Frauen ins Amt! -  - E-Book

Frauen ins Amt! E-Book

0,0

Beschreibung

Das Buch "… Weil Gott es so will - Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin" ist innerhalb wie außerhalb der Kirche auf enorme Resonanz gestoßen und hat das Thema Ämter für Frauen in der Kirche erneut in den Fokus der Diskussion gerückt, auch im Synodalen Weg. Das jetzige Buch macht den nächsten Schritt: 100 Männer der Kirche, darunter viele Prominente - Priester, Diakone und Ordensleute, auch eine Reihe Bischöfe - solidarisieren sich mit dem Anliegen der Frauen. In persönlichen Erfahrungsberichten schildern sie, wo sie das Gegenüber der Frauen in der Seelsorge und das gemeinsame Engagement der Geschlechter in der Pastoral vermissen. Die vielstimmigen Zeugnisse aus der Mitte der Kirche sind ein leidenschaftlicher Appell, die vielfältigen Charismen und Begabungen der Frauen endlich kirchlich anerzukennen. Sie geben eine kraftvolle Antwort auf die Zeugnisse der Frauen und zeigen: Frauen und Männer wollen auf den Geist hören und Gottes Willen tun, Frauen und Männer wollen Veränderung, Frauen und Männer wollen Gerechtigkeit. Mit Beiträgen von Franz-Josef Bode, Daniel Bogner, Niklaus Brantschen, Max Cappabianca, Johannes zu Eltz, Gerhard Feige, Peter Frey, Gotthard Fuchs, Anselm Grün, Stefan Jürgens, Andreas Knapp, Erwin Kräutler, Reinhard Marx, Klaus Mertes, Franz Meurer, Bernd Mönkebüscher, Wunibald Müller, Peter Neher, Klaus Pfeffer, Matthias Remenyi, Thomas Sternberg, Martin Werlen, Heiner Wilmer, Ansgar Wucherpfennig u.v.m.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 392

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Frauen ins Amt!

Frauen ins Amt!

Männer der Kirche solidarisieren sich

Herausgegeben von Philippa Rath und Burkhard Hose

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Satz: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

E-Book-Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

ISBN E-Book (E-Pub) 978-3-451-83253-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-84253-5

ISBN Print 978-3-451-39253-5

Inhalt

PROLOG Texte heiliger Väter

EINFÜHRUNG DER HERAUSGEBER Weil Gerechtigkeit sein soll

DIE ERFAHRUNGSBERICHTE DER MÄNNER Von A–Z

EPILOG Drei exemplarische Stimmen von Frauen

REGISTER DER TEXTE UND KURZVITEN DER AUTOREN

HERAUSGEBER*IN

PROLOG

Texte heiliger Väter

„Die Stunde kommt, die Stunde ist schon da, in der sich die Berufung der Frau voll entfaltet, die Stunde, in der die Frau in der Gesellschaft einen Einfluss, eine Ausstrahlung, eine bisher noch nie erreichte Stellung erlangt. In einer Zeit, in welcher die Menschheit einen so tiefgreifenden Wandel erfährt, können deshalb die vom Geist des Evangeliums erleuchteten Frauen der Menschheit tatkräftig dabei helfen, dass sie nicht in Verfall gerät.“

Papst Paul VI., Ansprache an die Frauen zum Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils am 8. Dezember 1965

„Man muss von einer wesenhaften ‚Gleichberechtigung‘ von Mann und Frau sprechen: Da beide – die Frau wie der Mann – nach dem Abbild und Gleichnis Gottes erschaffen wurden, sind beide in gleichem Maße empfänglich für das Geschenk der göttlichen Wahrheit und der Liebe im Heiligen Geist. Beide empfangen seine heilbringenden und heiligmachenden ‚Heimsuchungen‘. Die Tatsache, Mann oder Frau zu sein, führt zu keinerlei Einschränkung, ebenso wenig wie, nach den bekannten Worten des Apostels, jenes Heilswirken des Geistes im Menschen dadurch eingeschränkt wird, dass einer ‚Jude oder Grieche, Sklave oder Freier‘ ist: ‚Denn ihr alle seid einer in Christus Jesus‘ (Gal 3, 28) … Die ‚Gleichheit‘ nach dem Evangelium, die ‚Gleichberechtigung‘ von Frau und Mann vor den ‚großen Taten Gottes‘, wie sie im Wirken und Reden Jesu von Nazareth mit solcher Klarheit offenkundig geworden ist, bildet die deutlichste Grundlage für Würde und Berufung der Frau in Kirche und Welt.“

Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem über die Würde und Berufung der Frau vom 15. August 1988, Kap. V, Nr. 16

„Es gibt Gemeinden und Gemeinschaften in Amazonien, die sich lange Zeit hindurch gehalten und den Glauben weitergegeben haben, ohne dass dort – manchmal jahrzehntelang – ein Priester vorbeigekommen wäre. Dies ist der Präsenz von starken und engagierten Frauen zu verdanken, die, gewiss berufen und angetrieben vom Heiligen Geist, tauften, Katechesen hielten, den Menschen das Beten beibrachten und missionarisch wirkten. Jahrhundertelang hielten die Frauen die Kirche an diesen Orten mit bewundernswerter Hingabe und leidenschaftlichem Glauben aufrecht.“

Papst Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Querida Amazonia vom 2. Februar 2020, Nr. 99

„Die Gesellschaften auf der ganzen Erde sind noch lange nicht so organisiert, dass sie klar widerspiegeln, dass die Frauen genau die gleiche Würde und die gleichen Rechte haben wie die Männer. Mit Worten behauptet man bestimmte Dinge, aber die Entscheidungen und die Wirklichkeit schreien eine andere Botschaft heraus. In der Tat, doppelt arm sind die Frauen, die Situationen der Ausschließung, der Misshandlung und der Gewalt erleiden, denn oft haben sie geringere Möglichkeiten, ihre Rechte zu verteidigen.“

Papst Franziskus, Enzyklika Fratelli tutti vom 3. Oktober 2020, Nr. 23

EINFÜHRUNG DER HERAUSGEBER

Weil Gerechtigkeit sein soll

„Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich, denn ihr alle seid eins in Christus Jesus.“ (Gal 3,27–28)

EINBLICK

Wohl kein Text des Neuen Testaments wird in der Diskussion um die Stellung der Frauen in der Kirche und ihre Zulassung zu den Weiheämtern öfter zitiert als diese Worte aus dem Brief des Apostels Paulus an die Galater. Auch in diesem Buch führen viele Autoren sie an: um ihrem Ruf nach Reformen und nach Anerkennung der Forderungen so vieler Frauen Nachdruck zu verleihen und um an die biblische Grundlage für das Thema Geschlechtergerechtigkeit zu erinnern. Denn „eins sein“ – daran besteht für sie kein Zweifel – muss als „gleichrangig“ verstanden werden, als Ausdruck der gleichen Würde und daraus resultierend der gleichen Rechte von Männern und Frauen: weil Gerechtigkeit sein soll. Es geht darum, die biblischen Texte und das Handeln Jesu in der Begegnung mit Frauen ernster zu nehmen und beides geradezu als Aufforderung zu verstehen, die Ämter in der Kirche für alle gleichermaßen zu öffnen.

War nicht das Christentum von seinen Anfängen und seinem Wesen her eine Avantgarde? War nicht in ihm, konkret in Genesis 1, die gleiche Würde der Frau und damit die Gleichberechtigung der Frauen trotz und neben den historisch bedingten jeweiligen gesellschaftlichen Verengungen und Ausprägungen immer schon angelegt? Paulus lässt im Galaterbrief keinen Zweifel daran, dass er mit der Einebnung der gesellschaftlichen Rangunterschiede in der christlichen Gemeinde neue Maßstäbe setzt. Wäre angesichts der derzeitigen Rückschritte in Sachen politischer und sozialer Frauenemanzipation in verschiedensten Gesellschaften der Welt die Kirche also nicht gerade heute in besonderem Maße dazu aufgerufen, ein deutliches Zeichen zu setzen?

In der Realität sind wir davon nach wie vor weit entfernt, vor allem seit Papst Johannes Paul II. seine Basta-Entscheidung fällte und der Frauenweihe und sogar jeder weiteren Diskussion darüber 1994 eine endgültige Absage erteilte: Die Kirche habe nicht die Vollmacht, Frauen zur Priesterweihe zuzulassen (Ordinatio sacerdotalis Nr. 4). Die Rede von einer „wesenhaften Gleichberechtigung von Mann und Frau“ – wie in den Papst-Zitaten im Vorwort dieses Buches – hat demnach mit Gleichberechtigung, wie wir sie sonst verstehen, nichts zu tun; die kirchenrechtlich hierarchische Ordnung wird dadurch nicht angefochten. Sprache kann verführerisch sein, doppelbödig, irreführend. Auch da, wo bereits Papst Paul VI. und dann wieder Johannes Paul II. von der „Würde und Berufung der Frau“ im berüchtigten Singular schreiben und das Lehramt am Ende doch der Platzanweiser bleibt. Wie gerne würden wir doch die Päpste beim Wort nehmen, wenn nicht vieles das Gegenteil dessen bedeuten würde, was man/frau landläufig darunter versteht.

Wie anders und wie befreiend klingt da, was Michael Wüstenberg in diesem Buch zum Thema Vollmacht schreibt: „Es war gerade die Vollmacht, das Unerwartete zu tun, mit der Jesus Menschen zum Staunen brachte und den Glauben als überzeugende, attraktive Alternative aufzeigte. Petrus und überhaupt den Nachfolgenden Jesu wurde unmissverständlich Vollmacht verliehen: Die Gewalt, nicht alles festzubinden, sondern unerwartete Lösungen für anstehende Fragen zu finden.“

Inzwischen gibt es eine breite Koalition von immer mehr Männern der Kirche, die deutlich Position zum Thema Geschlechtergerechtigkeit beziehen. Wie an jenem denkwürdigen Abend des 6. Juni 2021, an dem Kardinal Reinhard Marx dem Papst seinen Rücktritt anbot, um – wie er sagte – persönliche Verantwortung für das eigene und das systemische Versagen der Kirche im Umgang mit den vielen Fällen sexualisierter Gewalt zu übernehmen. Damals sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, in zwei Interviews: „Wann endlich werden die Frauen Dienste und Ämter in der Kirche übernehmen? … Es geht um fundamentale Reformen, nicht um Schönheitsreparaturen“ (ZDF-Interview am 4.6.2021). Und eine Stunde später in der ARD: „Wir müssen in der Frage der Gleichberechtigung der Frauen auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens vorankommen. Und das wird nicht enden an der Grenze des sakramentalen Amtes.“

Solche Worte lassen aufhorchen und zeigen, wie viel sich gerade im letzten Jahr getan hat, wie vieles – nicht zuletzt auch durch den Synodalen Weg – in Bewegung gekommen ist, und wie sehr die Fragen nach Frauenberufungen und Frauenweihe derzeit neu ausgelotet werden. Aufhorchen lassen dabei auch Stimmen, die darauf hinweisen, dass es nicht allein um die Gerechtigkeit für Frauen, sondern um den gleichberechtigten Zugang zu den Ämtern für alle geht. Auch für jene Katholik*innen, die sich mit ihrer sexuellen Identität nicht in das überkommene binäre Mann-Frau-Geschlechtersystem einordnen lassen.

RÜCKBLICK

Vor einem Jahr, genauer am 1. Februar 2021, erschien das Buch „Weil Gott es so will – Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin“; inzwischen liegt es bereits in fünfter Auflage vor. 150 authentische, bewegende, erschütternde und aufrüttelnde Lebenszeugnisse sind darin gesammelt. Leidensgeschichten von Frauen aus vier Generationen und aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Der rote Faden, der sich durch alle diese Berichte zieht: die Erfahrung von Diskriminierung und Ausgrenzung, von mangelnder Teilhabe und Mitverantwortung, von Ohnmacht, Ungerechtigkeit und Entwürdigung. Jahre-, zum Teil jahrzehntelanger Kampf, um die eigene Berufung leben zu können, um die Anerkennung der den Frauen geschenkten Charismen und Begabungen. „Daher muss heute der Beginn des Reiches Gottes durch eine Vielfalt von Charismen und Ämtern, durch Männer und Frauen, durch Verheiratete und Ehelose zeichenhaft realisiert werden“, schreibt einer der Männer in diesem Buch. Und ein anderer fügt hinzu: „Wenn ich ein Amt ausübe, das Frauen verschlossen ist, diskriminiere auch ich Frauen strukturell … Es wird Zeit, dass wir die Fülle Gottes zulassen, wenn wir uns nicht weiter am Evangelium und den Frauen versündigen wollen.“

Schon bald nach Erscheinen des Buches „Weil Gott es so will“ erreichte die Herausgeberin eine Flut von Zuschriften und Dankesbekundungen. Viele, sehr viele Frauen erkannten sich selbst und ihre Geschichte in den 150 Lebenszeugnissen wieder. Sie waren überwältigt davon, dass ihre Erfahrungen endlich aus der (kirchlichen) Tabuzone herausgeholt worden waren und sie es nun auch selbst wagen konnten, über ihre Berufung zur Diakonin oder Priesterin zu sprechen. Auch eine große Anzahl von (Kirchen-)Männern schrieb der Herausgeberin, solidarisierte sich mit den Frauen und gestand offen ein, dass auch sie an der ungeheuren Verschwendung an weiblichen Begabungen und Charismen leiden und die Frauen im Dienst der Verkündigung ebenso wie in der Sakramentenspendung schmerzlich vermissen. Am Juniatag 2021, dem 17. Mai, ertönte dann im Kloster Fahr ein vielstimmiger Chor geweihter und nicht-geweihter Männer: „Du fehlst uns Schwester, Du fehlst uns!“

Viele Männer gaben den Frauen nun spürbaren Rückenwind. Es entstand eine breite Koalition reformwilliger und reformbereiter Männer der Kirche. Manche – auch Bischöfe – bekannten, dass die Lektüre des „Frauenbuches“ ihr Denken tiefgreifend verändert habe, dass sie sich künftig in der Frauenfrage stärker engagieren und erst dann darin nachlassen würden, wenn fundamentale Reformen angegangen und die strukturelle Diskriminierung der Frauen in der Kirche beseitigt sei.

Im Sommer 2021 sprach Professorin Johanna Rahner anlässlich einer Frauenkonferenz des Bistums Rottenburg-Stuttgart dann das aus, was uns am Ende dazu motiviert hat, dieses Projekt „(Kirchen-)Männerbuch“ in Angriff zu nehmen. Johanna Rahner sagte: „Wir müssen über Diskriminierung von Frauen sprechen und es sind nicht die Frauen, die das ändern können.“

AUSBLICK

So entstand dieses Buch als Pendant und als komplementäre Antwort auf „Weil Gott es so will“. Die hier gesammelten Stimmen von mehr als 100 Männern mehrerer Generationen und unterschiedlicher Positionen – engagierter Laien, Lehrer und Hochschullehrer, Diakone, Ordensleute, Priester und Bischöfe – sind exemplarisch und stehen repräsentativ für das Ganze. Es sind leidenschaftliche und auch eher nüchterne Texte dabei, wohldurchdachte Plädoyers ebenso wie erfahrungsgesättigte Lebenszeugnisse, pragmatische Ansätze ebenso wie tief spirituelle Betrachtungen, deutschsprachige genauso wie internationale Blickwinkel und Perspektiven. Gerade diese Fülle und Vielfalt lässt erahnen, wie groß und weit das Katholische sein kann und wie der (Heilige) Geist und die Geistkraft wehen, wenn man/frau sich ihnen öffnet.

Nicht wenige der Autoren bewundern die Frauen dafür, dass sie überhaupt noch kämpfen und nicht schon längst resigniert haben. Sie sprechen von ihrer unerfüllten Sehnsucht nach Geschlechtergerechtigkeit und von ihrem eigenen Leiden daran, dass Frauen in der Kirche noch immer diskriminiert und ausgegrenzt werden. Sie setzen sich ganz offen für einen kritischen Umgang mit ihren eigenen männlichen Privilegien ein, bekennen sich zu eigenem lange Zeit allzu klerikalen und hierarchischen Denken und schildern dann ihre persönlich so bereichernden Erfahrungen im Miteinander der Geschlechter in ihrem pastoralen Alltag. Sie plädieren dafür, dass Frauenberufungen vorurteils- und angstfrei geprüft und anerkannt werden, anstatt sie unzulässiger Subjektivität zu verdächtigen und achtlos zur Seite zu legen.

Viele Beiträge zeugen auch von einem neuen „kritischen Mannsein“ in der Kirche. Ähnlich wie in der aktuellen Rassismusforschung die Haltung des „Critical Whiteness“ (Kritisches Weißsein) zuerst die eigenen Privilegien aufspürt und zum Thema macht, beschreiben Autoren Momente in ihrer Biografie, in denen ihnen die strukturelle Bevorzugung als Mann bewusstwurde. So schreibt ein Autor über seine privilegierte Position in einem Gottesdienst: „Ich fühlte, ich würde einen Platz okkupieren, der mir nicht zustand.“ Es sind vor allem diese Momente, in denen für die Männer neben der theologischen Reflexion konkret und biografisch spürbar wird, dass sie mit ihrem Mannsein eine Rolle im System Kirche zugewiesen bekommen, die sie so nicht mehr länger einnehmen wollen. Sie wollen eben nicht nur, dass sich etwas für die benachteiligten Frauen ändert, sondern sie wollen auch, dass sich damit ihre privilegierte Rolle als Mann verändert. Ihre Solidarität mit den Frauen endet gerade nicht an der Stelle, wo Gleichberechtigung bedeutet, auf eigene Privilegien verzichten zu müssen. Damit unterscheiden sie sich von wohlmeinenden männlichen Beteuerungen, die viel Nettes über Frauen in der Kirche zu sagen wissen, dabei aber nicht über sich selbst und die eigene Rolle als Mann sprechen.

Nicht wenige der Autoren stellen schließlich ebenso nüchtern wie zornig fest, wie sehr sich die Kirche selbst schade, wie sehr sie sich selbst amputiere und ihre vielleicht letzte Glaubwürdigkeit verspiele, wenn sie die Frauen weiterhin ihrer Gleich-Würdigkeit beraube. Und sie stellen angesichts des immer bedrohlicher werdenden Priestermangels die Frage, ob die sakramentale Struktur der Kirche und der ungehinderte Zugang der Menschen zu den Sakramenten nicht ungleich wichtiger ist als die Frage nach der Zugangsberechtigung zu den Weiheämtern. Mithin ob die Zukunftsfähigkeit der Kirche nicht ganz entscheidend von der Zulassung der Frauen zu den Weiheämtern und der verstärkten Einbeziehung alle Getauften und Gefirmten in die Grundvollzüge der Kirche abhängt.

Eine Fülle von Texten argumentiert auf hohem theologischen Niveau und bekennt sich zu einer lebendigen, fortschreitenden Dynamik der Tradition, setzt sich kritisch mit der sog. Unveränderbarkeit der Lehre auseinander und plädiert für eine stets neue Verankerung der Botschaft Jesu im Heute. „Ist die Kirche nicht auch deshalb aus der Zeit gefallen, fern aller Sensibilität des heutigen demokratischen Menschen, weil die Stimme der Frauen zu schwach in ihr ausgeprägt war?“, fragt einer der Autoren.

Vielfach bedacht wird in diesem Buch auch das Thema Einheit in Verschiedenheit. „Einheit ist keine Gleichförmigkeit, sondern eine facettenreiche Harmonie“, betonte Papst Franziskus in einer Videobotschaft an die Teilnehmer eines Kongresses zum Ordensleben in Lateinamerika am 13. August 2021. Dem würden die Autoren dieses Buches sicher freudig zustimmen, setzen sie sich doch an vielen Stellen dafür ein, Universalität nicht mit Uniformität zu verwechseln und dankbar anzuerkennen, dass Teilkirchen innerhalb der katholischen Welt unterschiedliche Wege gehen, in verschiedenen Tempi unterwegs sein können, mithin die historisch gegebene Vielfältigkeit in der Weltkirche neu entdecken und leben sollten.

Auch das Thema Frauenweihe und Frauenordination im Zusammenhang mit der Ökumene wird mehrfach angesprochen. Wer dachte und denkt, dass die Diakoninnenund Priesterinnenweihe von Frauen ein Hindernis auf dem Weg zur Einheit der christlichen Konfessionen sein könnte, wird von Peter Neuner eines Besseren belehrt: „In München widersetzte sich einst der evangelische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger aus Gewissensgründen der Ordination von Frauen. In dieser Kontroverse zwischen Synode und Landesbischof bat Martin Bogdahn, der spätere evangelische Regionalbischof in München, Karl Rahner um eine Stellungnahme darüber, ob die Einführung der Frauenordination tatsächlich ein Hindernis für die Ökumene darstellen würde. Rahner bezeichnete in seiner Antwort von 1974 eine eventuelle Entscheidung für die Frauenordination als kirchenrechtliche und pastorale Differenz zur katholischen Kirche, die aber den dogmatischen Dissens nicht tangiere. In der Praxis, ausschließlich Männer zu ordinieren, sah er ‚einen bloß menschlich geschichtlichen … Reflex der profanen kulturellen und gesellschaftlichen Situation der Frau, einer Situation, die heute sich sehr schnell wandelt.‘“ Und so fügt der Autor am Ende hinzu: „Die christlichen Kirchen haben einen reichen Erfahrungsschatz in der Öffnung zur Frauenordination gesammelt. In ökumenischer Verpflichtung sollte man ihn auch in der katholischen Kirche fruchtbar werden lassen.“

Am Ende dieses Buches sind – parallel zu den drei abschließenden Männerstimmen im Frauenbuch – noch einmal drei weibliche Stimmen zu hören. Alle drei sind hochengagierte Frauen und setzen sich leidenschaftlich für die Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche ein: die eine im Rahmen des Synodalen Weges und der Orden, die zweite im Rahmen der theologischen Wissenschaft und die dritte in politischem und kirchenpolitischem Kontext. Wir danken den Autorinnen für ihre anerkennenden und motivierenden Statements.

An dieser Stelle nun aber sei endlich den 105 Autoren und Autorinnen dieses Buches selbst gedankt. Sie sind unserem Ansinnen gefolgt und haben sich mutig und klar positioniert. Sie haben sich in das vorgegebene Korsett einer Textsammlung einspannen lassen und manchmal auch mit den Herausgebern gerungen. Uns hat die Zusammenarbeit Freude gemacht und eine Fülle von Anregungen gegeben. Dasselbe wünschen wir den Leserinnen und Lesern dieses Buches.

Unser Dank gilt auch Herrn Clemens Carl und dem Verlag Herder, die die Idee zu dieser Textsammlung offen aufgenommen und das Projekt wie gewohnt sorgfältig betreut haben.

Das Schlusswort soll nun aber John Henry Newman haben, jener heilige Kirchenvater, der schon vor 150 Jahren ein leidenschaftliches Plädoyer für die Wandelbarkeit der Kirche ablegte, in dem er zu Protokoll gab:

„To live is to change, and to have lived well is to have changed often.“

In diesem Sinne müssen wir künftig unseren Denkhorizont noch einmal weiten und uns dafür einsetzen, dass die Weiheämter in der Kirche nicht nur Männern und Frauen, sondern ausnahmslos allen Menschen aller Geschlechter offenstehen.

Philippa Rath / Burkhard Hose

am Fest des heiligen Martin, dem 11. November 2021

DIE ERFAHRUNGSBERICHTE DER MÄNNER

Von A–Z

1 „Ohne Frauen gibt’s halt kein Leben“ Bevor ich – 1962 zum Priester geweiht – 1987 Domkapitular und 1990 Generalvikar wurde, arbeitete ich 25 Jahre in der aktiven Seelsorge, zuletzt als Pfarrer und Dekan. Geprägt haben mich in diesen Jahren die gesellschaftlichen Umbrüche der 1968er Jahre, sowie die kirchlichen Aufbrüche des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland.

In meiner Zeit als Generalvikar (1990–2006) war ich auch 14 Jahre Personalchef der Priester. Dabei musste ich mit den Jahren den immer stärker werdenden Priestermangel erleben, der dazu führte, dass wir eine Pfarrei und Seelsorgestelle nach der anderen nicht mehr besetzen konnten und viele Pfarrer eine zweite und dritte Pfarrei mitübernehmen mussten. Hinzu kam: In den 14 Jahren meines Dienstes als Personalchef der Priester haben 22 Mitbrüder ihren Dienst aufgegeben. Ich stelle mir heute die Frage, ob ich seinerzeit immer die richtigen Worte gefunden habe, ob ich diesen jungen Männern geholfen habe, ob ich richtig reagiert habe. Es ging ja bei diesen Gesprächen um die Zukunft und die Identität eines Menschen. Und ich frage mich nachträglich: Musste das alles sein? Ist das nicht Missbrauch an Berufungen? Kann unsere Kirche sich nicht endlich dazu entschließen, Berufungen, die Gott gibt, Charismen, die er schenkt, in aller Freiheit zuzulassen, und ihm dafür sogar danken?

Dem immer bedrängender werdenden Priestermangel versuchten wir auf verschiedenen Wegen entgegenzusteuern. Wir versuchten – wie auch andere Diözesen –, die Lücken durch ausländische Priester zu füllen. Das war und ist nicht ganz unproblematisch. Priester sind nicht einfach von Land zu Land verschiebbar. Am Beginn meiner Dienstzeit im Ordinariat bekam ich den Auftrag, den Ständigen Diakonat in unserem Erzbistum wiederzubeleben. Die Diakone sollten an der Seite der Priester in der Pastoral und vor allem in der kategorialen Seelsorge wirken. Nach einem dreijährigen Kurs konnten damals 12 verheiratete Männer geweiht und in Dienst genommen werden. Seitdem gibt es immer wieder Weihen zum Ständigen Diakonat. Aber schon im ersten Kurs tauchte die Frage auf, ob deren Aufgaben bezüglich der Sakramentenspendung nicht zu begrenzt und zu eng seien. Sollten sie nicht, gerade wenn sie an kategorialen Stellen eingesetzt werden, auch die Krankensalbung und das Bußsakrament spenden können. Fragen, die bis heute unbeantwortet geblieben sind.

Schließlich setzten wir in der pfarrlichen und kategorialen Seelsorge immer mehr Pastoralreferent/innen und Gemeindereferent/innen ein. Deren Dienst ist immer unverzichtbarer geworden. Aber die bisherige Zuordnung der Sakramente an Priester und Diakone lässt ihr Wirken in der Pastoral immer ein wenig amputiert erscheinen, vor allem in der kategorialen Seelsorge, in der sie hauptsächlich eingesetzt sind. Es ist doch seltsam, dass wir theologisch ausgebildete Mitarbeiter/innen in die Pastoral senden, ohne ihnen die wertvollsten Gaben der Kirche dorthin mitzugeben: die Sakramente. Das bewirkt auch, dass die Nachfrage nach den Sakramenten immer geringer wird, weil es immer schwieriger wird, einen Seelsorger zu finden, der das Sakrament der Eucharistie, der Versöhnung und der Krankensalbung spenden kann. Damit wird ein wichtiges Zeichen unserer Kirche als Ur-Sakrament in der Bevölkerung immer undeutlicher. Die Frage ist: Warum sind diese Seelsorger/innen nur beauftragt und nicht – zumindest für einige Sakramente – geweiht?

Eine der Antworten darauf ist sicher: Weil die Weihe in unserer Kirche den zölibatären Männern vorbehalten ist und damit auch alle Leitung und Letztverantwortung. Weltweit war dazu in den 1980/90er Jahren durch engagierte Ordensfrauen, vor allem aus Amerika, eine Diskussion über die Weihe von Frauen in Gang gebracht worden. Johannes Paul II. hat dann in seinem Schreiben Ordinatio sacerdotalis 1994 bekräftigt: „Die Kirche hat keine Vollmacht …“ Er hat dies so absolut und energisch für seine Kirche zum Ausdruck gebracht, dass dies erst recht die heutige Diskussion um das Weiheamt für Frauen angefacht hat.

Und das in einer Kirche mit einer Geschichte, die mit der Apostelin Maria Magdalena begann und die von großen Frauen wesentlich geprägt wurde: Hildegard von Bingen, Katharina von Siena, Elisabeth von Thüringen, Teresa von Ávila, Mary Ward und vielen Ordensgründerinnen der Neuzeit. Und das in einer Zeit, in der langsam der katastrophale Umfang des sexuellen Missbrauchs durch Zölibatäre in den USA und Europa öffentlich bekannt wurde. Und das in einer Zeit, aus der heute zahlreiche Fälle sexueller und spiritueller Gewalt an Frauen, vor allem an Ordensfrauen, durch Priester und sogar Bischöfe bekannt sind, von denen Rom schon damals wissen musste. Und das zu einer Zeit, in der auch schon unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. auf der ganzen Welt tausende Frauen, weil keine Priester zur Verfügung standen, nicht nur die Kirche putzten und die Kelchtücher wuschen, sondern auch Gemeinden leiteten, Gottesdienste feierten, Lektorendienste leisteten, Kommunion austeilten, Gebets- und Bibelkreise führten, Jugend für die Sakramente vorbereiteten, Kranke und Alte besuchten und trösteten usw. Seither wird über die Weihe von Frauen debattiert und geredet, die Argumente „Für“ und „Wider“ werden hochwissenschaftlich ausgetauscht. Dabei geht es doch nicht um die „Lehre“, sondern um das „Leben“, um das Leben der Kirchen vor Ort, um deren sakramentales, heilswirksames Wirken, ihre evangeliumsgemäße Verkündigung und ihr sichtbares Zeugnis für Gott.

Und was ist gar, wenn sich Frauen zum Priesterinnenoder Diakoninnenamt berufen fühlen? Gott und sein Evangelium braucht auch heute Menschen. Er braucht sie als Menschenfischer/innen für sein Reich. Geht unsere Kirche mit den Berufungen von Frauen und Männern richtig um? Ist sie nicht selbst mit schuld an ihrer Personalmisere und an der Austrittswelle, weil sie sich aufgrund von Gesetzen, die sie sich selbst gegeben hat – von denen einige unablässig behaupten, sie seien göttlich –, ständig selbst blockiert?

Wenn ich im Jahr 2021 nach zwei Organisationsphasen in unserem Erzbistum die großen Seelsorgeeinheiten mit ihren Leitenden Pfarrern und den ihnen zugeordneten pastoralen Mitarbeiterteams sehe, dann kann ich erkennen, dass zwar Sakramente gefeiert und Seelsorge notdürftig besorgt wird; das funktioniert. Aber die Kirchen vor Ort, die Gemeinden um die Kirchen herum leiden. Glaube, Hoffnung und Liebe, das Ziel und der Sinn des Evangeliums wachsen aus Gemeinschaft, aus persönlicher Begegnung, aus Beziehung, aus Nähe, aus Dasein, aus Dabeisein, aus Zeit füreinander, aus Gespräch, aus Mitleben, aus gemeinsamen Festen und Feiern, aus Mitleiden und miteinander Weinen, aus Leben miteinander. Das alles scheint mir in diesen Seelsorgeeinheiten zu kurz zu kommen. Frauen nehmen das intuitiv noch schmerzlicher wahr. Die Kirche braucht in ihrer Pastoral mehr denn je das weibliche Element. Sie braucht geweihte Frauen sowohl für die Spendung der Sakramente als auch für die Verkündigung und auch für Leitung und Verantwortung vor Ort. Ohne Frauen gibt’s halt kein Leben. Die Kirche selbst ist ja weiblich. Und Gott ist Vater und Mutter.

2022 werde ich 60 Jahre Priester sein. Ich liebe die Kirche seit meiner Buben- und Ministrantenzeit. Kirche ist meine Heimat bis heute. Ich liebe sie als pilgerndes Volk Gottes im Jetzt unterwegs, die Feuersäule Jesus Christus voran. Aber ich leide auch an ihr. Was ich jahrelang unbewusst und wohl auch aus blinder Liebe verdrängt habe: dass sie reformbedürftig ist und menschen- und lebensnäher werden muss. Das ahnte und spürte ich zwar. Das ging mir aber erst endgültig und bestürzend auf, als der Skandal des Missbrauchs offenbar wurde. Da ging mir auf: Das mit der Kirche kann doch so nicht stimmen, mit ihrer Verfasstheit, ihren Gesetzen und Vorschriften. Das bedarf der Erneuerung in den Spannungsbereichen Institution – Evangelium, Hierarchie – Volk Gottes, Frau – Mann, Lehre – Leben, Macht – Dienst. Sie muss sich wieder durch Christus verwandeln lassen in eine Kirche der Frohbotschaft und des Gebotes Jesu „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe.“

2 „Eigentlich könnte Kirche Pionierin und Vorkämpferin sein“ Ein intensiver Lernort ist für mich in diesen Tagen das Nürnberger Klimacamp. Weniger, weil es dort um Klima geht – das versteht sich von selbst. Sondern weil es auch um soziale und Gendergerechtigkeit geht, den Kampf gegen jegliche Diskriminierung und inklusive Sprache. Was auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun hat, hängt doch zusammen: Wer wenig sensibel mit der Schöpfung umgeht, geht auch wenig sensibel mit seinen Mitmenschen um. Und genauso, wie beispielsweise Investitionen in Frauen bessere Wege zur Armutsbekämpfung eröffnen, scheinen mir Frauen jene zu sein, die uns schneller, besser und energischer den Weg zu mehr Klimagerechtigkeit eröffnen können. Zugleich ist mir wichtig zu betonen: Sprachsensibilität allein eröffnet noch keine herrschaftsfreien Räume. Es braucht auch eine Auseinandersetzung mit Strukturen, damit das, was in den Köpfen beginnt, in der Welt durchgesetzt werden kann. Und so ergänzen sich die „Aktivisti“ und „Strukturisti“ im Nürnberger Klimacamp dann doch ganz gut. Dabei ist für mich überraschend, wie viele Menschen mit christlichem Hintergrund sich im Klimacamp engagieren, weil sie in der Kirche keinen Ort mehr für ihre Anliegen sehen. Zunehmend scheint mir, dass im Klimacamp mehr zum Schutz „Unseres Gemeinsamen Hauses“ geschieht als in der Kirche, deren Papst Laudato Si geschrieben hat. Schade, finde ich, denn eigentlich könnte und sollte Kirche hier Pionierin und Modell sein.

Aber dafür bedarf es mehr als guter Enzykliken. Es reicht nicht mehr, in Nr. 121 von Fratelli (!) tutti festzustellen, dass „es inakzeptabel ist, dass eine Person weniger Rechte hat, weil sie eine Frau ist“, ohne diesbezüglich und hinsichtlich der Kirche auch nur einen Diskussionsbedarf zuzugeben. Es reicht nicht mehr, Maria Magdalena als „Apostelin der Apostel“ auf den Altären noch ein Stückchen höher zu rücken. Wenn es dabei bleibt, dann wenden sich Menschen zunehmend alternativen Handlungskontexten zu.

Werte, kulturelle Normen und Traditionen sind nicht statisch. Sonst hätten wir heute noch Sklaverei, Kinderarbeit oder den Ausschluss der Frauen vom Wahlrecht. Aber: Jeder bahnbrechenden Werterevolution geht stets das Engagement einer kleinen Minderheit für diesen Wandel voraus, während sich die Mehrheit dagegen sperrt. Irgendwann wird dann ein „sozialer Kipppunkt“ überschritten, und rückblickend wundern sich alle, dass es solche Zustände überhaupt einmal gab.

Warum sollte es also ausgeschlossen sein, dass wir erneut vor einem solchen Wandel stehen? Könnten die überall aufbrechenden Bewegungen für die gleichen Rechte und die gleiche Würde von Menschen innerhalb und außerhalb der Kirchen nicht ein „Zeichen der Zeit“ sein, dem man sich nicht abwehrend, sondern offen stellen sollte?

Dabei gehören Kirchen in Teilbereichen zu den Pionieren und Vorkämpfern: „Black Lives Matter“ in der Kirche schon lange. Ebenso waren es Kirchen, die gleiche Rechte für „Menschen ohne Papiere“ nicht nur forderten, sondern erfolgreich einforderten.

Oder wenn es um das Vermitteln von Solidarität mit und Hilfe für Menschen überall auf der Welt geht, eben weil sie Menschen mit gleichen Rechten und gleicher Würde sind: Wie stünde es weltweit um soziale Gerechtigkeit und ökologisches Bewusstsein, wenn es nicht die Katholische Soziallehre und die Enzykliken vor allem des jetzigen Papstes gäbe? Und gerade heute, angesichts schnell nahender Klima-Kipppunkte, wird das Potenzial der katholischen Kirche, eine weltweit grenzübergreifende Triebkraft für die Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation zu sein, dringender denn je benötigt.

Wie aber kann man Gutes an der aktuellen institutionellen Verfasstheit bewahren, wenn man sich zugleich anderen menschenrechtlich berechtigten Aufbruchsbewegungen verweigert? Eine Gemeinschaft, die in der Bedeutungslosigkeit versinkt, nützt nichts und niemandem mehr!

Die Kirche der Zukunft wird in Liturgie, Moral und Amt deutlich pluraler und diverser sein, etwa indem verstärkt Bischofskonferenzen Dinge für ihren Zuständigkeitsbereich regeln können. Ähnlich wie es bei der Katholischen Soziallehre schon der Fall ist, die auch ein weltweit identitätsprägendes Merkmal der Kirche ist. Dabei erheben deren Prinzipien und Werte gerade nicht den Anspruch, alles überall für alle gleich verbindlich und detailliert regeln zu wollen.

Kirche sortiert sich neu. Wie zu den Zeiten des Heiligen Augustinus gilt: „Viele, die draußen zu sein scheinen, sind drinnen; viele, die drinnen zu sein scheinen, sind draußen.“ Vertrauen wir darauf, dass nach der Amazonas-Synode und dem Synodalen Weg auch die ab Oktober beginnende Weltsynode vom Heiligen Geist geleitet wird!

Jörg Alt SJ

3 „Ob ich das noch erlebe?“ Frauen als Priester in der römisch-katholischen Kirche – ob ich das noch erlebe? Ich werde im Oktober 2022 sechzig Jahre alt. Hellseherqualitäten habe ich nicht. Prophet bin ich auch keiner. Aber Probleme hätte ich keine damit. Frauen als Priester sind für mich ein Gewinn! Es ist eine dumme Polemik, wenn gesagt wird, dann würde die „Diktatur der Männer“ durch die noch viel schlimmere „Diktatur der Frauen“ abgelöst. Aber ich befürchte, im Moment würde das unsere Kirche zerreißen oder spalten.

Am 24. April 1993 wurde ich zum Priester geweiht. In Wien. Christoph Schönborn war damals noch Weihbischof. Ein Dominikaner, der einen Jesuiten weiht – das war der Gedanke, als der Provinzial mit mir besprach, wen er um die Erteilung der Weihe bitten solle. Man könne ja nicht immer nur Helmut Krätzl fragen, den beliebten langjährigen Wiener Weihbischof. Einige Wochen vor der Weihe kam die Sprache auf meine Primiz in der Konzilsgedächtniskirche in Wien-Lainz, wo ich ein zweijähriges Pastoralpraktikum in der Pfarre absolvierte. Nach Jahren des Studiums und hauptsächlich akademischen Tätigkeiten lernte ich dort viel: fachlich wie menschlich. „Wer ist dein Primizprediger?“, wollte der Provinzial wissen. Ich antwortete, ich hätte an meine Supervisorin gedacht. „Das geht gar nicht“, war die umgehende Antwort. Begründung: „Wenn das Kardinal Groër erfährt, gibt es ein Veto.“ Ich wandte ein: „Aber Hildegard kennt mich, sie hat mich zwei Jahre lang begleitet.“ Antwort: „Aber sie ist nicht Priester.“ Ich: „Aber immerhin Ordensschwester. Und auch eine Frau kann einem Neupriester etwas für seinen Weg mitgeben.“ Es blieb beim Nein des Provinzials – vorauseilender Gehorsam, um einen allfälligen Konflikt oder einen Rüffel zu umgehen. Wenn ich heute daran zurückdenke, muss ich lachen. Aber so war das damals, vor bald dreißig Jahren: das kirchliche Klima in Wien. Eine Zeitlang habe ich mich noch darüber geärgert: Warum habe ich nachgegeben? Heute käme ich gar nicht mehr auf die Idee, deswegen zu „verhandeln“: Entweder würde ich die Frage ausweichend beantworten und jemanden einfach vor vollendete Tatsachen stellen und einen Rüffel einkalkulieren. Oder ich würde sagen: „Entweder so oder gar nicht.“

Dass Frauen in der Verkündigung „zweite Klasse“ sind, würden heute vermutlich die wenigsten Bischöfe sagen. De facto weicht man aber an vielen Orten nach wie vor aus: Es muss „ein Zeugnis“ sein, keine Predigt. Und am besten außerhalb einer Eucharistie – wenn schon, denn schon. Meine Erfahrung: Frauen haben eine andere Sprache, verwenden andere Bilder, fühlen sich anders ein. Davon kann, wer „unten“ sitzt, im Volk, nur profitieren. Warum lassen wir uns dieses wertvolle Potenzial entgehen? Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Ausnahme einmal zur Regel sein wird. Hildegard Teuschl CS († 2009), die Pionierin der Hospizbewegung in Österreich, hat mir dann eine private Primizpredigt gehalten. An die erinnere ich mich heute noch! Durchaus eine dominante Persönlichkeit, hatte sie priesterliche Züge, wie viele andere Theologinnen auch.

Ich glaube, manche Kleriker (aber nicht nur sie) vertragen keine „starken“ Frauen in der Kirche. Und sind deswegen gegen Frauen als Priester. Etliche Argumente, die ich früher nachgeplappert habe, überzeugen mich heute nicht mehr. Wenigstens kann man heute darüber reden, ohne sanktioniert zu werden. Das ist schon was. Wer nicht nach „höheren Weihen“ strebt, kann auch etwas riskieren. Aber es wird vermutlich noch lange dauern, bis … Papst Franziskus wird diese Türe wohl nicht öffnen. Die Frage, wie wir damit umgehen, wenn Frauen sagen: „Ich fühle mich zur Priesterin berufen“, beschäftigt mich seit meinen Studienzeiten. Pech, wenn man das falsche Geschlecht hat? So einfach (und billig) geht es nicht, Enzyklika hin oder her. Die Behauptung, die Tradition der Kirche gebe das nicht her, überzeugt mich ebenso wenig wie der Satz, die Kirche sei von Jesus her nicht befugt. Woher weiß sie das?

Andreas R. Batlogg SJ

4 „Warum eigentlich nicht?“ „Ich habe keine Zeit für diese Art von Verwicklungen.“ So beantwortete Bob Dylan 1978 die Frage, ob er oft Frauen trifft. Wenig später nahm er „Slow Train Coming“ auf, das Album mit dem Dylan für einige Jahre zum Missionar wurde. Die Songtexte glichen Predigten und seine Fans riefen ihm bei den gottesdienstähnlichen Konzerten zu: “Jesus loves your old songs too.“

Wäre Bob Dylan zu dieser Zeit in die kleine Kirche meines Heimatdorfes gekommen, hätte er keine Sorge wegen möglicher Verwicklungen mit Frauen haben müssen. Es herrschte radikale Geschlechtertrennung. Die Mädchen saßen vorne links, die Jungs vorne rechts. Die Männer oben auf der Empore, die Frauen darunter. Der Altarraum war sowieso dem Y-Chromosom vorbehalten. Weibliche Wesen durften ihn höchstens zur Adventszeit betreten, um dort „Wir sagen Euch an …“ auf der Blockflöte zu spielen. Immerhin. Nach der Erstkommunion wurde ich Messdiener, wie alle Jungen im Dorf. Birgitta, meine zwei Jahre ältere Schwester, hätte auch gerne im Talar und Rochett den Priestern Wasser über die Fingerspitzen gegossen. Sie durfte es aber nicht. Mädchen waren dafür nicht vorgesehen. Als ich Leiter der Ministranten wurde, habe ich das geändert. Ich fand es nicht richtig, dass Elvira und Ute samstags um 19.15 Uhr die erste Altarstufe nicht überschreiten durften. An großen Widerstand seitens der Priester kann ich mich nicht erinnern. „Warum eigentlich nicht?“, war die unaufgeregte Reaktion. So wurde in der Eifel schon in den 70ern des letzten Jahrhunderts Realität, was in Rom erst 1992 offiziell erlaubt wurde.

Bob Dylan ließ sich von Frauen weiterhin nicht verwirren. Zumindest nicht auf der Bühne. Frauen durften höchstens als Backgroundsängerinnen in seiner Nähe sein. Mich hat das damals nicht weiter irritiert: in der Plattenkiste meiner Pubertät steckte ausschließlich Musik von Männern. Die Frauenfrage stellte sich mir beim Besuch im Plattenladen nicht. „Beatles oder Stones?“ lautete die wichtige Frage unter Freunden. Die Liste meiner ersten Konzerte gleicht geschlechtermäßig dem Zelebrantenplan im Kölner Dom. Erst 1986 besuchte ich das Konzert einer weiblichen Pop-Band: The Bangles in der Frankfurter Batschkapp. Wer einen genderkritischen Blick auf mein Plattenregal wirft, erkennt weiterhin männliche Dominanz.

Wenn ich mich dafür einsetze, dass die Berufungen von Frauen in der Kirche endlich akzeptiert werden, geht es mir auch nicht darum, dass die Kirche „weiblicher“ wird. Ich will aber, dass die Frau, die morgens im Radio so klug über das Tagesevangelium spricht, auch am Sonntag in der Eucharistiefeier predigt. Ich will, dass die Ordensfrau, die mich eine Woche lang bei den Exerzitien begleitet, mir das Bußsakrament spenden kann. Und ich will, dass die Professorin für Kirchenrecht oder Dogmatik auch die Möglichkeit hat, zur Bischöfin geweiht zu werden. Nicht weil sie es besser kann. Ich habe mich schon so manches Mal über eine schlechte Morgenandacht von Frauen geärgert – genauso oft wie von Männern. Geschlechtergerechtigkeit beginnt aber da, wo Frauen überhaupt dieselben Chancen bekommen wie Männer. Wie in der Popmusik. Auch da langweile ich mich schon mal bei Konzerten von Frauen und so manch hoffnungsvoll erworbene Schallplatte lege ich enttäuscht beiseite. Aber was wäre mein Leben ohne die Songs von Aretha Franklin und Billie Eilish, und die Konzerte der Breeders, von Saint Etienne und Courtney Barnett!

In der Zwischenzeit hat auch Bob Dylan die Würde der Frauen entdeckt. 1997 trat er beim Eucharistischen Kongress auf Einladung von Johannes Paul II. auf. Er spielte unter anderem „A hard rain’s gonna fall“. Bei der Verleihung des Literaturnobelpreises an ihn erklang dieses Lied erneut. Er spielte es aber nicht selbst. Dylan erschien nicht persönlich in Stockholm, sondern bat die Musikerin Patti Smith, ihn zu vertreten. Sie performte für den Preisträger das düstere Lied, stockte beim Text und musste neu ansetzen. Es ist eine der beeindruckendsten Versionen dieses Songs.

Was wäre das für eine Kirche, in der Frauen mit ihren Begabungen, Talenten und auch mit ihren Fehlern mein Leben reicher machen würden? Es wäre eine Kirche, die lernt, dass Gerechtigkeit in den eigenen Reihen beginnt. Wann endlich sagt ein Papst dazu: Warum eigentlich nicht?

Norbert Bauer

5 „Global denken, lokal handeln“ Viel Asche, wenig Feuer – diese Worte spiegeln wider, was ich seit längerer Zeit in immer stärkerem Maße denke, wenn es um die katholische Kirche geht. In der Morgenandacht des Deutschlandradios am Pfingstsonntag hörte ich: Die beiden Kirchen in Deutschland sind nur noch mit sich selbst beschäftigt und wirken nach außen uninspiriert. Kardinal Marx sprach bei seiner Rücktrittserklärung von einem „toten Punkt“.

Ich werde hier und jetzt nicht detailliert ausführen, was meiner Ansicht nach in den letzten Jahren alles schiefgelaufen ist, die Liste wäre endlos. Vielmehr möchte ich mich nur mit einem Thema beschäftigen, nämlich der Frage, ob in der römisch-katholischen Kirche die Weihe von Frauen zu Priesterinnen in der aktuellen Situation Abhilfe schaffen könnte.

Auf den ersten Blick hat das Eine – die Lösung der derzeitigen Kirchenkrise – mit dem Anderen – der Frage nach der Weihe von Frauen – nichts zu tun. Doch das Nicht-Weihen von Frauen zu kirchlichen Ämtern ist eine der Ursachen der Krise. Unsere Kirche tut sich bekanntlich schwer damit, alte Traditionen in Frage zu stellen. Wenn das aber nicht bald und gründlich passiert, so befürchte ich, dass in Mitteleuropa die Glut komplett erlöschen wird. In der Tschechoslowakei wurden in der kommunistischen Ära Frauen zur Priesterin geweiht, sonst hätte die Kirche die Zeit nicht überlebt. Wo sind die Frauen jetzt?

Als ich 1974 heiratete, waren in Westdeutschland berufstätige Frauen noch die Ausnahme. Die Frage nach Frauen als Priesterinnen war für die Kirche zu jener Zeit schon aus gesellschaftlichen Gründen nicht von Bedeutung. Fast alle wichtigen Posten in Wirtschaft und Politik waren von Männern besetzt und sind es zum größten Teil auch heute noch. Daher würde die Kirche bei einer so großen Reform wohl nur regional handeln können. Warum aber auch nicht? Es gab und gibt so viele Unterschiede und Ungleichzeitigkeiten in dieser oft als uniformer Block betrachteten Institution. In Mitteleuropa wird mit Ausnahme von einigen Ideologen kaum noch jemand Anstoß an geweihten Frauen oder verheirateten Priestern nehmen.

Am Ende meines Berufslebens habe ich zweimal Dienststellen geleitet, in denen nur Frauen beschäftigt waren. Für einen Mann eine Katastrophe. Im Ruhrgebiet sagen wir dazu: „Zickenstress pur“. Wenn aber nur Männer das Sagen haben, ist das keineswegs erfolgversprechender. Ein Beispiel ist die Montanindustrie meiner Heimat. Machos und machtgierige Männer in den Vorständen und Aufsichtsräten haben eine deutsche Schlüsselindustrie gegen die Wand gefahren. Dabei ist es eine betriebswirtschaftliche Binsenwahrheit, dass die Organisation in einem Unternehmen dann gestärkt wird, wenn Männer und Frauen auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

Der Vergleich mit der Kirche liegt für mich an dieser Stelle auf der Hand. Um die Institution Kirche zu stärken, müssen Frauen und Männer die gleichen Rechte bekommen. Eine Weihe von Frauen nur auf bestimmte Ämter zu beschränken, wäre deshalb genauso wie „ein bisschen schwanger sein“. Entweder alles oder nichts!

Die Frauenweihe allein wird jedoch die Krise nicht lösen können, wenn nicht auch andere alte Zöpfe abgeschnitten werden. Der verpflichtende Zölibat muss in Frage gestellt werden. Das Weihehindernis für Homosexuelle ist eine Farce und vollkommen inakzeptabel. Meiner Meinung nach ist es aber falsch, die zölibatäre Lebensform grundsätzlich zu verdammen und als hauptsächlichen Grund für die päderastischen Straftaten von Priestern vorzuschieben. Als frei gewählte Lebensform gehört der Zölibat erhalten und gewürdigt.

Wie gesagt, da in der Welt einige Gesellschaften noch nicht so weit sind, könnten diese Änderungen zunächst regional umgesetzt werden und damit beispielhaft wirken. Deshalb lautet meine Devise: „Global denken, lokal handeln“.

Franz-Josef Bienentreu

6 „Unvorstellbar, dass Gott durch eine Frau schwächer klingen könnte als durch einen Mann!“ Ein Sonntagsgottesdienst im Jahr 2020. Am Ambo steht Gemeindereferentin Gisela Schmiegelt und hält eine bewegende, fundierte, rhetorisch herausragende Predigt, die in den Alltag hineinzustrahlen vermag. Am Ende klatscht die Gemeinde: ein fröhlicher, bestärkender Applaus. Doch dieser beinhaltete mehr. Ein Mensch hat in der Gemeinde von offizieller Stelle aus im Gottesdienst starke Worte gefunden. Anders als wir es gewohnt sind, sprach kein Mann, sondern eben eine Frau. Natürlich war niemand überrascht, dass die Gemeindereferentin „als Frau“ geistreich, begeisternd zu sprechen vermochte. Selbstverständlich weiß jede/r in der Gemeinde, dass sie eine theologisch absolut versierte, charismatische Person ist. Der Applaus zeigte die Freude über das sichtbar gewordene Zeichen.

Szenenwechsel: Der Domchor Osnabrück ist rund um das Jahr 1980 ein reiner Knabenchor. Wie seit Jahrhunderten in vielen anderen Kirchen weltweit singen nur Jungen und Männer im Chor die liturgischen Gesänge. Aber die Mädchen brachen sich Bahn und äußerten den Wunsch, Messdienerinnen werden zu können. Der damalige Dompfarrer schrieb einen Brief nach Rom, wie er verfahren solle. Von dort kam Ablehnung: Mädchen am Altar – undenkbar … die Mädchen sollen doch im Chor singen. Der damalige Domchordirektor Pfarrer Dieter Broxtermann richtet also einen Mädchenchor ein. Zuerst bekommt dieser nur Alibiaufgaben: Er gehört formal zur Domgemeinde, nicht zum Bischöflichen Stuhl, hat ein erbärmliches Budget im Vergleich zu dem der Jungs, singt an Sonntagen in Gemeindegottesdiensten; an den Hochfesten singen weiterhin die Knaben. An Weihnachten 1980 gibt es eine Fernsehübertragung aus dem Osnabrücker Dom. Der neue Domchordirektor Johannes Rahe sieht sich einem Problem gegenüber: Seine leistungsstärksten Jungen sind im Stimmbruch und kaum singfähig. Was tun? Einige Mädchen helfen aus. Für’s Fernsehen wahrt man den Schein, sie verstecken ihre langen Haare in den Chorrochetts. Lange muss Rahe für die Emanzipation der Mädchen kämpfen, die sich freilich als starke Sängerinnen zeigen, die auf hohem musikalischen und spirituellen Niveau Gottesdienste gestalten. Später gibt es, wie an vielen anderen Kirchen auch, Knaben- und Mädchen- sowie einen gemischten Kinderchor.

Reine Knabenchöre werden heute neben ihrer historischen Bedingtheit insbesondere künstlerisch-stimmlich legitimiert: Sie klingen eben anders als gemischte Kinderchöre, haben diesen speziellen Knabenchorsound, den viele besonders mögen. In unsere Chorlandschaft strahlen sie hinein durch Leuchtturmensembles wie die aus Leipzig, Dresden, Regensburg und von anderswo. Aber die Legitimation ist eine künstlerische. Niemand würde ernsthaft für eine Art theologischer Überlegenheit von Knabenstimmen im Gottesdienst argumentieren. Denn wir erleben, dass Chorgesang als Mittel musikalischer Verkündigung und Auslegung selbstverständlich unabhängig vom Geschlecht liturgisch, musikalisch und spirituell wertvoll sein kann: „qui bene cantat bis orat“, „wer gut singt, betet doppelt“ (Augustinus).

Schlagen wir den Bogen zurück: Beherrscht jemand das Metier besonders gut, so sind wir dankbar. Diese Person soll es natürlich machen! Theologische Fundiertheit, seelsorgerisches Gespür, Leitungskompetenz, ein guter Hirte zu sein – all dies ist ebenso wenig eine Frage des Geschlechts wie die Frage, ob das Kyrie von Knaben, Mädchen, Männern oder Frauen gesungen wird. Mittels theologischer Winkelzüge dekonstruiert man seit Jahrhunderten die Rolle der Frau in der katholischen Kirche, erschafft und erhält ein System des Patriarchats, manifestiert Machtstrukturen. Man hat sich damit abgefunden, hinterfragt nicht, dass dadurch eine riesige Quelle an Inspiration und Charisma vergeben wird. Doch wie sich die Rolle der singenden Frau in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat, so muss es auch denkbar sein, dass die Rolle der Frau als solche in der Kirche eine Wandlung erfährt. Dazu müssen wir zu den Wurzeln unseres Glaubens zurück: zur Idee der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, die beide Geschlechter umfasst, und zur Botschaft Jesu, der niemanden aus seiner Nachfolge und aus der Verkündigung seines Wortes ausschließt.

Im Wort „Person“ steckt das lateinische „per-sonare“ – hindurchklingen. Im liturgischen Dienst klingt Gottes Wort durch die Person, die es verkündet, die es ausspricht und auslegt, hindurch – sei es singend, sei es sprechend. Unvorstellbar, dass Gott durch eine Frau schwächer klingen könnte als durch einen Mann!

Joachim Bodde

7 „Kirche auch sakramental stärker durch Frauen prägen lassen“ Als ich in den 50er Jahren als einziger Sohn unserer Familie mit vier Schwestern aufwuchs, konnte ich nicht ahnen, dass ich nun schon viele Jahre als Bischof mit dem Thema „Frau in der Kirche“ befasst sein würde. Seit elf Jahren bin ich Vorsitzender der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz und der zugeordneten Kommission „Frauen in Kirche und Gesellschaft“. Dadurch wurde ich auch zum Vorsitzenden des Synodalforums III „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ gewählt. Seit nun über 45 Jahren meines priesterlichen Dienstes erfahre ich, wie die Zusammenarbeit mit Frauen in der Kirche meinen Weg bereichert und gestärkt hat und dieses Miteinander für mich gar nicht mehr wegzudenken ist.

Als Jugendlicher erlebte ich Papst Johannes XXIII., der die Frage nach den Frauen in der Kirche als eines der wichtigsten Zeichen der Zeit benannte, denen wir uns, wie es die Konzilskonstitution Gaudium et spes später sagte, im Lichte des Evangeliums deutend stellen müssen. Seit über 50 Jahren und länger ist also diese Frage vielfältig in Bewegung, vor allem auch durch das II. Vatikanische Konzil selbst und in Deutschland durch die Würzburger Synode zur Zeit meiner Priesterweihe 1975. Von dort schon wurde die Bitte um die Diakoninnenweihe mit breiter Begründung an Rom gerichtet. In der jüngsten Zeit wendet sich der Synodale Weg der Kirche in Deutschland in seinem Forum III dieser nach wie vor brennenden Frage zu. Denn die erschütternden Erfahrungen sexualisierter Gewalt von Klerikern an Kindern und Jugendlichen, aber auch die vielfältigen Fälle von geistlichem Missbrauch in seelsorglichen Abhängigkeitsverhältnissen besonders auch erwachsener Frauen haben ein neues Licht auf die oft zu männlich geprägten Entscheidungen der Kirche geworfen. Dadurch sind systemische Voraussetzungen solcher skandalösen Erfahrungen auch in einem mangelnden Miteinander von Frauen und Männern in der Kirche identifiziert worden.

Ohne eine wirklich aufrichtige geschlechtersensible und geschlechtergerechte Suche nach Glaubwürdigkeit, ja überhaupt nach nachhaltiger Glaubenskommunikation in der Spur Jesu und seines Lebensstils werden Christsein und Kirche wenig Chancen haben in der heutigen und der künftigen Gesellschaft. Es ist nicht nur eine Tatsache, dass die Glaubenskommunikation in Familie und Gemeinde in höchstem Maße von Frauen getragen wird. Es besteht geradezu die theologische und spirituelle Not-wendigkeit, Kirche auch sakramental stärker durch Frauen prägen zu lassen – über Taufe und Firmung hinaus – und damit Frauen mehr und tiefer an den Entscheidungen der Kirche partizipieren zu lassen. Und das nicht nur aus einer Delegation verschiedener Dienste aus dem umfassenden Dienst des Priesters heraus, sondern durch wirkliche Partizipation in einer synodalen Kirche, in der Getaufte, Gefirmte, Beauftragte, Gesendete und Geweihte auf ihre je eigene Weise am Priestertum Jesu Christi teilhaben und mit ihren je eigenen Charismen, Gnaden und Gaben gemeinsam Kirche aufbauen und bilden.

Auf dem Weg zu diesen großen Zielen braucht es viele Schritte, die zunächst einmal alles ausloten, was schon möglich ist und was ohne großen theologischen und kirchenrechtlichen Aufwand möglich wäre. Aber es braucht auch die Perspektive immer größerer Leitungsverantwortung für Frauen und die Teilhabe an allen Diensten und Ämtern. Und zwar in einer lebendigen Traditionsentwicklung, die zum Baum der Kirche nicht nur die Wurzeln, die Bodenschichten und den Stamm braucht, sondern für die theologische Erkenntnis wesentlich auch den lebensnotwendigen Einfluss der Umgebung und der gesamten Lebenswirklichkeit aufgreift, damit der Baum der Kirche eine entsprechend weit ausgreifende Krone bilden kann.

Mein persönliches Anliegen als Bischof ist es, Schritt für Schritt tiefer in dieses Geheimnis lebendiger Tradition für die Zukunft einzudringen und durch immer mehr Mitwirkung von Frauen in allen Bereichen der Kirche eine Kultur zu fördern, in der das wirkliche und gerechte Miteinander von Frauen und Männern immer selbstverständlicher wird. So kann es zu neuen theologischen und spirituellen Entscheidungen kommen, die über die bisherigen lehramtlichen Entscheidungen hinausführen und den Dialog auch auf weltkirchlicher Ebene offenhalten. Selbst wenn ich manche solcher neuen Entscheidungen nicht mehr erlebe, möchte ich gern daran mitgewirkt haben zusammen mit allen, die mit mir ‚synodal‘ unterwegs sind.

Franz-Josef Bode

8 „Dem Wirken des Geistes nicht leichtfertig in den Weg stellen“