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”Wenn alle Verantwortung tragen, trägt sie keiner!”
- Worauf es wirklich ankommt - jenseits aller kurzlebigen Managementtrends!
- Von einem der renommiertesten Autoren im deutschsprachigen Raum
- Zeigt aus einer persönlichen Sicht, was wirklich zum Erfolg führt
Das Manager Magazin zählte Herbert Henzler zu den 50 mächtigsten Managern Deutschlands. Herbert Henzler ist nach wie vor einer der ganz Großen der deutschen Wirtschaft und hat sich vom einfachen Lehrling hochgearbeitet an die Spitze von McKinsey, wo er fast 20 Jahre erfolgreich die Geschicke dieses Unternehmens lenkte. Er weiß also ganz genau, worauf es im Management ankommt, was Führung ausmacht und wie Ziele erfolgreich erreicht werden.
„Gesellschaft, Politik und besonders die Arbeitswelt stehen mit der Digitalisierung vor großen Chancen, aber auch Herausforderungen. Gute Führung auf allen Ebenen ist dafür unerlässlich. Dieses Buch stellt dafür einen Baukasten vor.“
Ilse Aigner, Landtagspräsidentin
„Ein lesenswertes Buch, das sowohl die aktuellen Herausforderungen an das Management wie auch das vielfache Versagen und die Erfolgsfaktoren guter Führung untermauert mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis, anschaulich dargestellt“
Herbert Hainer, ehemaliger adidas Chef
„Als einer der erfahrensten und bekanntesten deutschen Unternehmensberater bringt Herbert Henzler in seinem neuen Buch auf den Punkt, was Leadership bedeutet. Herbert Henzler liefert einen universellen Ansatz, der zeigt, was strategische Führung vor dem Hintergrund aktueller wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Themen in der heutigen globalen und digitalen Zeit ausmacht. Für jeden, der sich dieser Herausforderung stellen möchte, ist es ein aufschlussreiches Buch eines Autoren mit großer Führungs- und Lebenserfahrung.“
Oliver Bierhoff, DFB-Direktor
„Herbert Henzlers Lebensweg sowie seine vielfältige Berufs- und Lebenserfahrung: Dies ergibt ein Kompendium für Führungskräfte der Zukunft – in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.“
Günther Oettinger, EU-Kommissar für Haushalt und Personal
„In einer mehr und mehr digitalen und globalen Welt gewinnt exzellentes People Management und vorbildliches Leadership immer mehr an Bedeutung. Dieses Buch ist der große Werkzeugkasten dafür.“
Lars Hinrichs, Founder XING and CEO Cinco Capital
„Ein gelungenes Buch, das besonders für junge Menschen viele Erkenntnisse zu den Herausforderungen unserer Zeit und Erfolgsfaktoren zur Führung anschaulich aufzeigt“
Felix Neureuther, Weltcupsieger im Slalom
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Seitenzahl: 248
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Herbert Henzler
Führung? Führung!
Bewährte Tugenden neu gedacht – aus dem Erfahrungsschatz eines Spitzenmanagers
Alle in diesem Buch enthaltenen Informationen wurden nach bestem Wissen zusammengestellt und mit Sorgfalt geprüft und getestet. Dennoch sind Fehler nicht ganz auszuschließen. Aus diesem Grund sind die im vorliegenden Buch enthaltenen Informationen mit keiner Verpflichtung oder Garantie irgendeiner Art verbunden. Autor und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und werden keine daraus folgende oder sonstige Haftung übernehmen, die auf irgendeine Weise aus der Benutzung dieser Informationen – oder Teilen davon – entsteht.
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© 2019 Carl Hanser Verlag, Münchenwww.hanser-fachbuch.deLektorat: Lisa Hoffmann-BäumlRedaktion: Regina CarstensenHerstellung: Cornelia SpeckmaierCopyright Autorenbild: Sascha KreklauCoverrealisation: Max Kostopoulos
Print-ISBN: 978-3-446-45938-0E-Book-ISBN: 978-3-446-46076-8ePub-ISBN: 978-3-446-46299-1
Das Buch ist meinen KindernNicole, Oliver, Eliora, Ilan und Yoran gewidmet.
Titelei
Impressum
Inhalt
Führung in der Welt 4.0
1 Tolle Leute und ziemliche Flaschen
1.1 Was sind gute, was sind schlechte Ausbilder?
1.2 Crashkurs in Sachen Führung als Reiseleiter
1.3 Das deutsche Ideal – hinter dem Schalter sitzen
1.4 Fehlerfortpflanzungsgesetz
2 Vom Elend und Gewinn der Führung
3 Mr. und Mrs. Quality – das Führungspersonal
4 Faktor Mensch
4.1 Der Mensch, ein Betriebsmittel
4.2 Laissez-faire in Uruguay und den USA
4.3 Operations Research und die Realität
4.4 Führungsmacht Amerika?
4.5 Der berühmte dispositive Faktor
5 Selbstlernende Organisationen und Hierarchien
5.1 Sprungbrett McKinsey
5.2 Wachsen in einer Hierarchie
5.3 Praktische Ergebnisse zählen
5.4 Die Prinzipal-Agent-Theorie
5.5 Der Imperativ des Kapitalmarkts
5.6 Führung mit Fachwissen
6 Psychogramme auf dem Prüfstand – Manager oder Leader
6.1 Verwandlung vom Manager zum Leader
6.2 Spitzengespräche
6.3 Komplementäre Systeme
7 Diversity an der Spitze
7.1 Unternehmen und maskuline Normen
7.2 Gendergerechtigkeit
7.3 Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen
7.4 Homosexuelle und »diverse« Führungskräfte
8 Männlich, militärisch
8.1 Militärische Führung
8.2 »Zwischen Ballern und Business«
8.3 Macrons einstiger General
9 Führung in Zeiten des Umbruchs
9.1 Die Segnungen der Globalisierung und der kritische Blick unserer Tage
9.2 Die Digitalisierung aller Lebensbereiche und die Frage nach der Beherrschbarkeit der technologischen Weiterentwicklung
9.3 Geringere Wettbewerbsvorteile durch Geschwindigkeit
9.4 Der demografische Wandel und die Genderproblematik
9.5 Die VUCA-Welt
9.6 Was folgt für die Führung aus diesen Herausforderungen?
9.7 The winner takes it all
10 Warum scheitern so viele? Das deutsche Dilemma
10.1 Mitbestimmung in einer Matrix
10.2 Compliance in Unternehmen
10.3 Karrieredenken ohne Verantwortungsbewusstsein
11 Schicksal Beförderung
11.1 Was sind die häufigsten Ursachen für die Entstehung des Peter-Prinzips?
11.2 Eskapismus – und dann bin ich nicht mehr im Büro
11.3 Qualität und immer wieder Qualität
12 Erster Erfolgsfaktor – der Wille, zu managen
12.1 Ohne Umwelt sind wir nichts
12.2 Schon früh eingeübt
12.3 Führungs-DNA
13 Zweiter Erfolgsfaktor – Chancen nutzen
13.1 Gelegenheiten beim Schopf packen
13.2 Auch Fußböden können eine Chance sein
13.3 China – ein Land, das Lernen als Chance nutzt
14 Dritter Erfolgsfaktor – Verantwortung übernehmen
14.1 Verantwortung und Solidarität
14.2 Selbstkontrolle
14.3 Vorturner für die Gesellschaft
14.4 Gesund führen
14.5 Gemeinsam verändern
15 Vierter Erfolgsfaktor – geerdet bleiben
15.1 Den Absturz durchspielen
15.2 Immer wieder die Perspektive wechseln
16 Fünfter Erfolgsfaktor – Managementrüstzeug beherrschen
16.1 Sich selbst neu erfinden
16.2 Framework zur Problemlösung
16.3 Stichproben in der Praxis
16.4 Sich selbst führen
16.5 Sei ein guter Zuhörer
16.6 Der Kunde von morgen
16.8 Ein Nein ist keine Antwort
16.9 Intensives Training
16.10 Strategisch unterwegs sein
16.11 Auftreten nach innen und außen
17 Sechster Erfolgsfaktor – Mitarbeiter motivieren und binden
17.1 Königsweg Wertschätzung
17.2 Fischen im »Goldfischteich«
17.3 Hindernisse aus dem Weg räumen
17.4 Vertrauen aufbauen
17.5 Fordern und Fördern
17.6 Feedback geben
17.7 Authentisch führen
17.8 Glaubwürdiges Rollenbild vorleben
17.9 Kompetenz halten
18 Siebter Erfolgsfaktor – jung im Kopf bleiben
18.1 Unbedingt den IT-Führerschein machen
18.2 Nie am Alten festhalten
18.3 Lernen und immer wieder Lernen
18.4 Ausgefülltes Privatleben
18.5 Sich quälen
18.6 Die Dortmunder Perspektive
18.7 Sich der Kritik stellen
19 Schlussfolgerungen
Literatur
Der Autor
Gerade in der jetzigen globalen und digitalen Zeit tut Führung mehr als not, ähnlich wie Seefahrer einst der Meinung waren, dass Seefahrt nottut und später, in der frühen Zeit der Manufakturen, Handwerker der Meinung waren, dass Handwerk nottut. Mit diesen Aussagen wurden damals Notwendigkeiten ausgedrückt, denn es herrschte sowohl in der Seefahrt als auch im Handwerk ein echter Mangel an Seeleuten und Schiffen beziehungsweise Handwerkern und Werkzeug. Heute herrscht ein echter Mangel an Führung.
In gewisser Weise soll dieses Buch eine Art Vermächtnis über Führung sein, jedenfalls versammelt es meine Erfahrungen, die ich als Berater in vielen Unternehmen gemacht habe, einschließlich die meiner eigenen Karriere.
Es fehlen Visionen, Utopien – zumindest gute –, es fehlen Persönlichkeiten, um Unternehmen in die Zukunft zu führen, die nicht nur auf Effizienz, Effektivität und Optimierung aus sind, den alten wirtschaftlichen Idealen. Mögen Giganten wie Facebook und Google zwar vieles optimieren (hauptsächlich Daten), sie haben jedoch keinen üblichen volkswirtschaftlichen Nutzen wie eine Maschine oder eine Straße. Letztlich bedeutet das: Die Leistungsgesellschaft, die wir einst kannten, wird nicht länger unser Fundament sein, wir stehen vor einem gewaltigen Umbruch, Digitalisierung und Globalisierung werden zu massiven Umwälzungen führen. Die mächtigen, hohen Firmengebäude von einigen Unternehmen und Banken werden einmal brachliegen wie aktuell Kohlebergwerke und Stahlhütten. Angesichts dieser vor uns liegenden Herausforderungen wird Führung in Zeiten massiven Wandels zu einer besonders wichtigen Komponente. Ohne Führung gibt es keinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhalt, keine konsequente Haltung, keine Übernahme von Verantwortung, kein Fehlereingeständnis. Im angloamerikanischen Umfeld wird sogar das Recht proklamiert, dass man geführt werde: »I have a right to be lead.«
Das Wissen über Führung basiert nicht auf wissenschaftlichen Regelmäßigkeiten, nicht im Sinne von Wenn-dann-Aussagen, wie sie bei Naturgesetzen getroffen werden können (»Wenn Menschen der Schwerkraft unterliegen, dann tun es auch Vögel«). Das Erlernte ist nicht in jeder Situation anwendbar, nie kann man wissen, ob es tatsächlich klappt. Schon gar nicht kann Führungswissen im Rahmen einer angestrebten Genauigkeit als wahr akzeptiert werden. Dafür ist Führungswissen viel zu subjektiv – zumal man, um andere führen zu können, in der Lage sein sollte, sich selbst führen zu können. Und das kann ein weites Feld sein . . . Der menschliche, der psychologische Faktor spielt bei Führung also eine große Rolle. Unternehmen sind nicht immer so rational, wie man vielleicht denken mag.
Aber es gibt ein Rüstzeug, das sich in der Praxis bewährt hat – jedenfalls in der Vergangenheit. Ob man damit auch in der Zukunft Erfolg abrufen kann, ist fraglich. Aber wenn es bislang noch keine Alternativen gibt, können sie als Maßstab für Führung herhalten. Viel hängt aber auch davon ab, wie wir Erfolg weiterhin definieren wollen. Den Erfolg von Unternehmen und den der Menschen, die in ihnen arbeiten.
Jedenfalls: In diesem Buch soll es um das Handwerkszeug gehen, das ich für essenziell halte, um Beobachtungen, die ich in meiner Zeit bei McKinsey und der Credit Suisse gemacht habe. Die meisten Beispiele aus der Praxis stammen deshalb im Wesentlichen aus Großunternehmen. Die Arbeit mit und bei ihnen umfasste mehrere DAX-Konzerne, darunter Daimler, Deutsche Bank, SAP oder Siemens. Ich hatte aber auch Gelegenheit, zwei »Hidden Champions« kennenzulernen, die Festo AG, einen Anbieter von pneumatischen Automatisierungslösungen, sowie das Familienunternehmen Kärcher, das Reinigungsgeräte und Reinigungssysteme anbietet. Weiterhin bekam ich Einblick in einige mittelständische Unternehmen, etwa in das Medien- und Technologieunternehmen Burda, in die Reemtsma Cigarettenfabriken oder in die Firmen der Quandt-Gruppe.
Seit meiner Schulzeit im Schwäbischen habe ich erlebt, wie in Nürtingen, der »Stadt der Strickwaren« (so stand es früher auf dem Poststempel), ein Niedergang der 33 meist mittelständisch geprägten Strickwarenunternehmen stattfand. Gerade einer einzigen Firma gelang es, sich über Wasser zu halten. Hatte das etwas mit Führung zu tun? Mit fehlenden Investitionen? Mit einem mangelnden Weitblick? Mit gesellschaftlichen Veränderungen? Diesen Fragen wird sich jede Führungskraft immer wieder stellen müssen.
In den letzten zehn Jahren rückten aber auch neue Unternehmensformen in meine Perspektive, so beschäftigte ich mich intensiv mit Start-ups, zunächst als Vorsitzender der Start-up-Kommission unter dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und der Staatsministerin Ilse Aigner, später auch als Investor und Ratgeber (bei der Online-Krankenversicherung ottonova, der Altersversorgungsplattform xbAV sowie beim Berliner Company Builder HitFox). Gerade bei Start-ups gilt der Dreiklang »Geschäftsidee – Finanzierung – Unternehmerpersönlichkeit«, um Erfolg zu haben, um gesetzte Ziele zu erreichen. Die besten Ideen taugen nichts, wenn der umsetzungsstarke Unternehmer fehlt.
Aber damit sind meine Erfahrungen noch nicht ausgeschöpft: Über mehr als 30 Jahre hinweg habe ich in der Beratung dazu beigetragen, dass sich junge Menschen zu Führungskräften (vom Projektleiter bis zum Office Manager) entwickelten. Viele internationale Studenten habe ich in Seminaren geschult, sodass ich dadurch in gewisser Weise auch immer ein Gefühl für den Zeitgeist bekam. Und ich habe mit Sicherheit Tausende von Interviews geführt, um intern in der Beratung und extern für Klienten Führungskräfte beziehungsweise deren Voraussetzungen für einen solchen Job zu testen.
Als Statistiker fiel mir dabei auf, dass in jeder Gruppe von rund 30 Menschen ein ziemlich ähnliches Bild herrschte, was die Selbsteinschätzung betraf. Ein problematisches Bild, um genau zu sein. Fragt man nämlich 30 Leute nach dem Rang, den sie in der Gruppe einnehmen, so erhält man ziemlich genau von 22 Teilnehmern die Antwort »überdurchschnittlich«. Dabei liegt der Median nur bei 15. Es mag vielleicht auch daran liegen, dass man sich sehr schwertut mit dem Durchschnitt. Und unter dem Durchschnitt geht gar nicht. Andererseits kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, dass selten mehr als 15 bis 20 Prozent einer Kohorte signifikante Führungsfähigkeiten haben. Auf jene 15 bis 20 Prozent kommt es aber an, denn sie können ihre Umgebung verändern, können positive Entwicklungen befördern, können ein Klima schaffen, in dem Mitarbeiter ihr Bestes geben wollen.
Doch wie zeigen sich Führungspersönlichkeiten? Oder anders gesagt: Wie zeigt sich, dass jemand keine Führungsqualitäten hat? Wie wird die mangelnde Kompetenz sichtbar?
Wichtig in diesem Zusammenhang sind Feedback Loops (top-down und idealerweise auch bottom-up), mit denen die Führungskräfteentwicklung ähnlich wie bei Spitzensportlern dokumentiert wird. Weitverbreitet sind zwischenzeitlich auch Befragungen, bei denen Mitarbeiter Aussagen über ihr subjektives Empfinden, über ihre Einschätzungen zur Unternehmenskultur, insbesondere zur Führungskultur machen. Ich kann mich noch gut erinnern, als wir 1985 das erste Mal bei McKinsey eine umfassende Befragung unter den Mitarbeitern machten und in einzelnen Abteilungen feststellten, dass sie ihren Führungskräften nur bedingt vertrauten. Das hatte zur Folge, dass viele solch eine Führungspersönlichkeit gar nicht erst anstrebten und deshalb daran dachten, die Firma zur Unzeit zu verlassen.
Gerade junge Leute fordern heute eine anspruchsvolle Führung. Sie suchen keine Lebensstellung mehr, wissen, dass sie oft vielseitig begabt sind, weshalb sie vor Dienstantritt sehr genau die Angebote prüfen. Und wenn es dann aus irgendwelchen Gründen nicht klappt, wenn sie sich etwa nicht professionell oder persönlich weiterentwickeln können, ziehen sie weiter.
Der Ausspruch von Evaluatoren »You see what you get and you get what you see« (»Du bekommst nur das, was Du siehst«) bezeichnet die Entwicklung einer Person, die »angekommen« war und von der man keine weitere Entwicklung erwarten darf. Zwar wird dann entgegen dieser Einschätzung doch eine Beförderung gemacht – weil eben keine bessere Alternative vorhanden ist. Und dabei stellt man fest, dass ein Entwicklungspotenzial schon von Anfang an nicht gegeben war.
Die Ergebnisse dieser Mitarbeiterbefragung führten aber auch dazu, dass sich danach die Führungskultur deutlich verbesserte. Stehende Redewendungen wie »You cannot be a leader without followers« (im übertragenen Sinne: »Ohne Indianer kann man kein Häuptling sein«), »He is a people eater« (»Er ist ein Menschenvernichter«) oder »He preaches water and drinks wine« (»Er predigt Wasser und trinkt Wein«) machten die Runde und bezeichneten häufig einzelne Personen.
Gegenwärtig ist zu erleben, dass sich viele Menschen in einer Komfortzone eingerichtet haben und diese nur ungern verlassen. Erst kürzlich hörte ich von einem Krankenhauschef, dass es immer schwieriger werde, unter Krankenschwestern eine Person zu finden, die bereit ist, sich für eine Stelle als Oberschwester mit Disziplinarverantwortung zu bewerben. Gleiches gilt für Leiter und Leiterinnen von Grundschulen, Kindergärten, Fitnessstudios, Filialen von Banken und Versicherungen oder Einzelhandelsläden. Es mag mit der unzureichend höheren Bezahlung zusammenhängen, vor allem aber gilt die Aussage von Alfred Herrhausen, dem von der RAF ermordeten Vorstandschef der Deutschen Bank: »Führung muss man wollen.« Bevor man Christian Stäblein im April 2019 zum evangelischen Landesbischof von Berlin-Brandenburg ernannte, wurden im Vorfeld angeblich 24 Kandidaten befragt – alle lehnten dankend ab.
In diesem Buch habe ich meine Eindrücke und Schlussfolgerungen über Führung festgehalten. Doch für wen? Vornehmlich möchte ich mich an zwei Gruppen von Menschen wenden: Zum einen an solche, die eine Führungskraft werden wollen. Hier denke ich besonders an die Tausenden von Studierenden, die ich unterrichten durfte und noch immer unterrichte. Zum anderen habe ich die Menschen im Sinn, die bereits Führungskräfte sind, aber eher auf unteren Ebenen, jedoch weiter an die Spitze kommen wollen, bis ins Topmanagement. Sie machen jene 15 bis 20 Prozent der Mitarbeiter in einer Organisation aus, die führen wollen und für weitere Führungsaufgaben anstehen.
Letztlich ist es eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Menschen, die dann 20, manchmal 40 Jahre lang, oft über eine Generation hinaus, eine Organisation prägen. Und je höher sie in dieser angesiedelt sind, desto mehr sind sie in der Lage, ihr Gesicht zu verändern. Desto mehr können sie auf den Wandel in der Gesellschaft reagieren – wenn sie auf die Umbrüche nicht warten wie auf das Wetter.
Doch Menschen wollen gestalten, wollen mitbestimmen, wie wir leben wollen. Was heißt, dass Führung nicht allein von den CEOs bestimmt wird – am Ende muss die gesamte Company performen. Das sollte sich jeder Leader bewusst machen.
Meine erste persönliche Führungserfahrung begann vermutlich im Kindergarten bei Tante Ilse in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Tante Ilse konnte so wunderbare Geschichten erzählen und so herrliche Lieder singen, und es dauerte nicht lange, bis sie fragte: »Wer kann das Lied vom letzten Mal vorsingen? Wer kann die Geschichte von gestern erzählen?« Die Wahl fiel regelmäßig auf mich oder meinen etwas älteren Freund »Mühlesieger«, da wir immer aufmerksam zugehört hatten. Wir ließen uns nie lange bitten, augenblicklich gaben wir unser Bestes und stachen damit unter den anderen Kindern hervor. So war es sinnstiftend, auch beim Vorsingen oder Erzählen unter Gleichaltrigen herausgehoben zu werden, denn wenn man im »Flecken«, wie unser Dorf Neckarhausen genannt wurde, als »heller Kopf« galt, waren die Eltern besonders stolz. Und mir gefiel es, als ein solcher zu gelten.
Nach der Schulzeit, die ich mit mittlerer Reife abschloss, machte ich eine dreijährige Lehrzeit bei der Deutschen Shell in Stuttgart und später Freiburg. Hier gab es hingegen viel zu wenige Gelegenheiten, sich als Führungsnatur auszuzeichnen. Ich arbeitete jeweils acht bis zehn Wochen in den einzelnen Abteilungen, versuchte, viel zu lernen, schriebordentliche Lehrlingsberichte und genoss die Berufsschule (wöchentlich einen Tag) unter Lehrer Rosenkranz in Stuttgart zur geistigen Weiterentwicklung. Bereits vor Antritt in einer neuen Abteilung wurde unter den Lehrlingen lang und breit ausgehandelt, was man von dem jeweiligen Abteilungsleiter oder der jeweiligen Abteilungsleiterin zu halten hatte. Das betraf auch die neuen Lehrer in der Schule, die wir nach und nach bekamen. Erstaunlich war, dass ich die abgegebenen Beurteilungen nach eingehender Prüfung meist für richtig empfand. Es ist wohl so: Bevor man eine Sache beschreibt, beschreibt man die Person, für die man arbeiten muss. Eine Beobachtung, die mein weiteres Leben begleitete.
Aber wieso kam man zu dem Schluss – und das passierte nicht selten –, dass ein bestimmter Abteilungsleiter es nicht weiter als bis zu dieser Position bringen, dass ein anderer Mitarbeiter, obwohl längst ausgelernt, niemals eine solche Funktion in der Materialwirtschaft, der Buchhaltung oder anderswo anstreben würde? Wie kamen meine Mitschüler, meine Lehrlingskollegen zur weitverbreiteten Meinung über »tolle Leute« oder über »ziemliche Flaschen«? Das musste doch herauszufinden sein. Es interessierte mich brennend.
Konnte ich als kaufmännischer Lehrling also nicht meine große Lust am Führen unter Beweis stellen, so begann ich nun, genauer zu beobachten, was Führung ausmachte. 1960 musste ich die Umsatzlisten der Tankstellen im südlichen Schwarzwald erstellen. Es überraschte mich, als ich herausfand, dass bei identisch ausgestatteten Tankstellen (vier Zapfsäulen für Benzin und Diesel, ein Ölkabinett für Motorenöl) mit jeweils drei Tankwarten an einer Ausfallbundesstraße Unterschiede von bis zu 50 Prozent existierten. Auf meine Frage an die Altvorderen, was denn der Grund hierfür sei, kam die Antwort: »Das liegt am Chef.« (Chefinnen gab es damals noch nicht.) So war es wohl auch, es lag an der Führung. Aber was machte diese Führung aus?
Fortan beschäftigte mich die Frage nach kompetenter Führung. Rasch bemerkte ich, dass die innere Motivationslage bei einem Lehrer wie Herrn Fischer, Herrn Uwira oder Herrn Lehmann gut 30 Prozent höher war als bei anderen Lehrern oder Abteilungsleitern, da sie einen gezielt und bewusst forderten und förderten. Sie holten aus uns Auszubildenden weit mehr an wohlmeinender Schaffensbereitschaft und -kraft heraus als jene, die einem dreimal am Tag sagten, dass Lehrjahre keine Herrenjahre seien. Oder, fast noch schlimmer: »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.«
Doch es gab noch weitere Unterschiede zwischen guten Ausbildern und weniger guten. Ein guter Leiter eines Großtanklagers in Stuttgart (Herr Hahn) machte keine Fehler bei der Inventuraufnahme, während nahezu alle Mitarbeiter (wir Lehrlinge eingeschlossen) Inventurdifferenzen produzierten und bei ihnen ständig nachgebessert werden musste. Eine gute Kontokorrent-Abteilungsleiterin (Frau Koch) bekam ihre Kontoabstimmung auf den Tag genau und ohne Fehler hin, während die Gebinde- und Anlagenbuchhalter jeweils einige Wochen Nacharbeit brauchten. Der Verkaufsleiter im Neckartal kannte jeden seiner Großkunden persönlich, und seine Verkaufssachbearbeiter erledigten ihre Aufgaben in seinem Sinne. Andere Verkaufsleiter glänzten mit Forderungsausfällen, mit Verlusten im Propergeschäft gegenüber der Konkurrenz – und mit ungeplanten »Weggängen«.
Bei diesen Beobachtungen blieb es aber nicht, ich erweiterte mein Forschungsfeld und begann, deutliche Unterschiede zwischen den Vespa-Services in Stuttgart und Freiburg festzustellen und zu notieren (auch da lag es am Chef beziehungsweise der Chefin), zwischen dem Turnerbund Neckarhausen und der Turngemeinde Nürtingen (der Turnerbund stieg in die A-Klasse auf, die Turnergemeinde im Handball in die unterste Klasse ab; hier hatte das ebenfalls etwas mit dem Vorsitzenden zu tun gehabt) und zwischen den Geistlichen in unserer Kirchengemeinde (der legendäre Pfarrer Jehle in Neckarhausen war ein »Seelenhirte«, der Jugendpfarrer Geiger in Nürtingen reklamierte für sich die Gottseligkeit).
Je mehr mich Führung faszinierte und ich ihr mit meinem bisherigen Können auf den Grund ging, desto weniger war ich bereit, mich von führungsschwachen Personen anleiten zu lassen. Im Gegenteil: Führungsstarke Persönlichkeiten forderten mich heraus, während führungsschwache Menschen Widerstand in mir weckten. Gut nachzulesen ist das in den Klassenbüchern der Mörikeschule in Nürtingen und den Zeugnissen der Deutschen Shell.
Als mir die Altvorderen zu verstehen gegeben hatten, dass es an den Chefs lag, fing ich auch an, die Pächter der umsatzstarken Tankstellen unter die Lupe zu nehmen. Ich registrierte: Meist waren sie früher an Ort und Stelle als ihre jeweils drei Mitarbeiter, hatten die Tankwarte gut eingeführt und sperrten abends die Tankstelle ab, verließen den Arbeitsplatz als Letzter. Das Ansehen, wie sie von außen wahrgenommen wurden, lag ihnen am Herzen, und Selbiges färbte auf die Mitarbeiter ab.
In meiner weiteren beruflichen Laufbahn konnte ich im Einzelhandel meine Beobachtungen fortsetzen. So war nicht zu übersehen, dass die Filialleiter bei Lidl oder Aldi für Erfolg standen (und bei co op nicht), dass bei Drogerien, Textilhäusern und Buchläden der entscheidende Faktor für den Erfolg in der Person des Ladenleiters, der Ladenleiterin begründet war, ja dass die Filialleitererfahrung häufig der erste Schritt war, um sich als Führungskraft zu entwickeln. Der legendäre Bankier Hermann Josef Abs, der in den 50er- und 60er-Jahren Chef der Deutschen Bank war, erzählte im hohen Alter, wie ihn der Kundenkontakt in der Filiale geprägt habe. Auch ich rekurriere heute noch des Öfteren die paar Wochen, die ich an einer Tankstelle zubrachte (»Darf ich volltanken?«).
Weil mir selbst der Umgang mit Menschen immer viel Spaß machte, mithin der Kundenkontakt (womöglich eine Voraussetzung für eine Führungskraft?), hatte ich mir nebenbei eine Tätigkeit als Reiseleiter gesucht, insgesamt drei Jahre lang, als 17-Jähriger, war ich für das Reisebüro Ruoff in Stuttgart und später für den Deutschen Studentenring (DSR) unterwegs. Auch wenn ich noch keine große Ahnung hatte, wie man Menschen anleitete, diese Skifreizeiten waren ein Crashkurs in Führung.
Und so sah dann die Praxis aus: Als ich mit den ersten Touren anfing, übernachteten wir jedes Mal im Maierhof, einem wunderschönen alten Gasthaus in Westendorf in Tirol. Die Studenten hatten sich angewöhnt, mittags zwischen halb eins und halb drei zum Mittagessen zu erscheinen. Dem Küchenpersonal gefiel das gar nicht, es streikte. Zu Recht bei dieser langen Zeitspanne. Um weiteren Unmut zu verhindern, verkündete ich abends vor versammelter Mannschaft die Botschaft: »Mittagessen gibt es von halb eins bis halb zwei, danach ist die Küche geschlossen.« Alle nickten, kein Widerstand regte sich, es war ja noch lange hin bis zum nächsten Mittagessen. An diesem Abend freundete ich mich mit einer Gruppe von sechs Studenten an, und wir verbrachten eine feucht-fröhliche Nacht (Bettruhe wie in den Jugendherbergen gab’s damals nicht).
Tags drauf erschienen tatsächlich fast alle pünktlich zum Mittagessen – außer jenen sechs Studenten, mit denen ich am Vorabend ordentlich gefeiert hatte. Doch gegen zwei stürmten sie hungrig in den Essensraum und verlangten eine warme Mahlzeit. Als die Bedienung sie auf meine Anordnung vom Tag zuvor verwies, dass nämlich um halb zwei Schluss sei, begehrten sie auf, fingen an, zu diskutieren. Schließlich meinten sie noch, dass sie mit dem Reiseleiter besonders gut könnten, er würde bestimmt bei ihnen eine Ausnahme machen. Also suchte mich die Bedienung auf, sie wollte meine Entscheidung. Es war klar: Würde ich jetzt vor dem Personal einknicken, dann hatte ich meine Autorität verspielt. Würde ich wiederum den neuen Freunden helfen, wären sie sicherlich während der nächsten zwei Wochen besonders einfach zu pflegen, ich würde mit ihnen kaum Probleme bekommen. Ich entschied mich, hart zu bleiben – und erntete von den sechs »Kameraden« unverständliches Gezeter – und einige Tage »Wegsehen«. Food for thoughts.
Aber nicht nur die Ski-Truppe musste gecoacht werden, auch gelang es mir, den Wirt des Maierhofs zu »führen«. Er hatte wirtschaftliche Schwierigkeiten, das war nicht zu übersehen, aber mir war sofort klar, was geändert werden musste, um ihn aus seiner misslichen Lage herauszubringen. Unter anderen hatte er die Speisekarte abzuwandeln, die mit zwölf Gerichten für eine familiengeführte Küche viel zu lang war. Das konnte nur zu Verlusten führen. Ich schlug dem Wirt vor, nur fünf Gerichte anzubieten, und das auch nicht durchgängig, sondern allein von 19 bis 21 Uhr. Danach sollte es einzig Kaltes geben, Wurst- und Käsebrote. Neben der Küche gab es aber auch noch andere Problemfelder: Für die Liegestühle, die häufig von Gästen beschädigt wurden, sollte er unbedingt eine Leihgebühr verlangen – so würde man sie anständiger behandeln, und im Notfall konnte man neue erwerben. Nach acht Wochen schrieb der Maierhof wieder schwarze Zahlen.
Beratung – auch das war Führung.
Nachdem ich meine Lehrlingsprüfung bestanden hatte, stellte mich Shell für 550 D-Mark im Monat als Verkaufssachbearbeiter ein, mein Gebiet war der Südschwarzwald. Zu meinen Aufgaben gehörte, immer mal wieder die Shell-Tankstellen abzufahren und die Pächter daran zu erinnern, dass sie nicht nur Benzin und Diesel verkaufen sollten, sondern etwa auch ein Frostschutzmittel. Eines Tages kam ich zu Domenicus Federer, Tankstellenpächter in Hinterzarten. Ihm war versprochen worden, dass ich Plakate für ein solches Frostschutzmittel mitbringen würde, doch ich konnte ihm keine überreichen, sie waren nicht rechtzeitig in meinem Büro eingetroffen. Als Ausrede fiel mir ein: »Tut mir leid, in der Hamburger Shell-Zentrale hat man es nicht geschafft, sie mir rechtzeitig zu liefern.« Doch nicht genug, ich murmelte auch noch etwas von Ineffizienz und Nachlässigkeit von Unternehmen im Allgemeinen und der Shell im Besonderen. Ich hatte noch gar nicht meinen Satz zu Ende gesprochen, da hatte mich Domenicus Federer gepackt und sagte: »Herr Henzler, für mich sind Sie Herr Shell. Ich kenne von der ganzen Firma nur Sie, und wenn Sie mit den Herren in Hamburg Probleme haben, dann lösen Sie das bitte unter sich. Wenn Sie das nicht schaffen, sind Sie der falsche Mann!« Ich war damals 19, und ich musste zugeben, dass der Anpfiff gerechtfertigt war. Was ich bei anderen bemängelt hatte – ich hatte es selbst verbockt.
Meine Erkundigungen in Sachen Führung waren aber noch längst nicht abgeschlossen. In der Metzgerei in Nürtingen hingen Gesellen- und Meisterbriefe aus, in der Bäckerei Hagenloch ebenfalls. Im Dorf wusste man, wer wo lernte, wer Geselle war und wer Meister. Und es war selbstverständlich, dass die Meister auch fachlich mehr draufhatten als die Gesellen oder gar die Angelernten. Dass sich jemand »hochgearbeitet« hatte und dann irgendwann selbst ein Fachgeschäft übernahm, war an der Tagesordnung und entsprach dem Zeitgeist. Das fränkische Volkslied mit dem Text ». . . den soll man als Gsell erkennen oder gar einen Meister nennen, der noch nirgends ist gewest, nur gesessen in sei’m Nest« war sinnstiftend für viele, die »ausgelernt« hatten und die es dann hinauszog in die Welt. Sinnigerweise traf ich bei meinen späteren Stationen in Siegen, Saarbrücken und München immer wieder Schwabenzirkel, die es zu Hause nicht mehr ausgehalten hatten und »draußen« ihre Leistungen erbrachten. (Siehe auch Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg und dort die Strophe »Verachtet mir die Meister nicht« – sie ist geradezu eine Metapher für die jahrhundertealte Handwerkstradition in Deutschland.) Und so konnte man in Gasthöfen, die neu übernommen wurden, an der Fassade oder im Fenster das Schild lesen: »Hier kocht der Chef«. Das stand nicht nur für Qualität, sondern ebenso für die Garantie, dass der Chef für sein Serviceangebot geradestand.
Es gab natürlich auch die Schattenseite von Führung, sie blieb mir nicht verborgen. Die Person des Vorgesetzten hatte zweifellos zur kritikfreien Obrigkeit, zur Hörigkeit beigetragen, gerade in Deutschland. Der Hauptmann von Köpenick, das Theaterstück von Carl Zuckmayer, ist dafür ein gutes Beispiel, ebenso eine von Kurt Tucholsky wiedergegebene Wahrnehmung: »Vor einem Schalter stehen: das ist das deutsche Schicksal. Hinter dem Schalter sitzen: das ist das deutsche Ideal.«
Dazu eine persönliche Erfahrung, die zugleich meine Einstellung zu Chefs widerspiegelt. Es war 1988, und kurz zuvor hatte ich an einem McKinsey-Event, ausgerichtet von unserem texanischen Büro, in Mexiko teilgenommen. Gerade war ich mit der Fluggesellschaft Aeromexico in Miami gelandet und stand in einer Schlange mit ungefähr 200 Mexikanern vor den Schaltern der Einwanderungsbehörde. Mein Anschlussflug nach Frankfurt ging in einer Stunde, unter normalen Umständen war es ein Ding der Unmöglichkeit, diesen Flug zu bekommen. Also marschierte ich an die Spitze der Schlange und erzählte den recht kooperativen Mexikanern, dass ich dringend nach »Alemania« weiterfliegen müsse, dass es mir in Cancún gut gefallen habe etc., etc. Ein Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde hatte mein unbotmäßiges Vordringen beobachtet, er verließ seinen Glaskasten, um mir barsch zu sagen: »You go back to the end of the line.« Zurück ans Ende der Schlange? Das wäre das Ende des Weiterflugs gewesen. Ich bestand darauf, seinen Vorgesetzten sprechen zu dürfen. Selbiger erschien, ziemlich missgelaunt, nach ein paar Minuten. Ich erzählte ihm meine Not und erläuterte, dass in Frankfurt ganz wichtige Leute auf mich warten würden, dass ich Versprechungen einzuhalten hätte. Er musterte mich eindringlich, schaute wiederholt in den Pass (bemerkte, dass ich praktisch jeden Monat nach New York einreiste) und winkte mich schließlich durch. Vielleicht hat dazu auch die »Power Awareness«-Schulung bei McKinsey ein wenig beigetragen, dass ich davon überzeugt war, mit dem Chef reden zu wollen.
Durch mein Nachforschen und Beobachten hatte ich jedenfalls begriffen, dass praktizierte Autorität mit großem Fachwissen einhergeht und gute Führung auch mehr Erfolg (Umsatz, Cashflow, Mitarbeiterzufriedenheit) bedeutet. Umgekehrt galt das genauso. Und dass es sich von oben nach unten fortsetzte. Bei einem schwachen Leiter einer Abteilung schien es, als hätte man es mit einem »Fehlerfortpflanzungsgesetz« zu tun, sodass die für ihn arbeitenden Führungskräfte auch schwach waren.
Führung musste aber auch gelernt sein: Die Gründung der Konrad-Adenauer-Stiftung 1955 wurde von Bruno Heck initiiert, später war er der erste Generalsekretär der CDU. Zehn Jahre später wollte man den politischen Führungsnachwuchs identifizieren und in jährlichen Seminaren schulen. Ich bestand das Auswahlseminar im Schwarzwald und gehörte so zur ersten Gruppe der 30 Adenauer-Stipendiaten.
Es waren eindrucksvolle Seminare in Wesseling, nahe Bonn, und Berlin-West, mit teilweise herausragenden Referenten, aber auch Kolleginnen und Kollegen, die nicht nur hervorragende Noten hatten, sondern die wunderbar formulieren konnten. Viele davon wollten tatsächlich in die Politik – und so hatte ich in Wesseling als Zimmergenossen Uwe Barschel (er hatte das politische Amt klar im Blick und wurde dann Ministerpräsident von Schleswig-Holstein).
Betrachte ich heute mit großer Distanz diese prägenden Jahre als Schüler, Lehrling und junger Sachbearbeiter, so fallen mir etwa 20 Prozent herausragende Persönlichkeiten ein und mindestens 20 Prozent »Flaschen«, und dann eben die 60 Prozent Durchschnitt. Letztere machten einen ordentlichen Job, vermieden es, Schwächen zu zeigen, wurden so zu Trägern von Verantwortung. Selten aber entwickelten sie andere persönlich weiter.
Gerade hatte die Ära von John F. Kennedy begonnen, und in seiner Amtsantrittsrede im Januar 1961, kurz vor ihrem Ende, sagte der 35. US-amerikanische Präsident: »Fragt nicht, was Amerika für euch tun wird, sondern fragt, was wir gemeinsam tun können für die Freiheit des Menschen.« Diese Aussage ließ mich nicht mehr los. Ich begann mich als junger Mensch zu fragen: Hätte ich etwas besser machen können? Hast du bislang dein Bestes gegeben? Wie kann ich das Gelernte nutzen, damit es für die Menschen Sinn macht? Bei diesem Reflektieren fiel mir auch ein, was meine evangelisch geprägte Mutter mir einmal gesagt hatte: »Hast du die Gaben, die der Schöpfer dir mitgeben hat, gut eingesetzt?«