Frühlingsgefühle im kleinen Friesencafé - Janne Mommsen - E-Book
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Frühlingsgefühle im kleinen Friesencafé E-Book

Janne Mommsen

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Beschreibung

Die große Liebe auf hoher See: Kann das gut gehen? Der neue Band der Bestsellerreihe «Das kleine Friesencafé». Krabbenfischer Gonzo wünscht sich schon lange eine Frau zum großen Glück. Gesine, seine beste Freundin, will ihm helfen: Sie lädt ihn ein, bei ihrem Yogakurs im Garten des kleinen Friesencafés mitzumachen. Die Frauenquote liegt dort bei hundert Prozent! Gonzo begräbt seine Vorurteile, macht mit und staunt: Es tut ihm gut! Eine Frau ist dennoch nicht für ihn dabei. Auch im Internet schaut er sich um. Aber sein erstes Treffen auf dem Festland in Dagebüll wird ein Flopp. Resigniert ankert er mit seinem Krabbenkutter auf hoher See vor Föhr und spielt an Deck melancholische Songs auf seiner Gitarre. Wird er für immer allein bleiben? Da macht eine attraktive Ärztin aus Düsseldorf mit ihrer Motoryacht an seinem Kutter fest. Ein Wunder, mitten auf hoher See. Krabbenfischer meets Hipster – kann das gut gehen?  

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Seitenzahl: 256

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Janne Mommsen

Frühlingsgefühle im kleinen Friesencafé

Roman

 

 

 

Über dieses Buch

Die große Liebe auf hoher See: Kann das gut gehen?

 

Krabbenfischer Gonzo wünscht sich schon lange eine Frau zum großen Glück. Gesine, seine beste Freundin, will ihm helfen: Sie lädt ihn ein, bei ihrem Yogakurs im Garten des kleinen Friesencafés mitzumachen. Die Frauenquote liegt dort bei hundert Prozent! Gonzo begräbt seine Vorurteile, macht mit und staunt: Es tut ihm gut! Eine Frau ist dennoch nicht für ihn dabei. Auch im Internet schaut er sich um. Aber sein erstes Treffen auf dem Festland in Dagebüll wird ein Flop. Resigniert ankert er mit seinem Krabbenkutter auf hoher See vor Föhr und spielt an Deck melancholische Songs auf seiner Mundharmonika. Wird er für immer allein bleiben? Da macht eine attraktive Ärztin aus Düsseldorf mit ihrem Motorboot an seinem Kutter fest. Ein Wunder, mitten auf hoher See. Krabbenfischer meets Hipsterin – kann das gut gehen?

Vita

Janne Mommsen hat in seinem früheren Leben als Krankenpfleger, Werftarbeiter und Traumschiffpianist gearbeitet. Inzwischen schreibt er überwiegend Romane und Theaterstücke. Mommsen hat in Nordfriesland gewohnt und kehrt immer wieder dorthin zurück, um sich der Urkraft der Gezeiten auszusetzen.

Impressum

Songzitat S. 42: What a Wonderful World.

Text: George Douglas und George David Weiss.

Songzitat S.103: Your Song.

Text: Elton John und Bernie Taupin.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2024

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Covergestaltung Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-01397-1

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist, wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten!

Albert Einstein

1

Alles ist gut. Gonzos Krabbenkutter liegt fest vertäut im Wyker Hafenbecken, der dunkelrote Holzrumpf leuchtet in der nordfriesischen Sonne. Er sitzt auf einem Klappstuhl an Deck seiner Lille Mor mit dem Rücken zum Kai und legt die nackten Füße auf die Reling. Das Hafenwasser kräuselt sich in der sanften Brise. Sein Gesicht und seine Hände sind braun gebrannt, auch im Winter. Da er das ganze Jahr draußen ist, passiert das wie von selbst. In der Hand hält er eine Angel, der Köder ist im Wasser abgetaucht. Einfach nur rumsitzen und aufs Meer gucken macht er normalerweise nie. Die Nordsee ist sein Arbeitsplatz, ein besonderer zwar, aber auch da hat man irgendwann Feierabend und kann gerne mal was anderes sehen. Heute ist eine Ausnahme.

Den Kutter hat er nach seiner Großmutter benannt. Seine lebenslustige, immer optimistische Oma Jette war knapp unter eins sechzig groß und wurde von allen «Lille Mor» genannt, die «kleine Mutter». Die Brodersens gehören zur dänischen Minderheit auf der Insel Föhr, Gonzo ist zweisprachig aufgewachsen. Er hat Lille Mor sehr geliebt, alle Sommer seiner Kindheit verbrachte er in ihrem Reetdachhaus, während seine Mutter im Fischrestaurant nebenan mit Kellnern ihr Geld verdiente. Lille Mor ist leider längst verstorben, auf der Brücke seines Kutters hängt ein gerahmtes Foto von ihr, das er in Ehren hält. Er ist fest überzeugt davon, dass sie ihm Glück bringt, wenn er rausfährt.

An Bord läuft er meist mit Schürze und Gummistiefeln herum. Heute trägt er das erste Mal seine neue hellblaue Jeans, dazu ein weißes T-Shirt. Hat er in Husum besorgt, vier Nummern kleiner als sonst – und beides passt wie angegossen!

Geangelt hat er das letzte Mal, als er fünfzehn war. Wenn er die Fische einzeln aus dem Wasser holen würde, würde er nichts verdienen: Gonzo ist Fischer, kein Angler. Heute aber will er gar nichts fangen, sondern einfach nur dasitzen und auf die Nordsee gucken. Sie liegt sanft und harmlos vor ihm wie ein Gartenteich. Er weiß, das kann ganz anders sein. Einmal ist er nach einem Ruderbruch in schwerer See fast untergegangen. Gegen die haushohen Wellen konnte er nichts ausrichten, sie rasten von allen Seiten auf die Lille Mor zu und spielten ein böses Spiel mit ihr. Gonzo hatte sich und sein Schiff schon aufgegeben, nur durch großes Glück erreichte er den sicheren Wyker Hafen. An jenem Tag beschloss er, nie wieder rauszufahren. Nicht einmal sehen wollte er das Meer noch, schon bei dem Gedanken wurde ihm übel. Er wollte sich einen Job auf dem Festland suchen, weit weg von der Küste, am besten auf einem hohen Berg. Zwei Tage lag er im Bett und schlief praktisch durch, zwischendurch wurde er gar nicht richtig wach. In seinen Träumen kämpfte er gegen die Fluten und ertrank jedes Mal aufs Neue. Das Meer war stark und er zu schwach.

Nur weil mein Großvater und mein Vater Fischer waren, muss ich es nicht auch sein, sagte er sich. Ich bin ein freier Mensch und kann tun und lassen, was ich will.

Tags darauf reparierte er das Ruder und fuhr doch wieder raus. Bis heute weiß er selbst nicht richtig, warum. Die Kollegen, insbesondere eine Kollegin, hatten ihm dringend dazu geraten. «Du musst sofort wieder raus, sonst frisst die Angst dich auf.»

Auf dem Tischchen neben seinem Klappstuhl steht eine Flasche Flens. Er hat sie aus dem kleinen Bordkühlschrank geholt und ein paar Minuten neben sich stehen lassen, damit sie einen Tick wärmer wird. Gonzo legt die Angelrute über die Reling und greift zu der Flasche. Das erste Bier seit einem Jahr! Mit dem Zeigefinger prüft er am Metallbügel des Verschlusses die Temperatur. Der ist für ihn das Maß aller Dinge: Bier sollte kalt sein, aber nicht eiskalt, dann ist es für ihn genau richtig. Ein Lächeln huscht ihm übers Gesicht, das Flens ist auf den Punkt! Gleich wird es ölig seinen Rachen hinuntergleiten. Der erste Schluck ist immer der schönste, er löscht den großen Durst. Der Rest ist zum Nachspülen.

Vor einem Jahr wäre die Buddel spätestens nach fünf Minuten leer gewesen, dann hätte er die zweite geöffnet. Von seinem regelmäßigen Feierabendbierchen und zu fettem Essen wurde er immer runder. Inselarzt Dr. Webersen bezeichnete das als «übergewichtig». Für Gonzo war das viel zu höflich ausgedrückt, er war fett geworden, anders konnte er das nicht nennen. Der Druck im Bauch nach jeder üppigen Mahlzeit wurde immer schlimmer. Er probierte mehrere Diäten, zunächst alle erfolgreich, die Pfunde purzelten nur so. Wenn er sein angepeiltes Gewichtsziel dann erreicht hatte, aß er wieder «normal». Die Folge war, dass er mehr zunahm als je zuvor – der berüchtigte Jo-Jo-Effekt. Dabei ist das Wenigerwerden im Prinzip simpel: Du musst weniger Kalorien zu dir nehmen, als du verbrauchst. Punkt, aus, keine Ausnahmen!

Die unangenehme Wahrheit war, dass er sich auf Dauer umstellen musste, wie Dr. Webersen ihm freundlich klarmachte. Damit machte er ihm große Angst, denn «auf Dauer» bedeutete das ganze Leben, und das sollte doch noch möglichst lange dauern.

Er hat es trotzdem geschafft, gegen alle inneren Schweinehunde. Fünfzehn Kilo weniger in einem Jahr sind dreißig halbe Liter, das ist keine Kleinigkeit. Wenn du die schleppen willst, musst du dich ziemlich ins Zeug legen. Ein großer, breiter Kerl ist er immer noch, so ist er nun mal gebaut. Trotzdem ist er jetzt schlank und hat keinen Bauch, nicht mal einen Ist-ja-nicht-schlimm-den-hat-doch-jeder-Bauch.

Seine Ernährung besteht seitdem ausschließlich aus Gemüse und Fisch, auf Festen trinkt er keinen Alkohol, auch nicht nach Feierabend mit den Kollegen. Es war nur zu Anfang schwer gewesen, schon bald hatten er und seine Umgebung sich daran gewöhnt. Es kamen nicht mal Sprüche, und wenn, nur zu Anfang ein paar harmlose. Spaß hatte er genauso viel wie zuvor.

Er stellt die Flasche kurz zur Seite, zieht den Köder aus dem Wasser und wirft ihn wieder hinein. Dann fährt er sich durch seine widerspenstigen blonden Haare, auch sein Vollbart sieht ziemlich wild aus. Unter seiner dichten Mähne fällt kaum auf, dass sein Gesicht deutlich schmaler geworden ist. Da muss Inselfriseur Johnny dringend ran. Ein bisschen angeben möchte er mit seiner neuen Form schon, ist doch klar.

Die Sonne scheint von einem wolkenlosen blauen Himmel auf ihn herab. Er schließt die Augen und atmet, wie es ihm seine gute Freundin Gesine empfohlen hat: vier Sekunden ein und sechs aus. Dabei hört er tief in sich hinein. Dort ist es nicht dunkel oder hell, groß oder klein, es ist eine ganz eigene Welt. Alles ist gut.

Nach einer Weile taucht er wieder auf und blinzelt in die Sonne. Mit dem Daumen drückt er den Bügel der Flasche auf. Plopp! Die Meeresoberfläche kräuselt sich, über das Wasser kommt eine kleine Windbö auf ihn zu, die will er noch mitnehmen. Kühl streicht sie ihm über die Haarspitzen. Er setzt die Flasche an den Mund.

Der erste Schluck perlt durch seine Kehle – herrlich! Mit fünfzehn Kilo weniger fühlt sich alles besser an. Na ja, fast alles.

Er und die Frauen – das bleibt ein heikles Kapitel, daran hat sich nichts geändert. Jedes zweite Inseldorf ist für ihn mit einer Absage verbunden: Maren in Oldsum, Sandra in Midlum, Katja in Utersum. Die unglücklichen Teeniegeschichten sind lange her, aber nicht vergessen. Das Schlimmste war, wenn eine Frau wiederholte, was seine Klassenkameradin Keike aus Midlum zu ihm sagte, als er ihr unter Zuhilfenahme seines gesamten Mutes gestanden hatte, dass er in sie verliebt sei: «Du bist einfach von Natur aus der Kumpeltyp, es wäre schön, wenn wir gute Freunde sein könnten.» Es wurde der Refrain eines Liedes, der in seinem Leben immer wieder erklang, egal, wie die Strophen dazwischen waren.

Mit siebzehn geschah dann ein Wunder, vollkommen aus dem Nichts. Er kam mit der fünf Jahre älteren Steffi aus Hamburg zusammen und wurde mit achtzehn Vater. Seine Tochter Maike ist ein tolles Mädchen, er liebt sie über alles. Ein Jahr hat er zusammen mit ihr und ihrer Mutter in Hamburg gewohnt. Aber er und Steffi standen sich im Weg, sie waren nicht richtig füreinander. Nach der Trennung zog er zurück nach Föhr und fing bei seinem Vater als Krabbenfischer an. Von seiner kleinen Maike wegzugehen, tat ihm unendlich weh. Immerhin kommt sie jedes zweite Wochenende und die halben Schulferien zu ihm auf die Insel, auch heute noch. Und er fährt, sooft es geht, nach Hamburg, übernachtet in einer Pension, verbringt die Tage mit ihr. Inzwischen ist sie fünfzehn, zurzeit macht sie ein Austauschjahr auf Long Island bei seinem Cousin Peter und dessen Frau Enke, beide ausgewanderte Föhrer. Bei ihnen kann sie neben Englisch sogar noch ihr Friesisch verbessern, das sprechen Peter und Enke zu Hause immer noch.

Nach Steffi passierte bei Gonzo in der Liebe gar nichts mehr. Dazu muss man wissen, dass die Möglichkeit, jemanden kennenzulernen, auf einer kleinen Insel wie Föhr engen geografischen Grenzen ausgesetzt ist. Egal, in welche Richtung du dich bewegst, landest du sehr bald an der Wasserkante. Mit anderen Worten: Wenn du alle Frauen auf der Insel kennst und mit keiner zusammengekommen bist, war es das. Doch damit hat Gonzo sich nie abgefunden. Hin und wieder fährt er auf Ü-30-Partys nach Husum oder Leck. Was immer ein Riesenaufwand ist, mit Fähre und Hotelübernachtung. Er möchte nicht jedes Mal einen Kurzurlaub machen, nur weil er mal in einer Disco oder einem Club rumstehen will. Ergeben hat sich da sowieso nie etwas. Die meisten Leute kannten sich, und die Musik war viel zu laut, um reden zu können. Wie man eine Frau in einer Disco kennenlernt, hat er nie kapiert.

Aus Frust hat er dagegen angefressen, was alles nur schlimmer machte. Als er dicker und dicker wurde, konnte er sogar verstehen, dass ihn keine mehr wollte. Obwohl es auch wehtat. Er fand sich ja auch nicht gerade schön. Vielleicht waren auch seine schwarzen Cordhosen schuld an allem, schlabbrig und weit. Die trug er auch nach seiner Diät, aus reiner Gewohnheit. Bis seine gute Freundin Gesine ihm vorgestern den freundschaftlichen Tipp gab: «Wenn du als Mann mit dreiunddreißig schwarze Cordhosen trägst, hast du dich aufgegeben.»

Er schaute sie missmutig an. «Wieso das denn?»

«Dass du schlank bist, sollen die Frauen doch auch sehen.»

«Die Büxen sind bequem!», gab er zu bedenken.

Sie verdrehte die Augen. «Aber so was von unerotisch!»

«Sagt wer?»

«Alle Frauen, die sich für dich interessieren könnten.»

«Wenn das eine von meinen Hosen abhängig macht, kann die mich mal.»

Sie ließ nicht locker. «Deinen Charakter sieht man aber nicht auf den ersten Blick.»

«Vielleicht wird Cord ja wieder modern. Das ist doch mit allem so! Die Mode ändert sich.»

«Frühestens in dreißig Jahren, und dann bist du Mitte sechzig. Wenn du so lange warten kannst …»

Die Gewissheit, mit der Gesine ihm das vortrug, machte ihn fuchsig. Da trägt man jahrelang Cordhosen, ohne groß drüber nachzudenken, und dann muss man sich so was anhören! Wieso hat sie ihm das nicht früher gesagt?

Vorsichtshalber hat er aber dann doch auf Gesine gehört und sich in Husum eine Levi’s 501 gekauft. Probeweise, mal sehen, ob das wirklich etwas ändert. Dabei tauschte er auch seine zeltähnlichen Hemden im Holzfällerstil, die den Bauch kaschieren sollten, gegen schmal geschnittene einfarbige aus. Als er sich das erste Mal im Spiegel sah, fühlte er sich seltsam: War das noch Gonzo Brodersen? Den hatte er anders in Erinnerung.

Wenn sein Pech bei den Frauen nur an der falschen Hose lag, soll es daran nicht scheitern. Er wird es herausfinden.

2

Gonzo spielt nachdenklich mit der Flens-Buddel in seiner Hand herum. Morgen will er wieder auf Krabbenfang gehen. Die Lille Mor ist bestens in Schuss, zusammen mit seiner Bootshelferin Dörte pflegt und hegt er den alten Kutter.

«Na?», hört er eine raue Stimme am Hafenkai hinter sich.

Gonzo starrt unbeirrt aufs Wasser.

«Hey, hallo …?»

Ist er gemeint? Gonzo dreht sich um. Oben am Kai steht eine mittelgroße Frau und lächelt ihn an. Auf der Nase, die mit hübschen Sommersprossen übersät ist, trägt sie eine modische Sonnenbrille. Ein rotes Basecap bändigt ihre Locken, dazu hat sie ein rosa T-Shirt mit einem Motto an, das er vom Deck aus nicht entziffern kann. Sie ist ein paar Jahre jünger als er, vielleicht Mitte zwanzig.

«Na?», grüßt er zurück.

«Sieht gut aus!», ruft sie und steckt sich die Sonnenbrille auf das Basecap. Jetzt sieht er ihre großen blauen Augen, die ihn anlächeln.

«Wer? Ich?», fragt er grinsend zurück. Im nächsten Moment findet er seinen Spruch dämlich, kann ihn aber nicht mehr rückgängig machen.

«Auch», sagt sie und lacht. «Aber eigentlich meinte ich den Kutter.»

«Schade.»

«Deiner?», fragt sie.

«Jo.»

«Bist du ein echter Fischer?»

Was erwartet sie? Nein, den spiele ich nur für Feriengäste?

«Hmm, und selber?»

«DSW.»

Klingt nach Fußballverein aus der unteren Liga, da kennt er sich nicht aus. «Kreisklasse?»

Sie lacht wieder. «Fußball?»

«Handball? Eishockey?»

Sie schüttelt den Kopf. «Dortmunder Stadtwerke.»

«Was machst du da?»

«Ich schaukele die Straßenbahn durch die Stadt.»

«Verstehe.»

«Lust auf ’nen Kaffee, Käpt’n?»

Flirtet die gerade mit ihm? Oder spinnt er sich das nur zurecht?

«Warum nicht?»

«Was für einen?»

«Latte macchiato», antwortet er spontan. Normal trinkt er seinen Kaffee schwarz. Aber vielleicht überrascht er sie mit seiner Antwort, weil sie Latte macchiato nicht unbedingt mit einem Fischer verbindet.

«Bin gleich wieder da.» Sie geht rüber zu Peter Petersens Tüdelkramladen. In dem Kiosk am Hafenrand gibt es neben Schokolade und Bier die schönsten Schneeschüttelkugeln der Insel Föhr – und einen anständigen Kaffee. Gonzo grübelt: Hat er richtig verstanden? Sie will ihm einen ausgeben? Einfach so? Vielleicht ist er zu pessimistisch gewesen, nur weil nicht unmittelbar nach dem Abnehmen gleich ein Wunder passiert ist. Aber wer weiß, in der neuen Jeans kommt das Leben anscheinend mit ein paar schönen Überraschungen um die Ecke.

Kurze Zeit später ist sie mit zwei Pappbechern in der Hand zurück. Sie reicht sie ihm über die Reling und springt an Bord, was sehr sportlich aussieht. Ihm fallen ihre weißen Sneakers auf, deren Sohlen ziemlich hoch sind. In solchen Dingern würde er sich die Haxen brechen, aber sie kommt gut zurecht. Jetzt stehen sie sich direkt gegenüber, und er kann auch das Motto auf ihrem T-Shirt lesen: Wie gut, dass mir niemand beim Denken zuhören kann.

«Schön hast du es hier», sie schaut sich neugierig um.

«Ja, es gibt schlimmere Arbeitsplätze.»

«Als Touristin sehe ich Krabbenkutter immer nur von Weitem. Ich wollte schon immer mal einen betreten. Deinen finde besonders schick, Rot ist meine Lieblingsfarbe.»

Er grinst. «Letztes Jahr habe ich den Oscar für den schönsten Kutter des Jahres gewonnen.»

«Echt?»

«Leider nicht, aber verdient hätte ich ihn – oder etwa nicht?»

«Dein Humor gefällt mir.» Sie schaut ihm tief in die Augen.

Ihm wird ganz anders – meint sie wirklich ihn, Gonzo Brodersen? Könnte das der Beginn einer Beziehung werden? Und später erzählen sie auf Familienfeiern von ihrer ersten Begegnung auf dem Kutter und lachen darüber? Und ihre Kinder danach auch?

Ganz ruhig, Brauner, nun fang dich mal wieder ein, ermahnt er sich, sonst vergurkst du es, bevor es überhaupt angefangen hat.

«Du gefällst mir auch», sagt er und findet das im nächsten Moment viel zu direkt.

«Wie meinst du das?»

«So, wie ich es sage.»

«Wie heißt du eigentlich?»

«Gonzo.»

«Ernsthaft? Spielst du auch Saxofon wie Gonzo in der Muppet Show?»

«Nee, in meiner Band bin ich Gitarrist, und ich singe, außerdem spiele ich Mundharmonika.»

«Wie abgefahren, du bist in einer Band? Was spielt ihr denn so?»

«Folk und Heavy Metal.»

«Folk und Metal? Willst du mich auf den Arm nehmen?»

«Es ist so. Genau die Mischung kommt auf der Insel am besten an.»

Sie zuckt mit den Schultern. «Friesen ticken irgendwie anders.»

«So ist das.» Er räuspert sich. «Und wie heißt du?»

«Jana.»

«Schöner Name.» Obwohl er früher eine Jana kannte, die ihn ziemlich übel abblitzen ließ. Egal, deswegen kann Jana aus Dortmund trotzdem die große Liebe seines Lebens werden. Theoretisch ist alles möglich. Vielleicht wird er bald die Insel verlassen und mit seinem Kutter auf dem Dortmund-Ems-Kanal schippern.

Jana schaut sich an Deck um. «Darf ich mal in den Kommandostand gucken?»

«Das ist doch kein Kriegsschiff!» Er lacht.

«Wieso?»

«Wir sagen dazu ‹Brücke›. – Aber gerne.»

Sie folgt ihm hinein, stellt sich hinter das Ruder und bestaunt die technischen Geräte. «Wow.»

«Fast wie deine Straßenbahn, oder?»

Sie deutet auf den kleinen Bildschirm. «Kann man damit auch Fernsehen gucken?»

«Das Echolot zeigt die Wassertiefe an.»

«So etwas brauche ich zum Glück nicht. Mit meiner Bahn bleibe ich immer schön auf dem Boden der Tatsachen.»

«Während ich ein ernstes Problem habe, wenn ich im Wattenmeer den Grund berühre.»

«Schon mal stecken geblieben?»

«Klar.»

«Und wieder rausgekommen?»

«Würde ich sonst hier stehen?»

Sie lacht erneut.

«Wie ist das Leben auf der Insel denn so?», will sie wissen.

«Was soll ich dazu sagen? Ich lebe da, wo andere Urlaub machen.»

«Nie woanders gewohnt?»

«Doch, ein Jahr in Hamburg. – Und selber? Einmal Dortmund, immer Dortmund?»

«Nee, ursprünglich komme ich aus einem Bergdorf in Bayern.»

«Hört man gar nicht.»

Sie nickt. «I koan a goanz and’rs red’n. – Meine Eltern sind in den Pott gezogen, als ich zehn war.»

«Zieh doch einfach weiter Richtung Norden, nach Föhr.» Das meint er mehr im Scherz, aber heimlich schwingt ein bisschen Hoffnung mit. Vielleicht hat er ja Glück.

«Super Idee, sucht ihr zufällig noch Straßenbahnfahrerinnen?»

«Händeringend! Die Inseldörfer sollen demnächst mit einer Bahn verbunden werden.»

«Ach ja?»

«Die Strecken müssten unterirdisch verlaufen.»

«Eine U-Bahn unter der Marsch?»

«Mit Umsteigemöglichkeit nach Sylt und Amrum.» Er hält sich die Nase zu und macht eine Ansage: «Utersum Hauptbahnhof, Reisende haben Anschluss an den Zug nach Westerland und nach Norddorf.»

«Du bist echt ein Spinner!»

Dann dreht sie am Ruder und schaut durch die Scheibe in den Hafen. Gonzo nimmt all seinen Mut zusammen und fragt: «Hast du Lust, kurz rauszufahren?»

Sie schaut auf ihre Armbanduhr, auf dem Ziffernblatt entdeckt er Daisy Duck mit rosa Schleife im Haar. «So viel Zeit habe ich leider nicht.»

«Ganz kurz, du kannst auch das Ruder übernehmen.»

«Ernsthaft?»

«Wer eine Straßenbahn durch Dortmund steuern kann, kommt auch auf dem Wasser zurecht.» Es ist ziemlicher Unsinn, was er da behauptet, aber es schmeichelt ihr sichtlich.

«Vielleicht ein anderes Mal.»

«Du weißt ja, wo du mich findest.»

Es wäre auch zu schön gewesen.

«Falls du nicht gerade irgendwo auf der Nordsee Krabben fängst.»

«Klar.»

Sie verlassen die Brücke und gehen hinaus in die Sonne.

«Ist das Wetter nicht herrlich?», sagt sie. «Ich lebe im Sommer richtig auf.»

Und ich lebe mit dir auf, denkt Gonzo. Er befindet sich in einer Art Schwebezustand. «Geht mir genauso», sagt er.

Das ändert sich eine Sekunde später, als oben am Kai ein Typ in knallgelbem Muskelshirt mit dem Emblem von Borussia Dortmund erscheint. Er trägt die typische Fußballerfrisur mit ausrasierten Schläfen. Seine Augen funkeln feindselig.

«Na, Anschluss gefunden?», motzt er Jana an.

Dass der Typ ohne Einladung an Bord springt, gefällt Gonzo gar nicht.

«Hey, Meister!», protestiert er.

Der Kerl ignoriert ihn. «Was läuft hier?», faucht er Jana an.

«Der Typ da hat mich angequatscht und mir einen Kaffee ausgegeben. Viel mehr war da nicht», sagt Jana leise und zeigt auf Gonzo.

«Was heißt ‹Viel mehr war da nicht›?», fragt ihr Macker.

«Jana!», sagt Gonzo, «kannst du das bitte richtigstellen?»

Aber von ihr kommt nichts.

Und wegen der hat er eben noch davon geträumt, in den Ruhrpott zu ziehen?

«Was willst du von meiner Verlobten?» Der Kerl rückt jetzt so nahe an Gonzo heran, dass er seinen Atem riechen kann, eine Mischung aus Knoblauch und Mintkaugummi. Auf der Wange hat er beim Rasieren ein paar Barthaare vergessen, die dort wie Distelbüschel wuchern.

«Nichts ist passiert», sagt Gonzo ruhig.

«Ach ja?», der andere holt zum Schlag aus, aber er rechnet nicht mit Gonzos Reaktion. Gonzo tritt blitzschnell auf Tuchfühlung an ihn heran, sodass der Winkel für den Schlag zu kurz wird. Er reckt sein Kinn nach oben, die Situation steht auf der Kippe.

«Männer …», zischt Jana und verdreht die Augen. Dann springt sie von Bord und schlendert auf dem Kai Richtung Kiosk, als hätte sie mit der Situation nichts zu tun.

«Warte!», ruft der Typ. Dass sie ohne ihn verschwindet, ärgert ihn offensichtlich. «Wir sehen uns», ruft er Gonzo noch zu. Dann springt er über die Reling auf den Kai und läuft seiner Freundin hinterher.

Arme Wurst.

Als die beiden außer Sichtweite sind, lässt Gonzo sich wieder auf seinen Klappstuhl fallen. Vielleicht sollte er in die Altstadt gehen und in der Taverne Akropolis auf den Schreck einen Ouzo trinken. Vor einem Jahr hätte er das getan. Immer, wenn was war, haben er und seine Fischerkollegen bei Jannis einen genommen. Stattdessen schnappt Gonzo sich wieder seine Angel.

Was für ein Tag! Da trägt er das erste Mal seine neue Jeans und das schicke T-Shirt, passt alles wie angegossen und sieht gut aus. Und was hat es gebracht? Nichts als Ärger!

Missmutig wirft er den Köder ins Hafenwasser und blickt auf die Nordsee, die immer noch still und friedlich vor ihm liegt. Er schließt die Augen und versucht, bewusst zu atmen, wie es ihm Gesine empfohlen hat: vier ein, sechs aus. Aber es funktioniert nicht mehr, sein Herz hämmert, und er möchte vor Wut schreien.

«Mannomann», flucht er laut. «Wer soll da noch durchsteigen?»

3

Gesine nähert sich mit dem Rad Peter Petersens Tüdelkramladen. Sie fährt nicht irgendein Fahrrad, sondern einen rosafarbenen Cruiser mit weit nach außen gebogenem Lenker und elegant geschwungener Querstange. Sie liebt das Rad, obwohl es eigentlich unpraktisch ist, vor allem weil es cool aussieht. Gesine trägt heute die goldene kurze Hose, die sie auch bei ihren Auftritten am Schlagzeug am liebsten anzieht.

Der Kiosk liegt ungefähr hundert Meter von Gonzos Liegeplatz entfernt. Ab dort tritt sie voll in die Pedale und nimmt Fahrt auf. Sie wird schneller und schneller. Das ist ihr Ritual, wenn sie ihn im Hafen besucht. Ungebremst rast sie auf die Kaikante zu. Sie weiß, dass Gonzo jedes Mal Angst um sie hat, aber bisher kam sie immer genau an der Kaikante zum Stehen. So auch heute.

Irgendwie braucht sie diesen Nervenkitzel, sie muss sich ihre Körperbeherrschung immer wieder beweisen. Bei Ebbe liegt die Lille Mor tief unterhalb des Kais. Sie staunt, als sie hinunterschaut: Heute sieht es dort anders aus als sonst. Gonzo sitzt auf einem Campingstuhl an Deck seines Krabbenkutters – aber was macht er? Er angelt! Dabei ist er doch Fischer und kein Angler. Was sie noch mehr stutzig macht, ist seine Jeans. Sie sitzt perfekt, das weiße T-Shirt auch. Hat er also tatsächlich auf sie gehört und endlich die unförmigen Cordhosen entsorgt. Das hat sich gelohnt, aber so was von!

«Wow!», ruft sie. «Knackiger Hintern!»

Er schaut kurz zu ihr hoch. «Moin», brummt er, ohne zu lächeln. «Wie willst du das sehen, wenn ich drauf sitze?»

«… und auch obenrum …!»

«Was ist da?»

«Alles chico, wie es im besten Fall sein sollte.»

«Hey, das ist sexistisch», beschwert er sich, wirkt aber geschmeichelt. «So sollte ich mal über dich schnacken!»

«Aber wenn es doch die Wahrheit ist.»

Kennengelernt hat Gonzo Gesine in Kostüm, weißer Bluse und mit Perlenkette. Da war sie noch Kreditbeauftragte einer Bank und er ihr Kunde. Als Bankangestellte waren Rechnen und Kalkulieren eine Freude für sie, der Umgang mit unterschiedlichsten Kundinnen und Kunden ebenfalls. Die Kreditvergabe war eine Art Spiel, bei dem sie die Schiedsrichterin war, das hat ihr gefallen. Gonzo war einer ihrer schwierigsten Kunden, an Sturheit nicht zu überbieten. Er saß finanziell in der Klemme, lehnte aber alles ab, was sie zu seiner Rettung vorschlug. Sie wiederum war beleidigt, weil er sich nicht auf ihre gut gemeinten Vorschläge einlassen wollte. Alles, was sie sagte, hielt er für Schikane. Als Folge seiner Ignoranz musste Gonzo zwischenzeitlich sein kleines Häuschen in Oldsum verpfänden, sonst wäre sein Kutter weg gewesen. Das schob er natürlich allein ihr in die Schuhe: allerbeste Aussichten für eine lebenslange Feindschaft!

Ohne die Insellage wäre das auch so geblieben. Aber dann brauchte Julia vom kleinen Friesencafé dringend Musiker, die bei einer Silberhochzeit sowohl Folk als auch Heavy Metal spielen konnten. Und das waren auf Föhr nur Gonzo und sie. Sie am Schlagzeug und Gonzo als Sänger, Mundharmonika- und Gitarrenspieler. Dazu kam Keyboarder Jens, der Organist der St.-Laurentii-Kirche in Süderende.

Natürlich lehnten es beide zunächst strikt ab zusammenzuspielen. Warum sollte sie ausgerechnet mit ihrem schlimmsten Kunden proben, der sie für eine raffgierige Heuschrecke hielt? Vollkommen absurd! Auch Gonzo wollte unter keinen Umständen mit seiner verhassten Kreditberaterin zusammen Musik machen, allein die Anfrage war eine Frechheit.

Der ungewohnte Stilmix reizte beide aber sehr. Unabhängig voneinander beschlossen sie, zwar mitzumachen, aber nicht miteinander zu reden. Auf der ersten Probe im kleinen Friesencafé war die Spannung zwischen ihnen mit Händen zu greifen. Keyboarder Jens stand unglücklich dazwischen. Anfangs redeten Gesine und Gonzo tatsächlich kaum ein Wort. Das führte dazu, dass sie sich beim Spielen extrem genau zuhören mussten, und es stellte sich heraus, dass sie sich musikalisch ganz nahe waren, ihr Schlagzug und seine Mundharmonika verschmolzen quasi zu einem Instrument. Hinterher musste Gesine sich eingestehen, dass sie nie zuvor mit einem derart sensiblen Musiker zusammengespielt hatte. Sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als das zuzugeben.

Das selbst auferlegte Redeverbot brach schon bei der zweiten Probe in sich zusammen, weil es Quatsch war. Wenn man zusammen Musik macht, muss man sich absprechen oder kann es gleich sein lassen.

Es war der Beginn einer ganz besonderen Freundschaft und ihrer gemeinsamen Band, den Fering Scorpions. Zur Entspannung hat natürlich beigetragen, dass Gesine seit einem halben Jahr nicht mehr bei der Bank arbeitet. Wenn sie sich heute streiten, wissen beide, dass sie beste Freunde sind und es auch bleiben möchten. Gonzos Tochter Maike vergöttert Gesine, sie hat sich auf Long Island sogar eine goldene Turnhose gekauft, wie sie ihr Idol gerne trägt.

«Was ist mit der Lesung?», fragt Gesine und klettert an Bord. In drei Wochen soll der Autor Momme Jansen im kleinen Friesencafé aus seinem neuen Roman vorlesen, Gonzo und sie sollen die Veranstaltung musikalisch umrahmen. Der aus Hamburg stammende Jansen schreibt Romane, die auf Föhr spielen. Seine Beschreibungen von der Insel und vom Wattenmeer sind wie Kopfkino. Gonzo und Gesine sollen seine Worte in Töne umsetzen, was immer das heißt. Da Keyboarder Jens zu der Zeit in Antwerpen bei einem Orgelworkshop ist, müssen sie das zu zweit hinbekommen.

«Wollte Greta uns nicht das neue Buch von Jansen zuschicken?», fragt sie.

Greta führt die Inselbuchhandlung am Südstrand.

«Ich dachte, das kriegen wir direkt vom Verlag», meckert er. «Alles Vollidioten.»

«Oha, schlechte Laune?», fragt sie.

«Wie kommst du darauf?»

«Du musst dringend raus aus dem Stress», flötet sie.

«Was mache ich hier wohl gerade?»

«Du angelst.»

«Und was ist daran Stress?»

Sie lächelt. «Manchmal steckt die Unruhe ja mehr in einem drin.»

«Da steckt nichts bei mir!»

Irgendetwas Schlimmes muss passiert sein, sonst ist Gonzo nie so. «Ich kann dir nur raten, zu meinem Yogakurs zu kommen.»

«Mein Yoga ist Angeln», brummt er.

«Yoga ist viel mehr als das.»

Bevor sie damals zur Arbeit in der Bank fuhr, hat sie morgens immer eine Stunde Yoga gemacht, in der Mittagspause ebenfalls und abends wieder. An den Wochenenden hat sie Trainerinnenkurse absolviert. Es war ein Jahr im Ausnahmezustand. Daneben gab es nur die Fering Scorpions mit Gonzo und Jens, alle paar Wochenenden einen Auftritt. Ihr Schlagzeug ist für sie Entspannung, fast wie Yoga. Ein Übermensch ist Gesine deswegen nicht, zwischendurch lässt sie sich gerne auch mal gehen, vor allem bei Schokolade und Rotwein.

In der Bank wurde ihr klargemacht, dass ihre eigenen Einschätzungen bei Kreditvergaben nicht gefragt seien. Sie habe die Interessen der Bank durchzusetzen und nicht die der Kundinnen und Kunden. Als Gesine finanztechnisch wenig erfahrenen Frauen Möglichkeiten aufzeigte, wie sie ihr Geld optimal anlegen konnten, bekam sie deswegen von ihren Vorgesetzten Ärger. Die wollten, dass sie nur die Produkte der Bank verkaufte, auch wenn die Mist waren. Da lag die Kündigung für sie auf der Hand. Worauf sie bis heute stolz ist, das trauen sich nicht viele.

Sie wusste, dass Yogalehrerin das Richtige für sie war. Ihre Kurse auf der Insel laufen gerade erst an, sie braucht dringend noch mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Zurzeit leitet sie einen Yogafastenkurs im kleinen Friesencafé, der auch Gonzo viel Spaß bringen würde.

«Morgen früh um acht?», fragt sie lächelnd.

«Hör auf!»