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Traditionelle Unternehmensführung mit starrem Controlling und strikten Budgetvorgaben hat ausgedient. Mit diesem revolutionären Ansatz rüttelt Niels Pfläging die Managementwelt aus ihrem Dornröschenschlaf. In der neuen Ausgabe seines Buches untersucht er in einem extra Kapitel, ob, wie und warum Unternehmen, die mit flexiblen Zielen arbeiten, besser durch die Krise gekommen sind als andere. Die vollständig aktualisierte Ausgabe ist Pflichtlektüre für Vorstände und Topmanager, Change Manager, Controller, Personalmanager und Berater.
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LESEPROBE
Niels Pfläging
Führen mit flexiblen Zielen
Praxisbuch für mehr Erfolg im Wettbewerb
LESEPROBE
www.campus.de
Information zum Buch
Traditionelle Unternehmensführung mit starrem Controlling und strikten Budgetvorgaben hat ausgedient. Mit diesem revolutionären Ansatz rüttelt Niels Pfläging die Managementwelt aus ihrem Dornröschenschlaf. In der neuen Ausgabe seines Buches untersucht er in einem extra Kapitel, ob, wie und warum Unternehmen, die mit flexiblen Zielen arbeiten, besser durch die Krise gekommen sind als andere. Die vollständig aktualisierte Ausgabe ist Pflichtlektüre für Vorstände und Topmanager, Change Manager, Controller, Personalmanager und Berater.
Informationen zum Autor
"Niels Pfläging ist leidenschaftlicher Fürsprecher einer neuen, zeitgemäßen Führung. Pfläging ist Berater, Business Speaker und Autor mit Wohnsitz in São Paulo, New York und Wiesbaden. Er machte sich als engagierter und kompetenter Business-Vordenker, der keine Konfrontationen scheut, einen Namen. Niels Pfläging ist Mitbegründer und Associate des BetaCodex Network (www.betacodex.org), einer internationalen Open-Source-Gemeinschaft. Von 2002 bis 2008 war er Direktor des renommierten Beyond Budgeting Round Table BBRT, der Vorläuferorganisation des BetaCodex Network. Pfläging ist gefragter Referent auf internationalen Kongressen zum Thema Unternehmensführung. Als Ratgeber und Advisor unterstützt er Manager und Organisationen aller Art bei der Transformation. Für Führen mit flexiblen Zielen, das nun in zweiter Auflage vorliegt, wurde er mit dem Wirtschaftsbuchpreis von Financial Times Deutschland und getAbstract ausgezeichnet. Von Niels Pfläging erschien im Campus Verlag außerdem Die 12 neuen Gesetze der Führung. Der Kodex: Warum Management verzichtbar ist. Mehr Infos: www.nielspflaeging.com "
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Copyright © 2011 Campus Verlag, Frankfurt am Main
Umschlaggestaltung: Hißmann, Heilmann, Hamburg
ISBN der Printausgabe: 978-3 -593-38823-6
E-Book ISBN: 978-3-593-41097-5
www.campus.de
Haben Sie in den letzten paar Jahren eine Schreibmaschine benutzt? Ihre Antwort wird vermutlich lauten: Selbstverständlich nicht! Oder vielleicht: Ich habe in einem sentimentalen Moment tatsächlich mal eine aus dem Schrank genommen, den Staub abgewischt und sie gestreichelt – aber natürlich habe ich keine Texte damit verfasst!
Klar. Wir bedienen uns heute ganz anderer Technologien, um zu schreiben. Das ist ganz natürlich so. Und diese Technologien können mehr. Sogar viel mehr. Oder haben Sie mal versucht, eine App auf eine Schreibmaschine zu laden?
Genauso sollte das mit fixierten Zielen und dem Management by Objectives sein. Es gehört dahin, wo heute die Schreibmaschinen stehen. Es ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Eine Technologie, die ihren Heyday hatte, deren Zeit aber abgelaufen ist. Das wäre ganz natürlich. Die meisten von uns machen aber einen gravierenden Fehler: Sie hantieren weiterhin mit dieser Art der Führung herum. Sie haben die Vorstellung von der Vorhersehbarkeit im Business, von der Jahresplanung, den Zielvorgaben, der Leistungsbeurteilung anhand verhandelter Ziele noch nicht ins Museum gegeben oder auf den Speicher gestellt. Viele von uns bedienen sich dieser Managementmethoden noch immer. Tagtäglich. Ständig. Mit schlimmen Konsequenzen für Unternehmenserfolg, Leistung und menschliches Wohlergehen im Arbeitsalltag.
Nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung dieses Buchs im Herbst 2006 wurde es mit dem Wirtschaftsbuchpreis von Financial Times Deutschland und getAbstract ausgezeichnet. Für mich eine wunderbare Überraschung und Anerkennung. Das Thema hatte offenbar einen Nerv getroffen: Nach Jahrzehnten der Kultur des Mehr- und Weitermachens im Management ist inzwischen vielleicht die Zeit gekommen, nicht das Alte immer weiter verbessern zu wollen, sondern das, was sichtbar nicht mehr taugt, über Bord zu werfen. Und sich auf Führung für dieses Jahrhundert einzulassen. Sich auf das zu konzentrieren, was wirklich funktioniert. Davon handelt Führen mit flexiblen Zielen.
|10|Inzwischen sind mehr als vier Jahre ins Land gezogen. Das gibt mir Gelegenheit, für die Neuauflage des Buchs nicht nur allerlei Zahlen, Daten und Fakten zu aktualisieren, sondern zugleich einige neuere Erfahrungen im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise von 2008/2009 einfließen zu lassen. Vor allem dazu, wie sich die in Führen mit flexiblen Zielen beschriebenen Pionierunternehmen der neuen Führung in der Krise geschlagen haben.
Aber auch frische Erkenntnisse aus meiner Vortrags- und Beratungsarbeit der letzten Jahre wollte ich berücksichtigen. Insbesondere darüber, was wir Neues über Veränderung und Unternehmenstransformation beim Übergang von fixierten zu flexiblen Zielen gelernt haben. Diese Aspekte finden sich vor allem im neuen, zwölften Kapitel des Buchs, das den Titel trägt »Gemeinsam erste Schritte in die Beta-Welt gehen«. Bestandteil des Kapitels ist auch ein zusätzliches Fallbeispiel. Es handelt von einem der aufsehenerregendsten Unternehmen der letzten Jahre, das durchdrungen ist von zeitgemäßer Führungskultur: Zappos.com.
Als besonderes Extra habe ich die Abbildungen des Buchs klarer gestaltet und etliche neue hinzugefügt. Nicht nur das: Sie können die Abbildungen auch im PowerPoint-Format von meiner Website herunterladen und in Ihrer Arbeit frei verwenden. Sie finden die Datei unter www.nielspflaeging.com.
Ich wünsche ihnen viel Spaß beim Lesen und natürlich mehr Erfolg im Wettbewerb mit Führen mit flexiblen Zielen!
São Paulo/New York/Wiesbaden, im Juli 2011
Niels Pfläging
»Alles ist relativ.«
Albert Einstein
Das Ziel ist nicht der Weg.
Immer mehr Führungskräfte ahnen, dass etwas nicht stimmt mit den üblichen Zielvereinbarungen in ihrem Unternehmen. Natürlich, Mitarbeiter brauchen Ziele – kaum eine Führungskraft zweifelt daran. Trotzdem scheint es in der Praxis nicht richtig zu funktionieren. Woran liegt das? Werden die Ziele vielleicht falsch gewählt? Werden sie im Einzelfall zu hoch oder zu niedrig oder vielleicht sogar grundsätzlich falsch angesetzt?
Dem heute allgemein üblichen Modell des Leistungsmanagements liegt folgendes Versprechen zugrunde: »Liebe Mitarbeiter, wir setzen euch ein klares Ziel. Wenn ihr es erreicht, gibt es eine Belohnung, wenn nicht, eine Bestrafung.«
Das klingt einfach, logisch und zwangsläufig richtig, oder? Warum aber sinkt die Motivation der Mitarbeiter trotzdem stetig, wenn doch dieses Management by Objectives, das Führen mit Zielen, der einzig praktikable Weg zum Erfolg sein soll? Warum bleiben Produktivität und Leistung trotzdem so oft hinter den Erwartungen zurück? Warum gelingt es nicht im erwünschten Maß, Kunden zu Fans zu machen? Und Mitarbeiter zu Helden, die ihren Talenten freien Lauf lassen können? Als Manager muss man heute ja beinahe froh sein, wenn die Mitarbeiter nicht heimlich das Unternehmen sabotieren. Welches sind die Ursachen dafür?
Wirtschaft und Gesellschaft haben sich verändert, die Managementmethoden und Prinzipien, nach denen wir führen und steuern, sind aber die gleichen geblieben. Zielvereinbarungen, vorfixierte Ziele, individuelle Mitarbeiterbewertungen, sogenannte leistungsorientierte Vergütung, Budgets, Plan-Ist-Vergleiche und Mikromanagement von der Unternehmensspitze her – alles gut etablierte Standards. Aber ist das alles heute noch zeitgemäß? Und wenn nicht, wie kann man sich auf die veränderten Umstände einstellen und es besser machen?
|12|In Literatur und Praxis werden die traditionellen Praktiken durchaus kritisiert. Dass man mit dem üblichen Management mit Zielen nicht weiterkommt, dringt auch im deutschsprachigen Raum spätestens seit dem Erfolg »aufgeklärter« Managementautoren wie Sprenger ins Bewusstsein. Doch was nun? Viele Führungskräfte hören allerlei gute Ratschläge und lesen so manches Buch über besseres Management. Aber wie sollen sie die Erkenntnisse daraus in die Praxis umsetzen? Klar ist: Wir brauchen ein neues Verständnis von Motivation, Leistung und Verantwortung. Doch wie kann das aussehen?
Auch wohlmeinende Manager – unzufrieden mit den derzeitigen Methoden – fragen sich, mit welchen Mitteln sie eine neue Verantwortungskultur gestalten können. Die Alternativen scheinen zu vage und nur für wenige Exoten realisierbar zu sein – ein vorschnelles Urteil? Zweifellos gibt es gangbare Wege jenseits des Etablierten. Nur: An welchen der zahlreichen Unternehmen, die »es anders machen«, sollte man sich orientieren?
Unternehmen, die auf fixierte Ziele, individuelle Leistungsbewertungen, Jahresplanung, Budgets, Anreizsysteme und viele andere abgenutzte Rituale verzichten, werden auf lange Sicht erfolgreicher sein als andere. Dennoch soll es hier nicht nur darum gehen, die konventionellen Managementmethoden über den Haufen zu werfen. Dieses Buch wird Ihnen echte, bewährte Alternativen aufzeigen. Es erzählt Geschichten von Pionieren, die ein anderen Steuerungsmodells gewählt haben. Es erklärt, was heute statt Weisung und Kontrolle, Macht per Organigramm, starren Zielvorgaben, leistungsorientierter Bezahlung und Plan-Ist-Vergleichen funktionieren kann. Funktionieren muss.
Als Lösung bieten sich gar nicht so neue, sondern viele seit Langem erprobte Techniken der Zielverfolgung, der Vergütung, der Arbeitsvorbereitung, der Leistungsmessung und -steuerung sowie der Entscheidungsfindung der Organisation an. Vor allem aber ist wichtig: Im Unternehmen der Zukunft wird es viel mehr Führung geben statt immer mehr Management. Ein zukunftsfähiges Unternehmen richtet sein Augenmerk und seine Energie nicht mehr nur nach innen – also auf Pläne, Politik, Verhandlung und interne Leistungsdemonstration –, sondern verstärkt nach außen, auf Markt, Wettbewerb und Kunden. Dieses Buch zeigt Ihnen, wie Sie als Führungskraft Ihr Unternehmen oder Ihren Einflussbereich durch relative Ziele und relative Leistungsverträge dauerhaft erfolgreicher führen können. Mit Führung, die angemessen ist für dieses Jahrhundert.
Die Konzepte, Thesen und ein großer Teil der Fallbeispiele dieses Buches sind Ergebnisse der Arbeit zweier Forschungs- und Implementierungsnetzwerke: des BetaCodex Network und des Beyond Budgeting Round Table (BBRT). Der Beta-Kodex, den wir früher Beyond-Budgeting-Modell nannten, ist seit der Jahrtausendwende eines der Trendthemen im Bereich Business und Management. Daraus ist eine internationale Bewegung entstanden, inspiriert und getragen von den zwei internationalen Mitgliederorganisationen. 1998 gegründet, machte es sich der BBRT als Forschungsgemeinschaft zur Aufgabe, ein Managementmodell zu verbreiten und weiterzuentwickeln, das Organisationen unter den komplexen und dynamischen Bedingungen des 21. Jahrhunderts dauerhaft im Wettbewerb erfolgreich machen sollte. Die erste Frage, die sich der BBRT stellte, war, ob und wie Unternehmensführung ohne Budgets, Budgetverhandlungen, Plan-Ist-Kontrollen und fixierte Ziele funktionieren könnte. Schnell wurde klar: Nicht die Planungspraxis und die Budgets sind das eigentliche Problem, sondern die Werte und Einstellungen innerhalb der Organisationen, die auf einer Kultur der Weisung und Kontrolle beruhen.
Unser Denken ist tatsächlich in vieler Hinsicht auf Weisung und Kontrolle ausgerichtet. Wir stellen uns Organisationen als Top-down-Hierarchien vor. Wir halten das Treffen und das Umsetzen von Entscheidungen getrennt: Personell. Zeitlich. Hierarchisch. Mit oft katastrophalen Folgen. Wir bringen Managern bei, dass es ihr Job ist, Mitarbeiter, Teams und Budgets zu »managen«, und erwarten von ihnen Entscheidungen, die auf Kostenvorgaben, Plänen, Kennziffern, Standards, Zielen und Regeln beruhen. Das lässt sich aber immer weniger mit den Märkten vereinbaren, in denen wir unterwegs sind, und mit den Menschen, die unsere Organisationen mit Leben erfüllen.
Die Probleme heutiger Organisationen können nicht mit demselben Denken gelöst werden, das sie einst hervorgebracht hat. Das zu versuchen – und Organisationen tun das seit Jahrzehnten – bedeutet letztlich, die »falschen« Dinge besser machen zu wollen. Produktiver wäre es, erst einmal zu definieren, welches die »richtigen« Dinge sind, also das Übel an der Wurzel zu packen statt lediglich Symptome zu behandeln. Wer diesen Weg beschreiten will, muss eine Reihe fundamentaler Überzeugungen hinterfragen und überwinden.
In Unternehmen – oder genereller formuliert in Organisationen aller Art – handeln die meisten Menschen innerhalb des klassischen Denkmodells von Weisung und Kontrolle. Dieser traditionelle Ansatz ist in Wirtschaftsunternehmen, aber auch in öffentlichen Organisationen, Krankenhäusern und |14|Not-for-Profits allgegenwärtig, er erscheint den meisten Managern selbstverständlich. Die Logik dahinter: Weil Führende in einer Organisation ihren Mitarbeitern oder Kollegen nicht vertrauen wollen oder können, müssen sie ganz einfach absichernde Steuerungssysteme einrichten. Dazu gehören unter anderem Budgetkontrolle, Zielvereinbarungen, Mitarbeiterbeurteilungen, Organigramme, Richtlinien und Policies, Stabsstellen, Kontrollsysteme, Vorschlagswesen sowie Mitarbeiterbefragungen. Das alles sind seit 50 bis 100 Jahren vertraute Instrumente des Managements. Darum fällt es oft schwer, die enorme Verschwendung von Talent, Zeit und Geld zu erkennen, die diese Praxis verursacht. Die meisten Betroffenen reagieren mit einem Achselzucken: »Es ist nun mal so.«
Fakt ist: Persönliche Führung wird, wenn man diese Instrumente einsetzt, nach und nach durch hierarchische Steuerung und bürokratische Kontrolle ersetzt. Gegenseitiges Vertrauen, Selbstverantwortung, Mitarbeiterengagement und freiwillige Leistungsbereitschaft bleiben auf der Strecke.
Nur wer es schafft, den fortschreitenden Verlust unternehmerischer Kultur infrage zu stellen und schlüssige, robuste Alternativen für die Unternehmensführung zu suchen – der kann Pionierleistungen innerhalb eines neuen Führungsmodells vollbringen. Jenseits von Weisung und Kontrolle.
In den letzten 12 Jahren sind wir durch die Arbeit der Beta-Kodex-Community auf eine ganze Reihe von Pionieren eines neuen Führungsmodells gestoßen. So unterschiedlich diese Organisationen auch sind – sie alle arbeiten nach den gleichen Prinzipien. Sie haben eine klare Philosophie und Vision entwickelt, die sie durch eine revolutionäre Veränderung führte oder aber einer zunehmenden »Bürokratisierung« und funktionalen Ausdifferenzierung widerstehen ließ. 13 dieser Fallbeispiele werden in diesem Buch ausführlich zur Sprache kommen – darunter bekannte, aber auch einige weniger bekannte Namen:
AES – Der amerikanische Energiekonzern (»The Global Power Company«): hat seit seiner Gründung 1981 alle Regeln der Branche gebrochen und die Arbeitsweise in seiner Industrie revolutioniert. Die Manager haben ihre Kontrolle zugunsten einer werteorientierten, radikal dezentralisierten Führung aufgegeben.
Ahlsell – Der schwedische Baumarktbetreiber, der seit den frühen 1990er-Jahren in einem stagnierenden Markt kräftig gewachsen ist, arbeitet |15|hochgradig rentabel und ist führend in seinen Geschäftsfeldern – dank radikaler Neuverteilung von Entscheidung und Verantwortung.
Aldi – Das größte deutsche Handelsunternehmen mit starker internationaler Expansion vereint größten wirtschaftlichen Erfolg mit einer bemerkenswerten Organisationsphilosophie. Wo andere Discounter ihre Mitarbeiter bespitzeln und ausbeuten, handelt es nach Prinzipien der Einfachheit und Fairness. Außerdem revolutionierte es gleichsam nebenbei deutsche und europäische Konsumgepflogenheiten und -kultur.
Dell – Der amerikanische Computerhersteller, den man auch als »Toyota der Elektronikindustrie« bezeichnen könnte, schreibt seit den 1980er-Jahren in einer schwierigen Branche schwarze Zahlen und verzeichnet ausgezeichnete Gewinne. Hoch effektive Logistik- und Produktionsprozesse haben Dell legendär gemacht.
dm-drogerie markt – Die zweitgrößte deutsche Drogeriemarktkette ist gleichzeitig Deutschlands effizienteste und beste. Das Unternehmen wird nach humanistischen und anthroposophischen Werten geführt. Sein Gründer Götz Werner wurde 2008 als »Unternehmer des Jahres« ausgezeichnet, heute steht er als Zugpferd der Bewegung »Bedingungsloses Grundeinkommen« auch außerhalb von dm für gesellschaftliche Modernisierung ein.
Egon Zehnder International – Das schweizerische Executive-Search-Unternehmen ist der Porsche unter den Personaldienstleistern. Zusammenarbeit und bedingungslose Kundenorientierung haben Zehnder zum effizientesten und angesehensten Wettbewerber in diesem hoch zyklischen Markt gemacht.
Guardian Industries – Der amerikanische Flachglas- und Spiegelhersteller ist seit den 1960er-Jahren kräftig auf allen Kontinenten gewachsen und hat sich konsequent einer bürokratiefreien und empowernden Führungskultur, dezentraler Entscheidung und »Spaß« verschrieben.
Handelsbanken – Die schwedische Universalbank ist seit 30 Jahren in fast jeder Hinsicht einer der weltweit erfolgreichsten Finanzdienstleister. Durchgängig. Und bricht dabei alle Regeln ihrer Branche. Auch in der Bankenkrise von 2008/2009 stach Handelsbanken durch den Verzicht auf jede Form von Staatshilfe und gute Zahlen hervor. Inzwischen ist die Bank nicht mehr nur in Skandinavien, sondern auch in England und Deutschland auf Expansionskurs.
Semco – Das brasilianische Dienstleistungs- und Technologieunternehmen hat den Ruf, »die demokratischste Firma der Welt« zu sein. Seit 30 Jahren pflegt das Unternehmen eine Kultur, in der die Führungskräfte alle Macht und Kontrolle aufgegeben haben – und ist damit überaus erfolgreich.
|16|Southwest Airlines – Die amerikanische Airline verhalf dem »Low-Price-Low-Cost«-Geschäftsmodell in der Flugindustrie zum Durchbruch. Sie gilt als beste und effizienteste Airline der Welt und entfacht Leidenschaft bei Mitarbeitern, Kunden und Aktionären. Inzwischen ist sie – gemessen an Passagierzahlen – die zweitgrößte Fluggesellschaft der Welt.
Toyota – Der japanische Automobilkonzern: Seine außerordentlichen Methoden machten Toyota zum größten und rentabelsten Automobilhersteller und zu einem der bestangesehenen Industrieunternehmen. Toyotas Produktionsmodell TPS und dessen Effizienz sind legendär. Das Unternehmen hat Managementmethoden und -forschung seit den 1970er-Jahren geprägt wie kein anderes. Das Jahr 2009 allerdings bescherte Toyota umfangreiche Rückrufaktionen und Turbulenzen rund um Qualität und Managerverhalten. Inzwischen belegen Studien und offizielle Untersuchungsberichte aber, dass hauptsächlich das Fahrerhalten und nicht etwa Produktionsfehler die Gründe für die Probleme waren. Michael A. Cusumano, Professor an der Sloan School of Management des Massachusetts Institute of Technology (MIT), resümierte das Ganze Anfang 2010 so: »Unserem Wissen nach ist Toyota weiterhin der beste Hersteller der Welt, was Produktionsmanagement angeht.«
W. L. Gore & Associates – Das Industrieunternehmen aus den USA gilt als eines der innovationsstärksten weltweit und hat nachweislich die zufriedensten Mitarbeiter. Kleine, empowerte Teams entwickelten spektakuläre Produkte (darunter Gore-Tex) und erwirtschaften exzellente Erträge.
Zappos – Der amerikanische Internethändler hat sich in den letzten Jahren zu einem der meistkommentierten, aufsehenerregendsten Unternehmen weltweit entwickelt. Bislang vor allem durch den Handel mit Schuhen berühmt, treibt Zappos nun auch seinen Haute-Couture-Bereich voran und besticht dabei durch unschlagbare Kundenorientierung – aber auch durch sein radikales, aufregendes Führungssystem.
Obwohl sich diese 13 Unternehmen stark voneinander unterscheiden – historisch bedingt, branchenbedingt und kulturell –, haben sie doch viel gemeinsam: Jedes einzelne verkörpert auf seine Weise Führung nach neuen Prinzipien – und damit das hochgradig anpassungsfähige Modell für Führung mit relativen Zielen und Leistungsverträgen jenseits von Weisung und Kontrolle.
Übrigens: Sechs der Beispielunternehmen stammen aus den USA, vier aus Mittel- und Nordeuropa, eines aus Asien und eines aus Südamerika. Auch interessant: Sechs der Pioniere befinden sich weitgehend oder ausschließlich in Privatbesitz oder in Händen der aktiven Mitarbeiter. Die anderen sieben |17|werden an Aktienmärkten gehandelt oder haben Investmentfonds als Mehrheitsaktionäre.
Diese wilden 13 sind jedoch bei Weitem nicht die einzigen Fallbeispiele für radikal neue Führung, die wir seit den späten 1990er-Jahren kennengelernt und erforscht haben. Wir sind auf weitere aufregende, in Sachen Führung und Organisation hoch innovative Unternehmen gestoßen. Da wäre beispielsweise Google zu nennen, das erst 1998 gegründete amerikanische Technologieunternehmen mit heute 80 Milliarden US-Dollar Marktkapitalisierung und inzwischen 20000 Mitarbeitern. Andere nennenswerte Beispiele sind Handelsunternehmen wie Ikea, Whole Foods Market und United Supermarkets. Industrieunternehmen wie Trisa, Favi, Nucor, Johnsonville, Hermann Miller, Mondragon und Irizar. Dienstleister wie Hengeler Mueller, Schindlerhof, Resource Informatik, Flight Center, DaVita, HCL und Promon. Und es gibt noch mehr – diese kleine Liste ist keinesfalls abschließend. Einige herausragende Aspekte der Führungsmodelle bei diesen Pionieren werden ebenfalls noch im Buch erwähnt.
Nicht zufällig zählen all diese Unternehmen zu den sogenannten »Ausnahmeunternehmen«, die sogar in ihren jeweiligen Märkten als Exoten und Regelbrecher gelten oder galten. Zu oft wurden diese Unternehmen als Paradiesvögel betrachtet – zu Unrecht, wie wir später sehen werden. In meinen Augen sind Pioniere niemals Paradiesvögel, sondern schlicht Vorreiter. Denn diese Unternehmen beweisen – jedes einzelne für sich –, dass Organisationen neuen Typs keine Utopie sind. Ich bin davon überzeugt, dass die Vision, die sie lebendig werden lassen, relevant ist für alle Unternehmen. Egal welcher Größe, welchen Alters, welcher Branche, welcher Herkunft.
Dieses Buch ist ein Buch für Unzufriedene. Und insbesondere für diejenigen, die sich mit dieser Unzufriedenheit nicht mehr abfinden wollen. Es richtet sich an alle Manager und Menschen, die mit Zielen arbeiten und sich dafür interessieren, wie Leistung und Erfolg wirklich entstehen. Besonders wertvoll ist das Buch für alle, die Führungsverantwortung tragen und Steuerungs- und Zielsysteme gestalten, also für Vorstände und Manager in oberen Führungspositionen, für Change-Manager, Controller, Personaler und Berater. Denn diese Führungskräfte hatten bislang den eigentlich spürbar gescheiterten, gängigen Formen des Management by Objectives wenig Konkretes entgegenzusetzen.
|18|Die Größe einer Organisation spielt übrigens keine Rolle, wenn der hier vorgestellte Ansatz umgesetzt wird. Bei der neuen, zeitgemäßen Führung, bei relativen Leistungsverträgen und relativen Zielen geht es vielmehr um einen dauerhaft produktiven Umgang mit Zielen und Leistung. Dieses Ziel zu erreichen ist in kleineren, mittleren und großen Unternehmen gleichermaßen eine Herausforderung.
Führen mit flexiblen Zielen soll Ihnen beim Aufräumen helfen – Abolitionismus, also die Abschaffung von längst Überholtem – ist ein großes Thema in der neuen, der sogenannten Beta-Führung, der »Führung im Zeitalter der Komplexität«, wie wir sie später genauer vorstellen (siehe Seite 38). Das hat nichts mit Provokation oder Radikalität zu tun. Sondern mit Konsequenz. Denn ohne einen herzhaften Frühjahrsputz wird der Aufbruch nicht gelingen. Bei der Führung am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert geht es auch um den längst überfälligen Abschied von vielen Mythen, obsoleten Techniken und Praktiken. Das bedeutet: Wir müssen aufräumen mit dem fehlgeschlagenen Versuch des Management by Objectives, wie es in den letzten Jahrzehnten praktiziert wurde. Und uns von einigen lieb gewonnenen, aber unter den heutigen Bedingungen fundamental falschen Praktiken verabschieden. Es gehört eben auch kreative Zerstörung dazu, wenn wir die Leistungsorientierung und Leistungsfähigkeit von Organisationen neu begründen wollen. Ohne Zerstörung gibt es keine substanzielle Erneuerung. Mit dem gewohnten Verbessern, Hinzufügen und Optimieren allein kommen Unternehmen künftig nicht mehr weiter.
Es hilft nichts, die ewig gleichen Tugenden guter Führungskräfte und Manager herunterzubeten. Denn nicht Manager oder Mitarbeiter haben versagt, problematisch ist vielmehr das System. Manager und Organisationen aller Art arbeiten heute intern und nach außen mit Leistungsvorgaben, Leistungsversprechen und Leistungsverträgen. Damit aber verhindern sie Spitzenleistungen, anstatt sie zu fördern und einzufordern. Mehr noch: Die gängigen Systeme des Leistungsmanagements begünstigen unethisches Handeln, demotivieren die Mitarbeiter und ersticken Leistung und Innovation in Bürokratie. Dieses Buch zeigt auf, was eine neue Sicht von Leistung bewirken kann, wenn sie zu den heutigen Märkten und Menschen passt. Und es zeigt, wie wir dieses Neue umsetzen können. Überall.
Abbildung 1
Traditionelles Managementmodell – »Weisung und Kontrolle« nach dem Alpha-Kodex: Fixierte Ziele, intensive Planung, Strategie an der Spitze, Operatives an der Basis. Fremdkontrolle. Die Organisation als zentralisierte Hierarchie, gesteuert von oben nach unten.
Abbildung 2
Das »neue« Organisationsmodell – unternehmerische Führung nach dem Beta-Kodex: Relative Ziele und Herausforderung relativ zum Markt. Verteiltes Denken. Sozialkontrolle und Gruppendruck. Die Organisation als »dezentralisiertes Netzwerk«, geführt von außen nach innen.
Leo Berg atmet tief ein. Es ist Herbst, die jährliche Zielvereinbarung steht an. Sein Vorgesetzter eröffnet das Gespräch: »Also, Herr Berg, allzu viel Spielraum haben wir dieses Jahr nicht. Ihr Kollege Greiner sieht in seinem Bereich nicht viele Möglichkeiten, das Ruder im kommenden Jahr herumzureißen. Seine Einschätzung teile ich. Und die Geschäftsleitung macht dieses Jahr ganz gehörig Druck, was die Kosten angeht. Insofern habe ich mir überlegt, ob es nicht besser wäre, wir behalten Ihr Budget von diesem Jahr für das nächste Jahr im Wesentlichen bei …«
Berg berichtet später bei einer Tasse Kaffee seinem Kollegen Olaf Niemeyer aus der Logistik von der Episode: »Das war wie ein Dialog unter Irren. Ich habe natürlich mein Standardlächeln aufgesetzt und gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Meine mühsam ausgearbeiteten Planungsunterlagen und Ideen konnte ich damit ja schon mal vergessen. Sagen musste ich in der Besprechung dann eh kaum etwas. Nach 20 Minuten war der Spuk vorbei. War ich naiv! Ich hatte wirklich nicht erwartet, dass mein Boss gleich zu Beginn der Planungssitzung mit festgelegten Vorgaben in Sachen Umsatz und Kosten kommen würde, die wir dann als Gruppe irgendwie erreichen müssen.«
Niemeyer scheint wenig beeindruckt: »Und jetzt?«
Berg ist noch immer verwirrt: »Verhandlungsspielraum habe ich jedenfalls fast keinen, denn mein Chef hat seine Zahlen ja wiederum von seinem Direktor vorgesetzt bekommen. Ich kann eigentlich nur das Gesamtbudgets meiner Abteilung auf den Kontenplan aufteilen – vielleicht stocke ich mein Reisebudget ein wenig auf, um im nächsten Jahr nicht wieder in Erklärungsnot zu kommen. Oder ich kann versuchen, mit dem Kollegen Schrader ein paar Euro hin und her zu schieben. Meine Erfahrungen mit den Key-Account-Kunden und den Handelsmarketing-Projekten der letzten Jahre spielen jetzt jedenfalls wieder absolut keine Rolle mehr. Wir sind einfach gezwungen, vollkommen am Markt vorbei zu planen.«
Achselzuckend erwidert der Logistiker Niemeyer: »Ist wohl Teil des Spiels, dass die Zielvereinbarungen hier so laufen, oder? Das hat doch schon |24|Tradition bei uns. Wie ich höre, laufen derzeit im Vertrieb genau die gleichen Zahlenspiele ab. Und wir wissen ja, dass das am Ende immer zu überhöhten Lagerbeständen und riesigen Discountaktionen führt. Sie werden sehen: Am Ende des dritten Quartals platzt dann wieder die Bombe …«
Berg wird sich an die Praxis gewöhnen, er wird resignieren. »Zeig mir dein Vergütungssystem und ich zeige dir deine Wertevorstellungen!«, so könnte man schlussfolgern. Oder: »Zeig mir, wie du Mitarbeitergespräche führst, und ich zeige dir dein Menschenbild.« Oder: »Sag mir, wie du planst, und ich sage dir, wie du mit deinen Kunden umgehst.«
Hinter jedem Ziel, jeder Leistungsvorgabe, jeder Vereinbarung über erwartete Leistung steckt eine Philosophie und stecken Werte. Das Problem: Wir versuchen, dem 21. Jahrhundert mit Philosophie und Werten vom Beginn des 20. Jahrhunderts beizukommen.
Frederick Winslow Taylor (1856–1915) gilt gemeinhin als Urvater der »wissenschaftlichen Managementstudien« und der Arbeitswissenschaften. In Wirklichkeit war Taylor mehr als das: Es ist nicht übertrieben, ihn als den Erfinder von Management überhaupt zu bezeichnen. Dabei begann seine Tätigkeit als Managementberater eigentlich ganz schlicht: Taylor lief im späten 19. Jahrhundert mit Stoppuhr und Klemmblock durch Fabriken, um die Produktivität von Industriearbeitern zu verbessern. Die Manager bekamen am Ende den Auftrag, selbst die Produktivität zu steigern. Das sollten sie tun, indem sie die Prozesse, mittels deren die Arbeiter ihre Aufgaben erledigten, rationalisierten. In Taylors Welt war Verbesserung auf Zeit und Bewegung ausgerichtet.
Die Arbeiter sollten eine rein ausführende Funktion haben. »Bitte nicht denken!«, bläute Taylor ihnen ein. Denn fürs Denken waren nach seiner Logik fortan Spezialisten zuständig, die etwas von Effizienz und guter Organisation verstanden. Eine neue Kaste denkender, planvoll vorgehender Vorgesetzter sollte die nicht denkende Arbeiterschaft in Schwung bringen und die Produktion in der Industrie dramatisch effizienter machen. Taylor erfand den Manager: Der sollte der arbeitenden Masse das Denken und die Verantwortung abnehmen und darum auch immer mindestens eine Hierarchieebene höher stehen. Hinzu kam: Unternehmen sollten im Dienste der Effizienzsteigerung in Bereiche mit sich möglichst wiederholenden, gleichförmigen Tätigkeiten gegliedert werden. So entstand das Konzept funktionaler Teilung. |25|Marketing ging fortan im Marketingbereich vonstatten, Vertrieb im Vertriebsbereich. Produktion im Produktionsbereich. Personalmanagement im HR-Bereich. Und so weiter. Taylor schuf damit zwei Konzepte der Teilung: zum einen das der hierarchischen Teilung zwischen Manager und Arbeiter, zum anderen das der funktionalen Teilung zwischen Bereichen und Abteilungen.
Und das Modell funktionierte. Der »Taylorismus« erwies sich als eine geniale Idee des Industriezeitalters. Flankiert wurde die Bewegung durch die Arbeit von Zeitgenossen wie Henry Ford, dem Vorreiter der Massenproduktion am Fließband – und Alfred Sloan, dem Begründer des Management by Numbers, das Manager durch Aufbereitung des Zahlenwerks in die Lage versetzen sollte, ganze Unternehmen in den Griff zu bekommen. Das tayloristische Prinzip führte zunächst zu ungeahnten Produktivitätssteigerungen. Taylor löste eine Revolution aus, die es einfachen industriellen Arbeitern erlaubte, Mittelklassegehälter zu verdienen und einen Mittelklassestatus zu erreichen – trotz ihres Mangels an Bildung und Fähigkeiten. Während industrielle Produktionsformen sich bis dato nur beim Bau von Kathedralen bewährt hatten, machten nun plötzlich ganze Industriezweige den Schritt von der aufwendigen Einzelfertigung in Handarbeit hin zur industriellen Massenfertigung.
Noch zu seinen Lebzeiten wurde Taylors »Forschung« als unwissenschaftlich und unbrauchbar widerlegt, Taylor selbst wurde vor einem Ausschuss des US-Kongresses als Scharlatan entlarvt. Dennoch ließen sich nicht nur gewinnorientierte Unternehmen in der Folgezeit vom Taylorismus inspirieren. Auch Krankenhäuser, Schulen, Kirchen, Stiftungen, karitative Organisationen, Behörden – kurz: alle Arten von Organisationen – unterwarfen sich, angeregt von den immensen Effizienzsteigerungen während der industriellen Ära, bewusst oder unbewusst den tayloristischen Prinzipien. Auch im öffentlichen und Not-for-Profit-Sektor wurde die Produktivität oft massiv erhöht, positive Skaleneffekte kamen Bürgern und Gesellschaften zugute.
Tayloristische Organisationen nutzen die Trennung von unmittelbar wertschöpfender und koordinierend-administrativer Arbeit, um ihre Komplexität zu verringern. Die »Befreiung« der wertschöpfenden Prozesse von dem denkerischen und entscheiderischen Überbau steigert grundsätzlich zunächst die Produktivität. Allerdings verlieren die Wertschöpfungsprozesse dadurch ihren Marktkontakt und werden blind für den ökonomischen Sinn der eigenen Tätigkeit. Daher wird eine zentrale operative Steuerung gebraucht, die sie zur Kundenorientierung ermahnt, gleichsam als »Blindenhund« fungiert. Es entwickelt sich die »Managementfabrik« als Parallelorganisation zur »physischen Fabrik«. Anders ausgedrückt: Management und Bürokratie |26|wachsen, ebenso die ihnen zugeordneten indirekten Funktionsbereiche von Verwaltung, Lagerung, Transport und Kontrolle. Gleichzeitig entstehen Abhängigkeit der mit reiner Wertschöpfung betrauten Mitarbeiter untereinander und die fast überall verbreitete funktionale Gliederung von Organisationen.
Traditionelle Managementerziehung lehrt uns denn auch, die Dinge sorgfältig zu zerlegen, jedes einzelne Stück zu verbessern und dann die Teilchen wieder zusammenzufügen. Das ist wie mit Lego spielen. Letzten Endes geht diese Vorstellung auf Isaac Newtons Idee der Organisation als Maschine zurück: Unternehmen als mechanische Getriebe. In dieses Konzept passt auch die Annahme, dass sich bestimmte Probleme immer mit bestimmten Instrumenten lösen lassen. Zum Beispiel Qualitätsprobleme mit Qualitätsmanagement und Six Sigma, strategische Probleme mit Balanced Scorecards oder Risiko mit Risikomanagement.
Schön wär’s! Doch die Zeiten ändern sich. Die tayloristischen Prinzipien und das der Trennung versagen immer offensichtlicher: Wie beispielsweise soll eine Organisation, in der Mitarbeitern, die mit echter Wertschöpfung beschäftigt sind, das Denken verboten ist, auf unvorhersehbare Marktentwicklungen und anspruchsvolle Kunden reagieren? Wie soll der Output jener Wissensarbeit, die in der Wirtschaft verglichen mit industrieller Produktion immer wichtiger wird, gemessen werden? Wie etwa lässt sich der Wert von Ideen und Kampagnen einer Marketingabteilung berechnen und managen?
Peter Drucker, ein US-amerikanischer Ökonom mit österreichischen Wurzeln, hat bereits in den 1960er-Jahren darauf hingewiesen, dass zukünftig massive Veränderungen nötig sein würden. Sein Ruf nach einer neuen zweiten Revolution im Management und seine Beschreibung dessen, was sich als Wissensökonomie abzeichnete, waren mitbestimmend dafür, dass sich tatsächlich etwas bewegte. Leider hat Drucker den Beginn dieser Revolution nicht mehr erleben dürfen. Vielleicht hat tragischerweise aber gerade seine spätere Erfindung des Management by Objectives dazu beigetragen, das von ihm korrekt als überholt erkannte tayloristische Modell weiter zu vervollkommnen und gegen die eigentlich nötige Innovation widerstandsfähiger zu machen. Ähnliches gilt für viele andere Managementvordenker des 20. Jahrhunderts. Der Soziologe Elton Mayo machte Personalmanagement zur Therapieveranstaltung und brachte der Betriebswirtschaft bei, tayloristisch vom Denken entfremdeter Arbeit ein freundlicheres Antlitz zu geben. McKinsey-Gründer James McKinsey, der Taylor-Schüler Henry Gantt und der Mathematiker und selbst ernannte Marketingexperte Igor Ansoff erhoben Planung und Budgetsteuerung zum heiligen Gral unter den Managementkonzepten. |27|Gurus wie Michael Porter, Bruce Henderson, Gründer der Boston Consulting Group, oder das Scorecard-Duo David Norton und Robert Kaplan schließlich machten Strategie zur Domäne übereifriger Analytiker und Technokraten. Sie alle und andere Managementexperten setzten Taylors Prinzipien die Krone auf.
Wissensarbeit jedoch lässt sich nicht durch hervorragendes Verständnis von Zahlenwerken, Matrizen, Ressourceninputs und Outputs verbessern. William Edwards Deming, der Urvater des Qualitätsmanagements und einer der ersten Systemiker, der der Wirtschaft seinen Stempel aufdrückte, sagte einmal: »Ein numerisches Ziel führt zu Verzerrung und Vorgaukelei – ganz besonders in denjenigen Situationen, in denen das System nicht in der Lage ist, das Ziel zu erreichen. Jeder wird immer diejenige Quote (Ziel) erreichen, die ihm zugeordnet ist. Niemand ist verantwortlich für den Schaden, der so verursacht wird.«
Welche Schäden sind hier gemeint? Beispiel Kostenmanagement: Manager lieben es. Controller auch. Es gilt als gängige und gute Praxis. Jedoch: Man kann Kosten nicht managen. Kosten, also buchhalterisch geronnene Zahlen, direkt beeinflussen zu wollen heißt, eine Parallelwelt zu den tatsächlichen Arbeitsprozessen zu schaffen, durch welche die Kosten eigentlich entstanden sind. Kostenmanagement führt damit zu einem Herumdoktern am Zahlenwerk. Immer fehlt dabei der direkte Zusammenhang mit dem Strom wertschöpfender Arbeitsprozesse, die es eigentlich zu verbessern gilt. Kostenmanagement wird zum Substitut für »richtiges Arbeiten«, das darin bestünde, die Kundensicht einzunehmen, um die Prozesse mit ihren Ergebnissen zu verbessern. Kosten managen ist wie Tote gesund pflegen zu wollen. Kostenziele halten Menschen davon ab, das eigentlich Wichtige zu tun.
Oder nehmen wir das Beispiel Verkaufsziele: Statt von den Teams mit Kundenkontakt einzufordern, gute Geschäfte zu machen, kümmern sich Vertriebsleiter, Verkäufer, Marketingmanager und oft auch Topmanager meist vorrangig um fixierte Quoten – um geplante Absatzzahlen und Volumina der einzelnen Vertriebsmitarbeiter. Die Zielerreichung ersetzt so das Streben danach, bestehende oder zu schaffende Kundenbedarfe zu erkennen und zu bedienen. Der Sog des Marktes wird ignoriert, die Kundenorientierung geht zugunsten eines Geschäftsgebarens verloren, mit dem Produkte in den Markt gedrückt werden.
Oder betrachten wir Vergütungssysteme: Die Pensionsleistungen für Topmanager bei einigen amerikanischen Automobilherstellern zum Beispiel wurden mit einer Formel errechnet, die sich daran orientierte, wie rentabel das jeweilige Unternehmen in den letzten paar Jahren vor dem Ruhestand eines Managers war. Man braucht kein Student der Verhaltenswissenschaften |28|zu sein, um die folgende Frage beantworten zu können: Investiert ein Manager unter diesen Bedingungen massiv in langfristige Forschung und Entwicklung? Oder nutzt er jede Chance, um Kosten zu verringern, Mitarbeiter zu entlassen und kurzfristige Ergebnisse zu maximieren? Die Antwort fällt geradezu lächerlich eindeutig aus: »Dankeschön, als Entscheider in dieser Situation kümmere ich mich lieber um mein eigenes Wohl und um das meiner Familie!«
Oder werfen wir einen Blick in öffentliche Organisationen: Der gesamte Behördenkomplex wurde in den letzten Jahrzehnten mit Leistungsindikatoren und fixierten Zielen überschwemmt. Ein kurioses Beispiel aus dem Polizeiwesen ist das Thema häusliche Übergriffe: Ehemann und Ehefrau streiten sich; dies wird als zwei getrennte Vorgänge deklariert – zwei Übergriffe, jeweils einer gegen den anderen – und dann werden beide als »aufgeklärt ohne weitere Maßnahmen« verzeichnet. Diese Praxis wirkt natürlich Wunder bei der Aufklärungsquote. Vermittlungsquoten in den Arbeitsagenturen unterliegen der gleichen Manipulation, wenn Belohnung und Bestrafung mit ihnen verknüpft sind, wenn also ein fixierter Leistungsvertrag zustande kommt.
Leider wiederholen Forscher, Berater, Manager und Praktiker immer wieder das gleiche Mantra: Das System würde ja funktionieren, wenn nur die Ziele richtig, zum Beispiel realistischer oder herausfordernder, definiert würden – natürlich unter größerer Beteiligung der Betroffenen, mit mehr Training für Vorgesetzte, mit ein wenig mehr Auditing und Kontrolle und so weiter und so fort. In Wirklichkeit kratzen diese Ansätze gerade mal an der Oberfläche des Problems und die gesammelten Indizien aus jahrzehntelangen Erfahrungen mit fixiertem Leistungsvertrag und Management by Numbers sollten solche »Experten« Lügen strafen.
Letztlich gibt es keinen anderen Lösungsweg: Die meisten Ziele gehören abgeschafft und fixierte Leistungsverträge müssen generell aus unseren Organisationen verschwinden!
In welche Richtung sich vom tayloristischen Denken geprägte Unternehmen entwickeln müssen, um unter modernen Wettbewerbsbedingungen bestehen zu können, ist den meisten Managern noch völlig unklar. Fest steht aber: Nur Organisationsformen, die ohne zentrale Steuerung auskommen, sind den modernen, dynamisch-komplexen Märkten gewachsen. In solchen Unternehmen |29|erhalten die wertschöpfenden Teams und Bereiche ihren eigenen Marktkontakt zurück und entwickeln die Fähigkeit, ohne den zeitraubenden Umweg über zentrale Managementinstanzen auf überraschende Veränderungen zu reagieren. Dies ist das Prinzip der Selbstorganisation. Oder treffender: der Marktorganisation.
Die Systemtheorie lehrt uns: In einem komplexen Umfeld florieren nur Unternehmen, die über genug Eigenkomplexität verfügen. Sie erzeugen Druck durch innovative Ideen und erweisen sich als robust gegenüber den Wettbewerbern. Die Verwandlung tayloristischer Organisationen in komplexitätsrobuste bedeutet daher: die Steigerung der eigenen Komplexität auf das Niveau moderner Märkte – so wie es Pioniere wie beispielsweise Toyota und Handelsbanken vorgemacht haben. Konventionell tayloristische Organisationen sind in dieser Hinsicht schlicht zu simpel, zu mechanistisch strukturiert. In dynamischen Märkten wird darum die Stärke tayloristischer Organisationen zur Schwäche.
Das von Handelsbanken, Toyota, Southwest Airlines, Semco und anderen praktizierte Modell basiert auf der unerschütterlichen Überzeugung, dass als einzig wahrhaft nachhaltiger Wettbewerbsvorteil heutzutage die Mitarbeiter gelten können – und zwar ganz besonders ihre Kreativität, Leidenschaft und Urteilsfähigkeit. Wo dies eine wirkliche Überzeugung und mehr als nur eine PR-Attitüde ist, entsteht daraus ein Führungsprinzip, das in krassem Widerspruch zum üblichen zahlen- und zielgetriebenen Managementmodell steht.
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