Frost - Rufus Ravenheart - E-Book

Frost E-Book

Rufus Ravenheart

5,0

Beschreibung

Zwei Königreiche tragen einen magischen Krieg aus, ein Kampfsportprofi schlägt sich durch eine raue Welt, ein Dudelsackspieler stimmt eine tödliche Melodie an, eine Verschwörung, die mehrere tausend Leben kosten könnte, greift um sich und ein Komapatient entwickelt übernatürliche Kräfte. Rufus Ravenheart erzählt fünf fiktive Geschichten, deren spannende wie schockierende Handlung durch die grundverschiedenen Charaktere zum Leben erwacht. Er thematisiert dabei Hass, Gewalt und Tod auf eine Art, welche dem Leser die Sterblichkeit des Menschen auf brutale Art und Weise bewusst macht.

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Seitenzahl: 293

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Das Buch

Frost erzählt fünf fiktive Geschichten, welche Elemente verschiedener Genres beinhalten. Eine Auseinandersetzung zweier befeindeter Königreiche wird ausgetragen, der Kampfsportprofi Hank bekämpft seine Feinde waffenlos, eine Verschwörung greift um sich, der Piper Ian spielt eine tödliche Melodie und ein Komapatient erweist sich als übernatürliches Phänomen.

Bei Frost handelt es sich um das erste Buch des Autors und damit um dessen Einstieg in die Welt der Unterhaltungsliteratur.

Der Autor

Rufus Ravenheart ist das Pseudonym des im Mai 1988 in Köthen (Anhalt) geborenen Autors. Der hauptberufliche Elektromeister arbeitet nebenbei als freier Texter. Das Interesse am Schreiben entdeckte er bereits zu Schulzeiten. Seine Leidenschaft für gute Romane sowie schottische und irische Musik teilt er mit seiner Ehefrau Doreen. Sein unangefochtener Lieblingsautor ist Stephen King.

Für meine Familie, ohne deren Hilfe ich im Leben nie so weit gekommen wäre.

Inhalt

Vorwort

In Leben und Tod

Heimatlose Männer

Pipes & Drums

Der Screenshot

Frost

Vorwort

Werter Leser,

zuerst einmal freue ich mich, dass mein Buch seinen Weg in Ihre Hände gefunden hat.

Ich möchte in diesem Vorwort all denen, die mich bei diesem Projekt unterstützt haben, meinen Dank aussprechen und ein wenig darauf eingehen, was mich dazu bewogen hat, die folgenden Geschichten zu erzählen.

An dieser Stelle ein Hinweis für alle, die diese Informationen genau so interessant finden wie die Frage nach der Unterwäsche der Queen und sich jetzt schon langweilen: Vielen Dank für den Kauf, das eigentliche Buch beginnt auf Seite →.

Vielen Dank an erster Stelle an meine Testleser. Ihr macht schon einiges mit für meinen Traum vom eigenen Buch. Eure Hinweise waren in mehrerer Hinsicht sehr hilfreich.

Besten Dank an meine Schwester für das Auffinden von Logikfehlern, für die mich spätere Leser mit Mails überschwemmt hätten.

Danke auch an Stephan für die umfangreiche Rechtschreibprüfung. Dass DU einmal MEINE Texte korrigierst, hätte unsere gemeinsame Deutschlehrerin bestimmt nicht gedacht.

Speziellen Dank noch an dich, Toni Küttner, dass du dich in letzter Minute und Rekordzeit dem Cover angenommen hast. Sehr gute Leistung, es ist echt ausdrucksstark geworden.

Und abschließend noch einmal vielen Dank an dich, Doreen, dass du mich nach "In Leben und Tod" weiter bestärkt hast, sonst hätte ich die Schreiberei vermutlich gleich wieder hingeworfen. Ohne dich wäre dieses Buch nie entstanden.

Die Geschichte "In Leben und Tod" handelt von zwei befeindeten Königreichen und steht aus zwei Gründen ganz vorn in dieser Sammlung.

Erstens war sie das Erste, was ich nach einer langen, unkreativen Pause zu Papier gebracht habe und damit auch DIE Geschichte, bei deren Entstehung ich den Spaß an der Schreiberei wiederentdeckt habe.

Zweitens entstand sie in einer sehr dunklen Phase meines Lebens, in der ich durch eine schwere Operation über Monate hinweg nichts anderes tun konnte, außer zu schreiben. Außerdem war ich gezwungen, nachdem ich selbst fast über die Klinge gesprungen wäre, viel über Leben und Tod nachzudenken.

Die Reaktionen meiner Testleser fielen sehr positiv aus, weshalb ich darüber nachdenke, mich auf Fantasy zu spezialisieren.

Sie, lieber Leser, werden letztlich entscheiden, ob dieser Fall eintrifft.

Die Story "Heimatlose Männer" ist eine Geschichte ohne Ort und Zeit und handelt von einen Mann, der sich in einer rauen Welt mithilfe von Kampfsporttechniken durchschlägt.

Sie entstand aus dem Fachwissen, das ich über Kampfsport besitze. Ich habe stets versucht, die Wirksamkeit von Technik gegenüber reiner Masse so deutlich wie möglich zu machen.

Auch, wenn die Auswirkungen dieser Techniken teils sehr drastisch erscheinen, so ist es keinesfalls unmöglich, jemanden mit einem einzigen Treffer schwer zu verletzen oder sogar zu töten.

Denken Sie daran, wohin Sie schlagen, wenn Sie je in die Situation geraten, sich körperlich zur Wehr setzen zu müssen.

"Pipes & Drums" entstand aus meinem absoluten Lieblingshobby heraus, dem Dudelsackspielen.

Ein Piper, der sein Instrument zu einer Waffe umbaut, scheint zwar im ersten Moment sehr unmusikalisch und hinterhältig, aber ich hoffe doch, dass Sie ihm verzeihen werden.

Die Geschichte ist absichtlich so kurz gehalten, da ich der Meinung war, dass eine Aneinanderreihung von Fachbegriffen aus der schottischen Folklore für den Durchschnittsleser ermüdend wirken würde. Um dem vorzubeugen, habe ich versucht, alle verwendeten Fachbegriffe kurz zu erklären. Das wiederum würde für einen Leser, der selbst irgendeine Art Dudelsack spielt, enorm langweilig werden.

Die Kürze der Geschichte ist also ein Kompromiss zwischen Verständlichkeit für Einsteiger und Unterhaltung für Kenner.

Hat sie Ihnen trotzdem gefallen? Dann lassen Sie es mich wissen, wenn Sie genau so viel Spaß beim Lesen hatten, wie ich beim Schreiben.

Aus einem, mehr oder weniger, aktuellen Ereignis heraus entstand "Der Screenshot".

Bei dieser Geschichte drifteten die Meinungen meiner Testleser weit auseinander. Daher will ich hier auch nichts weiter verraten, sondern bin gespannt auf Ihre persönliche Reaktion.

Zu dieser Geschichte möchte ich noch kurz erwähnen, dass sie ursprünglich "Der Post" hieß, bezogen auf den Post innerhalb eines sozialen Netzwerkes, der die Handlung vorantreibt. Da dieser Titel bei Personen, die keinen Account innerhalb dieser Plattform besitzen, Verwirrung stiftete, wurde er geändert, um anderen Lesern dieses Problem zu ersparen.

Vielen Dank an dieser Stelle an Mutter und Schwester!

Dann wäre da noch "Frost", der Namensgeber des Ganzen.

Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen: Warum habe ich das Buch gerade nach der letzten Geschichte darin benannt?

Ganz einfach. Frost hieß der erste Romanentwurf, den ich je verfasst habe und der kam immerhin auf etwa zweihundert Seiten.

Nach einer langen Schreibpause aus privaten Gründen nahm ich den Entwurf wieder zur Hand und langweilte mich beim Lesen selbst zu Tode (aber jeder darf doch, gerade zu Beginn, einmal Fehler machen, oder?). Der gesamte Roman triefte vor Klischees, war stinklangweilig und die Figuren waren sich allesamt zu ähnlich und total durchschaubar.

Bis auf Karl, den Wächter.

Die tragische Gestalt Karl, die Stadt Town Tahoe, das MMRT und Duncan Frost sind Überbleibsel meines allerersten Schreibversuchs, die lediglich ein neues Outfit nötig hatten, damit ich sie auf die Bühne lasse. Ganz im Gegensatz zum Rest der Story, die in den Untiefen meines PCs vergraben ist, auf dass sie nie wieder das Tageslicht erblicke.

Nun, da Sie, werter Leser, meinem Geschwafel lange genug zugehört haben, kann ich Ihnen nur noch wünschen: haben Sie viel Spaß beim Lesen!

Wenn es Ihnen nicht zu viele Umstände bereitet, freue ich mich selbstverständlich über ein kleines Feedback zum Cover, dem Schreibstil, der Wortwahl oder zur Handlung. Jeder Tipp, speziell Hinweise zu Fehlern, die ich übersehen habe, hilft mir, es beim nächsten Buch besser zu machen.

Ich habe hierfür eine Homepage unter meinem Pseudonym eingerichtet und bin auch über die Mailadresse [email protected] zu erreichen.

Vielen Dank noch einmal und viel Spaß!

R.R.

In Leben und Tod

1

»Lauft!« brüllte Shadow über die Schulter nach hinten.

Die Furcht davor, dass sie nicht alle ihr Ziel erreichen würden, schwang in seiner Stimme mit.

»Lauft schneller, ER ist uns auf der Fährte!«

Vom König selbst als Schleicher und Kletterer für dieses Kommando ausgewählt, verfügte Shadow über eine enorme körperliche Fitness, die ihm, im Zusammenhang mit seiner Fähigkeit, sich lautlos wie eine Katze zu bewegen, seinen Spitznamen einbrachte. Das war der Grund, weshalb er die Spitze dieses kleinen, aber bisher durchaus effektiven Trupps bildete. Sein Lauftempo war beispiellos, was ihm die höchste Chance verschaffte, den Fehlschlag zu überleben. Sein schwarzer Mantel und die ebenso schwarzen Haare flogen parallel zum Boden hinter ihm her.

Ich muss es schaffen dachte Shadow und holte alle Kraftreserven aus seinen Beinen heraus, damit diese ihn schneller vorwärts trugen. Seine Kameraden würden da womöglich weniger Glück haben, befürchtete er, nach einem weiteren Blick über die Schulter.

Mit nur wenigen Schritten Abstand hinter ihm lief Severin, der Schütze. Nicht, dass man ihn noch als solchen erkannt hätte. Er war ein grandioser Schütze, bevor er seinen Bogen und Köcher zugunsten besserer Beweglichkeit fallen gelassen hatte und bevor man sie wie Vieh in den Graben getrieben und dabei so viel Lärm wie möglich verursacht hatte, um IHN anzulocken. Bei der Überzahl der Feinde, noch dazu auf deren eigenem Boden, wäre ein einzelner Bogen allerdings so hilfreich wie ein Holzhammer gegen Gestein gewesen, also hatte er wohl die richtige Entscheidung getroffen.

Severin war ebenfalls leicht bepackt und körperlich sehr fit, weshalb er fast mit Shadow mithalten konnte. Nach den beiden allerdings klaffte eine Lücke von über zwanzig Schritten.

Als nächstes Glied der Kette folgte Starlight, der Magier der Truppe, dem sie alle ihr Leben der letzten zehn Minuten verdankten. Seine Aufgabe bestand darin, bei Bedarf Feinde abzulenken und ihre Beute aufzuspüren. Wieder einmal hatte der verrückte Magier mit den langen blauen Haaren seinem Namen alle Ehre gemacht, den er übrigens wegen seiner Fähigkeiten im Umgang mit Feuer und Licht trägt. Er hatte ihnen allen mit einem explosionsartigem Ausbruch von Feuer und Rauch im genau richtigen Moment einen Augenblick Zeit verschafft, um sich außer Reichweite der Wachen zu Begeben, die sie umstellt hatten. Von der Sicherheit ihrer eigenen Mauern allerdings waren sie zwar noch weit entfernt, aber wenigstens hatten sie das Feindesgebiet hinter sich. Wobei der etwa fünfhundert Schritte breite Graben dazwischen eine Gefahr barg, die wesentlich schlimmer war, als jede Armee von Feinden.

Nach Starlight und weiteren zehn Schritten Freiraum folgte Blade, einer der besten Kämpfer der südlichen Königreiche, der seinen Spitznamen durch seine außergewöhnliche Beherrschung des Schwertes trug. Auch er hatte einen nicht unwesentlichen Teil dazu beigetragen, dass sie nicht längst in einer Zelle schmorten oder am Galgen hingen. Nachdem Starlight die Explosion gezündet hatte, waren allesamt in der kleinen kreisrunden Kammer, wo man sie scheinbar erwartet hatte, kurzzeitig starr vor Schreck. Ein erfahrener Soldat wie Blade jedoch konnte diesen Schreck weit schneller überwinden, als die einfachen Milizen, die zur Verteidigung der Burg meist eingesetzt wurden. Er trat zwei Schritte auf die Tür zu, aus der sie gekommen waren und setzte mit zwei gezielten Schlägen seiner gewaltigen Arme gleichzeitig die beiden Wachen außer Gefecht, welche unglücklicherweise seinen Weg dorthin kreuzten. Ein hundertmal geübter Schlag der Handkante gegen den Hals unterbrach die Verbindung zum Gehirn der beiden unerfahrenen Soldaten und beide waren bewusstlos, bevor sie den Boden berührten.

»Schneller! Wir sind fast da!« brüllte Shadow und riskierte einen weiteren Blick über die Schulter.

Weit abgeschlagen, nochmals locker zehn Schritte hinter Blade, lief Baxter. Dieser ungelenke, riesige Berg von einem Mann begleitete das Kommando aus genau zwei Gründen: Erstens, um sich im Hintergrund zu halten und bei Erfolg die Beute nach Hause zu tragen. Zweitens, sich jeden Gang und jede Tür einzuprägen und nach der Rückkehr bildlich festzuhalten. Ein fluchtartiger Sprint war nie im Plan vorgesehen, und bei über zwanzig vergangenen Aktionen auch nie nötig gewesen.

Es gibt immer ein erstes Mal. An diesem Tag, frei nach Murphys Gesetz, gab es einige erste Male.

Etwa fünfzig Schritte voraus lag das Ende des Grabens, in wenigen Sekunden würde Shadow die Böschung erreichen, könnte sie hinaufspringen und sich vor IHM in Sicherheit wiegen. Er wird dann ruhig weitergehen, um sein Herz zu beruhigen und seiner derzeit voll ausgelasteten Lunge eine Pause gönnen, bevor er dem König gegenübertritt. Er wird der Erste sein, dem die Flucht gelingt, der Erste, der dem König von einem Hinterhalt erzählen kann, dem sicher schon so einige vorangegangene Spezialtrupps zum Opfer gefallen sind. Der Erste, dem die Flucht vor Damien gelingt.

Die zwei Mann hohe Böschung ist nur noch zehn Schritte entfernt, dann fünf, dann drei, dann zwei.

Shadow springt, in dem Versuch, die steile Erde mit seinem Schwung aus vollem Lauf zu erklimmen. Er kommt bis zur Hälfte, bevor sein rechter Fuß den Halt in der losen Erde verliert und abrutscht. Er verdreht sich nicht nur den linken Fuß, sondern schlägt auch noch mit dem rechten Knie auf einem Stein auf. Der Schmerz presst ihm die Luft aus der Brust und er rutsche die Böschung wieder herunter.

»Achtung!« Shadow erkannte trotz des Nebels aus Schmerz, der ihn umgab, die tiefe, raue Stimme von Blade, jetzt näher bei ihm.

Er ahnte, wem diese Warnung galt und wovor, konnte aber nicht anders, als dennoch den Kopf aus dem Dreck zu ziehen und nach rechts zu drehen.

Eine Sache wusste jedes Kind über den Graben: weder er selbst, noch sein Inhalt war auf natürlichem Wege entstanden.

Er war das Produkt eines magischen Unfalls.

2

Mehrere Jahrzehnte vorher

Die Könige des Nordens und des Südens waren einst gute Freunde gewesen. Sie verband eine Kameradschaft, die über unzählige Generationen andauerte. Das nördliche Königreich grenzte an das große Meer und verfügte dadurch über Kenntnisse im Schiffbau sowie über große Bestände an Fisch und Pflanzen, die einen erhöhten Bedarf an Wasser und Luftfeuchtigkeit hatten. Der Süden dagegen beherbergte endlose Wälder und von Vegetation überwucherte Steppen. Die Südländer beherrschten die Kunst der Jagd wie niemand sonst, kannten sich mit den hiesigen essbaren Beeren und Sträuchern bestens aus und nannten hervorragende Wagenbauer ihr Eigen.

Durch regen Austausch von Wissen und Waren jeglicher Art konnten sich die beiden Königreiche, in Symbiose zusammenlebend, prächtig entwickeln. Doch der Nachteil an diesem Frieden war der Gleiche wie bei jedem Anderen davor: Er währte nicht ewig.

Über fünfzig Jahre ist es her, seit König Christian der Unbeugsame, seinerzeit weit mehr gefürchtet als geliebt, den Frieden ins Wanken brachte und letztendlich vollends zerbrach. Er war unter den Leuten immer im Gespräch gewesen, sei es wegen seiner überzogenen Gesetzgebung und Durchsetzung oder wegen seiner Art, immer fünfzig Prozent mehr zu fordern, als ihm eigentlich zusteht. In einer Verhandlung über die Nutzung des Übergangs, ein Streifen von etwa tausendfünfhundert Schritten Breite zwischen den beiden Festungstoren, der gemeinsam als Ackerland genutzt wurde, drehte der unbeugsame König aus Gründen, die niemand genau überliefert hat, durch und verschwand sichtlich verärgert in seiner Burg. Keine Stunde später schickte er seinen besten Magier aus, um eine Barrikade auf dem Übergang zu errichten und so die möglichen neuen Feinde von einem Angriff abzuhalten.

Dieser Magier hieß Monlith.

Monlith, seines Zeichens Großmeister der Zauberei am Hofe von Christian dem Unbeugsamen, Ausbilder jedes Magierknechts, der wahrhaftig Talent zeigt und oberster Berater des Königs in Friedens und Kriegszeiten. Monlith, der nicht zum ersten Mal den Frieden unter hohem Einsatz zu bewahren versuchte, wo jeder wusste, wie ein Widerwort dem König gegenüber bestraft werden konnte. Monlith, der dem König den Vorschlag mit der Barrikade unterbreitete, um dessen übereilt getroffene Kriegserklärung zu revidieren, bevor sie die offiziellen Ohren erreicht und tausende Tote die Frucht einer Laune des Königs wurden.

Die Möglichkeit mit der Mauer gefiel ihm nicht, aber es war weit besser als eine offene Schlacht.

Die Blockade kann der König abreißen lassen, sobald er sein aufgebrachtes Gemüt wieder beruhigt hat dachte Monlith in dem Moment, da er genau die Mitte des Übergangs erreichte. Hier musste es geschehen.

»Eine Barrikade gegen tausend unschuldige Tote« murmelte er. »Kein gänzlich schlechter Tausch.«

Monlith gab seiner vierköpfigen Eskorte ein Zeichen, dass sie ein wenig Abstand halten sollten. Der König hatte darauf bestanden, dass er nur in Begleitung die Burg verließ. Monlith sagte man, genau wie dem König, diverse Dinge nach, die von Trunkenheit bis Täuschung reichten, aber an der gewissenhaften Wahrnehmung seiner Pflichten als Magiermeister zweifelte niemand.

Und wenn Monlith sprach: »Tritt zurück!« dann bekam er den Platz, den er wollte. Immer.

Seine Anrufung begann.

Die Worte einer fremden Sprache durchbrachen die Stille auf dem Übergang, die laute, tiefe Stimme von Monlith schien die ganze Welt erreichen zu wollen. Eine leichte Brise kam auf und schwoll erst zu einem Sommerwind und binnen Sekunden zu einem Gewittersturm an. Der tiefblaue Umhang des Magiers umwehte ihn gespenstisch, sein Körper selbst jedoch schien unbeeindruckt von der Kraft, mit der der Wind ihn hin und her zu werfen versuchte. Die vier Männer hinter ihm, seine Eskorte, begannen sehr schnell damit, geduckte Positionen einzunehmen, um nicht von der enormen Kraft umgeworfen zu werden, die der Wind bereits besaß. Dunkle Wolken zogen mit atemberaubender Geschwindigkeit auf.

Der Wind schlug die Kapuze des Magiers zurück und entblößte ein überraschend jugendliches Gesicht. Den Kenntnissen und der Lebenserfahrung nach, die aus seiner Stimme sprachen, musste er hundert Jahre alt sein. Sein Gesicht allerdings ließ eher auf zwanzig schließen. Feine, attraktive Züge betonten grellblaue Augen, langes dunkelbraunes Haar peitschte seine Schultern. Wie er so dort stand, wirkte er mehr wie der Zauberlehrling, weniger wie der Großmeister.

Aber Monlith verstand sein Geschäft. Es begann zu regnen. Steine fielen in einer sauberen Linie vom Himmel. Und bald würden sie die größte Mauer bilden, die der König je gesehen hatte. Noch konnte er nicht ahnen, dass sein Plan bereits von anderer Seite bemerkt worden war.

Rufus, die magische Hand Williams des Barmherzigen, König des Nordens, startete in ebendiesem Moment eine eigene Anrufung. Die jahrelange Freundschaft der Königreiche wie auch der beiden großen Magier machte es Rufus nicht schwer, die magische Aura seines alten Freundes zu fühlen und zu orten. Er kannte das Muster genau, das Monlith in seinem Gespür hinterließ, wenn dieser Magie wirkte.

Auf der südlichen Mauer der nördlichen Burg stehend, sagte Rufus ebenfalls Wortphrasen in derselben alten Sprache auf, wie sie sein alter Freund unten auf dem Übergang benutzte. Mit dem Unterschied, dass Rufus nicht vorhatte, eine Mauer zu errichten, die man mit Manneskraft einreißen konnte.

»Wenn Ihr eine Mauer wollt, Eure königliche Hoheit« flüsterte er dem Sturm entgegen, der vom Übergang aus heranwehte »dann sollt Ihr eine bekommen, die Euresgleichen würdig ist.«

Im Gegensatz zu Monliths harmloser Elementarzauberei beschwor Rufus einen Materie-Fluch.

»Nein!« schrie Monlith überrascht, als er die Wirkung des fremden Einflusses spürte, der sich mit seinem Zauber vermischte. Er brauchte keine Sekunde, um die Einmischung zuzuordnen.

Rufus!

In einem Duell eins gegen eins wäre Monlith diesem Gegner um Längen überlegen gewesen. Rufus war in vielerlei Künsten sehr gut ausgebildet und hatte sich im Laufe seines Lebens viele Kenntnisse angeeignet, aber Monliths Talent galt als einzigartig. Und Monlith hatte sämtlicher Aspekte der Magie, helle wie dunkle, mühselig studiert, seitdem er lesen konnte.

Das Problem hier war, das Rufus in den bereits laufenden Zauber eingriff. Die Mauer war inzwischen fast mannshoch.

Monlith spürte, dass sein ehemaliger Freund etwas mit den Steinen anstellte, die wie Regen vom Himmel fielen. Er machte sie schwerer... und härter... und...

»Unzerstörbar.« sagte Monlith ungläubig und ließ die Arme an den Seiten herunterfallen wie eine Marionette, deren Fäden jemand durchtrennt hatte.

Wusste Rufus, was er da tat? War ihm klar, dass, wenn die Mauer einmal stand und mit dem Fluch belegt war, es weit mehr Zauberkraft erfordern würde, sie wieder einzureißen, als sie beide zusammen besaßen? War dem halbherzig Gelehrten auf der anderen Seite der Mauer klar, welche Folgen ein minimaler Fehler in der Anwendung des Fluches haben würde? Oder welche Folgen selbst eine korrekte Anwendung nach sich ziehen kann?

Flüche waren immer gefährlich in der Anwendung.

Monlith wusste das, Rufus scheinbar nicht. Also lag es an IHM, seinem alten Freund eine kleine Nachhilfe in den dunklen Künsten der Magie zu geben.

»Nur ein schlechter Geselle baut sich eine Waffe, die er nicht zu benutzen imstande ist.« fluchte der Großmeister und konzentrierte sich auf eine einzige Stelle der Mauer vor ihm, ungefähr auf seiner Brusthöhe.

»Nur ein Lehrling benutzt eine Waffe, mit der er alles gefährdet, was ihm lieb und teuer ist.« Er zog die Arme an, legte die Fäuste an die Hüften und baute in seinem Körper und Geist eine sichtbare Spannung auf.

»Nur ein Idiot. Adactus!«

Bei diesem Wort stieß der Magier die Arme nach vorn auf die Stelle der Mauer zu, die er vorher mit seinem Blick fixiert hatte. Eine deutlich spürbare Druckwelle in Verbindung mit einem ohrenbetäubenden Knall fegte seine Eskorte von den Füßen. Monlith blieb nur zu hoffen, dass ihre Verletzungen mit Tee und Bettruhe zu kurieren wären, für genaue Untersuchungen blieb ihm leider keine Zeit. Sein Angriff hatte ein Loch von der Größe eines Kindes in die Mauer gerissen, so stark wirkte der Fluch bereits. Ohne Einfluss des Fluches wäre hier kein Stein auf dem anderen geblieben.

Er schlüpfte ohne zu zögern durch das Loch hindurch, das sich fast augenblicklich hinter ihm verschloss.

Rufus spürte das Aufwallen von Energie, als sein Gegenspieler die Druckwelle aufbaute. Weiterhin spürte er einen stechenden Schmerz im Kopf, der Preis für die Anstrengung, die es ihm jede Sekunde kostete, den Fluch weiterzuwirken. Er spürte, dass er bald damit aufhören müsste, bevor er vor Erschöpfung zusammenbrach. Sein Meister hatte ihm gelehrt, dass ein Magier, der während einer Anrufung die Kontrolle über seinen Körper verliert, in das Schattenreich hinüber gleitet. Das stellt für einen Magier sozusagen die Hölle dar.

Sein Meister hatte ihm nicht beigebracht, dass man einen so starken Fluch wie den Materie-Fluch am Ende mit einer Art magischem Schloss versehen musste, um zu verhindern, dass seine Macht Kreaturen aus dem Schattenreich anzog und ihnen Tür und Tor öffnete, um hinüber zu gelangen und ihre schreckliche, zerstörerische Macht auf die Menschen loszulassen. Eine Macht, die nur dazu bestimmt war, Leid und Tod zu überbringen.

Deshalb durfte man so mächtige Flüche nie einfach unterbrechen wie herkömmliche Zauber.

Und genau das tat Rufus.

Monlith war keine zwanzig Schritte weit gekommen, als er die Veränderung bemerkte. Der Fluch wurde nicht länger von seinem Widersacher kontrolliert, sondern freigelassen.

Anfängerfehler dachte der Großmeister erbost und hielt sofort inne, um einen äußerst schwierigen Versuch zu unternehmen, den Fluch selbst unter Kontrolle zu bringen.

In dem Moment, wo er dies versuchte, ertönte wieder ein Knall, aber Monlith hörte ihn nicht. Die gesamte Mauer zerbarst unter einem krachenden Geräusch, wie es die Menschen zeitlebens nie wieder hören sollten.

Der Körper des Magiers zersetzte sich inmitten dieser Kräfte vollständig, bis nichts mehr als Staub von ihm übrig blieb.

Der einst mit Kräutern und Gemüse und Obst bepflanzte Übergang verwandelte sich in ein Trümmerfeld. Die Steine der Mauer, die eine Schlacht verhindern sollte und stattdessen eine über zwei Generationen andauernde, von Misstrauen und Wut geprägte Beziehung der beiden Völker nach sich zog, verstreuten sich in großen Brocken überall auf der Erde.

In der Mitte des Übergangs klaffte ein breiter Graben soweit das Auge reicht, übersät mit pechschwarzer Erde, voll mit Trümmerstücken der Mauer und verziert durch etwas, das selbst Monlith trotz seiner ganzen Erfahrung nie persönlich zu Gesicht bekommen hat.

Rufus hatte einen Dämon in ihre Welt geleitet.

3

Mehrere Jahrzehnte danach

Shadow drehte den Kopf nach rechts. Die ganzen Geschichten über Damien, ob man ihnen Glauben schenken mochte oder nicht, verblassten im Angesicht des Anblicks, den Shadows Augen keine fünfzig Schritte entfernt ausmachen konnten.

Damien war ein wahrlich außergewöhnliches Geschöpf.

Shadow besaß eine durchschnittliche Körpergröße, doch Damien überragte ihn um etwa das Doppelte. Die schweren Eisenstiefel bewegten sich fast lautlos über den dunklen, trockenen Boden des Grabens, so als wollte er trotz seiner enormen Größe niemanden belästigen. Große Eisenplatten an Schienbeinen, Oberschenkeln, Brust und Unterarmen ließen ihn, zusammen mit den ohnehin breiten Schultern, schwer wie ein Festungstor erscheinen. Der Helm mit drei großen Zacken könnte von einem König gestohlen sein, wenn es dort, wo dieses Wesen herkommt, Könige gibt. Die Stellen, welche nicht von Eisen bedeckt waren, das Gesicht eingeschlossen, wurden von einer Art schwarzem Stoff vor Blicken verborgen. Ein leicht rötlicher Schimmer umgab den gesamten Körper. In seiner rechten Hand führte Damien ein Schwert, mit einer Klinge, die fast so lang war wie Shadow selbst. In der Linken, die Damien gerade über den Kopf erhebt, während er sich unablässig nähert, liegt ein langer Stab, an dessen Ende eine rundum mit spitzen besetzte Metallkugel befestigt ist.

Shadow betrachtet wie gebannt die Kugel, die mit Sicherheit mehr wiegt als sein gesamter Körper und die ihn in wenigen Sekunden so tief in die Erde, auf der er liegt, pressen wird, dass mit ein wenig Glück immerhin die Würmer seine Überreste finden mögen.

»Kampfstellung!« brüllte Blade neben ihm, so laut, dass es Shadow aus seiner Trance riss.

Die anderen waren aufgeschlossen und stellten sich schützend zwischen Damien und ihm auf. Blade und Severin parallel vorne, Starlight fünf Schritte dahinter. Baxter machte sich daran, Shadow über die Schulter zu legen und ihn den kurzen, aber steilen Hang hinauf zu befördern.

Damien traf ein.

Die Metallkugel sauste mit atemberaubender Geschwindigkeit herab, genau auf Blades Kopf zu. Dank seiner schnellen Reaktion konnte der sich um Haaresbreite zur Seite hinweg retten und die Kugel versank bis zur Hälfte im Boden.

»In luminae sanctus« rezitierte Starlight

Aus der Metallkugel Damiens schoss grelles Licht hervor, das den Dämon sichtlich überraschte. Er riss seinen rechten Arm hoch und verdeckte mit der um das Schwert geschlossenen Hand das Gesicht. Blade und Severin schienen das Licht nicht einmal zu bemerken, sondern nahmen wieder ihre Positionen ein, jetzt rechts und links neben Damiens halb im Boden versunkener Waffe. Baxter war mit Shadow auf der Hälfte des Hangs angelangt. Damien zerrte mit der linken Hand an der im Boden steckenden Metallkugel.

»Et dolor daemonis maxima!« fuhr Starlight fort und das grelle Leuchten kroch durch den Griff der Waffe nach oben bis es Damiens riesige, behandschuhte Hand erreichte. Der Riese schrie überrascht auf und ließ den Griff los, augenblicklich erlosch das Licht in der nun nutzlos am Boden liegenden Waffe. Der Dämon betrachtete nur kurz seine schmerzende Hand, dann ging er mit seiner zweiten Waffe, dem Schwert wieder zum Angriff über.

Ein erster tiefer Hieb parallel zum Boden zwang Blade und Severin zu einem seitlichen Hechtsprung, um der Enthauptung zu entgehen. Der zweite Schlag, der offensichtlich der Entscheidende war, wurde keineswegs so plump ausgeführt. Damien setzte ihn zentimetergenau vertikal auf Starlights Kopf an.

»In nomine azurom lumen!« brüllte der Zauberer die Worte heraus.

Augenblicklich umgab ihn ein kreisrunder blauer Schimmer und die herabsausende Klinge Damiens blieb in diesem Schild stecken wie eine Axt in einem zu dicken Holzpflock. Ein seltsames Gefühl machte sich in Starlight breit, so als würde er nicht einem Dämon, sondern einem Menschen gegenüberstehen. Den äußerst ungewöhnlichen Energiefluss zwischen ihnen beiden konnte der Magier nicht richtig deuten. Ein Teil dieses Flusses kam ihm bekannt vor, so als stünde er einem alten Magierfreund gegenüber, der andere Teil war dunkel, verdorben und schwarz.

Jedenfalls schien der Riese nun erst richtig wütend. Schnaufend zerrte er am Griff seiner Waffe, jedoch erfolglos.

»Lauft!« rief Starlight seinen Kameraden über das Gebrüll Damiens hinweg zu. Er konnte dieses Monster nicht besiegen, aber immerhin für die anderen ein wenig Zeit gewinnen.

Genau genommen konnte er Damien nicht einmal wirklich bekämpfen. Die magischen Künste, sich gegen eine so dunkle Macht zu behaupten, sind zusammen mit Großmeister Monlith verloren gegangen. Starlight war einer seiner vielversprechendsten Schüler gewesen, hatte vom Besten der Besten viel gelernt, aber seine Ausbildung war alles andere als abgeschlossen.

Blade, der sich nach seinem unsanftem Sprung gerade wieder aufgerappelt hatte, hörte den Aufruf und sah sich die Lage an. Baxter war gerade dabei, Shadow auf die Oberkante der Böschung zu legen, in wenigen Augenblicken würde er selbst auch in Sicherheit sein. Severin, ebenfalls wieder auf den Beinen und bei Sinnen, sah zu ihm hinüber und wartete scheinbar auf ein Zeichen. Blade gab ihm ein Nicken, Severin sprintete los.

In diesem Moment ließ Damien den Griff von der ohnehin feststeckenden Waffe los und schlug mit der schweren Faust nach dem fliehenden Schützen. Die Wucht des Aufpralls schleuderte ihn weit durch die Luft und ließ ihn direkt am Südhang wieder Boden berühren.

Baxter machte sich sofort auf, den verletzten Kameraden aus dem Gefahrenbereich zu bringen.

Blade wollte dafür sorgen, dass dafür genug Zeit blieb. Er sprintete los und zog sein Kurzschwert aus der Hüfte. Bevor sein Kopf auf die kluge Idee kommen konnte, sich das Ganze noch einmal zu überlegen, visierte er das linke Knie des Riesen an und rammte aus vollem Lauf die Klinge in die Rückseite. Das schwarze Material war offenbar nur eine Art Kleidung und gab schnell nach, aber der Körper der Kreatur erwies sich als steinhart. Einen Menschen hätte Blade glatt durchbohrt, bei Damien reichte es gerade mal dafür, die Klinge eine handbreite weit hineinzutreiben.

Den Schmerz des Rückstoßes in seinen Armen und Schultern ignorierend, unterbrach er seinen Sprint nicht, sondern rannte direkt weiter auf die Böschung zu, wo Baxter bereits dabei war, Severin den Hang hinauf zu ziehen.

Weit kam er nicht.

Die Pranke erwischte ihn und Blades letzte Erinnerung war, dass er nicht das Glück hatte, in Richtung der südlichen Böschung zu fliegen. Unsanft schlug er auf dem Boden auf. Weit entfernt und von seinen Freunden getrennt durch einen Dämon der Schattenwelt verlor Blade das Bewusstsein. Er schloss die Augen und wünschte seinen Freunden alles Glück der Welt... und Gottes Segen.

Starlight hatte das blitzschnelle Spektakel beobachtet, wie Damien erst Severin, dann Blade Damien, dann Damien Blade erwischt hatte. Er sah die Ausweglosigkeit seiner Situation und rannte in Richtung Hang los, ohne die Aussicht, vor dem Riesen anzukommen. Aber besser als nichts tun war es allemal, also peilte er die Stelle an, wo Shadow oberhalb des Hangs lag und rannte, was seine Beine hergaben.

Keine zwei Sekunden mehr von der Böschung entfernt, konnte Starlight förmlich spüren, wie die riesige Hand nach ihm schlug und vermutlich versuchen würde, ihm genau wie Blade alle Knochen zu brechen.

Ein Schrei Damiens in seinem Rücken ließ ihn erschrecken, aber er verlangsamte sein Tempo nicht. Den Hang hinaufkletternd, nahm Starlight im Augenwinkel wahr, dass Shadow etwas in der Hand hielt und endlich oben angekommen, entspannte er sich ein wenig.

Es war allgemein bekannt, dass Damien sich nur innerhalb des Grabens bewegte und niemals auch nur einen Fuß nach draußen setzte. Niemand ahnte, dass sie das einem Magier vergangener Zeiten namens Monlith zu verdanken hatten, der seine letzte Sekunde vor der Katastrophe damit verbrachte, diesen Dämon mit einem Bann zu belegen, auf dass dieser niemals den Graben verlassen kann. Niemand wusste darum, dass sein Einsatz sie alle vor dem vernichtenden Zorn der Kreatur bewahrt hatte.

Starlight drehte sich um und sah dem Dämon, der gerade fast sein Tod gewesen wäre, in die Augen.

Shadow und seine Wurfmesser dachte er und konnte nicht anders, als die Klappe namens Mund soweit aufzumachen, dass kalte Luft hereinzog.

Ein kleines Messer, kaum länger als ein Finger, steckte genau an der Stelle, wo bei einem Menschen das rechte Auge gesessen hätte. Als die Kunst der Magie versagte, wurde sein Leben mit einer der primitivsten Waffen gerettet, die überhaupt noch hergestellt wurden.

Starlight musste grinsen.

Der schwarze Stoff verdeckte das Gesicht des Dämons, aber Damien besaß scheinbar Augen, zumindest, wenn man nach seinem Gebrüll urteilte. Die Wunden würden zwar binnen kürzester Zeit wieder verheilt sein, so wie sie es immer taten, aber diesen kurzen Moment des Triumphs genossen die Männer schweigend.

Baxter war es schließlich, der das schweigen brach.

»Wir sollten aufbrechen. Wenn wir ihn schnell zu einem Heiler schaffen…« Er deutete auf den immer noch bewusstlosen Severin, dessen linke Schulter mit Sicherheit nie mehr ihre alte Funktionstüchtigkeit wiedererlangen würde. »dann hat er vielleicht noch eine Chance.«

Niemand widersprach, denn es war alles gesagt.

Baxter nahm den schwer Verletzten auf die Schulter und rannte los, Starlight stützte Shadow soweit möglich, um dessen verletzten Fuß und auch das Knie zumindest ein wenig zu entlasten.

Damiens Gebrüll begleitete sie noch einige Sekunden wie ein sich entfernender Donner, dann wie ein in der Ferne jammerndes verletztes Tier, dann verstummte er schließlich ganz.

Ein Dämon, der in die Welt der Sterblichen geschleust wurde, konnte von keiner menschengefertigten Waffe vernichtet werden.

So war es immer gewesen und so würde es immer sein.

4

»Mein König!«

Starlight hatte einen frischen Mantel in dunkelblau, passend zu seiner ungewöhnlichen Haarfarbe angelegt, ehe er vor den König trat und den größten Teil der Spuren abgewaschen, die das Duell mit dem Dämon an ihm hinterlassen hatte. Jetzt, da Blade seinen Frieden gefunden hatte, war er das Ranghöchste Mitglied der Gruppe und der Bericht beim König fiel in sein Aufgabengebiet.

Er durchschritt den großen Thronsaal, etwa vierzig Schritte lang und zwanzig breit, in dem der König stets seinen Besuch empfing, solange man zurückdenken konnte. Der Saal wirkte ein wenig kalt, seitdem zum letzten Mal die Person auf dem Stuhl an der Rückwand oberhalb von drei flachen Stufen gewechselt hatte. Der König saß auf dem mit rotem Stoff gepolstertem Stuhl aus dunklem Holz und hatte die Hände auf den mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Armlehnen abgelegt. Zwei Wachen standen hinter ihm zu seinen Flanken und nickten dem Magier kaum merklich zu, als sich dieser näherte. Der Rest des Saals bestand aus kahlen Wänden, abgesehen von etlichen Kerzenhaltern rundum, sauber aufgestapelten Tischen und Stühlen an der rechten Wand, die für Festlichkeiten gedacht waren und einer unauffälligen Holztür einsam zur Linken. Der neue König hielt nicht viel von teurer, prunkvoller Dekoration und genauso wenig von Verschwendung. Man sagt, er würde dort oben vermutlich auf einem Bauernschemel sitzen, wäre der königliche Sitz nicht bei seiner Machtübernahme bereits dort gewesen.

Starlight trat bis an die drei Stufen heran, blieb dort stehen, ließ sich auf ein Knie nieder und verbeugte sich, mehr aus tiefstem Respekt als aus Pflicht.

»Erheb dich und tritt näher, Starlight.« befahl die tiefe, brummige, aber stets ruhig und überlegt sprechende Stimme des Herrschers. Starlight gehorchte und ging die drei Stufen hoch, so dass er nur wenige Schritte vom König entfernt stehen blieb, der nun ebenfalls aufstand. Ein kleines, aber äußerst respektvolles Zeichen seinerseits, dass er jedem Besucher auf der gleichen Höhe begegnete.

König Richard der Gerechte war der Beweis dafür, dass ein Mann wahrhaftig aus den Fehlern lernen kann, die er an anderen, in diesem Fall speziell an seinem Vater, Christian dem Unbeugsamen, beobachtet. Zeit seines Lebens war das kurzgeschorene, inzwischen graue Haar stets sauber geschnitten, der Bart ordentlich gekürzt und jeder Knoten an der Kleidung perfekt geknüpft. Nie brüllte er Untergebene an, wenn er schlecht gelaunt war oder ihm jemand widersprach, niemals bestrafte er jemanden für einen Hinweis, den er bereits kannte und kein einziges Mal traf er eine Entscheidung aus einer Laune oder einem flüchtigen Bauchgefühl heraus, so wie sein Vater dies allzu oft zu tun pflegte. Nie traf er eine das Volk betreffende Entscheidung, ohne Boten auszuschicken, die die Menschen von seinen Gründen unterrichteten. Nie vergaß er das Gebet vor dem Schlafen und kein Sonntagmorgen verging, wo der König nicht in der Kirche anzutreffen war, gekleidet wie ein Arbeiter, nicht wie ein Monarch. Seine Tochter versuchte er stets nach seinem eigenen Vorbild zu erziehen.

König Richard war das genaue Gegenteil seines Vorgängers und wirklich ALLE seiner Angestellten (er selbst bezeichnete sie nicht als Diener) würden sich zwischen ihn und jedwede Art von Gefahr stellen, wenn dadurch die Chance bestünde, sein Leben zu retten. Nicht aus Pflichtgefühl, sondern weil dieser Mann es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, die falschen Entscheidungen seines Vaters so weit wie möglich wieder zu revidieren. Und davon gab es mehr als genug.

Die Sache mit dem großen Graben und dem Dämon, der diesen bewacht, verschlang seit Jahrzehnten einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit.

Richard lehnte sich vor und stütze die rechte Hand auf das zugehörige Knie.

»Mir wurde bereits zugetragen, dass Du Shadow und Severin beim Heiler lassen musstest. Wie steht es um beide?« Die Stimme des Königs verriet ernsthaftes Interesse am Zustand der Verletzten. Er hatte die Männer allesamt persönlich ausgewählt, die regelmäßig den Graben überqueren durften, daher kannte er auch ihre Namen genau. Für alle anderen Bewohner seiner Burg galt striktes Verbot, sich dem Graben nur zu nähern, die Gefahr war zu groß, dass niemand wiederkehrte.

»Shadow braucht nur einige Wochen Ruhe, seine Verletzungen sind eher oberflächlich und werden von selbst heilen. Severin dagegen ist schwer verletzt, mein König. Er wird wohl den linken Arm und das linke Bein nie wieder so wie vorher benutzen können, meint der Arzt. Aber wenigstens seine Überlebenschancen stehen gut, Herr.«