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Analog zu den "Kurpfuschern" in der mittelalterlichen Medizin stellt Niels Pfläging in seinem Aufsatz zum Kursbuch 171 das heutige Management in Frage. Handelt es sich nur um tayloristische Dogmatiker? Fest steht für den Unternehmensberater, dass rein auf Effizienz setzende Führungskräfte der Komplexität der Gesellschaft nicht gerecht werden.
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Seitenzahl: 27
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Niels Pfläging
Kaputtoptimieren und Totverbessern
Eine kurze Geschichte des Managements als Scharlatanerie
Stellen Sie sich vor, Sie lebten im westeuropäischen Mittelalter. Sagen wir innerhalb jener Geografie, die heute Deutschland, Österreich und die Schweiz umfasst. Die Zeit: irgendwann zwischen dem sechsten und 15. Jahrhundert, also nach dem Untergang des Römischen Reiches und vor Beginn der Renaissance. Nehmen wir außerdem an, Sie hätten ein körperliches Leiden. Dann hätten Sie ein richtiges Problem: Denn während die byzantinischen und arabischen Mediziner das medizinwissenschaftliche Erbe der Antike bewahrten, blieb die Medizin des westlichen Mittelalters von allen Erkenntnissen unberührt, die es zuvor einmal gegeben hatte.
In jener Zeit existierte keine schulmedizinische Tradition in Mitteleuropa: Erfahrungserwerb und -weitergabe gingen Hand in Hand mit spirituellen Einflüssen und religiöser Ideologie. Nur wenige lateinische Schriften aus dem Altertum hatten überlebt, das Griechische ging verloren. Die verbliebenen medizinischen Theorien konzentrierten sich mehr auf religiöse als auf wissenschaftliche Erklärungen. Ansichten über die Entstehung und Heilung von Krankheiten waren dementsprechend nicht säkular geprägt, sie waren vielmehr Teil der christlich geprägten Weltanschauung – und in der spielten Faktoren wie Schicksal, Sünde und astrale Einflüsse eine mindestens ebenso zentrale Rolle wie körperliche Ursachen. Die Wirksamkeit von Heilmitteln war eher an den Glauben von Patient und Arzt gebunden als an empirische Beweise. Heute bezeichnen wir das als Placeboeffekt. So fanden vermeintlich heilende Praktiken wie Aderlass oder Schröpfung eine weite Verbreitung. Vielleicht wären die etwas für Ihr Körperleiden?
Die remedia physicalia, also die eingesetzten physischen Mittel zur Krankheitsbehandlung, waren einer spirituellen Einflussnahme regelrecht nachgeordnet. Nach kirchlicher Lehre schickte Gott Krankheit als Strafe zu den Menschen – nur Beichte und Reue konnten zur Heilung führen. Entsprechend weitverbreitet waren Bußpraktiken und Wallfahrten als Heilmittel. Auch Gebete und Andachten spielten eine große Rolle. In Klöstern wurde Heilkräuterkunde betrieben, wobei man den Erfolg pflanzlicher Heilmittel der Wirkung auf die Hauptflüssigkeiten »schwarze Galle, Schleim, Blut, gelbe Galle« zuschrieb. Denn stets ging es darum, das »Gleichgewicht der Körpersäfte« wiederherzustellen. Auch diese Praktiken könnten bei Ihnen zur Anwendung gebracht werden. Nicht gerade hilfreich für Ihre Heilungschancen wäre auch die Ansicht, der Beruf des Mediziners eigne sich ohnehin nicht für Christen, da Krankheit ja als von Gott gesandt galt. Statt wissenschaftlich ausgebildeter Ärzte trieben Quacksalber oder Scharlatane als Heiler ihr Unwesen – später kam für sie der Begriff des »Kurpfuschers« in Umlauf.
Fazit: Insgesamt stünden Ihre Chancen, im westeuropäischen Mittelalter auf medizinischem Wege Heilung oder Linderung Ihres körperlichen Leidens zu erfahren, eher schlecht. Wahrscheinlich würden Sie durch eine der gängigen Heilverfahren hinweggerafft oder, sagen wir, früher als nötig dem Jenseits zugeführt werden. Claude Lévi-Strauss bezeichnete die Situation der Medizin im Mittelalter deshalb als »schamanistischen Komplex«. Erst mit dem neuen Denken der Renaissance und der Verwissenschaftlichung der Medizin ab dem 18. Jahrhundert, in dem die Gründung und Professionalisierung von Heilberufen, neue medizinische Deutungssysteme, neue Erkenntnisse wie die Entdeckung der Nerven, aber auch der Rückgriff auf die Medizinwissenschaft der Antike, auf Diagnose und Therapie enorme Fortschritte hervorbrachten, kam frischer Wind in die Medizin Europas.
Unternehmensführung, eine junge Disziplin