Freiheit und Kontrolle - Markus Metz - E-Book

Freiheit und Kontrolle E-Book

Markus Metz

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Beschreibung

Zu den prägenden Erfahrungen der Gegenwart gehört es, dass der ewige Zwiespalt von Freiheit und Kontrolle mit neuer Schärfe aufklafft: Individuum und Gesellschaft sehen sich mit einer nie gekannten Mannigfaltigkeit an Freiheitsoptionen konfrontiert. Andererseits eskalieren aber die technischen Möglichkeiten und die weithin empfundene Notwendigkeit zu immer mehr Kontrolle – sei es des eigenen Körpers, der Grenzen oder der gesamten Welt.

Ausgehend von den konkreten Erscheinungsformen dieser Dialektik in den jüngsten Debatten etwa über digitale Überwachung und Selftracking, Big Data und Bürokratie, fragen Markus Metz und Georg Seeßlen, bis zu welchem Grad die heute eklatanten Widersprüche zwischen Freiheit und Kontrolle letztlich unauflöslich und wo sie bloß Ideologie sind.

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Zu den prägenden Erfahrungen der Gegenwart gehört es, dass der ewige Zwiespalt von Freiheit und Kontrolle mit neuer Schärfe aufklafft: Individuum und Gesellschaft sehen sich mit einer nie gekannten Mannigfaltigkeit an Freiheitsoptionen konfrontiert. Andererseits eskalieren aber die technischen Möglichkeiten und die weithin empfundene Notwendigkeit zu immer mehr Kontrolle – sei es des eigenen Körpers, der Grenzen oder der gesamten Welt.

 Ausgehend von den konkreten Erscheinungsformen dieser Dialektik in den jüngsten Debatten etwa über digitale Überwachung und Self-Tracking, Big Data und Bürokratie, fragen Markus Metz und Georg Seeßlen, bis zu welchem Grad die heute eklatanten Widersprüche zwischen Freiheit und Kontrolle letztlich unauflöslich und wo sie bloß Ideologie sind.

Markus Metz, geboren 1958 in Oberstdorf, Studium der Publizistik, Politik und Theaterwissenschaft an der FU Berlin, freier Journalist und Autor, lebt in München.

Georg Seeßlen, geboren 1948 in München, Studium der Malerei an der Kunsthochschule München, freier Journalist und Autor, lebt in Kaufbeuren.

In der edition suhrkamp sind von ihnen bislang erschienen: Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität (es 2609), Kapitalismus als Spektakel (es digital) sowie zuletzt:

Markus Metz/Georg Seeßlen

Freiheit und Kontrolle

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2017

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der edition suhrkamp 2730.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2017

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Inhalt

Vorneweg

Freiheit

Vorspiel im Himmel

Freiheit: Das vergiftete Geschenk der Götter

Der Christenmensch und seine Freiheit

Ach, die Gefühle, oder Wie Freiheit zur Produktivkraft wird

Aus aller Liebe wird Verwaltung

Mehr zur Grammatik von Freiheiten und Kontrollen

Danebenbenehmen, oder Freiheit als Simulacrum und die Besetzung des intermediären Raums

Gegebene, gewährte, eroberte und leider auch verlorene Freiheit

Erstes Zwischenspiel von Macht und Ökonomie

Kontrolle, Geld und Freiheit: Lokale Ordnungen und kapitaler Universalismus

Freiheit und Demokratie

Aristoteles Unchained

Kontrolle

Der Blick der anderen: Aus der Geschichte der Kontrolle

Contre-rôle, oder die große Verzahlung

Die Angst vor der Freiheit

Erstes semantisches Zwischenspiel

Macht und Kontrolle

Soziale Kontrolle: Nie wieder einsam, nie wieder hilflos

Die Kontrolle der Emotionen: Die Geschlechter und die Sexualität

Sprache als Kontrolle/Kontrolle als Sprache (zweites semantisches Zwischenspiel)

Hysterie und Neurose als Ergebnis (fehlgeschlagener) Kontrolle

Die Kontrolle des Hauses

Sic transit der Mensch und seine Gesellschaft

Zwischenspiel: Der nicht zu Ende befreite Sklave stellt Vermutungen über negative Dialektik an

Von der Spur zum Muster

Freiheit + Kontrolle = Demokratie? Ein kleiner Krisenbericht

Vorneweg

Wohl in der Mitte unseres Lebenswegesgeriet ich tief in einen dunklen Waldso dass vom graden Pfade ich verirrteDante Alighieri, Die göttliche Komödie

Nein, dies ist nicht das nächste Buch über Überwachungskameras, Spionagesoftware, Datenraub und NSAGoogleAppleAmazon. Wir wollen in »Freiheit & Kontrolle« auch nicht ein für alle Mal klären, was Freiheit ist und was Kontrolle. Für eine solche Genealogie oder Archäologie des Wissens und des Anspruchs fehlen uns sowohl die Fähigkeiten als auch die Motivation. Der durchweg frivole Gebrauch von »Wissenschaft«, den wir pflegen, ist dem von Kindern vergleichbar, die auf der Suche nach der einen oder anderen Erklärung für die Widersprüche, Seltsamkeiten und Attraktionen des eigenen Lebens die elterliche Enzyklopädie oder, nun, die Wissensspeicher des Internet durchstöbern. Eine Abenteuergeschichte, ganz bestimmt.

In diesem größeren Essay geht es vor allem darum, was aus Freiheit und Kontrolle (einer sehr alten, ewig neuen, und einer jüngeren, rasch gealterten Vorstellung) geworden ist, was ihre Beziehung mit den Träumen und mit dem richtigen Leben, und vor allem, was sie mit der Demokratie und dem, was aus ihr wurde, zu tun haben könnte. Es geht darum, wie Freiheit und Kontrolle in unser Leben wirken, gerade so, wie es ist, in der merkwürdigen konformen Vielgestalt, die wir, offenkundig genug, nicht gerade als glücklich empfinden. Es ist, um an einen großen Vordenker zu erinnern, das Unbehagen in unserer Kultur der Freiheiten und der Kontrollen, was uns antreibt, nach Wurzeln und Aussichten zu suchen. Erst einmal, ohne genau zu wissen, wohin eine solche Suche führen kann. Nicht am Leitfaden eines Bescheidwissens, sondern an dem der Neugier. Und eben auch darum geht es: wie das Denken, Träumen und Hoffen mit dieser Dialektik von Freiheit und Kontrolle zusammenhängen.

Der Weg führt uns, vielleicht mehr, als uns manchmal geheuer ist, auch hinter die Mechaniken und die Rationalisierungen, hinter Politik und Gesellschaftslehre. Hinein in Mythos und Transzendenz. Unsere Geschichte von Freiheit und Kontrolle beginnt mit den Göttern, und sie wird wohl auch mit solchen enden. Mit neuen Göttern, die Freiheit und Kontrollen als vergiftete Geschenke bieten. Immer wieder kreuzen wir den Weg eines Sklaven, der, nach Vorstellung des Aristoteles, als Lohn für Arbeit und Treue in die Freiheit entlassen wird, weil das sowohl gerecht als auch nützlich sei. Wir empfinden uns, teils metaphorisch, teils aber auch ganz direkt (und mit heißem Herzen bei Django Unchained), als Nachkommen des nicht zu Ende befreiten Sklaven. Nicht ins Land der Freien, nicht in die Gemeinschaft der Gleichen sind wir gelangt. Sondern zwischen Traum und Ernüchterung immer wieder in Zwischenstationen, in innere und äußere Kriegsschauplätze, in Paradoxie und Verrat, in Projekte und Projektionen. Als müsste sich da etwas immer und immer wiederholen: ein Schritt in Richtung auf die subjektive Freiheit hin, der zu einer neuen Form der objektiven Versklavung führt. Wir folgen der Geschichte des nicht zu Ende befreiten Sklaven bis zum vorläufigen bitteren Ende, der globalen Ausbreitung der neuen Sklaverei, die ein nie geahntes Maß der Kontrollen mit nie geahnten Formen der subjektiven Freiheit verbindet.

Einmal war das eins, Freiheit und Kontrolle, in der Liebe der Götter zu den Menschen, in der Liebe der Eltern zu ihren Kindern, und einmal sollten sie auch wieder eins werden, in der wahren Demokratie, im wahren Menschen! In Utopia, wenigstens. Aber, nun ja, dazwischen liegt diese verdammte Wüste mit Namen »Wirklichkeit«. In ihr verändern sich die Verhältnisse von Freiheit und Kontrolle unentwegt, nur trennen lassen sie sich partout nicht voneinander, ebenso wenig, wie sie sich glücklich wiedervereinigen ließen. Es gibt keine Freiheit ohne Kontrolle, und es gibt keine Kontrolle ohne Freiheit. Die Beziehung, so scheint es, hat etliche Konstanten, aber auch eine Menge Variablen.

Die einzige Voraussetzung und der große Ansporn für diese Arbeit ist die Erkenntnis: Diese Beziehung ist verdammt vertrackt. Und sie ist das, was verschiedenste Formen der Macht – ja, was? – ermöglicht? – ersetzt? – ergänzt? – fortsetzt? – maskiert? Das, unter anderem, gilt es herauszubekommen. Auf der Suche nach den Widersprüchen, Seltsamkeiten und Attraktionen des Lebens, das manchmal reichlich dramatisch, oft aber auch ziemlich gewöhnlich daherkommt. Nur so viel ist sicher: Wie einer oder eine lebt, in jedem Augenblick, das hat mit den Freiheiten und den Kontrollen zu tun. Und wie eine Gesellschaft funktioniert oder auch nicht, das auch.

Die Beziehung von Freiheit und Kontrolle wird durch Mechaniken, Interessen und Ideen beeinflusst. Gewiss. Aber auch durch Gefühle, Wahrnehmungen und Träume. Und sie verbinden die eine Hälfte des Daseins mit dem anderen: zur Ökonomie der Gefühle, zum Beispiel, oder zur empfindsamen Maschine.

Wir schweifen ab; mehr kann man nicht tun, wenn man beim Schreiben frei sein will. Und wir sehen uns selbst beim Denken zu; mehr an Kontrolle kann niemand verlangen, der ins Offene hineinwill. Das ist Vorteil und Nachteil zugleich, dass ein Buch zu schreiben selber eine extreme und modellhafte Übung wahlweise der Herstellung oder der Erkenntnis einer Beziehung von Freiheit und Kontrolle ist. Ein Vorteil, weil die Theorie hier zugleich ihre eigene Praxis ist, ein Nachteil, weil man sich selbst beständig zur Vorsicht mahnen muss. Denn überall, für genaue Leserinnen und Leser überdeutlich, lauert der poetische Fall der Selbstwiderlegung. Der Ausweg ist der Essai, seine Autorschaft das »unreine Subjekt« am falschen Platz, von dem Roland Barthes spricht, seine Bewegung Widerspruch, Ausweitung und Abschweifung. Nichts Vollständiges und nichts Abgeschlossenes kann so entstehen, die Gedanken könnten, wenn alles gut hinausgeht, beinahe überallhin weiterfließen.

Freiheit

Vorspiel im Himmel

»Wann«, fragte einer der alten Götter kopfschüttelnd, »hat das eigentlich angefangen? Dass die Menschen unbedingt ›frei‹ sein wollen. Von irgendwas immer. Dabei könnten sie es doch so bequem haben! Die Freiheit hat noch nie jemandem etwas Gutes gebracht, oder?«

»Es hat sie aber auf Trab gehalten«, grinste einer seiner jüngeren Kollegen. »Denn sie haben gleichzeitig etwas anderes entwickelt: eine mindestens genauso tiefe Sehnsucht nach Kontrolle. Von irgendetwas immer. Sich selber, die anderen, die Sprache, die Welt … Es gibt so viel zu kontrollieren. Und immer ist ihnen genau da die Kontrolle so vollständig entglitten, wo sie sich ihrer Vollendung nahe glaubten. Wenn sie so frei sind, etwas vor sich zu sehen oder sogar in sich, dann können Menschen es nur ertragen, wenn sie es, ich darf wohl sagen mit unserer Hilfe, auch kontrollieren können.«

»Schnickschnack«, mischte sich eine schlecht gelaunte Göttin ein. »Als wäre das nicht genau euer grausames Spiel! Den Menschen Freiheit versprechen und ihnen Kontrolle bringen. Den Menschen Kontrolle versprechen und ihnen Freiheit geben. Kein Wunder, dass sie so verwirrt sind.«

»Was regst du dich auf«, sagte der alte Gott mehr oder weniger gütig. »Schau, wie weit sie gekommen sind dadurch, dass sie nie die Kontrolle bekamen, die sie sich erhofft haben, und nie die Freiheit, von der sie träumten. Unglücklich sind sie, das gebe ich zu. Aber was sie alles anstellen: Häuser bauen, Kriege führen, Gedichte schreiben ‌…«

»Und es gab Helden«, meinte der jüngere Gott träumerisch. »Kernig, knackig ‌… meine Güte! Waren das Zeiten!«

»Helden!«, bemerkte die schlecht gelaunte Göttin ironisch. »Euer Lieblingsspielzeug. Helden und Heilige.«

»In der Moderne gab's fast nur noch Kulturhelden!«, wandte der jüngere Gott versonnen ein. »Auch schon wieder eine Zeit her.«

»Helden sind Menschen«, dozierte der alte Gott, »die außer Kontrolle geraten sind, aber deswegen noch lange nicht frei.«

»Nichts da! Sie haben eine Freiheit, die nicht zu kontrollieren ist. Nicht einmal von ihnen selber.« So warf der jüngere Gott ein.

»Ach«, seufzte die Göttin. »Das Helden-Kostüm ist verdammt eng. Macho-Kram. Hat nie wirklich getaugt.«

»Menschen brauchen keine Helden mehr. Wollen sie nicht. Stellen sie einfach nicht mehr her. Höchstens Amokläufer, Terroristen, Börsenwölfe ‌… Irgendwie haben sie jetzt wohl so ein feineres Tuning hingekriegt. Von Freiheit und Kontrolle.«

»Immer mehr Freiheit! Immer mehr Kontrolle.« Der jüngere Gott musste schallend lachen.

»Ja, ja«, auch der alte Gott verkniff sich das Schmunzeln nicht (schmunzelnde Götter, Gott, wie peinlich). »Sie kriegen nie genug davon, die Menschen.«

»Und ihr?«, fragte die schlecht gelaunte Göttin skeptisch.

»Na, wir kontrollieren sie«, sagte der jüngere Gott stolz.

»Nein, Quatsch«, wies ihn der alte Gott zurecht. »Wir geben ihnen die Freiheit.«

»Als wenn das nicht dasselbe wäre«, maulte der junge Gott und trollte sich, um mit einer anderen Welt zu spielen. Der mit den vielen bunten Knispertrucks.

Die Göttin ging zum Workout, und der alte Gott saß mal wieder allein im Himmel herum und betrachtete sorgenvoll seine Kreaturen. »Freiheit … Kontrolle … Was für ein Dilemma.«

Freiheit: Das vergiftete Geschenk der Götter

Es ist ja wahr: Ursprünglich waren es die Götter, die den Menschen die Freiheit gaben, sie allerdings, schon durch ihre Existenz, auch begrenzten. Frei sein bedeutete, einem anderen Menschen entgegenzutreten mit dem dreisten Wort: Ich gehorche den Göttern und sonst niemandem. Und noch der Cowboy unserer Träume zog seinen Hut nur vor einer Dame und in der Kirche. Solange es Götter gibt, muss man – theoretisch – vor seiner Freiheit keine Angst haben. Denn mit den Göttern über sich kann man frei sein, ohne unbestimmt und einsam zu sein. Wahrscheinlich wären die Menschen ohne die Götter nie auf die Idee gekommen, ihre Freiheit zu postulieren (kein Wunder, dass die Priester so eifersüchtig waren). Vielleicht hätten sie nicht einmal das Wort dazu erfunden. Es waren die Götter, die den Menschen eine gewisse Freiheit voneinander gewährten. Später erschraken sie furchtbar vor dieser Freiheit und hinterließen den Menschen bei ihrem Verschwinden den »Fundamentalismus«.[1]

Sowohl das Gewaltverhältnis von Freiheit und Kontrolle (einer raubt dem anderen Freiheit, einer zwingt dem anderen Kontrolle auf) als auch das Tauschverhältnis (einer verspricht dem anderen, ihm durch Kontrolle Angst zu nehmen, wenn er dafür Freiheit hergibt: Das können wir durchaus vertraglich machen) ist durch die Existenz und das Wirken der Götter relativiert. Kein Mensch (jedenfalls solange er an die Götter glaubt) kann die totale Kontrolle über den anderen beanspruchen (denn über ihm sind immer noch die Götter als Kontrollinstanz); und genauso kann kein Mensch alle Freiheit vollkommen abgeben, denn die Götter verlangen ja immer eine letzte Freiheit von ihm. Was wäre das für ein Gott, der nicht zugleich befehlen und auf die freiwillige Hingabe der Menschen hoffen würde! Freiheit ist die Voraussetzung für Glauben. Mit einem Menschen, der an ihn glauben muss, kann kein Gott etwas anfangen, und eine Göttin auch nicht. Da es egal ist, ob die Menschen die Götter erfunden haben oder die Götter die Menschen (weil irgendwann gar kein Unterschied war – wohlgemerkt: vor der Geschichte), löste sich ebendiese Beziehung zwischen den Göttern und den Menschen in Freiheiten und in Kontrollen auf. Schöne Erbschaft, langer Weg.

Zugegeben ist wieder von Anfang an klar, dass auch die Götter gegenüber zwei Dingen machtlos sind, nämlich gegenüber dem Schicksal und gegenüber der Dummheit. Damit wir an sie glauben können, sind auch die Götter weder absolut frei, noch können sie eine absolute Kontrolle beanspruchen. Hinter jeder Freiheit gibt es noch eine andere, größere Freiheit, hinter jeder Kontrolle gibt es noch eine andere, größere Kontrolle; hinter jeder Freiheit gibt es eine Kontrolle, hinter jeder Kontrolle eine Freiheit. Mit oder ohne Götter. Kurzum, das System, mag es aus dem primitiven Beginn eines Keulenschlages entstanden sein, generiert beständig seine Metaphysiken und seine Joker. Das Spiel ist niemals endgültig berechenbar.

Mit dem Christentum kam ein weiteres Prinzip hinzu, jene Nächstenliebe, die ins Politische übersetzt bedeutet, dass das Herr-und-Knecht-Verhältnis neu geregelt wird: »Ich bin frei in allen Dingen und hab mich zu eines jeden Knecht gemacht.«[2] So sagt es der Apostel Paulus. Interessanterweise reagiert Martin Luther darauf später mit der Reaktivierung des Geist/Leib-Widerspruchs. Dass in der Heiligen Schrift solch ein Widerspruch zwischen Freiheit und Dienstbarkeit aufgemacht werde (sagt er in Von der Freiheit eines Christenmenschen), hänge damit zusammen, »dass ein jeglicher Christenmensch ist von zweierlei Natur, geistlicher und leiblicher. Nach der Seele wird er ein geistlicher, neuer, innerer Mensch genannt, nach dem Fleisch und Blut wird er ein leiblicher, alter und äußerer Mensch genannt.«[3] So steht es also mit dem Menschen, dass er nur als innerer, neuer Mensch frei sein kann, und zwar dergestalt, dass er den äußeren, alten Menschen unter Kontrolle bringt. Aber mehr noch: Die innere Freiheit ist zwangsläufig unabhängig von der äußeren, denn »kein äußerlich Ding kann ihn frei noch fromm machen«.[4] Diese Verinnerlichung der Freiheit ist indes ein schweres Erbe des Protestantismus: »Was schadet das der Seelen, dass der Leib gefangen, krank und matt ist, hungert, dürstet und leidet, wie er's nicht gern will?«[5]

Historische, monotheistische und positive Religionen verlagern die Linie zwischen Freiheit und Kontrolle also nicht nur ins Innere, sondern auch ins Zeitliche: durch Selbstkontrolle zur Freiheit. Das ist der christliche Weg noch vor Fleiß, Industrie und Fernsehprogramm, wenngleich noch stets durch heidnische Feste und ketzerische Kritik durchbrochen. Was aber, wenn gerade dieser Weg gar nicht ins Himmelreich führte? Es wäre zum Verrücktwerden.

Zur gleichen Zeit nämlich ist die Voraussetzung dafür, dass die Menschen immer weiter kontrolliert werden können und sich immer mehr ihrer Freiheiten rauben oder abschwatzen zu lassen bereit sind, ebendiese Trennung des inneren vom äußeren Menschen. Die Vorstellung einer fundamentalen, grenzenlosen Freiheit, wie sie ein griechischer Held noch gehabt haben mag, ist damit vom Tisch.

Die »Freiheit eines Christenmenschen« ist also von äußeren Umständen unabhängig, aber radikal an seinen Glauben gebunden. Es ist nämlich »fleißig zu mehren und stets mit ernst festzuhalten, dass allein der Glauben ohn alle Werke fromm, frei und selig macht«. Da geht die Ablösung der Freiheit vom Äußeren also noch einen Schritt weiter. Sie ist nämlich, so radikal auf den Glauben bezogen, offenbar sogar unabhängig vom Verhalten. (»Böse Begierden« freilich heißt es zu vermeiden.) Die Unterwerfung unter den Glauben und unter die Schrift macht die Seele in gewisser Weise also vom eigenen Körper frei. Und Luther kann gar nicht oft genug darauf hinweisen, wie wenig man mit »guten Werken« ausrichtet, die für sich niemals das »Gottesgebot erfüllen« können.

Freilich ist damit der Zugriff der weltlichen Macht auch begrenzt: »Wenn man recht auslegt die christliche Freiheit, die wir von ihm [Christus] haben, und wie wir Könige und Priester sind, aller Dinge mächtig.«[6] Der neue, geistliche Mensch übernimmt die Kontrolle über den alten, sinnlichen Menschen (wenn es sein muss mit der Gewalt der Geißelung oder mit einem radikalen Verzicht, wie es die, nun eben, »wiedergeborenen Christen« im Land der Möglichkeiten treiben und damit alkoholfrei bis ins Weiße Haus kommen) und erhält dafür eine innere Freiheit auch von geistlichen und weltlichen Autoritäten. Es ist also leicht zu begreifen, wie diese Freiheit des Christenmenschen auf der Basis von Selbstkontrolle und mehr noch Selbstüberwindung entsteht und dass man sie sich nicht erarbeiten kann, sondern nur erglauben. Schon verwickelter wirkt indes die Frage, worin diese Freiheit eigentlich bestehe.

Ein Zauberwort jedenfalls scheint darauf hinzuweisen, dass in dieser Freiheit eine Transformation vonstattengehen soll: der neue Mensch. Diese Vorstellung bleibt uns, auch nach dem Verschwinden des Himmels, dass Freiheit und »der neue Mensch« miteinander zusammenhängen – und umgekehrt scheint ja auch jede Form der rasenden Kontrolle durch ein großes Ziel legitimiert: den neuen Menschen zu zeugen. (Die Paradoxie der europäischen Moderne: der Mensch, der sich so verhielt, als sei er in der Tat ein »neuer Mensch«, und dadurch zugleich von der Aufgabe enthoben schien, einer zu werden.) Von der großen Revolution bis zu den Ideen der Posthumanen, von der Aufklärung bis zum Drogenrausch, immer geht es darum, durch Freiheit den neuen Menschen zu schaffen und durch den neuen Menschen die Freiheit zu erlangen. Und immer wieder scheitert das, so dass man sich schließlich, in der kapitalistischen Demokratie, mit kleinen Erneuerungen und eben auch kleinen Freiheiten zufriedengibt. Auf die Aufklärung folgte die Abklärung: Wer nicht an den »neuen Menschen« glaubt, könnte, vielleicht, darauf verzichten, die anderen Menschen zu missionieren, zu massakrieren, zu revolutionieren. Blöderweise ist damit nicht der Verzicht verbunden, andere Menschen zu missbrauchen, auszubeuten, zu verachten. Wer an den »neuen Menschen« glaubt, ist sehr gefährlich; aber der, der nicht an ihn glaubt, ist deswegen noch lange nicht klüger oder »besser« und vielleicht nicht einmal ungefährlicher. So viel, um unsere Frage nach Freiheit und Kontrolle rechtzeitig aus einer moralischen Falle zu führen.[7] In der kapitalistischen Demokratie jedenfalls schien sich für den nicht zu Ende befreiten Sklaven eine moderate und vernünftige Lebensform zu öffnen (und für den Anfang schien die »Freiheit eines Christenmenschen« ein ziemlich geschickter Regenschirm für die Schauer, die einen da erwarteten): Gut verwaltete Freiheiten, sichere Kontrollinstanzen, so schien die Hoffnung, würden schließlich die alten Formen der Befreiung, Umsturz und Umwandlung, obsolet machen. Ja, wenn Freiheit und Kontrolle einmal in eine wirklich stabile Beziehung gebracht werden könnten, dann würde an die Stelle von Revolten und Revolution ein Immer-so-Weitermachen treten. Und alle wären zufrieden. Die einen natürlich mehr und die anderen weniger.

Man könnte die dazugehörige Einstellung auch »Liberalismus« nennen und mit einem Individuum verbinden, das sich »anfangs als einen realistischen und illusionslosen Menschen«[8] (Jean-Claude Michéa) versteht, sich über Phasen der »Schwärmerei« aber womöglich zum Apologeten des »kleineren Übels« und Adepten der Alternativlosigkeit wandelte. Denn diese verteufelten Geschichten der Revolutionen war man mittlerweile doch etwas leid: Menschen verlangen nach Freiheit. Sie vergießen ihr eigenes Blut und das der Unterdrücker. Und was bekommen sie dafür? Systeme rigidester Kontrollen. Der befreite Bürger ist sogleich der kontrollierte Bürger. Das Proletariat befreit sich in die schönste Terrorherrschaft hinein. Noch die besseren Revolutionen beginnen schon kurz nach den ersten Schüssen damit, Kontrollen einzusetzen. Schlimmer noch: Sehen wir die Revolutionäre (die Freiheitskämpfer) nur genau genug an, dann erkennen wir die Kontrolleure in ihnen. Im Namen der Freiheit wurde Macht von Herrschaft in Kontrolle umgewandelt. Dies ist die Strafe für das Vergehen der Freiheit, ins äußere Leben zu drängen. Von der Seele zum Körper, vom Sein zur Tat. Vom Empfinden zum Instrument. Als lebten wir im Kopf des Spartakus weiter, aus jenen Tagen, in denen er sein Scheitern begriff. Von den Räubern verraten, wie alle Revolutionäre.

Die Freiheit jedenfalls ist Teil des großen christlichen Heilsversprechens: »Zur Freiheit hat euch Christus befreit«, so lautet ein Kernsatz der Verkündigung des Apostel Paulus.[9] Und auch er meint ja vor allem Befreiung vom »Fleisch«. (Zweitausend Jahre später könnte man für das Wort »Fleisch« einfach das Wort »Geld« einsetzen.) Der nicht zu Ende befreite Sklave soll »sein Joch tragen«, aber mit erhobenem Haupt. Umgekehrt freilich hat der Christenmensch auch wieder gegenüber Gott kein Recht auf einen freien Willen, dafür aber ausdrücklich, wie in der Augsburger Konfession von 1530 festgelegt, die Freiheit, »Gutes oder Böses« in der Welt der Leiber und der Dinge zu wählen, z. ‌B. »auf dem Acker zu arbeiten oder nicht, zu essen, zu trinken, zu einem Freunde zu gehen oder nicht, ein Kleid an- oder auszutun, zu bauen, ein Weib zu nehmen, ein Handwerk zu treiben und dergleichen etwas Nutzlichs und Guts zu tun«.[10]

Das ist, raunt der historische Materialist, genau die Freiheit, die wir eben nicht haben und die uns da großzügig gewährt wird, nämlich die Freiheit vom Zwang, sich zu ernähren, zu kommunizieren, zu arbeiten und »politisch« zu sein, die Freiheit, sexuell zu sein oder nicht, während uns die Freiheit, die wir tatsächlich haben, nämlich die, all diese Beziehungen zu verstehen, zu bewerten und zu kritisieren, genommen wird. Aber von welcher Seite man diese Konstruktion der Spaltung auch ansieht, es geht darum, dass sich der Sklave und sein Bewusstsein nicht verstehen, dass Freiheit nichts von Kontrolle und Kontrolle nichts von Freiheit wissen wollen.

So wird der Mensch, ohne es zu wollen, auch in diesem Bereich »Abbild« seines Gottes, bzw. er handelt sich durch die Konstruktion seines Himmels im praktischen Leben die Verschärfung ebenjener Probleme ein, die er gerade im Gottesbild und -gebot aufgehoben sah. Das ist vor allem der Widerspruch von Sein und Handeln, der in Bezug auf das Gottesbild die christlichen Theologen jahrhundertelang umtreiben wird. Hier taucht er auf als Widerspruch von äußerer und innerer Freiheit. Ist Freiheit ein Teil des menschlichen Seins oder lässt sie sich nur in der Handlung realisieren? Kann also der Sklave (»innerlich«) freier sein als sein Herr? Ist die Versagung der Freiheit in einem Gewalt- und Tauschverfahren (die Jahrhundert-Geschichte der Verwandlung des Sklaven in den Lohnarbeiter, die für den Verwandelten kaum einen Zuwachs an Freiheit bedeutete) quantifizierbar? (Wie viel Gewalt von x erzeugt wie viel Verlust von Freiheiten bei y? Wie viel Kapital kann sich durch wie viel Unfreiheit bilden?) Oder haben am Ende der Sklave und sein Herr genau gleich viel Freiheit, wenn es zum Beispiel um moralische Entscheidungen geht (wie etwa sich selbst zu gefährden, um einen anderen zu retten)? Ist schließlich die innere und die äußere Freiheit in einem Balance-Zustand, so dass jeder Zuwachs an äußerer Freiheit einen Verlust an innerer bedeutet und umgekehrt? Ist, teuflische vierte Möglichkeit, alles drei zugleich wahr und unwahr, insofern das eine auf das andere bezogen ist? (Freiheit kann immer auch bemessen werden an dem, was durch ihre Anwendung aufs Spiel gesetzt wird: Bei derselben moralischen Entscheidung setzt der Sklave vielleicht sein Leben, sein Herr aber möglicherweise nur einen Teil seines Vermögens ein. Dafür, dass eher der Sklave sein Leben als der Herr einen Teil seines Vermögens zu opfern bereit ist, gibt es die unterschiedlichsten Erklärungen, vom Mythos bis zur Psychologie. Der Kapitalismus, statt eine Antwort zu geben, ist darauf eine Antwort.)[11]

Dieser eine, der christliche Gott, der sich dann so überraschend gegen die anderen durchsetzen sollte, tritt historisch auf: Sein großes Versprechen ist es, den Widerspruch zwischen den Freien und den Sklaven in einem Weder-noch aufzulösen. Er selber, so inszeniert er es in seinen Mythen, spiegelt es in seinen Bildern und wendet es in den Begriffen seiner Theologen, wird alles absorbieren, was der Harmonie zwischen der Freiheit und dem, was später Kontrolle genannt wird, stören könnte. Das Versprechen konnte nicht gehalten werden, was die einen ihrem Gott, die anderen den Menschen und wieder andere nun eben dem vertrackten Gegensatz- und Einheitspaar Freiheit und Kontrolle selber in die Schuhe schieben wollen.

Die Freiheit ist zwischen Sklaven und Herren offensichtlich höchst ungleich verteilt, und zwar keineswegs nur so, dass der Herr die Freiheit akkumuliert und der Sklave die Freiheit nur entbehren müsste. Der Herr hat zugleich mehr, gleich viel und weniger Freiheit als der Sklave (der zum Beispiel frei ist von der Sorge um Besitz und Status, so wie dann im Kapitalismus ein Lohnarbeiter frei von der Sorge um den Zusammenbruch seines Unternehmens oder seine Erbschaft ist – im Neoliberalismus, da auch der Arbeiter sein eigener Unternehmer werden soll, sieht das schon anders aus). Außerdem ist jeder Herr getrieben von der Angst vor der Befreiung seiner Sklaven. Der Herr benutzt den Körper seines Sklaven, begehrt ihn aber auch und fürchtet ihn. So wie in der Sklaverei das Begehren steckt, steckt dann im Begehren die Sklaverei: das Kontrollspiel. Noch in Todesnähe spürt der Sklave die Angst (und die Lust) seines Herrn. Ohne materiellen oder ideellen Nutzen daraus ziehen zu können, weiß der Sklave doch »irgendwo«, dass er den Herrn kontrolliert. Erst in der vollständigen Sexualisierung des Herr/Sklave-Verhältnisses wird diese Beziehung deutlich; erst in der kapitalistischen Fabrik konnte das Sexuelle aus dem Herrn/Sklave-Verhältnis (nahezu) ausgeschlossen werden.[12] Wenn wir also die kürzeste Geschichte der Post-Sklaverei schreiben wollten, ließe sie sich zusammenfassen in der Reihe der mehr oder weniger geglückten Versuche der Nachfolger der Freien, möglichst viele Instanzen, Stellvertreter, Abstraktionen, Territorien etc. zwischen sich und die Sklaven zu bringen. Der ideale Herr weiß nichts von seinen Sklaven; der ideale Sklave weiß nichts von seinem Herrn. Aber mit jeder dieser Abstraktionen (in denen auch Macht von den Sklavenhaltern zu den Sklaventreibern übergeht; die »Schmutzarbeit« muss nach wie vor erledigt werden) geht auch eine partielle Befreiung einher. Einige davon werden mit Freuden begrüßt, fühlen sich auch »erkämpft« an, andere sind nichts als weiteres Elend: Gleichgültigkeit, die auf die Gewalt folgt.

Ein Spiegelbild der Beziehung von Freiheit und Kontrolle ist also die von Eigentum und Arbeit. Eigentum macht frei und unfrei zugleich (und sich vom Eigentum zu befreien kann so gut ausgehen wie in der Geschichte vom »Hans im Glück«). Arbeit aber macht genauso frei und unfrei zugleich (historisch bringen wir dies in die Erzählung von der »Entfremdung«). Doch Eigentum (am arbeitenden Subjekt, dem Sklaven, an Boden und Rohstoffen, an den Produktionsmitteln und, nun, an den Märkten und Medien) und Arbeit (in all ihren Facetten, einschließlich der des Erstellens einer Theorie der Arbeit) generieren wechselseitig ihre Freiheiten und Kontrollen. Die unglückliche Beziehung, die wir im Kapitalismus als Aneignung und Entfremdung beklagen und nur durch einen räuberischen Akt, eine ursprüngliche Akkumulation erklären können, greift indes vielleicht noch tiefer. Sie trifft auch jenen, der Eigentümer und Arbeiter in einer Person ist, und selbst jenen, der in die Wildnis geht, um unentfremdet zu leben. Das Eigentum kontrolliert schließlich die Arbeit, so wie die Arbeit das Eigentum kontrolliert. Auch jenseits ihrer Subjekte, Protagonisten, Nutznießer. Der Trick des Kapitalisten besteht nicht darin, dass er der Arbeit untersagt, sein Eigentum zu kontrollieren, sondern darin, dass er den Arbeitern untersagt, ihre Arbeit zu kontrollieren. Er vereinigt in diesem Vorgehen den Trick der Religion, nämlich den Menschen zu spalten (innere und äußere Freiheit, alter und neuer Mensch etc.), und den Trick jenes Sklavenhalters, der seinem Sklaven, statt ihn nur mit der Peitsche zu drangsalieren, als Lohn für seine Arbeit die Freiheit verspricht. Gott, Sklavenhalter und Fabrikherr ähneln einander darin, dass sie den Menschen von seiner Freiheit abspalten, die Freiheit gewissermaßen zu einem fremden Teil seiner selbst machen.

Und was dem einzelnen Subjekt widerfährt, das widerfährt auch der Gemeinschaft. Da dem Menschen keine »natürliche« Freiheit zugebilligt wird, sondern immer nur eine Freiheit an der Peripherie der Existenz, wird diese Freiheit zur Obsession, zum Fetisch. Die Götter, die Sklavenhalter und die Fabrikherren rauben ihren Subjekten nicht nur die Freiheit, sie »erfinden« sie in gewisser Weise auch. Freiheit ist nun, jenseits sehr einfacher Bedingungen wie »Möglichkeiten« (der Bewegung, des Ausdrucks, der Zeit), ganz einfach das, was fehlt, was genommen wurde, was in Aussicht gestellt wurde, was vor Augen geführt wird etc.[13] Diese Isolation der Freiheit in der menschlichen Existenz (Freiheit als Abgespaltenes, dem ein Ort, eine Zeit, ein Zustand zugewiesen werden kann, aber kein Wesen als »Individuum«, als Unteilbares, Ganzes) setzt sich bis in die Organisation des Staates fort.

Beide Formen »staatlicher Gewalt«, die Gewalt nach außen, im Krieg gegen den anderen Staat, und die Gewalt nach innen, die Unterdrückung der Sklaven bzw. Lohnabhängigen (und dann der »Prekären«), sind um die Vorstellungen von Freiheit organisiert. Auch der Staat nimmt exakt jene Spaltung von innerer und äußerer Freiheit vor, die (nur als Beispiel) am »Christenmenschen« vorgenommen wurde. Die Freiheit von »Fremdherrschaft«, die offensichtlich am besten entfaltet wird, wenn man selbst zum »Fremdherren« taugt, und die Freiheit der »Staatsträger«, die sich nur auf der Unfreiheit ihrer Untertanen und Abhängigen entfalten kann. Mit dem Gebot, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott zu geben, was Gottes ist, wird erneut, und hier nun höchst pragmatisch, das Innere vom Äußeren getrennt. Der jahrhundertelange Investiturstreit zwischen Kaiser und Papst wird dann nicht nur in Feldern wie Autorität, Souveränität und Hierarchie geführt, sondern auch um Freiheit und Kontrolle. Weltliche und geistliche Autorität nehmen den Menschen nicht nur in die Zwickmühle – jede Seite verlangt die Unterwerfung genau jenes Anteils an Freiheit, mit dem man gegen die Unterwerfung unter den anderen rebellieren könnte –, sie tragen an seinem Körper immer wieder auch Konflikt und Komplizenschaft aus. Und auch diese Technik der Entfreiung des Menschen setzt sich weit in die Zeit fort, in der die christlichen Himmel geschlossen wurden. Nur dass die Diskurse und Dispositive dazu andere Repräsentationsräume als Kirchen und Schlösser gefunden haben.

Die Götter haben uns frei gemacht; aber sie haben uns, das war der Preis, die Freiheit als etwas »Fremdes« hinterlassen. Die Freiheit ist fremd in uns und außer uns, aber sie ist unabdingbarer Teil der Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt und zwischen den einen und den anderen Menschen. Die anderen Menschen, die wenigen, haben Macht über die einen, die vielen, nicht, weil sie ihnen einfach die Freiheit nehmen, sondern weil sie aus der Fremdheit der Freiheit ein Machtinstrument herstellen konnten. In der Fremdheit der Freiheit blieben die Götter präsent, und in der Fremdheit der Freiheit eigneten sich ihre Nachfolger, die Bischöfe, Fürsten, Sklavenhalter und Fabrikherren, eine göttliche Macht an. Die Voraussetzung ist so einfach wie schaurig: dass der Mensch und die Freiheit niemals eins sind.

Der Christenmensch und seine Freiheit

Freiheit und Kontrolle sind demnach wiederum beim Christenmenschen (und seinen Nachfolgern) sowohl im Äußeren wie im Inneren gespalten. Die Befreiung zur Freiheit (die Bewegung der Freiheit ins Zentrum der Diskurse) indes hat Freiheit und Kontrolle in beiden Bereichen neu definiert. Sie befinden sich beim inneren, »neuen« Menschen genau spiegelverkehrt zum äußeren, »alten« Menschen. Luther hat offensichtlich das paulinische Paradoxon nicht aufgelöst, sondern vielmehr zeitgenössisch verschärft: »Ein Christenmensch ist ein freier Herr, über alle Ding und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Ding und jedermann untertan.«[14] Damit könnte ja schon die Geschichte der Republik beginnen, und sie tut es auch, in der calvinistischen Stadt etwa, die ganz neue Formen der Freiheit und der gegenseitigen Kontrolle entwickelt.

Der innere Mensch ist frei vom äußeren, aber offensichtlich profitiert der äußere auch von dieser Freiheit. Im Inneren ersetzt der Glaube (und der Text) den Widerspruch zwischen Kontrolle und Freiheit, insofern es keine Deals durch gute Taten mehr gibt, schon gar nicht durch jene »Ablasszettel«, mit denen eine ganz andere Geschichte von Religion und Kapitalismus begonnen hat, als sie dann die nicht gerade heilvolle Geschichte von Protestantismus und Kapitalismus lieferte, so wenig wie befürchtete Punktabzüge durch böse Taten; der äußere Mensch, so scheint es, ist nicht Gegenstand der göttlichen Kontrolle (Er und sein Text scheinen ihn ohnehin rundum zu verachten). Der innerlich befreite Mensch aber kann Freiheit auch in seinem äußeren Leben, das schließlich auch sein muss, anwenden, eingedenk der Erkenntnis, dass der innere ihrer gar nicht bedarf. Gott kontrolliert nur den Glauben, nicht den Menschen, und damit setzt Er auf der einen Seite die strukturelle Unmoral des Kapitalismus ins Recht, vollbringt aber andererseits eine Volte bemerkenswerter Art: Er kontrolliert sich im Glauben seiner Geschöpfe sozusagen selbst.

Die Menschen haben ja die Götter nicht »einfach so« erfunden, aufgrund ihres Überschwangs von Lust und Angst oder aus ihrer Begabung für symbolische Ordnungen heraus, sondern diese entstanden aus den tiefsten Tiefen der Widersprüche ihres Selbstbildes (das wiederum, wie wir sehen werden, Voraussetzung und Ergebnis der Notwendigkeit zur Kontrolle war). Die Götter waren dem wahren Leben der Menschen so nahe, dass es wirklich nur eine besserwisserische Coda der späteren, götterfernen Zeit ist, sich zu fragen, ob die Götter die Menschen oder die Menschen die Götter gemacht haben. Beides und nichts davon. Mensch und Gott waren ursprünglich eins, und sie haben sich (wer weiß, wer da die Hauptschuld trägt) immer weiter voneinander entfernt, nicht unähnlich der Art, wie ein Mensch sich durch sein »wirkliches Leben« von sich selbst entfernt. Und darin eingeschlossen war, dass Kontrolle und Freiheit eins und undenkbar waren. Wenn wir vom vergifteten Geschenk der Götter sprachen, der Freiheit (und damit automatisch auch von der Kontrolle), haben wir vielleicht nicht genug betont, dass es sich um ein Abschiedsgeschenk handelte. In der Freiheit erkannte der Mensch Gott, und er erkannte darin zugleich dessen Abwesenheit. Die Einheit ist verloren, und endgültig meint endgültig. Welch ein trivialer Nachklang, dass man nun meint, es könnten Religionen (oder ähnliche Vorstellungskomplexe) einen »heiligen« Krieg gegeneinander führen, weil die eine Seite Gott nur noch als Freiheit und die andere Seite Gott nur noch als Kontrolle sehen kann.

Gott und seine Stellvertreter interessieren sich, hierzulande nach der Reformation noch deutlicher als zuvor, nicht so sehr für die Körper als für die Seelen der Menschen. Schon deshalb muss der Körper, der gottferne Teil des Menschen, geringgeachtet werden, außerdem ist er ja auch die Quelle allen Übels, des Leids, und noch viel schlimmer, der Lust. Die Freiheit des Christenmenschen besteht daher vor allem in der Kontrolle des Körpers. Das Ideal ist das des betenden Inneren und des arbeitenden Äußeren: »Bete und arbeite!« bedeutet, die Seele zu befreien und den Körper zu kontrollieren. So muss der freie Christenmensch den durch Arbeit kontrollierten Körper so schätzen, wie er den durch die Lust befreiten Körper fürchten muss. Bloß hat man nun eine innere Freiheit, die keineswegs vollständig und problemlos durch Gott, durch den Glauben gefüllt werden kann. Es geht immer weiter hinein und nach unten, und was sich da immer wieder zeigt, ist reines Chaos, mit anderen Worten: die Hölle.

Das Gebet und die Arbeit als Abwehr gegen die Hölle (als Drohung und Verlockung) haben sich bewährt. Man kann auch dies als erneute Organisation von Freiheit und Kontrolle ansehen, die Befreiung des Geistes (und sei's in der Bibliothek, beim Parteitreffen oder vor dem Fernsehapparat) und die Kontrolle des Körpers, in einer Arbeit, die eben nicht nur der Produktion (einschließlich der Produktion von Sinn) dient, sondern immer auch der sozialen Praxis und der Kontrolle des Leibes. (Was macht der Sklave, um seinen Herrn am tiefsten zu demütigen? Gute Arbeit. Und die Kriegsgefangenen zeigen in der Errichtung einer Brücke am Kwai ihren Peinigern, dass die Selbstkontrolle die Außenkontrolle überwindet.) Der befreite Sklave unserer Mythologie war stets ein ausgezeichneter Arbeiter (und bewahrte die Hoffnung auf Freiheit in seinen Gebeten), denn die gute Arbeit brachte ihm entweder die Freilassung durch seinen Herrn ein, oder sie formte seinen Körper so, dass er ihn blitzrasch von der Arbeits- zur Kampfmaschine verwandeln konnte.[15] Die Bändigung des Menschen in der Arbeit kann nie vollständig gelingen. Und wieder ist eine Spaltung vollzogen: Was ist die Beziehung zwischen dem betenden und dem arbeitenden Menschen? Befreit sich der Mensch durch das Gebet von der Arbeit (so wie der betende Mensch nicht für immer Sklave sein kann), oder befreit sich der arbeitende Mensch vom Gebet (das ja immer dazu tendiert, in die geschlossene Paranoia oder, höflich gesagt, zum »Weltverlust« zu führen)? Beten und Arbeiten, zwei Aggregatzustände des Menschen (mit vielen Variationen) stehen zueinander definitiv in einer Freiheit/Kontrolle-Beziehung. Das metaphysische, das heißt körperliche Ziel der Kontrolle ist, weit hinein in götterlosere Zeiten: die Abwehr der Hölle.

Die äußere Kontrolle schafft eine innere Freiheit, mit der man leicht überfordert ist. Die Veräußerung des Glaubens ist die eine Lösung, die Entwicklung von Kontrollmöglichkeiten im Inneren die andere.[16] Die Poesie wie die Psychoanalyse wollen Polizei-Funktionen im Inneren übernehmen, wo die Freiheit immer gottloser wird. Die »reine« Dualität zwischen dem neuen, inneren und dem alten, leiblichen Menschen jedenfalls kann auf Dauer nicht aufrechterhalten werden. Die lutherische Befreiung erwies sich, ebenso wie die durch Jesus Christus angestoßene Befreiung, zwar als Modernisierung, als heftige Subjektivierung der Freiheit/Kontrolle-Probleme, aber eben auch als schwere Selbstverletzung des Menschen. Das Äußere und das Innere mussten sich, um mit dieser Selbstverletzung zu leben, immer komplizierter zueinander verhalten.

Das ist, nebenbei gesagt, einer der vielen Schnittpunkte zwischen Christentum und Kapitalismus: Der eigene wie der fremde Körper muss durch Arbeit kontrolliert werden, um den »Ausbruch« der Lust zu verhindern (und sei's die schöne Lust am Nichtstun), aber diese Kontrolle darf nicht Selbstzweck bleiben, sondern muss weiter konstruieren, wachsen, zeugen. Denn vollständig bezwungen ist der Körper nur durch seinen Tod oder durch seine vollständige Mechanisierung. Gleichwohl setzt das Kapital aber auch die Lust frei. Sie ist nun vom Körper auf das Ding gerichtet, vom Verschmelzen auf das Haben, von der Unterdrückung zur Kontrolle.

Folgerichtig haben wir eine weitere Verschiebung in der Praxis der Freiheit, nämlich die von der Entscheidung zur Verfügung. Freiheit bedeutet, zum Beispiel, nun über den eigenen Körper zu verfügen oder aber über Dinge. Wer über mehr Dinge verfügen kann, hat natürlich mehr Freiheit. Die Dinge sind also nicht nur Instrumente der Befreiung, so wie eine Waschmaschine Menschen (seinerzeit vor allem solche weiblichen Geschlechts) von einer anstrengenden, zeitraubenden und »unkreativen« Tätigkeit befreit (und damit eine scheinbar vernünftige wie ethische Alternative zu alter Versklavung – der »Hausfrau« bzw. jener »Perle«, die sich zur Zeit dieser Entwicklung der heimischen Technologie in der populären Kultur ohnehin rarmachte), sondern sie sind umgekehrt auch selber Instrumente der Freiheit, insofern sie beständig und performativ Wahlfreiheiten suggerieren (die sie in der nächsten Generation im Übrigen im Dienste von Bequemlichkeit und Vereinfachung wieder zurücknehmen, nur um neue mehr oder weniger reale Wahlfreiheiten zu bieten). Die Verfügung über das Ding macht aus dem nicht zu Ende befreiten Sklaven einen »kleinen Herrn«, aber sie macht, und dieses Phänomen wird uns immer wieder, im Großen wie im Kleinen, begegnen, auch aus dem kleinen Herrn bzw. der kleinen Herrin wieder den Sklaven. Die Waschmaschine, als ein Beispiel von unzähligen, vergrößert die subjektive Freiheit und verschärft zugleich die objektive Versklavung. (Sie verhindert, nur zum Beispiel, auch scharfe Reden und Aufruhr der »Waschweiber«.)

Natürlich macht die Auslagerung auf die Dinge die Freiheit erneut quantifizierbar und damit zu einem Gegenstand von Kontrolle. Das Ding, die Waschmaschine zum Beispiel, tritt als Medium zwischen Freiheit und Kontrolle (sollten wir sagen: wie einst die Götter?). Sie ist, da sie zugleich Instrument und Altar ist, eines von vielen Dingen, an denen sich das Ritual vollzieht, in dem sich subjektive Freiheit und objektive Versklavung als Praxis zu versöhnen scheinen.

Das Ding ist aus der oikonomia, der Ordnung des Hauses, hinausgetreten in eine andere symbolische Ordnung, die Ordnung der Dinge. Die Freiheit des Menschen drückt sich in dieser Ordnung durch die Kontrolle über die Dinge aus. Ein Sklave, der über Dinge verfügt, ist schon kein vollständiger Sklave mehr. Sklavenhalter achten daher sehr genau auf die Dinge, die sie ihren Sklaven zur Verfügung stellen. Sie sollen nackt und dinglos sein. Arbeiten, die mehrere Dinge benötigen, sind dann schon keine Sklavenarbeiten mehr. Der Sklave ist selbst ein Ding. Die Freien wissen nur deshalb, dass sie frei sind, weil sie Sklaven als Ding ansehen können. Zweifellos setzt sich diese Bewegung, in zahllose Mikrobeziehungen aufgeteilt, bis in unsere Gesellschaft fort. Die »Verdinglichung«, die uns als Abstraktion von Machtbeziehungen so ungeheuer erscheint, hat einen sehr direkten Kern: Wenn Freiheit dadurch entsteht, dass einer freier wird, indem er andere kontrolliert, dann bedeutet dies stets eine Dingwerdung des anderen. Die Herrschaft über die Dinge setzt die Herrschaft über Menschen fort, verändert sie aber auch; das Ding, in dem sich Herrschaft und Versklavung treffen, spaltet auch die Macht in Freiheit und Kontrolle. Je mehr Dinge es gibt, desto mehr Freiheiten und desto mehr Kontrollen muss es geben.

Denn kontrolliert werden kann letztlich nur, was Quantität, was Sache, was Maschine, was Sklave geworden ist. Eine archaische Form (die Form der ursprünglichen Akkumulation) von Freiheit besteht darin, dass einer die anderen kontrollieren kann, ohne selber kontrolliert zu werden. Diese fundamentale Form der Kontrolle kann sich sowohl mit dem ökonomischen Interesse als auch mit der politischen Macht und schließlich mit der kulturellen Technik verbinden. Eine solche Form der Kontrolle – denken wir an die Kontrolle, die ein schlecht bezahlter und sozial wenig geachteter Lehrer über seine Schüler ausübt – kann sich durchaus vom Interesse an Status, Reichtum und Einfluss abkoppeln. Wir können unter Umständen sogar behaupten, dass Kontrolle nicht nur ein Mittel des Aufstiegs und der Macht sein kann, sondern auch eine Kompensation für den Mangel an beidem. Der Lehrer kontrolliert seine Schüler, der Arzt den Körper des Patienten, der Wärter die Gefangenen, der Maschinist seine Maschine (die ihm natürlich nicht gehört); sie alle, Spezialisten der Kontrolle und jedenfalls »freier« als die Kontrollierten und das Kontrollierte, sind in den Objekten der Kontrolle, den Räumen der Kontrolle oder den Zeiten der Kontrollen ausgesprochen limitiert. Jenseits der Schule mag der Schüler freier sein als der Lehrer, und der Maschinist muss seine Maschine hergeben, wenn es ihr Besitzer so will. Kontrolle, wie sie sich vom Überblick bis zur Überwachung entwickelte, macht das andere oder den anderen nicht nur zum anderen, sondern auch zum Ding. Das, was man kontrolliert, kann man nicht lieben, sosehr man auch von ihm abhängig sein mag.[17]

Das Kapital, zunächst in seiner linearen Gestalt als »Geld«, übernimmt in einer langen Geschichte schließlich die Aufgabe, den Menschen zu spalten: Freiheit des Geldmachens/Freiheit des Geldausgebens – Kontrolle des Geldes/Kontrolle des Menschen. Um nun erneut den alten (den Christenmenschen in feudalen Verhältnissen) in einen neuen Menschen (den Bürger im Kapitalismus) zu verwandeln, ohne dies als revolutionären Bruch unerträglich zu machen (nicht dass es nicht einiger blutiger Revolutionen bedurfte), musste das eine im anderen bewahrt werden. Das Instrument dazu war eine Trennung des ökonomischen vom emotionalen Wesen des Menschen, was zugleich eine Fortsetzung und Korrektur des Modells des inneren und des äußeren Menschen war, darüber hinaus eine tiefgreifende Umgestaltung. Das Bürgertum geschieht zwischen der Börse und der Oper, der Kontrolle der Ökonomie und der Freiheit der Gefühle (oder auch umgekehrt, wenn man nur tiefer hineinblickt in die Seelen dieser Symboldinge): Beide Bauten zeichnen sich durch enorme Außenfassaden aus! Der ökonomische Mensch konnte sich allerdings vom emotionalen Menschen nie so trennen wie ein innerer vom äußeren Menschen; es würde im Gegenteil darum gehen, dass der eine den anderen »bewegt«.

Der alte Mensch, das war nun jener, den Luther mit seiner Freiheit des Christenmenschen als neuen gemeint haben konnte, und der eingeschlossen (konserviert und kontrolliert) werden musste in einem Glauben, der sich nachgerade veräußern musste, zur Form gerinnen, um den neuen Menschen zu ermöglichen, den man einst den Homo oeconomicus nennen würde: den Menschen, der zielstrebig, rational und konzentriert den eigenen wirtschaftlichen und sozialen Nutzen verfolgen würde (ein Streben, dessen antisoziale, widersprüchliche oder destruktive Züge durch das wundersame Wirken einer »unsichtbaren Hand« ausgeglichen und zu Nutz und Frommen aller verwandelt werden sollten). Der Homo oeconomicus hat sich von der oikonomia, der Ordnung des Hauses (als Einheit von Heim, Fabrik und Hof), wie sie die griechische Philosophie sah, befreit; er steht freilich immer noch in der Oikonomia der Kirchen, die darunter den göttlichen Plan zur Rettung der Menschheit, eine »Heilsordnung« als Projektion einer »Hausordnung« verstehen, zugleich aber, wie etwa in der orthodoxen Kirche, die »bischöfliche Verwendung der kanonischen Texte im Kirchenalltag. Die letztere Bedeutung ist von der ersten abgeleitet.« So weit die »Orthpedia«.[18] Beschrieben ist damit auch die Wandlung der Vorstellung von Ökonomie als Ordnung des Hauses in ein Wechselspiel von kultureller historischer Anpassung in einer flexiblen Auslegung der Heiligen Schrift (nun eben Oikonomia genannt) und strikter, »akribischer« und wörtlicher Auslegung (als Akriveia bezeichnet). Die innere Verwandtschaft von »Ordnung des Hauses«, göttlichem Heilsplan und flexibler Auslegung des Kanons ist durchaus bemerkenswert. Eines kann sich ohne das andere nicht in die Moderne fortpflanzen.

So wie sich die weltliche oikonomia in Ökonomie und Politik spaltet, so spaltet sich die geistliche Oikonomia in die freie und die fundamentalistische Auslegung der Heilslehre – in Metapher und Gesetz. Und der Spaltungsprozesse kein Ende: Die Religionen selbst spalten sich in ein Milieu der Befreiung und ein Milieu der Kontrolle. (Es hatte damit zu tun, dass die Götter sich nie recht entschieden hatten, ob sie Personen oder doch Welten meinten, und so fühlten die einen einen Auftrag, sich selber zu läutern, während die anderen den Auftrag spürten, die Welt zu unterwerfen.) Die Befreier und die Kontrolleure führen auch hier einen erbitterten Kampf. Sie streiten um das Erbe der längst verschwundenen Götter und müssen es, wie man so sagt, verspielen.

Doch etwas muss in unserer kleinen, sprunghaften Welterzählung noch Erwähnung finden: die Ketzerei. Gewiss kann man sie als Fortschreibung des Isaak'schen Verbots des Menschenopfers durch den jüdischen Gott (für viele der Geburtsmythos des Humanismus) ansehen: die rituelle Befreiung vom Widerspruch im System. Gott hat Isaak geboten, den eigenen Sohn zu opfern, und dieser war aus lauter Gottesliebe und vor allem aus lauter Gottesfurcht dazu bereit (wir versagen uns den modernen Blick in die Familie dieser Leute und schweigen von einem umgekehrten Ödipus), bis Gott ihm im letzten Augenblick das Messer anhielt: Lass ab! Und lasst ab vom Menschenopfer von nun an, da ich mich eurer Treue versichert habe. (Wie soll man also glauben, dass derselbe Gott, der Isaaks Messer hielt, ein paar biblische Menschenalter später bereit wäre, den eigenen Sohn zu opfern?) Und doch geht die Ketzerei weit über die Opferung des Sündenbocks hinaus. Sie wird einst als Aufklärung zu sich kommen und der Freiheit wie der Kontrolle die metaphysische Maske nehmen wollen – was, wie wir mittlerweile wissen, wieder einer jener Versuche war, den alten in einen neuen Menschen zu verwandeln, die stets so unvollkommen gelingen, dass sich die Anzahl der Gespenster des Alten, die in den neuen Bauten spuken, höchst unglücklich vermehren muss. Kapital, Aufklärung und Demokratie entfalten sich aneinander in trialektischer Konsequenz, einander befreiend, einander kontrollierend.

Wir haben zwei wiederkehrende Ereignisse in der gemeinsamen Geschichte von Freiheit und Kontrolle angenommen: die Spaltung (ins Innen und Außen, das Beten und Arbeiten, den Einzelnen und die Gesellschaft, die Ökonomie und die Politik und vieles mehr) und die Transformation (ein »Kurzschluss« zwischen Freiheit und Kontrolle, der in Revolution, Erleuchtung, Überwindung usw. einen »neuen« Menschen erzeugen will). Jeder dieser »neuen Menschen«, so scheint es, folgt, wie der befreite Sklave, der Verheißung, seine Gespaltenheiten wieder zu überwinden, und landet dann doch in einer Situation, in der die Spaltungen nur mit noch größerer Vehemenz vor sich gehen. Jede Befreiung bringt der Kontrolle neues Material, denn Kontrolle kann immer nur das Gespaltene miteinander in Beziehung setzen. Der böse Kontrolleur unserer Träume will wissen, ob wir für unsere Reise auch die richtigen Fahrscheine haben. Und ob unsere Absichten auch mit unseren Möglichkeiten übereinstimmen. Der böse Kontrolleur unserer Träume will die Abweichung unseres Denkens von unserem Tun und die Abweichung unseres Gebrauchs von der Anweisung messen. Der böse Kontrolleur unserer Träume nutzt schamlos die Spaltungen aus, die wir durch unsere Befreiungen bewirkt haben. Der böse Kontrolleur unserer Träume begleitet die Hoffnung auf Bewegung als Freiheit: Wohin du auch fahren willst, der Kontrolleur ist schon da.

Der frühe Kapitalismus (jener, dem sich die Jagd auf den weißen Wal verdankte) sah sich freilich noch in Gottes Hand. Doch statt durch den Glauben an Gott muss sich der Mensch nun durch den Glauben an das Kapital befreien. Der Glaube, so war es in New Bedford der Brauch, befreite nicht mehr allein den inneren Menschen, sondern auch den Homo oeconomicus. Das Kapital ist schließlich Triumph über den Körper, das Kapital ist der Maßstab für die bezwungene und kontrollierte Körperlichkeit, und das Kapital ist zugleich Maßstab der abgewehrten Verschuldung. Das Kapital bannt nun die Hölle. (Aber der weiße Wal ist nicht tot.) Nur durch Kapital kann sich ein Christenmensch (außerhalb des Klosters) befreien, wenn er nicht die Kontrolle über das Körperliche verlieren will. Das Dilemma von Freiheit und Kontrolle spaltet ihn indes nicht allein in den inneren und den äußeren Menschen, jenen, der im Privaten seine Emotionen pflegt und im Arbeitsleben seine Disziplin und seine Rationalität (den »weiblichen« Innenraum und die »männliche« Öffentlichkeit), es macht die Leib/Seele-Spaltung auch zum Gesellschaftsfaktor. Das beseelte Subjekt und die codierte Gemeinschaft müssen in Einklang gebracht werden. Damit freilich beginnt auch die Auflösung einer anderen Ordnung, jener zwischen der griechischen Polis, der Staatskunst, und der oikonomia, der Führung des »Hauses«. Dass eine Politik, die (übrigens unabhängig von der Staatsform) aus freien Entscheidungen entsteht, einem Raum gegenübersteht, der mehr oder weniger streng kontrolliert ist, verkehrt sich in sein genaues Gegenteil: Die Freiheit wird in den Privatbereich, in die Häuser verbannt, die Kontrolle erfasst den öffentlichen Bereich, die Politik. Ein Endpunkt dieser Entwicklung mag sich in einem Urteil des obersten Gerichts der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 1996 manifestieren, das besagt, dass die Freiheit der Meinungsäußerung im Internet ein höheres Rechtsgut sei als der persönliche und kollektive Schutz gegen Verleumdung, Hasspredigt, Intoleranz und Gewaltaufrufe. Und dies mit der Begründung, das Internet sei »Privatsache« und damit dem Zugriff staatlicher und gesellschaftlicher Kontrolle zu entziehen. Wir ahnen schon hier: Auch das, was wir Neoliberalismus nennen, ist ein Projekt, einen alten in einen neuen Menschen zu verwandeln. Die Verhältnisse von Freiheiten und Kontrollen noch einmal grundlegend zu verändern.

Doch zurück zu viel früheren Projekten der Transformation: Mit der Reformation hatte sich der Ort der Kontrolle, der im Fachjargon später so genannte »locus of control«, in den inneren und den äußeren Teil gespalten. Der äußeren Herrschaft wird das Recht auf die Kontrolle des inneren Menschen abgesprochen, zugleich aber ist ein furchtbarer Resonanzbogen für die gegenseitige Kontrolle entstanden, wie sich in der calvinistischen Stadt in Mitteleuropa und etliche Generationen später in der Western Town des »neuen« Kontinents zeigen wird. Die äußere Freiheit wird hier mit einer geradezu terroristischen Kontrolle des Inneren bezahlt. Die NSA- und Google-Überwachungswelt ist nichts anderes als die globale Erfüllung des Lebens in der calvinistischen Kleinstadt. Der Mensch kann seine Freiheit in der äußeren Welt nur beanspruchen, indem er sich einer ständigen Durchleuchtung seines »Glaubens« unterzieht. Das abweichende Verhalten wird nun nicht mehr als Vergehen in sich behandelt, sondern als Symptom für ein Abweichen vom Glauben, was, nebenbei gesagt, gewiss auch die Entstehung der Psychologie befeuerte. Aus dem neuen Widerspruch von Kontrolle und Freiheit ist die Krankheit des inneren Menschen entstanden, dem es, immer und immer wieder, nicht gelingt, den alten mit dem neuen Menschen zu versöhnen, obwohl der eine so sehr eine Fiktion ist wie der andere. Denn sowenig man offenbar – durch Freiheit oder durch Kontrolle – den »neuen Menschen« erzeugen kann, so wenig ist – durch Kontrolle oder Freiheit – eine Rückkehr zum mehr oder weniger guten alten Menschen möglich.

Wir machen uns auf die Suche nach dem »locus of control«. Der muss, wenn alles gut laufen soll, in uns sein (und nicht außerhalb), aber auch nicht zu tief in uns (wo niemand mehr hinkommt, nicht mal ich, nicht mal mein Therapeut). Der »locus of control« ist ein Punkt in einer Netz-Vorstellung von »Gehirn«, der okay, bedenklich oder völlig deplatziert sein kann. Die Suche nach dem »locus of control« ist so spannend, dass wir auch hier gelegentlich vergessen möchten: Es ist ein Modell.

Niemand hat den »Ort der Kontrolle« je wirklich gesehen oder seine Lage nachweisbar berechnet. Es scheint sich um einen umkämpften Platz zu handeln. Möglicherweise wird er überhaupt erst durch dieses Umkämpfen erzeugt. Wenn man, sozusagen in einer Kampfpause, darüber nachdenkt, ist er auch schon wieder verschwunden. Freiheit und Kontrolle, so ließe sich daraus folgern, sind weder im inneren noch im äußeren Menschen, weder im nackten Körper noch in der Sprache zu finden, sondern es sind Phänomene ihrer Schnittstellen. Freiheit lässt sich nicht pur in einem Menschen denken, sondern nur in seiner Verdoppelung bzw. in seiner Spaltung. Aber während Freiheit von einer Empfindung oder von einem Traum zu einer sozialen Grammatik und zu einer politischen Ökonomie wird, erzeugt sie auch die Grundlage der Kontrolle. Kontrolle des Dings, das nie mit sich eins ist, sondern immer oszillierend zwischen Soll und Sein, Text und Leben, Gesetz und Biographie, Plan und Wirklichkeit, göttlichem Willen und menschlicher Schwäche usw.

So bin ICH nicht frei (Wie auch? Der Kosmos wäre nicht groß genug dafür!), aber in ETWAS frei, im Glauben (wir sind von den Göttern, bei aller Sprunghaftigkeit, noch nicht los), in der Sprache, im Bild, in der Bewegung, im Denken, im Hoffen, im Tanzen … Die Freiheit sucht sich ein Medium. Die Kontrolle auch. (Wir hören sie lachen.)

Die Luther'sche »Freiheit eines Christenmenschen« trifft da auf die freudianische Idee vom »Herrn im eigenen Haus« der Seele. Wer hat die Kontrolle (über mich)? Wen kann ich von diesem Ort verdrängen, mit wem soll ich mich verbünden, wem muss ich mich unterwerfen? Festzustehen scheint nur: ICH kann nie die vollständige Kontrolle über mich haben, denn dieser Zustand wäre nur als eine Form der Geisteskrankheit zu erleben. Man kann das als »Autist« oder als »Heiliger«, aber auch das sind nur Projektionen. ICH existiere erst wirklich durch die Gegenwart anderer, die mich kontrollieren. Aber ICH möchte keinesfalls vollkommen die Kontrolle über diese Kontrolle von außen verlieren. Es gibt keine »ideale« Beziehung zwischen Selbst- und Außenkontrolle bzw. Kontrolle der Selbst- und Kontrolle der Außenkontrolle. Das Verhältnis muss ständig neu ausgehandelt werden, was umso leichter vonstattengehen mag, als man sich auf einen »locus of control« einigt, und umso unmöglicher wird, als dieser Ort zum Verschwinden gebracht werden kann. Die Verwandlung Gottes in einen »locus of control« ist nicht weniger prekär als die Verwandlung Gottes in Kapital.[19]

Das also ist der Trick: Es kommt nicht darauf an, was Freiheit ist, sondern auf das, was sie in Bewegung setzt; es kommt nicht darauf an, was Kontrolle ist, sondern auf das, was sie an Produktivkraft erzeugt. Das Zusammenwirken von Freiheit und Kontrolle ergibt Arbeit oder, anders gesagt, Geschichte. Sie verwandeln den seienden zum geschehenden Menschen, den wahren Menschen zum wirklichen. Wozu soll das gut sein?

Die Götter verschwanden nicht, weil Wissenschaft und Kunst an die Stelle der Religion traten, weil Aufklärung die Rationalität in die Himmel und darüber hinaus trug, sie verschwanden weder wegen des Unglaubens noch wegen der Sünde der Menschen. Die Götter verschwanden in dem von ihnen selbst geschaffenen Widerspruch zwischen Freiheit und Kontrolle. Sie waren einst nicht nur Schöpfer, sondern auch Antworten auf diesen Widerspruch, sie hoben ihn, ganz im lutherischen Sinn, im Glauben an sich auf. Aber zur gleichen Zeit infizierten sie sich auch an diesem Widerspruch. Sie machten die Spaltung mit, die sie den Menschen abverlangt hatten, immer ging es da um die alten und die neuen Götter, am Ende sollte, nach den Vorstellungen der Gründerväter der Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika die Religion zur Privatsache werden. Ein fauler Kompromiss, auf den sich kaum einer von ihnen nachhaltig einlassen konnte. Freiheiten und Kontrollen zerfielen in den Mythen und Bildern. Und am Ende blieben nur die Kriegsgötter zurück. Jene, die versprachen, den Widerspruch von Freiheit und Kontrolle zu lösen, wenn nur genügend andere abgeschlachtet, geopfert, ausgelöscht würden. Deine Freiheit besteht in der Kontrolle der anderen, versprachen sie. Aber selbst die Kriegsgötter wurden von den Gläubigen betrogen. Sie massakrierten, schlachteten, löschten aus, indem sie Gehorsam heuchelten und ihrer Lust folgten. (Und nicht viel besser erging es den Schatten der Götter, die sich »Ideologien« nannten.)

Ach, die Gefühle, oder Wie Freiheit zur Produktivkraft wird

Die Freiheit ist vielleicht nicht mehr Geschenk, wohl aber Hinterlassenschaft der Götter. Eine »Gabe« allemal, die, wie wir von Marcel Mauss wissen,[20] zirkulieren und bedeuten muss, von Erwiderung und Opfer geprägt. Als solches kam sie vom Himmel, in ihrer zweiten, der gefährlichen, körperlichen Form aber aus der Hölle. Denn immer waren da ja die Ketzer, Hexen und Libertins, die statt der Freiheit der Seele die des Körpers feierten, die sich statt auf Gott auf die Natur beriefen. Musste dies nicht Widerhall einer Freiheit sein, die auch »im Menschen steckt«, ihm wesentlich aus dem Inneren kommt? Entspricht, mithin, nicht dem Gebot aus dem Jenseits ein Empfinden von innen?

So wäre Freiheit etwas, das von weit oben kommt und von dem uns nie mehr erreicht als eine Vorahnung, und zur gleichen Zeit etwas, das tief im Inneren eingeschlossen ist, aber nie mehr als einen Seufzer der Sehnsucht von sich hören lässt. Eines von diesen Dingen, wie »Heimat« oder »Liebe«, die zugleich unleugbar und unfassbar sind. Und deren Geschichte man am ehesten noch am Leitfaden des »Missbrauchs« schreiben könnte.

Bemerkenswerterweise beklagen sich insbesondere Theoretiker darüber, wie sehr sich »Freiheit« entzieht, je genauer man sie sich ansehen will, ein Aspekt, der wohl Bergsteiger, Künstler oder entlassene Sträflinge, um nur ein paar Beispiele zu nennen, weniger umtreibt. Sie kennen die Symptome eines Freiheits-Flashs genau. Man atmet tiefer, als man es je getan hat, und die Brust wird mächtig. Der Blick weitet sich über alle Grenzen, jede Bewegung, jeder Schritt ist Teil einer Unendlichkeit. Grenzen? Lächerlich. Ach ja, die Spaltung zwischen dem inneren und dem äußeren Menschen scheint wie weggewischt. Der eine will sich seiner Kleider entledigen, der andere einen grandiosen Jauchzer tun, und wieder einer ist nur still und hofft, diese Minute der Freiheit möge nie vergehen.

Tut sie natürlich doch. Und alle Versuche, sie zu rekonstruieren, sie zu wiederholen, sie künstlich zu erzeugen, sie zu archivieren, sie in Sprache oder Klang zu verwandeln, bleiben unvollständig, prekär, kurios. Die Erfahrung der Freiheit ist skandalös. Und wir ahnen Schlimmeres: dass es Freiheit als Konstantes gar nicht gibt, sondern nur jeweils dort, wo sie sich momentan ereignet.

Vielleicht existiert indes so etwas wie eine Begabung