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»Kirche« bedeutet für Papst Franziskus, gemeinsam als Volk Gottes in der Geschichte unterwegs zu sein. Wohin die Reise geht und wie dieses gemeinsame Wandern aussehen soll, macht dieses Buch deutlich. Es versammelt die wichtigsten Texte und Aussagen zur Synodalität seit Beginn des Pontifikates und zeigt eine dynamische Vision von Kirche, die in die Zukunft weist. Denn für Franziskus ist »Synodalität« der Weg, den Gott von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet – und indem wir ihn gemeinsam gehen, sind wir alle Teil dieses Weges.
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Seitenzahl: 310
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Papst Franziskus
Gemeinsam gehen
Die wichtigsten Texte zur Zukunft der Kirche
Italienische Übersetzungen von Katja Issing
Titel der Originalausgabe: Camminare Insieme.
Parole e riflessioni sulla sinodalità
© Dicastero per la Cominicazione – Libreria Editrice Vaticana 2022
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Die Bibelverse wurden, soweit nicht anders angegeben,
folgender Ausgabe entnommen:
Die Bibel. Die Heilige Schrift
des Alten und des Neuen Bundes.
Vollständige deutsche Ausgabe
© Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2005
Mitarbeit bei der Zusammenstellung der über www.vatican.va
zugänglichen Texte von Ekaterina Merten
Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand, Schwäbisch Hall
Umschlagmotiv: © Stefano Spaziani
E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau
ISBN Print 978-3-451-39624-3
ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83969-6
ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83964-1
Vorwort
Einführung
Die Synodalität im Sinne von Papst Franziskus: ein Ruf Gottes, ein offener Weg, eine Lehre in Bewegung
Der Papst der Synodalität
Die Herausforderung, Synodalität in die Praxis umzusetzen
Die Kernpunkte, die der Auffassung von Papst Franziskus zur Synodalität zugrunde liegen
1. In Harmonie mit dem Primat, geeint in den Unterschieden
2. Gemeinsam gehen
3. Mit dem Blick eines Schülers
Besondere Merkmale von Aparecida
Anfang ohne Dokument
Umfeld des Gebetes mit dem Volk Gottes
Ein Dokument, das mit dem Engagement der Kontinentalmission in der Zeit weiterwirkt
Die Gegenwart von Maria, der Mutter Amerikas
Dimensionen der Kontinentalmission
Innere Erneuerung der Kirche
Dialog mit der Welt von heute
Einige Versuchungen gegen den Auftrag als Jünger und Missionar
Einige ekklesiologische Kriterien
4. Der Bischof, Hüter der Gabe der Harmonie in der Vielfalt
5. Austausch von Gaben für die Wahrheit und das Gute
6. Eine Institution, die Dialog zwischen Petrus und seinen Mitbrüdern stiftet
7. Die Gabe des Zuhörens und die Bereitschaft zur aufrichtigen Auseinandersetzung
8. Die Methode der Synode
9. Mit Parrhesia sprechen, mit Demut zuhören
10. Die Synode: Sammelpunkt einer Dynamik des Zuhörens und der Gemeinschaft
11. Die Bedeutung der Familiensynode
12. Neue Zukunftshorizonte
Das mögliche Thema der nächsten Synode
13. Auf das Volk Gottes blicken
14. Auf dieser Synode tönt es laut: »Wir Jugendlichen sind hier!«
15. Um die Wahrheit in unserem Leben erstrahlen zu lassen
16. Eine Aufgabe, die das ganze Volk Gottes mit einbezieht und betrifft
Wenn ein Glied leidet
Leiden alle Glieder mit
17. Ein bevorzugtes Instrument, um auf das Volk Gottes zu hören
18. Die kirchliche Akt der Unterscheidung
19. Ein Weg des Miteinanders und der Zusammenarbeit
20. Jugendpastoral ist immer synodal Natur
Eine synodale Pastoral
21. Was der Herr von uns verlangt, ist schon im Wort »Synode« enthalten
Synodalität und Kollegialität
22. Ein Weg unter der Führung des Heiligen Geistes
23. Eine Synode »sein«, nicht eine Synode »haben«
24. Die ökumenische Seite der Synodalität
25. Der Empfang einer Gabe, um selbst Gabe zu sein
26. Die vier Dimensionen der Amazonassynode
27. Eine Kirche mit offenen Türen
28. Eine Synode zur Synodalität
29. Eine Theologie mit dem Atem des Evangeliums
30. Der synodale Prozess ist langfristig angelegt
Die Synode ist mehr als ein »Parlament«
»Die Synode ist noch nicht beendet«
31. Eine Begegnungskultur für eine Kirche, deren fester Bestandteil auch das Amazonas-Gebiet ist
Unverzichtbare Verkündigung in Amazonien
Inkulturation
Wege der Inkulturation in Amazonien
Soziale und geistliche Inkulturation
Ansatzpunkte für eine Heiligkeit amazonischer Prägung
Die Inkulturation der Liturgie
Die Inkulturation der Dienste und Ämter
Gemeinschaften voller Leben
Die Kraft und die Gabe der Frauen
Horizonte jenseits der Konflikte erweitern
Ökumenisches und interreligiöses Zusammenleben
32. Die Sendung besteht darin, an Jesus zu erinnern
33. Alle zusammen sind wir Kirche
34. Drei Schlüsselwörter: Gemeinschaft, Beteiligung, Sendung
35. Die Synode: der Weg der geistlichen und kirchlichen Unterscheidung
Es ist mir eine große Freude, die vorliegende Beitragssammlung von Papst Franziskus, die vom Generalsekretariat der Synode herausgegeben wird, vorstellen zu dürfen. Dankenswerterweise lässt das Synodensekretariat die Äußerungen des Papstes über die eng miteinander verwobenen Themen ›Synode‹ und ›Synodalität‹ noch einmal Revue passieren und knüpft dadurch sozusagen einen »roten Faden«, der es uns ermöglicht – nach nun fast zehnjährigem Pontifikat –, die Akzentuierungen und Entwicklungen, die diese Themen bislang erfahren haben, zu rekonstruieren.
Nach meinem Dafürhalten handelt es sich hier um eine Textsammlung, die hilfreich für viele sein kann: hilfreich für Gläubige, die insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen synodalen Prozesses 2021 bis 2023 genauer verstehen möchten, was Papst Franziskus mit »synodaler Kirche« meint, wenn man bedenkt, dass es sein Lehramt war, das die Synodalität zu einem ganz neuen und unbestrittenen Schwerpunkt des aktuellen Wegs der Kirche gemacht hat; hilfreich sind die Texte aber auch für Fachleute, die den vielfältigen theologischen Implikationen der Synodalität auf verschiedene Weise nachgehen möchten und hier die wichtigsten Beiträge von Papst Franziskus gesammelt vorfinden.
Ich habe nicht den Anspruch, die reiche Lehre des Heiligen Vaters über Synodalität ausführlich zusammenzufassen, sondern möchte im Folgenden lediglich auf drei einfache Themenschwerpunkte hinweisen, von denen ich mir wünsche, dass sie der Leserschaft zum Nutzen gereichen werden.
Der erste Schwerpunkt hängt mit dem Thema ›Unterscheidung‹ zusammen. Hierbei handelt es sich um einen außergewöhnlich häufig verwendeten Begriff im Lehramt des Papstes. Die Unterscheidung markiert den grundlegenden Unterschied zwischen Synodalität und Parlamentarismus: Synodalität heißt nicht, einen Kompromiss zwischen gegensätzlichen Standpunkten zu finden, wie es in Parlamentssälen Usus ist – ein für sich genommen legitimes Verfahren; Synodalität bedeutet vielmehr, gemeinsam auf den Heiligen Geist zu hören, um einen inneren Konsens darüber zu erlangen, was der Geist hier und jetzt als den Willen Gottes für seine Kirche aufzeigt. Papst Franziskus beharrt so nachdrücklich auf dem Zuhören und auf der Gelehrigkeit gegenüber dem Geist, dass hier gewissermaßen die zentralen Merkmale seiner Auffassung von Synodalität deutlich werden: Nur eine Kirche, die die Kunst der Unterscheidung beherrscht – individuell und gemeinschaftlich –, ist eine Kirche, die sich nicht darauf beschränkt, eine Synode zu »haben« oder zu »machen«, sondern die lernt, eine Synode zu »sein«.
Der zweite Schwerpunkt hat mit dem Dienst der Hirten zu tun. Eine synodale Kirche ist eine Kirche, die die tragende Rolle aller Getauften – in der Theologie wie in der Seelsorge – wiederentdeckt, weil alle Gläubigen die Salbung mit dem Geist empfangen haben, der das Volk Gottes im Glauben unfehlbar macht. Dies führt unweigerlich zu einer grundlegenden Neuorientierung im Hinblick auf unsere Vorstellung vom Priesteramt und dessen Ausübung. Die Autorität, die aus dem Weihesakrament erwächst, ist nichts anderes als eine Befähigung, zu dienen: im Dienste aller Getauften, damit diese ihre Gaben und Charismen für das Wachstum der Kirche einsetzen und so zum Kommen des Reiches Gottes beitragen können. Diese Autorität wird ohne Unterlass ausgeübt, sagt Papst Franziskus, innerhalb des Volkes Gottes und für das Volk Gottes, weshalb es notwendig ist, dass wir eine klerikalistische Auffassung, die Zäune zwischen Hirten und Gläubigen errichtet, hinter uns lassen, da sie die Gläubigen zur Untertänigkeit verdammt. Es wäre eine außerordentliche Gnade, wenn aus dem laufenden synodalen Prozess ein neues Verständnis des Priesteramtes hervorginge und sich Wege eröffneten, damit die Hirten von heute und von morgen sich besser auf die »Funkwellen« des Volkes Gottes einzustellen lernen, zu dem sie selbst kraft der Taufe gehören.
Den dritten Schwerpunkt könnte man als schrittweise Entwicklung bezeichnen. Es stimmt, dass ›Synodalität‹ erst nach und nach im Lehramt des Papstes aufgekommen ist. In dem für sein Pontifikat richtungsweisenden Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium wird sie noch nicht explizit thematisiert, gleichwohl sind dort alle Grundlagen skizziert. Hin und wieder taucht sie dann in seinen Reden auf, meist im Kontext von Versammlungen der Bischofssynode, und erhält schließlich im Jahr 2015, anlässlich der Rede zum 50-jährigen Bestehen der Synode, die erste wichtige Ausarbeitung. Im weiteren Verlauf gewinnt sie an Nuancierung und dringt gleichzeitig immer mehr in das kirchliche Bewusstsein ein. War der Heilige Vater im Jahr 2016 in einem Interview mit der Zeitung La Croix noch der Ansicht gewesen, dass die Zeit noch nicht reif für eine Synode zur Synodalität wäre, so gab er drei Jahre später beim Abschluss der Sonderversammlung für das Amazonasgebiet bekannt, dass Synodalität das meistgewählte Thema für die nächste Synode sei, bis er schließlich selbst, im Jahr 2020, die lang erwartete Synode zur Synodalität einberief.
Seitdem ist, wie allgemein bekannt, ein komplexer Prozess im Gange, in dem wir noch immer eingebunden sind und dessen Entwicklungen wir nicht im Detail vorhersehen können. Ich wünsche, dass sich die vorliegende Publikation als hilfreiche Begleitung auf dem aktuellen Weg erweisen wird, auf dem wir alle – vom Papst bis zum Letzten unter den Getauften – aufgerufen sind, dem Heiligen Geist zuzuhören, um zu vernehmen, was er »den Gemeinden sagt« (Offb 2,7).
Kardinal Mario Grech
Generalsekretär der Synode
Dieses Buch ist eine Art Kompendium der Betrachtungen von Papst Franziskus über die Synodalität. Es enthält alle seine grundlegenden Texte und Äußerungen zur Synodalität seit Beginn seines Pontifikats. Diese Dokumente unterschiedlichen Stils umfassen Briefe und Reden, die teilweise an alle gerichtet sind, teilweise an Ortskirchen (Deutschland, Chile …) oder an besondere Gruppen (Bischöfe, Theologen …), sowie Auszüge aus Dokumenten seines Lehramts (Enzykliken, Verfassungen …). Der vorliegende Band beinhaltet auch die Reden des Papstes auf den verschiedenen Bischofssynoden (Familiensynoden von 2014 und 2015, Jugendsynode von 2018, Amazonassynode 2019 und die aktuelle Synode zur Synodalität) und enthält Auszüge aus nachsynodalen Apostolischen Schreiben (Christus vivit, Querida Amazonia), Predigten und während verschiedener Treffen geäußerte Worte, General- und Privataudienzen, Interviews … Dieser umfangreiche Korpus lässt uns in die reiche Lehre von Papst Franziskus über die Synodalität eintauchen, die er zu einem Grundpfeiler seines Pontifikats gemacht hat, und das seit seiner Wahl, als er mit seiner unmittelbar zu den Menschen auf dem Petersplatz in eine Beziehung tretenden Art auf der Loggia erschienen ist. Dadurch, dass diese Texte in chronologischer Reihenfolge und nicht nach Themen angeordnet sind, können wir erfassen, wie sich die harmonische Ausgewogenheit der Synodalität mit der Zeit und im Kontext verschiedener Ereignisse entfaltet, besonders bei Bischofssynoden sowie bei zahlreichen Treffen, Audienzen und Reisen, die das Leben des Papstes prägen.
Die aufmerksame Lektüre aller dieser Passagen zur Synodalität, die in diesem Buch auf beachtenswerte Weise zusammengefasst sind, lässt uns wahrnehmen, dass die Lehre von Papst Franziskus eine Lehre in Bewegung ist, die sich mit der Zeit entfaltet und durch weitere synodale Erfahrungen vertieft wird. Gemäß der Auffassung von Synodalität, die eine dynamische Sicht der Kirche als Volk Gottes auf dem Weg durch die Geschichte ist, ist die Lehre des Papstes eine offene Lehre, verankert in der Realität und in der Erfahrung, eine dynamische und niemals abgeschlossene Lehre, weil sie eine Lehre der Unterscheidung ist, eine Fleisch gewordene Lehre, die der Realität Rechnung trägt. Die vier grundlegenden Prinzipien, die den Ausgangspunkt für die Synodalität bilden, wie Papst Franziskus sie in Evangelii gaudium formuliert hat, lauten:
»Die Zeit ist mehr wert als der Raum.«»Die Einheit wiegt mehr als der Konflikt.«»Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee.«»Das Ganze ist dem Teil übergeordnet.«1Dass Papst Franziskus die Synodalität in seinen Reden und offiziellen Schreiben immer wieder aufnimmt, spiegelt die Bedeutung der synodalen Dynamik für den argentinischen Papst wider. Will man den grundlegenden Stellenwert der Synodalität für die Kirche, ihren Ursprung und ihre Auswirkungen auf das tägliche Leben der Kirche von heute betonen, so könnte man Papst Franziskus als den Papst der Synodalität beschreiben. Für ihn ist Synodalität vor allem ein Ruf Gottes, sie ist die Berufung der Kirche des dritten Jahrtausends, weil sie als der Weg erkannt wurde, um den Glauben in die heutige Welt zu bringen. Dies verdeutlicht der Papst in seiner Rede zum 50-jährigen Bestehen der Bischofssynode vom 17. Oktober 2015, die als einer der Schlüsseltexte seines Pontifikats angesehen werden kann: »Die Welt, in der wir leben und die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu lieben und ihr zu dienen wir berufen sind, verlangt von der Kirche eine Steigerung ihres Zusammenwirkens in allen Bereichen ihrer Sendung. Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet.«2 Synodalität kann demnach als ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis seines Pontifikats gesehen werden, das die Kirche auf eine neue Wegstrecke in der Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils führt. Papst Franziskus ist davon überzeugt, dass die Kirche von Grund auf ein Volk in Bewegung ist, sie ist das Volk Gottes, das sich vom Heiligen Geist leiten lässt und einen Weg beschreiten muss, der zur »Synodalisierung« aller kirchlichen Bereiche führen muss. Kurz gesagt will Papst Franziskus uns nahebringen, dass es nicht nur darum geht, eine Synode zu »machen« – wie wir es im Moment tun –, sondern »eine Synode zu werden«. In der synodalen Kirche, also in einer Kirche des Zuhörens und des Dialogs, in einer Kirche des Miteinanders und der Miteinbeziehung der Brüder und Schwestern in Christus, sind alle Getauften dazu aufgerufen, eine Hauptrolle zu übernehmen, sich aktiv an der Sendung zu beteiligen, missionarische Jünger zu sein, die das Evangelium in der Welt von heute verkünden, also eine persönliche Begegnung mit Christus aufzeigen und Brüderlichkeit unter den Menschen schaffen.
»Synodalität ist die dynamische und historische Ausprägung der kirchlichen Gemeinschaft, die auf der dreifaltigen Gemeinschaft gegründet ist und die – mit derselben Wertschätzung für den sensus fidei des gesamten heiligen und gottestreuen Volkes wie für die apostolische Kollegialität und die Einheit mit dem Nachfolger Petri – die Umkehr und Reform der Kirche auf allen Ebenen beleben muss.«3 Wie in diesem Zitat deutlich wird, ist Synodalität – die Umsetzung der Kirche in der Geschichte als Gemeinschaft-in-der-Sendung – ein Weg der Umkehr, sowohl persönlich als auch gemeinschaftlich. Wir sind im Begriff, Synodalität neu zu lernen, also kann die Lehre, die im Werden ist und der Synodalität Form verleiht, nichts anderes als eine Lehre in Bewegung sein, ein Zeichen christlicher Identität, die als dynamische Identität zu verstehen ist. Es ist eine pilgernde Lehre, die immer wieder herausgefordert und hinterfragt wird, eine Lehre des Lernens, die sich durch die Erfahrung von Synodalität weiterentwickelt.
Die vorliegenden Texte ergeben also gewissermaßen ein kleines Handbuch der Synodalität oder, noch besser gesagt, einen praktischen Leitfaden zur Umsetzung von Synodalität. Vor uns liegt keine bis ins Letzte ausgefeilte theologische Abhandlung, sondern eine Sammlung von »Straßenkarten«, die uns bei der Orientierung entlang der Pfade der Synodalität, die nicht alle von vornherein angelegt sind, weiterhelfen. Die ursprüngliche Überzeugung von Papst Franziskus, die in seinen ersten offiziellen Reden zum Ausdruck kommt, lautet: »Wir müssen auf diesem Weg der Synodalität gehen, wir müssen wachsen im Einklang mit dem Dienst des Primats.«4 Hierfür »muss man gemeinsam gehen: die Menschen, die Bischöfe und der Papst«5. Die heutige Kirche lernt Synodalität also neu, es ist eine Lehrzeit durch Erfahrung. Hierbei reicht eine theoretische Vorstellung von der Synodalität nicht aus; die Herausforderung besteht darin, sie in die Praxis umzusetzen: »Was der Herr von uns verlangt, ist in gewisser Weise schon im Wort ›Synode‹ enthalten. Gemeinsam voranzugehen – Laien, Hirten und der Bischof von Rom –, ist ein Konzept, das sich leicht in Worte fassen lässt, aber nicht so leicht umzusetzen ist.«6 Wie man den Texten und Reden zu den Bischofssynoden entnehmen kann, sind diese Versammlungen während des aktuellen Pontifikats zu wahren Schulen der Synodalität geworden, hier wird Synodalität durch Erfahrung gelernt; diese Art des Lernens macht Papst Franziskus zum Herzstück seiner Lehre von Synodalität, indem er immer wieder auf die notwendigen geistlichen Haltungen hinweist, Synodalität zu leben: der Glaube und das Vertrauen auf Gott, Demut im Zuhören und der Mut, zu sprechen, das Gebet, der Dialog und das Teilen, Vertrauen in andere und innere Freiheit.
Auf diesem Weg der Synodalität, den Papst Franziskus uns hier aufzeigt, können wir die Kernpunkte seiner Auffassung von einer synodalen Kirche erkennen, die dem Zweiten Vatikanischen Konzil entstammen und gleichzeitig tief in der frühen Kirche verwurzelt sind.
Der erste Kernpunkt ist das Bild der Kirche als Volk Gottes auf dem Weg. Synodalität ist »gemeinsames Gehen« – ein Bild, das uns einlädt, die Kirche als ein Volk missionarischer Pilger zu betrachten und zu leben. Durch Synodalität tritt die Kirche »als Gottesvolk auf dem Weg und als vom auferstandenen Herrn einberufene Versammlung in Erscheinung und […] gestaltet [sich]«.7 Das aktuelle Pontifikat läutet eine neue Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils ein, indem es dem zweiten Kapitel von Lumen gentium eine zentrale Bedeutung verleiht. »Kirche sein bedeutet Volk Gottes sein« (Evangelii Gaudium, 114), erinnert uns Papst Franziskus. An dieser Stelle soll näher beleuchtet werden, was »Kirche sein« bedeutet: Der Begriff ›Volk Gottes‹ vermittelt uns, dass die Kirche ein Ganzes ist (vgl. Evangelii Gaudium, 17), das in einer »vielgestaltigen Harmonie« (Evangelii Gaudium, 220) lebt. Alle ihre Mitglieder, die Christi fideles, Frauen wie Männer, sind durch den Geist befähigte Rechts- und Handlungssubjekte. Durch die fruchtbringende Auffassung der Kirche als Volk Gottes wird die allen gleichermaßen zukommende Beteiligung und Mitverantwortung herausgestellt, alle Gläubigen sind ihren Gaben, Ämtern und Charismen entsprechend auf unterschiedliche Weise mitverantwortlich.
Der zweite Kernpunkt ist die Theologie der Taufe als Grundlage der missionarischen Mitverantwortung. Dank der Taufe sind wir alle Priester, Propheten und Könige. Durch die Synodalität können wir das Primat der in der Taufe empfangenen Berufung als Ruf zur Heiligkeit und das Primat des gemeinsamen Priestertums als Ruf zur Mitverantwortung wiederentdecken und in die Praxis umsetzen. Die Herausforderung liegt darin, den Dialog und die Interaktion im Volk Gottes – vor allem zwischen Priestern und Laien – zu fördern.
Drittens muss der sensus fidei fidelium berücksichtigt werden – wie in Lumen gentium, § 12, beschrieben –, also der »Glaubenssinn« des gesamten Volkes Gottes, der von Papst Franziskus »Spürsinn« der Gläubigen genannt wird.8 Diese Bezeichnung spiegelt die Tatsache wider, dass es die Kirche Gottes in ihrer Gesamtheit ist, der der Glaube enthüllt wird; sie ist die Hüterin des Glaubens. In diesem Fall liegt die Herausforderung darin, auf den sensus fidei zu hören, der nicht im Glauben irren kann.9 Dieser Aspekt, der im Zweiten Vatikanischen Konzil wiederentdeckt wurde, ist die Grundlage der synodalen Dynamik der Unterscheidung, die die Rücksprache mit allen Gläubigen vorsieht. Der Glaubenssinn aller Gläubigen (also der sensus fidelium) ist ein wesentlicher Bestandteil der Lehrautorität der Kirche (also des Lehramtes) wie auch der Hierarchie. Synodalität ist ein Mittel, um die Autorität des sensus fidei zusätzlich zur Autorität des hierarchischen Lehramts und des Lehramts der Theologen wiederherzustellen. Das Primat des Nachfolgers Petri und die Kollegialität der Bischöfe sollen also innerhalb der Synodalität des gesamten Volkes Gottes gelebt werden.
Dies führt uns zum vierten Kernpunkt – dem vielleicht zentralsten, um die Auffassung von Papst Franziskus zur Synodalität zu begreifen –, nämlich zum Handeln des Heiligen Geistes. Der synodale Prozess ist ein spiritueller Prozess. Eine synodale Kirche ist eine Kirche, die auf den Heiligen Geist hört, indem sie auf das Wort Gottes und aufeinander hört. »Das Handeln des Heiligen Geistes in der Gemeinschaft des Leibes Christi und im missionarischen Weg des Volkes Gottes ist der Beginn der Synodalität«10, und Papst Franziskus betont in seinen Reden immer wieder, dass Synodalität kein Parlament ist, sondern ein Prozess der Unterscheidung, der voraussetzt, dass wir das Handeln des Heiligen Geistes in uns selbst und in der Gemeinschaft intensiv vernehmen. Der Unterscheidungsprozess beruht auf dem Glaubensakt, den der Geist in allen Getauften bewirkt, unabhängig von ihrer Berufung, ihres Alters, der persönlichen Verfassung oder Verantwortung.
Der fünfte Kernpunkt der Synodalität nach Papst Franziskus besteht darin, die Verschiedenheit der Charismen anzuerkennen und zu berücksichtigen. Synodalität, also das Prinzip der Beteiligung aller am Leben der Kirche, spiegelt die Tatsache wider, dass alle Getauften zur aktiven Beteiligung aufgerufen sind, zur Übernahme einer Hauptrolle in der Sendung der Kirche, weil der Heilige Geist allen Mitgliedern des Volkes Gottes unterschiedliche Charismen verleiht und jedes Charisma eine besondere Gabe ist, die zum Wohle aller empfangen wurde. Gemäß dieser Auffassung von Synodalität sind die beiden Seiten der Kirche – die hierarchische und die charismatische – wesensgleich. Immer wieder unterstreicht Papst Franziskus die Bedeutung der Beteiligung aller, insbesondere die Rolle der Jugendlichen und der Frauen, den Stellenwert des geweihten Lebens und der kirchlichen Bewegungen, das Engagement der verschiedenen Gruppen und Organisationen der Kirche, die aus dieser Verschiedenheit der Charismen erwachsen. In Christus vivit etwa präzisiert er die Jugendpastoral: »Die Jugendpastoral kann nur synodal sein, das heißt, einem ›gemeinsamen Vorangehen‹ Gestalt geben. Dies beinhaltet eine Wertschätzung der Charismen, die der Heilige Geist je nach Berufung und Rolle eines jeden Glieds [der Kirche] durch die Dynamik der Mitverantwortung schenkt. […] Von diesem Geist beseelt, können wir uns zu einer partizipativen, mitverantwortlichen Kirche entwickeln, die in der Lage ist, den Reichtum der Vielfalt, aus der sie besteht, zur Geltung zu bringen und dabei auch den Beitrag von Laien, einschließlich junger Menschen und Frauen, von Personen des geweihten Lebens sowie von Gruppen, Verbänden und Bewegungen dankbar willkommen zu heißen. Niemand sollte ins Abseits gedrängt werden oder beiseite treten müssen.«11
Abschließend folgt der sechste und letzte Kernpunkt, der anhand der vorliegenden Texte das Fundament für die Auffassung von Papst Franziskus zur Synodalität genannt werden kann. Er besteht in einer relationalen Anthropologie, die die Idee einer relationalen – also einer beziehungsorientierten – Kirche beinhaltet. Im Laufe seines Pontifikats hat Papst Franziskus immer wieder dazu aufgerufen, eine »Kultur der Begegnung« zu schaffen. An seiner Art, das Papstamt auszuüben, erkennen wir, wie sehr er die Begegnung in den Mittelpunkt stellt und die menschliche Brüderlichkeit als Dreh- und Angelpunkt der Sendung der Kirche entwickelt. So enthalten die Enzykliken Laudato si’ und Fratelli tutti, die gewissermaßen als »GPS« für die Synodalität fungieren, das synodale Kernstück, nämlich einen beziehungsorientierten Blick auf die Welt und auf die Kirche: »Alles ist miteinander verbunden.« Im Laufe dieser Texte, die auf verschiedene Anlässe zurückgehen, entfaltet sich der Ruf zur Synodalität, also der Aufruf, immer mehr zu einer beziehungsorientierten Kirche zu werden, die in Brüderlichkeit und Freundschaft im Herrn lebt, zu einer Kirche aus Brüdern und Schwestern in Christus zu werden, die sich einer neuen Art der Kommunikation und der Beziehungsgestaltung in der Kirche öffnet, um dem Zusammenleben in unserem gemeinsamen Haus zu dienen. So lässt uns Synodalität das Primat des kirchlichen »Wir« zum Dienste des Gemeinwohls wiederentdecken und wiedereingliedern – das heißt unsere Berufung, ein »Wir« zu bilden, weil wir uns gegenseitig gehören und voneinander abhängig sind. Schlüsselbegriffe der relationalen Anthropologie, auf der die synodale Ekklesiologie basiert, sind Reziprozität und Zirkularität.
Über die Begriffe und die in diesem Buch entwickelten Inhalte hinaus ist es interessant zu beobachten, wie unterschiedlich die kirchlichen Gruppen und Akteure sind, an die sich Papst Franziskus in den vorliegenden Texten zur Synodalität, meist in Form eines Gesprächs, wendet. Man spürt, dass er sich aufmerksam mit den Unterschieden der lokalen Kirchen und der kirchlichen Akteure befasst, denen er seine Auffassung von Synodalität näherbringt; gleichzeitig versäumt er nicht zu betonen, dass seine Gesprächspartner die Samen der Synodalität schon in sich tragen. Letztendlich fordert uns Papst Franziskus mit dem »lebendigen Lehramt« über die Synodalität in dieser Phase seines Pontifikats dazu auf – wie in diesem Buch deutlich wird –, den Weg der Synodalität weiter zu beschreiten. Damit ist ein kreativer und dynamischer Weg gemeint, ein offener Prozess, ein »Gemeinsamgehen« im Hauch des Heiligen Geistes und im Atem des Zweiten Vatikanischen Konzils. In diesem Sinne lade ich dazu ein, die Lektüre dieses Buches auf die gleiche Weise zu beginnen, wie man eine Pilgerreise antritt: mit Güte und Großmut im Herzen, mit Demut und der Bereitschaft, das Licht und die Gnaden zu empfangen, die der Herr uns schenken will. Papst Franziskus hat uns dazu aufgerufen, die Synode wie eine »Zeit der Gnade«12 und einen Weg der Umkehr zu leben. Möge uns die Lektüre der nachfolgenden Texte helfen, Zugang zur spirituellen Erfahrung der Synodalität zu finden, die in der Erfahrung des dreifaltigen Geheimnisses und des Geheimnisses der Kirche besteht.
Schwester Nathalie Becquart
Untersekretärin der Synode
1 Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 217–237.
2 Papst Franziskus, Rede zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode vom 17. Oktober 2015. Online: papa-francesco_20151017_50-anniversario-sinodo.html (Stand: 02.05.2023).
3 Papst Franziskus, Videobotschaft anlässlich der Vollversammlung der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika (26. Mai 2022). Vgl. Online: https://www.vatican.va/content/francesco/it/messages/pont-messages/2022/documents/20220526-videomessaggio-plenaria-pcal.html (Stand: 02.05.2023)
4 Papst Franziskus, Predigt in der Heiligen Messe mit Übergabe der Pallien an die neuen Metropolitan-Erzbischöfe (29. Juni 2013). Online: papa-francesco_20130629_omelia-pallio.html (Stand: 02.05.2023).
5 Papst Franziskus, Interview mit Pater Antonio Spadaro SJ, aus L’Osservatore Romano, Tagesausgabe, 153. Jahrgang, Nr. 216, Samstag, 21.09.2013; https://www.vatican.va/content/francesco/it/speeches/2013/september/documents/papa-francesco_20130921_intervista-spadaro.html (Stand: 02.05.2023).
6 Papst Franziskus, Rede zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode (17. Oktober 2015). Online: https://www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2015/october/documents/papa-francesco_20151017_50-anniversario-sinodo.html (Stand: 02.05.2023).
7 Internationale Theologische Kommission, Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche (2. März 2018), 42. Vgl. Online: https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/cti_documents/rc_cti_20180302_sinodalita_ge.html#_Toc58504641 (Stand: 02.05.2023).
8 »[D]as Volk [hat] ›Spürsinn‹ […]! Spürsinn dafür, neue Wege zu finden – ›sensus fidei‹, wie es die Theologen nennen. Was kann es Schöneres geben? Und zur Synode muss auch das gehören, was der Heilige Geist den Laien, dem Gottesvolk, eben allen, sagt.« Papst Franziskus, Begegnung mit Vertretern des Klerus, Personen des geweihten Lebens und Mitgliedern der Pastoralräte während seines Pastoralbesuchs in Assisi (4. Oktober 2013). Online: https://www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2013/october/documents/papa-francesco_20131004_clero-assisi.html (Stand: 02.05.2023).
9 Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 12.
10 Internationale Theologische Kommission, Synodalität in Leben und Sendung der Kirche (2. März 2018), 46. Vgl. Online: https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/cti_documents/rc_cti_20180302_sinodalita_ge.html#_Toc58504641 (Stand: 02.05.2023).
11 Papst Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christus vivit (25 März 2019), 206. Online: https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20190325_christus-vivit.html (Stand: 02.05.2023).
12 Papst Franziskus, Ansprache des Heiligen Vaters zur Eröffnung der Synode (9. Oktober 2021). Online: https://www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2021/october/documents/20211009-apertura-camminosinodale.html (Stand: 02.05.2023).
In der Einheit stärken. Hier möchte ich auf die Geste eingehen, die wir vollzogen haben. Das Pallium ist Zeichen der Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri, der »ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft« ist.2 Und eure Anwesenheit heute, liebe Mitbrüder, ist Zeichen dafür, dass die Einheit der Kirche nicht Einförmigkeit bedeutet. Das Zweite Vatikanum sagt in Bezug auf die hierarchische Verfassung der Kirche: »Diese Apostel setzte er [der Herr] nach Art eines Kollegiums oder eines festen Kreises ein, an dessen Spitze er den aus ihrer Mitte erwählten Petrus stellte«.3 In der Einheit stärken: die Synode der Bischöfe im Einklang mit dem Primat. Wir müssen auf diesem Weg der Synodalität gehen, wir müssen wachsen im Einklang mit dem Dienst des Primats. Und das Konzil fährt fort: »Insofern dieses Kollegium aus vielen zusammengesetzt ist, stellt es die Vielfalt und Universalität des Gottesvolkes dar«.4 In der Kirche vereinigt sich die Vielfalt, die ein großer Reichtum ist, immer im Einklang der Einheit, wie in einem großen Mosaik, bei dem alle Steinchen dazu beitragen, das eine große Bild Gottes zu bilden. Und dies muss dazu drängen, stets jeden Konflikt zu überwinden, der den Leib der Kirche verletzt. Eins in der Verschiedenheit: Es gibt keinen anderen katholischen Weg, dass wir eins werden. Das ist der Weg Jesu! Wenn das Pallium Zeichen der Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom und mit der universalen Kirche, mit der Synode der Bischöfe ist, dann ist es auch ein Auftrag an jeden von euch, Werkzeug der Einheit zu sein.
1 Auszug aus: Papst Franziskus, Homilie zur Heiligen Messe mit Übergabe der Pallien an die neuen Metropolitan-Erzbischöfe, Petersdom, 29. Juni 2013. Online: https://www.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130629_omelia-pallio.html (Stand: 02.05.2023).
2 Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 18.
3 Ebd., 19.
4 Ebd., 22.
In einem Gespräch mit dem Papst erinnere ich an eine seiner Äußerungen zur Synodalität, die er am vergangenen 29. Juni während der Segnungsfeier und Verleihung des Palliums an 34 Metropolitan-Erzbischöfe getroffen hatte: »Der Weg der Synodalität« ist der Weg, der die vereinte Kirche leitet, »in Harmonie mit dem Dienst des Primats zu wachsen«. Hierzu habe ich folgende Frage: »Wie kann man das petrinische Primat und die Synodalität harmonisch miteinander vereinbaren? Welche Wege sind begehbar, auch in ökumenischer Hinsicht?«
Man muss gemeinsam gehen: die Menschen, die Bischöfe und der Papst. Synodalität muss auf verschiedenen Ebenen gelebt werden. Vielleicht ist es an der Zeit, die Methode der Synodalität zu ändern, denn die aktuelle wirkt auf mich starr. Das kann auch für die Ökumene von Bedeutung sein, besonders im Hinblick auf unsere orthodoxen Brüder. Von ihnen kann man am meisten über den Sinn der bischöflichen Kollegialität und über die Tradition der Synodalität lernen. Die Mühe, gemeinsam nachzudenken, sich damit zu befassen, wie die Kirche in den ersten Jahrhunderten geleitet wurde – vor dem Auseinanderbrechen von Ost und West –, wird zur rechten Zeit Früchte tragen. In den ökumenischen Beziehungen ist Folgendes wichtig: Wir müssen uns nicht nur besser kennenlernen, sondern auch erkennen, was der Geist in den anderen als eine Gabe auch für uns gesät hat. Ich möchte das Nachdenken über die richtige Ausübung des Petrusprimats fortsetzen, das schon 2007 von der Gemeinsamen Kommission begonnen wurde und zur Unterzeichnung des Dokuments von Ravenna geführt hat. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen.
1La Civiltà Cattolica, 19. September 2013, 465–466.
Ich danke dem Herrn für diese Gelegenheit, mit euch sprechen zu können, liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst und Verantwortliche des CELAM im Quadriennium 2011–2015. Seit 57 Jahren dient der CELAM den 22 Bischofskonferenzen Lateinamerikas und der Karibik, indem er eine Zusammenarbeit nach dem Prinzip der Solidarität und der Subsidiarität anbietet, um die bischöfliche Kollegialität sowie das Miteinander unter den Kirchen dieser Region und ihren Hirten zu fördern, anzuregen und ihr Dynamik zu verleihen.
Wie ihr, so bin auch ich Augenzeuge des starken Impulses des Geistes während der V. Generalversammlung der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik in Aparecida im Mai 2007 – ein Impuls, der immer noch die Arbeiten des CELAM für die so sehr ersehnte Erneuerung der Teilkirchen belebt. Diese Erneuerung ist in einem Großteil von ihnen bereits im Gang. Ich möchte dieses Gespräch auf das reiche Erbe konzentrieren, das aus jener brüderlichen Begegnung hervorgegangen ist und dem wir alle den Namen Kontinentalmission verliehen haben.
Es gibt vier ganz eigene Merkmale der V. Generalversammlung. Sie sind wie vier Säulen der Entwicklung von Aparecida und verleihen ihr ihre besondere Originalität.
Medellin, Puebla und Santo Domingo begannen ihre Arbeiten mit einem Weg der Vorbereitung, der in einer Art Instrumentum laboris gipfelte, auf dessen Basis sich die Diskussion, die Reflexion und die Approbation des Schlussdokuments entwickelte. Aparecida hingegen förderte die Teilnahme der Teilkirchen als Weg der Vorbereitung, der in einem zusammenfassenden Dokument gipfelte. Obwohl während der V. Generalversammlung auf dieses Dokument Bezug genommen wurde, wurde es nicht als Ausgangspunkt übernommen. Die anfängliche Arbeit bestand darin, die Sorgen der Hirten zusammenzutragen angesichts des Wandels der Zeiten und der Notwendigkeit, das Leben als Jünger und Missionar zu erneuern, mit dem Christus die Kirche gründete.
Es ist wichtig, an das Umfeld des Gebetes zu erinnern, das von der täglichen Gemeinsamkeit in der Eucharistie und den anderen liturgischen Momenten ausging, wo wir immer vom Volk Gottes begleitet wurden. Andererseits bestand dadurch, dass die Arbeiten im Tiefparterre des Heiligtums stattfanden, die »Hintergrundmusik«, die sie begleitete, aus den Gesängen und den Gebeten der Gläubigen.
Aus diesem Kontext von Gebet und Glaubensleben erwuchs der Wunsch nach einem neuen Pfingsten für die Kirche und das Engagement der Kontinentalmission. Aparecida schließt nicht mit einem Dokument, sondern setzt sich in der Kontinentalmission fort.
Es ist die erste Versammlung der Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik, die in einem marianischen Heiligtum abgehalten wird.
Die Kontinentalmission erfolgt in zwei Dimensionen: der programmatischen und der paradigmatischen. Die programmatische Mission besteht, wie der Name sagt, in der Verwirklichung von Unternehmungen missionarischer Art. Die paradigmatische Dimension schließt hingegen ein, die gewöhnlichen Aktivitäten der Teilkirchen unter missionarischem Aspekt anzugehen. Offensichtlich leitet das konsequenterweise eine ganze Dynamik der Reform der kirchlichen Strukturen ein. Die »Änderung der Strukturen« (von zeitgebundenen zu neuen) ist nicht das Ergebnis einer Untersuchung über die Organisation des kirchlichen Amtsapparats, aus der sich eine statische Umorganisation ergäbe, sondern die Folge der Dynamik der Mission. Was veraltete Strukturen fallen lässt, was dazu führt, die Herzen der Christen zu verändern, ist eben gerade der missionarische Charakter. Daher die Wichtigkeit der paradigmatischen Mission.
Die Kontinentalmission – sowohl die programmatische als auch die paradigmatische – erfordert, das Bewusstsein einer Kirche zu erzeugen, die sich darauf einrichtet, allen Getauften und den Menschen guten Willens zu dienen. Der Jünger Christi ist nicht ein Mensch, der sich in einer Spiritualität der Innerlichkeit isoliert, sondern ein Mensch in der Gemeinschaft, bereit, sich an die anderen zu verschenken. Kontinentalmission schließt also kirchliche Zugehörigkeit ein.
Ein Ansatz wie dieser, der mit dem Jünger- und Missionar-Sein beginnt und einschließt, die Identität des Christen als kirchliche Zugehörigkeit zu verstehen, erfordert, dass wir uns deutlich machen, welches die augenblicklichen Herausforderungen an den missionarischen Charakter des Jüngerseins sind. Ich werde nur zwei von ihnen hervorheben: die innere Erneuerung der Kirche und der Dialog mit der Welt von heute.
Aparecida hat die Notwendigkeit einer Umkehr in der Pastoral vor Augen gestellt. Diese Umkehr schließt ein, an die Frohe Botschaft zu glauben, an Jesus Christus als den Bringer des Gottesreiches, an sein Hereinkommen in die Welt, an seine Gegenwart, die das Böse besiegt, an die Hilfe und die Führung des Heiligen Geistes und an die Kirche als Leib Christi und Fortführerin der Dynamik der Inkarnation.
In diesem Sinne ist es nötig, dass wir als Hirten uns Fragen stellen, die sich auf die Kirchen beziehen, denen wir vorstehen. Diese Fragen dienen als Anleitung, um den Stand der Diözesen in der Rezeption des Geistes von Aparecida zu überprüfen, und es sind Fragen, die wir uns als Gewissenserforschung häufig stellen sollten.
Sorgen wir dafür, dass unsere Arbeit und die unserer Priester mehr pastoral als administrativ ist? Wer ist der hauptsächliche Nutznießer der kirchlichen Arbeit: die Kirche als Organisation oder das Volk Gottes in seiner Ganzheit?
Überwinden wir die Versuchung, den komplexen Problemen, die auftauchen, in reaktiver (abwartender) Weise Beachtung zu schenken? Nehmen wir eine pro-aktive (voraushandelnde) Grundhaltung ein? Begünstigen wir Räume und Gelegenheiten, um die Barmherzigkeit Gottes zum Ausdruck zu bringen? Sind wir uns der Verantwortung bewusst, die pastoralen Aktivitäten und das Funktionieren der kirchlichen Strukturen zu überdenken und dabei das Wohl der Gläubigen und der Gesellschaft im Auge zu haben?
Lassen wir in der Praxis die Laien an der Mission teilnehmen? Verkünden wir das Wort Gottes und spenden wir die Sakramente im klaren Bewusstsein und in der deutlichen Überzeugung, dass sich in ihnen der Heilige Geist ausdrückt?
Ist es für uns ein übliches Kriterium, unser Urteil in der Pastoral auf den Ratschlag der Diözesanräte zu stützen? Sind diese Räte und jene auf Pfarreiebene für die Pastoral und die wirtschaftlichen Angelegenheiten wirkliche Räume für die Teilnahme der Laien an der Beratung, der Organisation und der pastoralen Planung? Das gute Funktionieren der Räte ist entscheidend. Ich glaube, dass wir darin noch sehr im Rückstand sind.
Sind wir Hirten – Bischöfe und Priester – uns der Sendung der Laien bewusst und von ihr überzeugt; geben wir ihnen die Freiheit, die Sendung, die der Herr ihnen anvertraut, im Einklang mit ihrem Weg als Jünger zu prüfen? Unterstützen und begleiten wir sie, indem wir jegliche Versuchung zu Manipulation und unrechtmäßiger Unterwerfung überwinden? Sind wir immer offen, uns auf der Suche nach dem Wohl der Kirche und ihrer Sendung in der Welt hinterfragen zu lassen?
Fühlen sich die Pastoralassistenten und die Gläubigen allgemein als Teil der Kirche, identifizieren sie sich mit ihr und bringen sie sie den Getauften, die sich von ihr distanziert und entfernt haben, nahe?
Wie man einsehen kann, geht es hier um die Grundeinstellungen. Die Umkehr in der Pastoral betrifft hauptsächlich die Grundeinstellungen und eine Reform des Lebens. Eine Änderung der Einstellungen ist notwendigerweise dynamisch: Sie »kommt in Gang«, und man kann sie nur lenken, wenn man sie mit Unterscheidungsvermögen begleitet. Wichtig ist, sich immer vor Augen zu halten, dass der Kompass, um sich auf diesem Weg nicht zu verlieren, der der katholischen Identität im Sinne einer kirchlichen Zugehörigkeit ist.
Es ist gut, sich an die Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils zu erinnern: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.2 Hier liegt das Fundament des Dialogs mit der Welt von heute.
Die Antwort auf die Lebensfragen des Menschen von heute, besonders der jungen Generationen, bringt, wenn man auf ihre Ausdrucksweise achtet, eine fruchtbare Änderung mit sich, die mit Hilfe des Evangeliums, des Lehramtes und der Soziallehre der Kirche durchzuführen ist. Die Szenerien und die Areopage sind verschiedenster Art. So gibt es zum Beispiel in ein und derselben Stadt verschiedene imaginäre Kollektive, die »unterschiedliche Städte« bilden. Wenn wir nur in den Maßstäben der »Kultur von immer« verharren, im Grunde einer Kultur auf ländlicher Basis, wird das Ergebnis schließlich eine Vereitelung der Kraft des Heiligen Geistes sein. Gott ist in allen Teilen: Man muss ihn zu entdecken wissen, um ihn in der Sprache jeder Kultur verkünden zu können; und jede Wirklichkeit, jede Sprache hat einen anderen Rhythmus.
Die Option für den missionarischen Charakter des Jüngers wird Versuchungen unterworfen sein. Es ist wichtig, die Strategie des bösen Geistes zu begreifen, um einander in der Unterscheidung zu helfen. Es geht nicht darum, hinauszugehen und Dämonen zu vertreiben, sondern schlicht um eine dem Evangelium gemäße Nüchternheit und Schlauheit. Ich erwähne nur einige Haltungen, die eine »versuchte« Kirche darstellen. Es geht darum, gewisse augenblickliche Vorschläge zu kennen, die sich als Dynamik des Auftrags als Jünger und Missionar tarnen und den Prozess der Umkehr in der Pastoral aufhalten können, bis sie ihn zum Scheitern bringen.
Die Ideologisierung der Botschaft des Evangeliums