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»Du bist wichtig. Du bist einzigartig. Du bist ein Wunder!« Das ist die Botschaft von Papst Franziskus. In seinem neuen Buch gibt er 15 Ratschläge für ein gutes Leben. Aus der Schatzkiste christlicher Spiritualität hilft Franziskus, den eigenen Selbstwert zu erfahren und Träume wahr werden zu lassen. Selbst im Angesicht der Sorgen und der Müdigkeit des Alltags verheißt er Mut und Freude: »Gott hat uns erschaffen, um zu blühen!«
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Seitenzahl: 234
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Papst Franziskus
Du bist wundervoll
Papst Franziskus
Du bist wundervoll
Vom Mut, seine Träume zu leben
Aus dem Italienischen übersetzt von Gabriele Stein
Titel der Originalausgabe: Buona vita. Tu sei una meraviglia
© FullDay srl, 2020
© Libreria Editrice Vaticana, 2020
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Die Bibelverse wurden, soweit nicht anders angegeben,folgender Ausgabe entnommen:
Die Bibel. Die Heilige Schrift
des Alten und des Neuen Bundes.
Vollständige deutsche Ausgabe
© Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2005
Einige Bibelverse wurden vom Autor frei übersetzt.
Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf
Umschlagmotiv: © Stefano Spaziani
E-Book-Konvertierung: inpunkt[w]o, Haiger
ISBN Print 978-3-451-39969-5
ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83996-2
ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83995-5
Einleitung: Du bist ein Wunder
15 Regeln für ein gutes Leben
I. Wir alle sind kostbar
II. Das Beste am Leben
III. Der einmalige Augenblick ist jetzt
IV. Wovor wir auf der Hut sein müssen
V. Auf Schatzsuche
VI. Und wenn der Schmerz kommt?
VII. Die Weisheit pflegen
VIII. Sieh nicht vom Balkon aus zu!
IX. Mach dir die Hände schmutzig!
X. Nie wieder allein
XI. Gegen den Strom
XII. Du hast Augen, also sei kontemplativ!
XIII. Hör nicht auf zu träumen!
XIV. Das Wunder enthüllen, das in dir ist
Quellen
Anmerkungen der Übersetzerin
»Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt.« (Jes 9,5)
Ein Sohn ist uns geschenkt. Oft hört man sagen, die größte Freude im Leben sei die Geburt eines Kindes. Sie ist etwas Außergewöhnliches, etwas, das alles verändert, das ungeahnte Energien freisetzt und uns Erschöpfung, Strapazen und durchwachte Nächte ertragen lässt, weil das damit verbundene Glück so groß ist, dass im Vergleich dazu nichts anderes wichtig erscheint.
Die Neuigkeit der Geburt Jesu lässt uns Jahr für Jahr innerlich neu geboren werden und in ihm die Kraft finden, uns jeder Prüfung zu stellen. Ja, denn er wird für uns geboren: für mich, für dich, für uns alle, für jeden.
Für ist das Wort, das in dieser Heiligen Nacht immer wiederkehrt: »Ein Kind ist [für] uns geboren«, hat Jesaja prophezeit; »Heute ist [für] uns der Heiland geboren«, heißt es im Kehrvers zum Psalm; Jesus »hat sich selbst für uns hingegeben« (Ti 2,14), hat der heilige Paulus erklärt; und im Evangelium hat der Engel verkündet: »Heute ist [für] euch in der Stadt Davids der Retter geboren« (Lk 2,11). Für mich, für euch.
Doch was bedeutet dieses für uns? Dass der Sohn Gottes, der von Natur aus Gesegnete, kommt, um uns zu Söhnen und Töchtern zu machen, die aus Gnade gesegnet sind. Ja, Gott kommt als Sohn in die Welt, um uns zu Söhnen und Töchtern Gottes zu machen. Was für ein großartiges Geschenk! Heute überrascht uns Gott und sagt zu jedem von uns: »Du bist ein Wunder.«
Schwester, Bruder, verlier nicht den Mut. Neigst du dazu, dich fehl am Platz zu fühlen? Gott sagt zu dir: »Nein, du bist mein Kind!« Meinst du, es nicht zu schaffen, fürchtest du, nicht zu genügen, hast du Angst, dass du nie wieder aus dem Tunnel der Prüfung herauskommst? Gott sagt zu dir: »Nur Mut, ich bin bei dir.« Er sagt es dir nicht mit Worten, sondern indem er Kind wird wie du und für dich, um dich an den Ausgangspunkt jeder Neugeburt zu erinnern: die Erkenntnis, dass du ein Sohn oder eine Tochter Gottes bist. Das ist das unzerstörbare Herz unserer Hoffnung, der glühende Kern, der unser Dasein aufrechterhält: Jenseits unserer guten und weniger guten Eigenschaften, stärker als die Wunden und Fehlschläge der Vergangenheit, als die Ängste und Sorgen angesichts der Zukunft, liegt diese Wahrheit: Wir sind geliebte Kinder. Und Gottes Liebe zu uns hängt nicht von uns ab und wird auch niemals von uns abhängen: Sie ist unentgeltliche Liebe. Diese Nacht findet nur in der Gnade eine Erklärung. Nur in der Gnade. Alles ist Gnade. Das Geschenk ist unentgeltlich, keiner von uns hat es verdient, es ist reine Gnade. Denn in dieser Nacht, hat uns der heilige Paulus gesagt, ist »die Gnade Gottes […] erschienen« (Ti 2,11). Es gibt nichts Kostbareres.
Ein Sohn ist uns geschenkt. Der Vater hat uns nicht irgendetwas geschenkt, sondern seinen eigenen, eingeborenen Sohn, der seine ganze Freude ist. Doch wenn wir die Undankbarkeit des Menschen gegenüber Gott und die Ungerechtigkeit gegenüber vielen unserer Brüder und Schwestern sehen, kommen uns Zweifel: Hat der Herr gut daran getan, uns so viel zu schenken, tut er gut daran, uns noch immer zu vertrauen? Überschätzt er uns nicht? Doch, er überschätzt uns. Er überschätzt uns, weil er uns bis zum Äußersten liebt. Er ist nicht imstande, uns nicht zu lieben. So ist er eben, ganz anders als wir. Er liebt uns immer, er liebt uns mehr, als wir selbst uns lieben können. Das ist sein Geheimnis, um in unser Herz zu gelangen. Gott weiß, dass er uns nur auf eine Weise retten, uns innerlich heilen kann: indem er uns liebt. Einen anderen Weg gibt es nicht. Er weiß, dass wir nur besser werden, wenn wir seine unermüdliche Liebe annehmen, die sich nicht ändert, die aber uns verändert. Nur die Liebe Jesu verwandelt das Leben, heilt die tiefsten Wunden, befreit uns aus den Teufelskreisen der Unzufriedenheit, der Wut und des Lamentierens.
Ein Sohn ist uns geschenkt. Der Sohn Gottes liegt in einer armseligen Krippe, in einem dunklen Stall. Das wirft eine weitere Frage auf: Warum ist er nachts zur Welt gekommen, ohne angemessene Unterkunft, in Armut und Verachtung, obwohl er, der größte aller Könige, es doch verdient hätte, im schönsten aller Paläste geboren zu werden? Warum? Weil er uns begreiflich machen wollte, wie sehr er unser Menschsein liebt: so sehr, dass er mit seiner konkreten Liebe unser schlimmstes Elend berührt. Der Sohn Gottes wurde ins Abseits hineingeboren, um uns zu sagen, dass jeder ins Abseits gestellte Mensch Gottes Kind ist. Er ist in die Welt gekommen, wie ein kleines Kind zur Welt kommt: schwach und zerbrechlich, damit wir unsere eigenen Schwächen zärtlich annehmen können. Und damit wir etwas Wichtiges entdecken: Gott will, genau wie in Betlehem, auch bei uns, durch unsere Armut große Dinge geschehen lassen. Er hat unser ganzes Heil in eine Krippe im Stall gelegt, und er hat keine Angst vor unserem Elend. Lassen wir zu, dass seine Barmherzigkeit unsere Armut verwandelt!
Das bedeutet es, dass für uns ein Kind geboren ist. Doch es gibt noch ein anderes für, der Engel sagt es zu den Hirten: »Dies soll [für] euch das Zeichen sein: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend« (Lk 2,12). Dieses Zeichen, das Kind in der Krippe, ist ebenfalls für uns bestimmt: Es soll uns im Leben die Richtung weisen. Gott liegt in Betlehem – der Name bedeutet »Haus des Brotes« – in einer Krippe, als wolle er uns daran erinnern, dass wir ihn ebenso sehr zum Leben brauchen wie das Brot, das wir essen. Wir brauchen es, uns von seiner unentgeltlichen, unermüdlichen, konkreten Liebe durchdringen zu lassen. Doch wie oft speisen wir, weil wir nach Unterhaltung, Erfolg und Weltlichkeit hungern, das Leben mit Dingen ab, die nicht sättigen und eine innere Leere hinterlassen! Während Ochs und Esel ihre Krippe kennen, so klagt der Herr durch den Mund des Propheten Jesaja, kennen wir, sein Volk, ihn nicht: ihn, der der Quell unseres Lebens ist (vgl. Jes 1,2–3). Das ist wahr: In unserer unersättlichen Habgier stürzen wir uns auf zahllose Krippen der Eitelkeit und vergessen darüber die Krippe von Betlehem. Jene Krippe, die arm ist an allem und reich an Liebe, lehrt uns, dass die Speise des Lebens darin besteht, uns von Gott lieben zu lassen und unsere Mitmenschen zu lieben. Jesus macht es uns vor: Er, das Wort Gottes, ist ein Säugling; er kann noch nicht sprechen, aber er schenkt sein Leben hin. Wir dagegen sprechen viel und sind doch nicht selten Analphabeten der Güte.
Ein Sohn ist uns geschenkt. Wer ein kleines Kind hat, weiß, wie viel Liebe und wie viel Geduld dazu nötig sind. Man muss es füttern, versorgen, waschen, sich seiner Zerbrechlichkeit und seiner Bedürfnisse annehmen, die oft schwierig zu verstehen sind. Ein Kind gibt uns das Gefühl, geliebt zu werden, aber es lehrt uns auch, zu lieben. Gott ist als Kind zur Welt gekommen, weil er uns dazu bringen wollte, uns umeinander zu kümmern. Sein zartes Weinen lässt uns begreifen, wie sinnlos unsere Launen oft sind – und wir haben deren viele! Seine wehrlose und entwaffnende Liebe erinnert uns daran, dass wir die Zeit, die uns zur Verfügung steht, nicht bekommen haben, um in Selbstmitleid zu baden, sondern um die Tränen der Leidenden zu trocknen. Gott nimmt unter uns Wohnung, arm und bedürftig, weil er uns sagen will, dass wir ihn lieben, indem wir den Armen dienen. Seit jener Nacht gilt, was Emily Dickinson in einem ihrer Gedichte geschrieben hat: »Gott residiert gleich nebenan, / Sein Mobiliar ist Liebe«.1
Denk nach, dort, wo Gott dich ausgesät hat, hoffe! Hoffe immer!
Jesus hat uns ein Licht gegeben, das in der Finsternis leuchtet: Verteidige es, beschütze es! Dieses eine Licht ist der größte Reichtum, der deinem Leben anvertraut ist.
Ergib dich nicht der Nacht! Denke daran, dass der erste Feind, der besiegt werden muss, nicht draußen, sondern in deinem Innern ist! Deshalb darfst du den bitteren, finsteren Gedanken keinen Raum geben. Diese Welt ist das erste Wunder, das Gott vollbracht hat, und er hat uns die Gnade zu neuen Wundern in die Hände gelegt. Glaube und Hoffnung schreiten gemeinsam voran.
Halte Ideale hoch! Lebe für etwas, das über den Menschen hinausgeht! Und wenn diese Ideale dir irgendwann eine gepfefferte Rechnung präsentieren, trage sie dennoch weiter in deinem Herzen! Treue gewinnt alles.
Glaube an die Existenz der höchsten und schönsten Wahrheiten! Vertraue auf Gott, deinen Schöpfer, auf den Heiligen Geist, der alles zum Guten hinbewegt, an die Umarmung Christi, die jeden Menschen am Ende seines Daseins erwartet! Glaube! Er wartet auf dich. Die Welt ist auf dem Weg dank der Weitsicht vieler Menschen, die Breschen geschlagen, Brücken gebaut, die geträumt und geglaubt haben; auch wenn ihr Umfeld sie verspottet hat.
Denk niemals, dass der Kampf, den du hier unten kämpfst, sinnlos wäre! Am Ende unseres Daseins wartet kein Schiffbruch: In uns pulsiert ein Same des Absoluten. Gott betrügt nicht. Wenn er uns eine Hoffnung ins Herz gelegt hat, dann nicht, um sie durch ständige Enttäuschungen auszumerzen. Alles entsteht, um in einem ewigen Frühling zu blühen. Auch wir. Gott hat uns geschaffen, damit wir blühen. Mir kommt ein Gespräch in den Sinn, in dem die Eiche zum Mandelbaum sagte: »Erzähle mir von Gott!« Und der Mandelbaum erblühte.
Wo immer du bist, bau auf! Wenn du gefallen bist, steh auf! Bleib nie am Boden, steh auf, lass dir aufhelfen! Wenn du sitzt, mach dich auf den Weg! Wenn die Langeweile dich lähmt, dann verscheuche sie, indem du Gutes tust! Wenn du dich leer fühlst oder demoralisiert, dann bitte den Heiligen Geist, dass er dein Nichts wieder neu auffüllt!
Stifte Frieden unter den Menschen! Und hör nicht auf die, die Hass und Spaltung verbreiten! Hör nicht auf ihre Stimmen! Die Menschen sind, so unterschiedlich sie auch sein mögen, für das Zusammenleben geschaffen. Sei geduldig, wenn ihr verschiedener Meinung seid: Eines Tages wirst du entdecken, dass jeder ein Bruchstück der Wahrheit verwahrt.
Liebe die Menschen! Liebe sie jeden für sich! Respektiere den Weg eines jeden Einzelnen, so geradlinig oder gewunden er auch sein mag, weil jeder seine eigene Geschichte zu erzählen hat. Jeder von uns hat eine einmalige und unersetzliche Geschichte. Jedes Kind, das geboren wird, ist die Verheißung eines Lebens, das einmal mehr beweist, dass es stärker ist als der Tod. Jede Liebe, die aufkeimt, ist eine Kraft der Veränderung, die zum Glück hinstrebt.
Und vor allem: träume! Hab keine Angst zu träumen! Träume! Träume von einer Welt, die noch nicht sichtbar ist, aber ganz sicher kommen wird! Die Kraft unserer Hoffnung ist der Glaube an eine Schöpfung, die sich bis zu ihrer endgültigen Erfüllung erstreckt, wenn Gott alles in allem sein wird. Menschen mit Vorstellungskraft haben der Menschheit wissenschaftliche und technologische Entdeckungen geschenkt. Sie haben die Meere überquert, sie haben Länder betreten, auf die noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt hatte. Auch die Männer und Frauen, die die Sklaverei besiegt und allen bessere Lebensbedingungen gebracht haben, waren Menschen, die Hoffnung hatten. Denk an diese Männer und diese Frauen!
Übernimm Verantwortung für diese Welt und für das Leben jedes Menschen! Mach dir bewusst, dass jede Ungerechtigkeit gegenüber einem Armen eine offene Wunde ist und deine eigene Würde mindert! Das Leben endet nicht mit deinem Dasein: Nach unserer Generation werden andere in diese Welt kommen und viele andere nach ihnen. Bitte Gott jeden Tag um die Gabe des Mutes. Denke daran, dass Jesus für uns die Furcht besiegt hat! Er hat die Furcht besiegt! Unsere heimtückischste Feindin vermag nichts gegen den Glauben.
Und wenn dir irgendeine Schwierigkeit im Leben Angst macht, dann denke daran, dass du nicht nur für dich selbst lebst! Bei der Taufe ist dein Leben in das Geheimnis der Dreifaltigkeit eingetaucht worden, und du gehörst Jesus. Und wenn dich eines Tages die Angst packt oder du meinst, dass das Böse zu groß ist, als dass man es herausfordern könnte, denk einfach daran, dass Jesus in dir lebt! Und dass er mit seiner Sanftmut durch dich alle Feinde des Menschen bezwingen will: die Sünde, den Hass, das Verbrechen, die Gewalt.
Hab immer den Mut zur Wahrheit! Aber vergiss nicht: Du bist niemandem überlegen! Vergiss das nicht: Du bist niemandem überlegen! Selbst wenn du der Letzte wärst, der noch an die Wahrheit glaubt: Meide die Gesellschaft der Menschen nicht! Auch wenn du das stille Leben eines Einsiedlers führst: Trage das Leid aller Geschöpfe im Herzen! Du bist Christ und legst im Gebet alles zurück in Gottes Hand.
Wenn du dich geirrt hast, steh wieder auf! Nichts ist menschlicher, als Fehler zu machen. Doch diese Fehler dürfen für dich kein Gefängnis werden. Lass dich nicht in deinen Fehlern einsperren! Der Sohn Gottes ist nicht um der Gesunden, sondern um der Kranken willen gekommen: also auch für dich. Und wenn du in Zukunft wieder Fehler machst, dann hab keine Angst, steh wieder auf! Weißt du, warum? Weil Gott dein Freund ist.
Wenn du bitter wirst, dann glaube fest an alle Menschen, die noch immer für das Gute arbeiten! In ihrer Demut liegt der Same einer neuen Welt. Suche die Gesellschaft von Menschen, die sich ein kindliches Herz bewahrt haben! Lerne vom Wunder, pflege das Staunen!
Lebe, liebe, träume, glaube! Und, mit Gottes Gnade: Verzweifle niemals!
Du bist wichtig
Für Gott bist du wirklich kostbar, du bist nicht unwichtig. Du bist wichtig für ihn, weil du das Werk seiner Hände bist. Deshalb schenkt er dir seine Aufmerksamkeit und denkt voller Liebe an dich. Du musst darauf vertrauen, dass Gott an dich denkt: Sein Gedächtnis ist keine »Festplatte«, auf der alle unsere Daten gespeichert und archiviert werden, sein Gedächtnis ist ein weiches, mitfühlendes Herz, das Freude daran hat, jede Spur, die das Böse in uns hinterlassen hat, endgültig zu löschen. Er will nicht über deine Irrtümer Buch führen, und er wird dir auf jeden Fall helfen, auch aus deinen Fehltritten etwas zu lernen. Weil er dich liebt.
Diese Liebe drängt sich nicht auf und ist nicht erdrückend, sie grenzt nicht aus, bringt nicht zum Schweigen und schweigt auch selbst nicht, sie ist nicht demütigend und sie unterjocht nicht. Es ist die Liebe des Herrn, eine alltägliche, diskrete und respektvolle Liebe, eine freiheitliche Liebe und eine Liebe zur Freiheit, eine Liebe, die heilt und aufrichtet. Es ist die Liebe des Herrn, die mehr über unser Wiederaufstehen weiß als über unser Fallen, mehr über das Versöhnen als über das Verbieten, mehr darüber, neue Chancen zu geben, als über das Verurteilen, mehr über die Zukunft als über die Vergangenheit.
Niemand wird von der Freude ausgeschlossen
Die große Gefahr der heutigen Welt mit ihrem vielfältigen und erdrückenden Konsumangebot ist eine individualistische Traurigkeit, die von einem bequemen und habgierigen Herzen herrührt, von der kranken Suche nach oberflächlichen Vergnügungen, von einem isolierten Gewissen. Wenn das innere Leben nur noch um die eigenen Interessen kreist, ist darin kein Platz mehr für die anderen, werden die Armen nicht mehr hereingelassen, hören wir nicht mehr auf Gottes Stimme, freuen uns nicht mehr an der süßen Freude seiner Liebe und pulsiert in uns nicht mehr die Begeisterung, das Gute zu tun. Auch für die Gläubigen besteht diese unleugbare und permanente Gefahr. Viele erliegen ihr und werden zu nachtragenden, unzufriedenen Menschen, die kein Leben haben. Das ist keine Entscheidung für ein würdiges und erfülltes Leben, das ist nicht das, was Gott sich für uns wünscht, das ist nicht das Leben im Geist, das aus dem Herzen des auferstandenen Christus entspringt.
Ich lade jeden Christen an welchem Ort und in welcher Situation auch immer dazu ein, noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern oder wenigstens den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu lassen und ihn Tag für Tag und ohne Unterlass zu suchen. Es gibt keinen Grund für irgendjemanden, zu denken, diese Einladung wäre nicht auch an ihn gerichtet, denn niemand ist von der Freude ausgeschlossen, die der Herr uns bringt.
Eine große Wette
Wenn ein Jugendlicher zu mir sagt: »Was sind das für schlimme Zeiten, Padre, da kann man nichts machen!«, dann würde ich ihn zum Psychiater schicken! Denn das ist unbegreiflich. Es ist unbegreiflich, wenn ein junger Mensch, ein junger Mann, eine junge Frau, keine Lust hat, etwas Großes zu vollbringen, auf große Ideale zu wetten, groß für die Zukunft. Danach tun sie, was sie können, aber zuerst müssen sie darauf wetten: dass sie große und schöne Dinge tun werden. Ihr seid die Baumeister der Zukunft. Warum? Weil ihr in eurem Innern auf drei Dinge Lust habt.
Erstens: die Lust auf Schönheit. Wenn ihr Musik macht, Theater spielt oder malt – Dinge, die mit der Schönheit zu tun haben –, dann sucht ihr etwas, das euch gefällt: die Schönheit. Ihr seid Schönheitssuchende.
Zweitens: die Lust auf Güte. Ihr seid Propheten des Guten. Euch gefällt die Güte, es gefällt euch, gut zu sein. Und diese Güte ist ansteckend, sie hilft allen anderen.
Und außerdem habt ihr – drittens – einen Durst nach Wahrheit, ihr sucht die Wahrheit. »Aber Padre, ich besitze die Wahrheit!« Da irrst du dich, denn die Wahrheit kann man nicht besitzen, wir tragen sie nicht in uns. Die Wahrheit ist Gott und man kann ihr nur begegnen. Doch um ihr zu begegnen, muss man nach ihr suchen.
Diese drei Dinge, nach denen ihr euch in eurem Herzen sehnt, müsst ihr voranbringen, in die Zukunft, ihr müsst mit dem Schönen, Guten und Wahren die Zukunft bauen. Das ist die Herausforderung, eure Herausforderung. Aber wenn ihr träge seid, wenn ihr traurig seid – ein trauriger junger Mensch ist etwas Schlimmes –, wenn ihr traurig seid … dann wird jenes Schöne nicht schön, jenes Gute nicht gut und jenes Wahre etwas anderes sein …
Denkt gut darüber nach: Wettet auf ein großes Ideal, das Ideal, eine Welt zu schaffen, die aus Güte, Schönheit und Wahrheit besteht.
Auch meine Schwächen haben einen Sinn
Jesus kommt, um unseren Schwächen einen neuen Sinn zu geben. Er erinnert uns daran, dass wir in seinen Augen kostbarer sind, als wir uns vorstellen können. Er sagt uns, dass er froh ist, wenn wir unsere Schwächen mit ihm teilen. Er sagt uns wieder und wieder, dass seine Barmherzigkeit keine Angst vor unserer Armut hat. Und vor allem heilt er uns mit Liebe von jenen Schwächen, die wir allein nicht heilen können.
Welche Schwächen?, fragen wir uns. Dass wir einen Groll gegen jemanden hegen, der uns Böses getan hat – das ist eine Schwäche, die wir nicht aus eigener Kraft heilen können; dass wir zu den anderen auf Distanz gehen und uns in uns selbst verschließen – das ist eine Schwäche, die wir nicht aus eigener Kraft heilen können; dass wir im Selbstmitleid baden und lamentieren, ohne Frieden zu finden – auch das ist eine Schwäche, die wir nicht aus eigener Kraft heilen können. Er ist es, der uns mit seiner Gegenwart heilt, mit seinem Brot, mit der Eucharistie. Die Eucharistie ist ein wirksames Mittel gegen diese Verschlossenheiten. Denn das Brot des Lebens heilt alles Starre und verwandelt es in Flexibilität.2
Die Eucharistie heilt, weil sie mit Jesus vereint: Sie lässt uns seine Art, zu leben, verinnerlichen, seine Fähigkeit, sich zu zerteilen, sich an die Brüder und Schwestern zu verschenken und das Böse mit dem Guten zu beantworten. Sie gibt uns den Mut, aus uns herauszugehen und uns liebevoll zu den Schwächen der anderen hinabzubeugen. So, wie Gott sich zu uns herabbeugt. Das ist die Logik der Eucharistie: Wir empfangen Jesus, der uns liebt und unsere Schwächen heilt, um die anderen zu lieben und ihnen in ihren Schwächen zu helfen. Und das unser ganzes Leben lang.
Dein kostbarer Auftrag
Gebe Gott, dass du erkennst, worin jenes Wort besteht: jene Botschaft Jesu, die Gott der Welt durch dein Leben mitteilen will. Lass dich verwandeln, lass dich vom Geist erneuern, damit dies geschehen kann und dein kostbarer Auftrag nicht verloren geht. Der Herr wird ihn trotz all deiner Fehler und negativen Momente zur Vollendung bringen, solange du nur das Leben der Liebe nicht aufgibst und immer für sein übernatürliches Wirken offenbleibst, das läutert und erleuchtet.
Gott liebt zuerst
Gott überrascht uns. Lassen wir uns von Gott überraschen! Und verfallen wir nicht in eine »Computermentalität«, die uns glauben macht, wir wüssten alles. Was hat es mit diesem oder jenem auf sich? Du musst nur einen Moment warten, dann beantwortet der Computer alle deine Fragen und es gibt keine Überraschung mehr.
In der Herausforderung der Liebe zeigt sich Gott, indem er uns überrascht. Denken wir an den heiligen Matthäus: Er war ein guter Geschäftsmann, ja mehr noch, er verkaufte seine Landsleute, trieb bei den Juden Steuern ein, um sie den Römern zu geben, er hatte jede Menge Geld. Da kommt Jesus vorbei und sagt zu ihm: »Komm!« Die Umstehenden sind überrascht: »Was denn, er ruft den da, diesen Verräter, diesen Halunken?« Doch die Überraschung, geliebt zu werden, behält die Oberhand, und er folgt Jesus nach. Als er sich am Morgen jenes Tages von seiner Frau verabschiedet hatte, hätte er es sich nicht träumen lassen, dass er ohne Geld und in aller Eile heimkommen und ihr sagen würde, sie solle ein Festmahl vorbereiten. Ein Festmahl für den, der ihn zuerst geliebt hatte. Der ihn mit etwas überrascht hatte, das wichtiger war als alles Geld, das er besaß.
Lass dich von Gottes Liebe überraschen! Hab keine Angst vor Überraschungen, die uns erschüttern, die uns in Krisen stürzen, die uns aber auch in Bewegung setzen. Die wahre Liebe drängt dich, dein Leben zu verschenken – auch auf die Gefahr hin, dass du am Ende mit leeren Händen dastehst.
Es gibt Gutes (auch dort, wo wir das Böse sehen)
Jesus erzählt, dass auf einem Feld, wo guter Weizen ausgesät worden ist, auch Giftweizen wächst; dieses Wort steht für alle Arten von Unkraut, die den Boden befallen können (vgl. Mt 13,24–43). Die Knechte gehen daraufhin zum Hausherrn und fragen ihn, woher das Unkraut kommt, und er antwortet ihnen: »Das hat ein Feind getan.« (V. 28) Die Knechte wollen sofort hinlaufen und es ausreißen; doch der Hausherr sagt nein, weil dann die Gefahr bestünde, dass sie zusammen mit dem Unkraut – dem Giftweizen – auch den Weizen ausreißen würden. Man muss die Zeit der Ernte abwarten: Erst dann wird das eine vom anderen getrennt und der Giftweizen verbrannt werden. In dieser Geschichte geht es auch um den gesunden Menschenverstand.
Die Absicht der Knechte ist es, das Böse, das heißt die bösen Menschen, unverzüglich auszurotten, doch der Hausherr ist klüger, er ist weitsichtiger: Sie müssen imstande sein, zu warten, weil es Teil der christlichen Berufung ist, Verfolgungen und Anfeindungen auszuhalten. Gewiss, das Böse darf nicht geduldet werden, doch diejenigen, die das Böse tun, sind Menschen, mit denen wir Geduld haben müssen. Dabei geht es nicht um jene heuchlerische Toleranz, die in Wirklichkeit mangelnde Eindeutigkeit ist, sondern um eine durch Erbarmen gemilderte Gerechtigkeit. Wenn Jesus gekommen ist, um nicht die Gerechten, sondern die Sünder zu suchen, um nicht die Gesunden, sondern die Kranken zu heilen (vgl. Mt 9,12–13), dann müssen auch wir als seine Jünger unser Handeln darauf ausrichten, die Bösen nicht auszurotten, sondern zu retten. Und das erfordert Geduld.
Das Evangelium stellt uns zwei Möglichkeiten vor Augen, zu handeln und in der Geschichte zu wohnen: auf der einen Seite den Blick des Hausherrn, der weit sieht; und auf der anderen Seite den Blick der Knechte, die nur das Problem sehen. Den Knechten geht es um ein Feld ohne Unkraut, dem Hausherrn geht es um den guten Weizen. Der Herr fordert uns auf, uns seinen Blick zu eigen zu machen: den Blick, der auf den guten Weizen sieht und ihn auch zwischen dem Unkraut zu bewahren weiß. Ein guter Mitarbeiter Gottes ist nicht, wer Jagd auf die Grenzen und Fehler der anderen macht, sondern wer das Gute zu erkennen vermag, das still auf dem Acker der Kirche und der Geschichte wächst, und der es hegt, bis es reif ist. Und dann wird Gott – und nur er – es sein, der die Guten belohnt und die Bösen bestraft.
Gott vergibt uns mit einer Liebkosung
Gott vergibt uns nicht per Dekret, sondern mit einer Liebkosung. Jesus geht weiter als das Gesetz und streichelt die Wunden unserer Sünden. Wie viele von uns hätten womöglich ein Urteil verdient! Das wäre nur gerecht. Doch er vergibt! Wie? Mit dieser Barmherzigkeit, die die Sünde nicht einfach löscht: Gottes Vergebung löscht sie, aber die Barmherzigkeit geht weiter.
Das ist wie mit dem Himmel: Wir betrachten den Himmel und seine Sterne, aber wenn am Morgen die Sonne aufgeht, wird es so hell, dass wir die Sterne nicht mehr sehen. So ist Gottes Barmherzigkeit: ein großes Licht der Liebe, der Zärtlichkeit.
Gott vergibt nicht per Dekret, sondern mit einer Liebkosung: Er streichelt unsere Sünderwunden, weil er in die Vergebung, weil er in unser Heil verstrickt ist.
Jesus übernimmt die Rolle des Beichtvaters. Er demütigt die Ehebrecherin nicht, er sagt nicht zu ihr: Was hast du getan, wann hast du es getan, wie hast du es getan und mit wem hast du es getan? Er sagt ihr, sie solle gehen und nicht mehr sündigen. Gottes Barmherzigkeit ist groß, Jesu Barmherzigkeit ist groß: uns mit einer Liebkosung zu vergeben.
Strebe nach Höherem!
Hab keine Angst vor der Heiligkeit. Sie wird dir nichts von deiner Kraft, deinem Leben und deiner Freude wegnehmen, ganz im Gegenteil, denn es wird dir gelingen, das zu werden, was der Vater im Sinn hatte, als er dich schuf, und du wirst deinem Du-selbst-Sein treu sein.
Hab keine Angst, nach Höherem zu streben, dich von Gott lieben und befreien zu lassen! Hab keine Angst, dich vom Heiligen Geist leiten zu lassen! Die Heiligkeit macht dich nicht weniger menschlich, denn sie ist die Begegnung deiner Schwäche mit der Kraft der Gnade. Im Grunde gibt es, wie Léon Bloy gesagt hat, im Leben »nur eine Traurigkeit: nicht heilig zu sein«.
Wenn du willst, kannst du mich heilen!
Wann ist ein Glaube groß? Groß ist ein Glaube, wenn er dem Herrn seine eigene, auch von Wunden gezeichnete Geschichte zu Füßen legt und ihn bittet, sie zu heilen, ihr einen Sinn zu geben. Jeder von uns hat seine eigene Geschichte, und diese Geschichte ist nicht immer makellos; oft ist es eine schwierige Geschichte mit vielen Schmerzen, vielen Problemen und vielen Sünden. Was mache ich, ich, mit meiner Geschichte? Sie verstecken? Nein! Wir müssen sie vor den Herrn bringen: »Herr, wenn du willst, kannst du mich heilen!«
Unruhe ist ein Samenkorn
Wenn ich die Unruhe eines jungen Mannes oder einer jungen Frau spüre, dann wird mir bewusst, dass ich verpflichtet bin, diesen jungen Menschen zu dienen, ihrer Unruhe einen Dienst zu erweisen, denn sie ist wie ein Samenkorn, das keimen und Frucht bringen wird. Und ich habe in diesem Augenblick das Gefühl, dem Kostbarsten einen Dienst zu erweisen: eurer Unruhe.
Gott hat Geduld mit dir