Frieder - Anne Weinhart - E-Book

Frieder E-Book

Anne Weinhart

4,9

Beschreibung

Ein Unfall mit Todesfolge stürzt die hinterbliebene Ehefrau in eine psychische Krise. Ihr dahingegangener Mann zieht sich nicht wie erwartet in die Ewigkeit zurück, sondern nimmt auch weiterhin an ihrem Leben teil. Um nicht als verrückt eingestuft zu werden, setzt sie sich geistig mit ihm und allen unaufgearbeiteten Lebenssituationen auseinander. Das verändert sie und ihr Diesseits grundlegend. Die Autorin beschreibt besonders liebevoll und mit einer gehörigen Portion Humor das plötzliche Alleinsein nach dem Tod der „besseren“ Hälfte, die doch immer Teil ihres Lebens war und weiterhin bleibt …

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Anne Weinhart

FRIEDER UND DAS LEBEN DANACH

Roman

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

© by Verlag Kern, Bayreuth

© Inhaltliche Rechte beim Autor

1. Auflage, Dezember 2014

Autorin: Anne Weinhart

Titelbild: Fotolia – © alphaspirit

Umschlag/ ​Satz: Brigitte Winkler, www.winkler-layout.de

Lektorat: Manfred Enderle

Sprache: deutsch, broschiert

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

ISBN: 9783957160980

ISBN E-Book: 9783957161284

www.verlag-kern.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

FRIEDERS ABFLUG

FRIEDER MELDET SICH ZU WORT

DER NÄCHSTE TAG

DIE ANNONCE

FRIEDER MACHT ES SICH GEMÜTLICH

TRAUERFEIER

HELGA KAUFT SICH EIN AUTO

LEHRGELD

HELGA MACHT SPORT

HELGA FÄHRT IN URLAUB

HELGA KAUFT SICH EINEN LAPTOP

DAS INTERNET

AUF DER SUCHE

ANITA

FRAU SCHILD

SPURENSUCHE

DIE BEGEGNUNG

ALLES VERÄNDERT SICH

HELGA UND ANITA

ÜBERRASCHEND ANDERS

ZEHN TAGE SPÄTER

EINE ENDGÜLTIGE ENTSCHEIDUNG

FRIEDERS ABFLUG

„Mist, das war nicht die Bremse“, war der letzte Satz, den Frieder in seinem Leben im Diesseits dachte. Dann wurde es still. Er fühlte keinen Schmerz, obwohl sich das Auto mit seinen 120 PS gerade durch die Garagenwand geschoben und ein Eisenträger ihm das Genick gebrochen hatte.

Frieder schwebte aufwärts, sah auf das Chaos hinab und war insgeheim froh, dass er seiner Frau Helga keine Rechtfertigung mehr schuldete. Sie wollte schon lange, dass er den Führerschein abgab, aber er fühlte sich in seinem Auto sicherer als auf seinen Beinen. Gerade jetzt, wo die Goldene Hochzeit bevorstand, kam ihr sein Ableben sicher äußerst ungelegen, aber er ersparte sich nun den ganzen Rummel, den er sowieso nur ihretwegen und nur widerwillig in Kauf genommen hätte. Das Geld konnte sie jetzt für seine Beerdigung ausgeben und er wusste, sie würde nicht sparen. Schon der Leute wegen, die ihre neugierigen Nasen in die Trauerfälle steckten wie in ein Stück Sahnebaiser.

Blöd, er hatte kein Testament hinterlassen, in dem er für den Notfall vorgesorgt hätte. Nur in Gesprächen hatte er immer wieder betont, dass er den ganzen Rummel nicht wollte.

Er brauchte keine Trauergesellschaft, keine Kränze und Blumen auf einem Erdhügel. Er mochte sowieso keine abgeschnittenen Blumen, die über kurz oder lang diesen seltsamen morbiden Duft von sich gaben. Er mochte die pflegeleichten, immer wieder blühenden Kakteen. Aber die würde ihm sicher keiner auf sein Grab setzen.

Er kannte seine Helga. Wenn es schon nicht die Goldene Hochzeit war, dann würde sie dieses Ereignis mit allem Pomp durchziehen und alle, die bei ihrem Jubiläum mit ihnen gefeiert hätten würden ihn nun gebührend betrauern. Alles auf seine Kosten. Noch ein Schnäpschen, noch ein Gläschen und schon wären sie bei den Episoden und Schwänken aus seinem Leben.

Der Frieder ist tot, aber das Leben geht weiter.

All diese Nichtigkeiten berührten ihn nun nicht mehr. Er war unterwegs, seine wohlverdiente Ruhe zu finden, und die wollte er genießen.

Ihr Frieder hatte sich eine Woche vor ihrem 50jährigen Ehejubiläum davongemacht. Ein tragischer Unfall mit tödlichem Ausgang und Helga war neben richtig traurig und fassungslos auch richtig sauer auf ihn. Wie oft hatte sie ihn gewarnt, seine Fahrtüchtigkeit in Frage gestellt, ihn gebeten, lieber mit dem Bus zu fahren, aber Frieder war, was sein Auto betraf, stur. Er führe seit 55 Jahren unfallfrei, da müsse man nicht im Traum darüber nachdenken, den „Lappen“ abzugeben. Jetzt war er ihn los, für immer, und sie musste sehen, wie ihr Leben ohne ihn weiterging. In ihrem Alter war man sich ja darüber im Klaren, dass das Leben nicht ewig währt. Aber dass es so schnell und so jäh beendet würde, daran hatte sie in ihrem schlimmsten Albtraum nicht gedacht.

Gerade erst gestern waren sie mit einer beglaubigten Patientenverfügung vom Hausarzt gekommen, froh, diese Hürde überwunden zu haben. Auch dazu hatte sie ihren Frieder überreden müssen. Manchmal musste sie zu drastischen Formulierungen greifen, damit er ihre Argumente verstand. Sie hatte ihn gefragt, ob er den Beatmungsapparat selbst abschalten will, wenn es die Ärzte nicht tun, weil er und sie das nicht schriftlich festgelegt haben. Sie jedenfalls würde es nicht tun. Da hatte Frieder begonnen, nachzudenken. Jetzt war das alles hinfällig, ebenso wie die Goldene Hochzeit. Stattdessen stand eine Trauerfeier an, und auch die musste organisiert werden. Frieder, Frieder, was hast du mir da wieder eingebrockt!

Der Notarzt betrat die Wohnküche und seine Fragen drangen nur wie durch eine Nebelwand in ihr Bewusstsein.

Nein, sie braucht kein Beruhigungsmittel, nein, sie kommt zurecht, behauptete sie, dabei zitterte sie am ganzen Körper, und nur das gute Zureden des Arztes brachte sie dazu, sich eine Spritze setzen zu lassen. Sie legte sich auf das Sofa im Wohnzimmer, das sonst nur bei festlichen Gelegenheiten im Höchstfall zum Sitzen benutzt werden durfte.

Der junge Mann deckte sie sorgsam mit einer Wolldecke zu und blieb noch eine Weile, bis sie eingeschlafen war. In der Tür stand Hilde, die Nachbarin und bot ihre Hilfe an.

„Bleiben sie einfach hier in der Nähe, damit sie nicht allein ist, wenn sie aufwacht.“

„Gibt es Angehörige, die benachrichtigt werden sollten?“, fragte der Arzt.

„Sohn und Tochter“, überlegte Hilde laut, „aber die wohnen nicht hier.“

„Nun, dann lassen wir Frau Nebelung erst einmal in Ruhe begreifen, was passiert ist, dann wird sie schon die angemessenen Schritte tun. Ich muss weiter. Danke für ihre Hilfe.“

Der Arzt griff nach seinem Koffer und der orangefarbenen Jacke mit dem Schriftzug „Notarzt“ und eilte davon.

Hilde ließ sich in den Sessel fallen. Es ging ziemlich weit hinunter und sie überlegte, wie sie da wieder herauskommen sollte mit ihrem lädierten Rücken. Mein Gott, so ein Unglück! Die arme Helga! Aber sie wird es überwinden mit der Zeit. Ich habe das alles auch hinter mir. Als mein Egon gestorben ist, war ich gerade mal 55 Jahre alt. Eigentlich noch zu jung, um alleine zu bleiben. Aber es hat sich nichts ergeben. In dieser Siedlung schaut jeder auf jeden. Was hätte es für Getuschel gegeben, wenn ich, Hilde Flessmann, Herrenbesuch bekommen hätte. Naja, ich bin auch allein alt geworden, und die Helga wird das auch schaffen. Wie lange sie wohl schläft? Vielleicht hole ich mir mein Strickzeug, damit ich nicht so ins Grübeln komme. Kein Radio, kein Fernsehen, da hört man das eigene Herz schlagen. Stille kann unheimlich sein. Hilde quälte sich aus dem Sessel und holte ihr Strickzeug. Danach ließ sie sich vorsichtshalber auf einem Küchenstuhl nieder. Der kam ihrem Kreuz entgegen, auch wenn es sich ein wenig hart anfühlte unter dem Allerwertesten.

Hilde strickte Socken. In allen Farben und allen Größen für alle, die sie wollten und nicht wollten. Socken für den Sommer, für den Winter, lang und kurz, bunt und einfarbig, derb und fein. Eine ganze Truhe mit Sockenwolle stand neben ihrem Sofa. Alle schenkten ihr Wolle, ob zu Weihnachten oder zum Geburtstag. Sogar zum Frauentag beschenkte man sie mit Wolle, anstatt mit Blumen. Was sollte sie anderes machen, als sie verarbeiten? Ihre Hände bewegten sich völlig mechanisch und über dem Klappern der Nadeln nickte sie ein.

„Was machst du denn hier, Hilde?“, weckte sie Helgas Frage und ganz erschrocken fuhr sie aus dem Schlummer. Das Strickzeug lag am Boden und sie hing in gefährlicher Schieflage auf dem Stuhl.

„Ich sollte bei dir bleiben, bis du aufwachst. Der Notarzt hat mich darum gebeten, Helga. Wie geht es dir?“

„Wie soll es mir gehen, Hilde? Ich bin völlig neben mir. Mein armer Frieder. Solch ein Ende habe ich ihm nicht gewünscht.“ Dicke Tränen rannen über Helgas Wangen.

„Sei froh, dass er so schnell weg war, andere leiden jahrelang und alle Angehörigen leiden mit.“ Hildes Kommentar war so unsensibel wie direkt. „So war es kurz und schmerzlos. Wenn ich an meinen Egon denke ...“ Ein paar Tränen zerdrückte Hilde jetzt auch.

„Wie kannst du so herzlos sein?“, beschwerte sich Helga unter Tränen. Solch einen Schock wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht. Tot, von jetzt auf gleich, das ist unfassbar, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.“

„Du musst das Nächstliegende tun, Helga, nämlich deine Kinder anrufen. Die müssen doch auch Bescheid wissen.“

„O Gott, o Gott, meine armen Kinder“, jammerte Helga. Aber sie griff zum Telefon und wählte.

„Anrufbeantworter“, kommentierte sie für Hilde. „Um diese Zeit sind sie alle an der Arbeit und da soll ich nur im Notfall anrufen.“

„Und, ist es kein Notfall, wenn der Vater tot ist?“

„Ja, natürlich.“ Helga blätterte zittrig in ihrem Telefonbuch. Schließlich hatte sie die Nummer gefunden und tippte die Zahlen ein.

„Mutter, ist etwas passiert?“, fragte Ulrike, Helgas Tochter, und Helga fand keine Worte, ihrer Tochter das Drama zu beschreiben, das sich am Morgen abgespielt hatte. Hilde nahm ihr den Hörer aus der Hand.

„Lass mich mal machen! Uli, hier spricht Hilde, die Nachbarin. Du weißt doch, wer ich bin?“

„Ja natürlich weiß ich das, aber was ist denn los bei euch? Ich habe keine Zeit für Späßchen, ich bin an der Arbeit und hier sieht man Privatgespräche nur sehr ungern.“

„Das hat deine Mutter auch schon gesagt. Nur im Notfall. Aber den haben wir hier. Dein Vater ist tot.“

Zunächst herrschte Stille, dann schrie Ulrike: „Was, wieso, warum, wann ist das passiert? Gestern ging es ihm doch noch gut. Mama, sag was!“

Aber Helga schluchzte nur und sagte nichts.

„Uli, sag deinem Bruder Bescheid und kommt so schnell ihr könnt her. Eure Mutter braucht euch.“ Hilde legte den Hörer auf. Helga war froh, dass Hilde so eine tatkräftige Person war. Sie jedenfalls war völlig am Boden zerstört.

FRIEDER MELDET SICH ZU WORT

„Jetzt lass dich nicht so hängen“, hörte sie Frieders Stimme in ihrem Kopf.

Ganz deutlich und ziemlich ungehalten klang der Satz. Helga zuckte zusammen und drehte sich um. Aber außer Hilde war niemand da. Habe ich jetzt schon Halluzinationen?, dachte Helga entsetzt. Aber nach dem nächsten Atemzug hörte sie ihn sagen: „Helga, ich bin doch nicht aus der Welt, was heulst du herum? Reiß dich zusammen und untersteh dich, die Kinder verrückt zu machen. Mir geht’s gut hier, mir tut nichts weh und das sollte dir fürs Erste genügen.“

Das kommt von der blöden Beruhigungsspritze! Wer weiß, was der Doktor mir gegeben hat. Ich spinne doch nicht. Helga legte sich auf das Sofa zurück und schloss die Augen.

„Hilde, du kannst ruhig rüber gehen, ich schlafe noch ein Stündchen. Wenn ich dich brauche, rufe ich dich an. Ich glaube, ich brauch das jetzt.“

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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