sein Verhalten auf das schärfste. Er hinterließ eine bis dahin ahnungslose Ehefrau, die ehrenamtliche Kirchensprecherin war, eine dreißigjährige Tochter, zwei Enkelkinder und einen Rauhaardackel.
Die Todesannonce in der Zeitung war knapp, aber auch sehr passend gehalten: „Plötzlich und unerwartet entschlief friedlich unser …“
Die Thaifrau bekam ein halbes Jahr Haft auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und wurde kurz darauf aus Deutschland ausgewiesen. Seitdem steht das Studio leer.
***
Die Sonne stand schon tief am Himmel und Ewa war auf dem Heimweg. Sie schaute beim Gehen auf ihre grauen Schuhe, die sich wie die Pendel einer Uhr im Gleichtakt bewegten. Die kühlen Winde des sich langsam ankündigenden Winters ließen das Laub auf dem Gehweg aufwirbeln.
Ewa zog den Kragen des Mantels fester zu. Besonders eilig hatte sie es nicht, denn zu Hause würde niemand auf sie warten. Die Kinder waren über das Wochenende bei ihrer Schwester und Henri war noch bei der Arbeit. Sie überlegte, was er wohl in diesem Moment gerade tun mochte. Erst in zwei Stunden würde er Feierabend haben; noch saß er über Akten gebeugt am Schreibtisch in seinem Büro.
Henri! Seit fünf Jahren war er nun schon der Mann, mit dem sie zusammenlebte. Waren tatsächlich schon fünf Jahre vergangen? Mit ihm hatte sich viel für sie zum Positiven verändert.
Sie dachte aber auch an Andreas, ihren ersten Mann, der sich vor Jahren von ihr getrennt hatte. Ihr wurde kühl bei dem Gedanken. Andreas und Ewa hatten geheiratet, als sie siebenundzwanzig war. Es folgte ein Leben in Wohlstand als Ehefrau an seiner Seite. Kurz darauf wurden die beiden Söhne geboren. Einige Jahre später stand Ewa vor den Trümmern ihrer Ehe. Die anfänglich so große Liebe aus der Studienzeit und ihre Träume waren wie eine Seifenblase zerplatzt. Seine Demütigungen von damals schmerzten sie noch heute, so oft sie daran dachte. Nur mit Bitternis konnte sie zurückdenken an diese Zeit, die sie so verändert hatte und durch die sie so verschlossen geworden war.
Fast schien es, als würde sich jetzt ein Vorhang öffnen, hinter dem ihre Vergangenheit gegenwärtig wurde. Plötzlich war sie wieder in einer Zeit angelangt, die so weit zurück schien, aber noch immer ihre Gefühle bestimmte. Alles war wieder präsent und greifbar nah, was so viele Jahre zurücklag, und sie dachte an ihr Studium und an Andreas.
Sie hatte ihn damals in der Arbeitsgruppe Marketing im BWL-Studium an der Universität kennen gelernt. Er zeichnete sich durch fundiertes Wissen und einen klaren Verstand aus, stand kurz vor dem Abschluss und moderierte die Arbeitsgruppe. Ewa sah ihn in Gedanken vor sich, als wäre es gestern gewesen. Allein der Anblick dieses Mannes hatte ihr damals förmlich den Atem geraubt. Andreas war wie ein Leuchtturm in der großen Masse von spätpubertären Halbkindern, die noch mit verschlissenen Jeans und in ausgetretenen Turnschuhen auf dem Campus herumliefen. Andreas dagegen fiel ihr durch seine gepflegte Garderobe auf. Statt Jeans trug er edle Stoffhosen und statt Kapuzenshirt ein Jackett. Auf Feten hatte Ewa ihn nie gesehen. Andreas machte nie Fehler, seine Handlungen und Argumente waren überlegt und logisch, nie verlor er die Geduld, immer war er hilfsbereit und zuvorkommend. Ja, nur er konnte der Richtige sein, nur solch einen Mann wollte sie haben! Und noch lange nachdem die anderen Studenten nach Unterrichtsschluss die Arbeitsgruppe verlassen hatten, war sie mit ihm allein, um die Grundlagen für die Marketingforschung zu erarbeiten. Die Gespräche wurden persönlicher und schon bald gingen die Themen weit über das Studium hinaus. Sie entdeckten gemeinsame Interessen: die Liebe für die asiatische Küche, Badminton. Und beide begeisterten sich für klassische Musik und spielten Geige. So war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ein Paar werden würden. Dazu kam es dann eines Abends nach der Arbeitsgruppe.
Nach einem langen Nachmittag mit wissenschaftlicher Arbeit lud er Ewa zu sich in seine Wohnung ein. Sie küssten sich zum ersten Mal auf seinem Sofa, und sie blieb die Nacht über bei ihm. Mit ihren einundzwanzig Jahren war es ihr erster richtiger Sex. Küssen und Petting kannte sie schon, war aber darüber hinaus noch vollkommen unerfahren. Andreas war erfahren und fast wie eine Vaterfigur für sie. Sein Bett war schmal und Ewa lag unter ihm, langsam und mit Bedacht drang er in sie ein. Ewa spürte das Reißen des Jungfernhäutchens und war glücklich. Sie konnte ihr Glück nicht fassen. Er wurde schneller und sein Keuchen wurde lauter und schließlich ergoss er sich in ihr. Auch wenn Ewa einen echten Orgasmus da noch nicht erleben durfte, war sie doch hochzufrieden. Von dieser Nacht an waren sie ein festes Paar. Ewa hatte ihn bekommen: Sie hatte das erreicht, was so viele andere vorher nicht geschafft hatten. Alle Kommilitoninnen waren neidisch und sie galten als das Paar der Universität.
Das Studium absolvierte Andreas mit den besten Prädikaten. Er promovierte und wurde sogleich im Management einer pharmazeutischen Firma eingestellt. Ewa zog zu ihm und zwei Jahre später beendete sie ihr Studium. Andreas machte eine steile Karriere, und er konnte Ewa sogar in der Buchhaltung der Firma unterbringen. Dann schenkte sie ihm zwei tolle Kinder und nahm die Rolle der Hausfrau an. Ihre Welt drehte sich um den lieben Nachwuchs, einen Golden Retriever, einen Geländewagen und um ihr neues Eigenheim. Ihre Liebe schien perfekt und sie wurden zu der Vorzeigefamilie im Freundeskreis, stets waren sie gern gesehene Gäste auf Feiern und Empfängen. Und Andreas klomm immer höher auf der Karriereleiter. Nichts sollte das Glück trüben, dachte Ewa damals.
Doch alles sollte anders kommen.
Ihr Verhältnis zueinander veränderte sich, zunächst unbemerkt, aber es erschienen die ersten Vorzeichen einer Krise. Ihre Wege trennten sich immer mehr voneinander, und sie gingen mehr und mehr verschiedenen Interessen nach. Fast unmerklich erlosch die Liebe, der Sex wurde seltener und die Perioden der Enthaltsamkeit wurden länger und länger. Ihre eheliche Pflicht absolvierten sie ohne Begierde und Leidenschaft. Nach zehn Ehejahren kam das Aus.
Erst später konnte sie sich ein klareres Bild der Ereignisse machen. Dieser Schicksalsschlag hatte sich schon lange vorher angekündigt, doch für die vielen Vorzeichen war Ewa einfach zu blind gewesen. Nach außen waren sie noch immer das ideale Paar gewesen, eine schöne Fassade, hinter der viele Trümmer lagen, wie sie inzwischen wusste. Nicht nur, dass sie sich langsam auseinandergelebt hatten, nein, da waren auch Dinge, die auf ein Doppelleben des Ehemannes hindeuteten, wie die plötzlich gehäuften Dienstreisen, zu denen er auch über das Wochenende fern blieb. Sie bemerkte blonde Haare an seinem Mantel und einen unbekannten Parfümduft an ihm. Ewa wollte es einfach nicht wahrhaben, dass er sich innerlich längst von ihr gelöst hatte. Sie verschloss die Augen und lenkte sich mit ihren Kindern, Beruf, Haushalt und ihren vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen ab.
Dann fand sie eines Tages in der Wäsche einen roten Lippenabdruck an seinem Slip und stellte ihn zur Rede. Doch da war es schon zu spät. Ewa erinnerte sich noch immer genau an seine Worte, sie hatte sie noch immer im Ohr:
„Ich brauche Abstand von dir! Du machst mich krank mit deiner Gewöhnlichkeit! Der Alltag mit dir erdrückt mich!“
Eine Welt brach für Ewa zusammen.
„Ewa, wir haben uns auseinandergelebt! Die langweilige Routine im Bett! Das nachlassende gegenseitige Interesse! Du bist einfach zu bequem geworden! Sollte das jetzt schon mein ganzes Leben gewesen sein? Mein ganzes Leben ist nur noch ein eintöniger Rhythmus aus der täglichen Arbeit und der Langeweile unserer Ehe! Ich bin knapp über vierzig und will mich weiterentwickeln! Du engst mich ein! Ich brauche Abstand von dir und den Kindern!“
Schmerzhafte Sätze, mit sonorer Stimme vorgetragen.
„Mit einer anderen Frau hat das aber nichts zu tun!“, ergänzte er noch.
Ewa schaute ihn fassungslos an. Er sah noch immer sehr gut aus, fand sie. Nur an den Schläfen war sein Haar erst leicht ergraut.
Die folgende Diskussion steigerte sich zu einem schrecklichen Streit. Zu sehr gingen seine Worte unter die Gürtellinie und demütigten Ewa, zu wenig war sie auf alles vorbereitet gewesen. Noch in der Nacht hatte er seine Sachen gepackt. Er ging und schlug die Haustür hinter sich zu. Eine Woche später kam endlich sein Anruf. Er würde nun die Scheidung einreichen und hätte einen Termin beim Rechtsanwalt. Er würde jetzt im Moment bei der Jennifer wohnen, seiner Praktikantin aus dem Büro.
„Es ist aber nicht so, wie du vielleicht denkst. Jenni ist eine gute Freundin für mich, mit der ich mich richtig aussprechen kann. Wir können so tiefe Gespräche miteinander führen, wie sie mit dir niemals möglich gewesen wären. Jenni sagt, ich sei ein toller Zuhörer.“
Natürlich kannte sie Jennifer von der Arbeit und seinen Erzählungen. Sie war fünfzehn Jahre jünger als Andreas. Jennifer hatte lange blonde Haare, war immer modisch und sexy gekleidet. Was konntest du einer so attraktiven und anziehenden Frau nur entgegensetzen, du graue Maus, warf Ewa sich damals vor.
Als Jennifer ihm ein Jahr später eine Tochter schenkte, ließ sogar sein Interesse an den beiden gemeinsamen Kindern nach. Die Besuche wurden weniger, blieben dann ganz aus. Er habe jetzt weniger Zeit, erklärte er seinen beiden Söhnen. Danach gab es nur noch zu Weihnachten und zu den Geburtstagen Glückwunschkarten mit einem Geldschein per Post. Freunde berichteten,
Andreas und Jenni seien noch immer glücklich miteinander und führten ein harmonisches Familienleben.
Damit begann Ewas freier Fall. Schon unmittelbar nach der Trennung verlor sie ihre Arbeit. Offiziell wurde die Kündigung mit Rationalisierungsmaßnahmen begründet; Ewa war sich aber sicher, dass Andreas dabei seine Finger im Spiel gehabt hatte. Ob es wohl auch auf Jennifers Initiative hin geschah, fragte sie sich oft. Es folgte eine lange Zeit der Arbeitslosigkeit, bis sie wieder eine neue Stelle als Bürokauffrau fand.
Ewas Selbstachtung und das Selbstwertgefühl schwanden. Der Antrieb fehlte, etwas aus sich und ihrem Leben zu machen, zu sehr wurde sie von Einsamkeit und Bitternis beherrscht. Ewa war nur noch eine Hülle, die irgendwo ziellos im Fluss des Lebens trieb. Sogar ihre Ausstrahlung verblasste, ihr Bewusstsein für Mode ging verloren. Wie ein Gewächs im Schatten einer Mauer verblasste Ewa und war nur eines Tages nur noch die stille Bürokauffrau aus der Einkaufabteilung, die keiner bemerkte. Sie dachte an die einsamen Wochenenden und die vielen Nächte allein im Bett. Ewa begann bei diesen Gedanken zu frösteln.
Es hatte leicht zu regnen begonnen. Sie spannte ihren Regenschirm auf und beschleunigte ihre Schritte. Schnell war sie wieder gedanklich in ihrer Vergangenheit und dachte an einige weitere Männerbekanntschaften, die so kläglich geendet hatten.