Frau auf Tour - Annette Kurth - E-Book

Frau auf Tour E-Book

Annette Kurth

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Beschreibung

1978 machte die Autorin den Motorradführerschein. Zum eigenen Motorrad, einer kleinen Suzuki 450 GS, kam sie aber erst 10 Jahre später. Ein Schlüsselerlebnis war für sie die erste mehrtägige Tour in die Schweiz. Danach stand fest: ein Leben ohne Motorrad ist nicht mehr möglich! Von Lillehammer bis Marbella, von Saint Malo und Santander bis Riga und Skopje durchkreuzte sie Europa allein mit ihrem Motorrad. Auf ihren Touren gab es viele schöne Erlebnisse und zahlreiche Begegnungen mit Menschen aus den verschiedenen Ländern. Und immer, wenn sie meinte, es geht nicht weiter, kam irgendjemand aus dem Nichts zur Hilfe, ob es in Griechenland mit der kaputten Ölkappe oder in den Masuren mit dem leeren Tank war. Spannende, mit viel Humor und Lebensfreude erzählte Geschichten und Anekdoten laden ein zu einem Lese-Tourenprogramm durch Europa.

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Annette Kurth ist 1960 in Duderstadt, einer kleinen Stadt am Rande des Harzes, in Niedersachsen geboren. Sie hat in Göttingen Sozialwissenschaft studiert und machte 2000 ihren Master-Abschluss im Management von NGOs. Seit 2017 lebt die Autorin in Weilheim in Oberbayern.

Ihren Motorradführerschein machte sie 1978. Das Reisen mit dem Motorrad entdeckte sie 1989 auf dem Weg in die Schweiz über die Alpenpässe.

Inhalt

I. Einleitung

II. Von der Idee zum Motorradführerschein bis zur Suzi

III. Erste Erlebnisse mit der Suzi 450 GS von 1987 bis 1992

IV. Touren mit der Suzi 450 GS

1. Mit Aufwind in die Schweiz 1989

2. Vorschuss in Frankreich 1990

3. „Die Grenze ist offen“ – In die ehemalige DDR 1991

4. „Und immer war die Fähre da!“ - Der Norden 1992

5. Abschied von der Suzi 450 GS

V. Unterwegs ohne Suzi – Italien 1993

VI. Durch Dick und Dünn mit der Bandit 600 von 1995 – 2008

1. Spanien 1996

2. Griechenland 1997

3. Kroatien 1998

4. Ungarn 2002

5. Benelux-Länder 2003

6. Tschechien 2005 und Slowakei 2006

7. Polen und Baltikum 2008

VII. Fahrspaß mit der Bandit 1200 – von 2009 bis 2016

1. Italien 2009

2. „Da fahren wir mal kurz hin!“ – Die Alpen

3. Meine Suzi 1200 und die Frauen

4. Osteuropa 2013

5. Pyrenäen 2016 – Abschied von der Bandit

VIII. Mit der Suzi V-Strom 1000 unterwegs ab 2017

1. Eins mit der Suzi V-Strom 1000

2. Südosteuropa 2019

IX. Nachwort

I. Einleitung

Ich habe nun schon die 60 Jahre-Alters-Marke überschritten und mit jedem neuen Lebensjahr frage ich mich, was rückblickend mein Leben besonders bereichert hat.

Da gibt es viele Antworten: sinnvolle Arbeit, nette Begegnungen, gute Freundinnen, interessante Männer und schöne Abende in geselliger Runde. Doch wenn ich richtig in mich gehe, dann komme ich immer nur auf die eine Antwort: es ist das Motorrad fahren!

Das Motorrad fahren hat mich von der Kindheit bis ins Alter begleitet. Als Kind saß ich auf der ausgemusterten BMW R 25 meines Vaters, 1978 machte ich mit 18 Jahren als eine der ersten Frauen im Landkreis Göttingen den Motorradführerschein und seit 1987 erobere ich Straßen und Länder in Europa mit meinen Suzis. Angefangen hat alles mit einer kleinen Suzuki 450 GS.

Meine Begeisterung für das Motorrad fahren ist ungebrochen. Oft frage ich mich, warum ich mir all die vielen Strapazen angetan habe und heute noch antue. Stets komme ich zu dem Schluss: Motorrad fahren ist nicht einfach von A nach B fahren. – Es ist ein Lebensgefühl! Jedes Mal, wenn ich mich auf das Motorrad setze und den Motor starte, überkommt mich ein unbändiges Gefühl von Freiheit. Bis auf eine Ausnahme war das Motorrad immer eine Suzuki.

Über die Jahre ist das „Mit der Suzi auf Tour gehen“ zum Lebenselixier für mich geworden. Dabei war ich auf den Touren allein unterwegs und stand vor zahlreichen Herausforderungen, die es anzunehmen und zu bewältigen galt. Ich habe Situationen erlebt, die ein wenig Angst einflößend waren, doch immer machte sich eine Tür auf und weiter ging es bis zur nächsten Etappe. Nie habe ich mich auf den Touren von Menschen bedroht gefühlt, nie ist mir Schaden zugefügt worden. Das Gegenteil ist stets der Fall gewesen. In jedem Land haben mir Menschen ihre Gastfreundlichkeit gezeigt und ihre Hilfe angeboten.

Auf die Idee ein Buch über meine Erlebnisse zu schreiben brachten mich Verwandte und Bekannte, Freundinnen und Freunde. Immer wenn ich ihnen von meinen Tourenerlebnissen erzählte, dann bekam ich zu hören: „Annette, das musst Du aufschreiben!“

Irgendwann habe ich mich schließlich in der Zeit der Corona-Sperrstunden-Abende an den Computer gesetzt. Ich schrieb meine Touren Seite für Seite auf. Das Ergebnis ist dieses Buch.

Bei der Rekonstruktion der Erlebnisse musste ich oft selbst schmunzeln. In den neunziger Jahren waren weder Internet noch Navi im Alltag präsent, von einem Smartphone ganz zu schweigen. Ich bin meist auf „blauen Dunst“ losgefahren und das bescherte mir die abenteuerlichsten Erlebnisse und Begegnungen. Oft habe ich mich verfahren und stand vor der Herausforderung, wieder den richtigen Weg zu finden. Meist bin ich deshalb mehr Kilometer gefahren, als meine Routenplanberechnungen ergeben hatten. Aber dafür habe ich mehr erlebt, als Landkarte und Routenplaner mich hätten sehen lassen.

Ich habe viele Gebiete Europas mit meinen Suzuki-Motorrädern erobert. Mit Westeuropa fing alles an. Dann zog es mich mehr und mehr in Richtung Osten. Meine Suzis haben mich dabei nie im Stich gelassen. Sie liefen und ich fuhr – eine optimale Aufgabenaufteilung! Da ich keine Schrauberin bin, hätte ich ein Motorrad, das nicht zuverlässig läuft, auch gar nicht gebrauchen können.

Oft werde ich gefragt, warum ich allein auf Tour gegangen bin. Das hat mehrere Gründe. Erstens wollte ich mich nicht ständig, meist von männlicher Seite, belehren lassen, wie ich die Kurve hätte besser fahren können. Zweitens war ich unabhängig und konnte den Blinker setzen wann, wo und wie ich wollte. Und drittens kam ich auf der Tour oftmals mit Menschen in Kontakt, denen ich möglicherweise zu zweit oder in der Gruppe nie begegnet wäre.

Leider habe ich anfänglich bei meinen Touren keine Fotos gemacht. Ich dachte, ich würde alle Bilder im Kopf-Kino abspeichern können. Heute, im Alter, weiß ich, dass die Jahre schnell vergessen lassen. Meine Geschichten werden deshalb erst ab 2002 mit Fotos ein wenig dokumentiert.

„Frau auf Tour“ – Mit dem Motorrad kreuz und quer durch Europa ist nicht als Reiseführer gedacht und als solcher von mir geschrieben worden.

Meine Geschichten erzählen auch nicht über außergewöhnliche und weltbewegende Abenteuer. Es sind kleine Anekdoten, die Lebensfreude wecken und vielleicht abends als Betthupferl ein wenig schmunzeln lassen.

Viel Spaß beim Lesen!

II.Von der Idee zum Motorradführerschein bis zur Suzi 450 GS

Von der Idee den Motorradführerschein zu machen

Motorrad fahren war für mich schon immer cool. Als Kind hatte ich ein kleines oranges Fahrradmotorrad, im Jugendalter mussten meine Freunde mindestens eine Quickly oder ein anderes Moped haben, um in die engere Wahl zu kommen. Ich machte Trockenübungen auf der alten BMW meines Vaters und je mehr sich mein 18ter Geburtstag näherte, desto unbändiger wuchs in mir die Idee, als eine der ersten Frauen im Landkreis Göttingen den Führerschein für das Motorrad zu machen.

Damals, also 1978, gab es den Motorradführerschein mit drei Fahrstunden und Prüfung für 150,– DM! Dieser Preis galt für Menschen ab 18 Jahren und war unabhängig vom Geschlecht. In den Räumen der Fahrschulen saßen allerdings zur damaligen Zeit nur junge Männer. In den siebziger und achtziger Jahren war der Motorradführerschein für die meisten weiblichen Wesen noch jenseits von Gut und Böse.

In meinem Landkreis gehörte ich zu den ersten Frauen, die es wagte, die Männerdomäne „Motorradführerschein“ zu betreten. Den Mut dazu gab mir ausgerechnet ein Mann, nämlich mein Vater.

Mein Vater war damals, Anfang der 50er Jahre, stolzer Besitzer einer BMW R 25. Dieses Motorrad machte mit seinen 24 PS einen höllischen Lärm. Meine Mutter erzählte mir später einmal, dass sie das Motoren-Geknatter seiner R 25 schon auf 10 km Entfernung hören konnte. Die BMW wurde leider Opfer der Lebenslust und Tollkühnheit meines Vaters.

In den damaligen Zeiten brachten die Kavaliere an den Samstag-Ausgeh-Tagen ihre Liebsten am Abend stets nach Hause, also bis vor die Haustür ihres Elternhauses. In den meisten Fällen hatte das spätestens bis 22.00 Uhr zu erfolgen. Danach ging für viele der jungen Kerle die Gaudi erst richtig los. Sie trafen sich in der Dorfkneipe an der Theke, um den Abend zu begießen. Da mein Vater der Lebenslust nicht abgeneigt war, hatte er sich solche Theken-Events niemals entgehen lassen.

An einem dieser besagten Thekenabende im Jahr 1951 beim Schützenfest im Nachbarort ließ es mein Vater fürchterlich krachen. Er war überglücklich die Frau seines Herzens, sie sollte später meine Mutter werden, erobert haben zu können. Mit seinen Kumpels trank er an der Theke mehrere „Kurz und Lang“, so lautet die Bezeichnung, wenn in Norddeutschland Schnaps und Bier hintereinander weggetrunken werden.

Am Ende der Feier trat der noch im Liebestaumeln wandelnde und leicht angetrunkene Junggeselle schließlich den Heimweg mit seiner einzigartigen BMW R 25 an. Doch das Motorrad wollte seinen Fahranweisungen einfach nicht folgen. Daraufhin traf mein Vater eine folgenschwere Entscheidung. Er spielte die beleidigte Leberwurst, verschränkte beide Arme unter der Brust und sagte zu seiner R 25: „Wenn Du nicht so willst, wie ich, dann fahr doch allein!“ Damit fand dieses wunderschöne Motorrad sein Ende im Straßengraben. Von diesem Zeitpunkt an fristete die R 25 ihr Dasein unter einer Plane auf dem Lagerboden meines späteren Elternhauses – fahruntüchtig und aufgebockt.

Als ich die BMW als Kind unter der Plane entdeckte, war das Bike völlig eingestaubt. Ich fegte und wischte Spinngewebe und Staub beiseite, setzte mich auf das Motorrad und so wurde die R 25 in meiner Kindheit zu meinem liebsten Spielzeug.

Früh übte ich mich als Rennfahrerin und ahmte Fahrsituationen nach. Die R 25 konnte auf dem Hochständer meinen Kurvenneigungen zwar nicht folgen, doch das störte mich in meiner kindlichen Fantasie herzlich wenig. Auch den Motor brauchte ich nicht. Perfekt konnte ich den unglaublichen Sound einer BMW mit stolzen 24 PS nachmachen.

Von diesen fantastischen und fantasievollen Motorraderlebnissen geprägt, war mein Weg vom Trecker-, Moped- bis hin zum Motorradführerschein vorgezeichnet.

Die Idee, den Motorradführerschein zu machen, wuchs in mir und ließ mich auch im Jugendalter nicht los. Kurz vor meinem 18ten Geburtstag verkündete ich meinen Eltern, dass ich nicht nur den Auto-, sondern auch den Motorradführerschein machen werde. Zur damaligen Zeit war das schon eine Ansage!

Meine Mutter, wenig erfreut über diese Nachricht, ahnte, was ich im Schilde führte. Ich plante nämlich bei schlechtem Wetter mit dem Auto meiner Eltern zu fahren. Diesen Plan hatte meine Mutter sofort durchschaut.

„Unser Auto kriegst Du nicht!“ – Der Motorradführerschein und seine abschreckende Wirkung

Als ich damals im Kindesalter auf der fahruntüchtigen BMW meines Vaters saß, durchfuhr ich tollkühn in meiner Fantasie jede Kurve im Umkreis von 50 km. Ich war begeistert vom Motorrad fahren.

Von diesem Zeitpunkt an stand für mich fest: ich mache mit dem 18ten Lebensjahr den Motorradführerschein! Schon damals sah ich mich auf dem Motorrad sitzen, wie ich Gas gebe und einen astreinen Kavaliersstart hinlege. Das Einzige, was meine Begeisterung für das Motorrad fahren ein wenig drückte, war der Gedanke: „Was mache ich bei Regen, Schnee und Kälte?“

Die Winter in Niedersachsen sind in den 70er Jahren feucht und kalt gewesen. Folge dessen brauchte ich neben dem Motorrad einen fahrbaren Untersatz mit Dach über dem Kopf. Das Auto meiner Eltern schien mir als alternatives Fortbewegungsmittel bei schlechtem Wetter als besonders geeignet. Meine Mutter ahnte schon im Vorfeld, was ich im Schilde führte. Als ich verkündete, dass ich den Motorradführerschein machen wolle, reagierte sie blitzschnell und entgegnete: „Unser Auto kriegst Du nicht!“ Dieser Satz sollte mich verfolgen.

Meinen Motorradführerschein machte ich im November und Dezember 1978. Es war ein unglaublich kalter Winter und so wurde ich gleich mit den Härten des Motorradfahrens konfrontiert. Damals als Schülerin hatte ich kein Geld für eine Motorradkleidung, geschweige denn für eine Winter-Ausstattung. Erstmals musste ich erfahren, wie es ist, in einem einfachen Jeansanzug eiskaltem Fahrtwind und Schneeregen ausgesetzt zu sein. Nach nicht einmal einer Stunde auf dem Motorrad spürte ich meine Gliedmaßen nur noch ansatzweise. Ich gewann eine Vorstellung darüber, wie kalt Handflächen und Finger werden können. Zum Glück waren damals nur zwei Fahrstunden Pflicht. Bei der Prüfungsstunde hatte der Fahrlehrer Erbarmen mit mir. Ich brauchte nur zwei Runden zu drehen. Eine Vollbremsung war auf der vereisten Fahrbahn ohnehin nicht möglich.

Während der Prüfungsstunde auf dem Motorrad ging mir ständig der Spruch meiner Mutter durch den Kopf: „Unser Auto kriegst Du nicht!“ In mir kamen Bilder eines wohligen Fahrgefühls im Auto auf. Ich saß hinter dem Lenkrad einer Nobelkarosse, die Heizung lief, die Schneeflocken rieselten leise und sanft auf das Autodach nieder. Noch während der Prüfungsstunde sehnte ich mich nach so einem zweiachsigen Fahrgestell mit verschlossener Fahrerkabine und Heizung. Damit hatte der Motorradführerschein für mich eine abschreckende Wirkung. Erfrieren wollte ich nicht!

Das war dann wohl der Wink des Schicksals, denn der Wunsch nach einem Fahrzeug mit gut funktionierender Heizung sollte wenig später mehr als in Erfüllung gehen. Zum achtzehnten Geburtstag kaufte ich mir statt eines Motorrads ein Auto. Es war ein VW-Käfer mit dem üblichen Problem, dass die Heizung nie funktionierte. Sie lief zuverlässig auf vollen Touren und war einfach nicht auszustellen. Im Winter empfand ich das als sehr angenehm, im Sommer kochte ich vor Hitze hinter dem Lenkrad.

Nach diesen Erlebnissen ließ mein erstes Motorrad acht Jahre auf sich warten. Unglaublichen Umständen habe ich es zu verdanken, dass ich ab meinem 27sten Lebensjahr wunderschöne Erlebnisse mit dem Motorrad haben durfte. Eine Suzuki 450 GS veränderte mein Leben.

„Meine Suzi 450 GS“ – Der absolute Deal

Ein Auto kann unglaublich gemütlich sein. Wenn es draußen kalt ist und der Regen gegen die Frontscheibe prasselt, dann ist im Auto von diesem Wetter nichts zu spüren. Die Heizung läuft, es ist trocken und warm, Scheibenwischer und Gebläse sorgen für gute Sicht. All das gibt es beim Motorrad nicht!

Bei unzähligen Fahrten auf dem Motorrad in eisiger Kälte und bei strömenden Regen habe ich mich gefragt: „Annette, warum tust Du Dir das an?“ Bis heute gibt es darauf für mich nur eine Antwort: „Motorrad fahren musst Du wollen!“

Motorrad fahren ist kein Fahren im Sinne von Sich-Fortbewegen. Motorrad fahren ist ein Lebensgefühl und kann zum Lebenselixier werden. Das gilt für mich auch heute, 35 Jahre später, immer noch.

Dabei bin ich nach meinem Führerschein-Erlebnis bei Eiseskälte lange Zeit gar nicht gefahren. Erst acht Jahre später sollte ich zum Motorrad zurückfinden.

Die Androhung meiner Mutter „Unser Auto kriegst Du nicht!“ hatte bei mir Spuren hinterlassen. Nach der Motorradführerscheinprüfung bei Schneeregen und vereisten Straßen wollte ich niemals bei Wind und Wetter auf ein Motorrad als einziges Fortbewegungsmittel angewiesen sein. Deshalb fuhr ich Auto. Das Motorrad fahren geriet mehr und mehr in Vergessenheit – bis mich besondere Umstände wieder einholten.

Ich war Zeit meines Lebens weder privat noch beruflich eine Stubenhockerin. Stets führte ich ein Leben auf Achse. Bis zu meinem 27sten Lebensjahr gestaltete sich dieses Leben überwiegend auf zwei Achsen und vier Rädern, nämlich mit dem Auto. Aber dann kam die Suzi!

Ich musste dringend zu einem Termin, setzte mich in mein Auto – nichts ging. Die alte Karre wollte einfach nicht mehr anspringen! Der Anlasser streikte wieder einmal. Ich eilte zur Auto-Werkstatt meines Kumpels, namens Dieter. Er sagte mir, dass der Anlasser nun endgültig hinüber sei. Monatelang hatte ich bei meinem alten Diesel die Motorhaube aufgeklappt, mit einem Eisenstab gegen den Anlasser gehauen und schon sprang die Kiste an. Jetzt lief dieser Trick nicht mehr. Eine Reparatur war fällig, und das sollte erst in der nächsten Woche möglich sein. Verzweifelt lenkte ich mein Auto im Schlepptau zur Werkstatt in der Hoffnung, dass Dieter ein Ersatz-Auto für mich hatte. In der Werkstatt erlebte ich in Sachen Ersatz-Auto gähnende Leere. Kein fahrbereites Auto war weit und breit in Sicht. Dann sah ich sie: die Suzuki 450 GS! Sie stand einsam und verlassen in einer Ecke und wartete nur darauf, dass ich kam, um den Schlüssel herumzudrehen.

Meine Augen blinzelten und ich fragte Dieter: „Was ist mit der Suzi da drüben in der Ecke?“ Sein Blick fiel beschämt zu Boden. Er offenbarte mir die Wahrheit: „Ich habe die Maschine in Zahlung genommen, weil ich den Motorradführerschein unbedingt machen will. Vom täglichen Anblick des Motorrads erhoffe ich mir, dazu motiviert zu werden. Leider ist der Funke noch nicht übergesprungen.“

Nun – ein wenig chaotisch und zickzack-denkend war Dieter schon immer. Seine Gedankengänge überraschten mich deshalb nicht unbedingt. Für meinen Teil konnte ich sagen, dass der Funke bei mir sofort übersprang.

Ich erfasste die Lage und ergriff meine Chance. Ich hörte mich sagen: „Mensch Dieter, mein Termin drängt. Die Suzi steht nutzlos in der Ecke herum, der Schlüssel steckt, am Kleiderhaken hängen Lederkombi und Helm, das rote Nummernschild ist schnell montiert. Gib mir alles und ich bin weg!“ Anscheinend wurde Dieter von der Aussicht, mich los werden zu können, angetrieben. Ohne Widerrede rückte er seine Motorradkleidung-Habseligkeiten heraus und schraubte das rote Nummernschild an. Plötzlich bekam ich Angst vor meiner eigenen Courage. Da stand ich in voller Montur vor der fahrbereiten Suzi und überlegte, ob ich nicht doch lieber den Rückzug antreten solle. Ich war acht Jahre nicht mehr gefahren. Schließlich sagte ich zu mir: „No risk, no fun!“

Wenig später übte ich auf einem Parkplatz in einer übergroßen Lederkombi und einem Helm, der mir tief ins Gesicht fiel, das „Motorrad-Achten-Fahren“. Es lief gar nicht schlecht und so ging es schon nach zwei Versuchen auf die Landstraße, zunächst mit einer berauschenden Geschwindigkeit von 70 km/h. Auf dem Rückweg war ich schon mutiger mit 90 km/h auf gerader Strecke unterwegs. Damit war es um mich geschehen: Von diesem Tag an ließ mich das Motorrad fahren nicht mehr los.

Ich fuhr mit der Suzi in der Region und in der Stadt herum. Es bereitete mir unglaublichen Spaß, an den vor der roten Ampel stehenden Autos auf der Mittellinie vorbeizufahren, mich vor deren Nase zu setzen, um dann bei Grün den 48 PS -Motor aufheulen zu lassen.

Meine erste Tages-Tour ging in diesen Anfangszeiten in den 70 km entfernten Harz. Da ich meine Erinnerung an die Kälte auf dem Motorrad während meiner Führerscheinprüfung noch in mir trug, verpackte ich mich rundum. Zum Glück war in Dieters Lederkombi viel Platz für mehrere Schichten an Kleidung. Eigentlich konnte ich mich gar nicht mehr richtig bewegen, aber das war mir egal: Frieren auf dem Motorrad! – Das wollte ich nie mehr!

Und dann ging es los! Ich fuhr in Richtung Brocken, der mit über 1.000 m der höchste Berg in Norddeutschland ist. Es ging vorbei an den Talsperren bei Braunlage, durch Laub- und Fichtenwald, entlang an den Flüssen und durch alte Fachwerkhaus-Städte, wie z. B.

Bad Lauterberg und Goslar. Es war Frühjahr und überall lag der Duft von Heu in der Luft. Nach diesem Erlebnis stand für mich endgültig fest: nie wieder ein Leben ohne Motorrad!

Die Fahrt in den Harz war schuld daran, dass ich mit Bauchschmerzen dem erfolgreichen Abschluss der Reparatur meines Autos entgegensah. Die Suzi war in den zwei Wochen eine richtig gute Alltagsbegleiterin geworden. Dieters Anruf mit der Info, mein Auto würde wieder anspringen, erschütterte mich demzufolge zutiefst. Ich sollte meine Freundin, die Suzi, wieder abgeben! Aber dann kam der Deal mit Dieter über die Suzi 450 GS. Diesen kann ich rational bis heute noch nicht nachvollziehen, war mir aber auch nicht so wichtig.

Ich stand vor der Suzi mit Tränen in den Augen. Dieter erkannte meinen Gefühlszustand und sagte: „Annette, ich habe einen Deal für Dich. Ich melde das Motorrad an, Du zahlst die Steuer und Haftpflicht so lange bis ich den Führerschein gemacht habe. Bis zu diesem Zeitpunkt kannst Du die Suzi fahren.“ Ich dachte, ich höre nicht richtig. „Wie, Du meinst, ich nehme jetzt Auto und Suzi mit? Die Suzi bringe ich Dir zurück, sobald Du den Motorradführerschein hast?“ „Ja, dieser Deal ist meine Motivation, die Prüfung zu machen und den Lappen zu bekommen!“, so Dieters Antwort. Mit diesem Deal hatte ich nicht das geringste Problem. Bevor Dieter zur Vernunft kam und es sich eventuell noch einmal anders hätte überlegen können, hob ich die Hand mit den Worten: „Schlag ein! – Der Deal gilt.“

Von diesem Zeitpunkt an fuhr ich eine Suzi 450 GS als Leihgabe! Diese Suzi sollte ich noch weitere fünf Jahre fahren, in den letzten drei Jahren als Besitzerin. Ich kaufte Dieter die Maschine ab. Er machte nie den Führerschein.

Meine Suzi 450 GS

III. Erste Erlebnisse mit der Suzi 450 GS von 1987 - 1992

„Klein anfangen und immer größer werden“ – Unterwegs auf zwei Rädern im Eichsfeld und im Harz

„Klein anfangen und immer größer werden“, nach diesem Motto gestaltete sich der Einstieg in mein Motorrad-Touren-Leben.

Ich hatte eigentlich keine Ahnung vom Motorrad und vom Motorrad fahren. Es fehlten mir Ausstattung, Kenntnisse und Erfahrungen. Für ein paar Deutsche Mark kaufte ich meinem Kumpel, Dieter, die Lederkombi und den Helm ab. Robuste Lederstiefel hatte ich noch im Schrank und für meine Hände dienten die Gore-Tex-Handschuh vom Ski fahren als Schutz. Das musste für den Anfang reichen!

Die Suzi 450 GS hatte mir Dieter so lange zur Verfügung, bis er den Motorrad-Führerschein in der Tasche haben sollte. Ich wusste nicht, ob ich nun wenig oder unendlich viel Zeit hatte, denn bei Dieter war alles möglich. Also machte ich mich jedes Wochenende auf den Weg, um diese einmalige Gelegenheit möglichst intensiv auszukosten. Fast jeden Samstag und Sonntag war ich auf zwei Rädern unterwegs mit meiner Suzi 450 GS.

Anfangs fuhr ich im Umkreis von 100 km durch die Gegend. Meinen Radius sollte ich dann Stück für Stück erweitern. Es ging zunächst durch das Eichsfeld an der Grenze zur DDR entlang. 1987 gab es die deutschdeutsche Grenze noch. Vier Kilometer von dieser entfernt habe ich fünf Jahre lang gewohnt.

Immer wenn ich von meiner Wohnung auf die Hauptstraße abbiegen wollte, dann konnte ich den Blinker nur nach rechts setzen, denn links war die Welt zu Ende. Dort, im Osten, begann Dunkeldeutschland. So nannten die Menschen im Westen Deutschlands die ehemalige DDR, weil weder Farbe an den Fassaden noch Straßenlampen das Leben in den Dörfern östlich der Grenze erhellten. Alles war grau und trist in der ehemaligen DDR. Einzige Ausnahme war Wernigerode. Das war damals schon der Vorzeigeort im Ostharz. Heute ist die Stadt ein kleines Juwel.

Gerne fuhr ich mit der Suzi auf den Pferdeberg bei Gerblingerode. Dort haben mich als Kind meine Eltern und meine Oma mitgenommen. Nach der Grenzschließung verabredeten sich die Familien diesseits und jenseits der Grenze, um sich über Stacheldrahtzäune und Minenfelder hinweg zuzuwinken. Auf beiden Seiten wurden weiße Taschentücher zum Gruß in die Luft geschwungen. Heute erinnert das Grenzmuseum in Teistungen an diese Zeit.

Eine schöne Tour ging auch von Brochthausen nach Pöhlde an der Grenze entlang. Bei Zwinge gab es eine alte Ziegelei, die in ihrem Ruinendasein eine große Faszination auf mich ausübte.

Natürlich bot der Harz in direkter Nähe zahlreiche Ausflugsziele. In Torfhaus auf dem Brocken ist ein Motorradtreff, den alle Motorradfahrerinnen und -fahrer einmal gesehen haben müssen. Das gilt auch heute noch!

Dann traute ich mich nach Kassel zum Herkulesdenkmal und durchquerte das Weserbergland. In Bodenwerda ging ich mit meiner Suzi auf die Fähre, um auf der anderen Seite weiterfahren zu können. Am Edersee im Baunatal befreite ich mich aus der verschwitzten Lederkombi und stürzte mich in das kühle Nass. Es waren wunderschöne Erlebnisse!

Ich fuhr damals als Anfängerin sehr langsam und vorsichtig nach besagtem Motto: „Klein anfangen und immer größer werden.“ Mehr und mehr gewann ich an Sicherheit und desto tollkühner wurde ich. Zum Glück haben mich kleine Stürze auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und verhindert, dass ich in Sachen Motorrad fahren größenwahnsinnig wurde.

„Nie mehr ohne!“ – Erste Stürze

Jeden Monat fuhr ich bei meinem Kumpel, Dieter, vorbei und fragte: „Und – hast Du den Motorradführerschein endlich in der Tasche?“ Jedes Mal verneinte er. Das war für mich stets ein unglaubliches Glückserlebnis. Solange er nicht im Besitz des Führerscheins der Klasse 1 war, durfte ich die Suzi 450 GS weiterfahren. Das war der Deal.

Irgendwie kam Dieter nicht in die Gänge und so durchkreuzte ich in der Zwischenzeit die Gegenden rund um Hannover, Braunlage, Braunschweig und Kassel. Es waren immer nur kleine Tagestouren, auf denen nie etwas passiert war. Ich bin nicht einmal in eine brenzlige Situation gekommen. Das ist für das Motorrad fahren gefährlich, denn es verleitet zu Leichtsinn und Übermut. Glücklicherweise wurden diese euphorischen Stimmungslagen durch kleine Stürze in ihre Schranken gewiesen.

Meine Suzi 450 GS hatte 48 PS. Mit diesem Motorrad bewegte ich mich in der Motorradwelt auf der untersten Stufe. Ich wollte mehr. In einem Motorradladen schaute ich mir eine Honda CBX 750 an. Sie machte locker 217 km/h. „Nur fliegen ist schöner!“, dachte ich und hatte dabei die Geschwindigkeit eines Flugzeugs vor Augen, das zum Abheben ansetzte. An einem Abflug vom Motorrad infolge eines Sturzes hatte ich damals in keiner Sekunde gedacht.

Zwei Wochen später flog ich dann erstmals in hohem Bogen von der Suzi 450 GS, und das ohne Schutzkleidung bei nur 50 Stundenkilometer. Damals war ich noch der Meinung, dass das Anziehen einer Schutzkleidung für eine kurze Strecke viel zu aufwändig sei. Das sollte ich bereuen.

Ich hatte Thomas spontan zum Frühstück eingeladen und war in Eile, denn ich musste noch Brötchen holen. Was ist da naheliegender, sich schnell auf die Suzi zu schwingen, in die Stadt zu fahren, um direkt vor dem Bäckerladen parken und das Gewünschte einkaufen zu können.

„Für so einen kurzen Trip lohnt es sich nicht die Schutzkleidung anzuziehen. Das ist ohnehin stets ein nerviger Aufwand“, dachte ich. Doch ich sollte eines Besseren belehrt werden. Ich stieg auf die Suzi in Jeanshose, einfacher Jacke und Sportschuhen an den Füßen. Handschuhe brauchte ich nicht, denn es war warm. Beim Bäcker lief alles glatt. Ich bekam meine Brötchen, den Erdbeerkuchen für Thomas und den geliebten Bienenstich für mich. Ich packte alles in meinen Rucksack und fuhr los. An der nächsten Kreuzung kam mir ein PKW entgegen. Die Bremsen quietschten. Ich kam gegen die Bordsteinkante und flog mit der Suzi auf die Straße. Dabei hatte ich gerade einmal 50 km/h drauf.

Der Suzi machte der Sturz nicht viel aus. Die Maschine kam mit ein paar Kratzern und einem verbogenen Rückspiegel davon. Meine Blessuren waren dagegen anderer Art.

Ich flog bei diesem Bremsmanöver über das Motorrad und nahm dabei automatisch die Hände als Schutz vor das Gesicht. Im Normalfall wäre das auch nicht schlimm gewesen, doch leider fehlten an diesen Händen die Motorradhandschuhe. Ich trug Schürfwunden an den Handinnenflächen davon, die mich für Monate in Sachen Gas geben, beim Tennis spielen und bei vielen anderen Aktivitäten außer Gefecht setzten. Auch bekamen Hüfte und Schulter den Sturz ohne Schutzkleidung heftig zu spüren. Beide wurden blau, dann grün, dann gelb. Zudem hatte ich keine Lederstiefel an und verbrannte mir am heißen Auspuff die Wade. Noch heute ist eine kleine Narbe zu sehen.

Nach diesem Sturz und seinen Folgewirkungen wusste ich die Schutzkleidung zu schätzen. Auch wenn ich noch so schwitzte, das Wasser vom Helm bis runter in die Stiefel lief: von diesem Zeitpunkt an fuhr ich nie mehr ohne! Da ich zugleich auch erfahren und spüren durfte, was es bedeutet mit und vom Motorrad zu fliegen, verwarf ich den Gedanken an den Honda CBX-Kauf ganz schnell und blieb bei meinen Leisten.

Aber es gibt auch Lustiges über meine anfänglichen Stürze zu erzählen. Einer davon fand damals sein Ende in einem Blumenbeet.

Ich fuhr mit dem Motorrad zum Tennis spielen. Ich fühlte mich besonders cool, wenn ich den Motor der Suzi 450 GS auf dem Parkplatz der Anlage noch einmal aufheulen lassen konnte. Die Sporttasche hatte ich dabei stets quer über die Schulter gehängt. Irgendwie bekam ich einmal auf dem Parkplatz beim Wenden die Kurve nicht mehr. Die Sporttasche verrutschte, ich verlor das Gleichgewicht, die rechte Hand krampfte sich am Lenker fest und zog damit am Gashebel. Die Suzi beschleunigte und knallte mit voller Wucht gegen die Bordsteinkante eines Blumenbeets. Das Motorrad fiel um und blieb liegen. Für mich wurde die Bordsteinkante zur Abschussrampe. Ich flog im hohen Bogen in das Blumenbeet. Eine solche Szene kannte ich bisher nur aus meiner Zeit als Springreiterin, als mein Pferd verweigerte und ich über das Hindernis hinwegflog.

Peinlich an der Szene war, dass in diesem Moment ein Freund von mir daherkam und alles mit angesehen hatte. Breschnek, so lautete sein Spitzname, fuhr in jungen Jahren selbst Motorrad und hatte eine Vorstellung darüber, was bei einem Sturz passieren kann. Besorgt kam er herangestürmt. Als er merkte, dass ich wohlbehalten war, lachte er lautstark und kommentierte das Desaster: „Frau und Motorrad!“ „Wenn Du gute Freunde hast, dann brauchst Du keine Feinde mehr,“ dachte ich bei mir.

Meine Rutsch- und Flugaktionen brachten mir unzählige blaue Flecke und meiner Suzi einige Schrammen ein. Der Blumenbeet-Sturz an der Bordsteinkante hatte der Suzi dieses Mal mehr zugesetzt als mir: Vorderradfederung und Ölkappe waren beschädigt. Zum Glück gab es Matthias!

Matthias war bei meinem Kumpel Dieter in der Werkstatt angestellt. Zu ihm fuhr ich in meiner Not und bat um Hilfe. Heimlich reparierte er die Suzi 450 GS, sodass ich wieder losbrausen konnte. Niemand merkte etwas – auch Dieter nicht!

Schräglage mit der Suzi 450 GS

In den 70er und 80er Jahren war in der Motorradwelt nur selten eine Frau zu sehen und wenn, dann meist auf dem Sozius-Sitz. Ich gehörte zu der Kategorie Frau, die vorne auf dem Motorrad saß und den Lenker an beiden Seiten hielt. Skeptisch schaute die Männerwelt auf mich herab. Aber ich hatte auch prima Kumpels, von denen ich einige Tipps und Tricks bekam. Harald gehörte dazu.

Harald war ein früherer Schulkamerad und Freund von mir. Er hatte sich mit 16 Jahren dem Moped fahren und mit 18 Jahren dem Motorrad fahren verschrieben. Aus Überzeugung fuhr Harald eine BMW – und das bei Tag und Nacht, bei Wind und Wetter.

Er hatte sich gerade eine nagelneue BMW K100 RS mit Vollverkleidung gekauft. Als er hörte, dass ich auch Motorrad fahre, machte er spontan den Vorschlag: „Oh, dann komme ich vorbei und wir machen eine Tour.“ Freudestrahlend nahm ich den Vorschlag an. Bisher war ich nur kleine Touren im Harz und der näheren Umgebung allein vor mich hingefahren. Umso mehr freute ich mich über professionelle Anleitung. Allerdings hatte ich keine Ahnung, was es bedeutet, einem erfahrenen und geübten Motorradfahrer hinterherzubrausen.

Harald kam an einem sonnigen Sonntag. Schon nach kurzer Begrüßung starteten wir unsere gemeinsame Tour. Ich war unruhig, denn ich konnte es kaum abwarten zu zweit los zu düsen. Harald fuhr vor und schon nach ein paar Kilometer konnte er mich im Rückspiegel nicht mehr sehen. Ich war zurückgefallen. Irgendwie wollte meine Suzi 450 GS nicht so durch die Kurven fahren, wie es seine BMW tat. Mir war das unangenehm, denn es kam mir vor, wie Gepard trifft Schnecke!

Geduld schien Harald für sich gepachtet zu haben. Er wartete auf mich, fuhr langsam voraus und gab mir den einen oder anderen Tipp. Schließlich machte er mir den Vorschlag, dass er meine Suzi 450 GS einmal fahren könne, um zu schauen, wie die Maschine sich in den Kurven verhielte. Ich willigte ein und setzte mich auf den Soziussitz nach hinten.

„Oh, Himmel, wir liegen auf der Straße“, rief ich, aber Harald gab Gas und meine Suzi 450 GS ging noch mehr in die Schräglage. Wir flogen nicht aus der Kurve! Ganz im Gegenteil! Die Suzi lag wie ein Brett auf dem Asphalt und richtete sich erst wieder auf, als wir in die Gerade gingen. Mir verschlug es den Atem. „Deine Suzi fährt doch ganz gut durch die Kurven!“, bemerkte Harald ganz ruhig und gelassen nach 20 km kurvenreicher Strecke. Ich hatte diese Kilometer auf dem Soziussitz wie einen Teufelsritt empfunden und war schweißgebadet.

Mit Engelsgeduld erklärte Harald mir, warum meine Suzi 450 GS nicht aus der Kurve geflogen ist und wie wichtig das In-die-Kurve-hineinlegen sei. „Das hat mit Physik zu tun!“, sagte er. Als ich dieses Wort hörte, fiel bei mir der Roll-Laden herunter. Mit Mathe und Physik hatte ich niemals auch nur das Geringste zu tun! Aber es ist wohl so: Wenn ich in eine Kurve fahre, dann entstehen Fliehkräfte (Zentrifugalkräfte). Ohne Schräglage würden diese Kräfte das Motorrad einfach nach außen umkippen lassen. In Schräglage wirkt die nach innen verlagerte Gewichtskraft von mir und der Suzi den Fliehkräften entgegen. Die Höhe von Kraft und Gegenkraft hängt vom Kurvenradius und der Geschwindigkeit ab.

Diese Lehrstunde musste ich erst einmal verarbeiten. Dabei kam ich schließlich zur Erkenntnis, dass ich wohl eher eine emotional geleitete Motorradfahrerin bin. Hätte ich gewusst, dass ein Neigungswinkel zu berechnen ist, hätte ich das Motorrad fahren niemals angefangen. Zum Glück machte und macht das mein Unterbewusstsein vor jeder Kurve automatisch und ohne mein Wissen.

Nach dieser und weiteren Ausflugsfahrten mit Harald fühlte ich mich reif genug für eine größere Tour. Thomas, ein Freund von mir, hatte mich in die Schweiz eingeladen. Was bot sich da Besseres an, als diese Fahrt mit der Suzi 450 GS zu machen!

IV. Touren mit der Suzi 450 GS

1. Mit Aufwind in die Schweiz 1989

Die Schweiz ist für alle Motorradfahrerinnen und -fahrer das Eldorado. Deshalb überlegte ich keine zwei Minuten, als Thomas mich 1989 in einen Nobel-Club nach Vulpera bei Sankt Moritz eingeladen hatte. Ein Blick auf die Karte sagte mir: