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Möchte man komplexe Fragestellungen lösen, so bedarf es entsprechender organisatorischer Werkzeuge, die so lebendig sind wie die heutigen Märkte und derzeitigen Arbeitsformen selbst: sogenannte »Komplexithoden«. Niels Pfläging und Silke Hermann präsentieren hierzu 33 Komplexithoden und 22 Komplexideen, mit deren Hilfe sich robuste Organisationen für turbulente Zeiten schaffen und erhalten lassen. Ein Buch voller cleverer und zeitgemäßer Strategien für die Entwicklung von Unternehmen unter realen Bedingungen – jenseits von gängigen Gebrauchsanweisungen und Checklisten und passend für jedes Unternehmen. Das macht diesen Bestseller seit zehn Jahren gleichermaßen interessant für die Belebung und Weiterentwicklung von Start-ups wie Mittelständlern und Konzernen.
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Seitenzahl: 124
Niels Pfläging | Silke Hermann
Komplexithoden
Niels Pfläging | Silke Hermann
Komplexithoden
Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität
Mit Illustrationen von Pia Steinmann Aktualisierte und erweiterte Neuauflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen: [email protected]
Wichtiger Hinweis: Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie auf Mehrfachbezeichnung weitgehend verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.
Neuauflage 2025
7., geänderte und erweiterte Auflage 2025
© 2015 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Das Geschwisterchen zu diesem Werk ist unter dem Titel „Organisation für Komplexität“ bei Redline erschienen.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.
Illustration und Covergestaltung: Pia Steinmann, www.pia-steinmann.de
Design und Satz: Pia Steinmann, Niels Pfläging
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-86881-980-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-680-0
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.redline-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
„Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.“
Kurt Lewin
Warum dieses Buch – und was Du damit anstellen kannst
Kapitel 1. Das sind Komplexithoden: Lebendige Organisationswerkzeuge
Kapitel 2. Handwerkszeug für Komplexithoden: Die praktisch-theoretischen Grundlagen
Kapitel 3. Komplexithoden für Leistung
Kapitel 4. Komplexithoden für Beweglichkeit
Kapitel 5. Komplexithoden für Entwicklung
Kapitel 6. Der Rest: Was noch zu sagen bleibt – wie Du weitermachen kannst
Zusätzliche Ressourcen
Literaturempfehlungen
Mehr von!-Weniger von!
Über die Autoren
Über dieses Buch
Es ist ein ziemlich „dichtes“ Buch, das Du hier in Händen hältst. Jedes der 58 Konzepte dieses Buchs, die wir Komplexithoden und Komplexideen nennen, musste auf nur einer oder zwei Buchseiten Platz finden. Wir wollten die Inhalte dieses Buchs kurz und knackig machen – unter weitgehendem Verzicht auf Storytelling: Der Rest soll sich in Deinem Kopf abspielen. Wenn Du magst.
Das Businessbuch ist ein Metier, in dem wir oftmals Gewitztheit, Leichtigkeit und Konzentration aufs Wesentliche vermissen. Wir wollen mit diesem Buch dem lebendigen Charakter von Wirtschaft und Business entsprechen: Dies ist als ein einladendes, in der Darbietung spielerisches und doch inhaltlich ernsthaftes und vor allem auch kompaktes Buch gedacht.
Nicht um falsch oder richtig geht es bei Komplexithoden. Sondern um die Frage: Was passt in die Zeit? Es geht uns in diesem Band zur lebendigen Organisation in Komplexität (dem zweiten Band nach Niels‘ gleichnamigem Vorgängerbuch) nicht darum, die Welt neu zu erfinden. Es geht auch nicht um Vollständigkeit. Komplexithoden sind Werkzeuge, die unseren Vorstellungen und den Prinzipien zeitgemäßer Unternehmensführung, in die Zeit passenden Arbeitswelten und funktionierender BWL gerecht werden. Wir wollen Dir ein Buch an die Hand geben, das wirksames Denken begreifbar macht, in den Zusammenhang stellt und Lust darauf macht, tatsächlich zu handeln.
Durch den Erfolg dieses Buchs sind in den Jahren seit dessen Erstveröffentlichung einige der Inhalte und Konzepte zu Klassikern geworden. Unsere Darstellung der Taylorwanne aus diesem Buch wurde hundertfach kopiert und aufgegriffen. Einige Komplexithoden sind von zahlreichen Expertinnen und Autoren, aber auch von vielen Unternehmen adaptiert worden. Ein paar der Komplexithoden sind inzwischen weit(er) verbreitet, andere werden allgemein referenziert, oder haben sogar ein Art Eigenleben entwickelt. Über diese Resonanzen freuen wir uns sehr! Zu den ausgesprochen populär gewordenen Komplexithoden zählen wohl vor allem das Peer Recruiting, Organisationshygiene und Konsultativer Einzelentscheid.
Eine andere Komplexithode aus dem Buch, die Arbeitsplatzauflösung, wurde durch den Lauf der Geschichte erstaunlich aktuell und auf diese Weise in den gedanklichen Mainstream gerückt. Vielleicht aber ohne bis heute in ihrer Bedeutung angemessen gewürdigt zu werden. Durch unsere Arbeit der vergangenen Jahre sind auch Zellstrukturdesign und Relative Ziele heute weitaus bekannter und präsenter als noch zur Zeit der Erstauflage. Zusätzlich sind in dieser Neuauflage zwei zusätzliche Komplexithoden und zwei neue Komplexideen enthalten.
Wir möchten Dir in diesem Buch Inspiration und ernsthafte Anregung anbieten. Der häufig beobachtbaren Illusion von Change und Fortschritt wollen wir eine Veränderung der Wirklichkeitskonstruktion entgegensetzen.
Wir hoffen, Dir, liebe Leserin, lieber Leser, Konzepte an die Hand zu geben, die zugänglich und einladend sind. Die gleichermaßen Kopf und Herz ansprechen. Und die zu Einsicht und Lernen anregen. Lass uns gerne wissen, was Du daraus machst.
Komplexität ist wie das Wetter. Es ist nichts Schlechtes daran. Es ist nur schlecht, nicht darauf vorbereitet zu sein.
Das sind Komplexithoden
Lebendige Organisationswerkzeuge für eine komplexe Welt
Kompliziert ist nicht gleich komplex! Die wichtigste Unterscheidung zum wirksamen Umgang mit Dynamik in Arbeit und Unternehmen ist die zwischen „Blau und Rot“: Zwischen „tot und lebendig“, zwischen kompliziert und komplex. Sie wird uns über dieses Buch hinweg begleiten.
Kompliziertheit ist das Maß unserer Unwissenheit.
Ein Problem (oder: „nicht ignorierbares Ereignis“) ist kompliziert, weil wir es nicht verstehen. Weil uns Wissen fehlt. Das lässt sich durch Büffeln oder den Zukauf von Wissen beheben. Sie haben eine neue Maschine und wissen nicht, wie sie funktioniert? – Das Lesen der Betriebsanleitung kann helfen! Wenn wir dann wissen wie, wird das Komplizierte einfach oder trivial.
Komplexität ist das Maß für die Menge der Überraschungen, mit denen man rechnen muss.
Je überraschungsreicher der Kontext, je mehr Ideen des Wettbewerbs uns treffen, desto mehr kann man von Komplexität sprechen. Hier kommt Dynamik ins Spiel: Sie ist die Menge der Überraschungen, die eine Organisation aushält.
Wertschöpfung und Arbeit haben immer beides – „Blau“ und „Rot“. Mit „Rot“ bezeichnen wir den lebendigen, komplexitätsrobusten Anteil von Arbeit und Unternehmensfunktionen, mit „Blau“ den formalen und toten. Rote Funktionen können nur von Menschen erfüllt werden, blaue auch von Maschinen. Bei standardisierbarer Massenfertigung bestimmt das Blaue die Konkurrenzkraft, bei Wertschöpfung in Dynamik das Rote.
Aus Gewohnheit versuchen die meisten Unternehmen, beiden Typen von Problemen, roten wie blauen, mit Wissen zu begegnen. Blaue Herangehensweisen und Methoden sind gut geübt, erweisen sich aber meist als unterkomplex: Sie sind nicht ausreichend robust, um dynamische, rote Probleme wirksam zu bearbeiten. Wo viel Rot ist, dort lassen sich die Dinge nicht nacheinander abarbeiten. Und auch nicht sinnvoll vorhersagen. Wissen nützt hier wenig! Wenn man versucht, rote Probleme dennoch mit blauen Prozessen zu lösen, dann schwellen diese Prozesse an, werden träge und weniger leistungsfähig.
Blaue „Lösungen“ und Werkzeuge wirken darum oft hilflos und unpassend. Sie schlackern oder entzünden sich. Wirkung erzeugen Sie höchstens zufällig. Anders gesagt: Übertrivialisierung und Wegschauen sind Formen von Schlamperei. Das Einzige, was Organisationen hier hilft, sind eigene Ideen. Die erhält man nur von Menschen, die in roten Situationen kreativ werden können und so Dynamik bewältigen. Wir nennen sie Könner. Bei roten Problem steht also die FrageWer kann es schaffen?im Vordergrund, bei blauen Problem die FrageWie geht es? Das einzige „Ding“ für den wirksamen Umgang mit Überraschung ist der Mensch.
Die Diskussion um Künstliche Intelligenz zeugt auch von der Sehnsucht, die Menschheit vom Umgang mit roten Problemen befreien zu wollen. Ein besserer Umgang mit K.I. ist, sie als Mittel zur Entlastung und Effizienzsteigerung im Blauen zu nutzen, damit Menschen sich auf die Lösung roter Probleme konzentrieren können.
Kompliziertheit entsteht durch Mangel an Wissen. Komplexität durch Überraschung – ein wichtiger Unterschied. Kompliziert ist blau, Komplex ist rot.
kompliziert
komplex
formal, fixiert
dynamisch
tot
lebendig
Wiederholung
Überraschung
Maschine
Mensch
Regeln
Prinzipien
Standards, Prozesse
Könnerinnen und Könner
Wie funktioniert‘s?
Wer kann es schaffen?
oben-unten
außen-innen
„Push“
„Pull“
permanent
temporär
Formalstruktur
Flow
Ziele
Optionen
Routine, Weisung
Kommunikation, Dialog
Fleiß
Ideen
Abläufe von Menschen befreien
Mensch und Abläufe integrieren
Chefs
Soziale Dichte
Bürokratie
Konsequenz, Verbindlichkeit im Team
hierarchische Fremdsteuerung
marktliche Selbststeuerung
Top-Down-Kontrolle
teambasierte Selbstkontrolle
Informationsmacht
Transparenz, Offene Bücher
Weisung
Vereinbarung
Verantwortlichkeit
Verantwortung
Einheitlichkeit
Einheit
Komplexität kann weder gemanagt, noch reduziert werden. Man kann ihr nur mit menschlichem Können begegnen.
Organisationswerkzeuge
Methoden
Komplexithoden
Organisationsphilosophie
Management
Führung
Denken und Handeln
abgeteilt
vereinigt
Strukturgebend
funktionale Teilung
funktionale Integration
Mehrere Menschen sind
Gruppe, Gremium
Team, Konstellation, Ensemble
Menschen leisten
parallel
miteinander-füreinander
Substruktur
Ab-teilungen, Bereiche
Zellen, Nahtstellen
An der Macht
Manager: interne Referenz
Markt: externe Referenz
Führung
zentral, an Position geknüpft
dezentral, temporär
Organisation
zentralisiert-tayloristisch
dezentralisiert-föderativ
Hinreichendes Menschenbild
Theorie X
Theorie Y
Organisieren
Verwaltung, Steuerung
Führung
Problemlösung
Anweisung
Kommunikation
Stil
autoritär, laissez-faire
kollaborativ, verbindlich
Kompetenz
Wissen
Können
Qualifizierung
pauken
üben
Wertschöpfung
Prozess
Projekt
Umgang mit Zukünften
planen
vorbereiten
Exzellenz
befolgen
verbessern
Kultur
Verhalten
Haltungen
Verhaltensstandard
patriarchalisch
unbedingt erwachsen
Blau und Rot machen unterschiedliche Herangehensweisen für Problemlösung und Erfolg erforderlich. Mischformen sind problematisch: Menschen haben keinen Umschaltknopf.
Die meisten Instrumente und Methoden sind Schablonen. Schablonen sind sehr praktisch. Man kann mit jeder aber nur eine einzige Form malen – ein Rechteck beispielsweise. Will man eine runde Form mit einer eckigen Schablone malen, dann wird es schwierig. Man braucht dann eine andere Schablone – oder einen anderen Malansatz – einen, mit dem man vielleicht sogar alle möglichen Formen malen kann. So etwas ist dann eine Komplexithode.
Es gibt viele vernünftige und effektive Organisationswerkzeuge. Entscheidend ist aber nicht das Werkzeug an sich, sondern seine Passung zum Problem. Nichts ist lähmender für eine Organisation, als kristallisierte, erstarrte Methoden – oder „relativ zu tote“ Methoden, angewandt auf „zu lebendige“ Probleme! Organisationswerkzeuge müssen im Verhältnis zu den Problemen, auf die wir sie anwenden, angemessen komplex und sozial sein. Was zeichnet nun Komplexithoden aus? Sie sind untrennbar von menschlicher Interaktion. Sie integrieren Denken und Handeln – und das ist keine Selbstverständlichkeit, wie wir später sehen werden.
Für dynamische, rote Probleme bedeutet das: Organisationswerkzeuge müssen neue, wirkungsvolle Beziehungen innerhalb des Systems schaffen – und damit Beziehungen höherer Qualität. Ist das gewährleistet, dann entsteht konstruktive Veränderung. Anders gesagt: In hoher Dynamik ist hohe Beziehungsqualität und -dichte das Wichtigste, das einzelne Werkzeug selbst wird zweitrangig.
Komplexithoden erhöhen also Beziehungsdichte oder „soziale Dichte“. Sie leisten das, indem sie im entscheidenden Moment einen Diskurs zwischen Beteiligten sichern. Sie ermöglichen kommunikativ adäquate Reichweite, z.B. für Zusammenarbeit. Auch dann, wenn man nicht am gleichen Ort ist, oder wenn man in großen Gruppen und in großen Organisationen unterwegs ist.
Frag Dich immer, wenn Du es mit Change zu tun hast: Ist die Vorgehensweise, die wir einsetzen, tatsächlich der Lebendigkeit des Problems angemessen? Ist die Methode ausreichend komplexitätsrobust? Ist sie passend zur Fähigkeit des Problems, uns zu überraschen? Führt die Methode zu höherwertigen Beziehungen innerhalb der Organisation?
Eine Komplexithode ist so etwas wie ein „Minimum Viable Product“ zweckmäßiger Organisation in Dynamik: Die kleinste mögliche Einheit, in der das Neue ins Leben kommt. In diesem Buch sind Komplexithoden stets am weißen Seitenhintergrund erkennbar.
Eine Komplexidee ist ein Gedanke. Während die Komplexithode mit Handlung zu tun hat, hat die Komplexidee mit Einsicht, mit Erkenntnis zu tun. Die Komplexidee ist der Unterschied, der einen Unterschied macht, um mit Komplexität umgehen zu können. Das ist Gregory Bateson – angewandt.
Die Komplexidee ist zugleich der Zugang zur Sprache der Komplexität. Die alten Organisationsprobleme sind eingebettet in unsere alte Sprache – unsere Fähigkeit, uns auszudrücken und Phänomene in Unternehmen zu interpretieren. In Dynamik braucht es für Komplexität geeignetes Vokabular und Denkwerkzeuge: eben Komplexideen. Komplexideen eröffnen neue Perspektiven, und neue Möglichkeiten der Ausstattung von Organisationen.
Eine Komplexidee ist ein Aha! Die Komplexithode ist ein Oho! Komplexideen sind in diesem Buch an den blau hinterlegten Seiten erkennbar.
In Dynamik und „rotem“ Kontext reicht tote Methode nicht aus – es braucht Komplexithode. Denken und Sprache aus der blauen Welt helfen nicht weiter – es braucht Komplexideen.
Die Taylor-Wanne illustriert den historischen Verlauf der Entwicklung von Dynamik in der Wertschöpfung von Unternehmen – vom Manufaktur- über das Industrie- bis ins Wissenszeitalter. In vorindustrieller Zeit brachten rein lokale Märkte ohne echten Wettbewerb, Einzel- und Kleinserienauftragsfertigung, Werkstattfertigung, das Fehlen von Standards und extreme Wertschöpfungstiefe hohe Komplexität in der Arbeit mit sich. Der Handwerks- oder Meisterbetrieb mit seiner roten Wertschöpfung war darauf die Antwort. Im 19. Jahrhundert beginnt das Industriezeitalter – und mit ihm eine historische Ausnahmesituation.
Es entstehen explosiv wachsende, weite, oligopolistisch-träge Massenmärkte – und damit gewaltiges Standardisierungspotenzial. In dieser Zeit beginnt das Blaue in der Wertschöpfung zu dominieren. Frederick W. Taylor liefert dazu eine blaue Lösung – das perfekte Organisations-Paradigma für diese Zeit: Seine epochale Idee ist die der strikten hierarchischen Abtrennung des Denkens vom Handeln sowie der konsequenten Steuerung des Unten durch das Oben. Wir nennen diese Idee „Management“. Management oder Taylorismus erlaubt es, Komplexität weitgehend aus Wertschöpfung zu verbannen. Das war jedoch nur unter den Bedingungen jener Zeit möglich.
Denn in den 1970er-Jahren ändert sich alles. Mit dem aufkommenden Wissenszeitalter kehrt das Rote in die Wertschöpfung zurück: Unternehmen – kleine wie große – sind nun Dynamik ausgesetzt, die sie im Industriezeitalter nicht kannten. Statt des Blauen dominiert wieder das Rote in der Wertschöpfung. Tayloristische Organisationen beginnen unter ihrer Unzulänglichkeit im neuen Marktkontext zu leiden. Im Umgang mit dominant roter Wertschöpfung geht es darum, Überlastung zu überwinden im Wettbewerb dauerhaft überlegene Leistung zu erzielen. Wir müssen rote Reflexe trainieren.
Heute ist beobachtbar, dass die meisten Organisationen auf komplexe, rote Herausforderungen immer noch mit komplizierten, blauen Lösungen oder Methoden reagieren. Das ist geübt – es ist trotzdem völlig unzureichend. „Blaue Reflexe“ sind typisch für den Übergang vom Industrie- zur Wissenszeitalter. Diese Übergangsphase ist zwar längst Geschichte. Doch nur wenige Unternehmen haben tatsächlich den Übergang zu einem komplexitätsrobusten Organisationsmodell ohne Steuerung vollzogen. Das Leiden tayloristischer Organisationen unter ihrer mangelnden Angepasstheit an die Marktkomplexität hat sich derweil seit den 1970er-Jahren immer weiter verschärft. Ein Riesenproblem haben tayloristische Organisationen, die sich bereits mit Wettbewerbern konfrontiert sehen, die souverän mit Komplexität und Überraschung umgehen können.
Wertschöpfung ist heute wieder dominant rot. Die meisten Unternehmen versuchen, rote Wertschöpfung mit Industriezeitaltermethoden zu bewältigen. Das erzeugt organisationales Leiden. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist Arbeit am Organisationsmodell.
Organisationen, die den Unterschied zwischen der Domäne des Blauen und der des Roten nicht verstehen, ihn nicht erkennen oder ihn ignorieren, fangen an, sich mit komischen Dingen zu beschäftigen. Weil bei der Anwendung blauer Methode auf rote Probleme die Wirkung ausbleibt, wird dann immer mehr vom Gleichen gemacht. Ergebnis sind geschwollene, entzündete Prozesse ohne jede Chance, mit dynamischen Störungen fertig zu werden. Das nennen wir eine Havarie.
Tayloristische Organisation neigen dazu, sich mit optischen Täuschungen, Projektionen und eigenen Wahrnehmungsfehlern zu beschäftigen, statt mit echten Problemen. Dies geschieht auch trotz besseren Wissens. Die Gründe dafür sind fast immer innenreferenziert. Ein Beispiel für einen typischen Wahrnehmungsfehler ist der des „unmotivierten Mitarbeiters“: Er mündet direkt in Schuldzuweisung.
Inzwischen gibt es aber auch das umgekehrte Phänomen: Dass blaue Probleme mit roten Methoden angegangen werden – und dass durch fehlende Standards und Prozesse vermeidbare Schräglagen produziert werden.
Post-tayloristische Unternehmen integrieren mithilfe von Komplexithoden systematisch Könnerinnen und Könnerin ihre Abläufe. Sie schützen so auch ihre blauen Prozesse vor roter Dynamik.
Es gibt zwei Arten von Lernen.