Freut euch und jubelt - Papst Franziskus - E-Book

Freut euch und jubelt E-Book

Papst Franziskus

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Beschreibung

Unübersehbar hat Papst Franziskus sich vorgenommen, die Freude am Christsein ins Leben der Christen zurückzubringen. Nach der "Freude des Evangeliums", der "Freude der Liebe" und der "Freude der Wahrheit" heißt dieses jüngste päpstliche Schreiben "Freut euch und jubelt". Es geht um "Heiligkeit" – darum, wie christliches Leben heute gelingen kann. Denn das ist, wie Franziskus sagt, "kein Privileg für wenige", sondern Herausforderung und Chance für jede und jeden in den je eigenen Lebensumständen. Inspiration und Ermutigung von Papst Franziskus für den Glauben im Alltag, eingeleitet durch eine kritische Hinführung des Vatikanexperten Jürgen Erbacher.

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INHALT

Freude trotz Gegenwind – wie christliches Leben heute gelingen kannEinführung von Jürgen Erbacher

APOSTOLISCHES SCHREIBEN

GAUDETE ET EXSULTATE

DES HEILIGEN VATERS PAPST FRANZISKUS

ÜBER DEN RUF ZUR HEILIGKEIT  
IN DER WELT VON HEUTE

»Freut euch und jubelt« [1–2]

Erstes KapitelDER RUF ZUR HEILIGKEIT

Die Heiligen, die uns ermutigen und begleiten [3–5]

Die Heiligen von nebenan [6–9]

Der Herr ruft [10–13]

Auch für dich [14–18]

Deine Sendung in Christus [19–24]

Heiligmachendes Tun [25–31]

Lebendiger, menschlicher [32–34]

Zweites KapitelZWEI SUBTILE FEINDE DER HEILIGKEIT

Der gegenwärtige Gnostizimus [36]

Ein Geist ohne Gott und ohne Fleisch[37–39]

Eine Lehre ohne Geheimnis[40–42]

Die Grenzen der Vernunft [43–46]

Der gegenwärtige Pelagianismus [47–48]

Ein Wille ohne Demut [49–51]

Eine oftmals vergessene Lehre der Kirche[52–56]

Die Neopelagianer [57–59]

Die Zusammenfassung des Gesetzes[60–62]

Drittes KapitelIM LICHT DES MEISTERS

Gegen den Strom [65–66]

»Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.«[67–70]

»Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben.«[71–74]

»Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.«[75–76]

»Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit;denn sie werden gesättigt werden.«[77–79]

»Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.«[80–82]

»Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen.«[83–86]

»Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.«[87–89]

»Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen;denn ihnen gehört das Himmelreich.«[90–94]

Der große Maßstab [95]

Aus Treue zum Meister[96–99]

Die Ideologien, die den Kern des Evangeliums entstellen [100–103]

Der Gottesdienst, der Gott mehr gefällt[104–108]

Viertes KapitelEINIGE MERKMALE DER HEILIGKEITIN DER WELT VON HEUTE

Durchhaltevermögen, Geduld und Sanftmut [112–121]

Freude und Sinn für Humor [122–128]

Wagemut und Eifer [129–139]

In Gemeinschaft [140–146]

In beständigem Gebet [147–157]

Fünftes KapitelKAMPF, WACHSAMKEIT UND UNTERSCHEIDUNG

Der Kampf und die Wachsamkeit [159]

Mehr als ein Mythos[160–161]

Wach und vertrauensvoll[162–163]

Die geistliche Korruption[164–165]

Die Unterscheidung [166]

Eine dringende Notwendigkeit[167–168]

Immer im Licht des Herrn [169]

Eine übernatürliche Gabe[170–171]

Rede, Herr [172–173]

Die Logik des Geschenks und des Kreuzes[174–175]

Anhang des Verlags

Themenschlüssel

Namen und Quelldokumente

Bibelstellen

Über die Autoren

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Freude trotz Gegenwind – wie christliches Leben heute gelingen kannEinführung von Jürgen Erbacher

Mit seinem Apostolischen Schreiben »Gaudete et exsultate – über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute« legt Papst Franziskus eine Magna Charta des christlichen Glaubens vor. Jeder Mensch, so Franziskus, ist zur Heiligkeit berufen. Und diese Heiligkeit zeigt sich im konkreten Leben jedes Einzelnen, in seinem Denken und Handeln. Die entscheidende Richtschnur ist dabei Jesus von Nazaret. Es mag zwar viele Theorien und Reflexionen darüber geben, was Heiligkeit sei, »doch ist nichts erhellender, als sich dem Wort Jesu zuzuwenden«, ist Franziskus überzeugt (GE 63). Daher nimmt er in dem vorliegenden Schreiben die beiden Texte aus der Bibel, die er als die entscheidenden Wegweiser auf dem Weg der Heiligkeit sieht, und erschließt sie den Gläubigen. Das sind zum einen die Seligpreisungen, die er als »Personalausweis des Christen« bezeichnet (ebd.), und zum anderen die Gerichtsrede im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums, in der Jesus feststellt: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (vgl. Mt 25,40).

Überblickt man die ersten fünf Jahre des Pontifikats von Papst Franziskus, wird man feststellen, dass diese beiden zusammen mit der Erzählung vom barmherzigen Samariter und der von der Berufung des Zöllners Matthäus für ihn die zentralen Bibelstellen sind. Immer wieder kommt er in seinen Reden, Predigten und Schriften darauf zu sprechen.

Franziskus macht mit dem vorliegenden Schreiben einmal mehr deutlich: Im Christentum geht es aus seiner Sicht nicht in erster Linie darum, sich mit Glaubenssätzen, Dogmen und Regeln auseinanderzusetzen und diese bis ins Detail zu beherrschen, sondern es geht um die Haltung des Einzelnen gegenüber sich selbst, gegenüber Gott und dem Nächsten sowie um das daraus resultierende Handeln. »Wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt«, zitiert er aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer (GE 60). In diesem Sinne ist Gaudete et exsultate einmal mehr der Versuch des Papstes, den Paradigmenwechsel in der katholischen Kirche zu festigen, den er bereits wenige Monate nach dem Beginn seines Pontifikats in seinem ersten Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium eingeläutet hat. Die Kirche brauche »nicht viele Bürokraten und Funktionäre«, sondern leidenschaftliche Missionare, die verzehrt werden von der Begeisterung, das wahre Leben mitzuteilen«, schreibt Franziskus im Kapitel über die »Merkmale der Heiligkeit in der Welt von heute« (GE 138). Diese Aussage gilt nicht nur für die Amtsträger, sondern für jeden Gläubigen. Franziskus wird nicht müde, zu betonen, dass das Christentum in erster Linie durch die Tat verkündet wird und nicht nur durch Worte.

Für die Ohren der Menschen im 21. Jahrhundert klingt der Begriff »Heiligkeit« fremd. Franziskus scheut sich dennoch nicht, ihn zum zentralen Thema eines ganzen Lehrschreibens zu machen. Er bleibt damit einer eher binnenkirchlichen Sprache verhaftet. Wer Gaudete et exsultate liest, wird feststellen, dass es dem Papst tatsächlich um viel mehr zu tun ist, nämlich um eine Hilfestellung für ein gelingendes und erfülltes Leben als Christ. »Heilig sein bedeutet daher nicht, in einer vermeintlichen Ekstase die Augen zu verdrehen«, mahnt er (GE 96): Er macht deutlich, dass Heiligkeit keine Perfektion braucht, sondern ein lebenslanger Weg im Alltag ist, und dass es ganz konkret um ein besseres Leben im Kleinen wie im Großen, im Persönlichen wie im Sozialen geht.

***

Der Pontifex gliedert seine Anleitung zur Heiligkeit in fünf Kapitel. Zunächst macht er im ersten Abschnitt deutlich, dass der »Ruf zur Heiligkeit« jedem gilt, von den Klerikern und Ordensleuten zu den Laien, etwa Eltern, Arbeitenden, Kranken. »Oft ist das die Heiligkeit ›von nebenan‹, derer, die in unserer Nähe wohnen und die ein Widerschein der Gegenwart Gottes sind, oder, um es anders auszudrücken, ›die Mittelschicht der Heiligkeit‹« (GE 7). Entsprechend sind es aus Sicht des Papstes auch die kleinen Dinge, die auf dem Weg der Heiligkeit entscheidend sind: ein Lächeln, die Bereitschaft zum Zuhören oder der Verzicht auf Klatsch und Tratsch über andere. Zugleich macht Franziskus deutlich, dass gerade die unscheinbaren Dinge und Personen große Wirkung haben können, wenn er mit einem Zitat der heiligen Edith Stein feststellt: »Sicherlich werden die entscheidenden Wendungen in der Weltgeschichte wesentlich mitbestimmt durch Seelen, von denen kein Geschichtsbuch etwas meldet« (GE 8).

Im ersten Kapitel versucht der Papst die Angst davor zu nehmen, dass der »Ruf zur Heiligkeit« den Einzelnen überfordern könnte. Ein Heiliger sei nicht in allem perfekt. »Was wir betrachten müssen, ist die Gesamtheit seines Lebens« (GE 22). Auch müsse jeder seinen eigenen Weg finden entsprechend dem, »was Gott so persönlich in ihn hineingelegt hat« (GE 11). Und es gehe nicht darum, »dass er sich verausgabt, indem er versucht, etwas nachzuahmen, das gar nicht für ihn gedacht war. Wir sind alle aufgerufen, Zeugen zu sein, aber es gibt ›viele existentielle Weisen der Zeugenschaft‹« (ebd.).

Im zweiten Kapitel warnt Franziskus vor »zwei subtilen Feinden der Heiligkeit«. Einmal sind es gnostische Tendenzen, die sich vielleicht sehr vereinfacht charakterisieren lassen als ein vergeistigtes Christentum, das sich auf Theorien und Theologisieren konzentriert, aber die materielle Welt und damit auch die Menschwerdung Christi nicht wirklich ernst nimmt und deshalb die tätige Nächstenliebe als etwas Sekundäres betrachtet. Gnostik will letztendlich Erlösung durch Erkenntnis und ist damit das Gegenteil von wirklicher Erlösung, denn die kann der Mensch nicht selbst machen. Franziskus sieht hier Vertreter am Werk, für die die Lehre ein »geschlossenes System« ist (vgl. GE 44). Die macht er unter Laien in den Pfarreien ebenso aus wie in der wissenschaftlichen Philosophie und Theologie. Franziskus warnt vor denen, die ihre Theorien anderen aufoktroyieren wollen und die auf alle Fragen eine Antwort haben. Das passt für ihn nicht zum christlichen Glauben, denn »Gott übersteigt uns unendlich« (GE 41). »Wer es ganz klar und deutlich haben will, beabsichtigt, die Transzendenz Gottes zu beherrschen« (ebd.). Dem setzt er seine Vorstellung entgegen und betont einmal mehr, dass »in der Kirche unterschiedliche Arten und Weisen der Interpretation vieler Aspekte der Lehre und des christlichen Lebens berechtigterweise koexistieren, die in ihrer Vielfalt ›helfen, den äußerst reichen Schatz des Wortes besser deutlich zu machen‹« (GE 43). Dass der Papst diese seine Grundüberzeugung, die bereits in Evangelii gaudium (Nr. 40) ausgedrückt ist, in dem neuen Lehrschreiben noch einmal eigens wiederholt, klingt wie die Antwort an seine Kritiker, die im Nachgang zu Amoris laetitia von ihm eine Klarstellung wegen der (Nicht-)Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten verlangen.

Die zweite Versuchung sieht Franziskus in neuen Formen des Pelagianismus. Etwas vereinfacht dargestellt, kritisiert er hier eine elitäre Haltung, deren Vertreter »sich den anderen überlegen [fühlen], weil sie bestimmte Normen einhalten oder weil sie einem gewissen katholischen Stil der Vergangenheit unerschütterlich treu sind« (GE 49). Einmal mehr zitiert hier Franziskus sein erstes Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium. Das deutet darauf hin, dass der Papst mit dem neuen Dokument seiner Idee der Erneuerung der Kirche durch eine grundlegende Haltungsänderung noch einmal neuen Schwung verleihen möchte.

Seine Kritik am Elitedenken nutzt er übrigens, um in einem kleinen historischen Aufriss deutlich zu machen, dass die Idee der »Rechtfertigung allein aus Gnade« in der katholischen Kirche eine lange Tradition hat. Hier – und auch mit der starken Betonung der Barmherzigkeit in seinem Pontifikat – zeigt Franziskus, wie nah er in seinem Denken den evangelischen Christen ist. Ganz in diesem Sinne hatte auch schon der emeritierte Papst Benedikt XVI. in einem Interview im März 2016 erklärt: »Mir scheint, dass sich im Thema der göttlichen Barmherzigkeit das, was die Rechtfertigung durch den Glauben bedeutet, auf neue Weise ausdrückt.« Diese enge Verbindung von Rechtfertigung und Barmherzigkeit schwingt in dem Wahlspruch mit, den sich Jorge Mario Bergoglio zu seiner Bischofsweihe gewählt hat und den er auch in seinem Papstwappen trägt: »miserando atque eligendo« (zu übersetzen in etwa mit: »voll Erbarmen angeschaut und ausgewählt«). Auch im neuen Lehrschreiben klingt er an. Hier findet sich die Mahnung an den Leser, immer daran zu denken, dass alle ein Heer von Begnadeten sind. »Wir alle wurden mit göttlichem Erbarmen angeschaut« (GE 82).

Dass für Papst Franziskus die Barmherzigkeit so zentral ist, hängt mit den beiden Bibelstellen zusammen, die er im dritten Kapitel behandelt: die Seligpreisungen und die Gerichtsrede aus dem Matthäusevangelium. Hier wird deutlich, dass Christsein aus Sicht von Papst Franziskus kein einfaches Unterfangen ist. Wenn ihm Kritiker immer wieder vorwerfen, bei ihm gehe es um eine Anpassung des Glaubens und der theologischen Lehre an den Zeitgeist, werden sie hier eines Besseren belehrt. Denn, so Franziskus in den einleitenden Worten dieses Abschnitts: »Die Worte Jesu mögen uns poetisch erscheinen, sie richten sich jedoch deutlich gegen den Strom der Gewohnheit, gegen das, was man in der Gesellschaft so tut; und wenn uns diese Botschaft Jesu auch anzieht, treibt uns die Welt im Grunde zu einem anderen Lebensstil« (GE 65).

Man könnte es als ein Programm der »Entweltlichung« der Kirche und des Christseins bezeichnen, was der Papst hier zeichnet, nicht im Sinne eines Sichzurückziehens aus der Welt, sondern umgekehrt eines In-der-Welt-Lebens nach ganz eigenen, nämlich christlichen Maßstäben. Dazu gehört, sich aktuellen Tendenzen wie Konsumismus oder einem übertriebenen Individualismus zu widersetzen. Das führt zu Gegenwind, den es zu ertragen gilt. An einigen Stellen in Gaudete et exsultate finden die Erfahrungen, die Franziskus in den ersten fünf Jahren seines Pontifikats bei der Umsetzung seiner Vision von Kirche und Christsein gemacht hat, ihren Niederschlag. Etwa, wenn er es als »schädlich und ideologisch« bezeichnet, den sozialen Einsatz für andere für »oberflächlich, weltlich, säkularistisch, immanentistisch, kommunistisch oder populistisch« zu halten (GE 101) – Vorwürfe, die er sich immer wieder anhören muss, wenn er die starke soziale Komponente des christlichen Glaubens betont.

Mit dem vorliegenden Dokument macht Franziskus deutlich, dass für ihn Gebet und soziales Engagement aufs engste verbunden sind. »Wir können kein Heiligkeitsideal in Erwägung ziehen, das die Ungerechtigkeit dieser Welt nicht sieht, wo einige feiern, fröhlich verbrauchen und ihr Leben auf die Neuheiten des Konsums reduzieren, während andere nur von außen zuschauen können und gleichzeitig ihr Leben weiter voranschreitet und armselig zu Ende geht« (ebd.).

Dafür müssen die Glaubenden dann auch so manche Demütigung ertragen, erklärt Franziskus zu Beginn des vierten Kapitels, in dem er »einige Merkmale der Heiligkeit in der Welt von heute« beschreibt. Dazu zählt er etwa Durchhaltevermögen, Geduld und Sanftmut. Er macht deutlich, dass nur eine »innere Gefestigtheit« davor bewahrt, »uns von der Gewalt mitreißen zu lassen, die sich im sozialen Leben verbreitet« (GE 116). Um eine solche Haltung zu erlangen, muss das Leben von einer tiefen Spiritualität geprägt und von einer intensiven Gebetstätigkeit getragen sein.

An vielen Stellen wird deutlich, dass Gaudete et exsultate nicht ein klassisches Lehrschreiben ist, das theologische Inhalte definiert und Glaubenssätze durchbuchstabiert; es ist vielmehr eine spirituelle Anleitung, wie ein christliches Leben unter heutigen Bedingungen gelingen kann. Franziskus ist überzeugt, dass es trotz Gegenwind ein Leben in Freude ist. Denn Missmut sei kein Zeichen von Heiligkeit. Die sei vielmehr »fähig, mit Freude und Sinn für Humor zu leben« (GE 122). Der Papst will ermutigen, den Weg der Heiligkeit zu gehen. Dabei ist ›Heiligkeit‹ für ihn ein anderes Wort für ›gelingendes christliches Leben im Alltag‹. Und weil »Gott keine Angst hat« und »immer Neuheit ist« (GE 135), sollen auch die Christen wagemutig sein. »Denken wir daran, dass verschlossene Räume am Ende nach Moder riechen und uns krank machen« (GE 133). Dabei betont Franziskus, dass der Weg zur Heiligkeit immer ein gemeinsamer Weg ist. In der Kirche, auch wenn sie eine Gemeinschaft von Sündern ist, finde man alles, um in der Heiligkeit zu wachsen.

Das fünfte und abschließende Kapitel birgt noch einmal einigen Sprengstoff. Wer Gaudete et exsultate liest, begegnet immer wieder Vokabeln des Streits und des Kampfes. In guter jesuitischer und durchaus auch altkirchlicher Tradition sieht Franziskus das Leben des Christen als einen »ständigen Kampf« (GE 158), als einen Kampf gegen »die weltliche Mentalität, die betrügt, betäubt und uns mittelmäßig werden lässt, ohne Engagement und freudlos«, aber auch als einen Kampf »gegen den Teufel, welcher der Fürst des Bösen ist« (GE 159). Der Papst mahnt an dieser Stelle davor, das Böse als Mythos, Schauspiel, Symbol oder Idee abzutun. »Dieser Irrtum bringt uns dazu, die Hände in den Schoß zu legen, nachlässig zu sein und mehr Gefährdungen ausgesetzt zu sein« (GE 161). Die Worte können als eine Mahnung verstanden werden, sich des Ernsts der Lage bewusst zu werden.

Entsprechend sieht Franziskus »das Wachstum im Guten, in der geistlichen Reife und der Liebe [als] das beste Gegengewicht zum Bösen« (GE 163). Damit dieses »Wachstum im Guten« möglich wird, ist es wichtig, sich für das Richtige und Gute zu entscheiden. Franziskus erklärt zum Abschluss, wie eine solche Unterscheidung gelingen kann, und macht deutlich, »die gleichen Lösungen gelten nicht unter allen Umständen, und was in einem Zusammenhang nützlich war, kann es in einem anderen nicht sein« (GE 173). Hier ist er wieder, der Papst, der Entscheidungen für die einzelne Situation möchte und nicht allumfassende globale Regelungen, die den konkreten Verhältnissen dann nicht gerecht werden.

***

»›Freut euch und jubelt‹ (Mt 5,12), sagt Jesus denen, die um seinetwillen verfolgt oder gedemütigt werden« (GE 1). Mit diesen Worten beginnt Papst Franziskus sein Schreiben. Das ist vielleicht nicht gerade der Einstieg, den man sich für ein Lehrschreiben über die Heiligkeit in der Welt von heute wünscht. Darin werden aber die ganze Dramatik und der Ernst deutlich, welche der gelebte christliche Glaube aus Sicht des Papstes mit sich bringt. Das gesamte Wirken von Franziskus ist getrieben von der Sorge um das »Heil der Seelen«. Da er die Worte Jesu, die im Matthäusevangelium über das Weltgericht überliefert sind, ernst nimmt, kommt er zu dem Schluss: »Angesichts dieser schlagkräftigen Aufforderungen Jesu ist es meine Pflicht, die Christen zu bitten, sie anzunehmen und zu empfangen, und zwar ›sine glossa‹, das heißt, ohne Kommentar, ohne Ausflüchte und Ausreden, die ihnen Kraft entziehen. Der Herr hat uns ganz deutlich gesagt, dass die Heiligkeit weder verstanden noch gelebt werden kann, wenn man von seinen Forderungen absieht, denn die Barmherzigkeit ist ›das pulsierende Herz des Evangeliums‹« (GE 97).

In dieser Bitte, die wie ein Angelpunkt fast exakt in der Mitte von Gaudete et exsultate steht, verdichtet sich das ganze Wirken von Franziskus. Strukturreformen und Diskussionen über theologische Spitzfindigkeiten treten in den Hintergrund angesichts des Anliegens, den Brüdern und Schwestern zu dienen, auch den geringsten unter ihnen. Interessant ist, dass gerade an dieser zentralen Stelle Franziskus seine Gedanken mit einem Zitat des heiligen Johannes Paul II. einleitet, auf den er viele Male verweist, als wolle er die Kontinuität gerade zu diesem Papst eigens unterstreichen. Mit zahlreichen Verweisen auf Bonaventura und Thomas von Aquin versucht er den Nachweis zu erbringen, dass sein Verständnis des Christlichen und näherhin des Katholischen kein Sonderweg ist, sondern aus der Mitte der katholischen Tradition schöpft. Für seine Unterstützer bestand daran nie ein Zweifel; seine Kritiker werden sich damit wohl kaum überzeugen lassen.

Doch wenn man Franziskus ernst nimmt, sind es weniger die Worte, geschrieben oder gesprochen, die überzeugen, als vielmehr die Taten. Und für diese finden sich in Gaudete et exsultate viele Impulse. Werden sie umgesetzt, können sie zu Veränderungen in Kirche und Welt führen. Denn was sich letztendlich hinter dem »Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute« verbirgt, ist der Ruf nach einer besseren Welt in Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität. ›Utopie!‹, werden manche schreien. Franziskus hält den christlichen Optimismus dagegen und ist überzeugt: Mit den kleinen Heiligen des Alltags, den »Heiligen von nebenan« (GE 7), kann eine große Revolution beginnen. Denn, so Franziskus, »er [Jesus] will, dass wir heilig sind, und erwartet mehr von uns, als dass wir uns mit einer mittelmäßigen, verwässerten, flüchtigen Existenz zufriedengeben« (GE 1).

Jürgen Erbacher, Politikwissenschaftler, Theologe und Journalist, ist Redakteur des ZDF mit dem Schwerpunkt Papst und Vatikan, Theologie und Kirche. Er lebt in Mainz und Rom und hat Papst Franziskus auf vielen Reisen begleitet. Bekannt ist er nicht nur durch seine Präsenz im Fernsehen, sondern auch durch seinen erfolgreichen Blog »Papstgeflüster« und seine Bücher. Bei Patmos zuletzt: »Weiter denken. Franziskus als Papst und Politiker« (2018).

1 »Freut euch und jubelt« (Mt 5,12), sagt Jesus denen, die um seinetwillen verfolgt oder gedemütigt werden. Der Herr fordert alles; was er dafür anbietet, ist wahres Leben, das Glück, für das wir geschaffen wurden. Er will, dass wir heilig sind, und erwartet mehr von uns, als dass wir uns mit einer mittelmäßigen, verwässerten, flüchtigen Existenz zufriedengeben. Der Ruf zur Heiligkeit ist nämlich von den ersten Seiten der Bibel an auf verschiedene Weise präsent. So erging die Aufforderung des Herrn an Abraham: »Geh vor mir und sei untadelig!« (Gen 17,1).

2 Es soll hier nicht um eine Abhandlung über die Heiligkeit gehen, mit vielen Definitionen und Unterscheidungen, die dieses wichtige Thema bereichern könnten, oder mit Analysen, die über die Mittel der Heiligung anzustellen wären. Mein bescheidenes Ziel ist es, den Ruf zur Heiligkeit einmal mehr zum Klingen zu bringen und zu versuchen, ihn im gegenwärtigen Kontext mit seinen Risiken, Herausforderungen und Chancen Gestalt annehmen zu lassen. Denn der Herr hat jeden von uns erwählt, damit wir in der Liebe »heilig und untadelig leben vor ihm« (Eph 1,4).

Erstes KapitelDER RUF ZUR HEILIGKEIT

Die Heiligen, die uns ermutigen und begleiten

3 Im Hebräerbrief werden verschiedene Zeugen genannt, die uns ermutigen sollen, »mit Ausdauer in dem Wettkampf [zu] laufen, der vor uns liegt« (12,1). Die Rede ist von Abraham, Sara, Mose, Gideon und einigen anderen (vgl. Kapitel 11); vor allem werden wir eingeladen, zu erkennen, dass wir »eine solche Wolke von Zeugen um uns haben« (12,1), die uns dazu anspornen, auf unserem Weg nicht stehen zu bleiben, und uns ermutigen, weiter dem Ziel entgegen zu gehen. Unter ihnen sind vielleicht unsere eigene Mutter, eine Großmutter oder andere Menschen, die uns nahestehen (vgl. 2Tim