6,99 €
Jedes Genre hat ihre Klassiker: "Frauen die Prosecco trinken" ist der 'Mädelsroman' par excellence. Fetzig, witzig und absolut nicht dumm. Und liest sich wirklich wie ein Glas (echten) Proseccos, und die Dialoge: gar wie Champagner!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 180
Marlene Faro
Frauen die Prosecco trinken
Roman
Reclam
Für meine Mutter
Alle Rechte vorbehalten
© 1996, 2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Umschlaggestaltung: büroecco!, Augsburg, unter Verwendung eines Fotos, © istockphoto
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2013
RECLAM ist eine eingetragene Marke
der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960417-6
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020024-7
www.reclam.de
Ich habe ein kluges Gesicht.
Einer Frau kann gar nichts Grässlicheres passieren. Cellulitis lässt sich unter spitzenbesetzten Boxershorts verstecken, Krähenfüße lassen sich hinter die Ohrmuscheln straffen. Männer verzeihen ja fast alles. Oder besser gesagt, sie übersehen fast alles, diese ahnungslosen Opfer unserer hochtechnisierten Verführungskunst.
Bloß bei mir ist einfach nichts zu retten. Die Augenbrauen ironisch geschwungen, das Lächeln immer eine Spur maliziös. Männer tun sich schwer damit – obwohl sie doch alle auf kluge Frauen angeblich geradezu versessen sind.
Ich habe sogar schon Romy vom Ressort »Kosmetik und Körperpflege« um Rat gefragt. Romy, die Großmeisterin des Rougepinsels, kennt jeden Trick gegen Schlupflider und plumpe Backenknochen. An mir hat sie einen Nachmittag lang herumgemalt. Das magere Ergebnis: »Betone deine Lippen, Flora, die sind das Beste an dir. Und dann hast du ja auch noch deine Haare.«
Meine Haare, ach ja. Rotblonde Kringel, die wachsen wie Schnittlauch. An manchen Tagen verleihen sie mir das Flair einer irischen Schäferin. Den Rest des Jahres sehe ich eher aus wie ein irischer Hirtenhund.
Heute zum Beispiel.
Dabei ist gerade heute ein perfektes Auftreten gefragt, federnde Dynamik. Jugendlich straff und sportlich, aber nicht zu dominant. Feminin und elegant, verführerisch, aber nicht vulgär. Oder war es umgekehrt?
Ich pinsle »Wild Amber« auf meine Lippen, die doch das Beste an mir sind, und schüttle mein Haar kopfüber. Wie gemütlich ist es hier auf dem Klo. Ob unsere Konferenzen wohl amüsanter wären, wenn wir sie zwischen Waschtisch und Klappspiegeln abhalten würden?
Genug gegrübelt, Flora, die nächste Miete für dein kuscheliges kleines Appartement mit Terrasse will überwiesen sein. Dynamisch federnd kehre ich zur Konferenz zurück.
*
Der Konferenzraum ist ganz in Weiß gehalten.
Weißer Teppichboden und weiße Lamellengardinen über weißen Tapeten. Weiß der Tisch, die Vase, die Tulpen.
Rundum die blassen Gesichter der Ressortleiterinnen, dazwischen die Farbtupfer der Stylistinnen und Fotoassistentinnen. Armanischlammbraun, jilsanderockerkalkgrau. Vor dem riesigen Panoramafenster, das Licht schmeichelnd im Rücken, thront »La Principessa«, die Chefredakteurin, und trägt schwer an ihrem Make-up.
Da sitzen wir, ein Dutzend Frauen in den allerbesten Jahren, duftend, gesalbt und erfolgreich, die Insignien der Macht blitzen diskret am Handgelenk und am kleinen Finger. Blendend wie das Trugbild, das wir so gewinnbringend verkaufen.
Einst sind wir angetreten, unseren Mitschwestern den Rücken zu stärken. Aber längst verbreiten wir nur noch Missbehagen, fabrizieren mit leichter Hand ein pünktlich wiederkehrendes Gefühl der Unzulänglichkeit, so willkommen wie Menstruationsbeschwerden. Einst haben die Älteren von uns ihre BHs verbrannt oder sich wenigstens geschworen, nie wieder solch ein Folterinstrument zu erdulden. Heute zwängen wir uns in kratzige Spitzenbodys und preisen das Körpergefühl der neuen Weiblichkeit.
»Marilyn« ist ein Renner, Millionen von Frauen zittern allmonatlich dem neuesten Heft entgegen. Prallgefüllt mit den Fragen der Zeit. Wie angle ich mir einen Mann, wie kriege ich ihn in mein seidenlakenbezogenes Bett und halte ihn darin bis zum nächsten Morgen, besser noch für immer? Wie mache ich es, dass meine Zähne blendend weiß blinken und mein Atem stets kussfrisch ist? Wie bügle ich die Dellen aus meinen Oberschenkeln und sehe auch nach einer Drillingszangengeburt noch knackig frisch wie ein junges Radieschen aus? Wie verdiene ich einen Haufen Geld und zaubere doch am Abend ein flaumiges Soufflé auf den Tisch?
Fragen über Fragen, aber zum Glück macht uns von »Marilyn« kein Thema angst, und sei es noch so brisant und heikel. Kritisch durchleuchten wir sogar peinliche Auswüchse der von uns fabrizierten Trends.
Am Titelblatt das magersüchtige Model in Größe 34, im Mittelteil die neue Frühjahrsmode, Taille ist wieder in, auf Seite 208 die erschütternde Reportage über Bulimie, samt Adressen und Telefonnummern von Selbsthilfegruppen. Das ist die große Kür der flächendeckenden Berichterstattung, völlig zu Recht blättert Principessa mit stolzem Lächeln in unserer letzten Ausgabe.
Aber das wohlige Gefühl der Selbstzufriedenheit hält nicht lange vor. Die Augustnummer steht an, über zweihundert Seiten müssen gefüllt werden. Dabei ist doch schon alles geschrieben, beschrieben, umgeschrieben, abgeschrieben.
»Gourmettipps aus Somalia«, witzelt Ernährungsexpertin Irene, aber das hebt die Stimmung auch nur mäßig. Seufzen und das leise Rascheln von Papier füllt den Raum, die unsichtbare Leserin sitzt allen wie eine Faust im Nacken.
Jede von uns hat sich ihre höchstpersönliche »Marilyn« zurechtgeschnitzt. Die meine ist Friseuse, mit blondierten Strähnchen im Haar und Ekzemen zwischen den Fingern vom vielen Färben und Dauerwellen. Wenn sie sich zwischen Shampooflaschen und Trockenhauben eine kurze Zigarette vergönnt, dann träumt sie von einem eigenen Salon, oder besser noch von einem Leben als reiche Witwe auf den Malediven.
Statt dessen reicht es nur jeden Monatsersten für die neueste Ausgabe von »Marilyn«. Meine Friseuse sitzt dann in der S-Bahn und beschließt, gleich morgen früh mit der sensationellen Enzymdiät aus dem Saft von Papayas und Pampelmusen zu beginnen. Sonst läuft ihr nämlich der bierbäuchige Typ an ihrer Seite auf und davon, mit Joan Collins oder Lady Di, unser Ressort »Deine Partnerschaft und Du« verabsäumt es in keiner Nummer, auf diese stets drohende Gefahr hinzuweisen.
Eigentlich mag ich meine Friseuse. Ich kann nur nicht verstehen, weshalb sie sich von unseren Artikeln so unter Druck setzen lässt. Selber schuld, Mädel. Selber schuld?
Die Konferenz dümpelt vor sich hin.
»Alleinerziehende Mütter in Mecklenburg-Vorpommern«, erhebe ich kurz meine Stimme, bevor ich ganz einschlafe.
Die Mutter der Redaktion lächelt milde.
»Flora, Schätzchen, wir kennen deine glamourösen Vorschläge. Was hast du sonst noch anzubieten?«
Romy eilt mir zu Hilfe, diesmal ohne Rougepinsel.
»Die Hersteller von ›Twenty Forever‹ werden langsam ungeduldig. Jetzt schalten sie schon seit über einem Jahr Annoncen für ihre Cremes und wir haben noch immer nicht über ihre Beautyfarm in der Normandie berichtet. Das wäre doch eine Geschichte für Flora. Die tollste Beautyfarm der Welt, mit ein wenig Sarkasmus aufgepeppt.«
Ich halte den Blicken der Chefredaktion stand.
»Vielleicht gar keine so dumme Idee. Flora, wir reden noch darüber.«
Zigarettenrauch nebelt uns ein, der Kaffee schmeckt längst bitter. Aber noch immer dürfen wir nicht nach Hause. Noch fehlt das Glanzstück unserer Augustnummer, das Aushängeschild jeder Frauenillustrierten zwischen Honolulu und Hammerfest, »die große Sexgeschichte«.
Veronika baut gerade eine schützende Mauer aus Würfelzucker rund um sich auf. Seit drei Jahren ist sie für die Sexthemen zuständig, seit eineinhalb Jahren lebt sie in konsequenter Askese. In letzter Zeit bekommt Veronika schon bei harmlosen Wörtern wie »Penetration« oder »Fellatio« Schüttelfrost und nervöse Pusteln am Dekolleté, sogar ihr Therapeut ist ratlos.
Bloß Principessa kennt keine Milde.
»Hat sich beim Sexologen-Kongress in Caracas etwas Neues ergeben?«
Veronika lässt ein gequältes Räuspern hören.
»Eigentlich nicht. Nur ein Vortrag über weiblichen Mehrfachorgasmus war ganz interessant.«
Nicht schon wieder!! Wir raufen uns die Haare, Friederun aus der Graphik versucht sich mit dem Filzstift zu entleiben. Veronika schweigt beleidigt.
Verstohlen wird in alten Heften geblättert. Was haben wir nicht schon alles erforscht, erogene Punkte und Zonen, ganze Landschaften der Lust vermessen.
Beiß mich, küss mich, streichle mich, mach mich fertig. Ich steh auf Narben, auf Glatzen, auf tätowierte und rasierte Haut. Ich hab’s gerne leise, laut, im Dunkeln, in gleißendem Licht, in Leder, in Daunen, im Gras.
Heiliger Sankt Phallus, lass uns nur eine winzigkleine Idee gebären, eine allerletzte, für dieses eine Heft. Aber niemand hört unsere Gebete, wir müssen wohl auf ewig in diesem schneeweißen Gefängnis schmachten.
»Das Madonna-Syndrom.«
Ein leises Piepsen von der Tischecke rechts unten. Anita, unsere Volontärin, hat ganz rote Bäckchen vor Aufregung, schließlich hat sie gerade zum ersten Mal bei einer Konferenz etwas zu sagen gewagt.
»Wir haben in den letzten Nummern fast nur über wilden Sex geschrieben, über Sado und so. Da wäre es doch eine Abwechslung, einmal was über stilles Genießen zu bringen, eher die altmodische Variante eben. Das könnten wir dann als Madonna-Syndrom verkaufen, das macht sich sicherlich auch auf dem Titelblatt gut, weil es so zweideutig klingt.«
Anita, wir lieben dich! Du wirst es noch weit bringen. Und wer schreibt jetzt übers »Madonna-Syndrom«? Ein letztes Mal an diesem Nachmittag mache ich mich hinter meiner Henkeltasse klein.
Boiiing, die himmlische Vorsehung in Verkörperung der Textchefin hat Elfriede getroffen, unsere Starschreiberin fürs Tiefempfundene. Elfriede lächelt geschmeichelt-säuerlich. Zwölf Seiten über sanftes Genießen, das wird pure Fronarbeit.
»Mir hilft bei solchen Themen immer eine Überdosis Julio Iglesias«, gebe ich Elfriede einen kollegialen Tipp, aber die rollt nur die Augen. Elfriede steht auf große Oper, zur Sterbearie von Madame Butterfly beschreibt sie stets die erotischsten Verstrickungen.
Die Konferenz ist ausgesessen. Nichts wie raus aus diesem Raum, aus dieser Etage, diesem verspiegelten Gebäude.
Auf dem Parkplatz riecht es nach Erde und nassen Blättern, nach Frühling und Kinderkniestrümpfen. Ich atme tief durch und klettere in meinen veilchenblauen Geländewagen. Das Gefährt habe ich mir voller Zuversicht zugelegt, dafür stets und überall ausgiebig verlacht zu werden.
Eine Erwartung, die auch prompt eingetroffen ist. Aber es gibt mir ein winzig kleines Gefühl der Sicherheit, so hoch oben zu residieren, über all den baumelnden Babyschuhen und bestickten Klopapierhüllen, den komischen Sprüchen und Idioten ganz allgemein. Es weckt in mir die Hoffnung zu überleben, möglicherweise.
Es gibt drei Lebensformen für emanzipierte gutverdienende Frauen wie mich:
1. Du lebst allein.
Für Urlaube hast du deine Freundinnen. Am Sonntag besuchst du deine Mutter.
2. Du hast einen Liebhaber, den du aushältst. Er ist vorzugsweise Künstler und seit Jahren konsequent auf dem Weg nach oben. Er komponiert gerade die Fuge des Jahrhunderts, schreibt das Gedicht seiner Generation oder pinselt am großen Zyklus, Bienenwachs auf Rohseide.
3. Du bist eine Geliebte.
Nach reiflicher Überlegung habe ich mich für letztere Möglichkeit entschieden. Sie verlangt zwar eine Menge Geduld, macht aber wenig Mist. Privatleben spielt sich vorzugsweise in verschwiegenen kleinen Restaurants und verschwiegenen kleinen Hotels ab, fern von Abwasch und Schmutzwäsche. Von anderen Geliebten unterscheidet mich allerdings, dass ich mir selbstverständlich keine falschen Hoffnungen vorgaukle und vergnügt mein eigenes Leben lebe.
Heute bin ich allerdings ausnahmsweise ein klein wenig beunruhigt, schließlich ist es bald fünf Uhr nachmittags, und da sollte er schon längst angerufen haben. Denn Daniel ruft nun mal am liebsten aus seinem Büro in Hamburg an, nicht bloß, um Frau und Kind zu schonen, sondern auch das Familienbudget. Daniel kauft sogar die Muttertagsblumen auf Spesen.
Das Telefon klingelt.
Daniel hält mir einen zehnminütigen Vortrag über die existenziellen Probleme eines Ressortleiters für innerdeutsche Angelegenheiten im Allgemeinen und seine Wurzelbehandlung vom Vormittag im Besonderen. Eine kurze Atempause nütze ich zu einem heimtückischen Gegenschlag unter die Gürtellinie.
»Nächste Woche fahre ich vielleicht in die Normandie, um die edelste Beautyfarm von ganz Europa zu testen.«
Daniel lacht neiderfüllt-hämisch.
»Immer am Puls der Zeit, das muss man euch lassen. Auf Sumatra stirbt der Regenwald, in Rio werden täglich Kinder erschossen, aber ›Marilyn‹ berichtet über Cremetöpfe.«
»Deshalb fährst du ja auch einen Jaguar Zwölfzylinder, weil du so ein engagierter Held bist, und isst am liebsten Weinbergschnecken.«
Daniel schaltet sofort zwei Gänge zurück.
»Ach Flora, du weißt ja gar nicht, wie sehr ich dich vermisse. Lass uns nicht streiten, ich bitte dich. Du bist doch so eine liebe Person.«
Flora, du bist so lieb. Was für ein unangemessenes Kompliment für eine Frau von sechsunddreißig Jahren, mit dem ich mich immer wieder herumschlagen muss. Dabei wäre ich so gerne niederträchtig, zickig oder wenigstens kapriziös. Statt dessen gelte ich als hilfsbereit, fürsorglich und anständig, jeder Pfadfinder verblasst zum unwirschen Rüpel neben mir. Flora, die für Patenkinder und Brunnenbauprojekte in der Dritten Welt spendet und stets ihre eigene Zeche bezahlt, wie langweilig. Für eine wie mich wird sich nie ein Mann aus dem obersten Stockwerk stürzen, bestenfalls aus dem Erdgeschoss.
Trübselig beende ich das Gespräch, der arme Daniel ist ganz ratlos.
»Bis morgen, Flora Schatz, und träume von mir.«
Dann träume ich gar nicht von Daniel.
Sondern ich träume von meiner Friseuse. Sie führt einen Salon in Caracas und färbt Brusthaare und Damenbart in den Modefarben der Saison ein. Ich möchte ihr gerne zurufen, Schwester, Freundin, aber meine Lippen sind mit »Wild Amber« verklebt.
*
Am nächsten Morgen in der Redaktion rattert das Faxgerät, dampft die Espressomaschine. Es klingt sehr geschäftig.
Friederun gießt sich die erste Tasse ein, heiß und schwarz, ehe sie in ihrem Kämmerchen verschwindet, eine hochbezahlte Kraft, Europameisterin im Retuschieren. Catherine Deneuve, wie durch einen Stützstrumpf fotografiert, Liz Taylor, offenbar im dichtesten schottischen Hochmoornebel aufgenommen. Friederun glättet Falten, ganz ohne Skalpell.
Ich trödle ein wenig herum, knabbere Dinkelkekse in der kleinen Teeküche gleich neben dem Reiseressort, schräg gegenüber von »Deine Partnerschaft und Du«.
Unsere Redaktion ist, wie alle frauendominierten Arbeitsplätze, höchst individuell dekoriert. Saskia tippt ihre »Gesundheits-News« von ökologisch einwandfreiem Mobiliar umgeben, Sabines Refugium schaut das ganze Jahr über aus wie ein Laura-Ashley-Showroom im Advent, Katharina von der Anzeigenabteilung residiert in edlem Chrom und Glas, Principessa auf einer weißen Wolke. Nur ich wandere von einem kurzfristig freien Schreibtisch zum nächsten, eine heimatlose Mitarbeiterin, stets auf der Hut vor einem gemütlichen Zimmerchen. Solange ich über keinen festen Platz verfüge, so lange bin ich frei. Das gaukle ich mir jedenfalls gerne vor.
»Flora, sie will dich sprechen, aber nur ganz kurz. Sie muss gleich zu einem Arbeitsfrühstück mit dem Pressechef von ›Aston for Men‹, wegen dieser neuen Duftserie …«
Heidelinde, unsere Chefsekretärin, trifft genau den Ton zwischen Loyalität und Klatschbedürfnis. Schwungvoll schiebt sie mich durch die weiße Flügeltür, Flucht ist unmöglich.
Principessa hat sich eindeutig schön gemacht, sie wirkt noch atemberaubender perfekt als üblich. Sogar ihre Lieblingsohrgehänge hat sie angelegt, krapfenähnliche Gebilde aus massivem Gold. Fasziniert starre ich auf die gemarterten Ohrläppchen, ausgeleiert wie kleine Schnitzel. Ob das noch lange gutgeht …
»… aber bitte ohne deinen üblichen Sarkasmus. Ich hoffe, du weißt diesen Auftrag zu schätzen, er ist wirklich etwas ganz Besonderes.«
Principessa stopft Akten in ein kalbsledernes Köfferchen, wir stehen vor ihrem Schreibtisch, auf dem sich kreatives Chaos türmt.
Ich nicke pflichtschuldigst begeistert. Es gibt wahrlich Schlimmeres als eine Woche Normandie, auch wenn man sie auf einer Beauty-Farm verbringen muss.
Das »Madonna-Syndrom«, zum Beispiel.
Die Audienz ist beendet, huldvoll werde ich mit zwei Wangenküsschen verabschiedet. Liebste, Beste, Ciao, Adieu. Wir vermögen uns kaum zu trennen.
Beim Hinausgehen spüre ich ein heftiges Kribbeln in meinen Ohren, offenbar ein parapsychologisches Phänomen. Vielleicht sollte ich unserem Esoterik-Ressort davon erzählen.
Der Nachmittag wird genüsslich vertrödelt. Schließlich muss man sich auf eine Woche Luxus entsprechend vorbereiten und einstimmen, auch innerlich. Ich führe ein langes Gespräch mit Daniel, »Marilyn« bezahlt, und weide mich an seinen giftigen Kommentaren.
Obwohl, einerseits, und andererseits, sollten nicht die deutsch-französischen Beziehungen wieder einmal vor Ort recherchiert werden, wir überlegen laut am Telefon. Vielleicht ginge sich ja sogar ein gemeinsamer Tag in Paris aus, auf Spesen natürlich, Daniel erwärmt sich hörbar für diese Idee.
»Flora, Liebste, du und ich in einem kleinen Café, über die Boulevards bummeln, und dann …«
Die Leitung beginnt vor Vorfreude zu vibrieren, Romy grinst zur Tür herein. Daniel will mir am Abend Bescheid geben.
Nur, an diesem Abend habe ich ausnahmsweise keine Zeit, auf seinen Anruf zu lauern, Daniel muss diese lieblose Tatsache nörgelnd zur Kenntnis nehmen.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass wieder einmal eine eurer Frauenrunden in diesem grässlichen Lokal angesagt ist?«
Mein Liebhaber klingt plötzlich wie der Rateonkel aus einem bunten Vorabendquiz.
»Der Kandidat hat hundert Punkte«, gebe ich zurück und lächle aspartamsüß, aber das kann er ja gar nicht sehen.
*
Das »grässliche Lokal« findet auch nur jemand grässlich, der auf norddeutsche Gemütlichkeit trainiert ist. Jedermann sonst liebt das »Solo Fino«. Mich hat das Schild über dem grünlackierten Eingangsportal angezogen, »Triest-Genua-New York«, vor vielen Jahren vom Großvater des heutigen Besitzers liebevoll mit der Hand gepinselt.
Eigentlich ist das »Solo Fino« ja nur ein ehemaliges Lagergewölbe im ältesten Teil der Stadt, am Samstagabend knarren die Holzdielen bedenklich unter dem Gewicht der Gäste. Aber das Licht ist sanft, die Kellner sind wunderschön, und der Grappa schwimmt wie perlmuttfarbenes Öl im Glas.
Heute Abend ist das Gedränge ganz besonders groß. Ich schlängle mich am Tresen entlang, vorbei an den Antipastitellern und dem einzigen sogenannten One-Night-Stand meines Lebens, peinlich, peinlich, wir grüßen uns betont freundlich, und erreiche aufatmend unseren Stammtisch im hintersten Winkel.
Lotte sitzt schon da und wickelt Spaghetti all’arrabiata um Gabel und Löffel, es sieht ziemlich verworren aus. Mit italienischen Teigwaren hat Lotte stets ihre Not, aber das ist auch so ziemlich ihr einziger Makel. Im Übrigen ist sie Lehrerin für Biologie, alleinerziehende Mutter, tadellos attraktiv, und eine meiner allerbesten Freundinnen.
»Nächste Woche muss ich in die Normandie, zu dieser Jahreszeit, stell dir das mal vor.«
Ich blähe meine Backen auf und versuche, bemitleidenswert auszusehen. Bei den Menschen, die ich mag, ist mir mein schicker Job oft ziemlich peinlich. Während ich mich für viel Geld in Frankreich salben und pflegen lasse, wird sich Lotte mit desinteressierten und unhöflichen Schülern im allerschrecklichsten Pubertätsalter herumplagen müssen. Dass sie mir ob dieser Diskrepanz noch nie unsere Freundschaft aufgekündigt hat, das rechne ich ihr hoch an.
Jetzt mustert mich Lotte halb belustigt, halb ärgerlich über ihre Nudeln hinweg.
»Du Ärmste, wohin wirst du denn diesmal verschickt? Musst du Alain Delon interviewen oder sonst was Grässliches?«
»Ach, bloß eine kleine Geschichte über die Beauty-Farm von ›Twenty Forever‹, nichts Besonderes.«
Ich starre angestrengt in die Speisenkarte. Vorspeise und Nudeln, oder Nudeln und Dessert? Ob ich es riskieren soll, wieder hochzublicken?
Lotte wirkt zum Glück nicht neiderfüllt-erschlagen, sondern neiderfüllt-begeistert.
»Auf diese Beauty-Farm, also Flora, du bist wirklich ein Glückspilz. Ich habe schon Bilder davon gesehen, es muss einfach umwerfend sein. Und angeblich wird man wirklich um zehn Jahre jünger, mindestens.«
So enthusiasmiert kenne ich meine tüchtige Lotte gar nicht.
»Seit wann bist du denn derart auf dem Schönheitstrip?«
»Seit mir nichts anderes übrigbleibt.«
Lotte funkelt mich an.
»Du in deinem Elfenbeinturm bei ›Marilyn‹ hast doch gar keine Ahnung, wie es draußen so zugeht. Weißt du eigentlich, was es für einen Stress bedeutet, jeden Herbst mit jüngeren Kolleginnen geschlagen zu sein, hinter denen der Chef nur so herspeichelt? Und für meine Schüler bin ich überhaupt schon mit einem Bein im Grab. Meinen nächsten Bausparvertrag gebe ich für ein Lifting aus, jawohl.«
Mit offenem Mund starre ich meine Freundin Lotte an. Haben wir beide nicht erst kürzlich gegen Klitorisbeschneidungen in Schwarzafrika unterschrieben, nach diesem grässlichen Fernsehbericht? Und jetzt möchte sich meine älteste Freundin aufschlitzen und verstümmeln lassen?
»Kannst du mir bitte erklären, was das …«
Aber ich werde aus dem Konzept gebracht. Am Eingang gibt es einen kleinen Tumult, keine Skinheads, nur Ricarda, besser bekannt als die »Ivana Trump von Sindelfingen«, die ihren wöchentlichen Auftritt im »Solo Fino« zelebriert.
Mit gespitzten Lippen küsst sie sich gerade den Weg frei, unüberhörbar. Durch ihr trillerndes Gelächter ist Ivana, pardon Ricarda bei jeder Massenveranstaltung innerhalb von Sekunden zu orten, seltsamerweise scheint ebendieses Getriller manche Männer anzuziehen. Vermutlich haben sie alle in ihrer Kindheit eine schwere Mittelohrentzündung durchgemacht und sind dankbar für jeden Ton, der zu ihnen durchdringt. Erst kürzlich hat sich unsere Freundin den meistbeschäftigten Scheidungsanwalt der Stadt gekrallt.
»Huch.«
Ricarda lässt sich auf den Stuhl zwischen Lotte und mir plumpsen und zupft anmutig-erschöpft an ihrem Haarkegel herum, der unter den vielen Umarmungen ein wenig gelitten hat.
»Na, wie geht’s, Mädels?«
Na, das klingt ja ganz schön anmaßend, ich merke, wie plötzlich eine Welle der Übellaunigkeit über mir zusammenschwappt.
»Ach, nicht schlecht. Nächste Woche fliege ich nach Paris und dann weiter in die Normandie. Ich teste dort eine Woche lang die teuerste, berühmteste und edelste Schönheitsfarm der Welt, die von ›Twenty Forever‹, du weißt schon. Angeblich lässt sich dort sogar der junge Kennedy massieren. Es soll einfach unbeschreiblich toll sein.«
Peng, das hat sie nun davon, die toupierte Ricarda. Ich sinke ermattet zurück, Lotte blickt mich besorgt von der Seite an.
»Flora, so iss doch endlich was, du bist ja ganz blass um die Nase.«
Aber ich habe noch immer nicht mein ganzes Pulver verschossen.
»Auf dem Rückflug mache ich vielleicht noch einen Zwischenstopp in Paris und interviewe Roman Polanski. Der Starregisseur als Familienvater, dieses ganze Zeugs eben, du weißt schon.«
So, jetzt bin ich wirklich am Ende mit meinem Latein. Ich habe gar nicht gewusst, dass ich so flott improvisieren kann. Aber die Versuchung war einfach zu groß: Ricarda verehrt Polanski abgöttisch.
Zur Belohnung spendiere ich mir einen gemischten Vorspeisenteller, sodann Fettuccini in Rahmsauce mit Morcheln und als Krönung eine Wanne voll Zuppa Pavese. Man lügt nur einmal so gekonnt.
Das Essen verläuft eher einsilbig. Ricarda kaut an ihrem Salat und starrt fischäugig vor sich hin. Vermutlich treibt sie es gerade heftig mit Roman. Lotte sendet mir vorwurfsvolle Blicke zu, die ich gelassen übersehe. Fast glaube ich selbst schon an mein Interview.
Irgendwie bin ich heute Abend blendend aufgelegt, diese Stimmung werde ich mir auch von den beiden Mauerblümchen am Tisch nicht verderben lassen. Schon seit dem ersten Glas fühle ich mich von diesem geheimnisvollen Typ beobachtet, der an der Theke lehnt und genüsslich langsam sein Weizenbier trinkt. Das Schuhwerk vom Feinsten, die Hüften sooo schmal. Gerade hat er wieder hergeblickt, ganz eindeutig in meine Richtung.
Ich schiebe die Zuppa Pavese von mir, wer will schon vor so einem Prachtexemplar drei Gänge in sich hineinstopfen, das wirkt doch einfach ekelig.
Mit meinem vorteilhaftesten Lächeln wende ich mich Ricarda zu, irgendwie ist sie ja doch bloß ein armes Huhn, und außerdem meine Freundin.
»Wie geht’s Beppo?« frage ich voll Anteilnahme. Beppo ist der erwähnte Scheidungsanwalt.
Ricarda zermalmt ein Radicchioblatt.
»Keine Ahnung, er betreut gerade höchst intensiv seine Lieblingsklientin, diese dreimal geschiedene und geliftete Tante vom Kinderfernsehen. Wir sehen uns bestenfalls noch an der Bar vom Sonnenstudio.«
Sobald das Reizwort »Liften« fällt, ist Lotte neuerdings einfach nicht zu halten.
»Was, die ist auch geliftet? Also, das sieht ja ehrlich toll aus. Und so natürlich.«