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Horst-Frank Demmler, ein „Immo-Mann“ aus Berlin, setzt am 24. Dezember auf die idyllische Ostsee-Insel Hiddensee über – samt Frau, Sohn und Hund. Sein Chef hat sie alle eingeladen, gemeinsam mit ihm und seiner Gattin Heiligabend auf dem Eiland zu verbringen. Da wittert Demmler plötzlich Morgenluft! Wochen zuvor hatte er über den Flurfunk der Firma erfahren, dass der Chef einen neuen Führungsjob ausloben will, um zum Angriff auf den Insel-Immo-Markt zu blasen. Für diese Aufgabe wäre Demmler durchaus bereit – aber jetzt gilt es erst mal, gesund und munter auf Hiddensee anzukommen. Das ist einfacher gesagt als getan: Demmlers familiärer Insel-Trip entpuppt sich als turbulenter Hindernislauf und die Karriere-Träume nehmen bald alptraumhafte Züge an … (Klappentext)
„Lachmuskeln bekommen reichlich Arbeit!“
(Birgit Kleffmann / wir-besprechens.d)
Eine Komödie in feinster Sitcom-Manier.
„Lachmuskeln bekommen reichlich Arbeit!"
Birgit Kleffmann / wir-besprechens.de
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Horst-Frank Demmler, ein „Immo-Mann“ aus Berlin, setzt am 24. Dezember auf die idyllische Ostsee-Insel Hiddensee über – samt Frau, Sohn und Hund. Sein Chef hat sie alle eingeladen, gemeinsam mit ihm und seiner Gattin Heiligabend auf dem Eiland zu verbringen. Da wittert Demmler plötzlich Morgenluft! Wochen zuvor hatte er über den Flurfunk der Firma erfahren, dass der Chef einen neuen Führungsjob ausloben will, um zum Angriff auf den Insel-Immo-Markt zu blasen. Für diese Aufgabe wäre Demmler durchaus bereit – aber jetzt gilt es erst mal, gesund und munter auf Hiddensee anzukommen. Das ist einfacher gesagt als getan: Demmlers familiärer Insel-Trip entpuppt sich als turbulenter Hindernislauf und die Karriere-Träume nehmen bald alptraumhafte Züge an … (Klappentext)
„Lachmuskeln bekommen reichlich Arbeit!“ (Birgit Kleffmann / wir-besprechens.d)
„Erfolg ist die beste Rache.“
Michael Douglas
Sängerknaben
Am Nachmittag des 24. Dezember lenkte Horst-Frank Demmler über die Insel Rügen gen Westküste und sollte sich alsbald wünschen, diese Reise nicht angetreten zu haben. Wochen zuvor hatte ihn die Einladung erreicht, Heiligabend mit seinem Boss Hugo und dessen Gattin Käthe auf Hiddensee zu verbringen.
„Wir würden uns freuen“, hatte der Boss betont, „wenn auch Ihre Frau Brigitte, Ihr Sohn Leon und Ihr Hund Trixi mit von der Partie wären.“
„Sehr gerne“, hatte Demmler gesagt und mit einem Lächeln signalisiert, dass er von der Offerte begeistert sei. Die Begeisterung war echt, sie nährte sich allerdings insbesondere von einem bestimmten Kalkül.
Der hochachsige Porsche, den Demmler fuhr, war ein Allradvehikel zum Preis eines Reihenmittelhauses und nach jenem Gewürz benannt, das zwar Pfeffer im Namen trägt, aber zur Gattung der Paprika gehört: Cayenne. Möglicherweise sollte damit so etwas wie „scharfes Geschoss“ zum Ausdruck gebracht werden, jedenfalls schwängerte der Werbung der Stuttgarter Autobauer zufolge eine „Symphony of Performance“ den Innenraum des Wagens. Das konnte im vorliegenden Fall zum aktuellen Zeitpunkt zumindest insofern gelten, als die Wiener Sängerknaben über 13 Lautsprecher und eine 160-Watt-Passiv-Subwooferbox Stille Nacht intonierten, während das Sport Utility Vehicle, dessen Außenspiegel in Chilirot einen farblichen Akzent zum Carraraweißmetallic der Wagenfarbe setzten, über die L 302 schnurrte wie eine gesättigte Raubkatze durchs Gras der Serengeti.
Chilirot
Demmler umfasste das Steuer fest, ließ aber dennoch den sprichwörtlichen Tiger im Tank. Es genügte ihm, zu wissen, dass das „Herzstück des Turbo“, wie der Hersteller informierte, „der neue Vierliter-V8-Motor mit Bi-Turbo-Aufladung“ war: „Mit einer Leistung von 550 PS übertrifft das Triebwerk das des Vorgängers um 30 Pferdestärken.“
Das waren relevante Informationen für Demmler, welcher im unbuntesten allen denkbaren Farbenglanzes gewandet war, der im westlichen Kulturkreis für Freudiges wie Hochzeit, Reinheit, Jungfräulichkeit, aber auch Unsterblichkeit steht – also, kurz: Demmler steckte in einen weißen Smoking mit ebensolchem Hemd, dessen gesteiften Kragen eine im Kolorit der Außenspiegel gehaltene Stofffliege zierte. Ja, er hatte sich in Schale geschmissen – oder, richtiger gesagt: Er war von seiner Frau Brigitte so und nicht anders ausstaffiert worden, um bei seinem Boss, den Brigitte gerne Bossi nannte, weil sie Verniedlichungsformen von Namen einfach gerne mochte, einen guten Eindruck zu machen.
Demmlers Chef, der Bossi, hatte ein Ferienhaus auf Hiddensee erworben, und zwar direkt hinterm Deich, was ihr, Brigitte, die sich gerne Gitti rufen ließ, über ihn, Demmler, also Franki, bekannt geworden war. „Ein Traumdomizil“, hatte der Boss Demmler gegenüber geschwärmt, „weil mit naturgemäß unverbaubarem Sonnenuntergang.“ Und Demmlers Chef wusste durchaus, wovon er sprach – nicht zuletzt als Eigentümer einer der größten inhabergeführten Immobilienfirmen Deutschlands namens Immo-Union. Er unterhielt in jedem Bundesland eine Dependance, also 16 an der Zahl, die alle mit dem gleichen Motto um die Gunst ihrer Kunden – Haus- und Grundstücksverkäufern sowie -käufern gleichermaßen – warben und genau so und nicht anders gestrickt waren: „Ihr Ziel ist unser Weg!“
Deichgraf
Den ausgerufenen Empfang hatte Demmler nicht nur als freundliche Ehrerbietung gegenüber einem loyalen wie auch fleißigen Mitarbeiter, der aus dem Berliner Immo-Stall kam, gewertet, mehr noch machte er sich auch allergrößte Hoffnungen auf eine Bescherung der Extraklasse: In der Firma hatte es sich unlängst herumgesprochen, dass der Boss nächstes Jahr expandieren wolle: Ein spezielles Geschäftsfeld wolle er gesondert beackern, nämlich, zum Immo-Angriff auf die ost-, west- und norddeutschen Inselregionen zu blasen mit dem Ziel, ebendort die Immo-Marktführerschaft an sich zu reißen. Der neu geschaffene und dem Flurfunk nach gut dotierte Posten eines Immo-Chefs für dieses Marktsegment – vom Boss, so das Gerücht, im Scherz „Deichgraf“ genannt – sollte noch in diesem Jahr vakant und besetzt werden.
Ach schön, hatte Demmler gedacht, für so etwas ist der Heiligabend ja eine originelle und auch recht persönliche Gelegenheit. Demmler hoffte nicht einfach nur, der Auserwählte zu sein – mitnichten: Seit einem geschlagenen Jahrzehnt leitete er erfolgreich die Dependance Berlin und hatte Villen und Grundstücke unterm Strich in mehrstelliger Millionenhöhe unter Dach und Fach gebracht.
Ja, nee – klar, hatte Demmler gedacht und sich erinnert: Sein Chef hatte letzten Sommer ihm gegenüber durchblicken lassen, dass er, Demmler, sich „über die Jahre und zudem über alle Maßen bewährt“ habe und er, der Boss, sich nun durchaus vorstellen könne, seine Leistung und nicht zuletzt seine Person „entsprechend zu würdigen“. Scherzhafte Formulierung hin oder her, hatte Demmler gedacht, aber „Deichgraf“ klingt doch gar nicht so übel. Ob ihm der Boss das so auch auf seine neue Visitenkarte drucken würde, wäre dann noch eine andere Frage.
Während Demmler gemächlich und immer der Nase nach kutschierte, also geradeaus, sinnierte er in Vorfreude auf das, was auf ihn zukommen mochte, auch darüber, was sein Boss für Augen machen würde, wenn er, Demmler, mit diesem Schmuckstück auf vier Rädern vorführe: So und nicht anders, dachte er, wäre beiläufig wie auch eindrucksvoll bewiesen, dass der Deichgraf in spe nicht nur in Belangen attraktiver Geschäftsabschlüsse – zum dritten Mal in Folge war Demmler, einem Gerücht im betrieblichen Umlauf zufolge, vom Boss als Immo-Mitarbeiter des Jahres nominiert worden –, sondern auch in automobilen Geschmacksfragen die Nase ganz weit vorn hatte. Ihm, Demmler, war auch bekannt, dass der Chef selbst das Vorgängermodell des Cayenne fuhr, und ihm war ebenfalls geläufig, dass der Chef auf so genannte „weiche Faktoren“ in der Zusammenarbeit besonderen Wert legte: „Kollegen“, hatte der Boss auf der letzten Hauptversammlung betont, „die Chemie zwischen uns muss stimmen, das überträgt sich auch auf das Verhältnis zum Kunden.“
Demmler war sich sicher, dass die „Chemie“ zwischen ihm und seinem Chef stimmte, also so von Mann zu Mann, was sich seiner Erfahrung nach eben auch daran bemaß, dass Automobile „auf Augenhöhe“ gefahren wurden. Allerdings zweifelte Demmler mitunter, ob vor den Autos nicht eventuell doch noch die Wahl des richtigen Fußballvereins oder der passenden Ehefrau käme – und gerade im letzteren Punkt war er sich mitunter nicht so ganz sicher.
Wie auch immer – Wahnsinnskutsche, sinnierte Demmler, auch wenn ihm das Kraftpaket unter der Motorhaube etwas überdimensioniert schien, zumindest für diese Landstraße: 70 km/h waren Höchstgeschwindigkeit und nur 50 Sachen waren möglich – einerseits wegen der nicht vorhandenen Straßenbeleuchtung und andererseits kannte er sich in der Gegend des Zielortes, des Hafenstädtchens Schaprode, „keinen Millimeter“ aus, wie Demmler zu sagen pflegte.
Besinnlichkeit
„Gitti, heute gehen wir’s mal betont ruhig an“, nuschelte er und drehte den Wiener Sängerknaben den Ton ab. „Wir sollten unsere Besinnlichkeit nicht gleich auf einmal verballern.“
„Schade, Franki“, kommentierte Brigitte, die auf der Beifahrerseite saß. Sie hielt Trixi – einen Chihuahua mit in Wagenfarbe gefärbtem Fell – auf den Schoß und kraulte abwechselnd die überproportional großen und senkrecht aufstehenden Ohren, zwischen denen ein chilirotes Haarschleifchen steckte. „Ich war so schön dabei, mich einzustimmen“, merkte sie an.
„Aber Gitti, das haben wir doch nicht nötig“, behauptete Demmler. Er klang ironisch. „Als zukünftiger Deichgraf bin ich ja sozusagen von Berufs wegen besinnlich gestimmt“, schob er nach und intonierte leise: „Süßer die Kassen nie klingen als zu der Weihnachtszeit, ’s ist, als ob Engelein singen wieder von Frieden und Freud’.“ Er grinste schief zu Brigitte hinüber. „Immo-Punktlandung: Heute früh Immo-Termin beim Nachtnotar gehabt.“
„Wieso Nachtnotar?“
„Was?“
„Es war doch in der Früh.“
„Ja, nee – klar, Gitti, das heißt doch nur so, weil diese Leute auch zu unkonventionellen Zeiten antreten. Jedenfalls hab’ ich noch mal satt Provision kassieren können.“
„Aber Franki“, mokierte sich Brigitte, „Provision hat doch nichts mit Besinnlichkeit zu tun!“
„Ja, nee – klar, war ’n Scherz“, stellte Demmler fest. „Aber gönnen wir den Sängerknaben doch mal ’ne Pause. Ich muss mich ab jetzt konzentrieren.“ Es war zwischenzeitlich 17 Uhr und damit stockfinster geworden. „Aber wir wollen doch die richtige Abzweigung bekommen, Gitti“, erklärte Demmler. „Müsste bald so weit sein.“
„Ach so“, sagte Brigitte. Das schien ihr ein schlüssiges Argument zu sein. Wohl eher reflexhaft griff sie sich an ihre wasserstoffblonde, auf Volumen toupierte Frisur und strich sich ein verirrtes Haarsträhnchen aus der Stirn, das jedoch widerspenstig gleich wieder zurückfiel. Sie klappte die Sonnenblende herunter, um im Schminkspiegel zu sehen, was da das Problem war. „Saß vorhin irgendwie besser“, merkte sie an.
Demmler schaute zu Brigitte hinüber. „Siehst doch prima aus.“
„Aber die Strähne hier.“
„Abschneiden“, empfahl Demmler launig.
„Was?!“ Brigitte blickte entsetzt zu ihrem Mann hinüber.
„Ja, nee – klar, war ’n Scherz“, winkte Demmler ab. „Mach mal, wie du’s brauchst.“
„Sicher, Franki?“
„Natürlich, Gitti.“
Brigitte griff mit ihrer Rechten an Trixi vorbei nach unten und hinein in die zwischen ihren Beinen geparkte Handtasche. Aus den scheinbar endlosen Tiefen dieses Damenbehältnisses kramte sie etwas Längliches hervor. Entschlossen und zielsicher setzte sie die Dose an und zähmte die widerborstige Strähne mit einem ordentlichen Hub Haarspray. Eine voluminöse Wolke parfümierten Feinstaubs rieselte auf Trixi herunter, so dass das Hündchen umgehend zu niesen begann.
„Ja, nee – klar“, brabbelte Demmler und ließ sein Seitenfenster herunter.
„Du hast doch gesagt, ich könne machen, wie ich’s brauche.“
„Kann ja keiner ahnen, dass du eine Nebelmaschine auspackst.“
Während sich Brigitte noch einen Hub gönnte, sagte sie: „Es zieht, Franki.“
Demmler schaute unlustig – und Brigitte versenkte die Spraydose zurück in ihr mobiles Verließ.
„Das Fenster“, erinnerte sie.
„Momentchen noch.“
„Trixi holt sich noch was weg.“
„Ach, was!“
„Sie hat schon geniest.“
„Ja, nee – klar“, sagte Demmler. Er runzelte die Stirn, ließ aber um des lieben Friedens willen die Scheibe hochfahren. Erstunken ist ja noch keiner, erfroren sind schon viele, dachte er sarkastisch. Dann herrschte Funkstille – aber nur für einen kurzen Moment.
„Weißt du was, Franki?“, fragte Brigitte unvermittelt.
„Was denn?“
„Also – nur für den Fall, dass du die Sängerknaben nicht magst …“
„Ja?“
„… hab’ ich auch Weihnachten mit Hansi dabei!“
„Hansi?“ Demmler überlegte. „Heißt so nicht der Wellensittich unserer Nachbarn?“, fragte er.
„Na, hör’ mal, Franki!“, sagte Brigitte.
„Ja, nee – klar, war ’n Scherz, Gitti.“
Klingelingeling
Brigitte blickte das Profil ihres Mannes an – und schaute plötzlich etwas entrückt. Das lag jetzt nicht an Demmler, sondern vielmehr daran, dass sie sich Hansi, also den Hinterseer, ans Lenkrad herträumte. Hansi lächelte Brigitte charmant an und zwinkerte ihr zu: „Brigitte, darf ich Sie Gitti nennen?“
Aber Brigittes Imagination bröckelte und brach dann in dem Moment zusammen, als Demmler erneut seine Stimme erhob: „Gitti, du weißt doch, den Hansi ertrage ich erst ab 1,9 Promille. Das wäre jetzt ganz schlecht. Lege mal lieber Sinatra ein – der hatte noch Schmalz in der Stimme.“
Demmler gab mal wieder den Frank Sinatra-Fan. Ob er Sinatra deshalb so mochte, weil er die Stimme des Sängers so mochte, oder „Frankie Boys“ Evergreens so mochte, weil sein Boss Sinatra so mochte, war ihm nicht wirklich klar. Im betrieblichen Anpassungsprozess zwischen dem Boss und ihm, dem Mitarbeiter, oder umgekehrt – „die Chemie muss stimmen!“ – verwischten zuweilen auch die Geschmacksgrenzen. Wie dem auch war. Demmler intonierte frei von der Leber weg Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!
„Oh the weather outside is frightful. But the fire is so delightful. Since we've no place to go. Let it snow, let it snow, let it snow."
„Ich kann kein Englisch”, maulte Brigitte.
Demmler zuckte mit den Schultern: „It doesn't show signs of stoppin'. And I've brought some corn for poppin'. The lights are turned down low. Let it snow, let it snow, let it snow.”
„Dabei haben wir so schöne deutsche Lieder.“
Demmler nickte bejahend: „When we finally kiss goodnight. How I'll hate goin' out in the storm. But if you'll really hold me tight. All the way home I'll be warm. The fire is slowly dyin'. And, my dear, we're still goodbyin'. As long as you love me so. Let it snow, let it snow, let it snow.”
„Kling Glöckchen zum Beispiel …”
„He doesn't care if it's ten below . He's just sittin' by the fire's cozy glow. He don't care about the cold and the winds that blow. He just says, ,let it snow, let it snow, let it snow’ (let it snow). ,Ooh wee’, goes the storm. Why should …“
„Außerdem lebt er noch …”
„Sinatra? Du irrst, Gitti: Frankie Boy ist schon lange tot – aber seine Stimme, ja, die kann man heute noch kaufen! Habe ich für den Boss eingepackt: Christmas Songs by Sinatra! Die Original-Langspielplatte. Columbia Records - eine Rarität. Aus den Fünfzigern. Direktimport aus USA, natürlich. Ein Sammlerstück. Bossi wird Augen machen!”
„Ich spreche von Hansi, Franki!”
„Ach so.”
„Ist ein ganz Süßer“, seufzte Brigitte.
„Ja, nee – klar.“ Demmler wiegte den Kopf. „Aber sag’ mal, Gitti, wieso nennt sich ein erwachsener Mann eigentlich nach einem Wellensittich?“
„Was ist an diesem Namen denn so schlimm?“, fragte Brigitte. „Ein Fußballnationaltrainer hieß ja auch mal so ähnlich wie der Kumpel von Erni aus der Sesamstraße: Berti. Und das hat dich damals gar nicht gestört.“
„Natürlich nicht!“
„Weil?“
„Kann man nicht miteinander vergleichen.“
„Wieso?“
„1990 ging es um die Bewältigung einer Aufgabe von nationaler Bedeutung“, argumentierte Demmler.
„Was hatte dieser Berti denn mit der Wiedervereinigung zu tun?“, hakte Brigitte nach.
„Ja, nee – klar, nichts“, klärte Demmler auf. „Wir waren Weltmeister geworden, Beckenbauer ist stiften gegangen und einer musste die Jungs ja trainieren. Hatte es nicht einfach, der Vogts: War spröder als der Kaiser. Aber dann, ’96, hat er’s allen Unkenrufern gezeigt: Europameister, weißt du noch?“
„Nein“, antwortete Brigitte. Sie dachte über die Worte ihres Mannes nach und konstatierte für sich, dass sie die Logik „Berti top – Hansi flop“ nicht wirklich verstand. Weil aber ihrer Meinung nach Begeisterung für Sport allgemein und für Fußball im Besonderen nichts mit Logik zu tun hatte, ging sie gedanklich dann doch lieber wieder einen Schritt zurück: „Tolle Stimme, der Hansi“, sagte sie, nestelte eine CD des Volkssängers hervor und hielt ihrem Mann die quadratische Plastikhülle vors Gesicht. „Schau mal, Franki“, flötete sie, „da ist auch Kling Glöckchen, klingelingeling drauf.“
„Ja, nee – klar.“ Mit der Rechten wischte Demmler Brigittes Linke, in der sie den Tonträger hielt, reflexhaft weg. „Schau ich mir später an“, behauptete er und war sich dabei bewusst, vorsätzlich zu lügen.
Trotz oder wegen der schroffen Ablehnung tauchte Brigitte jetzt gedanklich ab und imaginierte sich ihren Schwarm erneut herbei, während die CD anlief. Hansi signalisierte Brigitte offenbar, dass sie doch mit einstimmen möge, als er vorlegte: „Kling Glöckchen, kleingelingeling, kling Glöckchen kling!“ Bei der Wiederholung dieser Zeile stieg Brigitte dann mit ein.
Sie traf die Melodie zwar nur bedingt, einen halben Ton zu hoch oder zu tief, aber das störte Hansi wohl nicht oder nur wenig. War Hansi vielleicht so hart im Nehmen wie seinerzeit Gotthilf F., der – wir erinnern uns – in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts, wie Spötter damals behaupteten, „ohne Rücksicht auf Verluste“ ganze Arenen in Volkschöre verwandelte? – Wir wissen es nicht! Hansi lächelte jedenfalls nach wie vor routiniert vom CD-Cover und sang unbeirrt weiter, mit Brigitte im Duett: „Lasst mich ein, ihr Kinder, ist so kalt der Winter, öffnet mir die Türen, lasst mich nicht erfrieren. Kling Glöckchen …“
„Ja, nee – klar“, ging Demmler, mittlerweile schon etwas angefressen, wieder dazwischen. „Alles zu seiner Zeit!“ Er drehte den Regler herunter und Hansi verblasste, Brigitte verstummte.
Um jetzt keine schlechte Laune aufkommen zu lassen, unternahm Demmler ein verbales Ablenkungsmanöver und fragte rhetorisch gegen die Windschutzscheibe: „Ist unser Sohn noch mit an Bord? Ist ja so still auf der Rückbank.“
Engelchen
Brigitte sprang darauf an, drehte sich nach hinten und sagte: „Unser Engelchen – so friedlich!“
Engelchen? – Demnach war es Brigitte trotz ihres Hangs zur Verniedlichung von Namen anscheinend wenig sinnvoll vorgekommen, Leon ein „i“ anzuhängen, was wie die weibliche Form des Namens, „Leonie“, klingen würde. Möglicherweise wollte Brigitte ihrem Sohn das nicht antun und war deshalb von der Benennung als Löwe auf die Verniedlichung eines göttlichen Boten gewechselt.