Friedrich Gerstecker: Reise in die Südsee - Friedrich Gerstecker - E-Book

Friedrich Gerstecker: Reise in die Südsee E-Book

Friedrich Gerstecker

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Beschreibung

Der deutsche Autor Friedrich Gerstecker berichtet in diesem Buch über die seine Reise in den 1850er Jahren von San Francisco nach Honolulu, von Honolulu nach den Sandwichinseln, später über die Inseln Maiano und Imeo nach Tahiti. Zwischenzeitlich war er auf einen Walfänger unterwegs. Er erzählt sehr ausführlich und interessant über seine Erlebnisse, die Seeleute an Bord der Schiffe, die Insulaner, ihre Sitten und Lebensgewohnheiten, die Beschaffenheit und Vegatation der Inseln und über die dort getroffenen Europäer. Dann reist er von Tahiti nach Sidney in Australien. - Rezension zur maritimen gelben Reihe: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!

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Friedrich Gerstecker

Friedrich Gerstecker: Reise in die Südsee

Band 143 in der maritimen gelben Buchreihe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Der Autor Friedrich Gerstecker

Reise in die Südsee in den 1850er Jahren

Von San Francisco nach Honolulu

Honolulu und die Sandwichinseln

Kreuzen auf Spermacetifische

Maiao

Fahrt von Maiao nach Imeo

Imeo

Tahiti

Tahiti (Fortsetzung)

Fahrt von Tahiti nach Sidney

Die maritime gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.

Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den See­leuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzu­tragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktio­nen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere.

Hamburg, 2021 Jürgen Ruszkowski

Ruhestands-Arbeitsplatz

Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers

* * *

Der Autor Friedrich Gerstecker

Der Autor Friedrich Gerstecker

Geboren am 10. Mai 1816 in Hamburg als Sohn eines Bühnentenors. Er ließ sich zum Kaufmannslehrling ausbilden, danach absolvierte er eine Ausbildung in Landwirtschaft. 1837 wanderte er nach Amerika aus, wo er ein abwechslungsreiches und abenteuerliches Leben als Matrose, Heizer, Jäger, Farmer, Koch, Silberschmied, Holzfäller, Fabrikant und Hotelier führte. 1843 kehrte Gerstäcker nach Deutschland zurück. Er lebte ab 1868 in Dresden und Braunschweig. Gerstäcker starb am 31.05.1872 in Braunschweig.

Gerstäcker war ein Erzähler von außerordentlich spannenden und farbenprächtigen Abenteuerromanen, die jedoch stets belehrende Momente in der Landschafts- und Kulturschilderung beinhalten.

* * *

Der Anteil der gelehrten Welt an den neuesten Entdeckungen im Südmeer hat auch die älteren, zum Teil schon vergessenen Reisen wieder in Erinnerung gebracht. Doch könnte es von Nutzen sein, dass ich die bisherigen Entdeckungsreisen erwähne, ehe ich die Beschreibung unserer eigenen beginne. Auch ist es der Mühe wert, dass ich von der Ausrüstung unserer Schiffe berichte, weil sie ungleich vollkommener war, als sie bei dergleichen Expeditionen bisher zu sein pflegte.

Zunächst muss ich jedoch die Benennung der Meere erklären, wie ich sie im folgenden Werke gebraucht habe: Das Meer zwischen Afrika und Australien haben wir den Südlichen Indischen Ozean genannt, und diese Benennung könnte vom Wendekreis des Steinbocks bis zum Polarkreis gelten. Das eigentliche Südmeer erstreckt sich von Australien bis Südamerika. Man pflegt ihm zwar in seinem ganzen Umfang den Namen des Pazifischen oder Stillen Ozeans beizulegen, allein diese Benennung kann nur innerhalb der Wendekreise gelten, da die See jenseits dieser Grenzen so stürmisch ist wie jede andere. Der Äquator teilt das Stille Meer in zwei fast gleiche Teile, in das nördliche und südliche. Was nördlich vom Wendekreis des Krebses liegt, hat bisher noch keinen eigenen Namen, was aber südlich vom Wendekreis des Steinbocks liegt, ist eigentlich das große Südmeer bis zum antarktischen Polarkreis.

* * *

Reise in die Südsee in den 1850er Jahren

Reise in die Südsee in den 1850er Jahren

* * *

Von San Francisco nach Honolulu

Von San Francisco nach Honolulu

Ade Kalifornien – angenehmes Gefühl das, wieder einmal auf dem alten Steckenpferde zu sitzen – hui wie das schaukelt. Der Grundschwell, der hier in dem niederen Wasser, von der gewaltigen Strömung bald hinaus bald hineingeärgert steht, gehört zu den schlimmsten in der Art, und kaltes stürmisches Wetter dient dann gerade nicht dazu, den Aufenthalt auf einem, eben in See gehenden Schiff, noch dazu bei vollkommener Dunkelheit, zu einem angenehmen zu machen.

Während dem ewigen Wenden lagen auch natürlich alle Brassen von den Nägeln herunter und an Deck, man konnte keinen vernünftigen Schritt mehr tun und die Befehle des „Alten“ klangen so heiser und ängstlich – hol‘s der Henker ich geh hinunter, dacht' ich bei mir selber, sagte dem Kapitän gute Nacht, von dem ich keine Antwort kriegte, stürzte die Treppe halb hinunter, denn der Platz war mir noch fremd, und die Sohlen oben nass geworden, trank unten ein richtiges Glas Brandy und Wasser, und legte mich in meine Koje, dem tollen Gewirr an Deck zu entgehen. Zu sehen war nichts mehr, und wenn man nicht gleich von vornherein mit zugreifen will – eine Sache von der man dann nicht einmal sagen kann ob sie's einem groß zu danken wissen – geht man lieber aus dem Weg. Zum Zusehen brauchen sie in solcher Zeit niemand an Deck.

Ich weiß nicht wie lange ich geschlafen hatte – aber eingenickt war ich, als ich plötzlich durch einen furchtbaren Stoß, den das Schiff bekam, geweckt wurde und zugleich mit beiden Füßen aus der Koje fuhr. Wer einmal in seinem ganzen Leben gefühlt hat, wie sein Fahrzeug mit dem Kiel den Sand berührt, vergisst das nun und nimmer wieder. Man fühlt das auch nicht mit den Füßen etwa, auf denen man doch steht, oder hört es, nein, es ist eine ganz unbeschreibliche Empfindung, an der jeder Nerv des ganzen Körpers, jede Ader, jede Muskel gleich teilnehmend zu sein scheint. Das Gefühl zuckt durch das Rückenmark bis in die entferntesten Fingerspitzen, und das Herz steht still in dem Augenblick, der Atem stockt. Es ist fast als ob man dabei mit zu derselben Masse des Schiffes gehöre, und gehört auch in der Tat dazu, denn die Erschütterung, die von dem Sande dem Kiel mitgeteilt, von diesem durch die Poren des Holzes aufwärts schießt, findet in den Nerven unseres Körpers eben gleiche Ableiter, und rückwirkend kann ich auch, glaub' ich, mit Fug und Recht behaupten, dass ebenso das Schiff selber wie ein fühlendes Wesen fast – in seine innersten Tiefen erzittert, vor der drohenden Gefahr. – Oder glaubst du etwa nicht, lieber Leser, dass das wackere Schiff selber empfindet, was ihm droht, oder wie es sich bewegt? – frag dann die Seeleute selber, Leute, die ihre ganze Lebenszeit an Bord zubringen und zugebracht haben, was sie darüber denken, darüber sagen, und du wirst bald erfahren, dass diese magnetische Kraft dem Schiffe nicht bloß in dem Augenblick wird, wo es mit einem dritten festen Gegenstand in Berührung tritt – obgleich ich nicht leugnen will, dass es sich dadurch verstärken mag, sondern ihm immer eigen ist, und den Matrosen sein Fahrzeug auch deshalb als ein vollkommen selbstständiges Wesen erscheinen lässt, mit dem er sich oft unterhält und zu dem er eine förmliche, fast rührende Zuneigung gewinnt, wie sie unter anderen Umständen kaum denkbar wäre.

Die englischen Matrosen geben dem Schiff sogar das weibliche Geschlecht – aus einem Grund freilich, wie manche boshaft behaupten wollen, der gerade nicht schmeichelhaft für dasselbe wäre – dass die Takelage nämlich oder der äußere Aufputz, Segel und was dazu gehört, mehr koste, wie das Schiff selber – doch das ist maliciös (boshaft – hämisch).

Der Leser mag sich übrigens denken, dass ich in dem Augenblick, wo er mich eben verlassen hat, keineswegs daran dachte, solchen Betrachtungen nachzuhängen, sondern so rasch als möglich in meine Kleider fuhr und an Deck zu kommen suchte. Es war kalt, und wenn wir hier draußen „auseinander gingen“, und die ganze Nacht vielleicht an einem Mast oder Stück Holz im Wasser zu hängen hatten, war es immer besser etwas Wollenes dabei auf dem Leib zu haben. Viel Zeit ließ ich mir übrigens nicht, denn deutlich konnte ich oben die angstvolle Stimme meines Mitpassagiers, des alten Herrn Landerer hören, der ausrief – „Sind wir denn ganz verloren?“ – während ein anderer tiefer Bass dicht daneben sagte „A ground, by God!“ – Ich hörte sogar schon das Waschen des Seewassers an Deck und sprang mit wenigen Sätzen die enge Treppe hinan.

An Deck stürmte indessen alles wild und toll durcheinander, der Kapitän und der Steuermann gaben keine Befehle mehr, sie schrien sie, und als ich den Kopf ins Freie steckte, waren die Leute eben im Begriff zu wenden, während dicht neben uns Brandung oder Grundschwell, was es nun sein mochte, sich in weißfunkelnden Schaumwellen überschlug. Wir hatten das Schiff übrigens kaum herum, und die Vorsegel waren kaum angebrasst, als ein zweiter, und diesmal heftigerer Stoß durch Schiff und Nerven bebte – wir hatten jedenfalls hinten aufgesetzt, und die Brandung oder eine Welle wusch in demselben Augenblick über Deck. –

Der Kapitän, ein ruhiger, besonnener Mann, der neben mir stand, hatte in demselben Moment auch schon das Handlot, das zu seinen Füßen lag, aufgefasst, und über Bord geworfen, und die Leine jetzt fühlend, rief er rasch – „Wir sind noch flott!“ – Das war ein Trost, und nur die Frage, ob wir's im nächsten Augenblick noch bleiben würden. Die Lotleine zeigte zugleich wieder fünf Faden Wasser, wir waren in eine etwas tiefere Stelle gekommen, und nur der weiße Schaum der Brandungswellen jetzt fast vor uns, verriet uns wieder eine gefährlichere Untiefe.

„Klar zu wenden!“ klang wieder über Deck, und der Kapitän, die eine Hand an den Wanten, sich fest auf den Füßen zu halten, rief, kein Auge von dem Bug des Schiffs verwendend: „Up with your helm!“

Der Mann am Ruder drehte und drehte aus Leibeskräften – aber das Schiff kam nicht. „Up with your helm!“ schrie der Kapitän und stampfte, dem Mann einen wütenden Blick zuwerfend mit dem Fuße. „Up with it, I say!“

„Es will nicht gehorchen, Kapitän!“ rief dieser aber zurück, sich jetzt gegen die Speichen seines Rades pressend – „es ist ganz auf und hat noch keinen Viertel Strich geändert.“

Er sprach fast noch, als der Kapitän schon neben ihm stand und selber das Ruder versuchte – aber es war wie der Mann gesagt – das Schiff wollte nicht mehr gehorchen und der Matrose, ein alter englischer Seemann, hatte sich indessen auch schon auf Deck niedergeworfen, den vermuteten Schaden am Ruder selber zu untersuchen.

„The tiller is broken – by God!“ (Die Ruderpinne, mit der allein das Steuerruder regiert werden kann) rief aber der Mann auch schon im ersten Augenblick, als er nun seinen Arm danach ausgestreckt, und der Ruf ging wie ein Blitz durch das ganze Schiff.

Im nächsten Moment war das Lot wieder ausgeworfen, ergab noch einmal fünf Faden Wasser und „Anker klar und nieder!“ schrie der Kapitän mit Stentorstimme, die umso bereitwilliger Gehör fand, da jeder einzelne Matrose in dem Augenblick auch einsah, von der raschen Ausführung dieses Befehls hänge sein Leben ebenfalls ab – und Leute arbeiten nie so gern und willig, als wenn sie selber mit einem solchen Kapitale dabei interessiert sind. – In fast unglaublich kurzer Zeit war der Anker, der überhaupt noch vorn, und nur eben aufgezogen hing, wieder klar, und ohne einen weiteren Befehl abzuwarten, rasselte und sprang die schwere Kette durch die Klüsen, von der etwa dreißig oder zwei und dreißig Faden ausgelassen wurden, und zwei Minuten später wendete der Bug des Fahrzeugs scharf ab von der Brandung, auf die wir bis dahin ganz richtig zugehalten hatten, und das Schiff ritt vor seinem Anker.

Das niedergeworfene Lot zeigte noch fünf Faden, also vollkommen genug wenigstens der augenblicklichen Gefahren entgangen zu sein; der Wind hatte dabei fast ganz nachgelassen, und die Dünnung, wenn auch ziemlich stark, war doch nicht im Stande uns zu gefährden.

Vor allen Dingen ging jetzt der Zimmermann mit der ganzen Mannschaft zur Hilfe – denn alle wollten sehen, welcher Schaden angerichtet sei, – daran, die Ruderpinne wieder in Stand zu setzen – es war dies ein solides eichenes Stück Holz von wenigstens sechs bis sieben Zoll im Durchmesser, mit dick eisernen Banden, und wir konnten uns gratulieren, dass der Stoß, der dieses Holz im Stande war abzuknicken, dem Ruder selber nicht größeren Schaden zugefügt. In einer Stunde war übrigens alles wieder hergestellt, die Segel belegt und die See schon fast wieder beruhigt, denn nicht ein Lüftchen wehte mehr, und als ich mit dem Kapitän endlich, nachdem der Steuermann seine Wache angetreten, wieder hinunter stieg, aufs Neue zu Bett zu gehen, sagte er kopfschüttelnd:

„Ein Glück, dass wir ruhiges Wetter die Nacht haben, denn wenn es jetzt hier an zu wehen finge, könnten wir uns gratulieren – nachher hinge unser Leben an der Kette.“

Kaum in der Koje, war ich auch eingeschlafen, nach dem erhöhten Grad der Aufregung kam die Erschlaffung, und ich träumte zuletzt, die Anker würden wieder gelichtet, und wir gingen mit frischer herrlicher Brise hinaus in die freie offene See.

Ein Teil meines Traumes war wahr, oder ich hatte vielmehr im tiefen Schlaf das Rasseln der schweren Ketten gehört, das mich zuletzt auch ganz erweckte; endlich ermuntert, richtete ich mich in meiner Koje auf und hörte nun, – ein trauriger guter Morgen – wie der Wind durch die nackten Taue und Wanten und Blöcke unseres armen Fahrzeugs heulte, während dieses den jetzt schärfer und schärfer dagegen anschlagenden Wellen nur zitternd, und gewaltsam gezwungen, zu begegnen schien. Ich stand auf, zog mich an und ging wieder an Deck; die Sache war mir viel zu interessant mich nicht selber darum zu bekümmern, aber der Anblick, der sich dort mir bot, wahrlich nichts weniger als ermutigend.

Der bis dahin sternenhelle Himmel hatte sich mit düsterem Gewölk umzogen, ein feiner Regen peitschte, durch den Wind getrieben, scharf an Deck, das nahe Land war nur durch einen düsteren Nebelstreifen und das donnernde Brausen seiner Brandung zu erkennen, oder vielmehr zu erraten, und gegen den Bug des Schiffes schlugen und bäumten die Wogen an, wie unwillig, hier auf ihrem Spielplatz einen Widerstand gefunden zu haben, der sich ihren Sprüngen hemmend in den Weg legen wollte. Der Wind heulte dabei zürnend durch Blöcke und Taue, die See höher und höher jagend, und bei jedem Anprall derselben, schüttelte der Schlag durch das ganze Schiff, während die Kämme der Wogen schon jetzt über Bord schlugen, und die matten Funken des Seewassers, während sich die Flut zu beiden Seiten durch die Speigaten ihren Weg wieder ins Freie suchte, mit dem Stampfen der armen „JANE“ bald nach vorn und bald wieder zurück schossen. Der Himmel sah dabei so bös aus wie nur möglich, und das rasche Jagen der Wolken war selbst hier, ohne den geringsten Anhalt eines festen Gegenstandes, denn die Masten tanzten mit ihren Spitzen gar toll und wild an dem grauen Firmament herum, deutlich erkennbar.

Zwei Matrosen hatten Wache an Deck, und der eine hielt die Leine des über Bord gelassenen Senkbleis in der Hand, daran zu fühlen ob das Schiff noch, wie eine kleine Weile vorher, treibe, weshalb noch etwa fünfzehn Faden mehr Kette ausgelassen waren. Wir durften, wie mir die Leute sagten, nicht mehr nachgeben, da sich der Boden hier schon hob, wir hatten etwa einen halben Fuß verloren, und mit der jetzt unruhig werdenden See konnte uns ein einziger Stoß, richtig auf den harten Sand geführt, in Stücken und auseinander schlagen.

Ich fragte den Matrosen, was er von unserer Lage denke, er wollte aber nicht recht mit der Sprache heraus, und meinte nur: Wenn der Anker hielte und die Kette nicht bräche, und der Wind nicht gar zu stark an zu wehen finge, und der Tag nicht zu lange ausbliebe, möchte es noch alles gut gehen; viel zu viele „Wenn's“, jedoch für nur einigermaßen gute Aussichten, und ich starrte schweigend mit einer Art trotzigen Unmuts hinaus über die schwarze kochende See und die weißen jagenden Brandungswellen, die, wie es schien, dicht hinter unserem Fahrzeug begannen, und in die ich hätte meine Mütze hineinwerfen können. – Ich tat's aber nicht.

Noch während ich neben dem Manne stand und meine Hand selber mit an die Leine legte, zu fühlen, ob sie noch fest zwischen den Fingern liege, tat es plötzlich an der Kette einen scharfen Schlag, und wie Jemand, der ein böses Gewissen hat, wo er zwei leise mitsammen sprechen sieht, fürchtet, dass er der Gegenstand der Unterhaltung sei, so schien es auch, dass wir sämtlich an Deck ebenfalls glaubten, das eben gehörte Geräusch ginge uns selbander augenblicklich ans Leben. Wir vermuteten nämlich in dem Moment nichts anderes, als die Kette sei gesprungen, obgleich bei einem solchen Zufall gewöhnlich nicht allein ein solcher Schlag, sondern gewöhnlich auch noch das Zurückschnellen des abgebrochenen Endes erfolgen soll. – In solchem Augenblick ist man aber selten aufgelegt zu langem Nachdenken – mit drei Sätzen, waren wir vorn, fanden aber hier, sehr zu unserer Genugtuung, dass die Kette keineswegs gesprungen, sondern wahrscheinlich nur ein Glied in andere Lage gerückt sei, und dadurch den klingenden verdächtigen Laut verursacht hatte. Der Anker hielt noch fest und gut, und überhaupt waren, hier sehr zu unserem Glück, Anker wie Kette von fast unverhältnismäßiger Schwere für die Größe des Schiffes.

„Diesmal geht's noch“, sagte der Matrose, und kehrte wieder zu dem Senkblei zurück; „wenn der Wind aber nicht sehr bedeutend nachlässt, so weiß ich, dass wir den Anker morgen nicht wieder heraufkriegen.“ „Das lass' dir aber gesagt sein“, wandte er sich, dann an den jüngsten Matrosen der mit ihm die Wache hatte, „wenn du je vor Anker liegst bei faulem Wetter, und hörst jeden Laut, dann spring' jedes Mal nach vorn – ich hab's einmal erlebt, und möcht's nicht wieder durchmachen.“

Für diesmal ging es auch wirklich, aber immer toller tobte und heulte der Wind, immer höher und höher schwoll die See, und recht tüchtige Wellen warf sie uns schon vorn über Deck, als ob sie es gar nicht erwarten könne, an Bord zu kommen, und dann so recht nach Herzenslust in dem armen Fahrzeug und mit ihm herumzuarbeiten. Die See ist darin wie ein kleines ungezogenes Kind, was sie einmal wirklich zum Spielen bekommt, das muss sie auch gleich inwendig besehen; erbarmungslos reißt sie dem armen Spielzeug das Bisschen Außenstaat, so bunt und prächtig es auch angemalt und gekleidet sein mag, vom Leibe, und hat sie ihren Willen gehabt, – dann wirft sie den nutzlosen Plunder in die Ecke und verlangt mehr.

Der Leser kann sich ungefähr denken, wie gestimmt ich mich in der Nacht wieder auf mein Lager warf – noch volle sechs Stunden bis Tageslicht, und draußen rissen die Wellen mit jeder Bewegung des Schiffes an den Eisengliedern, deren Stärke allein uns noch von der Brandung und dem sicheren Verderben abhielt. In dieser Nacht war ich auch fest überzeugt, dass wir auf den Strand laufen würden, und steckte nur das Wenige was ich an Gold hatte, zu mir, für den günstigsten Fall, dass wir mit dem Leben davon kamen, gesichert zu sein, und ein paar Dollars in Händen zu haben.

An Schlaf war natürlich nicht zu denken, und erst gegen Morgen fiel ich, durch übermäßige Ermüdung, in eine Art Halbschlummer, aus dem ich aber bald darauf wieder durch Geräusch an Deck geweckt wurde.

Es war endlich Tag geworden und das Wetter hatte sich wenigstens in etwas gemäßigt, wenn die Wellen auch noch keineswegs beruhigt waren. Der Kapitän sagte mir, bis zwei Uhr hätte ein förmlicher fliegender Sturm geweht, und nur zwei Stunden länger, und selbst beide Ketten würden dann der Gewalt der einmal aufgerüttelten Wasser nicht mehr haben widerstehen können, um zwei Uhr schien aber das Wetter plötzlich nachzulassen, und während beinah Windstille eintrat, legte sich die See. Erst gegen Morgen erhob sich der Wind etwas wieder, und wenn wir ihn auch gerade in die Zähne hatten – denn er blies genau aus der Richtung her, wohin wir wollten, mussten wir doch machen, dass wir unsern Anker herauf kriegten und hier fort kamen. Die nächste Nacht hätte uns am Ende nicht so günstig sein können. Über dem konnten wir jetzt am hellen Tage jede Gefahr leicht übersehen, und im aller ungünstigsten Fall, wenn es wirklich wieder angefangen hätte zu wehen, waren wir, erst einmal unter Segel, leicht im Stande in die Bai zurückzulaufen, und dort günstigeres Wetter abzuwarten.

Volle drei Stunden hatten wir aber zu arbeiten, und arbeiten im strengsten Sinn des Worts, bis wir den schweren Anker endlich aus der Tiefe herausbrachten; die See ging dabei noch immer hohl, besonders hier so nahe an der Küste, unter der wir förmlich dicht lagen, und im Anfang glaubten wir auch gar nicht, dass wir ihn heraufbringen würden, wo dann weiter gar nichts übrig geblieben wäre, als den nächsten Schäkel der Kette auszuschlagen und den Anker mit einer Boje darin zurück zu lassen. Aber es ging, und nur mit der Vorsicht, die Segel schon zu setzen ehe wir förmlich flott waren, denn wir hatten mit der Küste gar nichts mehr zu vergeben, zeigte das Lot bald an, dass wir vorwärts gingen. Die Raaen wurden jetzt angebrasst, die leichteren Segel ebenfalls gelöst, und unter dem fröhlichen Singen der Matrosen ausgezogen, und der Anker war kaum geborgen, als wir auch schon, mit allen Segeln geschwellt, dicht an der Küste, nördlich von der Einfahrt, hinaufliefen, bis wir ihr so nahe kamen, dass wir wieder wenden mussten.

So kreuzten wir nach und nach von den Gefahr drohenden Felsen ab, und als sich gegen Abend der Wind auch noch etwas besserte, konnten wir das Land weit genug zurücklassen, selbst von einer wieder einsetzenden mehrstündigen Windstille nichts weiter befürchten zu dürfen.

In der Nacht passierten wir, mit wieder erwachender Brise, die Farallonen, eine inselartige Felsengruppe, der Bai von San Francisco gegenüber liegend.

Den 24. November morgens Windstille, um 2 Uhr Nachmittags aber eine frische günstige Brise. Wir steuerten mit gutem Südwest-Kurs von der Küste ab, und hinter uns in nebliger Ferne, und kaum noch erkennbar, lagen die steilen Küstengebirge Kaliforniens.

Mit den vorbeschriebenen Fatalitäten der einen Nacht schienen wir aber auch alle Unannehmlichkeiten für die ganze Reise, bis nach den Inseln, überstanden zu haben.

Sonntag den 24. bis 2 Uhr Nachmittags fast Windstille, und wunderschönes Wetter. Nachmittags begann eine schwache uns günstige Brise zu wehen, die gegen Abend zu einem vortrefflich günstigen Wind anwuchs. Zu windwärts eine Brig in Sicht, mit gleichem Kurs. Die Nacht noch liefen wir 10 und 11 Knoten.

Montag den 25. weite offene See, kein Land, kein Schiff mehr in Sicht – vortrefflicher Wind, und unser gutes Fahrzeug hält sich ausgezeichnet – ade California . . . .

Der gute Wind hielt nun freilich noch nicht an; in der Nähe der kalifornischen Küste wechselt er viel zu schnell, dafür mussten wir sogar nach einer Windstille am 28., den 29. gegen den Wind kreuzen; am 30. aber, etwa unter 134° westlicher Länge von Greenwich, und 30° nördlicher Breite trafen wir die Nord-Nord-West-Passate, die uns nun mit ununterbrochenem Wehen unserem Ziel entgegentrieben.

Doch es wird Zeit, dass ich mich auch ein wenig mit dem Schiff und der Mannschaft beschäftige, die allerdings beide interessant genug waren, eine kurze Beschreibung zu verdienen.

Die „„JANE REMORINO““ war in Malta gebaut, und ein so treffliches, wackeres Fahrzeug, glaub' ich, wie nur je unter englischer Flagge gesegelt – und das will sicherlich viel sagen. Es war alles neu und stark und elegant, einzelne alte lederne Taue ausgenommen, von denen der Kapitän, ein Spanier, aus einer gewissen heimatlichen Anhänglichkeit sich nicht trennen wollte, obgleich sie bei jeder nur möglichen Gelegenheit, und wo sich ihnen nur die geringste Entschuldigung bot, von selber rissen. Das waren die Taue an dem sein Herz hing.

Mitpassagiere hatte ich keinen, außer den Supercargo des Schiffes, einen alten Schweizer, einen Gentleman im wahren Sinne des Wortes, der mit der „JANE REMORINO“ nach Manila ging, dort eine Ladung Zucker einzunehmen und wieder zurück nach San Francisco zu kehren. Leider starb er später in Kalifornien an einem Schlaganfall. – Der Kapitän selber war in Gibraltar geboren, sprach nur sehr gebrochen Englisch und am liebsten spanisch oder portugiesisch. – Herr Landerer sprach sehr gut spanisch aber kein Englisch und so arbeitete ich auch die Zeit unserer Unterhaltung gewöhnlich im Spanischen herum.

Unser Tisch war übrigens – besonders auf von Kalifornien abgehenden Schiffen etwas ungemein Seltenes – wahrhaft ausgezeichnet. Der Kapitän hatte eine förmliche Unmasse eingesetzter und gelegter Sachen, Gemüse, Früchte etc., von Italien und Spanien und Frankreich mit an Bord, vortreffliche Weine dabei, Medoc, Port und Rheinwein, kurz es wäre wirklich jammerschade gewesen, hätte das so vortrefflich eingerichtete und verproviantierte Schiff dicht vor dem Hafen von San Francisco in jener Nacht zu Grunde gehen müssen.

Der Kapitän, ein kleiner lockenköpfiger, etwas hagerer und im Ganzen sehr ruhiger, gelegentlich aber auch wieder einmal sehr lebendiger Mann, von circa vierzig Jahren, hieß ebenfalls Remorino wie das Schiff, das nach einer Schwester von ihm, von seinem eigenen Vater so benannt worden, und hatte noch seinen jüngeren Bruder an Bord, der eigentlich Steuermann sein sollte, aber erst seine zweite Reise machte, und noch wenig von der See oder Seefahrt überhaupt verstand. Zwischen den beiden Brüdern herrschte übrigens ein ewiger Krieg, der sogar einige Male in Tätlichkeiten ausartete.

Die wunderlichste Figur, außer diesen beiden, war aber jedenfalls der andere „Offizier“ an Bord, von dem ich, so lange ich auf der „JANE REMORINO“ war, nie habe ausfinden können, ob er erster oder zweiter Steuermann, oder nur Bootsmann gewesen sei. Der Kapitän nannte ihn Steuermann, sein Bruder Bootsmann und der Steward vom Schiff – d. h. nur hinter seinem Rücken, bribon und caracho und Gott weiß was sonst noch für Namen. Er war ein Italiener, ich glaube von Genua, und seine halbe Zeit betrunken, obgleich ihm aller „Grog“ entzogen worden, und wenn er seine Wut nicht an den Brüdern auslassen durfte, prügelte er den Steward, von dem er eine unbestimmte Ahnung hatte, was dieser von ihm hielt, und ärgerte die Matrosen, denen er dabei zu gleicher Zeit die entsetzlichsten halb italienischen halb englischen Flüche an den Hals schleuderte, bis seine Herrschaft körperlich wie geistig eines schönen Tages zu Grunde ging.

Er war nämlich, da ihm in Wirklichkeit jeder gesetzmäßige Schnaps entzogen worden, heimlicher Weise in den Raum hinabgestiegen und hatte sich dort, vermittelst eines Bohrers und Federkiels einen solchen kapitalen Rausch angetrunken, dass er nachher kaum damit wieder an Deck kommen konnte, sich dann oben in den Backbordgangweg mit dem Kopf auf dem Schanddeckel hinzulegen. Natürlich gab das später zu einer furchtbaren Scene Veranlassung und Geogio wäre jedenfalls bös weggekommen, hätte ihn seine eigene Natur nicht noch schlimmer gestraft. Die vielen scharfen Spirituosen, die er förmlich in sich hineingegossen, griffen ihm in die Eingeweide, und er wurde so krank und stöhnte und ächzte die Zeit so entsetzlich, dass wir ein paar Tage wirklich glaubten, er würde gar nicht mit dem Leben davon kommen. Seine gesunde Natur erholte sich aber doch endlich wieder, und der Kapitän beschloss, ihn in den Sandwichsinseln angekommen, fortzuschicken und einen anderen zu mieten, da er aber dort später keinen anderen bekommen konnte; musste er ihn richtig mit weiter nach Manila nehmen.

Merkwürdig war aber die Weise in der der junge Steuermann diesen Vorfall, mit einem Streit den Geogio ebenfalls mit dem Steward gehabt, in seinem „Log,“ das, als auf einem englischen Schiffe unter englischer Flagge auch englisch geführt werden musste, eintrug – ich schrieb es mir damals ab, und gebe es hier dem Leser nur des merkwürdigen Eindrucks wegen, den dies gebrochene Englisch jedes Mal auf mich machte – ich wurde und werde es bis auf den heutigen Tag noch, förmlich schwindelig, wenn ich die Zeilen nur einfach überlas. Doch sie mögen am besten für sich selber sprechen.

The B'mann Geogio makes question with the Steward when this was busy in taking out plates of the Deck sterm table whay he called the stward for to carry watter from buckets to a barrel and the saylors said for many times tat he want do for to carry the crew out; the steward said tat saw him in the sterich robing Brandy from a cask and proof tat it was so, when he sleep in the windlass as a drokker.

Der Steward war ein junger Bursche von Mauritius glaub' ich, ein gewandter Gesell, der französisch und spanisch gleich gut und fließend sprach.

Der Kapitän selber war ein guter Katholik – seine Lieblingsheiligen hingen in der Kajüte sowohl als in seiner Koje, aber außerdem hatte er noch eine besondere Zuneigung zu der Figur, welche auf seiner Gallion, ganz vorn am Schiff, gewissermaßen als Sinnbild des ganzen Fahrzeugs stand, und übrigens ausgezeichnet gearbeitet war. Sie stellte ein junges Weib oder Mädchen vor, genau in Lebensgröße, das Gewand in goldenen Falten bis auf die Füße herunterfallend, Gesicht und Hände in natürlicher Farbe und große Glasaugen klug und lebendig vorausschauend. Vorn am Bug, wenn man darunter hin ruderte, machte die Figur einen ganz eigentümlichen Eindruck, und ich bin noch bis auf den heutigen Tag fest davon überzeugt der Kapitän schrieb dem Bilde mehr als selbst natürliche Kräfte zu, wie er denn auch steif und fest dem Schiff ein eignes selbstbewusstes Denken zuteilte, das sich besonders darin äußerte die Leute zu kennen, die am Steuer standen, und bald sein Gefallen durch ruhiges stetes Gehen, bald sein Missfallen durch Anspringen gegen die See und andere kleine Unarten auszudrücken.

Er war aber in jeder anderen Ansicht ein vortrefflicher Kapitän, und diese kleine Schwäche, die zugleich eine bedeutende Liebe für sein Fahrzeug selber anzeigte, hab' ich ihm gern vergeben.

Die Matrosen waren meist Engländer und Irländer, aufgelesen in San Francisco wie sie zu bekommen gewesen waren, für 40 Dollars den Monat, und das in Betracht gezogen eine so gute Mannschaft, wie sich unter dergleichen Umständen erwarten ließ. Unser wackeres Fahrzeug segelte dabei vortrefflich, und wir passierten mehrmals andere Fahrzeuge bei vollkommen günstigem Wind, ohne ein einziges Leesegel auf zu haben, während die anderen Schiffe jeden nur möglichen Lappen von Leinwand gesetzt hatten, erreichten auch Honolulu, trotz dem dass wir die Nacht draußen vor der Bai vor Anker gelegen, zwei Tage eher als vier andere mit uns zu gleicher Zeit ausgelaufene Fahrzeuge.

Doch ich will mein Tagebuch wieder aufnehmen, denn wir nähern uns den Inseln, und der Leser hat ja jetzt ungefähr eine Idee von der Schiffsmannschaft der „JANE REMORINO“, die übrigens dennoch zu wenig interessant ist, die Südseeinseln deshalb zu vernachlässigen.

Die Nord-West- und Nord-Nord-West-Passate herrschen nicht die ganze Strecke bis zu den Inseln vor. Je weiter wir deshalb südwestlich steuerten, desto mehr ging der Wind über Norden herum nach Osten, und vom 4. Dezember an hatten wir Ost zu Süd und Ost-Süd-Ost-Wind.

Sonntag den 8. Dezember. Wind vortrefflich – ging heute wieder nach Ost zu Nord herum, und wir halten jetzt Süd-West, gerade auf die größte der Sandwichsinseln zu; die wir heute hoffentlich nach einer Fahrt von 16 Tagen in Sicht bekommen werden.

Das Wetter ist herrlich, der Thermometer steht morgens halb 11 Uhr in der ziemlich kühlen Kajüte auf 22° Réaumur oder 79° Fahrenheit etwa. Die Reise selbst ist in dieser Jahreszeit etwas monoton, da man in und auf der See fast gar nichts von Fischen oder anderen Seetieren zu sehen bekommt. Fliegende Fische haben sich einige seit dem 25° nördlicher Breite gezeigt, aber auch nicht viele. Die Walfische (Wale sind keine Fische, sondern Säugetiere) haben sich in dieser Jahreszeit ebenfalls hier fortgezogen, also auch mit ihnen die Walfischfänger, und selten ist's dass einmal ein Segel am fernen Horizont sichtbar wird. Selbst der Kapitän hatte Langeweile, der doch gewiss daran gewöhnt ist sich mit nichts zu beschäftigen, und schikanierte seinen Hund; aber das Land konnte nicht weit sein, und dann kam wieder Leben in die schon fast erschlaffte Existenz.

Unter den Südseeinseln hatte ich mir bis in letzter Zeit übrigens einen Ort gedacht, der alles in sich vereinigte was die tropische Vegetation nur Herrliches hervorbringen könne. Die Ufer mussten unter jeder Bedingung mit Palmen, Pisang und Bananen, Brotfrucht und Orangen dicht bedeckt sein, und das innere Land mit seinen vollbewaldeten Gebirgen üppig daraus hervorsteigen.

Mit diesen Erwartungen sah ich am 9. Dezember morgens das erste Land in blauer Ferne, und konnte den Augenblick nicht erwarten, wo wir dort Anker werfen würden. An jenem Tage kamen wir indessen noch nicht dazu; das erste Land das wir erblickten war die Insel Maui, und nördlich an dieser und der nächsten, Molokai hin, liefen wir gegen Oahu zu, um die Südostspitze dieser Insel herum, kreuzten als es Nacht wurde südlich daran, und liefen am nächsten Morgen mit Tagesanbruch nördlich gegen den Hafen von Honolulu hinauf, auf dessen äußerer Reede, oder eigentlich vor der Insel und dem Hafen draußen, wir etwa um 10 Uhr morgens Anker warfen.

Aber, lieber Gott, wie wenig fand ich meine schönen Hoffnungen von Palmenwäldern bestätigt, als wir der Insel nahe genug kamen sie mit dem Fernrohr erkennen zu können! Kahle, vulkanische Berge streckten sich, von nebligen Wolken umlagert, schroff und trostlos aus dem Meer empor, und lange, lange Zeit war auch nicht ein Zeichen von Vegetation zu erkennen. Wir lagen freilich noch zu weit ab um das niedere Uferland überschauen zu können. Endlich wurden die weißen Gebäude von Honolulu sichtbar, mit ihnen die Masten der dort vor Anker liegenden Schiffe, und nach langem, langem Suchen konnte ich auch einzelne dicht am Strand stehende Kokospalmen erkennen. Aber wie einzeln standen sie! „Und das sind die Südseeinseln?“ rief ich fast unwillkürlich.

„Das sind die am wenigsten schönen“, sagte zu meinem Trost ein neben mir stehender Matrose, „die Inseln südlich vom Äquator haben viel mehr Früchte und sehen viel schöner aus.“ Und von dem Augenblick an beschloss ich die südlich gelegenen Inseln, wenn sich mir irgend Gelegenheit dazu böte, ebenfalls zu besuchen.

Je näher wir übrigens Oahu kamen, desto freundlicher gestaltete sich das ganze Äußere der kleinen Stadt und Umgegend, die Berge fingen an sich da und dort mit einem Anflug von Grün zu decken, das die beginnende Regenzeit hervorgerufen, der untere Teil derselben ließ dichtere Gebüsche kenntlich werden, und zwischen den Häusern der Stadt gaben die allerdings nur einzeln aufsteigenden herrlichen Kokospalmen dem Ganzen den südlichen tropischen Charakter. Ja oberhalb der Stadt ließ sich sogar ein förmliches kleines Kokoswäldchen erkennen, das aber freilich abgeteilt war, und mehr das Ansehen einer Pflanzung als eines natürlichen Waldes hatte.

Einen eigentümlichen Anblick bot die Küste selber, an der die Brandung, über die hochaufdrängenden Korallenriffe hin, in langen schneeigen Schaumwellen tanzte und brauste und dem Ufer zustrebte, während in und zwischen ihr die, mit ihr vertrauten Eingeborenen, teils in und zwischen den Wellen spielten und badeten, teils mit ihren wunderlichen kleinen Kanus, ungestört durch das Gelärm der Wogen hindurchglitten und fischten, oder auch, eine sehr häufige Beschäftigung dieser Stämme, eben nur in der Sonne lagen und ihren Gedanken nachhingen, während das schwanke kleine Fahrzeug zwischen den Korallenriffen, ebenso faul wie die Bemannung, herumtrieb.

Diese Korallenriffe sah ich hier zum ersten Mal, und sie gaben der ganzen Insel etwas ungemein Charakteristisches, wie damit zugleich auch für mich etwas sehr Ansprechendes. Sonderbarer Weise sollen sie sich auch in fast all diesen Inselgruppen, nördlich und südlich von der Linie, gleich bleiben. Eine ungeheure Wand von Korallenbäumen, so ineinander verwachsen und ausgefüllt dass sie eine eigentliche Mauer bilden, die schroff, fast senkrecht aus der Tiefe des Meeres aufsteigt, und zwar so dass sie hier bis an die Oberfläche selber ragen, und die anstürmenden Wellen in weißem Wogenkamm über sie fortstürzen, während kaum hundert Schritt davon Schiffe schon keinen Ankergrund mehr finden, und mit günstiger Brise in dem dunkelblauen und kristallhellen Wasser, das die kleinste Untiefe deutlich verrät, dicht daran hinsegeln können.

Doch ich komme auf diese Korallenriffe weiterhin schon noch ausführlicher zu sprechen – für jetzt will ich dem Leser ja doch nur den ersten Eindruck des Ganzen schildern, und der beschäftigte sich wahrhaftig nicht mit den einzelnen Bestandteilen, wo ihn die wildschöne bunte Welt in so heiterer, sonniger Pracht umgab. Ich brauchte nicht unter die Oberfläche des Wassers zu gehen, die Oberwelt bot Stoff genug, und vorn auf der Back unseres guten Schiffes stehend sog ich mit wirklichen trunkenen Blicken – nur in anderer Art wie B'mann Geogio – das ganze Wunderliche, Pittoreske und Fremde der Landschaft ein, die sich mit doppelter Schnelle voraus entrollte, als das Schiff sich erstlich rasch dem Lande näherte, und die Morgennebel ebenfalls, die bis dahin noch wie ein dünner, halbdurchsichtiger Schleier auf der Küste gelegen, teils in die Höhe stiegen von der Kraft der aufgehenden Sonne, teils in Duft und Atem, wie sie waren, zerstoben.

Wirklich außerordentlich ist die Einfahrt des Hafens, der jetzt noch, außer den durch die Regierung gelegten Bojen (schwimmende, vor Anker liegende Fässer oder Balken), welche die Fahrstraße andeuten, durch die Wracks zweier an beiden Seiten gestrandeten Schiffe bezeichnet wird. Hohe Korallenriffe schließen nämlich die ganze Küste ein, und nur an der einen Stelle, wo dieser Einfahrt wegen Honolulu hin gebaut wurde, senken sie sich zu einer förmlichen schmalen Straße hinunter, welche, bei einiger Vorsicht, die größten Fahrzeuge in den sicheren Hafen einlässt. Die beiden Wracks sollen Walfischfänger sein, die heimlicher Weise von den eigenen Matrosen in Brand gesteckt wurden, damit die Leute nicht wieder mit ihnen in See zu gehen brauchten.

Schon bei unserer Anfahrt zeigte sich übrigens Leben und Bewegung genug. Vor dem Hafen glitt eine Masse von Kanus mit ihrer eigentümlichen Form und den Augen eines Europäers allerdings sonderbar erscheinenden „Seitenkufen“ herüber und hinüber, und im Hafen selber lagen mehr Schiffe als ich hier vermutet hatte, obgleich mir später versichert wurde, dass jetzt gerade die Zeit wäre, wo sich die wenigsten Walfischfänger hier aufhielten, da sie fast alle schon nach den südlichen Inseln, Sperm-Fische zu fangen, ausgefahren seien.

Mir blieb aber nicht lange Zeit die Schiffe zu beobachten, denn unser Anker rollte noch draußen, etwa anderthalb englische Meilen von der Küste entfernt, in die Tiefe, und bald darauf erschien auch der Hafenmeister, ein dicker behäbiger früherer Kapitän eines amerikanischen Schiffes, an Bord, und erkundigte sich nach unserem Befinden.

Der Leser muss übrigens nicht glauben, dass das eine bloße Höflichkeitsformel gewesen wäre, Gott bewahre, der Mann meinte es ernstlich, denn als er uns fragte: „Wie geht es euch allen an Bord?“ und ich ihm lachend antwortete: Dank, vortrefflich, und euch? – schüttelte er sehr bedeutend mit dem Kopf, und meinte, nein, so sei die Sache nicht verstanden, und er müsse in der Tat wissen, wie es mit unserer Gesundheit stehe.

Nun hatten wir allerdings befürchtet, dass Honolulu für die von San Francisco kommenden Schiffe eine Quarantäne haben möchte, da gerade auch in dieser Zeit die San Francisco-Zeitungen einen Weheruf über die in ihrer Stadt zunehmende Krankheit ausstießen, und mehrere Schiffe dicht vor uns abgegangen, also wahrscheinlich auch schon hier eingetroffen waren. In San Francisco hatten sie aber trotzdem unserer „JANE REMORINO“ einen ganz vortrefflichen Gesundheitspass mitgegeben, und in Honolulu selber waren sie zu vernünftig, große Vorkehrungen gegen eine Seuche zu treffen, gegen die sie ihr vortreffliches Klima schon allein und viel vollständiger schützte. Nur Schiffe, die wirklich Cholerakranke an Bord hatten, wurden, wie ich glaube, einer kurzen Quarantäne unterworfen, da sich aber an Bord unseres Fahrzeuges alles glücklicherweise wohl befand (mit Ausnahme des Steuermanns, der noch etwas von den Folgen seines „stillen Suffs“ litt), machte man auch nicht die mindeste Schwierigkeit, uns an Bord zu lassen.

In Ermanglung einer als Zeichen gelten sollenden weißen Flagge hissten wir ein allerdings schon etwas gebrauchtes Handtuch am Fockmast auf, und fuhren dann gleich nach dem Hafenmeister (der zugleich auch hier Lotse ist, und jetzt erst noch einige andere mit uns gekommene Schiffe besuchen musste) an Land.

* * *

Honolulu und die Sandwichinseln

Honolulu und die Sandwichinseln

Zwischen den Korallenriffen, über denen sich die schäumende Flut brach, und den schon im Hafen liegenden Walfischfängern, schoss unser gutes Boot, von vier Matrosen gerudert, hin, und bald lagen wir an dem aus weißen rauen Korallenblöcken behauenen Werft, wo eine bunte Schaar in die lebendigsten Farben gekleideter Eingeborner gleich über uns herfiel, und meine im Boot liegenden Habseligkeiten vor allen Dingen als gute Beute nach Gott weiß wie viel verschiedenen Hotels und Restaurants abschleppen wollte. Natürlich jagte ich sie gleich wieder an Land, und beschloss mich erst selber einmal nach einem Orte umzusehen, wo ich „mein Haupt hinlegen könnte“ (lieber Gott, in der Nähe der vielen Missionare fange ich schon selber an, Bibelstellen zu zitieren), ehe ich mich den ungewissen Händen und der noch viel ungewisseren Ehrlichkeit dieser „christlichen Naturmenschen“ überließ. Ich war übrigens erstaunt, hier schon so viel „Kultur“ zu finden, denn in New-York oder Berlin hätten es die vereidigten und unvereidigten Kofferträger nicht um ein Haar breit schlimmer machen können. Die Kultur sollte ich aber noch viel weiter vorgerückt finden, denn wie mich zuerst das dem Anscheine nach unfruchtbare Aussehen der Insel bei der Annäherung überrascht hatte, so setzte mich jetzt wieder die, wirklich nicht geahnte Zivilisation in Erstaunen, die ich überall fand.

Ich war in dem Glauben nach Honolulu gekommen, eine noch ziemlich wilde Insel der Südsee zu finden, und ungestört in den Kokoswäldern mit den wilden Eingeborenen umherstreifen zu können, und fand an dessen Statt, an der Stelle, wo ich eben diese üppige tropische Vegetation vermutet hatte, nichts weniger als tropische Kegelbahnen, Billard- und Schenkzimmer, und so nüchterne Gesichter, wie ich sie mir nur in irgendeiner großen Stadt Europas oder Amerikas hätte wünschen können.

Doch nein, alles Eigentümliche hatte der christliche Einfluss der Missionare den Eingeborenen doch nicht geraubt; die gelbbraune Haut, das schwarze lockige Haar, das funkelnde lebendige Auge, die raschen kräftigen Bewegungen und Gestikulationen hatten sie noch, und die wunderlichsten Gruppen begegneten meinem froh umherschweifenden Blick schon am Strand, wo eine ziemliche Anzahl teils an den Häusern herumkauerte, teils müßig stand, teils Früchte und Gemüse feilhielt, Kisten und Pakete schleppte, Handkarren zog, Ochsen trieb, Straßen reinigte und sich jedem weiteren Segen der Zivilisation, allem Anscheine nach willig, unterzog.

Aber mir blieb nicht lange Zeit solche Betrachtungen anzustellen, denn vor allen Dingen musste ich mich nach einem Aufenthalt für mich selber umsehen, zu welchem Zweck mir von einem deutschen Handelshaus dort das Hôtel de France, ein französisches Gasthaus, empfohlen wurde, und wenige Stunden später war ich auch dort schon vollkommen häuslich eingerichtet. Meine Sachen hinauf zu transportieren, erlaubte mir Herr Hackfeldt, ein früherer Schiffskapitän und jetziger sehr angesehener Kaufmann in Honolulu, seinen Güterkarren, und einige Kanakas, wie die dortigen Eingeborenen sich selber nennen, zu nehmen, und mich vorher nach dem Preis erkundigend, den ich ihnen etwa zu zahlen hatte, machte ich mich mit ihnen auf den Weg – hätte aber auf dem Marsch dorthin beinahe noch ganz unschuldiger weise einen Volksauflauf verursacht.

Ich trug nämlich eine Flasche mit in Spiritus aufbewahrten kalifornischen Schlangen, Eidechsen, Käfern, Raupen, Spinnen u. s. w., damit sie auf dem Wagen nicht zu sehr geschüttelt werden sollten, in der Hand, und einer der „Kanakas“ bekam die Witterung davon. Neugierig, wie sie alle sind, trat er rasch näher, die wunderlichen Dinge zu beschauen, andere, an denen wir vorbeikamen, mussten ebenfalls wissen um was es sich handle, und ehe zwei Minuten vergingen, hatte ich einen Schwarm von wenigstens fünfzig Menschen um mich herum, der jetzt wie eine Lawine anwuchs. Ich musste die Flasche auf den Karren und zwischen das übrige Gepäck tun, und nur froh sein, dass sich die Polizeidiener (deren es in Honolulu fast so viel gibt wie in irgendeiner deutschen Stadt) der Sache schon tätig angenommen hatten.

Aber auch noch ein junger Weißer schien sich für die Gegenstände, wenigstens für einen Teil derselben, lebhaft zu interessieren. Es war dies ein junger Bursche von etwa vierzehn oder fünfzehn Jahren, der, wie es schien, unter jeder Bedingung einen von meinen kalifornischen Bogen und Köchern mit Pfeilen kaufen wollte, und sich nun unbeschreiblich erstaunt bezeigte, dass es jemanden auf der Welt geben konnte, dem eine solche Sache nicht feil sei, noch dazu da ich zwei davon hatte. Endlich rückte er mit der Ursache heraus, weshalb er die Gegenstände nicht allein zu haben wünschte, sondern haben müsste, er gehöre nämlich zu der Gesellschaft Kunstreiter – war ich denn auf den Sandwichsinseln? – die eben von San Francisco herüber gekommen wäre, und hier ihre Vorstellungen gäbe, und da er selber gerade beabsichtige, am nächsten Abend einen nordamerikanischen Wilden vorzustellen, so würde ich wohl einsehen, dass er das nicht gut ohne Bogen und Pfeile tun könne, und ihm einen der meinigen, sei es zu welchem Preis es auch wolle, überlassen möge. Da ich übrigens, selbst nicht einmal im Interesse der Kunst darauf eingehen mochte, musste er seinen nordamerikanischen Indianer wirklich ohne Pfeil und Bogen reiten.

Ich logierte also im Hôtel de France (der Leser darf freilich nach dem Titel keinen europäischen Maßstab anlegen), und allerdings sehr gut, aber auch ganz nach kalifornischen Preisen, nach denen sich überhaupt diese Insel, ihrer bedeutenden Verbindung mit San Francisco wegen, stark zu richten beginnt. Kost und Logis war 12 Dollars die Woche, der Platz aber sonst freundlich und luftig, und der Wirt, ein Franzose, artig und zuvorkommend.

Honolulu selbst ist ein kleines freundliches Städtchen, dem in den meisten Straßen Alleen von einem lindenartigen Tulpenbaum (hibiscus tiliaceus), der im Inneren wild wächst, etwas ländliches oder sogar gemütliches geben. Die Häuser sind meistens niedrig, aber großenteils mit Gärten versehen, hie und da ragen einzelne stattliche Kokospalmen empor, und die häufig vorkommenden palmenartigen Farren und sehr hübschen Ölnussbäume (aleurites tribola, dort Kui Kui oder Kukui genannt) geben dem ganzen Orte jenen tropischen Anstrich, der ihn für den Nordländer natürlich nur noch so viel interessanter macht. Manche glauben dabei, dass die Stadt noch an vielen Stellen durch die strohgedeckten Hütten der Eingeborenen entstellt werde, gerade die aber waren es, die ich ungern in dem Ganzen entbehrt hätte, denn eben diese ganz aus Stroh oder Schilfgras aufgeführten Gebäude mit ihren geflochtenen Türsimsen und glatt und fest bis auf den Boden hinunterreichenden Dächern, über denen die federartigen Farren und Bananen ihre breiten Blätter ausstreckten, und vor denen die sauber geflochtenen Matten lagen, bildeten den alten Urstamm der Gebäude von Honolulu, und all die anderen aus China und den Vereinigten Staaten eingeführten hölzernen Häuser standen nur wie geduldete Fremdlinge zwischen den, sich dort heimisch fühlenden Eingeborenen.

Hie und da trifft man auch Steinhäuser, wie z. B. das Regierungsgebäude, mit seiner goldenen Krone über dem gewölbten Tor, und viele andere Privatwohnungen und Kirchen; durchschnittlich bestehen aber doch die meisten, besonders im Geschäftsteile der Stadt, aus Holz, und die Strohhütten bilden mehr die Vorstädte Honolulus.

Die beiden festesten Gebäude – das Fort selbst nicht ausgenommen – sind jedenfalls das Zollhaus und einige Kirchen, sämtlich aus Korallblöcken aufgeführt.

Hier muss ich mich vor allen Dingen mit dem Leser über den Ausdruck Korallen verständigen, der mir da nur zu leicht einen viel zu romantischen Begriff von dem, sonst roh genug aussehenden Baumaterial bekommen könnte; ich weiß wenigstens, wie es mir selber früher mit solchen Beschreibungen gegangen. Die Korallenart, die sich hier findet, ist die weiße, und steht allerdings, wenn in jungen Schösslingen angesetzt, zart und fein genug aus, mit ihren alabasterartigen Armen und Auszweigungen; mit der Zeit füllen sich aber diese Räume zwischen den Zweigen vollkommen aus, und bilden dann eine schmutzig weiße, sehr poröse und leichte, aber doch feste Steinmasse, die besonders viel Kalk enthält, und aus welcher auch Kalk gebrannt wird, während man die, so gut es gehen will, behauenen Steine oder Blöcke zu Werften, Mauern und Häusern verwendet. Dem Aussehen nach hat diese Korallenmasse Ähnlichkeit mit dem Tropfstein, nur dass sie nicht so fest und hart ist.

Dicht am Werft und nur eine kurze Strecke vom Fort entfernt, steht ein geräumiges luftiges Markthaus, ebenfalls von Stein aufgeführt; die Eingeborenen sind aber so an ihre alten strohgedeckten Plätze, teils diesem gegenüber, teils in anderen Teilen der Stadt gewöhnt, dass es wahrscheinlich erst eines ganz bestimmten Gesetzes bedarf sie dort, wo sie, wenn auch keinen bequemeren, doch gewiss reinlicheren Platz haben, hineinzubringen. Die bisherigen Marktplätze zeichnen sich durch nichts vor anderen derartigen Orten südlicher Städte aus, ja selbst der Fischmarkt ist nicht besonders reichhaltig, und an Früchten sind diese Inseln so arm, dass gute Apfelsinen sogar von Tahiti hierher verschifft und mit Nutzen verkauft werden. Selbst die Apfelsinen aber, die hier wachsen, eine saure, sehr geringe Qualität, sind sehr teuer, jedes einzelne Stück kostete nach deutschem Gelde 2½ Ngr., Kokosnüsse 10 Ngr., und selbst für Bananen zahlte man das Vierfache dessen, was man in Rio de Janeiro dafür zu zahlen hatte.

In demselben Verhältnis stand es mit den Kartoffeln, die der kalifornische Markt und der stets sich mehrende Bedarf dorthin auf eine wahrhaft unnatürliche Weise in die Höhe getrieben; überhaupt waren sämtliche Lebensprodukte, besonders im letzten Jahre, auf eine für die dort anlaufenden Walfischfänger besonders sehr unangenehme Weise gestiegen, und es bedurfte später fast noch eines vollen Jahres, ehe sie, durch die immer vergrößerte Einfuhr sowohl nach San Francisco, hauptsächlich aber durch den dort rasch steigenden Acker- und Gartenbau, wieder ebenso rasch fielen, immer aber noch die auf die Kultur des Landes verwandte Arbeit reich vergüteten.

Wenn der Markt auch nicht selber, so haben doch die einzelnen, in der Stadt herumgehenden Verkäufer manches Eigentümliche, die nach Art der Chinesen alles, was sie zum Verkauf bei sich führen, an einem, etwa vier Fuß langen Stock und bis fast zum Boden niederhängenden Kalebassen tragen, von denen die wieder, die den aus den Tarowurzeln bereiteten Brei oder Poë enthalten, mit ebensolchen Kalebassenstürzen bedeckt sind. Sie schlendern damit höchst gemütlich durch die Straßen, oder kauern auch geduldig an den Ecken, bis sich ein Käufer findet.

Diese Händler, welche Früchte, Fische, Hühner, Truthühner, Schweinchen, Eier etc. in der Stadt herumtragen, sind nur Männer, bei den Märkten halten jedoch auch Frauen feil. Der Hawaiier oder Kanaka, wie er allgemein genannt wird, kann aber mit sehr wenig Arbeit auskommen; oft sieht man einzelne von ihnen, die mit einem Dutzend Eiern oder zwei Hühnern stunden-, ja tagelang in der Stadt herumlaufen, und mit einer fabelhaften Geduld immer wieder zu demselben Preis ihre Ware feilbieten – sie haben sich einmal den Preis gesetzt, und gehen nicht davon ab, und sollten sie auch genug Zeit versäumen, indessen noch dreimal so viel zu verdienen, bis sie ihn erhalten haben. Von dem Wert der Zeit scheint der Kanaka überhaupt nur einen sehr unvollkommenen Begriff zu haben, denn Leute die dort schon lange ansässig sind, haben mir versichert, man könne bei ihm, und wenn er an dem entferntesten Teil der Insel wohne, die Produkte die er erzieht, um nichts billiger am eigenen Platze bekommen, als er im Stande ist, sie auf dem Markt von Honolulu zu verwerten – die Tage, die er dazu braucht, sie dorthin zu schaffen, zu verkaufen und wieder zurückzukehren, rechnet er gar nicht.

Was nun den Volksstamm selber betrifft, so lässt sich da allerdings nach Honolulu kein vollkommener Maßstab mehr anlegen. Die Leute sind hier in moralischer wie physischer Hinsicht entartet, und Christentum wie Walfischfänger haben sich in die Hände gearbeitet (so verschieden diese beiden Begriffe auch sonst immer von einander sein mögen) das arme Volk von der Erde so viel wie möglich zu vertilgen, oder was zurück blieb an Geist wie Körper zu Grunde zu richten. Es klingt das scharf und übertrieben, und die amerikanischen Geistlichen würden darüber die Hände über dem Kopf zusammen und die Augen zum Himmel aufschlagen, wenn sie es läsen – aber es ist leider eine Tatsache, die man nicht allein fühlt und empfindet, wenn man unter den Leuten selber wohnt, sondern die sich auch sogar durch statistische Tabellen auf die kleinste unbedeutendste Seele hinunter berechnen ließe.

Was nun die Eingeborenen der Insel, vorzüglich die Oahus betrifft, so sind sie was man so „zivilisiert“ nennt. Die Männer tragen statt des sonst einzigen schmalen Schamgürtels, Hemden, und auch manchmal Hosen, und die Frauen gehen in bunten Kattun oder Seide gekleidet. Viele von ihnen können auch, dank den wirklich tätigen – oft zu tätigen – Bemühungen der Missionare schreiben und lesen, und zu tätig nenne ich sie deshalb, weil sie an mehreren Stellen sogar anfingen Gesetze zu geben (natürlich alles durch die Häuptlinge, später bis aufs Blut leugnend, dass sie selber auch nur das mindeste damit zu tun hätten), dass junge Leute, die einander heiraten wollten, nicht mit einander getraut werden durften, wenn sie nicht schreiben und lesen konnten. Welchen moralischen Einfluss ein solches Gesetz ausübte, lässt sich etwa denken, noch dazu wenn man die jetzige weibliche Bevölkerung der Inseln dabei sieht.

Die Bücher, die sie haben, sind ihnen von den Missionaren übersetzt und geschenkt und bestehen, außer einigen Lehrbüchern, nur in religiösen – streng orthodoxen Schriften, die Bibel – ein circa 12–13 Zoll dickes Buch,– nimmt den ersten Rang darunter ein, denn ich zweifle nicht im geringsten, dass die Kanakas ebenso die meiste Achtung vor den dicksten Frauen, wie vor den dicksten Büchern haben werden, und wie es eine Riesenarbeit für die Missionare gewesen sein muss, dieses Buch in die Kanakasprache zu übersetzen (wobei nicht allein die einfache Übersetzung nötig war, sondern eine wahre Unmasse von Worten, ja selbst Wortlaute erst förmlich für ihre Sprache erfunden und ihnen verständlich gemacht werden musste), ebenso ist es jetzt sicherlich eine noch viel größere Arbeit für die Kanakas, das Geschriebene, das für sie von einer ganz fremden Welt handelt, zu begreifen und – zu glauben. Wir können ja das Beispiel nur an uns Christen selber nehmen, von denen kaum die Hälfte wirklich glaubt, und von dieser Hälfte kein Viertel wieder begreift, was es glaubt, während sich die Geistlichen der verschiedenen Sekten selber über Wortbedeutungen in den Haaren liegen. Was müssten die Folgen sein, gäbe sich der Kanaka mit all seinen geistigen Kräften dem Studium dieser Lehren hin? Glücklicherweise ist er weit davon entfernt, sich die Bücher oder die Lehren sehr zu Herzen zu nehmen oder gar viel darüber nachzudenken, Einzelne natürlich ausgenommen. Er betet, wenigstens öffentlich, keine Götzen mehr an, zahlt und tut für seine Priester und Lehrer was sie von ihm verlangen, ist getauft worden und betrachtet sich nun als einen vollkommenen guten und „fertigen“ Christen, der, wenn er stirbt, ohne weitere Vorrede in den Himmel und zur ewigen Seligkeit eingeht.

Erst in seiner letzten Stunde, wo er sonst seiner Auflösung mit froher Zuversicht, oder wenigstens mit Gleichgültigkeit entgegen ging, packt ihn das, was er von den ewigen Strafen der Christen gehört – er sieht meist nur den zürnenden Gott der neuen Lehre, für den er, wie er recht gut weiß, gerade nichts Besonderes getan hat, ihn sich zum Freunde zu machen, und Angst und Entsetzen vor dem nimmer endenden Strafgericht fasst ihn, bis ihn der mitleidige Tod endlich von sich selbst befreit, und ihm die Zweifel löst, die seine bange Seele in Nacht und Grauen gefangen hielten.

Die Herzen der Eingeborenen mag übrigens der Eifer der Missionare auf diesen Inseln vollkommen gebessert haben, das ist möglich; ich kann wenigstens das Gegenteil nicht behaupten, äußerlich hat er auf den Eingeborenen aber wenig Einfluss gehabt, und ihn weder gebessert noch veredelt. Die Insulaner stehlen nicht, weil ihnen das unter den strengsten und unnachsichtlich ausgeführten Strafen verboten ist, sie betrügen aber wo sie können, und die Frauen? – mit Sonnenuntergang wimmelten in Honolulu die Straßen von bunt gekleideten Frauen und Mädchen, und Leute die dort ansässig waren und das Leben kannten, versicherten mir, dass unter allen diesen auch nicht eine sei die nicht feil wäre. So viel was die Moralität dieser neuen Christen betrifft.

Der Leser wird aber auch etwas Näheres über Tracht und Aussehen der Eingeborenen hören wollen, denn trotz hawaiischen Ministern und Konsuln sind das doch unbedingt die interessantesten Persönlichkeiten auf den ganzen Inseln, und jedenfalls verdient hier wieder das schöne Geschlecht die erste Erwähnung. Die Beschreibung der weiblichen Tracht dieser Inseln macht mir dabei keine Schwierigkeiten, denn sie ist einfach genug, und besteht nur aus einem Hemd und Oberkleid, das nach Art unserer deutschen Staubhemden gemacht, einzig und allein ziemlich dicht am Hals anschließt und bis auf die Knöchel in weiten Falten niederfällt. Der Stoff und die Farbe dieses Oberkleides ist aber sehr verschieden: Es besteht teils aus dem einfachsten, bescheidensten Kattun, teils aus kostbar schwerer Seide, immer jedoch in dem ganz gleichen einförmigen Schnitt. Manche tragen über diese noch seidene Schals oder Tücher, das aber nur sehr wenige, und bloß die reicheren vielleicht, während jedoch irgendein Haarschmuck keinem Eingeborenen Mädchen fehlt. Es ist dies noch ein Überrest der alten Heidenzeit, und ein Glück, dass die Missionare nie erfuhren sie trügen diese Girlanden und Kränze ihrer Lieblingsgöttin „Natur“ zu Ehren, sie wären sonst mit dem ganzen übrigen Bilder- und Götzendienst ebenfalls ausgerottet worden.

Dieser Haarschmuck ist allgemein, und die vorherrschenden Farben dabei sind gelb und rot und grün. Viele tragen Blumen und Kränze. Der eigentliche Originalschmuck der Insulaner besteht aber aus einem schmalen Band von geflochtenen gelben und roten Federn, die sehr hoch unter ihnen geschätzt werden, da sie ihrer Seltenheit wegen schwer zu erlangen sind. Da es vielleicht zu kostspielig für alle war, sich diesen Federschmuck zu verschaffen, alle aber einen Schmuck haben mussten, so ersetzte man die Federn häufig durch runde Binden von geschorener Wolle in diesen Farben, und diese kann sich jetzt jeder verschaffen.

Trotz der schönsten Kleider und Haarputz gehen übrigens die meisten, ja fast alle barfuß, was allerdings für europäische Augen nicht recht zusammenpasst.

Ihre Gestalten sind im Allgemeinen – einige Ursandwicherinnen ausgenommen, die das gehörige aristokratische Gewicht haben – schlank, und ihr Gang ist leicht; auch haben die Gesichter etwas freundlich-gutmütiges, und der bunte Schmuck in den schwarzen Haaren und die dunkeln Augen unter der gelbbraunen Stirn stehen ihnen gar nicht übel.

Viel verschiedener und gemischter ist dagegen der Anzug der Männer, die man teils vollständig in europäischer Tracht, teils noch halb, in ihrem alten Kostüm, nur mit dem schmalen „Malo“ oder Lendenschurz und einem unbeschreiblich kurzen Hemd bekleidet, oder eigentlich nicht bekleidet, findet. Selbst diese letzteren aber sind Christen, und glauben nicht mehr an die Feuergöttin Pele, die in dem kochenden Krater Owaihis früher ihre Existenz hatte, sondern jetzt an den wirklich „im bodenlosen Abgrund“ und in dem „See der mit Feuer und Schwefel brennt“ lebenden Teufel, und das muss für ihre sonst rettungslos verloren gewesenen Seelen jedenfalls von sehr großer Beruhigung sein.

Wunderlich kam mir allerdings im Anfang vor, dass ich nur arbeitende Männer und müßiggehende Frauen in den Straßen der Stadt, wie in der Umgegend sah. Die Frauen scheinen sämtlich ein vollkommen ihrem Vergnügen gewidmetes Leben zu führen, während ich nur unter den Männern einzelne Häuptlinge oder „Angestellte“ sah die ebenfalls für hochgeboren genug gehalten wurden, ihre Daumen um einander herum spazieren zu jagen. Ich habe kürzlich auch einen Artikel, von Amerika ausgehend, über die Missionare dort gelesen, der diesen den eben beschriebenen Zustand zur Last legt, und sie beschuldigt die Männer zu Last- und Zugtieren zu benutzen, während sie sich von der weiblichen Bevölkerung förmliche Harems hielten; dem möchte ich aber hier widersprechen.