Frankie und wie er die Welt sieht - Zoran Drvenkar - E-Book

Frankie und wie er die Welt sieht E-Book

Zoran Drvenkar

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Beschreibung

Frankie ist zehn Jahre alt, sein Hamster heißt Ihre Hoheit Pedro Sanchez der Dritte und sein bester Freund ist Lars. Aber seit einem halben Jahr hängt die Welt um Frankie herum schief. Sein Vater lebt in einer anderen Stadt und Lars hat zu Hause eine Menge Ärger. Frankie reicht es. Er macht sich kurzerhand auf den Weg von Berlin nach Venedig, um seinem Vater die Meinung zu sagen – mit nur einem Euro siebzig in der Tasche. Wie Frankie alles bewegt, um die Welt wieder gerade zu rücken, ist eine wunderbare Geschichte von Zuversicht und Mut, die Zoran Drvenkar so lakonisch-überzeugend erzählt, dass wir ihm und seinem Frankie alles glauben.

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Das ist das Cover des Buches »Frankie« von Zoran Drvenkar

Über das Buch

Frankie ist zehn Jahre alt, sein Hamster heißt Ihre Hoheit Pedro Sanchez der Dritte und sein bester Freund ist Lars. Aber seit einem halben Jahr hängt die Welt um Frankie herum schief. Sein Vater lebt in einer anderen Stadt und Lars hat zu Hause eine Menge Ärger. Frankie reicht es. Er macht sich kurzerhand auf den Weg von Berlin nach Venedig, um seinem Vater die Meinung zu sagen — mit nur einem Euro siebzig in der Tasche. Wie Frankie alles bewegt, um die Welt wieder gerade zu rücken, ist eine wunderbare Geschichte von Zuversicht und Mut, die Zoran Drvenkar so lakonisch-überzeugend erzählt, dass wir ihm und seinem Frankie alles glauben.

Zoran Drvenkar

Frankie

und wie er die Welt sieht

Mit Illustrationen von Sabine Wilharm

Hanser

Für den wahren Frankie, der kein Kind mehr ist,der nicht einmal weiß,dass ich über ihn schreibe.

Sei mutig, sei starkund gib niemals auf.

Wie Frankie verschwand

Wir stehen gemütlich auf dem Bürgersteig und sehen einen Jungen und ein Mädchen auf uns zukommen. Am Himmel zeigt sich keine einzige Wolke, und auf einem Stoppschild sitzt ein Sperling und meckert auf den Verkehr herab. Der Junge und das Mädchen meckern zurück, dann lachen sie und gehen weiter.

Frankie ist zehn, Delia ist vierzehn, und wenn wir genau hinschauen, können wir sehen, dass sie Geschwister sind.

Es ist direkt nach der Schule, und die beiden trödeln durch die Gegend, weil sie keine große Lust haben, nach Hause zu gehen. Sie sprechen über ihre Eltern, sie sprechen seit gut drei Monaten nur über ihre Eltern. Manchmal reden sie auch über Ihre Hoheit Pedro Sanchez Den Dritten und manchmal über ein Buch, das Delia liest und von dem Frankie weiß, dass er es nie lesen wird. Aber hauptsächlich geht es um die Eltern. Wenn die Geschwister wüssten, was auf sie zukommt, würden sie ganz bestimmt über was anderes reden.

In neunzehn Minuten wird Frankie spurlos verschwinden.

Niemand erwartet das, niemand hat es geplant.

So ist das Leben.

An der nächsten Ecke bleiben Delia und Frankie stehen und schauen sich um, als wären sie hier noch nie gewesen. Dabei plappern sie ohne Unterbrechung weiter. Wer sie nicht kennt, könnte denken, sie hätten sich seit Tagen nicht gesehen. Das letzte Mal sahen sie sich heute Morgen um halb acht beim Frühstück. Jetzt ist sechs Stunden später, und der Tag ist zur Größe einer Erbse runtergeschrumpft und passt in jede kleine Hand. Denn genauso sieht Frankie die Tage — eine Menge Erbsen, die alle gleich aussehen und dennoch unterschiedlich sind. Wer darüber nicht redet, der hat nicht wirklich was zu sagen. Aber natürlich kommen die Geschwister auch ohne viel Worte aus. Und das sieht dann so aus:

»Eis?«

»Eis.«

In der Eisdiele sitzen sie am Fenster und blinzeln in die Sonne. Frankie isst drei Kugeln Schokolade, Delia hat einen großen Becher mit Spaghettieis vor sich stehen. Es ist Sommer, wir sind in Berlin, und aus dem Radio dudelt ein Weihnachtslied. Frankie klopft den Rhythmus mit seinem Löffel auf den Rand des Eisbechers und beobachtet dabei seine Schwester. Er ist ungeduldig und will nicht drängeln, aber er drängelt doch ein wenig, denn er wartet schon seit einer Weile darauf, dass ihm Delia seine Frage beantwortet. Aber Delia will ihm nicht die Wahrheit sagen, also sagt sie:

»Mama und Papa werden sich nicht scheiden lassen.«

Frankie legt den Löffel beiseite und kneift die Augen ein wenig zusammen, als würde ihn die Sonne blenden. Oder eine Lüge. Denn die Wahrheit sieht anders aus. Ihre Eltern sind schon seit einer Weile wie zwei Puzzleteile, die nicht zusammenpassen. Der Vater hat sich in eine andere Frau verliebt. Sie heißt Natalie, wohnt am anderen Ende von Deutschland und ähnelt der Mutter kein bisschen.

»Woher willst du wissen, dass sie sich nicht scheiden lassen?«, fragt Frankie.

»Ich weiß es einfach.«

»Delia, das ist doch keine Antwort.«

»Natürlich ist das eine Antwort. Irgendwas Gutes wird passieren, wart’s ab.«

Frankie sieht seine Schwester an, als wäre sie von der Leiter gefallen.

»Wieso siehst du mich so komisch an?«, fragt sie.

»Irgendwas Gutes passiert zwar immer«, sagt Frankie. »Nur nicht uns.«

»Auch uns.«

»Gib mir ein Beispiel.«

Delia muss nicht lange nachdenken.

»Als dir der Junge die Mütze geklaut hat. Erinnerst du dich?«

Frankie nickt, er erinnert sich. Es ist gerade mal ein Jahr her. Er stand an der Bushaltestelle, da fuhr ein Junge auf dem Rad an ihm vorbei und hat sich seine Mütze geschnappt.

»Du bist dem Jungen hinterhergerannt«, spricht Delia weiter, »und was geschah dann?«

Frankies Augen leuchten auf.

»Ich bin Ihrer Hoheit Pedro Sanchez Dem Dritten begegnet!«, sagt er.

»Richtig, du hast deinen verrückten Hamster gefunden.«

»Aber … das war doch Zufall.«

»Nein, Frankie, das war etwas Gutes, was dir passiert ist, weil dir vorher was Blödes passiert ist.«

»Ach.«

Nachdem der Junge ihm die Mütze gestohlen hatte, rannte ihm Frankie hinterher und kam nicht weit, denn nach fünfzig Metern ist er über Ihre Hoheit Pedro Sanchez Den Dritten gestolpert. Der Hamster hockte unter einer leeren Brötchentüte und schaute vorsichtig hervor. Keine Ahnung, wer einen Hamster auf dem Bürgersteig aussetzt. Vielleicht ist der Hamster aber auch ausgebrochen, hat die Käfigtür aufgestemmt und seine Flucht schon seit einer Weile geplant. Wer weiß. Wie auch immer es der Hamster angestellt hat, Frankie fand ihn auf dem Bürgersteig unter einer Brötchentüte und gab ihm den Namen Ihre Hoheit Pedro Sanchez Der Dritte.

»Aber ich habe jetzt eine Mütze weniger«, gibt Frankie zu bedenken.

»So ist das immer«, sagt Delia, »du gibst was her, und dafür bekommst du was zurück.«

Frankie nickt, das versteht er, dann werden seine Augen dunkel, und seine Schwester kann sehen, dass er wieder an die Eltern denkt. Es ist ein wenig, als würde eine Wolke über Frankies Gesicht wandern.

»Manchmal höre ich Mama in der Nacht weinen«, sagt er so leise, dass nur Delia ihn hören kann. »Mama klingt dann wie ein verlorener Geist. Ich glaube, das vergeht nicht so schnell. Wenn man so weint und wenn man so traurig ist, vergeht das vielleicht nie.«

»Mama ist nicht traurig, Frankie, sie ist wütend und sie ist enttäuscht.«

»Weil Papa weggegangen ist?«

»Und weil er sich nie entschuldigt hat.«

»Kein einziges Mal?«

»Kein einziges Mal.«

»Oje.«

»Mama fragt sich jeden Tag, was sie falsch gemacht hat. Das ist …«

»… wie eine Wunde, die nicht heilt«, spricht Frankie für seine Schwester zu Ende.

»Richtig«, sagt Delia.

Frankie denkt nach. Er schiebt den Eisbecher einen Zentimeter nach links, dann schiebt er ihn einen Zentimeter nach rechts, sodass der Eisbecher wieder an derselben Stelle steht. Draußen ist es noch immer Sommer. Frankie will nicht erneut Oje sagen, also stellt er lieber eine Frage:

»Weiß Papa, wie traurig Mama ist?«

»Ich glaube nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil Papa nur an seine neue Biene denkt.«

Frankie lacht.

»Sie ist doch keine Biene«, sagt er. »Sie heißt Natalie, das weißt du doch.«

»Mir egal, ob sie eine Biene oder ein Nilpferd ist, ich mag sie nicht«, gibt Delia ehrlich zu.

Frankie schaut nach draußen und seufzt. Einmal. Wer ihn nicht kennt, denkt sich dabei nichts. Ein Junge eben, der mal seufzt. Wer Frankie aber kennt, der weiß, dass gleich was passieren wird.

»Vielleicht müssen wir was tun«, sagt er.

»Was sollen wir denn tun?«, fragt Delia zurück.

Frankie zuckt mit den Schultern.

»Du hast doch gesagt, irgendwas Gutes wird passieren.«

»Und?«

»Vielleicht müssen wir was Gutes passieren lassen.«

»Zum Beispiel?«

»Ich könnte mit Papa reden.«

Delia verspürt einen kleinen Stich in ihrem Herzen. Sie ist eine liebevolle Schwester und will sich rüberbeugen und ihren kleinen Bruder über den Tisch zu sich ziehen, ihn umarmen und ihm versprechen, dass alles gut wird. Gut und besser und dann noch besser. Sie will aber keine Halbwahrheiten mehr von sich geben, deswegen sagt sie, was sie denkt:

»Brüderchen, er wird dir nicht zuhören.«

Frankie ist entrüstet.

»Natürlich wird mir Papa zuhören!«

»Das ist sehr unwahrscheinlich«, sagt Delia.

Frankie wird kleinlaut.

»Wie unwahrscheinlich ist es denn?«

Delia schaut auf die Tischplatte und auf die Karte mit den Spezialitäten des Cafés.

»So unwahrscheinlich, als würdest du vier Milchshakes hintereinander trinken«, sagt sie und lacht über ihren Vergleich. Sie hätte nicht lachen sollen. Frankie rutscht von der Sitzbank und geht zur Kellnerin, die an der Theke lehnt und auf ihrem Handy herumtippt, als müsste sie ein Rätsel lösen. Delia hört nicht, was Frankie sagt, sie sieht die Kellnerin nur lächeln, dann nickt sie und Frankie kehrt zurück zum Tisch.

»Alles geklärt«, sagt er.

Schauen wir uns doch mal Frankie und seinen Modegeschmack ein wenig näher an. Auf seinem T-Shirt ist ein tanzender Frosch abgebildet, der einen Zylinder auf dem Kopf hat und so breit grinst, dass man all seine Goldzähne sehen kann. Dazu trägt Frankie diese komischen Hosen, die er sich vor einem Monat selbst ausgesucht hat. Er ist durch das Kaufhaus marschiert und vor einem der Kleiderständer stehen geblieben. Eine Weile blätterte er durch die Hosen, als wären sie Seiten in einem Buch, das er schon mal gelesen hat. Dann riss Frankie plötzlich die Augen weit auf und pickte eine der Hosen heraus. Mit ihr marschierte er zu seiner Mutter, die mit Delia an der Kasse wartete.

»Die nehme ich«, sagte Frankie.

Die Verkäuferin drehte die Hose von links nach rechts und sagte:

»Das ist eine Fehlproduktion, ich hole dir eine andere Hose in der gleichen Größe.«

Frankie schüttelte den Kopf.

»Nein, die nehme ich«, wiederholte er ganz ruhig.

»Aber …«

Die Verkäuferin hielt die Hose hoch, damit es jeder sehen konnte.

»… eine der Taschen ist auf dem Knie.«

Es stimmte, aus irgendeinem Grund war eine der Hosentaschen auf das rechte Knie genäht worden.

»Kein Problem«, sagte die Mutter, »wir nehmen genau diese Hose.«

»Sind Sie sicher?«, fragte die Verkäuferin.

»Ganz sicher«, sagte Frankie.

Als er dann die Hose seinem besten Freund Lars gezeigt hat, fragte Lars, ob er Knieschmerzen hätte.

Frankie sah an sich herab und schüttelte den Kopf.

»Warum trägst du dann einen Knieschoner?«, fragte Lars.

»Das ist doch kein Knieschoner«, sagte Frankie, »das ist eine Tasche. Pass mal auf.«

Er hockte sich hin, und die Tasche auf seinem Knie öffnete sich wie die geheime Tür eines Tresors. Natürlich wollte Lars sofort die gleiche Hose haben, doch so sehr sie auch suchten, in dem Kaufhaus gab es nur noch normale Hosen und keine einzige Fehlproduktion mehr. Aus diesem Grund muss Delia immer grinsen, wenn sie Frankie in seinem T-Shirt und diesen komischen Hosen herumspazieren sieht.

»Warum grinst du?«, fragt Frankie und rutscht wieder auf die Sitzbank.

»Einfach so«, sagt Delia.

Frankie faltet die Hände vor sich auf dem Tisch wie ein Bankangestellter, der sich auf sein Frühstück freut.

»Was hast du getan?«, will Delia wissen.

»Was Unwahrscheinliches«, antwortet Frankie.

Fünf Minuten später stehen vier Erdbeershakes vor ihm.

Zehn Minuten später sind drei der Erdbeershakes leer, und Frankie ist blass im Gesicht.

»Du solltest es nicht übertreiben«, sagt Delia.

Frankie rülpst.

»Wenn du mir nicht glaubst, muss ich übertreiben, damit du mir glaubst«, sagt er und schließt die Hände um das letzte Glas. Er beugt sich vor und beginnt mühevoll, den vierten Shake durch den Strohhalm zu trinken. Delia sieht, wie schwer es ihm fällt. Aber natürlich leert ihr Bruder das Glas bis auf den letzten Tropfen.

»Ich habe jetzt mehr Milchshake als Blut im Körper«, sagt er.

Seine Schwester beugt sich vor, sie schütteln Hände, als hätten sie ein gutes Geschäft abgeschlossen.

»Ich bin beeindruckt«, sagt Delia. »Jetzt kenne ich jemanden, der hintereinander vier Erdbeershakes getrunken hat, um zu beweisen, dass alles möglich ist.«

»Nicht schlecht, oder?«

»Gar nicht mal so übel, Brüderchen.«

»Und jetzt …«

Frankie rutscht von der Sitzbank.

»… muss ich pinkeln.«

Er verschwindet in Richtung der Toiletten, während Delia auf die leeren Gläser starrt und den Kopf verwundert schüttelt.

Die Kellnerin kommt an den Tisch.

»Er hat es wirklich getan«, sagt sie.

»Er hält immer sein Wort«, sagt Delia.

»Soll ich ihm noch einen Shake hinstellen, damit wir sehen, was passiert?«

»Lieber nicht, sonst trinkt er den auch noch leer.«

Die Kellnerin räumt die Gläser ab, während Delia aus dem Fenster schaut und eine Frau beobachtet, die zwei Hunde quer über die Straße hinter sich herzieht. Die Frau hat dabei keinen Spaß, die Hunde auch nicht. Und wie Delia da sitzt und rausschaut und sich fragt, wie ihr Vater so blöd sein kann, ihre Mutter nicht mehr zu lieben, bekommt sie ein komisches Gefühl im Bauch.

Als würde sie auf einem Zehnmeterbrett stehen und sich wundern, wieso sie da raufgestiegen ist.

Delia sieht zu den Toiletten.

Frankie kommt nicht raus.

Delia zählt bis hundert.

Dann bis zweihundert.

Dann steht sie auf und öffnet die Toilettentür.

»Frankie?«

Niemand ist zu sehen, alle zwei Kabinen sind leer.

»Frankie, bist du wieder unsichtbar?«, fragt Delia.

Und dann sieht sie, dass das Fenster über einem der Klos weit offen steht.

Frankie ist nicht unsichtbar, er hat die Fliege gemacht.

Wie Frankie unsichtbar wurde

Damit ihr versteht, warum Delia dachte, Frankie wäre wieder unsichtbar, gehen wir jetzt zwei Jahre zurück. Frankie war damals acht, und es war eine tolle Zeit. Jeden Tag erfand er etwas Neues, jeder Tag hatte seinen ganz eigenen Zauber, und jeder Tag endete mit einem Wunder. Auch dieser Tag. Frankie stürmte in Delias Zimmer, breitete die Arme aus und sagte:

»Guck mal, ich bin unsichtbar!«

»Sehr witzig«, sagte Delia.

»Wieso ist das witzig?«

»Weil ich dich sehen kann.«

Frankie schaute an sich herab und sah seine Schwester wieder an.

»Du sollst mich ja auch sehen«, sagte er.

»Wenn ich dich sehe, bist du nicht unsichtbar.«

»Nee, ich bin unsichtbar für alle anderen«, korrigierte sie Frankie. »Ich mach mich doch nicht unsichtbar für meine Schwester, das wäre ja doof. Denn wenn du mich nicht siehst, macht es keinen Sinn, unsichtbar zu sein.«

»Du redest Blödsinn«, sagte Delia.

»Warte mal«, sagte Frankie und rannte wieder aus dem Zimmer.

Delia hörte ihn im Flur rumoren, dann kehrte er zurück.

»Wieso trägst du Turnschuhe?«, fragte sie.

»Weil ich dir beweisen werde, dass ich unsichtbar bin«, antwortete Frankie. »Komm schon.«

Eine Viertelstunde später liefen sie durch die Stadt.

»Erst mal will ich ins Kino«, sagte Frankie und spazierte auf das Kino zu. Die Kasse war geschlossen, denn die Nachmittagsvorstellung hatte schon begonnen. Nur im Foyer stand der Kartenabreißer vor der Tür zum Kinosaal und hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, als wäre er ein strenger Lehrer, der keinen durchlässt.

Frankie spazierte an ihm vorbei und verschwand im Saal.

Delia glaubte es nicht.

Als sie Frankie folgen wollte, hob der Kartenabreißer eine Hand.

»Nicht so schnell«, sagte er. »Ticket, bitte schön.«

»Warum hast du meinen Bruder nicht nach seinem Ticket gefragt?«, wollte Delia wissen.

»Welchen Bruder?«, fragte der Kartenabreißer.

Delia drehte sich um und ging aus dem Kino.

Frankie kam zehn Minuten später raus.

»Der Film war sooo langweilig«, sagte er.

»Das ist nicht lustig«, sagte Delia. »Habt ihr euch abgesprochen?«

Frankie gab sich nicht einmal Mühe, ihr zu antworten.

»Jetzt habe ich Hunger«, sagte er.

Im Supermarkt nahm sich Frankie einen Schokoriegel. Er blieb vor der Kasse stehen, packte den Schokoriegel aus und biss ab. Delia traute ihren Augen nicht. Ihr Bruder futterte den ganzen Schokoriegel vor der Nase der Kassiererin weg und schmatzte dabei, als würde es nichts Besseres auf der Welt geben, als einen Schokoriegel vor der Nase einer Kassiererin wegzufuttern. Die Kassiererin blickte kein einziges Mal auf. Sie feilte ihre Nägel und beobachtete ihr Handy, als könnte es jeden Moment davonfliegen.

»Dann gehe ich mal«, sagte Frankie und trat nach draußen.

»Echt jetzt?«, fragte Delia die Kassiererin.

»Echt jetzt was?«, fragte die Kassiererin zurück.

Delia holte ihren Bruder ein.

»Das war Diebstahl«, sagte sie.

»Nee, das war unsichtbar sein.«

»Aber, Frankie, wie geht das?«

»Ohne viel nachzudenken«, antwortete Frankie. »Ich bin einfach nicht da.«

Auf dem Rummel fuhr Frankie sechzehn Mal umsonst mit dem Karussell, während Delia ihm zuschaute und sich wunderte, ob sie langsam verrückt wurde. Frankie holte sich kostenlos eine dicke Portion Zuckerwatte, er kniff einen dicken Mann in den Hintern und betrat dann einen Würstchenstand, schnappte sich ein Würstchen vom Grill, kippte eine Ladung Ketchup drauf und verließ wieder den Würstchenstand. Acht Leute standen in der Schlange, zwei Frauen standen hinter der Theke, und niemand sagte was.

Danach wollte Frankie in den Zoo.

Nicht nur spazierte er einfach in den Zoo hinein, ohne eine Karte zu kaufen, er kletterte auch zu den Flamingos in das Gehe-ge, denn da wollte er schon immer mal hin. Doch die Flamingos waren ihm zu langweilig, also marschierte er zum Löwenkäfig und quetschte sich durch die Gitterstäbe. Delia war kurz davor, eine Panikattacke zu bekommen. Sie rief Frankie zu, er solle zurückkommen. Frankie dachte nicht daran, und der Löwe sah es auch nicht so eng. Er ließ sich kein bisschen davon stören, dass Frankie an seinen Ohren herumzupfte und ihm auf die Schulter klopfte, als wären sie alte Kumpels. Dann legte sich der Löwe hin, Frankie legte sich zu ihm und benutzte ihn als Kopfkissen.

Und beide schliefen ein.

Und Delia stand vor dem Käfig und überlegte sich, was sie wohl machen würde, sollte der Löwe anfangen, ihren Bruder zu fressen. Der Löwe schlief eine halbe Stunde lang friedlich, dann richtete er sich auf, und Frankie verlor sein Kopfkissen und wurde auch wach. Der Löwe musste pinkeln und hockte sich neben einen Felsen. Eine Familie spazierte vorbei und zeigte auf den Löwen, dem es natürlich peinlich war, dass ihm jemand beim Pinkeln zusah. Frankie stellte sich neben den Löwen und pinkelte gegen den Felsen. Auf ihn zeigte keiner. Danach quetschte sich Frankie wieder durch die Gitterstäbe, als wäre es das Normalste der Welt, im Zoo von einem Käfig zum anderen zu spazieren und die Tiere zu besuchen.

Erst als Delia und Frankie bei Lars vor der Tür ankamen, wurde alles anders.

»Mal sehen, wie Lars gucken wird«, sagte Frankie und klingelte.

Delia war auch gespannt.

Lars öffnete die Tür, sah Delia an, sah Frankie an und sagte:

»Was ist passiert?«

»Ich bin unsichtbar«, sagte Frankie.

»Hahaha, ich auch«, sagte Lars. »Soll ich dir mal zeigen, was ich eben gebaut habe?«

»Klaro«, sagte Frankie und spazierte ins Haus.

Die Tür fiel zu.

Delia stand draußen und war das erste Mal in ihrem Leben auch unsichtbar.

Wie Frankie die Dinge passieren lässt

Delia wünscht sich sehr, Frankie hätte sich heute nur