Flucht vor der Liebe - Barbara Cartland - E-Book

Flucht vor der Liebe E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Salena wusste als sie ihren Vater am Bahnhof von Monte Carlo auf sie warten sah, dass etwas nicht stimmte. Bankrott vom Glücksspiel und abhängig von der Gunst begüterter Freunde, schreckt ihr Vater auch nicht davor zurück, Salena einem russischen Prinzen zu versprechen. Kann der Herzog von Templecombe Salena helfen, dem lüsternen verheirateten Prinzen zu entfliehen? Salena beginnt eine Flucht, die sie von Frankreich bis nach Nordafrika führt. Kann sie ihm entkommen?

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Flucht vor der Liebe

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2020

Copyright Cartland Promotions 1986

Gestaltung M-Y Books

Zur Autorin

Barbara Cartland wurde 1901 geboren und stammt mütterlicherseits aus einem alten englischen Adelsgeschlecht. Nach dem Tod des Vaters und Großvaters ernährte ihre Mutter die Familie allein.  Sie war zweimal verheiratet und hatte drei Kinder. Ihre Tochter Raine war die Stiefmutter von Prinzessin Diana von Wales. Sie schrieb über 700 Romane, die ein Millionenpublikum ansprechen. Barbara Cartland starb im Jahr 2000.

Vorbemerkung der Autorin

Tanger unterschied sich zu Beginn dieses Jahrhunderts stark von dem attraktiven Ort, der er heute ist. Die Straßen waren schmutzig, laut und überfüllt von Kamelen, Eseln, Bettlern und Lepra-Kranken.

Im Gefängnis, in dem normalerweise Verbrecher, Seeräuber und Mörder saßen, gab es nichts zu essen, und die Gefangenen mußten sich auf die Nächstenliebe ihrer Freunde verlassen.

Dadurch befanden sich die meisten der Insassen in einem Zustand nahe am Verhungern.

Die Moslemmädchen wurden im Alter von zehn bis zwölf Jahren verheiratet, und die Politik der Regierung bestand aus Unterdrückung, Bestechung, Ungerechtigkeit und Korruption.

Trotzdem bauten immer mehr Engländer und auch einige Amerikaner wegen des guten, gesunden Klimas ihre Villen in der Umgebung von Tanger.

1 ~ 1903

Der Zug fuhr im Bahnhof von Monte Carlo ein, und Salena trat auf den Bahnsteig und sah sich interessiert um.

Der Bahnhof sah ganz normal aus und war weder exotisch noch so gefährlich, wie man es ihr erzählt hatte.

Als die Mutter Oberin erfahren hatte, daß sie zu ihrem Vater nach Monte Carlo reisen sollte, hatte sie aus ihrem Entsetzen kein Hehl gemacht.

Sie hatte es so sehr mißbilligt, daß Salena sich darüber wunderte, denn die Mutter Oberin war in der Regel tolerant und großherzig.

Die Schule, die zu einem Kloster gehörte, in das sie vor zwei Jahren geschickt worden war, war nicht ausschließlich katholisch.

Sie nahm Mädchen aller Religionen auf, und Salena wußte, daß es dem Einfluß ihrer Stiefgroßmutter zu verdanken war, daß sie dort aufgenommen wurde.

»Das Kloster St. Marie ist sehr vornehm und nimmt nur eine beschränkte Anzahl von Schülerinnen auf«, hatte die verwitwete Lady Cardenham zu Salena gesagt. »Die Erziehung dort ist ausgezeichnet, und was noch wichtiger ist, du mußt Fremdsprachen lernen.«

Sie hielt inne und sagte dann voller Überzeugung: »Wenn es eines gibt, was heutzutage in der guten Gesellschaft für ein Mädchen wichtig ist, dann muß es fließend Französisch sprechen können, und wenn möglich auch Italienisch und Deutsch.«

Salena glaubte, daß ihre Großmutter auch deshalb das Kloster für sie ausgewählt hatte, weil sie die Art und Weise mißbilligte, in der ihr Vater nach dem Tod ihrer Mutter lebte.

Es war kein Geheimnis, daß Lady Cardenham mit ihrem Schwiegersohn nicht zurechtkam, und daß es eher aus Pflichtgefühl denn aus Zuneigung geschah, wenn sie die Verantwortung für Salenas Erziehung übernahm.

»Es ist das einzige, wofür sie Geld locker macht«, hatte ihr Vater ärgerlich gesagt. »Da dreht sie den Pfennig nicht um, wenn es darum geht, teure Bücher zu kaufen und Extraklassen zu besuchen.«

Vom letzteren hatte es eine ganze Anzahl gegeben, und Salena war verlegen bei dem Gedanken daran gewesen, daß ihre Großmutter am Ende des Schuljahres eine enorm hohe Rechnung erhalten würde.

Aber Lady Cardenham konnte es sich gut leisten, denn sie war eine reiche Frau. Betrüblicherweise war sie vor sechs Monaten gestorben, ehe Salena in die Gesellschaft eingeführt werden konnte.

Die anderen Mitschülerinnen hatten in der Schule ständig darüber gesprochen, was sie tun würden, sobald sie erwachsen waren, über die Bälle, die für sie gegeben werden würden und die gesellschaftlichen Anlässe, an denen sie teilnehmen würden.

Infolgedessen hatte sich auch Salena auf den Tag gefreut, an dem sie im Buckingham-Palast ihren Knicks machen und eine der Debütantinnen in der, wie man sagte, guten Londoner Gesellschaft sein würde.

Sie hatte insofern Glück, als Lady Cardenham ihr Schulgeld für ein Jahr im voraus bezahlt hatte, aber sie hatte nicht gewußt, was sie tun sollte, wenn das Schuljahr zu Ende war und niemand mehr für sie in den Ferien sorgen würde.

Nach dem Tod ihrer Mutter war sie nie wieder von Frankreich nach England zurückgekehrt.

Die Mutter Oberin hatte dafür gesorgt, daß sie mit mehreren Schülerinnen, deren Eltern in Übersee lebten, und mit zwei Nonnen ein paar Wochen in einer ruhigen, wenn auch etwas primitiven Umgebung auf einem Gutshof auf dem Land verbrachte.

Salena hatte dort jeden Augenblick genossen, aber es danach immer als frustrierend empfunden, daß sie ihren Freundinnen so wenig zu erzählen hatte, wenn sie in die Schule zurückkehrten.

Trotzdem war sie glücklich gewesen, und es hatte sie betroffen, als sie vom Tod ihrer Großmutter erfuhr und später einen Brief von ihrem Vater erhielt, in dem dieser mitteilte, daß er sie nicht in London treffen wolle, wie sie es erwartet hatte, sondern in Monte Carlo.

Monte Carlo!

Allein der Name war gleichbedeutend mit allem, was liederlich und verworfen war, obwohl die Zeitungen darüber berichteten, daß alle gekrönten Häupter Europas dort sich irgendwann einfanden, auch König Edward und seine schöne dänische Frau, Königin Alexandra.

Aber die Nonnen betrachteten es als den Ort, der auf Erden am nächsten der Hölle lag, und Salena hatte halb erwartet, daß die Gepäckträger wie Teufel aussahen und die Lokomotive selbst sich in einen feuerspeienden Drachen verwandelte. Statt dessen kam, als sie dastand und sich interessiert umsah, ein elegant gekleideter Diener auf sie zugeeilt und zog seinen großen, mit einer Kokarde geschmückten Hut.

»M'mselle Cardenham?« fragte er.

»Oui, je suis Mademoiselle Cardenham«, erwiderte Salena.

»Monsieur Mylord wartet auf Sie in der Kutsche, M'mselle.«

Salena verließ eilig den Bahnhof, während der Diener auf ihr Gepäck wartete.

In einer offenen, leichten Kutsche saß ihr Vater und rauchte eine Zigarre.

»Papa!«

Sie stieß einen Freudenschrei aus und lief auf ihn zu. Sie kletterte in die Kutsche, setzte sich neben ihn und hob ihr Gesicht zu dem seinen.

Er sah sie prüfend an, ehe er sie küßte. Dann sagte er in seiner jovialen Art: »Wie geht es dir, mein Püppchen? Ich hatte gedacht, daß du gewachsen bist, aber du bist immer noch der kleine Knirps, der du immer warst.«

»In Wirklichkeit bin ich zehn Zentimeter gewachsen, seitdem du mich das letzte Mal gesehen hast«, antwortete Salena.

Lord Cardenham warf seine Zigarre weg, legte beide Hände auf Salenas Schultern und hielt sie von sich weg.

»Laß mich dich ansehen«, sagte er. »Ja, ich hatte recht.«

»Worin, Papa?«

»Ich hatte mit mir selbst gewettet, daß du eine Schönheit werden wirst.«

Salena errötete.

»Ich hoffte, Papa, du würdest mich für hübsch halten.«

»Du bist mehr als hübsch«, eiwiderte Lord Cardenham. »Du bist eine Schönheit, so schön wie deine Mutter war, aber auf eine andere Art.«

»Ich würde gern so aussehen wie Mama.«

»Und ich finde es angenehm, daß du auch ein wenig von mir hast«, sagte Lord Cardenham. »Wo bleibt das Gepäck?«

Seine letzte Bemerkung war an den Diener gerichtet, der Salena auf dem Bahnsteig begrüßt hatte und jetzt neben der Kutsche stand.

»Ein Gepäckträger bringt es gerade, Monsieur.«

»Ist es viel?«

»Nein, Monsieur.«

Der Gepäckträger erschien und lud ohne jede Mühe einen Koffer und einen kleinen Handkoffer auf.

»Ist das dein ganzer Besitz?« fragte Lord Cardenham.

»Ich besitze nur sehr wenige Kleider, Papa. Aus den Mädchenkleidern bin ich herausgewachsen, die ich trug, bevor ich nach dem Tod von Großmutter die Trauerkleider tragen mußte. Und es wäre unsinnig gewesen, neue zu kaufen, die ich, nachdem ich die Schule verlassen habe, nicht anziehen kann.«

»Da hattest du recht«, erwiderte Lord Cardenham.

Er zog ein teures, vergoldetes Zigarrenetui aus der Tasche und öffnete es so langsam, daß Salena glaubte, er sei eher damit beschäftigt zu überlegen, was er sagen solle, als ihm eine Zigarre zu entnehmen.

Das Gepäck wurde auf der Rückseite der Kutsche verstaut, und der Diener kletterte auf den Kutschbock. Dann fuhr die Kutsche los.

»Ich glaube, du möchtest mir etwas sagen, Papa«, bemerkte Salena ruhig.

»Ja, ich habe dir vieles zu sagen, meine Liebe«, erwiderte ihr Vater. »Aber laß mich zuerst erklären, wo wir wohnen werden.«

»Wohnen wir bei Freunden?« fragte Salena mit enttäuschter Stimme. »Ich hatte so gehofft, mit dir allein zu sein, Papa.«

»Das habe ich mir auch gewünscht«, antwortete ihr Vater. »Aber um ganz ehrlich zu sein, ich muß mich auf die Großzügigkeit meiner Freunde verlassen.«

»Heißt das, daß du finanziell nicht gesichert bist, Papa?«

»Ich bin bankrott, Salena. Ich habe keinen einzigen Penny!«

»Nein!«

Es war ein Schrei des Entsetzens. Salena hatte immer gewußt, wie schlecht ihr Vater mit dem Geld umging, und wie sie und ihre Mutter, soweit sie sich zurückerinnern konnte, immer haushalten und sparen mußten, damit es ausreichte.

 »Hat dir Großmutter in ihrem Testament nichts hinterlassen?« fragte Salena zögernd.

»Mir etwas hinterlassen?« rief Lord Cardenham. »Eher hätte sie dem Teufel selbst etwas vermacht. Aber es hat mich gewundert, daß sie dich auch von der Liste der Erben gestrichen hat.«

Salena sagte nichts.

Ihr Vater fuhr fort: »Ich kenne den Grund. Sie verabscheute mich und dachte, wenn du Geld erbst, würde ich es ausgeben. Genauso hat sich der verfluchte Vater deiner Mutter verhalten.« Er hielt inne und sog ärgerlich an seiner Zigarre. »Das bedeutet für uns, mein Püppchen, daß du und ich in äußerster Geldverlegenheit sind. Wir müssen uns überlegen, was wir dagegen tun können, und zwar rasch.«

Salena machte eine hilflose Geste.

»Und was können wir tun, Papa?«

»Ich habe mir einige Dinge überlegt«, sagte Lord Cardenham ausweichend. »Aber ich werde später mit dir darüber sprechen. Inzwischen sei du freundlich zu unserem Gastgeber.«

»Du hast mir noch nicht gesagt, wer er ist.«

»Sein Name ist Fürst Serge Petrowsky«, erwiderte ihr Vater.

»Ein Russe!« rief Salena.

»Ja, ein Russe, und ein verdammt wohlhabender dazu. In Monte Carlo wimmelt es von Russen. Sie sind alle so reich wie Krösus und glücklicherweise großzügig.«

»Der Fürst ist dein Freund. Ich hoffe, es macht ihm nichts aus, auch mich zu Gast bei sich zu haben«, sagte Salena.

»Ich habe ihm erklärt, daß ich dich nirgends unterbringen kann«, antwortete Lord Cardenham. »Und er sagte sofort, du müßtest in seiner Villa wohnen. Aber wir beide brauchen weit mehr als eine bloße Unterkunft.«

Salena sah ihren Vater fragend an.

»Mehr, Papa?«

»Auch die schönste Frau braucht einen Rahmen.«

»Papa, du meinst doch nicht...«

»Ich meine nicht, ich sage dir«, unterbrach sie ihr Vater energisch, »wenn der Fürst nicht bereit ist, dir einige Kleider zu kaufen, mußt du entweder das tragen, was du jetzt anhast, oder im Nachthemd gehen...«

»Aber... Papa...«

Es war ein gequälter Aufschrei, doch Lord Cardenham sagte fast grob: »Hör mir zu, Salena, und zwar aufmerksam. Wenn ich sage, ich bin bankrott, dann bin ich es auch. Außerdem habe ich einen Berg Schulden. Um ganz offen zu sein, wir beide müssen von unserem Verstand leben.«

»Du bist so praktisch und so unterhaltend, Papa. Ich bin sicher, die Leute sind nur allzu bereit, dir ihre Gastfreundschaft anzubieten. Aber bei mir verhält es sich ganz anders. Zu hoffen, daß der Fürst meine Kleider bezahlt, erschreckt mich.«

»Es gibt keine andere Möglichkeit«, sagte Lord Cardenham mürrisch.

»Bist du ganz sicher, Papa?«

»Glaube nicht, daß ich nicht alles gründlich durchdacht hätte. Ich hatte Pech beim Kartenspiel und mußte mir sogar Geld leihen, um den Dienstboten Trinkgelder geben zu können.«

In der Stimme ihres Vaters lag etwas, das Salena sagte, wie sehr er über diesen Zustand erregt war. Obwohl sie fand, daß es unter diesen Umständen sehr riskant gewesen war zu spielen, sprach sie es nicht aus.

Stattdessen wandte sie zum ersten Mal, seit sie den Bahnhof verlassen hatten, ihren Blick von dem Gesicht ihres Vaters ab und betrachtete die Landschaft. Sie hatten nun die Stadt verlassen und fuhren eine Straße entlang, auf deren einer Seite das Meer lag und auf der anderen hohe Felsen emporstiegen.

Purpurne Bougainville bedeckten die Felsen, und üppige, rosarote Geranien und goldgelbe Mimosenbäume schienen den Sonnenschein einzufangen.

»Es ist wunderschön hier, Papa.«

Sie blickte über das Meer hinaus.

»Und was für eine wundervolle Jacht. Schau nur, Papa!«

Eine weiße Jacht, die als Silhouette vor dem Himmel stand, fuhr durch das azurblaue Wasser und ließ zwei silberne Heckwellen zurück.

Am Heck flatterte eine weiße Flagge, und das Schiff hatte etwas so Märchenhaftes an sich, daß sie sich fragte, weshalb ihr Vater die Stirn runzelte, als er sagte: »Das ist die Aphrodite. Sie gehört dem Herzog von Templecombe. Verflucht soll er sein!«

»Warum verfluchst du ihn, Papa?«

»Aus reinem Neid, mein Püppchen. Templecombe ist nach dem Königshaus einer der wichtigsten Männer von England. Er besitzt Häuser, Pferde und die besten Jagden, alles das, was auch ich besitzen möchte und nicht habe!«

»Aber, Papa!«

»Ich besitze aber eines, was er nicht hat«, sagte Lord Cardenham.

»Und was ist das?« fragte Salena.

»Eine schöne und reizende Tochter.«

Salena lachte glücklich und legte ihre Wange an die Schulter ihres Vaters.

»Ich bin so glücklich, bei dir zu sein«, sagte sie leise.

»Die Villa des Fürsten wird dir gefallen«, sagte ihr Vater. »Sie ist großartig. Er hat sie nicht selbst gebaut, sondern sie einem armen Teufel abgekauft, der alles am Spieltisch verloren hat und sich lieber erschoß, als in Armut zu leben.«

Salena schauderte.

Das entsprach genau den Geschichten, die sie über Monte Carlo gehört hatte.

Sie dachte, daß sie nicht gern in einem Haus leben würde, dessen früherer Besitzer sich das Leben genommen hatte.

»Es ist ein Ausweg, den ich selbst schon erwogen habe«, sagte ihr Vater ernst.

»So etwas darfst du nicht sagen! Es ist nicht richtig. Es ist verworfen!« rief Salena. »Das Leben ist kostbar und ein Geschenk Gottes.«

»Es ist schlimm, daß Gott nicht auf andere Weise großzügiger ist«, erwiderte Lord Cardenham.

Er sah Salena an und sagte leise: »Ich glaube, er ist doch großzügig gewesen. Er hat mir eine sehr schöne Tochter geschenkt.«

Salena rückte näher an ihn heran und nahm seine Hand.

»Es ist wundervoll für mich, dich das sagen zu hören, Papa. Die anderen Mädchen in der Schule haben über mich gelacht und gesagt, ich sehe immer noch wie ein Kind aus, und niemand würde glauben, ich sei schon erwachsen.«

»Du siehst sehr jung aus«, sagte Lord Cardenham.

Er musterte seine Tochter und dachte überrascht, daß sie so zart wie eine Blüte war.

Ihr kleines Gesicht mit dem spitzen Kinn wurde völlig von ihren großen Augen beherrscht. Sie hätten blau sein müssen bei ihrem hellen Haar, aber statt dessen waren sie grau mit einem schwachen Anflug von Grün.

Sie standen weit auseinander und drückten die vertrauensvolle Unschuld eines Kindes aus, das noch nichts von der Welt wußte.

Zum ersten Mal, seitdem Lord Cardenham daran gedacht hatte, seine Tochter nach Monte Carlo zu holen, fragte er sich, ob er eine Sünde gegen die Natur beging, jemanden so Unerfahrenes wie sie hierher zu bitten.

Dann sagte er sich, daß er keine andere Möglichkeit hatte, und vielleicht würde gerade die Tatsache, daß sie so unschuldig war, sie davor bewahren, viel von dem zu verstehen, was hier gesprochen wurde und was geschah.

Laut sagte er: »Du wirst in der Villa eine bunte Gesellschaft antreffen. Aber sie haben eines gemeinsam, sie leben, um zu spielen.«

»Es ist schön hier«, wiederholte Salena und blickte auf das Meer hinaus. »Es muß doch noch andere Dinge zu tun geben?«

»Du wirst erfahren, daß sie unwichtig sind«, erwiderte ihr Vater.

»Sie werden für mich sehr wichtig sein«, sagte Salena. »Denn eines ist ganz offensichtlich, Papa, ich kann es mir nicht leisten, auch nur einen Centime zu riskieren und zu verlieren.«

»Da hast du wahrscheinlich recht«, sagte Lord Cardenham lächelnd.

Die Pferde bogen von der Straße ab.

»Wir sind da«, erklärte ihr Vater. »Ich glaube, es ist eines der attraktivsten Häuser an der ganzen Côte d'Azur.«

Sie fuhren langsam eine gewundene, von Pinien gesäumte und mit Geranien bewachsene Einfahrt hinab.

Mehrere Meter unter der Straße, die sie entlanggefahren waren, stand eine Villa auf einem Plateau, das in das Meer hinausragte.

Sie schimmerte weiß im Sonnenlicht und war sehr eindrucksvoll. Als sie in die kühle Halle traten, kam es Salena so vor, als beträte sie ein Märchenland.

Das Haus unterschied sich sehr von dem hohen, schmalen Gebäude am Eaton Square, in dem sie gelebt hatten, als ihre Mutter noch am Leben war, und das immer zu klein für sie gewesen war.

Hier waren Raum und Luxus, und Spiegel hingen an den Wänden und reflektierten das Sonnenlicht, so daß alles zu leuchten schien.

Ihr Vater ging voraus durch einen großen, schönen Salon und trat dann hinaus auf die Terrasse, wo blaue Markisen Schatten spendeten.

Ein Herr und eine Dame saßen in niedrigen, bequemen Sesseln. Die Dame war außergewöhnlich schön. Der Herr stand auf und kam auf sie zu.

»Da sind Sie ja, Bertie«, sagte er zu Lord Cardenham. »Der Zug muß Verspätung gehabt haben.«

»Ja, das hatte er, aber er ist angekommen«, erwiderte Lord Cardenham. »Darf ich Ihnen meine Tochter Salena vorstellen, Durchlaucht?«

Salena machte einen Knicks und sah den Fürsten interessiert an.

Er war ungefähr vierzig Jahre alt, dachte sie, und mußte gut ausgesehen haben, als er jünger war. Aber jetzt war er korpulent, und sowohl seine Gesichtszüge als auch sein Körper waren massig.

Er hatte dunkle, ziemlich vorstehende Augen, die sie irritierend musterten.

Sein an den Schläfen ergrautes Haar war streng zurückgebürstet, und er sah nun wie ein Mann aus, der zu lange zu gut gelebt hatte.

»Seien Sie mir willkommen, Salena«, sagte er auf Englisch, aber mit einem starken Akzent. »Ich denke, Ihr Vater hat Ihnen erzählt, wie entzückt ich bin, Sie als Gast begrüßen zu dürfen.«

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, Durchlaucht«, murmelte Salena.

Ihr Vater küßte die Hand der Dame, die unter der blauen Markise im Sessel saß.

»Madame Versonne, ich möchte Ihnen meine kleine Salena vorstellen«, sagte Lord Cardenham.

»Aber natürlich. Ich bin entzückt!« antwortete die Französin.

In Wirklichkeit schien sie jedoch nicht besonders entzückt zu sein, denn sie musterte Salena mißbilligend von oben bis unten.

Salena machte einen Knicks und wartete, daß man ihr sagte, was sie als nächstes tun sollte.

Madame Versonne stand auf: »Da Sie nun angekommen sind«, sagte sie zu Lord Cardenham, »werde ich mich zur Ruhe begeben. Es ist zu heiß für mich. Ich habe Serge unterhalten, wenigstens hoffe ich das.«

Sie sah den Fürsten herausfordernd an, und er machte ihr das Kompliment, das sie erwartete.

Dann ging sie über die Terrasse durch die offene Tür in den Salon.

»Bitte setzen Sie sich«, sagte der Fürst. »Ich bin sicher, Bertie, daß Sie eine Erfrischung brauchen, nachdem Sie in dieser unerträglichen Hitze so lange auf Ihre Tochter warten mußten. Ich habe im April noch nie eine derartige Hitze erlebt.«

Salena wollte sagen, daß sie dies herrlich fand, aber sie blickte sich statt dessen interessiert um, ohne neugierig zu erscheinen.

Eine lange Flucht von weißen Marmorstufen führte von der Terrasse zum Garten hinunter, und sie bemerkte, daß das Grundstück auf drei Ebenen bebaut war.

Der Garten, der auf dem Felsvorsprung bis in das Meer hinausreichte, lag nur knapp über Meereshöhe.

In seiner Mitte plätscherte ein Springbrunnen. Große, schattenspendende Bäume umstanden einen grünen Rasen und Blumenbeete voller exotischer Blüten, von denen sie nur wenige kannte.

Jenseits des Gartens sah sie zwischen den Bäumen hindurch einen Teil der Küste von Monte Carlo und auf der anderen Seite die Klippen von Eze.

Wie schön ist es hier, sagte sie sich. Es ist weit schöner, als ich es erwartet habe.

Das Meer war tiefblau und ging am Horizont in smaragdgrün über.

Sie hatte ihre Mitschülerinnen oft über die Côte d'Azur sprechen hören, aber diese waren immer in Nizza oder Cannes. gewesen.

Obwohl sie begeistert von Monte Carlo gesprochen hatten, war keine von ihnen jemals im Fürstentum gewesen.

Aber ich bin hier, sagte sich Salena.

Einen Augenblick wünschte sie, sie könnte wieder in die Schule zurückkehren und über ihre Erlebnisse berichten.

»Was denken Sie?« fragte der Fürst mit einer tiefen Stimme.

Sie wandte sich mit leuchtenden Augen an ihn.

»Es ist so herrlich hier. Ich habe viel über Südfrankreich und über seine Geschichte gelesen, aber ich wußte nicht, daß es hier so bezaubernd ist.«

Der Fürst lächelte.

»Das fand ich auch, als ich zum ersten Mal hierherkam«, sagte er. »Aber mein Land ist ebenfalls sehr schön.«

»Das habe ich gehört«, sagte Salena.

Sie hatte aber auch von den Grausamkeiten gehört, die in Rußland verübt wurden und von dem Leid der Bevölkerung, doch sie überlegte, daß dies keine passende Bemerkung war.

Sie dachte, sie sollte statt dessen den Fürsten, über den russischen Hof und über die großartigen Paläste in St. Petersburg befragen.

Aber ehe sie ihre Frage formulieren konnte, sagte ihr Vater, der neben dem Fürsten saß: »Nimm diesen gräßlichen Hut ab, Salena. Ich möchte, daß Seine Durchlaucht dein Haar sieht.«

Salena sah ihn überrascht an. Aber da sie es gewöhnt war, Befehlen zu gehorchen, nahm sie sofort ihren Hut ab und war besorgt, ihr Haar könnte unordentlich aussehen.

Sie hatte es sehr einfach in ihrem Nacken zu einem Knoten geschlungen, doch als sie den Hut abnahm, ringelte es sich lockig um ihre Stirn und fing das Sonnenlicht ein.

»Es gibt keinen erfahreneren Mann als Sie, Serge«, sagte ihr Vater, »wenn es um das weibliche Geschlecht geht. Raten Sie mir, wie soll sich Salena kleiden und in welchen Farben?«

»Es gibt nur eine Person in Monte Carlo, die Sie in diesen Dingen beraten kann«, sagte der Fürst, »und das ist Yvette. Sie ist eine Künstlerin auf ihrem Gebiet und macht niemals den Fehler, das Wesen einer Frau zu fälschen, indem sie sie nicht ihrem Typ entsprechend kleidet, wie es so viele Modistinnen tun.«

»Interessant«, sagte Lord Cardenham. »Ich vermute, daß auch Sie auf Ihre Art ein Künstler sind. Oder hat das etwas mit dem russischen Temperament zu tun?«

»Die Kleidung einer schönen Frau muß immer ein Teil ihrer selbst und ihres Charakters sein«, sagte der Fürst. »Niemals, denken Sie daran, darf man eine Kleiderpuppe aus ihr machen.«

»Ich will es mir merken«, sagte Lord Cardenham. »Aber ich kann so wenig Yvettes Preise bezahlen wie über das Wasser wandern.«

Er sprach ohne eine Spur Verlegenheit, aber Salena spürte, wie ihr die Farbe in die Wangen stieg.

Sie war sich bewußt, weshalb ihr Vater die Aufmerksamkeit des Fürsten auf sie gelenkt hatte, und sie wünschte, sie könnte weglaufen und sich verstecken, statt das Gespräch mit anhören zu müssen, das in einer ganz offensichtlichen Weise über sie geführt wurde.

Sie war sich auch bewußt, daß der Fürst wußte, was ihr Vater damit beabsichtigte, als er mit einem schwachen Anflug von Zynismus in der Stimme erwiderte: »Meiner Meinung nach ist für jemanden, der so schön wie Ihre Tochter ist, Bertie, nur das Beste gut genug.«

»Ist das Ihr Ernst?« fragte Lord Cardenham ohne Ausflüchte.

»Natürlich«, antwortete der Fürst. »Ich schicke einen Diener nach Monte Carlo und lasse Yvette ausrichten, sie soll so rasch wie möglich herkommen. Ich glaube, sie fände den Weg hierher mit verbundenen Augen.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte Lord Cardenham. »Und ich weiß, daß auch Salena Ihnen dankbar ist. Du mußt dem Fürsten für ein so großzügiges Geschenk danken, meine Liebe.«

»Danke... vielen Dank...«, sagte Salena gehorsam.

Gleichzeitig war sie so verlegen, daß sie dem Fürsten nicht in die Augen sehen konnte. Ihre Wangen brannten.

Es ist entwürdigend, dachte sie, daß mein Vater ihn ganz offen darum bittet, meine Garderobe zu bezahlen.

Der Fürst konnte es sich natürlich leisten, aber sie wußte, daß es ihre Mutter schockiert und die Mutter Oberin entsetzt hätte.

Es gab eine kleine Unterbrechung, als die Diener mit einem silbernen Eiskübel kamen, in dem eine Flasche Champagner steckte.

Sie stellten drei Gläser auf den Tisch. Aber als sie gefüllt werden sollten, legte Salena ihre Hand auf ihr Glas.

»Nein, vielen Dank.«

»Mögen Sie keinen Champagner?« fragte der Fürst.

»Ich habe bis jetzt nur sehr selten welchen getrunken«, sagte Salena. »An Weihnachten und an Papas Geburtstag.«

»Hätten Sie lieber etwas Limonade?«

»Ja, bitte.«

Der Fürst, gab dem Diener Anweisung und sagte dann nachdenklich: »Sie sind zu beneiden, Salena, daß Sie am Beginn Ihres Lebens stehen. Da ist noch alles neu und interessant. Ich wüßte gern, Bertie, wie wir uns fühlen würden, wenn wir noch einmal achtzehn wären.«

»Das ist lange her«, sagte Lord Cardenham. »Aber ich erinnere mich daran, wie aufgeregt ich war, als ich ein Jagdrennen gewann.«

»Und ich erinnere mich am lebhaftesten an eine Liebesaffäre«, sagte der Fürst nachdenklich. »Es war keineswegs meine erste, aber ich war zum Verrücktwerden verliebt. Ich sah das gleiche Ballett Abend für Abend und fand es immer noch unterhaltsam.«

Beide Männer lachten, und Salena dachte, wenn sie sich später einmal an ihre ersten Minuten in Südfrankreich zurückerinnern würde, hätte sie die weiße Jacht vor Augen, die über das Mittelmeer fuhr.

Als sie ihre Limonade ausgetrunken hatte, schlug der Fürst vor, daß sie ihr Zimmer besichtigte.

»Yvette wird bald hier sein«, sagte er. »Dann müssen Sie die Kleider auswählen, die Sie heute abend und morgen tragen werden, bis Sie mehr Zeit haben, sich mit der nötigen Garderobe zu versorgen, die Sie brauchen.«

»Ich bin sicher, daß ich nicht viel brauche«, sagte Salena rasch.

Ihr Vater runzelte die Stirn, und sie wußte nun, daß er vorhatte, alles vom Fürsten anzunehmen, was er bekommen konnte.

Wiederum schämte sie sich, und als sie in ihr Zimmer hinaufging und ihre Koffer ausgepackt vorfand, betrachtete sie das Bild ihrer Mutter, das jetzt auf dem Toilettentisch stand, und sie fragte sich, was sie wohl gedacht hätte.

Es war nur eine Skizze von einem Amateurkünstler, denn Lady Cardenham hatte nie die Möglichkeit gehabt, sich malen zu lassen. Aber der Künstler hatte sie lebensecht gezeichnet, und jetzt glaubte Salena, ihre Mutter blicke sie vorwurfsvoll an.

»Aber ich kann doch nichts dafür«, sagte Salena. »Ich weiß, es ist falsch von Papa, aber ich kann nicht mit ihm in dieser herrschaftlichen Villa leben und nichts Ordentliches anzuziehen haben.«

Ordentlich war gewiß nicht das richtige Wort, um die Gewänder zu beschreiben, die Yvette aus Monte Carlo mitbrachte.

Sie war nicht so rasch gekommen, wie es der Fürst erwartet hatte, und weil Salena wußte, daß sie Yvette in ihrem Zimmer empfangen sollte, legte sie sich auf ihr Bett und genoß von hier aus die Aussicht.

Sie beflügelte ihre Fantasie, und sie war so sehr in ihre Gedanken vertieft, daß sie nicht bemerkte, wie die Zeit verging, bis es an die Tür klopfte und sie abrupt in die Gegenwart zurückgebracht wurde.

Die Modistin rauschte mit vielen Kleiderschachteln und einer Gehilfin herein, die ihr beim Auspacken half.

Madame Yvette war eine dunkelhaarige, lebhafte Französin, häßlich, aber sehr schick gekleidet.