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Durch sein Mitwirken in der US-Kultserie FRIENDS erreichte der Schauspieler Matthew Perry Weltruhm. Erstmals erzählt er nun seine eigene außergewöhnliche Geschichte und spricht offen über private Suchtkämpfe und darüber, was sich tatsächlich hinter den Kulissen der erfolgreichsten Sitcom aller Zeiten abspielte. Der TV-Star gewährt tiefe Einblicke in seine langjährige Erkrankung und reflektiert gewohnt humorvoll und selbstkritisch, was die Süchte eines Mannes befeuert hat, dem es an nichts zu mangeln schien. Unerschrocken ehrlich, zutiefst bewegend und urkomisch.
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Seitenzahl: 403
Durch sein Mitwirken in der US-Kultserie FRIENDS erreichte der Schauspieler Matthew Perry Weltruhm. Erstmals erzählt er nun seine eigene außergewöhnliche Geschichte und spricht offen über private Suchtkämpfe und darüber, was sich tatsächlich hinter den Kulissen der erfolgreichsten Sitcom aller Zeiten abspielte. Der TV-Star gewährt tiefe Einblicke in seine langjährige Erkrankung und reflektiert gewohnt humorvoll und selbstkritisch, was die Süchte eines Mannes befeuert hat, dem es an nichts zu mangeln schien. Unerschrocken ehrlich, zutiefst bewegend und urkomisch: dies ist das Buch, auf das Fans gewartet haben.
Matthew Perry wurde 1969 in Williamstown, Massachusetts, geboren. Einen Großteil seiner Kindheit verbrachte er im kanadischen Ottawa bei seiner Mutter. Im Teenageralter zog es ihn nach Los Angeles, wo er früh als Schauspieler Fuß fasste. Sein internationaler Durchbruch glückte durch die Rolle als Chandler Bing in der erfolgreichen Fernsehserie FRIENDS.
MATTHEW PERRY
Friends, Lovers andthe Big Terrible Thing
Autobiografie
Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch vonThomas Gilbert, Wiebke Pilz und Nina Restemeier
Lübbe
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der amerikanischen Originalausgabe:FRIENDS, LOVERS AND THE BIG TERRIBLE THING
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2022 by Matthew Perry. Foreword © Lisa Kudrow.
Published by arrangement with FLATIRON BOOKS. All rights reserved.
Dieses Werk wurde im Auftrag von FLATIRON BOOKS durch dieLiterarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, vermittelt.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dr. Matthias Auer, Bodman-Ludwigshafen
Bilder im Tafelteil: © Matthew Perry, sofern nicht anders vermerkt
Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Billenach einem Originalentwurf von © Keith Hayes
Einband-/Umschlagmotiv: © Nigel Parry/thelicensingproject.com
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-2885-0
luebbe.de
lesejury.de
Für all die Leidensgenossen da draußen. Ihr wisst, wer ihr seid.
Der beste Weg hinaus ist der hindurch.
Robert Frost
You’ve just got to see me through another day.
James Taylor
von Lisa Kudrow
»Wie geht es Matthew Perry?«
Seit Jahren werde ich das gefragt, und es gab Zeiten, in denen es die meistgestellte Frage überhaupt war. Mir ist klar, warum so viele Leute sie stellen: Sie lieben Matthew und hoffen, dass es ihm gut geht. Doch mich hat diese Frage, vor allem von der Presse, immer gestört, weil ich nicht erwidern konnte, was ich wollte: »Das ist seine Geschichte, und ich bin wirklich nicht befugt, sie zu erzählen.« Und dann hätte ich gern noch hinzugefügt: »Das ist etwas sehr Persönliches, und wenn Sie es nicht von der betreffenden Person selbst hören, ist das meiner Meinung nach Getratsche, und ich tratsche nicht mit Ihnen über Matthew.« Aber da mir bewusst war, dass gar nichts zu sagen einen größeren Schaden hätte anrichten können, antwortete ich manchmal auch einfach: »Ich glaube, ihm geht es gut.« Damit zog ich nicht noch größere Aufmerksamkeit auf ihn und ließ ihm vielleicht die Privatsphäre, die er brauchte, um mit seiner Krankheit umzugehen. Aber ehrlich gesagt wusste ich nicht genau, wie es Matthew ging. Wie er Ihnen in diesem Buch berichten wird, hielt er es geheim. Und es dauerte eine Weile, bis er uns genug vertraute, um uns gegenüber anzudeuten, was er durchmachte. In all den Jahren habe ich nie versucht, ihn davon abzuhalten, und ihn auch nie darauf angesprochen. So wenig ich auch über Sucht wusste, mir war klar, dass ich ihn nicht dazu bringen würde, nüchtern zu werden. Und doch fragte ich mich manchmal, ob ich nicht irgendetwas tun müsse. Aber ich verstand irgendwann, dass es eine Krankheit ist, die sich erbarmungslos nährt und alles dafür tut, weiterzumachen.
Ich konzentrierte mich also auf Matthew, der mich jeden Tag zum Lachen brachte, mindestens einmal die Woche sogar so sehr, dass mir Tränen übers Gesicht liefen und ich keine Luft mehr bekam. Er war da, Matthew Perry mit dem messerscharfen Verstand … charmant, lieb, empfindsam, vernünftig und rational. Er war immer noch da, dieser Matthew, der uns alle während eines anstrengenden Nachtdrehs im Brunnen aufheitern konnte. Matthew ist der Grund dafür, dass wir im Vorspann alle lachen.
Nach Friends sah ich Matthew nicht mehr regelmäßig, und ich hätte nicht zu spekulieren gewagt, wie es ihm geht.
In diesem Buch berichtet Matthew zum ersten Mal, wie er mit seiner Sucht gelebt und sie überlebt hat. Einiges hat er mir erzählt, aber niemals so detailliert. Jetzt lässt er uns mit aller Offenheit in seinen Kopf und sein Herz blicken. Und endlich braucht mich niemand mehr zu fragen, wie es ihm geht. Er erzählt es Ihnen selbst.
Entgegen aller Wahrscheinlichkeit hat er überlebt, aber mir war nicht klar, wie oft er es beinahe nicht geschafft hätte. Schön, dass du da bist, Matty. Gut gemacht. Ich liebe dich.
Hi, ich heiße Matthew, aber Sie kennen mich vielleicht unter einem anderen Namen. Meine Freunde nennen mich Matty.
Und ich müsste längst tot sein.
Wenn Sie so wollen, betrachten Sie das, was Sie jetzt lesen, als eine Botschaft aus dem Jenseits. Meinem Jenseits.
Es war Tag Sieben der Schmerzen. Und mit Schmerzen meine ich keinen verstauchten Zeh oder Keine halben Sachen 2 – Jetzt erst recht. Ich betone Schmerzen, weil es die schlimmsten Schmerzen waren, die ich jemals hatte – sie waren Platons Idee von Schmerzen, das Paradebeispiel. Manche Menschen behaupten, die schlimmsten Schmerzen verursache eine Geburt: Tja, ich hatte die schlimmstmöglichen Schmerzen, aber ohne das Glück, hinterher ein Neugeborenes in den Armen zu halten.
Und es war nicht nur Tag Sieben der Schmerzen, sondern auch Tag Zehn ohne Bewegung. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Seit zehn Tagen war ich verstopft – jetzt verstehen Sie es. Irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung. Es war kein dumpfer, pochender Schmerz wie Kopfschmerzen, es war auch kein greller, stechender Schmerz wie die Bauchspeicheldrüsenentzündung, die ich mit dreißig hatte. Es war eine andere Art von Schmerzen. Als ob mein Körper kurz davor stand zu platzen. Als ob meine Eingeweide nach draußen drängten. Es waren erbarmungslose Schmerzen.
Und die Laute. Oh Gott, die Laute. Normalerweise bin ich ein ruhiger, zurückhaltender Typ. Aber an diesem Abend brüllte ich aus voller Kehle. In manchen Nächten, wenn der Wind günstig steht und nicht viel Verkehr ist, kann man hören, wie Kojoten in den Hollywood Hills irgendein heulendes Tier reißen. Am Anfang klingt es wie ein weit, weit entferntes Kinderlachen, bis einem klar wird, dass es etwas anderes ist – die Vorboten des Todes. Aber am schlimmsten ist es, wenn das Heulen verstummt, denn dann weiß man: Das, was da angegriffen wurde, ist tot. Es ist die Hölle.
Und ja, es gibt eine Hölle. Lassen Sie sich nichts anderes einreden. Ich war dort, es gibt sie, Ende der Durchsage.
In dieser Nacht war ich das Tier. Noch schrie ich, kämpfte mit Klauen und Zähnen ums Überleben. Stille bedeutete Tod. Ich hatte keine Ahnung, wie nah ich dem Ende war.
Zu der Zeit lebte ich in einem sober living house, einer privaten Nachsorgeeinrichtung in Südkalifornien. Das ist keine Überraschung, ich habe mein halbes Leben in irgendwelchen Suchtkliniken oder Einrichtungen verbracht. Mit 24 ist das in Ordnung, mit 42 nicht mehr so sehr. Ich war inzwischen 49 und kämpfte immer noch gegen meine Abhängigkeit.
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich mehr über Drogensucht und Alkoholismus als sämtliche Therapeuten und die meisten Ärzte, die ich in diesen Einrichtungen kennengelernt hatte. Leider ist Selbsterkenntnis nicht alles. Würde der Weg zu einem suchtfreien Leben über harte Arbeit und Wissenserwerb führen, wäre diese Bestie nichts weiter als eine schwache unangenehme Erinnerung. Um einfach zu überleben, war ich hauptberuflich Patient geworden. Ich will nichts schönreden: Mit 49 Jahren hatte ich immer noch Angst davor, allein zu sein. Sobald ich allein wäre, würde mein verrücktes Hirn (übrigens nur in diesem Bereich verrückt) irgendeine Ausrede für das Undenkbare finden: Alkohol und Drogen. Nachdem ich mein Leben jahrzehntelang damit ruinierte, habe ich Angst davor, es wieder zu tun. Ich habe kein Problem damit, vor zwanzigtausend Menschen zu sprechen, aber lasst mich einen Abend auf der Couch vor dem Fernseher allein, und ich bekomme Angst. Angst vor mir selbst, vor meinen Gedanken, davor, dass mein Kopf mich dazu drängt, Drogen zu nehmen, wie schon so oft. Mein Kopf will mich umbringen, das weiß ich. Ständig erfüllt mich eine lauernde Einsamkeit, eine Sehnsucht, die Hoffnung darauf, dass irgendetwas von außen mich rettet. Aber ich hatte schon alles, was die Außenwelt zu bieten hat.
Meine Freundin ist Julia Roberts. Scheißegal, du musst was trinken.
Ich habe gerade mein Traumhaus gekauft – mit Ausblick über die ganze Stadt. Kann ich ohne Drogendealer nicht genießen.
Ich verdiene eine Million Dollar die Woche – Jackpot, oder? Willst du was trinken? Aber ja doch, vielen Dank.
Ich hatte alles. Aber es war nur eine Illusion. Nichts davon konnte mich retten. Es sollte noch Jahre dauern, bis ich auch nur in die Nähe einer Lösung kam. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Das alles – Julia und das Traumhaus und eine Million Dollar die Woche – war wunderbar, und ich werde dafür ewig dankbar sein. Ich bin der größte Glückspilz auf Erden. Und Junge, hatte ich Spaß!
Es war bloß nicht die Antwort. Wenn ich noch einmal von vorn anfangen könnte, würde ich dann wieder für Friends vorsprechen? Aber sicher doch. Würde ich wieder trinken? Aber sicher doch. Ohne den Alkohol, der meine Nerven beruhigte und mir half, Spaß zu haben, wäre ich wahrscheinlich mit Mitte zwanzig von einem hohen Hausdach gesprungen. Mein Großvater, der wunderbare Alton L. Perry, war mit einem alkoholsüchtigen Vater aufgewachsen und hat deswegen in all seinen 96 wunderbaren Lebensjahren niemals einen Drink auch nur angerührt.
Nun, ich bin nicht mein Großvater.
Ich schreibe das alles nicht, damit man mich bemitleidet. Ich schreibe es, weil es wahr ist. Ich schreibe es, weil vielleicht auch andere verwirrt sind. Sie wissen, sie sollten mit dem Trinken aufhören – genau wie ich haben sie alle Informationen und verstehen die Konsequenzen – und können trotzdem nicht aufhören. Meine Brüder und Schwestern, ihr seid nicht allein. (Neben dem Lexikoneintrag von »süchtig« könnte ein Foto von mir stehen, wie ich verwirrt aus der Wäsche schaue.)
In der Nachsorgeeinrichtung in Südkalifornien hatte ich einen herrlichen Ausblick über West-L. A. und zwei Queensize-Betten. Im einen Bett lag ich, im anderen schlief Erin, meine Assistentin und lesbische beste Freundin. Sie ist mir wichtig, denn mit ihr genieße ich weibliche Gesellschaft, ohne all die romantischen Spannungen, die meine Freundschaften mit heterosexuellen Frauen ruiniert haben (und außerdem kann ich mit ihr über heiße Frauen reden). Zwei Jahre vorher hatte ich sie in einer anderen Entzugsklinik kennengelernt, wo sie damals arbeitete. Nüchtern wurde ich damals nicht, aber ich sah, wie wunderbar sie auf jede erdenkliche Weise war, warb sie ab und machte sie zu meiner Assistentin. Sie wurde meine beste Freundin. Auch sie kannte sich mit Abhängigkeit aus und verstand meinen Kampf besser als jeder Arzt, bei dem ich in Behandlung war.
Trotz der Beruhigung, die Erin in die Situation brachte, verbrachte ich viele schlaflose Nächte in Südkalifornien. Schlaf ist ein echtes Problem für mich, vor allem in so einer Einrichtung. Aber davon abgesehen habe ich vermutlich in meinem ganzen Leben nie länger als vier Stunden am Stück geschlafen. Dass wir eine Gefängnisdoku nach der anderen schauten, machte es nicht besser: All das Xanax, das ich genommen hatte, hatte mein Hirn so weichgekocht, dass ich überzeugt war, ich sei selbst ein Insasse und die Einrichtung ein Knast. Das Mantra eines meiner Therapeuten lautet: »Die Wirklichkeit ist ein erworbener Geschmack.« Tja, zu diesem Zeitpunkt hatte ich sowohl den Geschmacks- als auch den Geruchssinn für die Wirklichkeit verloren, ich litt an Covid des Verstandes, ich war komplett wahnhaft.
An den Schmerzen hingegen war nichts wahnhaft. Es tat so weh, dass ich sogar aufgehört hatte zu rauchen, und wenn man bedenkt, wie viel ich vorher geraucht hatte, war das ein ziemlich deutliches Zeichen dafür, dass etwas im Argen lag. Eine Mitarbeiterin, auf deren Namensschildchen auch gut »Schwester Arschgesicht« hätte stehen können, schlug vor, ich solle ein heißes Bad gegen das »Unwohlsein« nehmen. Zu einem Verkehrsunfall nimmt man doch auch kein Pflaster mit, und man steckt niemanden mit solchen Schmerzen in die Wanne und lässt ihn im eigenen Saft schmoren. Aber die Wirklichkeit ist ein erworbener Geschmack, Sie erinnern sich, also nahm ich das Bad.
Da saß ich also nackt, elend und heulte wie ein Hund, der von Kojoten zerfetzt wird. Erin hörte mich – Scheiße, wahrscheinlich hörte man mich sogar noch in San Diego. Sie tauchte in der Badezimmertür auf, musterte meine traurige, nackte Gestalt von oben bis unten, während ich mich vor Schmerzen krümmte, und sagte bloß: »Willst du ins Krankenhaus?«
Wenn Erin fand, es sei so schlimm, dass ich ins Krankenhaus müsse, dann war es so schlimm, dass ich ins Krankenhaus musste. Außerdem hatte sie schon bemerkt, dass ich nicht mehr rauchte.
»Das hört sich nach einer verdammt guten Idee an«, sagte ich heulend.
Irgendwie half Erin mir aus der Wanne und trocknete mich ab. Während ich mich wieder anzog, erschien eine Therapeutin – vermutlich angelockt von dem Hundemassaker in der Einrichtung.
»Ich bringe ihn ins Krankenhaus«, sagte Erin.
Catherine, die Therapeutin, war eine hübsche blonde Frau, der ich bei meiner Ankunft einen Heiratsantrag gemacht hatte, also war sie nicht gerade mein größter Fan. (Kein Witz, als ich angekommen war, hatte ich so neben mir gestanden, dass ich sie fragte, ob sie mich heiraten wolle, und war dann prompt die Treppe hinuntergefallen.)
»Das ist bloß eine Masche, um an Drogen zu kommen«, sagte Catherine zu Erin, während ich mich weiter anzog. »Im Krankenhaus wird er um Medikamente bitten.«
Tja, die Hochzeit ist vom Tisch, dachte ich.
Inzwischen hatte das Heulen andere gewarnt, dass entweder der Badezimmerboden voller Hundeeingeweide war oder jemand ernsthafte Schmerzen hatte. Der Cheftherapeut, Charles – stellen Sie ihn sich so vor: Vater Model, Mutter obdachlos –, postierte sich neben Catherine in die Tür, um uns den Weg zu versperren.
Uns den Weg zu versperren? Waren wir zwölf Jahre alt oder was?
»Er ist unser Patient«, sagte Catherine. »Sie haben kein Recht, ihn mitzunehmen.«
»Ich kenne Matty«, beharrte Erin. »Er versucht nicht an Medikamente zu kommen.«
Sie drehte sich zu mir um.
»Musst du ins Krankenhaus, Matty?«
Ich nickte und schrie wieder.
»Dann bringe ich ihn hin«, sagte Erin.
Irgendwie schafften wir es an Catherine und Charles vorbei, aus dem Gebäude und auf den Parkplatz. »Irgendwie« sage ich nicht, weil Catherine und Charles ernsthaft versuchten, uns aufzuhalten, sondern weil die Schmerzen jedes Mal, sobald meine Füße den Boden berührten, noch entsetzlicher wurden.
Oben am Himmel stand ein leuchtend gelber Ball, der vorwurfsvoll zu mir hinunterblickte und sich nicht um meine Qualen scherte.
Was ist das?, dachte ich zwischen meinen Krämpfen. Ach ja, genau, die Sonne … Ich kam nicht viel raus.
»Ich komme mit einem Prominenten mit schwerwiegenden Unterleibsschmerzen«, sagte Erin in ihr Telefon, während sie das Auto aufschloss. Ein Auto ist ein gewöhnlicher, alltäglicher Gebrauchsgegenstand, jedenfalls so lange, bis man nicht mehr damit fahren darf. Dann wird es plötzlich zu einer magischen Kiste der Freiheit und einem Symbol für ein vergangenes erfolgreiches Leben. Erin verfrachtete mich auf den Beifahrersitz, und ich lehnte mich zurück. Mein Bauch verknotete sich vor Schmerzen.
Erin setzte sich auf den Fahrersitz, drehte sich zu mir um und fragte: »Willst du auf dem schnellsten Weg hin, oder soll ich den Schlaglöchern ausweichen?«
»Fahr einfach«, stieß ich hervor.
Inzwischen hatten Charles und Catherine ihren Einsatz erhöht, um unsere Abfahrt zu verhindern. Sie stellten sich vor unseren Wagen und versperrten uns den Weg. Charles streckte uns die erhobenen Handflächen entgegen, als wollte er »Nein!« sagen, als könnte man ein anderthalb Tonnen schweres Fahrzeug mit bloßen Händen stoppen.
Zu allem Überfluss konnte Erin den Wagen nicht starten. Man zündet den Motor, indem man das Auto laut dazu auffordert, Sie wissen ja, ich war bei Friends. Catherine und die Handflächen rührten sich nicht. Sobald Erin herausgefunden hatte, wie man das verdammte Ding anließ, blieb ihr nur noch eins: Sie ließ den Motor aufheulen, legte einen Gang ein, riss den Wagen herum und donnerte auf einen Bordstein. Die Erschütterung fuhr mir durch den ganzen Körper, und beinahe wäre ich auf der Stelle gestorben. Mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig raste sie an Catherine und Charles vorbei und auf die Straße. Sie blickten uns einfach nach, auch wenn ich Erin zu diesem Zeitpunkt am liebsten gebeten hätte, sie umzufahren – nicht aufhören können zu schreien, ist ein wirklich beängstigender Zustand.
Wenn ich das alles nur getan hätte, um an Medikamente zu kommen, hätte ich einen Oscar verdient.
»Achtest du auf die Bodenwellen? Ich weiß nicht, ob du es gemerkt hast, aber mir geht es gerade nicht gut. Fahr langsamer«, flehte ich sie an. Uns beiden liefen Tränen über die Wangen.
»Ich muss so schnell fahren«, sagte Erin und sah mich mit ihren mitfühlenden braunen Augen an. »Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Ungefähr an dieser Stelle verlor ich das Bewusstsein. (Eine Zehn auf der Schmerzskala ist übrigens Bewusstlosigkeit.)
[Kleiner Hinweis: Auf den nächsten Seiten ist dieses Buch eher Biografie als Autobiografie, denn ich war nicht mehr dabei.]
Das nächstgelegene Krankenhaus war Saint John’s. Da Erin so vorausschauend gewesen war und angekündigt hatte, dass ein Promi auf dem Weg sei, wurden wir direkt an der Notaufnahme erwartet. Bei ihrem Anruf war Erin nicht bewusst gewesen, wie schlimm es tatsächlich um mich stand, ihr war es um meine Privatsphäre gegangen. Aber die Leute im Krankenhaus erkannten, dass es ernst war, und brachten mich eilig in den Behandlungsraum. Dort sagte ich angeblich: »Erin, warum sind da Pingpong-Bälle auf der Couch?«
Es gab gar keine Couch, und es gab auch keine Pingpong-Bälle, ich halluzinierte. (Ich wusste nicht, dass Schmerzen Halluzinationen auslösen können, aber so ist es.) Dann setzte die Wirkung des Dilaudid ein (für mich das beste Medikament auf der ganzen Welt), und ich kam kurz zu Bewusstsein.
Man sagte mir, ich müsse unverzüglich operiert werden, und auf einmal stand sämtliches Pflegepersonal Kaliforniens in meinem Zimmer. Eine Krankenschwester wandte sich an Erin und sagte: »Machen Sie sich bereit zu rennen.« Erin war bereit, und wir rannten – na gut, die anderen rannten, ich wurde mit Hochgeschwindigkeit in einen OP-Saal geschoben. Nur wenige Sekunden, nachdem ich Erin angefleht hatte: »Bitte geh nicht«, bat man sie zu gehen, dann schloss ich die Augen und öffnete sie erst zwei Wochen später wieder.
Jawohl, Ladys und Gentleman, ein Koma. (Und die Idioten aus der Nachsorgeeinrichtung wollten uns ernsthaft den Weg versperren?)
Kaum lag ich im Koma, erbrach ich mich in mein Beatmungsgerät, weshalb mir der Scheiß der letzten zehn Tage direkt in die Lunge geriet. Meiner Lunge gefiel das nicht besonders – die Folge: Lungenentzündung –, und dann platzte mir der Dickdarm. Ich wiederhole es noch mal für alle in den hinteren Reihen: Mein Dickdarm platzte. Man hat mir schon öfter vorgeworfen, ich hätte nur Scheiße im Kopf, diesmal stimmte es, wenn auch an anderer Stelle.
Ich bin so froh, dass ich nicht dabei war.
Zu dem Zeitpunkt war ich mir so gut wie sicher, dass ich sterben würde. War es Pech, dass mir der Dickdarm platzte? Oder war es Glück, weil es ausgerechnet in dem einzigen Raum in Südkalifornien geschah, wo man etwas dagegen tun konnte? Wie auch immer, mir stand eine siebenstündige Operation bevor, die immerhin all meinen Angehörigen genug Zeit verschaffte, ins Krankenhaus zu rasen. Als sie ankamen, hieß es: »Matthews Chancen, die Nacht zu überstehen, liegen bei zwei Prozent.«
Sie waren so verzweifelt, dass einige direkt in der Krankenhauslobby zusammenbrachen. Ich werde den Rest meines Lebens mit dem Wissen zubringen müssen, dass meine Mutter und andere diese Worte gehört haben.
Da die OP sieben Stunden dauern würde und meine Freunde und Verwandten zuversichtlich waren, dass die Ärzte alles in ihrer Macht Stehende tun würden, gingen sie nach Hause, um sich ein wenig auszuruhen, während mein Unterbewusstsein zwischen Messern, Schläuchen und Blut ums Überleben kämpfte.
Spoiler: Ich überstand die Nacht. Aber über den Berg war ich nicht. Meinen Angehörigen wurde mitgeteilt, das Einzige, das mich kurzfristig am Leben halten könne, sei eine ECMO-Maschine. ECMO steht für Extrakorporale Membranoxygenierung, es ist häufig ein letzter verzweifelter Versuch. In jener Woche waren zum Beispiel vier Patienten in den Kliniken der UCLA an eine ECMO angeschlossen worden, und alle waren gestorben.
Und es kam noch schlimmer: Im Saint John’s gab es keine ECMO. Das Cedars-Sinai wurde angerufen, dort warf man einen Blick auf meine Krankenakte, und dann hieß es: »Matthew Perry stirbt nicht in unserem Krankenhaus.«
Vielen Dank auch.
Das UCLA Medical Center wollte mich auch nicht aufnehmen – aus demselben Grund? Wer weiß das schon? –, aber immerhin erklärten sie sich bereit, eine ECMO-Maschine und das entsprechende Personal zu schicken. Ich wurde mehrere Stunden daran angeschlossen, und es schien zu funktionieren. Schließlich wurde ich in einem Rettungswagen voller Ärzte und Pfleger ins UCLA verlegt. (Mit dem Auto hätte ich die fünfzehnminütige Fahrt unmöglich überlebt, schon gar nicht bei Erins Fahrweise.)
Dort wurde ich auf die Herz-Lungen-Intensivstation gebracht, die für die nächsten sechs Wochen mein Zuhause sein sollte. Ich war noch immer im Koma, aber ganz ehrlich, ich glaube, es hätte mir gefallen. Ich lag gemütlich im Bett und bekam Medikamente in die Venen gepumpt – was könnte schöner sein?
Hinterher habe ich erfahren, dass ich während meines Komas nie allein war, keine Minute. Immer war ein Familienmitglied oder ein Freund bzw. eine Freundin bei mir im Zimmer. Sie hielten Kerzenlicht-Wachen ab oder beteten, ich war von Liebe umgeben.
Und irgendwann schlug ich auf wundersame Weise die Augen auf.
[Zurück zur Autobiografie.]
Als Erstes sah ich meine Mutter.
»Was ist los?«, krächzte ich. »Wo bin ich?«
Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war, dass ich neben Erin im Auto gesessen hatte.
»Dein Dickdarm ist geplatzt«, sagte meine Mutter.
Nach dieser Aussage tat ich, was jeder anständige Comedy-Schauspieler getan hätte: Ich verdrehte die Augen und schlief wieder ein.
Ich habe gehört, wenn es jemandem richtig schlecht gehe, komme es zu einer Art Verdrängung, so als ob Gott einem nur so viel zumutet, wie man auch ertragen kann. Bei mir äußerte sich das so: In den Wochen nach meinem Koma wollte ich von niemandem hören, was genau passiert war. Zu groß war meine Furcht, es könnte meine Schuld gewesen sein, ich könnte mir das selbst angetan haben. Anstatt also darüber zu reden, tat ich das Einzige, was ich tun konnte: Ich konzentrierte mich auf meine Familie, verbrachte Stunden mit meinen wunderbaren Schwestern Emily, Maria und Madeline, die lustig und fürsorglich und einfach da waren. Nachts war Erin bei mir – ich war nie wieder allein.
Eines Tages beschloss Maria, der Mittelpunkt der Perry-Familie, es sei an der Zeit, dass ich erführe, was passiert sei. Während ich also angeschlossen an fünfzig Kabel wie ein Roboter im Bett lag, klärte Maria mich auf. Meine schlimmste Angst bestätigte sich: Ich hatte mir das angetan, es war meine Schuld.
Ich weinte – Junge, habe ich geweint. Maria gab ihr Bestes, mich zu trösten, aber für mich gab es keinen Trost. Ich hätte mich beinahe umgebracht. Ich war nie ein großer Partygänger gewesen, die vielen Drogen (und es waren wirklich viele) waren immer nur ein vergeblicher Versuch gewesen, mich besser zu fühlen. Damit hatte ich mich beinahe ins Grab gebracht. Und trotzdem war ich immer noch da, ich lebte. Warum? Warum war ich verschont worden?
Doch bevor es besser werden konnte, wurde es schlimmer.
Jeden Morgen kam einer der Ärzte in mein Zimmer und brachte neue schlechte Nachrichten. Alles, was schiefgehen konnte, ging schief. Ich trug bereits einen Stomabeutel – immerhin einen vorübergehenden, Gott sei Dank –, doch jetzt hatte ich anscheinend eine Fistel, ein Loch im Darm. Das Problem war, sie konnten es nicht finden. Um das zu ändern, bekam ich einen weiteren Beutel angehängt, aus dem eine eklige grüne Flüssigkeit sickerte. Doch dieser neue Beutel bedeutete, dass ich nichts essen oder trinken durfte, bis sie die Fistel gefunden hätten. Sie suchten jeden Tag danach und mein Durst wurde größer und größer. Ich bettelte förmlich um eine Cola light, und in meinen Träumen verfolgte mich eine riesige Dose Sprite light. Nach einem Monat – einem Monat! – fanden sie die Fistel endlich in einer Darmwindung hinter meinem Dickdarm. Ich dachte nur: Hey Leute, wenn ihr nach einem Loch in meinen Eingeweiden sucht, warum fangt ihr nicht bei dem Teil an, der VERDAMMTNOCHMAL explodiert ist? Nachdem sie das Loch repariert hatten, konnte ich anfangen, wieder laufen zu lernen.
Dass ich auf dem Weg der Besserung war, wurde mir bewusst, als ich begann, die mir zugewiesene Therapeutin attraktiv zu finden. Gut, ich hatte eine riesige Narbe auf dem Bauch, aber ich war sowieso noch nie der Typ gewesen, der ständig oben ohne rumläuft. Ich bin nicht Matthew McConaughey, und beim Duschen mache ich einfach die Augen zu.
Wie ich schon sagte, während der ganzen Zeit in den Krankenhäusern war ich nie allein, kein einziges Mal. Es gibt also tatsächlich Licht in der Dunkelheit. Es ist da – man muss nur gründlich genug danach suchen.
Nach fünf langen Monaten wurde ich entlassen. Man sagte mir, innerhalb eines Jahres werde alles in mir so weit heilen, dass der Stomabeutel in einer zweiten Operation wieder entfernt werden könne. Aber jetzt packten wir erst einmal meine Taschen und machten uns auf den Heimweg.
Außerdem bin ich Batman.
Niemand denkt, dass ihm etwas richtig Schlimmes widerfahren wird. Bis es dann passiert. Und niemand überlebt einen Darmdurchbruch, eine Aspirationspneumonie und eine ECMO. Bis es jemand überlebt.
Ich.
Während ich dies schreibe, sitze ich in einem gemieteten Haus mit Blick auf den Pazifik. (Mein eigenes Haus in derselben Straße wird gerade renoviert – angeblich wird es sechs Monate dauern, also rechne ich mit einem Jahr.) Zwei Bussarde kreisen unter mir im Canyon, der von Pacific Palisades bis hinunter zum Meer verläuft. Es ist ein herrlicher Frühlingstag in Los Angeles. Heute Morgen habe ich neue Bilder aufgehängt – oder vielmehr aufhängen lassen, ich bin handwerklich nicht so begabt. Seit ein paar Jahren interessiere ich mich für Kunst, und wer genau hinschaut, kann vielleicht den einen oder anderen Banksy entdecken. Ich arbeite gerade an der zweiten Fassung eines Drehbuchs. In meinem Glas ist frische Cola light, und in der Tasche habe ich eine volle Schachtel Marlboros. Manchmal genügt mir das.
Manchmal.
Immer wieder komme ich auf diese eine unbestreitbare Tatsache zurück: Ich lebe. Angesichts meiner Überlebenschancen sind diese beiden Worte ein größeres Wunder, als man sich vorstellen kann. Für mich haben sie ein seltsames Funkeln, wie Gesteinsbrocken von einem fremden Planeten. Niemand kann es so recht glauben. Es ist schon schräg, in einer Welt zu leben, in der es die Leute zwar schockiert, aber niemanden gewundert hätte, wenn ich gestorben wäre.
Diese beiden Worte – ich lebe – erfüllen mich vor allem mit einer tiefen Dankbarkeit. Wenn man dem Himmel so nah war wie ich, bleibt einem gar nichts anderes übrig. Die Dankbarkeit liegt auf dem Couchtisch wie ein großer Bildband – irgendwann bemerkt man sie kaum noch, aber sie ist da. Doch unter der Dankbarkeit, irgendwo tief unter dem leichten Anis-Lakritz-Aroma der Cola light und unter dem Zigarettenrauch in meiner Lunge ist immer noch dieser bohrende Schmerz.
Immer wieder muss ich mir die überwältigende Frage stellen: Warum? Warum lebe ich noch? Ich ahne die Antwort, aber noch ist sie nicht vollständig ausgebildet. Sie hat irgendetwas damit zu tun, Menschen zu helfen, aber wie genau, das weiß ich nicht. Das Beste an mir ist sicherlich, wenn ein anderer Alkoholiker auf mich zukommt und mich fragt, ob ich ihm helfen könne mit dem Trinken aufzuhören: Dann sage ich Ja und tue es. Ich kann einem Verzweifelten helfen, nüchtern zu werden. Ich glaube, irgendwo darin liegt die Antwort auf die Frage »Warum lebe ich noch?« Und tatsächlich ist es das Einzige, das sich wahrhaftig gut anfühlt. Es ist unbestreitbar, dass es einen Gott gibt.
Aber ich kann diese Frage nach dem Warum nicht beantworten, wenn ich das Gefühl habe, nicht genug zu sein. Man kann nichts geben, was man selbst nicht besitzt, und so oft habe ich diese quälenden Gedanken: Ich bin nicht genug, ich bin nicht wichtig, ich verlange zu viel. Die Gedanken machen mich unruhig. Ich brauche Liebe, aber ich traue ihr nicht. Wenn ich meine Chandler-Maske ablege, wenn ich zeige, wer ich wirklich bin, dann würde man mich wirklich sehen, oder schlimmer noch, mich sehen und verlassen. Und das ertrage ich nicht. Das würde ich nicht überleben. Nicht mehr. Ich würde mich in ein Staubkörnchen verwandeln und auflösen.
Also gehe ich zuerst. Ich rede mir irgendeinen Grund ein, was mit den Frauen nicht stimmt, und irgendwann glaube ich es. Und verlasse sie. Aber es kann doch nicht sein, dass mit allen etwas nicht stimmt, Matso. Was ist hier der gemeinsame Nenner?
Und jetzt diese Narben auf dem Bauch. Die gescheiterten Beziehungen. Die Trennung von Rachel. (Nein, nicht die Rachel. Die richtige. Die Ex-Freundin meiner Träume. Rachel.) Das alles verfolgt mich, wenn ich nachts um vier wach liege, in meinem Haus in Pacific Palisades mit der schönen Aussicht. Ich bin 53. Jetzt ist das nicht mehr so charmant.
Alle Häuser, in denen ich bisher gewohnt habe, hatten eine schöne Aussicht. Das ist mir das Wichtigste.
Als Fünfjähriger wurde ich mit dem Flugzeug vom kanadischen Montreal, wo ich mit meiner Mutter lebte, nach Los Angeles in Kalifornien geschickt, wo ich meinen Vater besuchen sollte. Ich war ein »alleinreisendes Kind« (zwischenzeitlich sollte das auch der Titel dieses Buches werden). Damals war es üblich, seine Kinder allein in den Flieger zu stecken. Das machte man eben so. Es war vielleicht nicht richtig, aber trotzdem gängige Praxis. Etwa eine Millisekunde lang glaubte ich, es würde ein spannendes Abenteuer werden, doch dann wurde mir klar, dass ich viel zu klein war und das alles schrecklich beängstigend (und wahnsinnig) war. Warum hat mich keiner abgeholt? Ich war fünf! Sind denn alle verrückt geworden?
Wegen dieser einen Entscheidung habe ich Hunderttausende von Dollar für Therapien ausgegeben. Kann ich die bitte zurückbekommen?
Als alleinreisendes Kind im Flugzeug bekommt man jede Menge Annehmlichkeiten, unter anderem ein Schild um den Hals, auf dem »Alleinreisendes Kind« steht, dazu frühes Boarding, eine Lounge nur für Kinder, mehr Snacks, als man essen kann, jemanden, der einen ins Flugzeug begleitet … Es hätte alles ganz wunderbar sein können. (Später, als Promi, bekam ich all diese Annehmlichkeiten auch, und noch viel mehr, aber mich erinnerten sie jedes Mal an diesen ersten Flug, deshalb hasste ich sie.) Die Flugbegleiterinnen sollten sich eigentlich um mich kümmern, aber sie waren zu beschäftigt damit, in der Holzklasse Champagner zu servieren (so war das damals in den liberalen Siebzigern). Die Maximal-zwei-Drinks-Regel war kurz zuvor aufgehoben worden, also fühlte sich der Flug an wie sechs Stunden in Sodom und Gomorrha. Überall hing der Dunst von Alkohol, der Typ neben mir hatte bestimmt zehn Whiskys intus (nach ein paar Stunden hörte ich auf zu zählen). Ich verstand nicht, wieso Erwachsene immer und immer wieder das Gleiche trinken wollten. Ach, diese Unschuld.
Wann immer ich mich traute – was nicht sehr häufig war –, drückte ich auf den kleinen Service-Knopf. Dann kam eine der Flugbegleiterinnen vorbei – in ihren hohen Siebzigerjahre-Stiefeln und knappen Shorts –, zerzauste mir die Haare und ging weiter.
Ich hatte furchtbare Angst. Ich versuchte, mein Highlights-Heft zu lesen, aber jedes Mal, wenn das Flugzeug in leichte Turbulenzen geriet, war ich mir sicher, dass ich sterben würde. Ich hatte niemanden, der mir sagte, dass alles in Ordnung sei, niemanden, der mich beruhigen konnte. Meine Füße reichten nicht bis zum Boden. Ich war zu verängstigt, um den Sitz zurückzulehnen und ein Nickerchen zu machen, also blieb ich wach, wartete auf die nächsten Turbulenzen und stellte mir vor, wie es sein würde, zehn Kilometer tief zu fallen.
Ich fiel nicht, zumindest nicht wortwörtlich. Irgendwann begann das Flugzeug seinen Landeanflug in den herrlichen kalifornischen Abend. Ich sah helle Lichter, die Straßen leuchteten wie ein großartiger funkelnder Zauberteppich, dazwischen riesige dunkle Flächen, die, wie ich heute weiß, die Hollywood Hills sind. Die Stadt pulsierte mir entgegen, während ich mein kleines Gesicht gegen die Fensterscheibe drückte, und ich erinnere mich noch genau, dass ich dachte, dass all diese Lichter, all die Schönheit, bedeuteten, dass ich bald meinen Vater wiederhaben würde.
Ohne Eltern in diesem Flugzeug zu sitzen, ist einer von vielen Gründen, weshalb ich mich mein Leben lang verlassen gefühlt habe. Wenn ich gut genug gewesen wäre, dann hätte sie mich doch nicht allein reisen lassen, oder? Die anderen Kinder hatten doch auch ihre Eltern bei sich. Ich hatte nur ein Schild und eine Zeitschrift.
Deshalb müssen alle meine Häuser – und ich hatte viele (ich habe es nie lange irgendwo ausgehalten) – eine Aussicht haben. Ich brauche das Gefühl, auf Sicherheit hinunterzuschauen, dorthin, wo jemand auf mich wartet, einen Ort, wo Liebe ist. Dort unten, irgendwo in diesem Tal, oder in diesem unermesslichen Ozean jenseits des Pacific Coast Highway, auf den glänzenden Schwingen der Bussarde, da ist Fürsorge. Da ist Liebe. Da ist mein Zuhause. Jetzt kann ich mich sicher fühlen.
Wieso saß dieser kleine Junge allein in einem Flugzeug? Warum ist niemand nach Kanada gekommen und hat ihn abgeholt? Das ist eine Frage, über die ich oft nachdenke, aber die ich mich nie zu stellen getraut habe.
Ich bin kein großer Freund von Konfrontation. Ich habe eine Menge Fragen. Ich spreche sie bloß nicht aus.
Lange Zeit habe ich versucht, alles und jeden dafür verantwortlich zu machen, was in meinem Leben schieflief.
Ich habe einen Großteil meines Lebens in Krankenhäusern verbracht. Krankenhäuser machen selbst die Stärksten von uns selbstmitleidig, und ich bin richtig gut darin, mich selbst zu bemitleiden. Jedes Mal, wenn ich daliege, denke ich an mein bisheriges Leben zurück, drehe jeden einzelnen Moment hierhin und dorthin wie ein Archäologe ein seltsames Fundstück bei einer Ausgrabung, und versuche zu verstehen, wieso ich einen so großen Teil meines Lebens mit Unwohlsein und emotionalen Schmerzen zu kämpfen hatte. (Woher die körperlichen Schmerzen kamen, war mir immer völlig klar. Die Antwort lautete: Tja, du trinkst eben zu viel, Arschloch.)
Anfangs wollte ich meinen liebevollen, wohlmeinenden Eltern die Schuld geben … liebevoll, wohlmeinend und zu allem Überfluss unfassbar attraktiv.
Gehen wir zurück zu jenem Freitag, dem 28. Januar 1966 – an die Waterloo Lutheran University in Ontario.
Hier findet gerade zum fünften Mal die jährliche Wahl zur Miss Canadian University Snow Queen statt (nach den Kriterien Intelligenz, Teilnahme an studentischen Aktivitäten, Persönlichkeit sowie Schönheit). Die Kanadier scheuen keine Kosten und Mühen, um ihre neue Miss CUSQ zu küren, angekündigt sind »eine Fackelparade mit Flößen, Bands und den Kandidatinnen« sowie »ein Essen im Freien und ein Eishockeyspiel«.
Eine der Kandidatinnen ist eine gewisse Suzanne Langford – sie startet als Elfte und vertritt die University of Toronto. Gegen sie konkurrieren Schönheiten mit klangvollen Namen wie Ruth Shaver aus British Columbia, Martha Quail aus Ottawa und sogar eine Helen »Chickie« Fuhrer aus McGill, die sich vermutlich nur deshalb Chickie nennt, um ihren etwas unpassenden Nachnamen abzumildern, schließlich ist der Zweite Weltkrieg gerade mal zwei Jahrzehnte her.
Doch all die jungen Frauen sind keine Konkurrenz für die schöne Miss Langford. An diesem eisigen Januartag krönt die Gewinnerin des letztjährigen Wettbewerbs ihre Nachfolgerin, die fünfte Miss Canadian University Snow Queen, und mit der Ehre kommen eine Schärpe und Verantwortung: Es ist nun Miss Langfords Aufgabe, die Krone im kommenden Jahr weiterzureichen.
Der Wettbewerb im Folgejahr war ähnlich aufregend. 1967 sollte ein Konzert der Serendipity Singers stattfinden, eine Combo nach Art von The Mamas and the Papas, deren Leadsänger zufällig ein gewisser John Bennett Perry war. Die Serendipity Singers waren selbst in den folk-affinen Sechzigern eine Anomalie: Ihr größter (und einziger) Hit, »Don’t Let the Rain Come Down«, war eine Abwandlung eines englischen Kinderreims, aber er erreichte im Mai 1964 Platz 2 der Radiocharts und Platz 6 der Billboard Top 100. Doch dieser Erfolg wurde gewissermaßen relativiert, denn die Beatles hatten prominent die komplette Top 5 besetzt: »Can’t Buy Me Love«, »Twist and Shout«, »She Loves You«, »I Want to Hold Your Hand« und »Please, Please Me«. John Perry störte das nicht, er war unterwegs, ein einfacher Musiker, der mit Singen seine Brötchen verdiente, und was hätte schöner sein können als ein Auftritt bei der Miss Canadian Snow Queen Gala in Ontario?
Da stand er also und sang fröhlich: »Now this crooked little man and his crooked cat and mouse, they all live together in a crooked little house« (also: »Dieser schräge kleine Mann und seine schräge Katz und Maus, leben all’ zusammen in einem schrägen kleinen Haus«),und flirtete über das Mikrofon hinweg mit der letztjährigen Miss Canadian Snow Queen, Suzanne Langford. Zu dem Zeitpunkt waren die beiden die umwerfendsten Menschen auf der ganzen Welt – Sie sollten mal die Hochzeitsfotos sehen: man möchte in ihre perfekt modellierten Gesichter schlagen. Sie hatten keine Chance. Wenn zwei Menschen so schön sind, werden sie unweigerlich voneinander angezogen.
Dem Flirten folgte das Tanzen, sobald John seinen Auftritt hinter sich hatte, und damit hätte die Geschichte zu Ende sein können, wenn nicht ein heftiger, schicksalsträchtiger Schneesturm die Serendipity Singers daran gehindert hätte, die Stadt zu verlassen.
So treffen also die Hauptfiguren aufeinander: Der Folksänger und die Schönheitskönigin verlieben sich 1967 in einer eingeschneiten kanadischen Stadt. Der schönste Mann der Welt trifft die schönste Frau der Welt. Alle anderen hätten ruhig nach Hause gehen können.
John Perry blieb über Nacht, und Suzanne Langford war ziemlich glücklich darüber. Etwa ein oder zwei Jahre später fand sie sich in Williamstown, Massachusetts wieder, woher John stammte, und in ihr teilten sich Zellen und wuchsen heran. Vielleicht ging bei diesen einfachen Teilungen irgendetwas schief, wer weiß das schon – ich weiß bloß, dass Sucht eine Krankheit ist, und genau wie meine Eltern, als sie sich kennenlernten, hatte ich keine Chance.
Ich wurde am 19. August 1969, einem Dienstag geboren, als Sohn von John Bennett Perry, dem ehemaligen Sänger der Serendipity Singers, und Suzanne Marie Langford, der früheren Miss Canadian University Snow Queen. In der Nacht meiner Geburt gab es einen heftigen Sturm (natürlich), alle spielten Monopoly und warteten auf meine Ankunft (natürlich). Ich erblickte das Licht der Welt etwa einen Monat nach der Mondlandung und einen Tag, nachdem Woodstock zu Ende gegangen war, also irgendwo zwischen der kosmischen Perfektion der Himmelskörper und dem ganzen Shit unten auf Yasgurs Farm begann mein Leben und brachte irgendjemanden um die Gelegenheit, ein Hotel auf die Schlossallee zu bauen.
Ich kam schreiend auf die Welt, und ich hörte nicht damit auf. Wochenlang. Ich hatte Koliken, meine Verdauung war von Anfang an ein Problem. Meine Eltern wurden fast wahnsinnig, so viel schrie ich. Wahnsinnig? Besorgt, also brachten sie mich zum Arzt. Es war 1969, also Steinzeit verglichen mit heute. Aber abgesehen davon weiß ich nicht, wie weit entwickelt eine Zivilisation sein muss, um zu verstehen, dass es ein, milde ausgedrückt, interessanter Ansatz der Kindermedizin ist, einem gerade einmal zwei Monate alten Baby Phenobarbital zu verabreichen. Aber es war in den Sechzigern nicht allzu selten, Eltern mit einem kolikgeplagten Baby ein starkes Beruhigungsmittel zuzustecken. Einige der älteren Ärzte schworen darauf.
Lassen Sie mich eins klarstellen: Ich mache meinen Eltern keinen Vorwurf. Das Kind weint die ganze Zeit, eindeutig stimmt irgendwas nicht. Der Arzt verschreibt ein Medikament, und er ist nicht der Einzige, der das für eine gute Idee hält, man gibt dem Kind das Medikament, es hört auf zu schreien. Es waren andere Zeiten.
Da hockte ich also auf den Knien meiner gestressten Mutter, brüllte über ihre 21-jährige Schulter, während irgendein Dinosaurier in einem weißen Kittel, der kaum von seinem breiten Eichenschreibtisch aufblickte, leise mit der Zunge schnalzte und »diese Eltern heutzutage« murmelte und ihr ein Rezept für ein höchst abhängig machendes Barbiturat ausstellte.
Ich war laut und bedürftig und wurde mit einer Pille ruhiggestellt. (Hm, also wie in meinen Zwanzigern.)
Man hat mir gesagt, dass ich das Phenobarbital in meinem zweiten Lebensmonat bekam, also im Alter von dreißig bis sechzig Tagen. Das ist eine entscheidende Zeit für die Entwicklung eines Babys, vor allem, wenn es ums Schlafen geht. (Fünfzig Jahre später schlafe ich immer noch nicht gut.) Sobald das Beruhigungsmittel wirkte, war ich wie ausgeschaltet. In einem Augenblick weinte ich, dann setzte die Wirkung ein, und ich war k.o., woraufhin mein Vater in lautes Lachen ausbrach. Er meinte es nicht böse, sedierte Babys sind lustig. Es gibt Babyfotos von mir, auf denen man genau erkennt, dass ich vollkommen stoned bin, weggetreten wie ein sieben Wochen alter Junkie. Und für ein Kind, das einen Tag nach Woodstock geboren wurde, ist das wohl auch seltsam passend.
Ich war ein schwieriges Kind, ich war nicht der süße, fröhliche Säugling, den sich alle gewünscht hatten. Ich nehme einfach die Pillen und bin ruhig.
Ironischerweise hatten die Barbiturate und ich über die Jahre eine sehr seltsame Beziehung. Es überrascht viele, dass ich seit 2001 überwiegend nüchtern gewesen bin. Abgesehen von etwa sechzig oder siebzig kleinen Ausrutschern in dieser Zeit. Wenn diese Ausrutscher vorkommen und man wieder nüchtern werden will – und das wollte ich jedes Mal –, dann bekommt man Medikamente, die einem dabei helfen. Welches Medikament das wohl ist? Sie ahnen es: Phenobarbital. Barbiturate beruhigen Sie, während Sie versuchen, all den anderen Mist aus Ihrem Körper herauszubekommen, und hey, ich habe meine ersten im Alter von dreißig Tagen bekommen, also machte ich als Erwachsener einfach da weiter, wo ich aufgehört hatte. Während der Entgiftung bin ich sehr anstrengend und unerträglich – es tut mir leid, aber ich bin der schlimmste Patient der Welt.
Entzug ist die Hölle. Es bedeutet, im Bett zu liegen, die Sekunden verstreichen zu sehen und sich nicht einmal ansatzweise okay zu fühlen. Während der Entgiftung glaube ich zu sterben. Ich habe das Gefühl, es würde nie enden. Es kommt mir vor, als wollten meine Eingeweide aus meinem Körper herauskriechen. Ich zittere und schwitze. Ich bin wieder ein Baby, dem keine Pille gegeben wurde, damit es ihm besser geht. Ich habe mich für vier Stunden Rausch entschieden, obwohl ich weiß, dass ich danach sieben Tage in der Hölle sein werde. (Ich sagte ja schon, dass ich in der Hinsicht verrückt bin.) Manchmal muss ich mich Monate am Stück wegsperren lassen, um diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Während des Entzugs ist »Okay« nur eine ferne Erinnerung, irgendetwas für kitschige Postkarten. Ich bettle wie ein Kind um irgendein Medikament, das hilft, die Symptome zu lindern – ein erwachsener Mann, der um Erlösung fleht, während er vermutlich zur selben Zeit gut aussehend auf dem Cover von People prangt. Ich würde auf alles verzichten, jedes Auto, jedes Haus, all mein Geld, damit es aufhört. Und wenn der Entzug endlich abgeschlossen ist, dann überschwemmt einen die Erleichterung, und man schwört Stein und Bein, dass man das niemals wieder durchmachen will. Und dann ist man zwei Wochen später wieder in exakt der gleichen Lage.
Es ist verrückt. Ich bin verrückt.
Und wie ein Baby wollte ich die notwendige innere Arbeit lange nicht machen, denn wenn eine Pille hilft, tja, dann ist das einfacher, so wurde es mir beigebracht.
Als ich etwa neun Monate alt war, beschlossen meine Eltern, dass sie genug voneinander hatten. In Williamstown, Massachusetts, setzten sie mich ins Auto, und wir drei fuhren fünfeinhalb Stunden bis an die kanadische Grenze. Ich kann mir das Schweigen während der Fahrt nur ausmalen. Natürlich gab ich keinen Mucks von mir, und die beiden ehemaligen Turteltäubchen auf den Vordersitzen hatten sich auch nichts mehr zu sagen. Die Stille muss ohrenbetäubend gewesen sein. Irgendetwas lief gründlich falsch. Zum fernen Tosen der Niagarafälle im Hintergrund erwartete uns mein Großvater mütterlicherseits, der militärisch-strenge Warren Langford, er marschierte auf und ab und stampfte mit den Füßen, vielleicht, um sich warmzuhalten, oder vor Ungeduld oder beides. Wahrscheinlich winkte er uns zu, als wir vorfuhren. Als reisten wir zu irgendeinem spaßigen Ausflug an. Bestimmt freute ich mich, ihn zu sehen, und dann, so erzählte man es mir später, hob mein Vater mich aus meinem Autositz und drückte mich meinem Großvater in die Arme. Und damit verließ er wortlos meine Mutter und mich. Auch meine Mutter war ausgestiegen, und wir drei standen da, lauschten dem Rauschen des Wassers, das den Wasserfall hinunter in die Schlucht von Niagara stürzte, und blickten meinem Vater nach, der für immer verschwand.
So wie es aussah, würden wir also doch nicht zusammen in einem »crooked little house« wohnen. Ich glaube, damals erzählten sie mir, mein Dad werde bald zurückkommen.
»Keine Sorge«, sagte meine Mutter wahrscheinlich, »er fährt nur zur Arbeit, Matso. Er kommt wieder.«
»Na komm, Kleiner«, sagte Grampa wohl, »gehen wir zu Granny. Sie hat Spaghetti gemacht.«
Eltern gehen arbeiten und kommen dann wieder zurück. Das ist ganz normal. Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Nichts, was Koliken oder Süchte nach sich ziehen würde oder die verzweifelte Suche nach Liebe oder das lebenslange Gefühl, verlassen zu werden, nie gut genug zu sein, nie zur Ruhe zu kommen oder dass man unwichtig sei.
Mein Vater raste davon, Gott weiß, wohin. Er kam weder am ersten Tag von der Arbeit zurück noch am zweiten. Ich hoffte, er käme nach drei Tagen zurück, dann vielleicht nach einer Woche, dann vielleicht nach einem Monat, doch etwa sechs Wochen später gab ich die Hoffnung auf. Ich war zu jung, um zu verstehen, wo Kalifornien war und was es hieß, »seinen Traum zu verfolgen und Schauspieler zu werden.« – Was zum Teufel ist ein Schauspieler? Wo zum Teufel ist mein Dad?
Mein Dad, der später im Leben ein wunderbarer Vater werden würde, ließ sein Baby bei einer 21-jährigen Frau zurück, die, wie er wusste, viel zu jung war, um ein Kind allein großzuziehen. Meine Mutter ist wunderbar und herzlich, aber sie war einfach zu jung. Sie war, genau wie ich, verlassen worden, genau dort auf dem Parkplatz an der Grenze zwischen den USA und Kanada. Mit 20 war meine Mutter mit mir schwanger geworden, und mit 21, als junge Mutter, war sie wieder Single. Wenn ich mit 21 ein Baby bekommen hätte, hätte ich wahrscheinlich versucht, es wegzutrinken. Sie gab ihr Bestes, aber sie war einfach noch nicht bereit für diese Verantwortung, und ich war nicht bereit für irgendetwas, schließlich war ich gerade erst geboren.
Mom und ich waren beide verlassen worden, bevor wir einander überhaupt richtig kennengelernt hatten.
Nachdem Dad fort war, verstand ich bald, dass ich zu Hause eine Rolle zu spielen hatte. Meine Aufgabe war es, zu unterhalten, zu erheitern, andere zum Lachen zu bringen, zu trösten, zu gefallen, der Hofnarr zu sein.
Selbst, als ich ein Stück meines Körpers verlor. Genauer gesagt, gerade dann.
Nach dem Phenobarbital – seine Notwendigkeit war verblasst wie die Erinnerung an das Gesicht meines Vaters – sauste ich mit vollem Tempo in eine Kindheit, in der ich lernte, Verantwortung zu übernehmen.
Im Kindergarten klemmte mir irgendein bescheuertes Kind die Hand in der Tür ein, und nachdem die Blutfontänen endlich aufhörten zu spritzen, verband mir jemand die Hand und brachte mich ins Krankenhaus. Dort wurde ersichtlich, dass mir die Spitze des Mittelfingers fehlte. Jemand benachrichtigte meine Mutter, und sie raste zum Krankenhaus. Als sie dort ankam, war sie (verständlicherweise) in Tränen aufgelöst und fand mich, wie ich mit einem enormen Verband um die Hand auf einer Bahre stand. Ehe sie irgendetwas sagen konnte, verkündete ich: »Du brauchst nicht zu weinen, ich habe auch nicht geweint.«
Schon damals war ich ein Performer, ein Publikumsliebling. (Und wer weiß, vielleicht guckte ich sogar so verblüfft wie Chandler Bing, um die Pointe zu landen.) Schon mit drei Jahren hatte ich gelernt, der Mann im Haus zu sein. Ich musste auf meine Mutter aufpassen, obwohl mir gerade der Finger abgetrennt worden war. Wahrscheinlich hatte ich schon im Alter von dreißig Tagen gelernt, dass ich ausgeknockt werden würde, wenn ich weinte, also weinte ich besser nicht, oder dass ich dafür sorgen musste, dass es allen um mich herum, meine Mutter eingeschlossen, gut ging. Oder vielleicht war es auch einfach eine verdammt gute Zeile für ein Kleinkind, das auf einer Bahre steht wie ein Boss.
Seitdem hat sich nicht viel geändert. Geben Sie mir so viel OxyContin, wie ich vertrage, und ich fühle mich umsorgt, und wenn ich mich umsorgt fühle, kann ich auch alle anderen umsorgen, bin zugewandt und aufmerksam. Aber ohne