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Martin Rütters Shows sind legendär. Keiner versteht es wie er, ein Millionenpublikum mit dem Thema Hund zu begeistern. Charmant hält er Hundehaltern einen Spiegel vor und lässt Menschen ohne Hund über Kuriositäten in der Hundewelt staunen. Die besten Geschichten, Pointen und Tipps seiner Bühnenshow FREISPRUCH! - untermalt mit Cartoons von Nico Fauser - sind in diesem Buch zusammengefasst. Das ideale Geschenk für alle Hundefreunde und Rütter-Fans.
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Seitenzahl: 106
Dieses E-Book ist die digitale Umsetzung der Printausgabe, die unter demselben Titel bei KOSMOS erschienen ist. Da es bei E-Books aufgrund der variablen Leseeinstellungen keine Seitenzahlen gibt, können Seitenverweise der Printausgabe hier nicht verwendet werden. Stattdessen können Sie über die integrierte Volltextsuche alle Querverweise und inhaltlichen Bezüge schnell komfortabel herstellen.
Text: Martin Rüttter und Stefan Müller
Cartoons: Nico Fauser
Liebe Hundemenschen,
um eines gleich vorwegzunehmen: Ich bin nicht Justitia. Meine Figur ist nicht gemacht für diese Nachthemdchen. Ich hasse Waagen. Und ganz ehrlich: Ein Leben mit Augenbinde ist aus meiner Sicht schon aus drei Gründen unzumutbar.
1. Meine Emma ist kein Blindenhund.
2. Ich esse gern – und noch lieber isst mein Auge mit.
3. Die Augen sind mit das wichtigste Handwerkszeug in meinem Job.
Denn die Arbeit mit Hunden beruht zu gut 95 Prozent auf Beobachtung ihres Verhaltens, allein, mit anderen Hunden und vor allem mit ihrem Menschenrudel. Da gibt es tausend Missverständnisse und (vom Menschen) vermeidbares Fehlverhalten. Bislang habe ich zwar für fast jedes Problem eine Lösung gefunden, bevor der Fall vor dem Richter gelandet ist.
Trotzdem wurde mir in den vergangenen 25 Berufsjahren immer bewusster: Der Hund wird für alles verantwortlich gemacht. Er zieht an der Leine, er haut ab zum Jagen, er verrückt die Möbel und schreddert Sofakissen. Oder, noch schlimmer, den Postboten. Er versteckt Hausschlappen oder zerkaut Muttis feine Pumps. Er plündert die Weihnachtsgans oder rupft Nachbars Hühner. Er ist aggressiv gegen Rüden, hört nicht, bettelt – die Liste kennt kein Ende. Immer ist der Hund schuld. Und da sage ich: Nö!
Der Hund ist einfach Hund. Er macht erst mal das, was die Natur, Charles Darwin oder die Nachbarskatze erwarten. Schuld ist der Mensch. Mit einer Ausnahme.
Nö! Es gibt keine Ausnahme. Schuld ist IMMER der Mensch!
Deshalb ist es meine Aufgabe – nein, Achtung, ich trete kurz aufs Drama-Gas – meine Mission, den Hund in Schutz zu nehmen. Ich entwickle für jeden Hund, der zu mir kommt, ein Training, um ihn von der Anklagebank zu holen und dafür zu sorgen, dass er in Zukunft nicht mehr auffällig wird. Auf Bewährung sozusagen. Und deshalb heißt dieses Buch – wie eines meiner Bühnenprogramme – FREISPRUCH!
Darin gebe ich Einblick in ein paar klassische Anklageschriften aus meiner täglichen Praxis. Was hat der Hund ausgefressen? Welches Vergehen bringt ihn vor den Richter? Als Anwalt der Hunde nehme ich Schritt für Schritt den Tathergang auseinander. Und anschließend gibt’s ein paar Trainingstipps für die Bewährungszeit.
Danach dürfen Sie, liebe*r Leser*in, entscheiden. Sie übernehmen die Rolle des*r Geschworenen und urteilen über das Vergehen des Hundes. Verurteilung oder Freispruch? Familie oder Tierheim? Bewährung oder Autobahnraststätte?
Ja, Moment … was der feine Herr Rütter mal wieder unterschlägt bei seiner »Mission«, ist die Konsultation der Sachverständigen. Sie ahnen es längst, wer da seine Wurst zum Senf geben darf: Ich, von allen, außer mir selbst, »Emma« genannt. Denn wenn jemand Einblick in die Tiefen und Untiefen der Hundeseele hat, dann ein Canide. Besonders wenn er die Anlagen eines treusorgenden Australian Shepherd mit einem durchsetzungsstarken Terrier verbindet. Also wieder ich.
Einspruch? Abgelehnt!
Danke, Emma. Platz!
Wo war ich? Ach ja: In Deutschland gibt es fast 2 000 Bundesgesetze. Strafrecht, Mietrecht, Straßenverkehrsordnung. Allein unser Scheidungsrecht hält eine Fantastillion Anwälte in Lohn und Brot. All diese Paragrafen gelten jedoch nur für uns Menschen. Nicht für Tiere, und schon gar nicht für Hunde. Hunde folgen ihrem Instinkt. Oder unseren Anweisungen. Zugegeben, Letzteres oft nur in Ausnahmefällen.
Immer wieder kommt es dabei zu Missverständnissen. Zum Streit mit dem Postboten. Dem Jogger. Oder anderen Hunden. Und wer ist dann dran? Wenn Sie schon einmal als Zeuge dem anschließenden Verhör beigewohnt haben, wissen Sie: Ein Hund sagt nichts. Da können sämtliche ›Tatort‹-Kommissare und CSI-Profiler aufmarschieren – der Köter schweigt. In 100 Prozent aller Fälle wird der Hund schließlich schuldig gesprochen. Kein Wunder, er konnte sich ja nicht verteidigen. Und der Richter verurteilt natürlich den Halter. Das kann sehr schnell sehr teuer werden. Da nutzt eine Rechtsschutzversicherung nur wenig.
Viel wichtiger ist es zu erkennen, dass nicht der Hund Schuld hat – sondern sein Halter. Und noch wichtiger ist ein guter Anwalt. Zum Glück gibt es die Kernkompetenz Deutschlands, den Meister aller Rassen, den Weihbischof der Welpen, den einzig wahren Hundepapst, den Dogfather der Hundeerziehung, den Sankt Martin der Hunderudel, den Hundeskanzler, den Mann, dem die Hunde vertrauen …
Ruhig, Rütter, ruhig! Nun komm mal wieder runter, du Meister aller Gewichtsklassen. Wenn wir zusammen auf der Couch liegen und kuscheln, trägst du doch auch nicht so dick auf.
Aus, Emma! Und hör auf, über Privates zu tratschen. Das ist mein Buch.
Hunde sind keine Verbrecher. Klar, sie machen ganz sicher viel Quatsch, und manches ist sogar justiziabel. Aber alles lässt sich erklären. Aus Hundeperspektive. Ich fordere daher auf den folgenden Seiten nicht nur einen Freispruch für Hunde. Ich erkläre auch, was warum passiert, damit Hundemenschen lernen, ihre Hunde besser zu verstehen. Und sie somit vor künftigen Straftaten zu bewahren.
Allerdings nehme ich Sie auch in die Pflicht. Nach dieser Lektüre können Sie nicht mehr auf »ahnungslos« plädieren. Denn dann wissen Sie längst, wie man es besser macht. Ob Sie dieses Wissen auch anwenden, überlasse ich Ihnen. Oder besser Ihrem Hund. In jedem Fall – viel Spaß!
Ich merke, dass viele Hundehalter immer unsicherer werden. Gar nicht so sehr im Umgang mit ihrem Hund, sondern eher im Umgang mit all den Informationen zum Thema, die ständig auf sie eindröhnen.
Es gibt so viele Tipps und Tricks zur Hundeerziehung. Es gibt regalmeterweise Ratgeber, Trainingsanleitungen und »So geht’s richtig …«-Videos. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Oder besser: die Spitzen. Denn jeder Trainer erzählt Ihnen was anderes.
Wenn Sie dann eh schon völlig durcheinander sind, gehen Sie mal auf die Hundewiese. Fragen Sie jemanden, der nicht gerade verzweifelt in seine Flöte pustet, »Hiiiiiiieeer!« schreit und in drei Richtungen gleichzeitig rennt. Stellen Sie sich neben einen Mitmenschen, dessen Hund sich gerade ausgiebig in einem Fuchskadaver wälzt. Der hat Zeit. Und dann fragen Sie beiläufig: »Wie geht das noch mal mit der Leinenführigkeit?«
Es dauert keine fünf Minuten, und in dem Kadaver wälzen sich noch zehn andere Hunde und Sie bekommen gratis und umsonst elf unterschiedliche Meinungen zum Thema Leine. Jeder weiß Bescheid. Und der, bei dem man auf den allerersten Blick sieht, dass sein Hund kein bisschen funktioniert, der weiß es am allerbesten.
Aber egal, welchen Experten Sie fragen, egal, mit welchem Trainer und in welcher Hundeschule Sie mit Ihrem Hund arbeiten, irgendwann hören Sie den Satz: »Sie müssen sich mal durchsetzen, Sie müssen sich als Rudelführer behaupten. Zeigen Sie dem Hund, wo der Frosch die Locken hat!«
Es sei denn, Sie kommen zu mir. Ich sage Ihnen: »Das ist Blödsinn im Quadrat.«
Aber warum? Warum zieht jeder Trainer irgendwann das Thema »Dominanz« aus dem Futterbeutel?
Opa Charly. Deshalb.
Ich spreche natürlich von Charles Darwin, dem Vater der Evolutionstheorie. Denn Darwin hat damals den Ausdruck »Survival of the Fittest« geprägt. Aber... Ich nehme es gleich vorweg: Nicht der Stärkste ist gemeint. Es geht nicht um den dicksten Bizeps und die muskulösesten Oberschenkel. Wo kämen wir denn auch hin, wenn der Stärkste die Macht hätte? Dann hätten wir sicher keine Bundeskanzlerin. Den Job würde ein Thorsten Legat machen. Wladimir Klitschko wäre Bundespräsident und Ralf Möller Schulminister – damit unsere Kinder statt Pausenkakao nur noch Proteinshakes trinken.
Wenn es eine Top Ten der falsch verstandenen Sätze gibt, dann gehört »Survival of the Fittest« definitiv dazu. Die korrekte Übersetzung lautet eher: »Es überlebt der, der sich am besten anpasst.«
Charles Darwin meinte, wer sich am besten an seine Nische, an sein Ökosystem anpasse, der setze sich durch. Und mit Durchsetzen ist Überleben gemeint und Fortpflanzen, nicht »Schreddern der Unfitten«. Das übernimmt die Evolution schon selbst.
Das nächste Missverständnis, das daran unmittelbar anknüpft, ist die Vorstellung, ein Rudel sei eine Diktatur. Dementsprechend sind einige Leute immer noch fest davon überzeugt, es ginge in der Hundeerziehung ausschließlich um Kraft und Führungsstärke. Sie glauben, da stehe irgendein dominantes Alphatier oben in der Rangordnung und dem hätten alle blind zu gehorchen, sonst gäb’s richtig einen auf die Fellmütze.
Es wird sogar behauptet, nur der Ranghöchste treffe alle Entscheidungen, zum Beispiel, wann die Jagd startet. Stellen wir uns das mal zusammen vor: Da liegen fünf Hunde in der Heide und dösen gemütlich vor sich hin. Der Alpha pennt wie ein Stein. Plötzlich kommt ein humpelndes Kaninchen um die Ecke. Der Rangniedrigste bemerkt es und denkt: »Mist, Jagen ist nicht, Alphi schläft ja. Kannste nix machen.« Mahlzeit verschoben.
Quatsch!… Gut, der Karnickelverzehr muss nicht unbedingt sein.
Aber Jagen ist ja wohl Pflichtprogramm!
Sonst könnte ich ja gleich zum Wellensittich umschulen.
Ausgeschlossen, ein Käfig kommt mir nicht ins Haus, Emma!
Für mich heißt »Survival of the Fittest«, der Situation entsprechend angemessen zu handeln. Und das hat vor allem mit einer hohen sozialen Kompetenz und Intelligenz zu tun. Wenn also das Karnickel angehumpelt kommt und nur das rangniedrigste Rudelmitglied diesen unwiderstehlichen »Leichte Beute«-Duft in der Nase verspürt … dann schreddert … Entschuldigung, dann erlöst es den Nager mit einem sanften Nackenbiss von dessen Leid und lässt ihn sich schmecken. Oder, wenn es Manieren hat, lädt es das Rudel zum Dinieren ein. So geht »Survival of the Fittest«. Und das ist auch biologisch am sinnvollsten. Es geht im Rudel nicht darum, wer der Stärkste, Kräftigste, Fitteste ist, sondern um die Frage: Wer ist gut angepasst? Wer ist der Intelligenteste? Für uns Halter heißt das im Idealfall: Wir sind immer intelligenter als der Hund.
Zumindest einen Hauch … im Idealfall …
Richtig, Emma! Aber das ist für den einen oder anderen Mitmenschen ja schon genetisch ein Problem.
Ein wunderbares Beispiel für das, worauf Opa Charly hinauswollte, wurde mir frei Haus geliefert – in Gestalt von Abbey und Emma. Abbey ist eine olle Ridgeback-Rentnerin, Verzeihung, eine Ridgeback-Hündin gesetzten Alters. Emma ist ein ungefähr sechsjähriger Mischling aus Australian Shepherd und Terrier. Die Frage, wer eine so hochexplosive Mischung zulassen konnte, ist absolut berechtigt und wird an anderer Stelle beantwortet. Genau wie die Frage, wer so bekloppt ist, sich einen solchen Mix freiwillig ins Haus zu holen. Zugegeben, ich bin ausreichend bekloppt, aber unschuldig. Denn Emma ist mir zugelaufen.
Zugelaufen … Mensch, Rütter, was für ein Unsinn!
Ich habe mir einfach eine Nische gesucht, in die ich besser passe.
Abbey und Emma waren viele Jahre lang mein Rudel. Folglich musste über die Rangfolge nicht mehr diskutiert werden. Abbey war die unumstrittene Nummer eins und Emma liebte, verehrte und verteidigte sie.
Ich liebte beide. Und wie drückt der Mensch seine Liebe fürs Rudel aus? Genau. Allabendlich gibt es bei Rütters einen Feierabendsnack der Gourmet-Liga: An diesem Abend stand Schweineohr auf der Menükarte.
Der Tatort dieser Geschichte ist mein Wohnzimmer und dies sind die wesentlichen Umstände, die die vorliegende Tat besser umreißen:
Abbey ist 33 kg schwer und, ich sag mal, sehr proteinorientiert (auf Deutsch: megaverfressen). Emma dagegen ist eine 19 kg schwere Hyperaktivistin mit dem Stoffwechsel und Bewegungsreiz eines aufgedrehten Grundschulkindes auf Ecstasy. Mit anderen Worten: Emma schätzt so ein Schweineohr zwar durchaus als Snack, aber noch lieber wäre es ihr, wenn jemand das Schweineohr 150 Mal wirft, damit sie es 150 Mal apportieren kann.
Sie sehen, wie gut ich mich an meine Nische angepasst habe. 150 Kurzsprints wären früher mein Aufwärmprogramm gewesen.
Kommen wir zum Tathergang an diesem Abend. Abbey häckselt ihr Schweineohr innerhalb von 60 Sekunden und inhaliert anschließend das Ohr-Konfetti. Emma dagegen lutscht eher gemütlich darauf herum.
Nun denkt sich Abbey: »So ein zweiter Snack könnte ja nicht schaden.« Sie versucht ihr Glück und läuft schnurstracks auf Emma zu, die noch im Genuss schwelgt. Als Ranghöhere nimmt Abbey dabei natürlich eine durchaus selbstbewusste, imponierende Haltung ein. Macht kommt ja angeblich von Machen.
Ziehen wir an dieser Stelle kurz Opa Charly heran – oder das, was an seiner Theorie missverstanden wird. Würde die Alpha- und Dominanztheorie stimmen, müsste sich Emma sofort unterwerfen und freiwillig ihr Schweineohr an Abbey herausrücken. In der Realität dagegen passiert … nichts dergleichen. Im Gegenteil: Die halb so schwere, halb so große, ein Viertel so erfahrene Emma packt ihr Schweineohr umso fester, lutscht ungerührt weiter und garniert ihre Renitenz auch noch mit einem Blick der Kategorie »Träum weiter, Oma!«.
Abbey hat sich das ganz offensichtlich anders vorgestellt. Sie bleibt aber am Alpha-Ball, geht näher ran und startet einen neuen Versuch, diesmal unter dem Motto »Gewalt ist eine Lösung«. Sie zieht die Nase kraus, zeigt die Zähne, macht sich stocksteif und lässt ein tiefes Grollen vernehmen, das aus den Untiefen der Hundehölle zu kommen scheint.
Hätte der Ranghöhere immer das Sagen, müsste Emma spätestens jetzt kleine Brötchen backen und mit zittrigen Pfoten das Schweineohr hergeben. Stattdessen schenkt sie Abbey einen eindeutigen Blick.
Und zwar aus der Kategorie »Hör mal, Omma, du hattest deinen Seniorenteller schon. Nimm dein Rätselheft und dann wieder ab auf die Couch.«